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Polizeiliche Gefahrenabwehr mit heimlichen Überwachungsmaßnahmen – Anm. zu BVerfG, Urt. v. 20.4.2016 – 1 BvR 966/09, 1 BvR 1140/09 – zum BKAG

von Richter am BVerwG a.D. Dr. Kurt Graulich.

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BVerfG, Urt. v. 20.4.2016 – 1 BvR 966/09, 1 BvR 1140/09 (gekürzte Fassung) / Volltext

Stellungnahme der BRAK zu den Verfassungsbeschwerden -1 BvR 966/09, 1 BvR 1140/09

I. Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das BKA

Der Bund verfügt infolge des föderalen Staatsaufbaus nur über eingeschränkte Kompetenzen bei der Gesetzgebung im Polizeirecht und der Einrichtung von Polizeibehörden. Was auch immer an Normierungen im Bereich von Bundespolizei und Bundeskriminalamt zusammengekommen ist, bewegt sich dennoch im Regel-Ausnahme-Verhältnis zum Polizeirecht der Länder. Den Gesetzen über die Polizeien des Bundes fehlen deshalb die von den entsprechenden Ländergesetzen vertrauten Generalermächtigungen sowie die umfangreich gewordenen Kataloge von Standardbefugnissen. Die Rechtsprechung des BVerfG zu den Normierungen des modernen Polizeirechts ist aus diesem Grund weitgehend anhand landesrechtlicher Einzelfälle entstanden. Diese Beurteilung gilt mit einer bestimmten Einschränkung, die zum Urteil des BVerfG vom 20.4.2016 geführt hat. Zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus hat das Bundeskriminalamt nämlich eine normative Ausstattung erhalten, die typologisch derjenigen in den Länderpolizeigesetzen zumindest ebenbürtig, allerdings bereichsspezifisch beschränkt ist. Und diese Normen haben nun Gelegenheit zur verfassungsgerichtlichen Überprüfung gegeben, deren Auswirkung das BKAG deutlich übersteigt, weil die Ausführungen in dem Urteil in vielen Fällen die Länder zu einer Schwachstellenanalyse ihrer entsprechenden Regelungen zwingen.

1. Schaffung der Gesetzgebungskompetenz des Bundes

Die Gesetzgebungs- und Behördenkompetenz des Bundes zum Erlass des BKAG ergibt sich ursprünglich aus Art. 73 Nr. 10 GG i.V.m. Art. 87 Abs. 1 S. 2 GG. Diese ausschließliche Gesetzgebungskompetenz ist mit der „Föderalismusreform I“[1] verbreitert worden. Durch Einführung von Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG ist dem Bund nämlich die ausschließliche Gesetzgebung für die Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das BKA in Fällen übertragen worden, in denen eine länderübergreifende Gefahr vorliegt, die Zuständigkeit einer Landespolizeibehörde nicht erkennbar ist oder die oberste Landesbehörde um eine Übernahme ersucht. Die damit verliehene Gesetzgebungskompetenz bezieht sich ausweislich des Zusatzes „durch das Bundeskriminalpolizeiamt“ nur auf die Aufgabenwahrnehmung durch das BKA. Die Beschränkung auf den internationalen Terrorismus nimmt auf Deutschland begrenzte terroristische Phänomene aus.[2]

2. Das Gesetz zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das BKA

Die Einzelheiten des Zusammenwirkens von BKA und Landespolizeibehörden sowie die Befugnisse des BKA waren nach der Vorstellung des Verfassungsgesetzgebers einfachgesetzlich zu regeln.[3] Und dies ist durch das Gesetz zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt vom 25.12.2008[4] geschehen. Eine Reihe von Regelungen ermächtigt das BKA danach zu Einzelmaßnahmen im Rahmen der Gefahrenabwehr und Straftatenverhütung. Die einschlägige Aufgabenübertragung auf das BKA unternimmt § 4a BKAG; danach kann das BKA die Gefahren des internationalen Terrorismus in den von Abs. 1 Nr. 1 bis 3 bestimmten Fällen abwehren. Die ihm bei der Wahrnehmung der Aufgabe zukommenden Befugnisse sind im Wesentlichen in den §§ 20a bis 20x BKAG geregelt. Diese bereichsspezifischen Standardbefugnisse enthalten erstmals für eine der Polizeien des Bundes das gesamte Arsenal an polizeilichen Handlungsermächtigungen, die – ausgehend von der Entwicklung der Länderpolizeigesetze – in den letzten vier Jahrzehnten entstanden sind.

II. Das Urteil des BVerfG zu den heimlichen Überwachungsmaßnahmen

1. Entscheidungsgegenstand und Ergebnis

Das Gesetz vom 25.12.2008 ist in einigen wesentlichen Teilen mit Verfassungsbeschwerden angegriffen worden. Diese wendeten sich gegen die Einräumung verschiedener Ermittlungsbefugnisse, aber auch gegen Regelungen zur Datennutzung sowie gegen Vorschriften zur Datenübermittlung, nicht zuletzt an ausländische Stellen. Der inhaltliche Schwerpunkt des nachgesuchten Rechtsschutzes lag auf den Befugnissen zur Wohnraumüberwachung – sog. großer Lauschangriff –,  der Online-Durchsuchung – sog. Trojaner –, der Telekommunikationsüberwachung, der Erhebung von Telekommunikationsverkehrsdaten sowie der Überwachung außerhalb von Wohnungen mit besonderen Mitteln der Datenerhebung – sog. kleiner Lauschangriff. Das BVerfG hält die Vorschriften teilweise für zu unbestimmt und zu weit. Auch fehle es zum Teil an flankierenden rechtsstaatlichen Absicherungen, insbesondere zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung oder zur Gewährleistung von Transparenz, individuellem Rechtsschutz und aufsichtlicher Kontrolle. Die Vorschriften zu Übermittlung von Daten seien an etlichen Stellen nicht hinreichend begrenzt. Die Vorschriften gelten dennoch bis zum Ablauf des 30.6.2018 fort, weil nach den Erwägungen des BVerfG die Gründe für die Verfassungswidrigkeit nicht den Kern der eingeräumten Befugnisse betreffen.[5]

