Abstract
Der Beitrag beleuchtet ausschließlich die geplanten Änderungen des Schöffenrechts. Die Modifikationen des Entwurfs der Bundesregierung laufen auf ein „ununterbrochenes“ Schöffenamt sowie eine strukturelle Reduktion der Auswahllisten für potentielle Kandidaten hinaus, was insgesamt als wenig nachvollziehbar und kontra-produktiv zu bewerten ist. Mit Blick auf die rechtlichen, demokratietheoretischen und sozial-psychologischen Implikationen der „Institution Schöffe“ ist zudem zu konstatieren, dass der „große Wurf“ durch die angedachten Änderungen jedenfalls nicht gelungen ist. Stattdessen verfängt sich das Vorhaben in inneren Widersprüchen und läuft darüber hinaus Gefahr, neue Asymmetrien im Strafverfahren zu verfestigen. Der Beitrag zeigt zudem auf, dass die erhofften Effekte von Laienrichtern auf das Strafverfahren oftmals hinter deren tatsächlicher Wirkung zurückbleiben.
Neben Maßnahmen zur Stärkung der Verfahrensrechte des Beschuldigten[1] sind einschneidende Änderungen der Regelungen über den Einsatz von Schöffen im Strafverfahren – etwas „versteckt“[2] – am Ende des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Strafverfahren und zur Änderung des Schöffenrechts (im Folgenden: RegE) geplant. Bei der „Amtsdauer“ der Laienrichter und bei der Erstellung der Schöffenvorschlagslisten sieht der Gesetzgeber Handlungsbedarf.
Die Aufgabenbeschreibung von Schöffen hat im deutschen Strafverfahrensrecht durch die Regelung in über 27 Vorschriften herausragende Detail- und Regelungsdichte erfahren. Ehrenamtliche Richter[3] dürfen bei Gericht nur auf Grund eines Gesetzes und unter gesetzlich bestimmten Voraussetzungen tätig werden, § 44 Abs. 1 DRiG.[4] Für die amtsgerichtlichen Verfahren wurde von dieser Möglichkeit in den §§ 28-58 GVG Gebrauch gemacht, für das landgerichtliche Verfahren gilt die Spezialnorm des § 77 GVG, die in ihrem Absatz 1 auf die §§ 30 ff. GVG verweist.[5] Soweit das Gesetz nicht gesondert Ausnahmen bestimmt, üben die Schöffen während der Hauptverhandlung das Richteramt in vollem Umfang und mit gleichem Stimmrecht wie die Berufsrichter aus[6] und nehmen an den im Laufe einer Hauptverhandlung zu erlassenden Entscheidungen teil, die in keiner Beziehung zur Urteilsfällung stehen[7] und die auch ohne mündliche Verhandlung erlassen werden können, § 30 Abs. 1 GVG.[8] Dabei ist der ehrenamtliche Richter in gleichem Maße wie der Berufsrichter unabhängig, § 45 Abs. 1 DRiG[9] und zugleich Teil der „rechtsprechenden Gewalt“ i.S. des § 1 DRiG. Keinesfalls ist er daher „Richter 2. Klasse“.[10] Die Beteiligung von Nichtjuristen an der Rechtsprechung dient dazu, den angeblich überbordenden Einfluss des „volksfernen“ Staates zu verringern,[11] ist mithin Ausfluss „demokratischer“[12] bzw. repräsentativer Erwägungen. Andere Nationen entschieden sich durch institutionalisierte Geschworenengerichte sogar für noch weitergehende Formen der „decision by peers“[13], denn die „Volksjustiz“, die einen „Wahrspruch“ erlässt, kommt zunächst bekömmlich daher.[14] Kritiker sehen in Schöffen hingegen nichts anderes als „Sozialromantik des 19. Jahrhunderts.“[15] Ohne Zweifel steckt daher „Emotionalität“ in diesem Thema.[16]
Zu untersuchen ist zum einen, was die geplante Neuregelung des Gesetzesentwurfs der BReg umfasst (I.). Zusätzlich ist von einem interdisziplinären Blickwinkel aus zu betrachten, was die Institution „Schöffe“ bzw. „Laienrichter“ im Strafprozess überhaupt bewirken kann (II.), neben der rechtlichen Aufladung insbesondere aus demokratietheoretischer, individualpsychologischer und gesamtgesellschaftlicher Sicht. Im Anschluss ist zu untersuchen, ob die geplanten Modifikationen den erarbeiteten Zweck(en) tatsächlich förderlich sind, oder ob es sich nicht in Wirklichkeit um vermehrt kontraproduktive Entwicklungen handelt (III.)
