KriPoZ-RR, Beitrag 36/2022

Die Entscheidung im Original finden Sie hier. Die Pressemitteilung finden Sie hier

BVerfG, Beschl. v. 7.12.2022 – 2 BvR 1404/20: Keine Verfassungswidrigkeit durch die Auslegung des Vorsatzbegriffs und die Beweiswürdigung zum Tatvorsatz

Sachverhalt:

Die Verfassungsbeschwerde betrifft den sog. „Ku’damm-Raser-Fall“. Bei einem Autorennen verursachte der Beschwerdeführer den Tod eines Menschen. Unter anderem wegen Mordes wurde der Beschwerdeführer zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Näheres zum Sachverhalt und zur Entscheidung finden Sie hier. Der Beschwerdeführer hält sowohl die Entscheidung im ersten Rechtszug des LG Berlin, Urt. v. 26.3.2019 als auch das Urteil des BGH v. 18.6.2020 für verfassungswidrig. Durch die Auslegung des Vorsatzbegriffs und die Beweiswürdigung zum Tatvorsatz liege eine Verletzung des Bestimmtheitsgebots und des Schuldgrundsatzes vor. 

Der Beschwerdeführer führt an, dass nicht erkennbar sei, welcher Tatbestand erfüllt und Strafrahmen anwendbar sei. Die Gerichte hätten unzulässigerweise den Vorsatz aus der objektiven Gefährlichkeit und der Evidenz abgeleitet. Dies sei aber erst im Nachhinein und damit nicht zum erforderlichen Zeitpunkt der Handlung möglich und verstoße somit gegen das Bestimmtheitsgebot. Auch liege ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG deshalb vor, da durch die normative Vorsatzbestimmung eine Abgrenzung zwischen – den hier streitentscheidenden – §§ 315c f. und §§ 211 f. StGB nicht mehr vorhersehbar und nahezu jeder Fall eine Strafbarkeit der §§ 211, 212 StGB begründen würde. 

Durch die normative Vorsatzbestimmung werde der Vorsatz auch nicht mehr individuell festgestellt (Wissen und Wollen eines bestimmten Täters), sondern ein „rational Handelnder“ bewertet. Auch ein Verstoß gegen das Gebot des schuldangemessenen Strafens liege vor. Die Auslegung hätte zur Konsequenz, dass eine Vielzahl von Fällen unter § 211 StGB falle und die Gerichte sich hier dem Bevölkerungswillen angeschlossen und damit die Aufgabe des Gesetzgebers eingenommen hätten. 

Entscheidung des BVerfG:

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Es liege keine Verletzung in Art. 103 Abs. 2 GG und in dem Schuldgrundsatz vor.

1. Bestimmtheitsgebot

Art. 103 Abs. 2 GG garantiere die Vorhersehbarkeit der Strafandrohung, wobei die Wortlautgrenze – aus Sicht des Normadressaten – vor dem Hintergrund des Rechtsgutschutzes zu bestimmen sei. Die Gerichte haben die Vorgaben des Art. 103 Abs. 2 GG beachtet, so dass BVerfG.

Die vorgenommene Abgrenzung zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit sei nicht widersprüchlich, das StGB enthalte keine Definitionen für diese Begriffe. Generalklauseln und wertausfüllungsbedürftige Begriffe seien grundsätzlich zulässig. Für die Abgrenzung zwischen bedingtem Vorsatz und bewusster Fahrlässigkeit liege eine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung vor. Diese Unterscheidung werde zwar in der Literatur kritisiert, sei jedoch von Art. 103 Abs. 2 GG gedeckt. 

Das BVerfG widerspricht der Argumentation des Beschwerdeführers: Die Gerichte hätten in ihren Entscheidungen nicht nur auf die objektive Gefährlichkeit der Handlung abgestellt, sondern die Umstände des Einzelfalls (Wissens- und Willenselement des Täters) beachtet. Im Übrigen sei das BVerfG auch nicht für die Würdigung des Tatbestandes zuständig. 

