KriPoZ-RR, Beitrag 09/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BVerfG, Beschl. v. 10.12.2020 – 1 BvR 1837/19: BVerfG zur Verwirklichung des Rechts auf Selbsttötung

Leitsatz der Redaktion:

Aufgrund der Entscheidung des Zweiten Senats zur Unvereinbarkeit des Verbots der geschäftsmäßigen Sterbehilfe (§ 217 StGB) mit der Verfassung, sind Verfassungsbeschwerden gegen die Ablehnung der Genehmigung zum Erwerb eines tödlichen Medikaments zur Suizidierung nunmehr unzulässig aufgrund des Subsidiaritätsgrundsatzes, wenn andere zumutbare Möglichkeiten zur Erreichung des Beschwerdebegehrens existieren.

Sachverhalt:

Ein in Hessen lebendes Ehepaar hat mit seiner Verfassungsbeschwerde gerügt, dass ihnen die Erlaubnis nach § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG zum Erwerb jeweils einer tödlichen Dosis Natriumpentobarbital vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte versagt worden war.

Nach Ansicht der Beschwerdeführer habe sich ihr Anliegen auch nicht durch die vorangegangene Entscheidung des Zweiten Senats erledigt, da eine alternative ärztliche Verschreibung des Medikaments gem. § 13 BtMG nach dem hessischen Standesrecht für Ärzte nicht in Betracht komme und andere professionelle Angebote der Sterbehilfe in Hessen faktisch nicht existent seien. Daher sei die Verfassungsbeschwerde zur Durchsetzung ihrer Grundrechte erforderlich.

Entscheidung des BVerfG:

Das BVerfG wies die Verfassungsbeschwerde als unzulässig ab, da sie die Anforderungen des Subsidiaritätsgrundsatzes nicht erfülle.

Das Recht, ihrem Leben selbstbestimmt ein Ende zu setzen, sei nach dem Urteil des Zweiten Senats nun verfassungsgerichtlich anerkannt. Dies versetze die Beschwerdeführer nun in die Lage, aktiv und bundesweit nach Möglichkeiten der professionellen Sterbehilfe zu suchen.

Der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde fordere, dass ein Beschwerdeführer vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde und auch noch während des laufenden Beschwerdeverfahrens, sämtliche nach Lage der Sache zumutbaren Möglichkeiten und Rechtsbehelfe ausschöpfe, um die geltend gemachte Grundrechtsverletzung in dem unmittelbar mit ihr zusammenhängenden sachnächsten Verfahren abzuwenden oder zu beseitigen. Daraus könne bei einer sich zwischenzeitlich ändernden Sach- oder Rechtslage auch eine Pflicht zur Stellung eines Abänderungsantrags nach § 80 Abs. 7 VwGO folgen sowie entsprechende Bemühungen gegenüber den zuständigen Behörden oder andere geeignete Anstrengungen jenseits formalisierter Verfahren.

Diese Möglichkeiten hätten die Beschwerdeführer nicht in Gänze ausgeschöpft, so das BVerfG.

Ihnen wäre beispielsweise zumutbar gewesen, zunächst bundesweit nach medizinisch kundigen Suizidbeihelfern und verschreibungswilligen und –berechtigten Personen zu suchen. Der Umstand, dass die Entscheidung zur Aufhebung des § 217 StGB nur ergehen konnte, weil Ärzten aufgrund des Angebots einer solchen, nach damaligem Recht strafbaren, Suizidbeihilfe eine strafgerichtliche Verurteilung drohte, mache deutlich, dass es in Deutschland zur Suizidbeihilfe fähige und berechtigte Personen gebe.

Darüber hinaus sei von einer erneuten Bemühung der Beschwerdeführer, unter diesen geänderten Vorzeichen Suizidbeihilfe zu erhalten, eine erheblich bessere Entscheidungsgrundlage zu erwarten, dank derer der Senat die nach der Entscheidung des Zweiten Senats geänderten tatsächlichen Verhältnisse in Deutschland deutlich besser einschätzen könne. Genau dies sei Sinn und Zweck des Subsidiaritätsgrundsatzes.