I. Reform des Schöffenrechts de lege ferenda
1. Das „dauerhafte“ Schöffenamt
Durch die geplante Aufhebung von § 34 Abs. 1 Nr. 7 GVG entfiele in Zukunft die obligatorische Unterbrechung der Schöffentätigkeit nach zwei aufeinanderfolgenden Amtsperioden (Art. 7 Nr. 1 lit. b RegE). Das bedeutet, dass – laut Gesetzesbegründung – nunmehr „engagierte, erfahrene und motivierte Schöffen […] ihre Tätigkeit fortsetzen und weiterhin zu einer funktionierenden Strafrechtspflege beitragen [können].“[17] Außerdem soll der Katalog der Ablehnungsgründe des § 35 Abs. 2 Nr. 2 GVG ergänzt werden. Schon jetzt kann die Berufung zum Schöffenamt von solchen Personen abgelehnt werden, die „in der vorhergehenden Amtsperiode die Verpflichtung eines ehrenamtlichen Richters in der Strafrechtspflege an mindestens vierzig Tagen erfüllt haben“ oder „bereits als ehrenamtlicher Richter tätig sind“. Parallel zur Streichung des § 34 Abs. 1 Nr. 7 GVG ist angedacht, den Ablehnungsgrund des § 35 Abs. 2 Nr. 2 GVG auf solche Personen zu erweitern, die „in zwei aufeinanderfolgenden Amtsperioden als ehrenamtlicher Richter in der Strafrechtspflege tätig gewesen sind, sofern die letzte Amtsperiode zum Zeitpunkt der Aufstellung der Vorschlagsliste noch andauert“ (Art. 7 Nr. 2 RegE). Geschaffen werden soll auf diese Weise das Amt eines „durchgängig aktiven Schöffen“, der über sein Funktionsende sogar selbst entscheiden können soll.[18]
2. Verkleinerung der Vorschlagslisten für das Schöffenamt
Der Bundesrat hat zudem eine weitere Ergänzung des Gesetzentwurfs angeregt.[19] Der Vorschlag betrifft die Vorschlagslisten für das Schöffenamt, § 36 GVG. Nach bisheriger Rechtslage müssen mindestens doppelt so viele Personen in die Vorschlagslisten aufgenommen werden wie später als Haupt- oder Hilfsschöffen erforderlich sind. Die Zahl der aufzunehmenden Personen soll nunmehr auf das Eineinhalbfache reduziert werden (§ 36 Abs. 4 S. 1 GVG-E). Auch für Jugendschöffen und Jugendhilfs-schöffen wird eine entsprechende Änderung erwogen (§ 35 Abs. 2 S. 1 JGG-E). Da sich seit Jahren keine ausreichende Zahl von Freiwilligen mehr in den Gemeinden finden lasse und zudem die wenigen Freiwilligen schnell enttäuscht seien, wenn sie nicht berufen würden, was nicht nur erhebliches Frustrationspotential beinhalte, sondern zudem in der Regel dazu führe, dass sich diese potentiellen Schöffen nicht mehr erneut zur Wahl stelle, sei diese Maßnahme erforderlich.