2. Schuldgrundsatz

Die sich am Schuldgrundsatz orientierenden Maßstäbe (Eigenverantwortlichkeit des Menschen, Rechtsstaatsprinzip, Menschenwürdegarantie) seien vorliegend durch die Annahme des Tötungsvorsatzes gewahrt. Insbesondere seien durch die Gerichte die Persönlichkeit und Motivation des Beschwerdeführers in den Blick genommen worden. Der Beschwerdeführer habe in seiner Begründung auf fiktive Vergleichsfälle abgestellt, die allerdings nicht maßgeblich für die individuelle Schuldbestimmung des Beschwerdeführers seien. 

Schließlich sei der Vorwurf, die Gerichten kämen dem Bestrafungswillen der Bevölkerung nach, hier kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Die Gerichte hätten nicht willkürlich, auf sachfremden Erwägungen beruhend, entschieden. Die Umstände, die für und gegen einen Tötungsvorsatz sprächen, seien sowohl vom LG Berlin als auch vom BGH erörtert worden. 

Anmerkung der Redaktion:

Einen Beitrag von Prof. Zehetgruber zur Abgrenzung von Vorsatz und bewusster Fahrlässigkeit bei sog. Raser-Fällen finden Sie hier. Ebenfalls hat sich Prof. Momsen in der KriPoZ mit den sog. Raser-Fällen auseinandergesetzt.

KriPoZ-RR, Beitrag 40/2020

Die Pressemitteilung finden Sie hier. Das Urteil finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 18.06.2020 – 4 StR 482/19: Verurteilung wegen Mordes im Berliner Raser-Fall teilweise rechtskräftig

Amtliche Leitsätze:

1. Die Bewertung der Eigengefährdung durch den Täter kann abhängig von seinem Vorstellungsbild über mögliche Tathergänge abgestuft sein; so kann er bei Fassen des Tatentschlusses einen bestimmten gefahrbegründenden Sachverhalt hinnehmen, während er auf das Ausbleiben eines anderen, für ihn mit einem höhren Risiko verbundenen Geschehensablauf vertraut.

2. Für die Prüfung, ob ein Unfallgeschehen mit tödlichen Folgen vom bedingten Vorsatz des Täters umfasst war, kommt es daher darauf an, ob er den konkreten Geschehensablauf als möglich erkannt und die damit einhergehende Eigengefahr hingenommen hat. Ist dies der Fall und verwirklicht sich dieses Geschehen, ist es für die Prüfung der Vorsatzfrage unerheblich, ob er weitere Geschehensabläufe, die aus seiner Sicht mit einer höheren und deshalb von ihm nicht gebilligten Eigengefahr verbunden waren, ebenfalls für möglich erachtet hat.

Leitsatz der Redaktion:

Ein extrem gefährliches und rücksichtsloses Fahrverhalten kann bei rechtsfehlerfreier Feststellung eines Tötungsvorsatzes eine Verurteilung wegen Mordes nach sich ziehen.

Sachverhalt:

Das Urteil beschäftigt sich im zweiten Rechtsgang mit dem sog. Berliner Raser-Fall.

Näheres zum Sachverhalt und zur Entscheidung des BGH im ersten Rechtsgang finden Sie hier.

Entscheidung des BGH:

Der BGH bestätigte die Verurteilung des an der Kollision beteiligten Angeklagten wegen Mordes. Das Abstellen des LG auf die extreme Gefährlichkeit des Fahrvorgangs zur Ermittlung des bedingten Vorsatzes sei nicht zu beanstanden, da sich das Tatgericht in genügendem Maße mit den vorsatzkritischen Umständen auseinandergesetzt habe.

Für die Abgrenzung zwischen bedingtem Tötungsvorsatz und bewusster Fahrlässigkeit sei eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände anzustellen. Die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung und die Eintrittswahrscheinlichkeit des Erfolgs seien dabei zwar wesentliche Indikatoren, dürften aber nicht allein als maßgebliche Kriterien für die Beurteilung der Vorsatzfrage herangezogen werden, sondern müssten immer mit allen Umständen des Einzelfalls gemeinsam betrachtet werden.