2. Prüfungsmaßstab

Die angegriffenen Normen ermächtigen das BKA zu Eingriffen in die Grundrechte aus Art. 13 Abs. 1, Art. 10 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG. Das Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG ist sowohl in seiner Ausprägung als Recht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme als auch als Recht auf informationelle Selbstbestimmung betroffen.[6] Die Befugnisse sind in Abhängigkeit von dem jeweils betroffenen Grundrecht und dem verschiedenen Eingriffsgewicht je einzeln an den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit, der Normenklarheit und der Bestimmtheit zu messen.[7]

Die Einräumung der Befugnisse muss in allen Fällen einem legitimen Ziel dienen und zu dessen Erreichung geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne sein.[8] Mit dem Zweck der Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus wird nach dem Urteil ein legitimes Ziel verfolgt.[9] Die Einräumung der fraglichen Überwachungs- und Ermittlungsbefugnisse ist zur Erreichung dieses Ziels geeignet. Die verschiedenen Befugnisse sind hierfür jedenfalls im Grundsatz auch erforderlich. Mildere Mittel, die gleichermaßen effektiv ebenso weitgehende Aufklärungsmöglichkeiten zur Abwehr des internationalen Terrorismus ermöglichten, sind nicht ersichtlich. Dies lässt aber unberührt, dass auch die Anwendung der Befugnisse im Einzelfall dem Grundsatz der Geeignetheit und Erforderlichkeit zu folgen hat.[10]

3. Kompositionsmerkmale des Urteils

Das Urteil über die Anti-Terrorregelungen im BKAG erinnert an den Beschluss zur Bestandsdatenauskunft, in dem es um die Verfassungsmäßigkeit der sicherheitsbehördlichen Praxis zu §§ 111 bis 113 TKG ging. In beiden Entscheidungen werden die Grundrechte als Stimmgabeln an den einfachgesetzlichen Normen zum Schwingen gebracht und auf ihre Stimmigkeit abgehört. Es werden nicht mit grobem Werkzeug legislative Bauwerke abgerissen, sondern dem Gesetzgeber die erkannten Bedenklichkeiten in allen Details auseinandergesetzt, damit er selbst nach Maßgabe der rechtlichen Analyse tätig werde. Die Verfassungsmäßigkeit seines Ansatzes wird ausdrücklich bescheinigt: Die Ermächtigung des BKA zum Einsatz von heimlichen Überwachungsmaßnahmen (Wohnraumüberwachungen, Online-Durchsuchungen, Telekommunikationsüberwachungen, Telekommunikationsverkehrsdatenerhebungen und Überwachungen außerhalb von Wohnungen mit besonderen Mitteln der Datenerhebung) ist zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus im Grundsatz mit den Grundrechten des Grundgesetzes vereinbar.[11] Das verfassungsrechtliche Verdikt betrifft in geringer Zahl Regelungen, die für verfassungswidrig und nichtig erklärt werden und in größerer Zahl solche, die lediglich für mit der Verfassung unvereinbar erklärt werden.[12] Das BVerfG hat aber auch eigene Hausaufgaben erledigt: Die Entscheidung führt die bisherige Rechtsprechung zu den für den Ausgleich – zwischen der Sicherheit des Staates als verfasster Friedens- und Ordnungsmacht und der Achtung von Würde und Eigenwert des Einzelnen – maßgeblichen verfassungsrechtlichen Anforderungen in grundsätzlicher Weise zusammen.[13] Ebenso wie bei der Entscheidung zur Bestandsdatenauskunft wird dem Gesetzgeber hinsichtlich der lediglich mit der Verfassung unvereinbaren Regelungen eine Frist gesetzt, bis zu deren Ablauf die geprüften Vorschriften weitergelten. Vorliegend läuft diese Frist bis zum bis zum 30.6.2018.[14] Der Bundesetzgeber hat es damit sogar in der Hand, noch in der laufenden 18. Wahlperiode zu handeln oder es dem nachfolgenden Parlament zu überlassen, die Neuregelungen zu gestalten.

III. Zu den einzelnen Prüfungskomplexen

Die mit den Verfassungsbeschwerden im Einzelnen angegriffenen Rechtsnormen des BKAG werden in zwei großen Abschnitten überprüft (I. und II.).

1. Überprüfung von Ermittlungs- und Überwachungsbefugnissen

a) Verfassungswidrigkeit von Regelungen zur Datenerhebung nach der bisherigen Rechtsprechung

In einem ersten Abschnitt prüft das Urteil die mit den Verfassungsbeschwerden angegriffenen polizeirechtlichen Überwachungsbefugnisse und stellt fest, dass diese den verfassungsrechtlichen Anforderungen hinsichtlich ihrer jeweiligen Eingriffsvoraussetzungen in verschiedener Hinsicht nicht genügen.[15]

aa) Besondere Mittel der Datenerhebung (§ 20g BKAG)
Das trifft auf Teile des § 20g BKAG zu, der bei Verfassungsmäßigkeit im Übrigen an drei Stellen für verfassungswidrig gehalten wird. Zum ersten erlaubt § 20g Abs. 1 BKAG die Überwachung außerhalb von Wohnungen unter dem Einsatz besonderer, in § 20g Abs. 2 BKAG näher bestimmter Mittel der Datenerhebung[16] und ermächtigt das BKA damit zu Eingriffen in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG).[17] § 20g Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BKAG erstreckt die Befugnis zur Datenerhebung auf Personen, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie einer Straftat nach § 4a S. 1, S. 2 BKAG verdächtig sind; damit wird die Befugnis – ähnlich wie in § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BPolG auf den umstrittenen Vorfeldbereich ausgedehnt.[18] Die Eingriffsvoraussetzungen genügen weder dem Grundsatz der Bestimmtheit noch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne.[19]

Zum zweiten ist eine unabhängige Kontrolle verfassungsrechtlich unverzichtbar, wenn Observationen i.S.d. § 20g Abs. 2 Nr. 1 BKAG längerfristig, zumal unter Anfertigung von Bildaufzeichnungen oder unter Nutzung besonderer technischer Mittel wie Peilsender, durchgeführt werden, wenn nichtöffentliche Gespräche erfasst   oder Vertrauenspersonen eingesetzt werden. Diese Maßnahmen dringen unter Umständen so tief in die Privatsphäre ein, dass deren Anordnung einer unabhängigen Instanz, etwa einem Gericht, vorbehalten bleiben muss.[20] Soweit für diese Maßnahmen eine erstmalige Anordnung ohne richterliche Entscheidung vorgesehen ist, genügt     § 20g BKAG einer verhältnismäßigen verfahrensrechtlichen Ausgestaltung nicht.[21]