II. Der Schöffe aus interdisziplinärer Sicht
1. Strafprozessuale Bedeutung
Der Schöffe ist ein Ehrenamt, das nur von Deutschen ausgeübt werden kann/darf, § 31 S. 1 und 2 GVG. Eingesetzt werden Schöffen ausschließlich bei Strafgerichten, und dort nur in den Tatsacheninstanzen der Amts- und Landgerichte, vgl. §§ 28 ff., §§ 76, 78 GVG.[20] Das amtsgerichtliche Schöffengericht besteht aus einem Richter und zwei Schöffen, § 29 GVG, das erweiterte Schöffengericht zieht einen zweiten Berufsrichter hinzu, § 29 Abs. 2 GVG.[21] Am Landgericht existieren als große Strafkammer die Besetzung mit drei Berufsrichtern und zwei Schöffen, § 76 Abs. 1 Alt. 1 GVG[22] sowie die kleinen Strafkammern mit dem Vorsitzenden und zwei Schöffen, § 76 Abs. 1 Alt. 2 GVG. Werden keine Schöffenspruchkörper gebildet, liegt ein Verstoß gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter vor.[23] Übernimmt entgegen § 29 Abs. 1 S. 2 GVG ein Richter auf Probe den Vorsitz des Schöffengerichts, stellt dieser Verfahrensfehler einen absoluten Revisionsgrund nach § 338 Nr. 1 StPO dar.[24]
Nach § 30 Abs. 1 GVG sind die Schöffen den Berufsrichtern in der Hauptverhandlung gleichgestellt, was damit alle Mitwirkungsrechte der Berufsrichter umfasst.[25] Einer „Kleiderordnung“ unterliegen sie hingegen nicht.[26] Sowohl beim AG als auch beim LG wirken die Schöffen allerdings nur in und während der Hauptverhandlung mit, vgl. §§ 30 Abs. 2, 76 Abs. 1 S. 2 GVG. Damit sind sie beispielweise bei der Entscheidung über Beschlagnahme- oder Durchsuchungsanordnungen nicht zu beteiligen, umstritten hingegen ist die Hinzuziehung bei Entscheidungen über die Verhängung von Untersuchungshaft.[27]
Ein weiterer neuralgischer Punkt ist die Frage der Aktenkenntnis.[28] Während früher jegliche Akteneinsicht der Schöffen kategorisch ausgeschlossen wurde,[29] hat sich die Rechtsprechung inzwischen gewandelt, so dass die Schöffen zumindest Teile der Akten zur besseren Nachverfolgung der Abläufe einsehen dürfen.[30] Den status quo gibt der § 126 Abs. 3 RiStBV wieder.[31] Im Fall Elezi v. Deutschland entschied der EGMR sinngemäß, dass die Schöffen einer großen Strafkammer, die den Beschwerdeführer mitverurteilte, nicht befangen waren, obwohl sie und die Ergänzungsschöffen sich über das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen alle (sechs) Angeklagten in Kenntnis befanden, als ihnen eine Abschrift eines Teils der Anklageschrift aushändigt wurde, die sie außerhalb der Hauptverhandlung lesen sollten. Diese Abschriften enthielten zugleich vorläufige Beweiswürdigungen der Staatsanwaltschaft. Der Beschwerdeführer trug vor, dass es den Schöffen aufgrund dieser Vorgänge nicht mehr möglich sei, unbefangen der Beweisaufnahme zu folgen und rügte eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK als Recht auf einen „unparteiischen Richter“. Der EGMR aber verneinte, dass unter „objektiven Kriterien“ betrachtet die Besorgnis der Befangenheit gerechtfertigt sei, da die Schöffen zuvor von den Berufsrichtern darüber aufgeklärt wurden, dass sie nur ausnahmsweise Akteneinsicht erhielten, die Schöffen dies mittels eigenständiger Erklärungen darlegten und sich nach der Akteneinsicht etliche weitere Sitzungstage anschlossen.[32]
Zu den Gründen für das weiterhin „gestutzte“ Einsichtsrecht, die in der vorgeblichen Unfähigkeit zur Vorurteilsbefreiung der Schöffen im Gegensatz zu den Berufsrichtern liegen, sind unter II.3.a. noch einige Worte zu verlieren.
2. Demokratietheoretische Bedeutung
Der Schöffe soll den/die „Mann/Frau von der Straße“ repräsentieren, denn neben den Voraussetzungen des § 31 GVG bedarf es weder vertiefter Sachkenntnis, noch sonstiger Nachweise seiner Befähigung zur Ausübung der ihm anvertrauten Strafgewalt.[33] Besondere Kenntnisse schaden zwar nicht, doch ist nirgends verbrieft, dass der Schöffe beispielsweise besonders intelligent zu sein braucht.[34] Sinn und Zweck der Schöffen ist vorrangig, den Berufsrichtern (womöglich fehlendes) „soziales Hintergrundwissen“ zu vermitteln.[35] Zudem sollen sie die Nachvollziehbarkeit der ergangenen Entscheidungen sicherstellen und somit die Strafgewalt, die sich unmittelbar vom Volke ableitet, auch auf dieses erden.[36] Oftmals heißt es daher, die Besetzung von Strafgerichten mit Schöffen diene „demokratischen“ bzw. „repräsentativen“ Zwecken.[37] Demokratie heißt – nach unserem Kulturverständnis – „Herrschaft des Volkes“, vgl. Art. 20 Abs. 2 GG. Wesentliches Merkmal ist dabei die „Herrschaft auf Zeit“,[38] welche sich durch wiederkehrende im Voraus festgelegte Wahlverfahren stets aufs Neue legitimieren lassen muss. In repräsentativen Demokratien werden dazu Vertreter gewählt, die die Herrschaftsausübung „im Auftrag“ vollziehen.