Die Eigengefährdung des Angeklagten sei vom LG tragfähig als nicht vorsatzausschließend mit der Begründung bewertet worden, dass der Beschuldigte den Unfallhergang als möglich erkannt und eine Gefahr für sich selbst als gering eingeschätzt habe. Zwar könne eine mögliche Gefährdung eigener Rechtsgüter eine vorsatzkritische Bedeutung aufweisen, jedoch könne die Bewertung der Eigengefährdung durch den Täter abhängig von seinem Vorstellungsbild über mögliche Tathergänge abgestuft sein, so der BGH. Für die Vorsatzprüfung sei dann nur relevant, ob der Täter sich den konkreten Geschehensablauf vorgestellt und sich mit der mit diesem Geschehensablauf einhergehenden Eigengefahr abgefunden habe.

Gleiches gelte für die Gewinnmotivation des Fahrers, da das Tatgericht rechtsfehlerfrei belegt habe, dass der Unfallfahrer erkannt habe, das Rennen nur bei maximaler Risikosteigerung gewinnen zu können und ihm somit die Folgen für andere Verkehrsteilnehmer gleichgültig gewesen seien.

Den Vorsatz des Angeklagten für eine Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln, habe das LG jedoch nicht genügend belegt, sodass die Verurteilung wegen Mordes nur auf die Mordmerkmale der Heimtücke und der sonstigen niedrigen Beweggründe gestützt werden könne.

Das Urteil gegen den Mitangeklagten, der das zweite am Rennen beteiligte Auto gefahren war, hob der BGH auf, da die Feststellungen des LG einen gemeinsamen auf die Tötung eines Menschen gerichteten Tatplans nicht belegten. Ebenfalls fehlten Feststellungen zu einem objektiven Tatbeitrag nach Fassung eines etwaigen gemeinsamen Tatplans.

Anmerkung der Redaktion:

Einen Beitrag von Prof. Zehetgruber zur Abgrenzung von Vorsatz und bewusster Fahrlässigkeit bei sog. Raser-Fällen finden Sie hier.

Ebenfalls hat sich Prof. Momsen in der KriPoZ mit den sog. Raser-Fällen auseinandergesetzt.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 12/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

OLG Stuttgart, Beschl. v. 04.07.2019 – 4 Rv 28 Ss 103/19: Flucht vor Polizeiwagen kann Rennen i. S. d. § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB sein

Amtlicher Leitsatz:

Das in § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB vorausgesetzte Handeln, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen, setzt lediglich voraus, dass es dem Täter darauf ankommt, in der konkreten Verkehrssituation die durch sein Fahrzeug bedingte oder nach seinen Fähigkeiten oder nach den Wetter-, Verkehrs-, Sicht- oder Straßenverhältnissen maximale mögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Welche weiteren Ziele der Täter verfolgt, ist unerheblich. Auch der Wille des Täters, vor einem ihn verfolgenden Polizeifahrzeug zu fliehen, schließt die Absicht, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erzielen, nicht aus.

Sachverhalt:

Das AG Münsingen hat den Angeklagten wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens gem. § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB verurteilt.

Dieser war mit seinem PKW einem polizeilichen Haltesignal bei einer Verkehrskontrolle nicht nachgekommen und anschließend mit stark überhöhter Geschwindigkeit geflohen. Dabei überfuhr er eine rote Ampel und schnitt mit einer Geschwindigkeit von 160 bis 180 km/h bei erlaubten 70 km/h die Kurven einer unübersichtlichen Landstraße in grob verkehrsgefährdender Weise.

Entscheidung des OLG Stuttgart:

Das OLG verwarf die Revision des Angeklagten als unbegründet.

Nach Ansicht des Gerichts fordere § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht die Absicht, die mit dem Fahrzeug objektiv höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen, sondern es genüge, dass eine relative Höchstgeschwindigkeit unter Berücksichtigung von Kriterien wie der fahrzeugspezifischen Höchstgeschwindigkeit, dem subj. Geschwindigkeitsempfinden, der Verkehrslage und den Witterungsbedingungen erreicht werden solle.

