Matthias Bäcker: Kriminalpräventionsrecht – Eine rechtsetzungsorientierte Studie zum Polizeirecht, zum Strafrecht und zum Strafverfahrensrecht

von Prof. Dr. Anja Schiemann

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2015, Mohr-Siebeck, Tübingen, ISBN: 978-3-16-153738-7, S. 595, Euro 114,00.

Die Habilitationsschrift von Bäcker widmet sich einem Thema, das aktuell besonders intensiv und konträr diskutiert wird. Unter dem Deckmantel „ziviler Sicherheit“ wird in den letzten Jahren eine Ausdehnung der Strafbarkeit betrieben, die vielfach als unzulässige Vorfeldkriminalisierung für sich gesehen sozialadäquater Verhaltensweisen kritisiert wird. Mit der Vorfeldkriminalisierung öffnet sich ein weitreichender strafprozessualer und polizeirechtlicher Maßnahmenkatalog. Die Auseinandersetzung mit diesem Problemfeld erfolgt häufig mit eingeschränktem Fokus entweder auf das materielle Strafrecht, das Strafprozessrecht oder das Polizeirecht. Dass Bäcker gleich alle Rechtsfelder in den Blick nimmt, macht es möglich, eine rechtssetzungsorientierte, umfassende Studie vorzulegen, die nicht nur akribisch genau die geltende Rechtslage analysiert, sondern auch Ausblick in eine Neuordnung des Kriminalpräventionsrechts liefert.

Bäcker mahnt schon einleitend an, dass sich das Recht der öffentlichen Sicherheit in einer Regelungskrise befindet. Es wird aber weniger eine Überregulierung kritisiert, als vielmehr ein konzeptionelles Defizit durch mangelhafte, weil höherrangiges Recht verletzende, Gesetzestexte. Daher ist es primäres Anliegen der Habilitation, ein besseres Sicherheitsrecht zu entwickeln (S. 6).

Hierzu untersucht Bäcker zunächst ausführlich, inwieweit Polizeirecht, materielles Strafrecht und Strafverfahrensrecht kriminalpräventive Aufgaben übernehmen. Da sich parallel in den unterschiedlichen Gesetzestexten Vorverlagerungen ergeben, drängt sich die Frage auf, ob die derzeitige Aufgabenverteilung in den einzelnen Regelungsmaterien überzeugt (S. 379). Zuvor wäre allerdings schon kritischer zu hinterfragen gewesen, ob nicht nur die Aufgabenverteilung, sondern die sich immer weiter ausbreitende Vorverlagerung an sich zu überdenken und ggf. zurückzusetzen ist. Kritik wird hier zwar stellenweise geübt, jedoch sehr zurückhaltend. Die Kritik äußert sich primär zum Punkt des faktischen und praktischen Leerlaufens der Vorschriften und nicht im Hinblick auf die grundsätzliche Verfassungsgemäßheit der Regelungen.

So wird z.B. das kürzlich vom BVerfG teilweise für verfassungswidrig erklärte BKAG (s. in diesem Heft S. 47 ff.) zwar als „regelungstechnisch misslungen“ angesehen (S. 241), jedoch nicht im Hinblick auf das Grundgesetz einer kritischen Prüfung unterzogen. Verfassungsrechtliche Grenzen der Vorfeldermächtigungen zeigt Bäcker dann aber beispielhaft für vier präventivpolizeiliche Landesregeln zur Wohnraumüberwachung auf, um im Anschluss daran grundgesetzliche Grenzen von Überwachungsmaßnahmen mit hoher Eingriffsintensität zu setzen.

Danach richtet Bäcker seine Arbeit aber wieder praktisch aus und fragt nach Handlungskonzepten, die den Vorfeldermächtigungen Wirksamkeit verschaffen können. Hier geht es um die Ausarbeitung eines eigenen „Planungsrechts“ der Kriminalprävention (S. 291). Eine solche Konzeptionierung hält Bäcker aufgrund besonderer Steuerungsprobleme im Gefahrenvorfeld für erforderlich, die auf der Ebene der einzelnen Vorfeldermächtigungen nicht bewältigt werden könnten. Dagegen könnte ein Planungsrecht, so Bäcker, die „verfahrensleitenden Vorentscheidungen der Polizei vorprägen“ (S. 293). Werden Vorentscheidungen – vor den „eigentlichen“ Entscheidungen – vorgeprägt, so suggeriert dies zumindest sprachlich eine Vorverlagerung der Vorverlagerung. Dieser Befürchtung beugt der Verfasser dadurch vor, dass er auf den Bezug der Präventionsplanung einzelner Präventionsmaßnahmen zum konkreten polizeilichen Vorfeldverfahren abstellt (S. 295). Dennoch bleibt ein fader Beigeschmack, können doch Planungskonzepte von Maßnahmen, die es im Grunde genommen nicht geben sollte, diese nicht legitimieren. Hier setzt Bäcker aber konsequent seine Vorverlagerungen prinzipiell gut heißende Meinung weiter fort.