Eine direkte Sachentscheidung unterlaufe zudem den politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozess, den der Zweite Senat dem Gesetzgeber zugebilligt habe.

Anmerkung der Redaktion:

Der Zweite Senat hatte mit Urteil vom 26. Februar 2020 (2 BvR 2347/15) den § 217 StGB, der die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung unter Strafe gestellt hatte, für nichtig erklärt. Er verstoße gegen das Grundrecht eines jeden Menschen, selbst nach eigenen Maßstäben zu entscheiden, das eigene Leben zu beenden, indem er eine professionell begleitete Umsetzung dieses höchstpersönlichen Entschlusses faktisch unmöglich gemacht habe. Den KriPoZ-RR Beitrag zu diesem Urteil finden Sie hier: KriPoZ-RR, Beitrag 16/2020

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 16/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BVerfG, Urt. v. 26.02.2020 – 2 BvR 2347/15: Verfassungswidrigkeit des § 217 StGB

Amtliche Leitsätze:

1.

a) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) umfasst als Ausdruck persönlicher Autonomie ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben.

b) Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben schließt die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen. Die Entscheidung des Einzelnen, seinem Leben entsprechend seinem Verständnis von Lebensqualität und Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz ein Ende zu setzen, ist im Ausgangspunkt als Akt autonomer Selbstbestimmung von Staat und Gesellschaft zu respektieren.

c) Die Freiheit, sich das Leben zu nehmen, umfasst auch die Freiheit, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und Hilfe, soweit sie angeboten wird, in Anspruch zu nehmen.

2. Auch staatliche Maßnahmen, die eine mittelbare oder faktische Wirkung entfalten, können Grundrechte beeinträchtigen und müssen daher von Verfassungs wegen hinreichend gerechtfertigt sein. Das in § 217 Abs. 1 StGB strafbewehrte Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung macht es Suizidwilligen faktisch unmöglich, die von ihnen gewählte, geschäftsmäßig angebotene Suizidhilfe in Anspruch zu nehmen.

3.

a) Das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung ist am Maßstab strikter Verhältnismäßigkeit zu messen.

b) Bei der Zumutbarkeitsprüfung ist zu berücksichtigen, dass die Regelung der assistierten Selbsttötung sich in einem Spannungsfeld unterschiedlicher verfassungsrechtlicher Schutzaspekte bewegt. Die Achtung vor dem grundlegenden, auch das eigene Lebensende umfassenden Selbstbestimmungsrecht desjenigen, der sich in eigener Verantwortung dazu entscheidet, sein Leben selbst zu beenden, und hierfür Unterstützung sucht, tritt in Kollision zu der Pflicht des Staates, die Autonomie Suizidwilliger und darüber auch das hohe Rechtsgut Leben zu schützen.

4. Der hohe Rang, den die Verfassung der Autonomie und dem Leben beimisst, ist grundsätzlich geeignet, deren effektiven präventiven Schutz auch mit Mitteln des Strafrechts zu rechtfertigen. Wenn die Rechtsordnung bestimmte, für die Autonomie gefährliche Formen der Suizidhilfe unter Strafe stellt, muss sie sicherstellen, dass trotz des Verbots im Einzelfall ein Zugang zu freiwillig bereitgestellter Suizidhilfe real eröffnet bleibt.

5. Das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung in § 217 Abs. 1 StGB verengt die Möglichkeiten einer assistierten Selbsttötung in einem solchen Umfang, dass dem Einzelnen faktisch kein Raum zur Wahrnehmung seiner verfassungsrechtlich geschützten Freiheit verbleibt.

