Annemarie Dax: Die Neuregelung des Vollzugs der Sicherungsverwahrung. Bestandsaufnahme sowie kritische Betrachtung der bundes- und landesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebots

von Prof. Dr. Anja Schiemann

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2017, Duncker & Humblot, Berlin, ISBN: 978-3-428-15160-8, S. 647, Euro 139,90.

Die umfangreiche Dissertation von Dax gliedert sich in fünf Abschnitte. Einleitend wird die Geschichte der rechtlichen Entwicklung des Sicherungsverwahrungsvollzugs aufgearbeitet und insbesondere die einschlägige verfassungsgerichtliche Rechtsprechung sowie die Entscheidung des EGMR aus dem Jahr 2009 in den Blick genommen. Dabei wird weniger die generelle Entwicklung der Sicherungsverwahrung als vielmehr die Geschichte des Vollzugs in den Fokus gerückt (S. 33). Nachdem das BVerfG nahezu das gesamte Recht der Sicherungsverwahrung für verfassungswidrig erklärt hatte, weil der Vollzug dem Abstandsgebot nicht gerecht werde, führte die Urteilsbegründung neben der Aufforderung zur Neuregelung zu weiteren Unklarheiten hinsichtlich der Kompetenzfragen oder des Rechtsfolgenausspruchs. Zwar bedeutete das Urteil nicht das Ende der Sicherungsverwahrung, aber das Ende der bisherigen Ausgestaltung. Dies war umso problematischer, als sich auch nach den Entscheidungen des BVerfG und des EGMR kein Wechsel der kriminalpolitischen Einstellung beobachten ließ. Von daher bezweifelt die Verfasserin, dass der Gesetzgeber mit derselben Überzeugung hinter seinen neuen Regelungen steht, wie er es bei den Ausweitungen der Sicherungsverwahrung zuvor war (S. 494).

Im zweiten Teil werden empirische Erkenntnisse zum Vollzug der Sicherungsverwahrung seit deren Einführung wiedergegeben (S. 101 ff.). Zum 31.3.2014 waren insgesamt 498 Sicherungsverwahrte in 15 Bundesländern sowie 639 Gefangene mit angeordneter oder vorbehaltener Sicherungsverwahrung im Vollzug der Freiheitsstrafe aller Bundesländer untergebracht (S. 109). Vorwiegend befinden sich Männer in der Sicherungsverwahrung, der Altersdurchschnitt steigt aufgrund des demographischen Wandels. So hatten am Stichtag des 31.3.2015 65 % der Insassen das Alter 50plus erreicht, so dass sich der Sicherungsverwahrungsvollzug erheblich von demjenigen der Freiheitsstrafe unterscheidet (S. 113).

Während noch bis Anfang der 1990er Jahre die Gruppe der Eigentums- und Vermögensdelinquenz überwog, nahm danach die Anzahl der Gewalt- und Sexualstraftäter stark zu. Die veränderten Anlasstaten stellen dabei laut Dax den Vollzug vor schwierige Resozialisierungsaufgaben (S. 116).

Dax stellt fest, dass es in der Zeit nach Einführung des Strafvollzugsgesetzes und Mitte der 1990er Jahre keine nennenswerten empirischen Untersuchungen zu den tatsächlichen Bedingungen des Sicherungsverwahrungsvollzugs gibt. Dieser rückt seit Beginn des 21. Jahrhunderts in das Interesse der empirischen Forschung. Der Fokus liege aber auch jetzt nicht auf dem Vollzug an sich, sondern auf der Handhabung im Rahmen der Anordnung und Vollstreckung sowie der Gefährlichkeit und Rückfälligkeit der Verwahrten (S. 126). Einen Wendepunkt stellt aber laut Ansicht von Dax die Untersuchung von Bartsch aus dem Jahr 2010 dar, die erstmals zentral die Lebensbedingungen der Verwahrten und die Vollzugspraxis der Sicherungsverwahrung sowie die Umsetzung der verfassungsrechtlichen Vorgaben erörterte. Daneben gibt es eine Studie der KrimZ zum Vollzug der Sicherungsverwahrung und der vorgelagerten Freiheits- und Jugendstrafe. Beide Studien werden von der Verfasserin vorgestellt. Festgestellt werden konnte, dass das Resozialisierungsgebot bis dahin unzureichend umgesetzt wurde und es insbesondere an psychologischen und psychiatrischen Therapien fehlte.