Klar ist bereits an dieser Stelle: Da es bei der Aburteilungsmacht eines Gerichtes nicht um exekutivische Gewalt geht, ist der Terminus „demokratisch“ lediglich eingeschränkt verwendbar.[39] Klar ist allerdings auch: Das Benennungs- und Auswahlverfahren für Schöffen sollte zumindest in Ansätzen als durch den Souverän legitimierte „Herrschaft auf Zeit“ ausgestaltet sein.
a) Wie wird man Schöffe?
Um Schöffe zu werden, bedarf es der Aufnahme auf die gemeindliche Vorschlagsliste, die alle fünf Jahre neu aufgestellt wird, § 36 Abs. 1 S. 1 GVG.[40] Der Gemeinderat beschließt über die Listenaufnahme mit qualifizierter 2/3-Mehrheit, näheres regeln die landesspezifischen Normen, § 36 Abs. 1 S. 2 GVG. Gem. § 36 Abs. 2 S. 1 GVG ist bei der Aufstellung auf eine paritätische Verteilung der Kandidaten aus allen Bevölkerungsgruppen zu achten.[41] Weder eine vorher festgelegte Reihenfolge (z.B. alphabetisch oder nach Straßenzug[42]), noch eine Losung der Plätze[43] sind gestattet. Wer nicht auf der Liste stehen möchte, kann binnen einer Woche Einspruch einlegen, § 37 GVG, welcher zusammen mit der Liste nach Verstreichen der Einsichtsfrist, § 36 Abs. 3 S. 2 GVG, an den zuständigen Richter des AG, der zugleich Vorsitzender des Schöffenwahlausschusses ist, §§ 38 Abs. 1, 40 Abs. 2 GVG, weitergeleitet wird. Die Einspruchsprüfung (vgl. auch § 41 GVG) wird ebenfalls vom Vorsitzenden des Schöffenwahlausschusses übernommen, § 39 GVG.
Die eigentliche Wahl der Schöffen wird durch den Schöffenwahlausschuss, § 40 GVG, der neben dem Vorsitzenden Richter und weiteren Verwaltungsbeamten zudem sieben Vertrauenspersonen, die aus dem Gerichtsbezirk berufen werden, § 40 Abs. 2 und 3 GVG, umfasst, vollzogen. Nach § 42 GVG besteht die Hauptaufgabe dieses Schöffenwahlausschusses darin, aus der Vorschlagsliste (die inzwischen nach Durchsicht und Einspruchsprüfung „bereinigt“ ist) mit erforderlicher 2/3-Mehrheit für die jeweils nächsten fünf Jahre Schöffen und Hilfsschöffen zu bestimmen, § 42 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 2 GVG. Die Zahl der zu wählenden Schöffen wird durch den Präsidenten des LG bzw. AG festgelegt, § 43 Abs. 1 GVG, wobei diese so zu kalkulieren ist, dass der einzelne Schöffe nicht über Gebühr, d.h. in der Regel nicht mehr als 12 ordentliche Sitzungstage, abzuleisten verpflichtet sein soll, § 43 Abs. 2 GVG. Hier hat erneut die paritätische Wahl von Einzelpersonen aller Bevölkerungsgruppen im Vordergrund zu stehen, § 42 Abs. 2 GVG. Auch ein Auslosen soll weiterhin nicht möglich sein.[44] Ergebnis der Prozedur ist die endgültige Schöffenliste, § 44 GVG, aus der für die Frage des im Voraus zu bestimmenden, § 45 Abs. 1 GVG, konkret eingeteilten Schöffen gemäß des Geschäftsverteilungsplanes nun ausdrücklich die Auslosung normiert ist, § 45 Abs. 2 S. 1 GVG. Das Los zieht der Richter am AG, der für diese Aufgabe vorab bestimmt wurde, wobei er diese Pflicht weder übertragen noch überlassen darf.[45]
b) Wer wird Schöffe (und wer nicht?)