Zum dritten weist § 20g BKAG hinsichtlich mancher Befugnisse eine Kernbereichsnähe auf, die eine ausdrückliche gesetzliche Regelung zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung erforderlich macht.[22] Der Gesetzgeber hat hierzu in normenklarer Weise Schutzvorschriften sowohl auf der Ebene der Datenerhebung als auch auf der Ebene der Datenauswertung und Datenverwertung vorzusehen. An solchen Vorschriften fehlt es, so dass § 20g Abs. 1, 2 BKAG auch insoweit mit der Verfassung nicht zu vereinbaren sind.[23] Die Beanstandungen und Nachbesserungsverlangen des BVerfG hinsichtlich     § 20g BKAG treffen in gleicher Weise auf § 9 BVerfSchG zu und müssten auch dort eine Novellierung auslösen.

bb) Besondere Bestimmungen über den Einsatz technischer Mittel in oder aus Wohnungen (§ 20h BKAG)
20h BKAG erlaubt die akustische und optische Überwachung in Wohnungen und greift damit in Art. 13 Abs. 1 GG ein.[24] Die Regelung wird im Urteil überwiegend für verfassungsmäßig gehalten bis auf zwei Ermächtigungen. Zum einen wird für teilweise unverhältnismäßig und nicht mit Art. 13 Abs. 1, 4 GG vereinbar die Bestimmung der möglichen Adressaten von Wohnraumüberwachungen gehalten,[25] nämlich, soweit sie zur Wohnraumüberwachungen auch gegenüber Kontakt- und Begleitpersonen (§ 20h Abs. 1 Nr. 1 lit. c BKAG) befugt; sie ist insofern unverhältnismäßig.[26] Dem kann aus Gründen der Rechtsklarheit sicher gefolgt werden; in der Literatur wurde eine verhältnismäßige Anwendung durch Auslegung der Vorschrift noch für möglich gehalten.[27] Zum anderen ist nach dem Urteil die Regelung zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung in § 20h Abs. 5 BKAG verfassungsrechtlich unzureichend. Sie genügt den Anforderungen des Art. 13 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG nicht.[28] Das BVerfG folgt damit in der Literatur bereits geäußerten Vorstellungen, den Grundrechtsschutz insofern nicht auf der Erhebungs-, sondern auf der Verwertungsebene anzusiedeln.[29] Nach Durchführung einer Maßnahme gem. § 20h müssen – außer bei Gefahr im Verzug – zunächst alle Daten von einer unabhängigen Stelle darauf gesichtet werden, ob sie höchst private Informationen enthalten, bevor sie vom BKA verwertet werden dürfen.[30] Die Regelung muss der Gesetzgeber schaffen.

cc) Rasterfahndung (§ 20j BKAG)
Für verfassungsrechtlich unbedenklich hält das Urteil die Regelung der Eingriffsvoraussetzungen der Rasterfahndung gemäß § 20j BKAG. Insbesondere ist die in der Entscheidung vom 6.4.2006[31] verlangte Voraussetzung der konkreten Gefahr berücksichtigt. Und darüber hinaus stellt das Gesetz die Anordnung der Maßnahme unter Richtervorbehalt.[32]

dd) Verdeckter Eingriff in informationstechnische Systeme (§ 20k BKAG)
20k Abs. 1 BKAG ermächtigt zu einem Zugriff auf informationstechnische Systeme – sog. Trojaner – und erlaubt die geheime Durchführung von Online-Durchsuchungen, mit denen private, von den Betroffenen auf eigenen oder vernetzten fremden Computern (wie etwa der sogenannten Cloud) abgelegte oder hinterlassene Daten erhoben und deren Verhalten im Netz nachvollzogen werden kann. Die Vorschrift begründet damit einen Eingriff in das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG).[33] Das Urteil hält die Regelung für verfassungsgemäß bis auf zwei Regelungen. Dazu zählt zunächst diejenige zum Schutz des Kernbereichs des privaten Lebens. Demnach fehlt es an verfassungsrechtlich hinreichenden Vorkehrungen auf der Ebene des nachgelagerten Kernbereichsschutzes. § 20k Abs. 7 S. 3, 4 BKAG sieht ferner keine hinreichend unabhängige Kontrolle vor.[34] Verfassungswidrig ist außerdem die übermäßig kurze Dauer für die Aufbewahrung der Löschungsprotokolle gem. § 20k Abs. 7 S. 8 BKAG.[35]

ee) Überwachung der Telekommunikation (§ 20l BKAG)
20l BKAG regelt die Telekommunikationsüberwachung und begründet damit Eingriffe in Art. 10 Abs. 1 GG. An Art. 10 Abs. 1 GG ist dabei nicht nur § 20l Abs. 1 BKAG zu messen, der die herkömmliche Telekommunikationsüberwachung regelt, sondern auch § 20l Abs. 2 BKAG, der die Quellen-Telekommunikationsüberwachung erlaubt, sofern durch technische Maßnahmen sichergestellt ist, dass ausschließlich laufende Telekommunikation erfasst wird.[36] Nach dem Urteil ist die Regelung des § 20l BKAG nur teilweise mit der Verfassung zu vereinbaren.[37] Im Wesentlichen leidet die Vorschrift an drei zu reparierenden verfassungsrechtlichen Mängeln. Zum ersten nicht mit der Verfassung zu vereinbaren ist die nicht näher eingeschränkte Erstreckung der Telekommunikationsüberwachung nach § 20l Abs. 1 Nr. 2 BKAG auf Personen, bei denen bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie terroristische Straftaten vorbereiten; der Sache nach handelt es sich nicht um eine Maßnahme der Gefahrenabwehr, sondern um eine Vorfeldbefugnis.[38] Die Vorschrift, die über die Abwehr einer konkreten Gefahr hinaus die Eingriffsmöglichkeiten mit dem Ziel der Straftatenverhütung vorverlagert, verstößt in ihrer konturenarmen offenen Fassung gegen den Bestimmtheitsgrundsatz und ist unverhältnismäßig weit.[39] Weitere verfassungsrechtliche Einwände heften sich an § 20l Abs. 3 BKAG, wo zwar in Einklang mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen verfahrensrechtlich ein Richtervorbehalt normiert ist.[40] Es fehlt indes eine gesetzliche Regelung, die wie verfassungsrechtlich geboten für die Anordnung der Telekommunikationsüberwachung eine Mitteilung der Gründe verlangt. Dieser Mangel lässt sich aber auch nicht im Wege der verfassungskonformen Auslegung überwinden.[41] Und schließlich hält das Urteil die zu knappe Aufbewahrungsfrist der Löschungsprotokolle gemäß § 20l Abs. 6 S. 10 BKAG für verfassungswidrig.[42] Auch insoweit muss der Gesetzgeber aktiv werden.

