Julia Hugendubel: Tätertypologien in der Wirtschaftskriminologie – Instrument sozialer Kontrolle

von Prof. Dr. Anja Schiemann

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2016, Peter Lang GmbH, Frankfurt a. M., ISBN: 978-3-631-67596-0, S. 234, Euro 54,96.

Wirtschaftskriminalität rückt zunehmend in den Fokus strafrechtlicher Diskussion. Sei es der Ruf nach einem Unternehmensstrafrecht oder die immer professioneller angeleitete Selbstregulierung der Unternehmen durch Compliance-Maßnahmen – Aufsätze, Bücher und Fachtagungen häufen sich, Anwaltskanzleien spezialisieren sich auf Wirtschaftsstrafrecht und Staatsanwaltschaften weisen entsprechende Schwerpunktbereiche aus. Da ist es nur legitim, kriminologische Fundierungen zu suchen, im Dezember erschien Band 1 von Bussmann zur Wirtschaftskriminologie, Hendrik Schneider plant ein Handbuch für 2018. Neben der Wirtschaftsstraftat an sich gerät der Täter zunehmend in den Fokus kriminologischer Betrachtung. Die vorliegende Dissertation untersucht bestehende Studien zur Wirtschaftsstraftätertypologie und überprüft, inwieweit eine Tätertypenbestimmung in Bezug auf Wirtschaftskriminelle eine Aussagekraft entfaltet und welchen Mehrwert eine solche Bestimmung gegenüber einer situationsorientierten sozialen Kontrolle hat. Konkret gesprochen geht es darum, ob sich eine Tätertypenbestimmung grundsätzlich zur Prävention von Wirtschaftskriminalität eignet und ob ggf. – so nicht intendierte – Nebeneffekte eintreten.

Zu Beginn ihrer Arbeit setzt Hugendubel den theoretischen Bezugsrahmen und erläutert die zentralen Begriffe der Untersuchung, nämlich „Typologie“, „Wirtschaftskriminologie“ und „soziale Kontrolle“. Die Verfasserin geht von einem konstruktivistischen Verständnis von Kriminalität aus und gibt dabei folgende Definitionen für die weitergehende Untersuchung vor: „Eine Typologie von Wirtschaftsstraftätern ist als eine Zusammenfassung einzelner Typen anzusehen, die durch den inhaltlichen Sinnzusammenhang – der Wirtschaftskriminalität – eine innere Verbundenheit erfahren. Ein Typus besteht dabei aus einer Kombination von Merkmalen. Die Merkmalskombinationen sind Eigenschaften von Personen, die bereits eine Wirtschaftsstraftat begangen haben oder den Studien zufolge eine Wirtschaftsstraftat begehen werden“ (S. 45). Wirtschaftskriminalität ist für Hugendubel eine Gesetzesverletzung durch eine Person im Unternehmensinteresse oder gegen die Interessen eines Unternehmens. Soziale Kontrolle erfasst für sie insbesondere auch die Verbrechenskontrolle und als deren Teilbereich die Kriminalprävention. Die Arbeit richtet ihren Fokus so gesehen auf einen Teilbereich der sozialen Kontrolle, nämlich die Kontrolle von Wirtschaftskriminalität mit Tätertypologien.

Zunächst untersucht die Verfasserin die Wirtschaftsstraftätertypologie als Phänomen. Die Inhaltsanalyse bereits ergangener konzeptioneller und empirischer Studien zur Typenbildung von Wirtschaftsstraftätern ergab dabei, dass diese anhand von Sozialdaten, Persönlichkeitseigenschaften oder Werten bzw. Motiven erfolgt. Die Tätertypbestimmung wird sowohl mit Hilfe von Ideal- als auch mit Hilfe von Realdaten getroffen, wobei fast alle Studien anwendungsorientiert sind. Der Anwendungsbezug ergibt sich aus der Zielsetzung der Nutzbarkeit der Erkenntnisse für präventive oder repressive Kontrolle von Wirtschaftskriminalität. Kritisch sieht Hugendubel, dass die Wirtschaftsstraftätertypenbestimmung ohne Differenzierung nach Straftaten für oder gegen das Unternehmen erfolgt. Da die überwiegende Zahl der Studien privatwirtschaftlich ausgerichtet sei, liege der Fokus auf Wirtschaftsstraftätertypologien als Instrument privater sozialer Kontrolle. Daher richtet die Verfasserin ihre weitere Untersuchung schwerpunktmäßig ebenfalls auf die Betrachtung der präventiv legitimierten Tätertypenbestimmung aus. Diese werden zunächst auf ihre mögliche Wirkungsweise hin betrachtet, d.h. untersucht, wie mit Tätertypologien Wirtschaftskriminalität unterbunden werden kann. Danach wird überprüft, ob dieses Vorgehen erfolgsversprechend ist.