Sehr kritisch beleuchtet Bäcker die verfassungsrechtlichen Grenzen des kriminalpräventiven Strafrechts. Hier geht er auf das Terrorismusstrafrecht ein und erörtert auch den – mittlerweile Gesetz gewordenen – § 89 a Abs. 2 lit. a StGB. § 91 Abs. 1 Nr. 1 StGB wahrt nach Auffassung des Autors dann nicht mehr die Grenzen des Übermaßverbots (S. 377). Insgesamt hält Bäcker das Präventionsstrafrecht aber für unentbehrlich. Da anderen Ordnungen eine Regelungsmöglichkeit aus verfassungs- und konventionsrechtlichen Gründen zu versagen ist, könne ein Präventionsstrafrecht nur im Strafrecht verankert werden und müsse es auch. Daher geht es dem Autor auch nicht um eine Abschaffung des Präventionsstrafrechts, sondern um seine Verbesserung. „Ein reduziertes materielles Präventionsstrafrecht sollte durch ein strafprozessuales Vorfeldrecht ergänzt und teilweise ersetzt werden“ (S. 387).

Wichtig sei die Verknüpfung der materiell-rechtlichen und verfahrensrechtlichen Vorverlagerungen durch ein übergreifendes Regelungskonzept. Die Verortung des strafverfahrensrechtlichen Vorfeldrechts sieht Bäcker nicht – wie bisher – in den Polizeigesetzen, sondern in der Strafprozessordnung. Zwar erkennt er den Bruch mit der hergebrachten Systematik des Strafverfahrensrechts, jedoch sei eine andere „realistische und rechtsstaatlich tragfähige Alternative“ nicht ersichtlich (S. 389). Warum solche systemwidrigen Verortungen von Ermächtigungsgrundlagen rechtsstaatlich unbedenklich sein könnten, erklärt Bäcker – zunächst – nicht.

Die Auflösung erfolgt aber in einem exemplarischen dritten Teil, in dem vier Einzelmaßnahmen näher untersucht werden: das Aufenthaltsverbot, die stationäre Videoüberwachung im öffentlichen Raum, die Schleierfahndung und der Einsatz von Vertrauenspersonen (S. 397 ff.). Die geltende Rechtslage beklagt Bäcker als defizitär. Beim Einsatz von Vertrauenspersonen hat dies auch der Gesetzgeber erkannt und im Rahmen der großen Strafprozessrechtsreform angedacht, hier parallel zu der Vorschrift zu den verdeckten Ermittlern eine Vorschrift in der Strafprozessordnung zu verankern.

Bäcker weist abschließend darauf hin, dass der Regelungsauftrag des Gesetzgebers für das Kriminalpräventionsrecht eine polizeirechtliche und strafprozessuale Informationsordnung umfassen muss, die den Grundrechten der Betroffenen bei der Verwendung und Erhebung personenbezogener Daten genügt (S. 475). Hierzu macht er Ausführungen und rechtliche Vorgaben an die Ordnungen zur Datenverwendung im Ausgangsverfahren und die Ordnung für die verfahrensexterne Datensammlung für polizeiliche Zwecke.

Die Habilitation von Bäcker zeichnet sich dadurch aus, dass nicht bei einer reinen Kritik an als defizitär erkannten gesetzlichen Regelungen stehen geblieben wird, sondern Handlungskonzepte formuliert werden, um ein aufeinander abgestimmteres, rechtsstaatlich unbedenklicheres Kriminalpräventionsrecht zu schaffen. Abstimmungsbedarf sieht er vor allem bei materiell-rechtliche Vorfeldkriminalisierung flankierendem Strafprozessrecht. Auch ist er für eine teilweise Neuverortung von Ermächtigungsgrundlagen weg vom Polizeirecht hin zum Strafverfahrensrecht. Man kann über die Zulässigkeit und Unzulässigkeit der sich ausbreitenden Vorfeldkriminalisierung trefflich streiten. Doch solange die beklagten Vorschriften nicht für verfassungswidrig erklärt werden, müssen Strafverfolgungsbehörden mit diesen Vorschriften umgehen. Da sind Handlungskonzepte hilfreich.

Allerdings müssen auch diese auf rechtsstaatlich sicheren Füßen stehen. Die Arbeit von Bäcker regt zur Diskussion über den richtigen Rahmen an und weist auch neue, eher ungewöhnliche Wege hin zu einem Präventionsstrafprozessrecht. Dass sich dieses durchsetzt, wünsche ich mir nicht. Allerdings legt die Arbeit den Finger in die Wunde allzu sorglosen Umgangs der Strafverfolgung von Vorfeldkriminalität. Nicht umsonst weist Fischer in seinem Kommentar darauf hin, dass z.B. den Normen zur Terrorismusbekämpfung eine erhebliche Bedeutung als verfahrensrechtliche Bezugsnorm zukommt (Fischer, StGB, 63. Aufl., 2016, § 129a Rn. 3). Insofern wird es Zeit, die kritisierte Vorfeldkriminalisierung in dem prozessualen Kontext zu betrachten, in den sie eingebunden ist. Bäckers Habilitationsschrift kommt hier sicher eine Vorreiterrolle zu, so dass eine klare Leseempfehlung auszusprechen ist. Die Monographie wird dazu beitragen, die Diskussion um Vorfeldkriminalisierung und Präventionsstrafrecht weiter anzufachen. Sicher müssen wir nicht lange auf die ein oder andere weitere Idee eines Handlungs- oder Unterlassungskonzepts warten.

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