Über die genauen Zahlen an Schöffen existieren Statistiken.[46] Nach Angaben des Bunderates werden es jedenfalls zunehmend weniger.[47] Mitunter ist es sinnvoller, sich von der anderen Seite her zu nähern: Nicht kann Schöffe werden, wer „unfähig“, § 32 GVG, oder „ungeeignet“ ist, §§ 33, 34 GVG, ablehnt, § 35 GVG, oder – wenn er es bereits auf die Schöffenliste nach § 44 GVG geschafft hat – seines Amtes enthoben oder von der Schöffenliste gestrichen wird, §§ 51, 52 GVG.
Nicht auf die gemeindliche Auswahlliste wegen „Unfähigkeit“ schafft es zum Beispiel, wer infolge Richterspruchs die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter nicht mehr innehat oder gegen wen wegen einer Tat, die diese Folge nach sich zieht, ermittelt wird, § 32 Abs. 1 und 2 GVG.[48] Diskutiert wird an dieser Stelle häufig der Aspekt der „Verfassungstreue“.[49] „Ungeeignet“ ist (Achtung: bloße „Soll“-Vorschrift![50]) nach bisheriger Rechtslage, wer noch nicht 25 Jahre oder bereits über 70 alt Jahre ist, § 33 S.1 Nr. 1 und 2 GVG, nicht in der Gemeinde wohnhafte, Nr. 3, gesundheitlich angeschlagene, Nr. 4,[51] der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtige, Nr. 5, oder in „Vermögensverfall“[52] geratene Bürger, Nr. 6. Ebenso „ungeeignet“ sind gem. § 34 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 und Nr. 5 bestimmte Beamte[53] und (geistliche[54]) Würdenträger sowie gem. Nr. 4 und 5 Angehörige juristischer bzw. verwandter bzw. der Natur der Sache nach verwobener Berufsgruppen.[55] Bisher war gem. Nr. 7 auch ungeeignet, wer bereits in zwei Amtsperioden als Schöffe fungiert hat und dessen zweite Amtszeit zum Zeitpunkt der Aufstellung noch andauert (passend dazu daher auch der § 35 S. 1 Nr. 2 GVG). Die Amtsenthebung bzw. Streichung[56] des Schöffen von der Schöffenliste, §§ 51, 52 GVG spiegelt im Wesentlichen die Anforderungen der Unfähigkeit bzw. Ungeeignetheit.
c) Warum wird man Schöffe?
Über die Beweggründe potentieller Listenkandidaten lässt sich nur spekulieren. Einen kleinen Einblick in das Selbstverständnis der ehrenamtlichen Richter geben die Grundsatzpapiere und Leitlinien des DVS (Bundesverband ehrenamtlicher Richterinnen und Richter e.V. – Deutsche Vereinigung der Schöffinnen und Schöffen), die dieser auf seiner Homepage[57] zur Verfügung stellt. So eine die ehrenamtlichen Richter eine gemeinsame ethische Grundhaltung, die auf zwei tragenden Säulen beruhe: „dem Richterbild des Grundgesetzes und der Verantwortung bei der Ausübung staatlicher Gewalt im staatsbürgerlichen Ehrenamt.“[58] Ehrenamtliche Richter seien als Individuen sozial und kommunikativ kompetent (Punkt I. und III.), zugleich aber respektvoll, tolerant und zurückhaltend (Punkt II.). Trotz (sic.!) ihrer der Berufsrichterschaft gleichgestellten Unabhängigkeit seien sie an Recht und Gesetz gebunden, vermeiden zugleich Vorverurteilungen und Voreingenommenheit sowie politisch tendenziöse Äußerungen oder Verhaltensweisen[59] (Punkte IV., V. und VII.). Ungewöhnlich kommt vor allem Punkt VIII. („Faires Verfahren, Gerechtigkeitssinn“) daher:
„Das ehrenamtliche Richteramt verlangt Denken in gerechten Kategorien. Ehrenamtliche Richterinnen und Richter haben auch Rechtsfragen mit zu entscheiden, allerdings nicht in der rechtswissenschaftlichen Systematik, sondern mit den Mitteln des billig und gerecht Denkenden. Sie tragen zu Transparenz, Verständlichkeit und Plausibilität des Verfahrens und damit zur Akzeptanz der Entscheidungen bei. Das gilt insbesondere, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Vergleich oder eine Verständigung ist. Jeder informellen Erledigung sollen sie durch Geltendmachung ihrer Beteiligungsrechte entgegenwirken.“