ff) Erhebung von Telekommunikationsverkehrsdaten und Nutzungsdaten sowie Funkzellenabfrage (§ 20m BKAG)
20m Abs. 1 BKAG erlaubt die Erhebung von Telekommunikationsverkehrsdaten und Abs. 3 die sog. Funkzellenabfrage.[43] Die Vorschrift begründet somit einen Eingriff in das Telekommunikationsgeheimnis gem. Art. 10 Abs. 1 GG, denn dieses schützt nicht nur die Inhalte der Kommunikation, sondern auch die Vertraulichkeit der näheren Umstände des Kommunikationsvorgangs.[44] Dabei handelt es sich um bereits gefestigte Rechtsprechung des BVerfG.[45] Im Übrigen stellt das BVerfG zu § 20m Abs. 1, 3 BKAG fest, dieser teile, soweit er sich mit § 20l BKAG decke, dessen verfassungsrechtliche Mängel und sei insoweit auch seinerseits verfassungswidrig. Darüber hinaus sei die Vorschrift mit der Verfassung vereinbar.[46]

b) Verfassungswidrigkeit von Regelungen zur Datenverwendung nach Maßgabe neu entwickelter Differenzierungen

In einem weiteren Abschnitt prüft das Urteil die mit den Verfassungsbeschwerden angegriffenen Ermittlungs- und Überwachungsbefugnisse und stellt fest, dass diese in verschiedener Hinsicht auch hinsichtlich der weiteren, gleichartig an sie zu stellenden Anforderungen nicht mit der Verfassung vereinbar seien. Es fehle an flankierenden Regelungen, ohne die die Verhältnismäßigkeit dieser Eingriffe nicht gewahrt sei.[47]

aa) Zum Verbot der Rundumüberwachung
Ein wichtiges Problem der heimlichen Überwachungsmaßnahmen verweist das Urteil auf die Plätze. Keinen Bedenken unterliege es nämlich, dass das Gesetz keine ausdrückliche Regelung enthalte, die mit Blick auf das Zusammenwirken der verschiedenen Befugnisse das Verbot der Rundumüberwachung näher ausforme. Das Verbot der Rundumüberwachung gelte als Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zur Wahrung eines in der Menschenwürde wurzelnden unverfügbaren Kerns der Person unmittelbar von Verfassungs wegen und sei von den Sicherheitsbehörden im Rahmen ihrer Befugnisse von sich aus zu beachten. Weiterer gesetzlicher Konkretisierung bedürfe es insoweit nicht.[48]

bb) Schutz von zeugnisverweigerungsberechtigten Berufs- und Personengruppen (§ 20u BKAG)
Der Gesetzgeber hat in § 20u BKAG eine Regelung zur Ausgestaltung des Schutzes von Berufs- und anderen Personengruppen geschaffen, deren Tätigkeit von Verfassungs wegen eine besondere Vertraulichkeit ihrer Kommunikation voraussetzt, und die den verfassungsrechtlichen Anforderungen nach Ansicht des BVerfG weithin entspricht.[49] Als verfassungsrechtlich nicht tragfähig hat es allerdings die Ausgestaltung des Schutzes der Vertrauensverhältnisse von Rechtsanwälten zu ihren Mandanten angesehen. Bei der Novellierung wird der Gesetzgeber darauf verzichten müssen, auf die Gruppe der Strafverteidiger als besonders schützenswert abzustellen, weil die in der Gefahrenabwehr nicht typischerweise eine Rolle auftreten.[50] Er hat aber Spielraum, nach welcher Seite er die Regelung abrundet. Der Diskretionsschutz bleibt allerdings auch für die nicht gelisteten Berufsgruppen materiell erhalten. Denn in die für die anderen Berufsgeheimnisträger gebotene Abwägung hat – auch unter Berücksichtigung des Art. 12 Abs. 1 GG – die  Vertrauensbedürftigkeit der jeweiligen Kommunikationsbeziehungen im jeweiligen Einzelfall maßgeblich einzufließen, und darüber hinaus kann eine Überwachung – etwa für psychotherapeutische Gespräche – auch  unter dem Gesichtspunkt des Kernbereichs privater Lebensgestaltung ausgeschlossen sein.[51]

cc) Benachrichtigung (§ 20w BKAG)
Die Regelung in § 20w BKAG über die Benachrichtigung von stattgefundenen polizeilichen Maßnahmen wird zwar für sich genommen verfassungsrechtlich nicht beanstandet. Sie wird jedoch unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten nicht für ausreichend gehalten. Je weniger – wegen Heimlichkeit der Maßnahmen – die Gewährleistung subjektiven Rechtsschutzes möglich ist, desto größere Bedeutung erhalten nämlich Anforderungen an eine wirksame aufsichtliche Kontrolle und an die Transparenz des Behördenhandelns gegenüber der Öffentlichkeit.[52] Aus diesem Grund wird die Benachrichtigungsregelung in § 20w BKAG für unzureichend gehalten. Es fehle an einer hinreichenden gesetzlichen Vorgabe zu turnusmäßigen Pflichtkontrollen, deren Abstand ein gewisses Höchstmaß, etwa zwei Jahre, nicht überschreiten dürfe. Auch fehle es an einer umfassenden Protokollierungspflicht, die es ermögliche, die jeweiligen Überwachungsmaßnahmen sachhaltig zu prüfen.[53] Und schließlich fehle es für eine verhältnismäßige Ausgestaltung der angegriffenen Überwachungsbefugnisse auch an regelmäßig zu erfüllenden Berichtspflichten gegenüber Parlament und Öffentlichkeit, um eine öffentliche Diskussion und demokratische Kontrolle zu ermöglichen.[54]