Die Ergebnisse der Untersuchung sind ernüchternd. Die Wirtschaftsstraftätertypen sollen in erster Linie im Rahmen von Compliance-Maßnahmen als Instrument sozialer Kontrolle fungieren. Allerdings können solche Typologien bei Compliance-Maßnahmen logischer Weise nur dann als Kriminalpräventionsinstrument genutzt werden, wenn Personen auch als Wirtschaftsstraftätertypen individualisiert werden können. Genau das aber ist nicht möglich. Hugendubel zeigt nämlich in ihrer Arbeit auf, dass die empirischen Studien zu Wirtschaftsstraftätertypen nicht aussagekräftig sind. Mal hapert es an der Untersuchungsmethode, mal an der fehlenden einheitlichen Definition von Wirtschaftskriminalität, mal an zu kleinen Stichproben oder an unzureichender Kontrolle der Variablen oder der Bildung von Vergleichsgruppen. Neben der fehlenden Aussagekraft der Studien macht die Verfasserin noch einen Grundwiderspruch einer mit Typologien angestrebten Täterindividualisierung aufmerksam. Denn während Typologien grundsätzlich zur Komplexitätsreduktion realer Sachverhalte dienten und über den Einzelfall hinausgehende, generalisierende Aussagen träfen, erfordere die Bestimmung von Wirtschaftsstraftätern gerade einen konkreten individuellen Bezug.

Wurde in diesem ersten Schritt schon auf die mangelnde Aussagekraft und die Widersprüchlichkeit des Vorhabens an sich hingewiesen, so erstaunt der zweite, jetzt doch untersuchen zu wollen, ob Tätertypologien generell ein probates Instrument zur Prävention von Wirtschaftskriminalität darstellen. Das Ergebnis ist schon von vornherein klar und insoweit nicht überraschend: die kriminalpräventive Personenindividualisierung anhand von Sozialdaten, Persönlichkeitseigenschaften oder Werteeinstellungen wird von Hugendubel für untauglich befunden. Die Verfasserin zeigt darüber hinaus negative Aspekte auf, die mit einer Tätertypisierung verbunden sind. So macht sie einen Labeling-Effekt aus, der zu einer Stigmatisierung von Unternehmensmitarbeitern führe, die dem typischen Wirtschaftsstraftäter entsprächen. Da es den typischen Wirtschaftsstraftäter gar nicht gibt, erscheint dies merkwürdig, zumal Hugendubel selbst noch einmal betont, dass eine zuverlässige Tätertypenbestimmung nicht erfolgsversprechend sei. Solange das Unternehmen allerdings von einer gewissen Validität ausgeht, kann dem Unternehmen mehr Schaden als Profit entstehen, wenn hier „falsche“ Tätertypen ausgemacht und besonders kompetente Mitarbeiter vom Unternehmen ferngehalten werden.

Kann man in einer Gesamtwürdigung also schon einmal das Fazit ziehen, dass eine Tätertypenbestimmung im Bereich der Wirtschaftskriminalität unsinnig ist, so wird diese auch in ihrer rechtlichen Zulässigkeit in Zweifel gezogen. Hugendubel zeigt auf, dass die Durchführung von Persönlichkeitstests zur Eruierung von Wirtschaftsstraftätertypen geltenden Datenschutzbestimmungen zuwiderläuft. Neben §§ 32 Abs. 1 S. 1 bzw. 28 Abs. 1 BDSG sieht die Autorin auch § 7 i.V.m. § 1 AGG verletzt.

Insgesamt können wir aus der vorliegenden Dissertation viel lernen. Es bestätigt sich der alte Grundsatz, dass gut gemeint nicht gut gemacht ist. Natürlich ist es richtig, dass die Unternehmen präventive Maßnahmen verstärken und Compliance-Maßnahmen einführen, um es erst gar nicht zu Wirtschaftskriminalität kommen zu lassen. Doch vor einer Maßnahme ist deren Wirksamkeit zu überprüfen. Gibt es den Typus eines Wirtschaftsstraftäters nicht, so kann man auch nicht in vielfältigsten Verfahren nach ihm suchen. Stigmatisierung und Falschetikettierung sind dann vorprogrammiert. Wenn man über all dem Compliance-Eifer dann auch noch geltendes Recht missachtet, ist man an einem Punkt, wo man aufhören sollte. Wirtschaftskriminologie ist ein weites Feld und es wird sicher noch vielfältigste Studien geben. Die Arbeit von Hugendubel kann dazu sensibilisieren, Grundlagenarbeit ernst zu nehmen und vor jeder präventiven oder auch repressiven Maßnahme deren Fundament korrekt und wissenschaftlichen Standards entsprechend zu legen.

 

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