Die Mehrheit der Untergebrachten empfand die Sicherungsverwahrung als eine fortgesetzte – und durch die ungewisse Dauer sogar als noch größere – Bestrafung. Enorme psychische Belastungen waren die Folge. Dadurch wurde wiederum das Personal im Sicherungsverwahrungsvollzug vor große Herausforderungen gestellt. Trotzdem fehlten nicht nur spezielle Fortbildungsprogramme für die Mitarbeiter, sondern es mangelte auch an psychologischem bzw. psychiatrischem Fachpersonal.

Zudem stellte sich die Ausgestaltung des vorausgehenden Strafvollzugs der potentiellen Sicherungsverwahrten als problematisch dar, da diese Gruppe aufgrund fehlender therapeutischer Behandlung und restriktiver Lockerungspraxis hinsichtlich ihrer Entlassung weitgehend unvorbereitet war (S. 154 f., 497).

Im dritten Teil widmet sich die Verfasserin der Frage, wie das Abstandsgebot auf Bundesebene durch das SichVAbstUmsG und den neuen § 66c StGB sowie vollstreckungsrechtliche Neuerungen, die Rückwirkungen auf den Vollzug haben, umgesetzt wurde (S. 33). Dazu zeichnet Dax zunächst die Entwicklung des Abstandsgebots nach und beleuchtet dessen Inhalt (S. 156 ff.). Sie kommt zu dem Ergebnis, dass zwischen den aus dem Abstandsgebot folgenden Anforderungen an die Organisation der Einrichtung, die Betreuung und Behandlung und den Rechtsschutz unterschieden werden kann (S. 166).

Es wird deutlich, dass die Änderungen im Gesetzgebungsverfahren zum SichVAbstUmsG zu einer kaum veränderten Sichtweise geführt haben. Die Autorin fordert daher ein (noch) weitergehendes Umdenken und eine Debatte, die einer aufgeklärten Gesellschaft würdig ist, d.h. wissensbasiert und objektiv rational ist (S. 499). Da bei kaum einem Thema eine so große Kluft zwischen dem Rechtsempfinden des Bürgers und dem fachjuristischen Diskurs bestehe wie bei der Sicherungsverwahrung, fordert Daxein stetiges Bemühen um Forschung und Vermittlung einer objektiven Sichtweise (S. 501). Insofern versteht sich die Arbeit auch als Grundlagenarbeit, um Anstöße für neue Forschungsprojekte zu geben (S. 502).

Im vierten Teil ihrer Arbeit nimmt Daxeine interregional vergleichende Analyse der Umsetzung des Abstandsgebots durch die Länder vor (S. 259 ff.). Hier werden die neuen Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetze vergleichend gegenübergestellt und die Änderungen zum bisherigen Vollzug erarbeitet. Auf Landesebene sind in allen Ländern am 1.6.2013 eigene SVVollzG in Kraft getreten. Die Gesetze lassen sich in zwei Kategorien unterteilen: diejenigen, die dem GE-SVVollzG gefolgt sind, sind restriktiver ausgestaltet. Die der anderen Kategorie sind etwas liberaler ausgestaltet, da in verschiedenen Bereichen versucht wird, sich vom Strafvollzug abzugrenzen.

Dennoch bemängelt die Autorin, dass weniger ein positiver Abstand, sondern mehr ein normativer Gleichlauf mit dem Strafvollzug festzustellen sei. Dies zeige sich an einigen Gesetzen, die viele Normen nahezu identisch zum Strafvollzug verfasst haben (S. 507). Allerdings streicht Daxauch zu begrüßende Unterschiede heraus, wobei es sich aber primär um Bereiche handele, denen man auch bisher Aufmerksamkeit gewidmet hatte und die daher häufig von einem hohen Ausgangsniveau geprägt waren (z.B. größere Einzelzimmer, Mindestbesuchszeiten, Taschengeld etc.). Auch sei die therapeutische Ausrichtung des Vollzugs in zahlreichen Normen feststellbar.