dd) Löschung von Daten (§ 20v BKAG)
Die Regelung in § 20v Abs. 6 BKAG, wonach die Daten nach Erfüllung des der Datenerhebung zugrundeliegenden Zwecks zu löschen sind, ist Ausdruck der verfassungsrechtlichen Grundsätze zur Zweckbindung.[55] Beanstandet werden aber die Regelungen über die zu kurze Aufbewahrungsfrist für Protokolldaten in § 20v Abs. 6   S. 3 BKAG und das Absehen von einer Löschung nach Zweckerfüllung in § 20 Abs. 6 S. 5 BKAG. Die Löschungsfrist muss demnach so bemessen sein, dass die Protokolle bei typisierender Betrachtung nach der Benachrichtigung der Betroffenen – zur Wahrnehmung seines Rechtsschutzes – und im Rahmen der nächsten periodisch anstehenden Kontrolle durch die Datenschutzbeauftragte noch vorliegen.[56]

2. Überprüfung von Befugnissen zur Nutzung und Übermittlung von Daten

Das Urteil fasst in einem zweiten Abschnitt solche Normen des BKAG zur verfassungsrechtlichen Überprüfung zusammen, die Befugnisse zur weiteren Nutzung der Daten durch das BKA selbst sowie zu ihrer Übermittlung an andere inländische und ausländische Behörden betreffen.[57] Angelpunkt der Erwägungen ist dabei die mit der anderweitigen Nutzung und Übermittlung von Daten verbundene Zweckänderung. Die Ermächtigung zu einer Nutzung von Daten zu neuen Zwecken begründet einen neuen Eingriff in das Grundrecht, in das durch die Datenerhebung eingegriffen wurde.[58] Erlaubt der Gesetzgeber die Nutzung von Daten über den konkreten Anlass und rechtfertigenden Grund einer Datenerhebung hinaus, muss er hierfür eine eigene Rechtsgrundlage schaffen.[59] Die Ermächtigung zu einer Zweckänderung ist dabei am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu messen.[60] Als Kriterium für die Verhältnismäßigkeit des in der Zweckänderung liegenden zusätzlichen Eingriffs dient dabei die hypothetische Datenneuerhebung. Für Daten aus eingriffsintensiven Überwachungs- und Ermittlungsmaßnahmen kommt es danach darauf an, ob die entsprechenden Daten nach verfassungsrechtlichen Maßstäben neu auch für den geänderten Zweck mit vergleichbar schwerwiegenden Mitteln erhoben werden dürften.[61] Die Einzelprüfungen werden zur konkretisierenden Konsolidierung einer langen Rechtsprechung der beiden Senate des BVerfG genutzt.[62] Neben einer Reihe von Verstößen gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wird als übergreifendes Manko hinsichtlich aller Übermittlungsbefugnisse das Fehlen von gesetzlichen Regelungen beanstandet, die eine hinreichende aufsichtliche Kontrolle sicherstellten. Die für die Datenerhebung geltenden Anforderungen an eine sachhaltige Protokollierung und eine effektive Kontrolle durch die Bundesdatenschutzbeauftragte gelten auch hier.[63]

a) Verwendung der vom Bundeskriminalamt erhobenen Daten durch dieses selbst (§ 20v Abs. 4 S. 2 BKAG)

20v Abs. 4 Satz 2 BKAG regelt die Verwendung der vom BKA erhobenen Daten durch dieses selbst. Die Vorschrift ist nach dem Urteil aus zwei Gründen verfassungswidrig.[64] Es fehlt in § 20v Abs. 4 S. 2 Nr. 1 BKAG an einer hinreichenden Begrenzung für Daten aus Wohnraumüberwachung und Online-Durchsuchungen.[65] Als unvereinbar mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen wird auch § 20v Abs. 4 S. 2 Nr. 2 BKAG zur Verwendung der Daten zum Zeugen- und Personenschutz angesehen. Denn der einschränkungslose allgemeine Verweis auf die Aufgaben des BKA nach §§ 5 und 6 BKAG sei schon zu unbestimmt.[66] Eine ähnlich gefasste Regelung ist § 10 Abs. 1 BVerfSchG, die in entsprechender Weise gesetzlich überarbeitet werden müsste, um genügend verhältnismäßig und bestimmt zu sein.

b) Übermittlung der vom Bundeskriminalamt erhobenen Daten an andere nationale Behörden (§ 20v Abs. 5 BKAG)

20v Abs. 5 BKAG normiert die Übermittlung vom BKA erhobener Daten an andere Behörden. Nach dem Urteilt genügen verschiedene darin enthaltene Regelungen nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Maßgeblicher Ausgangspunkt ist die aus dem Beschluss über die Bestandsdatenauskunft bekannte Metapher,[67] wonach das BKA damit die Datennutzung durch andere Behörden ermögliche, die – nach dem Bild einer Doppeltür – dabei auch ihrerseits zur Abfrage und Verwendung dieser Daten berechtigt sein müssen.[68] Die Übermittlungsbefugnisse sind insoweit verfassungswidrig, als ihre Voraussetzungen den Anforderungen in Bezug auf das Kriterium der hypothetischen Datenneuerhebung nicht genügen.[69] Danach ist unverhältnismäßig weit und damit verfassungswidrig § 20v Abs. 5 S. 1 Nr. 2 BKAG insoweit er eine Übermittlung auch allgemein zur Verhütung der in § 129a Abs. 1, 2 StGB genannten Straftaten erlaubt.[70] Ebenso nicht mit der Verfassung vereinbar ist § 20v Abs. 5 S. 1 Nr. 3 BKAG, der die Übermittlung von Daten zur Strafverfolgung regelt.[71]