6. Niemand kann verpflichtet werden, Suizidhilfe zu leisten.

Sachverhalt:

Verschiedene Beschwerdeführer haben Verfassungsbeschwerde gegen das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (§ 217 StGB) erhoben. Darunter mehrere schwer erkrankte Personen, die ihr Leben unter Zuhilfenahme geschäftsmäßig angebotener Hilfe anderer Personen beenden wollen. Zudem mehrere Vereine, die Hilfe bei der Selbsttötung angeboten haben und weitere im Bereich der Patientenversorgung tätige Ärzte und Rechtsanwälte.

Die Patienten haben sich durch § 217 StGB in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) verletzt gesehen, welches ihnen ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben zusichere, von dem auch das Recht umfasst sei, für die Einleitung eines Sterbeprozesses Hilfe Dritter in Anspruch zu nehmen.

Die Sterbehilfevereine könnten ihrer Tätigkeit nicht mehr nachgehen, ohne sich einer Strafbarkeit bzw. einer Ordnungswidrigkeit auszusetzen, weshalb sie in der Strafnorm eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 12 Abs. 1, Art. 9 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG gesehen haben.

Die Ärzte und Rechtsanwälte haben ihre Verfassungsbeschwerde ebenfalls mit einer Verletzung des Art. 12 Abs. 1 GG und der Gewissensfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 Var. 2 GG begründet.

Zudem waren alle Beschwerdeführer der Auffassung, dass § 217 StGB zu unbestimmt sei und die im Einzelfall straffreie Suizidbeihilfe erfassen könne, wenn sie von einem Berufsträger ausgeübt werde.

Entscheidung des BVerfG:

Das BVerfG gab den Verfassungsbeschwerden statt und erklärte § 217 StGB für verfassungswidrig und nichtig.

Die Strafnorm greife ungerechtfertigt in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der sterbewilligen Patienten ein. Aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG lasse sich die Wertung des Grundgesetzes entnehmen, dass der einzelne Mensch eine zur Selbstbestimmung und Eigenverantwortung fähige Person darstelle. Die damit verfassungsrechtlich verbürgte autonome Wahrung der eigenen Persönlichkeit setze voraus, dass der Einzelne über seine Existenz frei verfügen könne und nicht zu einem Leben gezwungen werden könne, welches dem eigenen Selbstbild und Selbstverständnis nicht entspreche.

Davon umfasst sei auch der freiwillige und dauerhafte Entschluss, sein Leben zu beenden, der wie kein anderer die Grundfragen der eigenen menschlichen Existenz im Hinblick auf Identität und Individualität berühre. Das folglich aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ableitbare Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben sei daher auch auf keine von außen definierte Situation beschränkbar. Die Wertungen des Grundgesetzes verböten eine Einschränkung des Suizidrechts anhand bestimmter Kriterien, wie Alter oder Krankheitszustand, denn eine solche Einengung würde eine Bewertung der Motive des Einzelnen bedeuten, die dem staatlichen Eindringen entzogen sei, so das BVerfG.

Der Mensch dürfe den Entschluss, sein eigenes Leben zu beenden, allein anhand seines eigenen Verständnisses von Lebensqualität und Sinnhaftigkeit der eignen Existenz treffen und somit seiner der Menschenwürde innewohnenden Idee autonomer Persönlichkeitsentfaltung mit seinem Suizid ein letztes Mal Ausdruck verleihen.

Da dieses Recht des Einzelnen faktisch nur im Austausch mit Dritten effektiv ausgeübt werden könne, stelle das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe einen mittelbaren, faktischen Grundrechtseingriff dar, der vom Gesetzgeber auch in dieser Art bezweckt worden sei.

Eine Rechtfertigung des Eingriffs scheide dabei jedoch aus.

Zwar sei der Autonomie- und Lebensschutz, der § 217 StGB zugrunde liege, ein legitimer Zweck. Allerdings sei dort, wo die freie Entscheidung des Einzelnen nicht mehr nur vor sozialen Pressionen geschützt, sondern (faktisch) unmöglich gemacht werde, die Grenze des zu wahrenden Entfaltungsraums autonomer Selbstbestimmung überschritten.