Auch müsse diese Absicht, nicht Haupt- oder Alleinbeweggrund für die Fahrt sein. Dafür spreche vor allem der Schutzzweck des neuen § 315d StGB, der das abstrakt höhere Gefährdungspotential einer Fahrt mit Renncharakter adressiere. Für dieses erhöhte Gefährdungspotential sei es unerheblich, welche Motive oder Beweggründe die Absicht des Täters, eine relative Höchstgeschwindigkeit erreichen zu wollen, letztlich ausgelöst hätten. Daher sei eine Unterscheidung zwischen extrinsischer und intrinsischer Motivation nicht sachdienlich.

Zudem gebe der Wortlaut der Norm keinen Anlass dazu, eine Flucht vor einem Polizeiwagen nicht als Wettbewerb oder Leistungsprüfung einzustufen. Der typische Unterschied zwischen einem Rennen als Wettbewerb und einer bloßen Geschwindigkeitsüberschreitung sei nämlich, dass die Aufmerksamkeit des Täters bei einem Rennen nicht nur dem Verkehr gelte, sondern auch von seinem Gegner gebunden werde. Dieser Umstand liege allerdings bei Verfolgungsjagden durch die Polizei ebenfalls vor, so das OLG.

Anmerkung der Redaktion:

Der Tatbestand der verbotenen Kraftfahrzeugrennen wurde am 12. Oktober 2017 in das StGB eingefügt. Anlass waren einige sog. Ampelrennen in Innenstädten deutscher Großstädte, die teilweise für Fahrer oder Passanten tödlich endeten (siehe beispielsweise hier). Weitere Informationen zu § 315d StGB finden Sie hier. Zudem erschien ein Beitrag zu § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB von Dahlke und Hoffmann-Holland in der KriPoZ. Auch Prof. Eisele veröffentlichte einen Aufsatz zu den verbotenen Straßenrennen.

Bedingter Vorsatz und bewusste Fahrlässigkeit bei sog. „Renn-“ bzw. „Raserfällen“

von Prof. Dr. Christoph Zehetgruber

Beitrag als PDF Version 

Abstract
Die Schwierigkeiten der Abgrenzung von bedingtem Vorsatz und bewusster Fahrlässigkeit im Rahmen der Tötungs- und Körperverletzungsdelikte bei „Renn-“ bzw. „Raserfällen“ stellt derzeit ein kontroverses Thema in der strafrechtlichen Diskussion dar. Der Beitrag plädiert für eine Beibehaltung der derzeitigen Vorsatzsystematik wie  -dogmatik und spricht sich gegen eine (etwaige) gesetzliche Neuregelung zu Lasten der bewussten Fahrlässigkeit aus.

weiterlesen …

Mord für Tötung eines Unbeteiligten bei illegalem Autorennen – LG Berlin, Urt. v. 27.2.2017 – 535 Ks 8/16

 

Beitrag als PDF Version

1. Das Wissenselement des bedingten Tötungsvorsatzes bei illegalen Autorennen ist gegeben, wenn die extreme Gefährlichkeit der Tathandlung geeignet ist, jedem Verkehrsteilnehmer deutlich vor Augen zu führen, dass ein solches Verhalten tödliche Folgen zeitigen konnte. Dies gilt insbesondere für im Kollisionszeitpunkt erreichte Geschwindigkeiten, die fast das Dreifache der zulässigen Höchstgeschwindigkeit betragen. Ein lediglich fahrlässiges Verhalten liegt dann nicht mehr nahe.

2. Bei illegalen Autorennen mit extrem überhöhten Geschwindigkeiten kann die Gesamtschau der Tatumstände dafür sprechen, dass sich die Fahrer mit der tödlichen Tatbestandsverwirklichung abgefunden haben und insoweit auch das voluntative Element erfüllt ist. (Leitsätze der Schriftleitung)

weiterlesen …

Unsere Webseite verwendet sog. Cookies. Durch die weitere Verwendung stimmen Sie der Nutzung von Cookies zu. Informationen zum Datenschutz

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen.
Wenn Sie diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwenden oder auf "Akzeptieren" klicken, erklären Sie sich damit einverstanden.

Weitere Informationen zum Datenschutz entnehmen Sie bitte unserer Datenschutzerklärung. Hier können Sie der Verwendung von Cookies auch widersprechen.

Schließen