Nicht mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen vereinbar ist auch § 20v Abs. 5 S. 3 Nr. 1 BKAG, der die Übermittlung von Daten an die Verfassungsschutzbehörden und den Militärischen Abschirmdienst erlaubt. Die Vorschrift, die für alle Daten außer solche aus Wohnraumüberwachungsmaßnahmen gilt (vgl. § 20v Abs. 5 S. 5 BKAG), erlaubt eine Übermittlung an die vorgenannten Behörden, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Daten zur   Sammlung und Auswertung von Informationen erforderlich sind über Bestrebungen, die in den Aufgabenbereich der Verfassungsschutzbehörden oder des Militärischen Abschirmdienstes fallen. Damit genügt sie dem für eine zweckändernde Datenübermittlung maßgeblichen Kriterium der hypothetischen Neuerhebung nicht.[72] Entsprechendes gilt für § 20v Abs. 5 S. 4 BKAG; die Vorschrift erlaubt eine Übermittlung von Daten an den Bundesnachrichtendienst unter den Maßgaben wie § 20v Abs. 5 S. 3 Nr. 1 BKAG.[73]

c) Übermittlung von Daten an öffentliche Stellen anderer Staaten (§ 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 3, S. 2 BKAG)

Und schließlich genügt § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 3, S. 2 BKAG, der – sofern nicht für Mitgliedstaaten der Europäischen Union die von den Verfassungsbeschwerden nicht angegriffene Regelung des § 14a BKAG einschlägig ist – die Übermittlung von Daten an öffentliche Stellen anderer Staaten regelt, den verfassungsrechtlichen Anforderungen teilweise gleichfalls nicht.[74] Die Übermittlung von Daten an staatliche Stellen im Ausland unterliegt nämlich den allgemeinen verfassungsrechtlichen Grundsätzen von Zweckänderung und Zweckbindung. Bei der Beurteilung der neuen Verwendung ist die Eigenständigkeit der anderen Rechtsordnung zu achten. Eine Übermittlung von Daten ins Ausland verlangt eine Vergewisserung darüber, dass ein hinreichend rechtsstaatlicher Umgang mit den Daten im Empfängerstaat zu erwarten ist.[75] § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BKAG genügt, soweit er als eigene Ermächtigungsgrundlage zu verstehen ist, den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine Zweckänderung nicht. Indem er dem BKA eine Datenübermittlung allgemein zur Erfüllung der ihm obliegenden Aufgaben erlaubt, fehlt es an Maßgaben, die sicherstellen, dass Daten aus eingriffsintensiven Überwachungsmaßnahmen nur für Zwecke übermittelt werden dürfen, die dem Kriterium der hypothetischen Datenneuerhebung entsprechen. Die Befugnis ist damit nicht hinreichend eingegrenzt und unverhältnismäßig.[76]

IV. Zusammenfassende Bewertung: Verhältnismäßigkeit und Öffentlichkeit

1. Die Reichweite des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes

Die Entscheidungsgründe des Urteils sind teils auf überwölbende Weise grundsätzlich und teils in minutiöser Weise kleinteilig. Ein großer Teil der Ausführungen gilt nach der Art eines großformatigen Obersatzes dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzip[77] mit seinen Auswirkungen nicht nur auf die Anforderungen an Normenklarheit und Bestimmtheit,[78] sondern auch an den Kernbereich privater Lebensgestaltung[79] sowie die Transparenz;[80] der zuletzt genannte Grundsatz verlangt gesetzlich angeordnete Benachrichtigungspflichten und Auskunftsrechte zur Ermöglichung von Individualrechtsschutz.[81] Die mit den Verfassungsbeschwerden angegriffenen Normen werden nicht „am Stück“ geprüft und für gut oder schlecht befunden, sondern in ihren unterschiedlichen Verwendungszusammenhängen analysiert. Dies ist nicht der Detailliebe des Gerichts geschuldet, sondern der Komplexität der gesetzlichen Konstruktionen. Allein die Unterscheidung von Erhebung und Verwendung, insbesondere der weiteren Nutzung und Übermittlung von Daten führt im Falle der Überprüfung am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zum Erfordernis verschiedener Eingriffsvoraussetzungen, weil damit jeweils Zweckänderungen verbunden sind. Als Kriterium für das Gewicht der Zweckänderung wird nunmehr – in Fortentwicklung früherer Rechtsprechung des BVerfG – das Kriterium der Datenneuerhebung eingeführt.[82] Die Detailliertheit der Prüfung ist auch der Grund dafür, dass der ganz überwiegende Teil der untersuchten Normen dem Verdikt der Verfassungswidrigkeit entgangen ist. Unter quantitativen Gesichtspunkten liest sich das Urteil eher wie eine Bekräftigung des legislativen Anliegens und legitimen Ziels, dem BKA Aufklärungsmittel an die Hand zu geben, mit denen dieses seine neue Aufgabe der Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus wahrnehmen soll.[83]

2. Auswirkungen auf die Datenübermittlung durch die Nachrichtendienste

Die Entscheidung kommt zum richtigen Zeitpunkt. Die Nachrichtendienste des Bundes wurden und werden aktuell mit weiteren Befugnissen zur Datenverwendung und -übermittlung ausgestattet. Das Gesetz zur Verbesserung der Zusammenarbeit im Bereich des Verfassungsschutzes vom 17.11.2015 (BGBl. I 2015, S. 1938) hat insbesondere die informationelle Zusammenarbeit im Verbund des Bundesamts für Verfassungsschutz neu gefasst. Seine Regelungen wären heute an denselben Verfassungsgrundsätzen zu messen wie diejenigen des BKAG, und die Prüfung würde ähnliche Defizite zeigen. Zur Verdeutlichung des Gemeinten soll ein Hinweis auf die vom BVerfG festgestellte Verfassungswidrigkeit von § 20v Abs. 5 S. 4 BKAG dienen. Dabei geht es um die Übermittlung von Daten durch das BKA an den BND;[84] die gegenläufigen Fälle in § 9 BNDG und §§ 19 ff.    BVerfSchG wären im verfassungsgerichtlichen Streitfall an denselben Grundsätzen zu messen. Eine weitere Neuregelung der Übermittlung personenbezogener Daten sieht der Entwurf der Bundesregierung vom 30.5.2016 für ein Gesetz zum besseren Informationsaustausch bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus vor. Als zu lösendes Problem beschreibt er, bei der Aufklärung des transnational operierenden und vernetzten Terrorismus seien eine Vielzahl von Behörden – national und insbesondere auch international – tätig, deren Erkenntnisse zusammengeführt und übergreifend analysiert werden müssten. Es geht also um die transnationale Datenübermittlung sowie die Einrichtung transnationaler Datenbanken, und nach dem Gesetzesentwurf sollen von den Regelungen die Nachrichtendienste und die Polizeien des Bundes sein. Sämtliche Probleme der Verhältnismäßigkeit bei Zweckänderungen treten in diesem Fall verstärkt auf, ebenso die Validitätsprüfung von Menschenrechtsstandards bei der Übermittlung und dem Empfang von Daten in das oder aus dem Ausland.[85] Noch ohne Beschlussdatum des Kabinetts, dafür aber nicht weniger dringend – in der laufenden Legislaturperiode – erwartet  ist der Entwurf zur Neuregelung der Kontrolle der Nachrichtendienste im Bund. Der Bundesgesetzgeber sollte die Chance ergreifen und die Dienstgesetze dem Stand des BKAG-Urteils anpassen, bevor – mit absehbarem Erfolg – das BVerfG dazu angerufen wird.

