Wiederholung von Schmähkritik untersagt – Die Böhmermann Satire

LG Hamburg, Beschl. v. 17.5.2016 – 324 O 255/16

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Zur Abwägung von Kunst- und Meinungsfreiheit gegenüber dem Persönlichkeitsrecht am Beispiel des Satire-Gedichts von Böhmermann (Leitsatz der Schriftleitung).

Tenor

1   I. Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Verfügung unter Androhung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000 und für den Fall, dass dies nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens EUR 250.000 Ordnungshaft insgesamt höchstens zwei Jahre) untersagt, in Bezug auf den Antragsteller zu äußern und/oder äußern zu lassen: … (es folgt ein Teilabdruck des Gedichts).

25 II. Der weitergehende Antrag wird zurückgewiesen.

26 III. Von den Kosten des Verfahrens haben der Antragsteller ein Fünftel und der Antragsgegner vier Fünftel zu tragen.

27 IV. Der Streitwert wird auf 100.000 EUR festgesetzt.

Gründe

28 Dem Antragsteller steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch im aus dem Tenor ersichtlichen Umfange gem. §§ 823, 1004 BGB analog i.V.m. Art. 1 und 2 GG bzw. Art. 8 EMRK zu. Im Übrigen ist der Antrag zurückzuweisen.

29 a) Der Antragsteller ist Präsident der Türkei. Der Antragsgegner ist Hörfunk und Fernsehmoderator. In der von ihm moderierten Late Night Show „Neo Magazin Royale“ vom 31.3.2016 trug er ein Gedicht mit dem Titel „Schmähkritik“ über den Antragsteller vor. Bevor der Antragsgegner dieses Gedicht vorlas, wies er darauf hin, dass aufgrund eines Beitrages in der Satiresendung „extra 3“ der deutsche Botschafter in der Türkei einbestellt worden sei. Prozessual ist davon auszugehen, dass die Einbestellung des Botschafters jedenfalls im Einverständnis mit dem Antragsteller erfolgte.

30 Der Antragsgegner trug das Gedicht auf Deutsch vor. Seinen Vortrag unterbrach er mehrfach durch Gespräche mit seinem Sidekick … Das Gedicht wurde durch eingeblendete Untertitel auf Türkisch übersetzt, das Gespräch des Antragsgegners mit . . . indes nicht.

31 b) Das angegriffene Gedicht ist zweifelsohne eine Satire; sie vermittelt ein Zerrbild von der Wirklichkeit, mit der sich der Antragsgegner mittels des Gedichts auseinandersetzt. Satire kann Kunst i.S.v. Art. 5 Abs. 3 GG sein, muss es aber nicht sein. Nach dem vom BVerfG formulierten Kunstbegriff liegt das Wesen künstlerischen Schaffens in der freien schöpferischen Gestaltung, in welcher Eindrücke, Erfahrungen und Erlebnisse des Künstlers in bestimmter Form zur Anschauung gebracht werden (vgl. BVerfGE 30, 173). Eine Niveaukontrolle der Kunst, zum Beispiel eine Unterscheidung zwischen höherer und niederer Kunst oder guter und schlechter Kunst, ist hierbei unzulässig. Hier spricht für die Annahme von Kunst die Auseinandersetzung des Antragsgegners mit dem Antragsteller, wovon das Gedicht einen Teil darstellt. Dies wäre allerdings bei einer Meinungsäußerung ebenfalls der Fall. Gegen Kunst könnte sprechen, dass der Antragsgegner, worauf sein gerichtsbekanntes Interview in der Zeitschrift „ZEIT“ vom 4.5.2016 hinweist, ein möglicherweise bereits im Internet vollumfänglich verbreitetes Gedicht verlesen hat, so dass die geforderte künstlerische Auseinandersetzung fraglich sein könnte. Da dies aber nicht feststeht, zudem ein sehr großzügiger Maßstab für die Bejahung von Kunst gilt und der Antragsgegner das Gedicht nicht nur verlesen, sondern mit einem bestimmten Kontext, wie die musikalische Untermalung, das Präsentieren der türkischen Flagge, die Gespräche mit seinem Sidekick, umrahmt hat, geht die Kammer von Kunst aus.

32 Es ist folglich eine Abwägung zwischen der schrankenlos geschützten Kunstfreiheit von Art. 5 Abs. 3 GG sowie der durch Art. 5 Abs. 1 GG bzw. Art. 10 EMRK geschützten Meinungsfreiheit, auf die sich der Antragsgegner berufen kann, und dem durch Art. 1 und 2 GG und Art. 8 EMRK geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Antragstellers vorzunehmen.

33 Bei dieser Abwägung ist nicht isoliert das Gedicht zu betrachten, sondern die konkrete Präsentation ist zu berücksichtigen. Des Weiteren ist der Zusammenhang, in den das Gedicht gestellt wurde, maßgeblich, d.h. die Vorgeschichte mit der Sendung von „extra 3“ und der Einbestellung des deutschen Botschafters, da diese Anlass für den Beitrag des Antragsgegners war.

34 Die in Form einer Satire geäußerte Meinung und Kritik am Verhalten Dritter findet ihre Grenze, wo es sich um reine Schmähung oder Formalbeleidigung handelt bzw. die Menschenwürde angetastet wird.

35 Die Satire, der Übertreibungen und Verzerrungen wesenseigen sind, erfordert hierbei eine spezifische Betrachtung. Nach ständiger Rechtsprechung ist für die rechtliche Beurteilung zwischen dem Aussagegehalt und dem vom Verfasser gewählten satirischen Gewand, der Einkleidung, zu trennen; hierbei gilt für die Einkleidung regelmäßig ein weniger strenger Maßstab (vgl. BVerfG, NJW 1987, 2661).