Die Verfasserin kommt aber zu dem Schluss, dass lediglich ein quantitativer, aber kein qualitativer Abstand hergestellt wurde. Eindeutigere Formulierungen seien notwendig. In manchen Bereichen sei gar kein Abstand geschaffen worden. Dies gelte für widersprüchliche Regelungen beim Entzug der Freistunde, der Nutzung moderner Medien etc. Großes Manko sei zudem, dass weiter nicht nur aus Gründen der Sicherheit und zur Erreichung des Vollzugsziels Beschränkungen erfolgen, sondern wie im Strafvollzug die Ordnung der Anstalt einschränkend wirken kann (S. 508).

Dax betont, dass es für die landesrechtliche Umsetzung des Abstandsgebots entscheidend darauf ankommen wird, wie die Praxis die Normen umsetzt und inwieweit die immer wieder – und jetzt auch von der Autorin – erhobenen Forderungen von Politik, Wissenschaft und Gesellschaft befolgt werden.

Im letzten Teil beschäftigt sich Dax mit der Frage, ob das Abstandsgebot derart leistungsfähig ist, um als unabdingbare Voraussetzung für die Rechtfertigung der Sicherungsverwahrung zu dienen. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass das Abstandsgebot selbst nicht der Problemlöser des insgesamt kränkelnden Rechtsinstituts sein kann. Es sorge mit seiner zweifelhaften Legitimationsgrundlage selbst für weitere Begründungsprobleme, anstatt sie zu lösen (S. 517).

Dax spricht sich für die Wiedereinführung der Höchstfrist aus, um durch die Begrenzung für einen Druck in der Praxis der Sicherungsverwahrung zu sorgen. Denn die unbefristete Maßregel erlaube es der Anstalt immer noch, Maßnahmen zu vernachlässigen (S. 529). Der potentiellen Gefährlichkeit der Entlassenen könne man dadurch begegnen, dass man konsequent die ambulanten forensischen Nachsorgeeinrichtungen aufbaut und von der entsprechenden Weisung des § 68b StGB Gebrauch mache. Auch in diesem Bereich würde die Höchstfrist die staatliche Seite zum Tätigwerden zwingen.

Zudem spricht die Autorin die Forderung aus, die Sicherungsverwahrung auf Anordnungsebene weiter als bisher auf ein dem Verhältnismäßigkeitsprinzip entsprechendes und den Problematiken der Gefährlichkeitsprognose, die je länger der Vollzug dauert umso fragwürdiger wird, gerecht werdendes Maß zu reduzieren (S. 531).

Letztlich kommt Dax zu dem Ergebnis, dass das Abstandsgebot auf Dauer die Widersprüchlichkeit des Vollzugs der Sicherungsverwahrung nicht geheilt hat (S. 532). Insofern kann man hier – wie an diversen Stellen der Dissertation – mit der Autorin die Forderung wiederholen, mehr kriminologische und strafrechtsdogmatische Forschungen anzustoßen, um diese dann in die Kriminalpolitik zu transportieren und den Sicherungsverwahrungsvollzug (erneut) weiter zu reformieren. Große Hürde wird dabei immer die emotional aufgeladene Stimmung in der Bevölkerung sein, denn Sicherungsverwahrte haben keine Lobby.

Die Dissertation von Dax nimmt nicht nur die Sicherungsverwahrung und deren Vollzug kritisch in den Blick, sie bietet auch durch diverse Tabellen und Anlagen eine Fülle an Material, um so dem Leser einen eigenen und anderen Einstieg in und Blick auf die Materie zu gewährleisten. Insofern sollte die Dissertation als Grundlagenarbeit dazu dienen, um weitere Forschungsarbeiten anzustoßen und die kriminalpolitische Debatte weiter anzufachen.

 

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