3. Der verfassungspolitisch notwendige öffentliche Diskurs über die Praxis heimlicher Informationsbeschaffung

Das Urteil erzwingt außerdem eine Veränderung der Kontrolllandschaft. Dies dürfte verfassungspolitisch sein größter Ertrag sein. Allerdings verblüfft dogmatisch die Herleitung aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Dieser ist im Ausgangspunkt eine individualrechtliche Kategorie. So moderiert er die Tiefe bei gerechtfertigten Eingriffen in den Schutzbereich von Individualrechten, nicht zuletzt in Grundrechte. Mit der vorliegenden Entscheidung gewinnt ihm das BVerfG eine politisch-gesellschaftliche Dimension ab. Die gegenwärtige Kontrolle heimlicher Sicherheitsmaßnahmen wird in der Öffentlichkeit nicht mit Befriedigung wahrgenommen. Dies liegt zum einen daran, dass Heimliches eben auch im Falle der Überprüfung meistens nicht völlig offengelegt wird. Zum anderen liegt dies daran, dass ein Bedrohungsempfinden entstehen kann, wenn das tatsächliche Ausmaß heimlicher Sicherheitseingriffe durch staatliche Stellen nur unzulänglich bekannt ist. Diese Unzulänglichkeit liegt sowohl am Fehlen ausreichender Zahlenangaben als auch an ihrer nicht sinnvollen Aufbereitung in der Öffentlichkeit. Die politische Ökonomie des Medienwettbewerbs begünstigt die Skandalisierung und behindert die sachkritische Analyse. An dieser Stelle muss die parlamentarische Auseinandersetzung erklärend und fordernd aushelfen.

So fehlt es bislang an zumindest statistischen Übersichten der zahlreich gewordenen „Besonderen Auskunftsverlangen“[86] und „Besonderen Formen der Datenerhebung“[87] in den Sicherheitsgesetzen von Bund und Ländern. Es gibt regelmäßige Berichte des Bundesamtes für Justiz über die Anzahl der nach §§ 100a, 100b StPO angeordneten Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen. Außerdem kann den Jahresübersichten entnommen werden, aufgrund welcher einzelnen Katalogtat des § 100a StPO die Überwachungen angeordnet wurden sowie über die Erhebung von Telekommunikationsverkehrsdaten nach § 100g StPO. Aber es fehlt eine problematisierende Aufbereitung der Zahlenfülle. Außerdem erstattet das Parlamentarische Kontrollgremium nach § 14 Abs. 1 S. 2 G 10 dem Deutschen Bundestag jährlich einen Bericht über die Durchführung sowie die Art und den Umfang der Maßnahmen nach den §§ 3, 5, 7a und 8 G 10. Diese Zahlen werden allerdings auf unterschiedlich intelligible Weise der Öffentlichkeit vorgestellt und führen kaum zu einer bewussten Debatte über das Gesamtthema von Rechtsgüterschutz und Freiheitseingriffen aufgrund staatlicher Maßnahmen. Diese Diskussion muss aber dauernd geführt werden, damit nicht nur ein verfassungsgerichtliches Urteil den Legalitätsrahmen festgestellt hat, sondern auch ein gesellschaftlicher Konsens über die Verhältnismäßigkeit gesetzlicher Befugnisse für heimliche Eingriffe hergestellt werden kann. In der Diktion des BKAG-Urteils: „Da sich die Durchführung von heimlichen Überwachungsmaßnahmen der Wahrnehmung der Betroffenen und der Öffentlichkeit entzieht und dem auch Benachrichtigungspflichten oder Auskunftsrechte mit der Möglichkeit anschließenden subjektiven Rechtsschutzes nur begrenzt entgegenwirken können, sind hinsichtlich der Wahrnehmung dieser Befugnisse regelmäßige Berichte des BKA gegenüber Parlament und Öffentlichkeit gesetzlich sicherzustellen. Sie sind erforderlich und müssen hinreichend gehaltvoll sein, um eine öffentliche Diskussion über Art und Ausmaß der auf diese Befugnisse gestützten Datenerhebung, einschließlich der Handhabung der Benachrichtigungspflichten und Löschungspflichten, zu ermöglichen und diese einer demokratischen Kontrolle und Überprüfung zu unterwerfen“.[88]

 