36 Es ist somit zwischen dem Aussagegehalt und der Einkleidung zu unterscheiden:

37 Der Aussagegehalt ist für den Antragsteller nicht so verletzend, dass aufgrund dessen der Unterlassungsanspruch begründet wäre. Es ist fernliegend, dass der Rezipient annimmt, das Gedicht weise (insgesamt) einen Wahrheitsgehalt auf. Dies ist so offensichtlich, dass es keiner weiteren Erörterung bedarf. Der Antragsgegner setzt sich in der Sendung satirisch damit auseinander, dass mit Einverständnis des Antragstellers ein Beitrag wie der von „extra 3“ zum Anlass genommen wird, den deutschen Botschafter einzubestellen. Mit dem Gedicht macht der Antragsgegner sich hierüber in satirischer Form lustig und kritisiert den Umgang des Antragstellers mit der Meinungsfreiheit in der Türkei.

38 Es kommt hinzu, dass der Antragsteller sich als Staatsoberhaupt aufgrund seines öffentlichen Wirkens stärkere Kritik gefallen lassen muss. Denn die Meinungsfreiheit ist gerade aus dem besonderen Bedürfnis der Machtkritik erwachsen (vgl. BVerfG, AfP 1996, 50). Dieser Grundsatz ist auch für den Antragsteller als ausländisches Staatsoberhaupt zugrunde zu legen (s. auch EGMR, AfP 2016, 137). Hiergegen spricht im Übrigen nicht die Strafrechtsnorm des § 103 StGB, da diese im Gegensatz zu §§ 185 ff. StGB nur eine höhere Strafandrohung bei einem ausländischen Staatsoberhaupt vorsieht (vgl. Schönke/Schröder, StGB, 29. Auflage, § 103 Rn. 6; Wohlers/Kargl, in: NK-StGB, 4. Aufl. [2013], § 103 Rn. 1).

39 Die Einkleidung führt allerdings zur (teilweisen) Bejahung des Unterlassungsanspruches.

Zwar gilt hier, wie oben ausgeführt, ein weniger strenger Maßstab, aber dies berechtigt nicht zur völligen Missachtung der Rechte des Antragstellers. Die Äußerungen im Gedicht sind zweifelsohne schmähend und ehrverletzend. Es dreht sich vorliegend nicht um eine für die rechtliche Beurteilung unbedeutende Geschmacksfrage. Sondern die fraglichen Zeilen greifen gerade gegenüber Türken oftmals bestehende Vorurteile auf, die gewöhnlich als rassistisch betrachtet werden. Erschwerend kommt hinzu, dass in Kenntnis dessen, dass das Schwein im Islam als „unreines“ Tier gilt – von einer solchen Kenntnis des Antragsgegners kann ausgegangen werden –  der „Schweinefurz“ erwähnt wird. Des Weiteren haben nahezu sämtliche Zeilen einen sexuellen Bezug. Auch unter Beachtung des vom BVerfG für die Beurteilung der Einkleidung aufgestellten strengen Maßstabes und der konkreten Präsentation überschreiten die fraglichen Zeilen das vom Antragsteller hinzunehmende Maß.

40 c) Aus den obigen Ausführungen folgt, dass der weitergehende Anspruch jedoch zurückzuweisen ist. Mit den nicht untersagten Teilen des Gedichts wird in zulässiger Form harsche Kritik an der Politik des Antragstellers geäußert. Es geht nicht um eine vom Antragsteller nicht mehr hinzunehmende Herabwürdigung, sondern in überspitzter Form werden Vorgänge aufgegriffen, von deren Realität prozessual auszugehen ist. Diese werden im Wesentlichen im Beitrag von „extra 3“, auf den der Antragsgegner mit dem Gedicht Bezug nimmt, gezeigt, nämlich unter anderem das Schlagen von demonstrierenden Frauen am „Weltfrauentag“ durch Helm und Schutzkleidung tragende Polizisten, das gewalttätige Vorgehen gegen andere Demonstranten, die mit der Politik des Antragstellers nicht einverstanden sind, sowie gegen Minderheiten wie Kurden. Es ist weiterhin gerichtsbekannt, dass es Auseinandersetzungen zwischen Christen und Moslems in der Türkei gibt und in diesem Zusammenhang die Rolle des Staates bzw. der Regierung diskutiert wird.

41 Als Oberhaupt des Staates trägt der Antragsteller für diese Vorgänge die politische Verantwortung. Gerade aufgrund seiner herausragenden politischen Stellung muss er sich, wie oben ausgeführt, stärkere Kritik gefallen lassen.

42 Mit den nicht untersagten Zeilen des Gedichts macht sich der Antragsgegner zulässig in satirischer Form über den Umgang des Antragstellers mit der Meinungsfreiheit lustig.

43 d) Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 ZPO.

44  e) Da das Gedicht nicht als unauflösliche Einheit zu betrachten ist, ist – wie auch ansonsten bei anderen Kunstwerken wie beispielsweise Büchern oder Filmen – nicht die Verbreitung des gesamten Gedichts zu untersagen, sondern nur die aus dem Tenor ersichtlichen, vom Antragsgegner rechtswidrig verbreiteten Passagen. Die demnach vorzunehmenden Auslassungen sind durch „…“ gekennzeichnet.

Dies gilt auch für die Unterbrechung des Verlesens durch die Gespräche des Antragsgegner mit . . . . Die Kammer hat insoweit von § 938 ZPO Gebrauch gemacht.

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