Außerhalb der geschäftsmäßigen Sterbehilfe verblieben dem Einzelnen oft nur wenig Möglichkeiten seinen Suizidentschluss umzusetzen. Daher sei die straffreie Suizidbeihilfe im Einzelfall nicht ausreichend, um dem Selbstbestimmungsrecht des Sterbewilligen zur Durchsetzung zu verhelfen, denn dann sei der Patient auf die Bereitschaft eines Arztes zur Hilfe angewiesen, welche in der Regel nicht vorliegen werde, so das BVerfG.

Schließlich sei auch der Ausbau der palliativmedizinischen Versorgung kein Argument für die Angemessenheit des § 217 StGB. Eine solche könne lediglich dafür sorgen, dass die Fallzahlen freiwilliger Suizidentschlüsse gesenkt würden. Dennoch müsse es dem Einzelnen freistehen, sich gegen bestehende Alternativen und für den eigenen Tod zu entscheiden.

Da das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen mit dem Handeln von Sterbehelfern korrespondiere und erst durch deren geschäftsmäßige Hilfehandlungen voll verwirklicht werden könne, sei deren Strafbarkeit als unmittelbare Normadressaten ebenfalls gemäß Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Art. 104 Abs. 1 GG verfassungswidrig. Die Tätigkeit der Vereine sei von Art. 12 Abs. 1 GG geschützt, gegen den § 217 StGB damit ebenfalls verstoße.

Da eine einschränkende und verfassungskonforme Auslegung den Zielen des Gesetzgebers nicht entspreche, sei eine solche nicht möglich und der Straftatbestand für nichtig zu erklären.

 

Anmerkung der Redaktion:

§ 217 StGB war 2015 in das StGB eingefügt worden. Weitere Informationen zum Gesetzgebungsverfahren erhalten Sie hier.

Prof. Dr. Dr. h.c. Hillenkamp und Dr. Oğlakcıoğlu haben sich in der KriPoZ mit dem Tatbestand auseinandergesetzt.

Ein Urteil zur Straffreiheit der Suizidbeihilfe im Einzelfall finden Sie in unserem KriPoZ-RR Beitrag 03/2019.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 03/2019

Die Pressemitteilung finden Sie hier. Die Entscheidungen im Original finden Sie hier und hier.

BGH, Urt. v. 03.07.2019 – 5 StR 132/18 & 5 StR 393/18: Keine Strafbarkeit des Arztes nach Suizidversuch des Patienten

Amtlicher Leitsatz (5 StR 132/18):

Angesichts der gewachsenen Bedeutung der Selbstbestimmung des Einzelnen auch bei Entscheidungen über sein Leben kann in Fällen des freiverantwortlichen Suizids der Arzt, der die Umstände kennt, nicht mit strafrechtlichen Konsequenzen verpflichtet werden, gegen den Willen des Suizidenten zu handeln.

Amtlicher Leitsatz (5 StR 393/18):

Die Garantenstellung des Arztes für das Leben seines Patienten endet, wenn er vereinbarungsgemäß nur noch dessen freiverantwortlichen Suizid begleitet.

Leitsatz der Redaktion:

  1. Fallen Patienten während eines freiverantwortlichen Suizidversuchs in Ohnmacht, besteht für den begleitenden Arzt, keine Pflicht zur Einleitung lebensrettender Maßnahmen, wenn er von der Freiverantwortlichkeit wusste. Eine Strafbarkeit nach §§ 212 Abs. 1, 13 StGB scheidet dann aus.
  2. Auch eine Strafbarkeit nach § 323c StGB ist nicht gegeben, da Rettungsmaßnahmen entgegen den autonomen und fehlerfrei gebildeten Willen des Patienten nicht geboten sind.