[1]      BGBl. I 2006, S. 2034.
[2]      Graulich, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, BKAG, Vorb. § 1 Rn. 3 ff.
[3]      BT-Dr. 16/813, S. 12.
[4]      BGBl. I 2008, S. 3083.
[5]      Tenor des Urteils in BGBl. I 2016, 1136.
[6]      BVerfG, Urt. v. 20.4.2016 – 1 BvR 966/09, 1 BvR 1140/09, Rn. 91.
[7]      A.a.O., Rn. 90.
[8]      A.a.O., Rn. 93.
[9]      A.a.O., Rn. 90.
[10]    A.a.O., Rn. 97.
[11]    A.a.O., Ls 1.
[12]    A.a.O. Rn. 356 ff.
[13]    Pressemitteilung Nr. 19/2016 vom 20.4.2016 zum BVerfG, Urt. v. 20.4.2016 – 1 BvR 966/09, 1 BvR 1140/09.
[14]    In der Entscheidung zur Bestandsdatenauskunft war es der 30.6.2013 (BVerfG, Beschl. v. 24.1.2012 – 1 BvR 1299/05, BVerfGE 130, 151-212, Rn. 188).
[15]    BVerfG, Urt. v. 20.4.2016 – 1 BvR 966/09, 1 BvR 1140/09, Rn. 145.
[16]    Schenke, in: Schenke/Graulich/Ruthig, BKAG, § 20g Rn. 1.
[17]    BVerfG, Urt. v. 20.4.2016 – 1 BvR 966/09, 1 BvR 1140/09, Rn. 147.
[18]    Schenke, in: Schenke/Graulich/Ruthig, BKAG, § 20g Rn. 9.
[19]    BVerfG, Urt. v. 20.4.2016 – 1 BvR 966/09, 1 BvR 1140/09, Rn. 162.
[20]    In diesem Sinn schon Gusy, A-Drs. 16(4)460, S. 8 f.
[21]    BVerfG, Urt. v. 20.4.2016 – 1 BvR 966/09, 1 BvR 1140/09, Rn. 174.
[22]    Schenke, in: Schenke/Graulich/Ruthig, BKAG, § 20g Rn. 23.
[23]    BVerfG, Urt. v. 20.4.2016 – 1 BvR 966/09, 1 BvR 1140/09, Rn. 177.
[24]    A.a.O., Rn. 179.
[25]    A.a.O., Rn. 186.
[26]    A.a.O., Rn. 191.
[27]    Schenke, in: Schenke/Graulich/Ruthig, BKAG, § 20h Rn. 13.
[28]    BVerfG, Urt. v. 20.4.2016 – 1 BvR 966/09, 1 BvR 1140/09, Rn. 196.
[29]    So Schenke unter Bezugnahme auf BVerfGE 129, 208, (245), in: Schenke/Graulich/Ruthig, BKAG, § 20h Rn. 35.
[30]    BVerfG, Urt. v. 20.4.2016 – 1 BvR 966/09, 1 BvR 1140/09, Rn. 205.
[31]    BVerfG, Beschl. v. 4.4.2006 – 1 BvR 518/02, BVerfGE 115, 320-381.
[32]    BVerfG, Urt. v. 20.4.2016 – 1 BvR 966/09, 1 BvR 1140/09, Rn. 206.
[33]    A.a.O., Rn. 209.
[34]    A.a.O., Rn. 223.
[35]    A.a.O., Rn. 226.
[36]    A.a.O., Rn. 228.
[37]    A.a.O., Rn. 227.
[38]    Schenke, in: Schenke/Graulich/Ruthig, BKAG, § 20l Rn. 13.
[39]    BVerfG, Urt. v. 20.4.2016 – 1 BvR 966/09, 1 BvR 1140/09, Rn. 232.
[40]    vgl. BVerfGE 125, 260 (337 f.).
[41]    BVerfG, Urt. v. 20.4.2016 – 1 BvR 966/09, 1 BvR 1140/09, Rn. 235.
[42]    A.a.O., Rn. 246.
[43]    Schenke, in: Schenke/Graulich/Ruthig, BKAG, § 20m Rn. 24 ff.
[44]    BVerfG, Urt. v. 20.4.2016 – 1 BvR 966/09, 1 BvR 1140/09, Rn. 248.
[45]    vgl. BVerfGE 67, 157 (172); 130, 151 (179); st. Rspr.
[46]    BVerfG, Urt. v. 20.4.2016 – 1 BvR 966/09, 1 BvR 1140/09, Rn. 247.
[47]    A.a.O., Rn. 253.
[48]    A.a.O., Rn. 254.
[49]    A.a.O., Rn. 256.
[50]    A.a.O., Rn. 257.
[51]    A.a.O., Rn. 258.
[52]    A.a.O., Rn. 135.
[53]    A.a.O., Rn. 267.
[54]    A.a.O., Rn. 268.
[55]    A.a.O., Rn. 270.
[56]    A.a.O., Rn. 272.
[57]    A.a.O., Rn. 275.
[58]    A.a.O., Rn. 285.
[59]    A.a.O., Rn. 277.
[60]    A.a.O., Rn. 286.
[61]    A.a.O., Rn. 287; in der Entscheidung wird darauf hingewiesen, dass der Sache nach diese Konkretisierung nicht neu sei, vgl. bereits BVerfGE 100, 313 (389 f.) und findet sich unter der Bezeichnung „hypothetischer Ersatzeingriff“ auch in BVerfGE 130, 1 (34).
[62]    A.a.O., Rn. 292.
[63]    A.a.O., Rn. 322.
[64]    A.a.O., Rn. 293.
[65]    A.a.O., Rn. 294 und 302.
[66]    A.a.O., Rn. 303.
[67]    BVerfGE 130, 151 (184).
[68]    BVerfG, Urt. v. 20.4.2016 – 1 BvR 966/09, 1 BvR 1140/09, Rn. 305.
[69]    A.a.O., Rn. 307.
[70]    A.a.O., Rn. 31.
[71]    A.a.O., Rn. 314.
[72]    A.a.O., Rn. 319 ff.
[73]    A.a.O., Rn. 321.
[74]    A.a.O., Rn. 323.
[75]    A.a.O., Ls. 3.
[76]    A.a.O., Rn. 343.
[77]    A.a.O., Rn. 90 bis 144.
[78]    A.a.O., Rn. 90 ff.
[79]    A.a.O., Rn. 119 ff.
[80]    A.a.O., Rn. 134 ff.
[81]    A.a.O., Rn. 136 ff.
[82]    A.a.O., Rn. 287.
[83]    A.a.O., Rn. 95 ff.
[84]    A.a.O., Rn. 321.
[85]    A.a.O., Rn. 323 ff.
[86]    Z.B. § 8a ff. BVerfSchG.
[87]    Z.B. § 9 BVerfSchG, §§ 20g ff. BKAG, § 28 BPolG.
[88]    BVerfG, Urt. v. 20.4.2016 – 1 BvR 966/09, 1 BvR 1140/09, Rn. 143, juris.

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