Sachverhalt:

Im Verfahren vor dem LG Hamburg (5 StR 132/18) waren die Suizide zweier befreundeter Seniorinnen gegenständlich. Die beiden 85 und 81 Jahre alten Damen litten an mehreren Krankheiten, die zwar nicht lebensbedrohlich waren, aber ihre Lebensqualität massiv einschränkten. Daher entschlossen Sie sich, mit der Unterstützung eines Sterbehilfevereins aus dem Leben zu scheiden. Dieser Verein ließ ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten zur Einsichts- und Urteilsfähigkeit der Seniorinnen vom Angeklagten anfertigen, in dem dieser zu dem Schluss kam, dass an einem ernstlichen und wohlüberlegten Sterbewillen der beiden Frauen kein Zweifel bestand. Auf Wunsch der Damen begleitete der angeklagte Arzt sie durch den Sterbeprozess und war vor Ort, als sie die letalen Medikamente einnahmen. Ihrem ausdrücklichen Willen entsprechend unterließ es der Angeklagte nach Eintritt der Bewusstlosigkeit, Wiederbelebungsversuche zu unternehmen.

Vor dem LG Berlin (5 StR 393/18) hatte sich ein Hausarzt zu verantworten, der einer Patientin tödliche Medikamente verschafft hatte. Die 44 Jahre alte Frau litt unter einer nicht lebensbedrohlichen Krankheit, die starke krampfartige Schmerzen auslöste und hatte ihren Arzt nach mehreren gescheiterten Suizidversuchen um Hilfe gebeten. Dieser betreute die, aufgrund der selbst eingenommen Medikamente, bewusstlose Frau über zweieinhalb Tage bis zu ihrem Tod ohne Rettungsmaßnahmen einzuleiten. Dieses Vorgehen hatte er vorher mit seiner Patientin abgesprochen.

Beide Ärzte wurden von den Landgerichten mit der Begründung freigesprochen, dass im Zeitpunkt der Medikamenteneinnahme keine Tatherrschaft ihrerseits bestanden hätte und auch im Zeitraum der Bewusstlosigkeit, aufgrund der getroffenen Absprachen mit den Patientinnen, keine Verpflichtung zur Vornahme lebensrettender Maßnahmen begründet worden sei.

Entscheidung des BGH:

Die Revisionen der Staatsanwaltschaft wurden verworfen und die Urteile der Landgerichte vom BGH bestätigt.

Der BGH stellte klar, dass eine Strafbarkeit der Ärzte im Vorfeld des Suizids, aufgrund der von den Landgerichten fehlerfrei festgestellten eigenverantwortlichen Entscheidung der Suizidentinnen, ausscheide.

Bei der Abgrenzung von strafloser Beihilfe zu einem Suizid und strafbarer Tötung auf Verlangen sei das maßgebliche Kriterium die Tatherrschaft über den letztendlich totbringenden Akt. Diese habe in beiden Verfahren bei den Seniorinnen gelegen, da sie sich das letale Medikament selbst und eigenverantwortlich indiziert hätten.

Auch eine Zurechnung dieser Tötungshandlung im Rahmen der mittelbaren Täterschaft sei nicht möglich. Dafür sei erforderlich, dass der Suizident bei Vornahme der Tötungshandlung unfrei gehandelt habe, als sog. Werkzeug gegen sich selbst. Das dafür maßgebliche Wissen- oder Verantwortlichkeitsdefizit bei Begründung des Selbsttötungsentschlusses, sei bei den Seniorinnen ebenfalls rechtsfehlerfrei von den Landgerichten abgelehnt worden. Die Frauen hätten den Entschluss zum Suizid nach einer gründlichen Abwägungsentscheidung und der Berücksichtigung von Alternativen gefasst, was einen Wissens- oder Willensmangel, der die Tatherrschaft der Angeklagten begründen könne, ausschließe.

Zum gleichen Ergebnis kämen auch die sog. Exkulpationslösung, die auf einen die Verantwortlichkeit ausschließenden Zustand gem. §§ 19, 20, 35 StGB abstelle, und die sog. Einwilligungslösung, die die Kriterien der rechtfertigenden Einwilligung heranziehe.

Auch im Stadium der Bewusstlosigkeit seien die Angeklagten nicht zum Ergreifen lebensrettender Maßnahmen verpflichtet gewesen. Im Hamburger Fall sei der Angeklagte nicht der behandelnde Arzt der Seniorinnen gewesen, sodass schon deshalb kein Arzt-Patientinnen-Verhältnis und auch keine Garantenpflicht bestanden habe. Auch die vereinbarte Sterbebegleitung vermöge eine solche Pflicht, beispielsweise aus Ingerenz, nicht entstehen lassen, so der BGH. Zunächst stelle die Sterbebegleitung zwar möglicherweise einen Verstoß gegen ärztliches Standesrecht dar, für die Begründung einer Garantenpflicht aus Ingerenz müsse das Gebot aus dem Standesrecht, gegen das verstoßen werde, aber gerade dem Schutz des konkret gefährdeten Rechtsguts dienen. Dies sei schon zweifelhaft, da das ärztliche Standesrecht auf die Festlegung von berufsethischen Grundsätzen abziele und gerade nicht den Rechtsgüterschutz bezwecke. Jedenfalls entfalte das ärztliche Standesrecht keine strafbegründende Wirkung, wenn der Verstoß gegen eben solches dem autonomen Willen des Patienten entspreche.

Die Hilfeleistung in Form der Zerkleinerung der Tabletten oder die beratende Tätigkeit könnten ebenfalls kein pflichtwidriges Vorverhalten darstellen, da durch die eigenverantwortliche Einnahme der Medizin, das Vorverhalten weder gefahrerhöhend gewertet werden könne, noch den Verantwortungsbereich für die Tötung verschoben hätte.

Der Berliner Arzt stehe als Hausarzt zwar grundsätzlich in einer Garantenstellung zu seiner Patientin, diese habe aber im konkreten Fall durch das ausgeübte Selbstbestimmungsrecht der Seniorin keine Pflicht zur Rettung ihres Lebens begründet. Dies folge daraus, dass das vom EGMR aus Art. 8 EMRK hergeleitete Recht einer Person, selbst zu entscheiden wie und zu welchem Zeitpunkt ihr Leben enden soll, eine enorme Aufwertung der Bedeutung des Selbstbestimmungsrechts des Einzelnen bedingt habe. Solange ein freiverantwortlicher Entschluss des Suizidenten vorliege und der Arzt diese Umstände kenne, könne er nicht durch das Strafrecht gezwungen werden, gegen den Willen seiner Patienten zu handeln. Dies folge aus dem Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 Satz 1 GG) und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 1 Abs. 1 GG), aus denen das BVerfG ein sog. Recht auf Krankheit, also das Recht, medizinisch notwendige Behandlungen abzulehnen, hergeleitet habe. Gleiches ergebe sich aus der Menschenwürde, die dazu zwinge, den Willen eines eigenverantwortlich entscheidenden Menschen auch dann noch zu respektieren, wenn dieser mittlerweile zu solchen Entscheidungen nicht mehr fähig sei. Deklaratorisch komme dies in § 1901a BGB durch den Gesetzgeber zum Ausdruck.

Ebenfalls sei § 323c StGB von den Angeklagten nicht verletzt worden, da Rettungsmaßnahmen entgegen des ausdrücklichen und fehlerfrei gebildeten Willens der Seniorinnen nicht geboten gewesen seien. Zwar sei der drohende Tod durch einen Suizidversuch ein Unglücksfall iSd § 323c StGB, aber dem Angeklagten sei aufgrund der Konfliktsituation zwischen Hilfspflicht und Wahrung des Patientenwillens ein Eingreifen nicht zuzumuten gewesen.

Eine ebenfalls in Betracht kommende Strafbarkeit wegen der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung gemäß § 217 StGB spielte in diesen beiden Verfahren keine Rolle, da dieser neue Straftatbestand zum Tatzeitpunkt noch nicht in Kraft getreten war und somit das Rückwirkungsverbot (§ 1 StGB) gilt.

 

Anmerkung der Redaktion:

Weitere Informationen zu § 217 StGB finden sie hier.

 

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