Zumindest fraglich ist nämlich, wie sich ein „Entgegenwirken“ bei „informellen Erledigungen“ mit der „Gesetzesbindung“ vereinbaren lässt, sofern hierfür zunächst ein rechtliches Verständnis bestehen müsste, wann eine Erledigung überhaupt „informell“, und wann sie im Gegenzug „rechtmäßig“ ist.[60] Zum Punkt „Faires Verfahren und Gerechtigkeitssinn“ sind unter II.3.b. noch Worte zu verlieren.[61]
d) Stellungnahme zur „demokratischen Rückbindung“ der Schöffen
Es liegen demnach durchaus Elemente der „Herrschaft auf Zeit“ durch im Vorhinein festgelegte Verfahren vor. Ressentiments gegen die „Auslosung“ sind im Grunde unnötig, denn auch aleatorische Modelle der Herrschaftslegitimation sind demokratisch.[62] Die mehrmalige Durchsicht der Listen, die Möglichkeit des Einspruchs, der Nichtbenennung, der Enthebung und der Streichung sprechen für die Rückbindung an den formalisierten Souverän. Indem die Vorschlagsliste vom demokratisch legitimierten „Gemeindeparlament“ erstellt wird, ist eine nahezu ununterbrochene Legitimationskette geschaffen. Probleme ergeben sich daher nicht bei der eigentlichen Wahl der Schöffen, sondern bei deren freiwilliger Selbsternennung. Wenn sich keine Freiwilligen mehr finden, sinkt der Pool der „Geeigneten“, ohne dass dadurch schon die Grenze zu den §§ 32 ff. GVG überschritten werden muss. Demokratie ist nicht nur „Herrschaft auf Zeit“, sondern impliziert die Möglichkeit zum Herrschaftswechsel. Nähert sich die Zahl der Freiwilligen der Null, verkommen Wahl und Losung schnell zur Akklamation aus Verlegenheit.
3. Individualpsychologische Bedeutung
Unabhängig der Gemengelage, aus der sich der Schöffe rekrutiert, ist zudem fraglich, was er im Spruchkörper, dem er beiwohnt, tatsächlich bewirken kann. Dass er in seiner Stimmgewalt dem Berufsrichter gleichgestellt ist, ist bereits erläutert worden, und auch, dass er nur den Vorgängen in und während der Hauptverhandlung beiwohnen soll(te). Doch „nutzt“ er dem Verfahren wirklich? Zu unterscheiden sind hier mögliche Vorteile für das Kollegialorgan und mögliche Vorteile für das Verhältnis von Strafverfahren und Gesellschaft.
a) Was bringt der Schöffe dem Berufsrichter?
Zunächst erscheint es einigermaßen absurd, einem „Profi“ überhaupt einen „Laien“ mit gleicher Entscheidungsgewalt an die Hand zu reichen. Man stelle sich vor, dem Chirurgen würde bei der OP am offenen Herzen ein Passant von der Straße, bewaffnet mit einem Skalpell, zur Seite gestellt, der, wenn er es für nötig erachtet, selbst einen Schnitt setzten darf. Deutlich wird durch diesen Vergleich: Es kann nicht und keiner Form um fachlichen Beistand gehen, denn keine Profession bedarf der Laien, um ihren Job de lege artis zu erfüllen, weshalb auch der Jurist sich an dieser Stelle keine andere Behandlung gefallen lassen muss. Der Berufsrichter weiß selbst und besser, was Rechts- und was Lebenstatsache ist, und vor allem für erstere ist er ausgewiesener Experte.
aa) Schöffe als Experte für das Spezielle?
Wenn es nicht um das juristische Know-How gehen kann, bleibt nur sonstiges Fachwissen übrig. Auch hier scheidet die Offerte von Spezialwissen jedoch aus, denn wenn es um ärztliche Kunstfehler, die Blutalkoholbestimmung[63] oder die Bewertung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen[64] geht, sind Berufsrichter wie Schöffen auf den Sachverständigen angewiesen, §§ 72 ff. StPO. Die Wahl des Sachverständigen obliegt dabei dem Richter, § 73 Abs. 1 S. 1 StPO, wie auch dessen Leitung, § 78 StPO.
bb) Schöffe als Experte für „das Leben“?
Wenn demnach weder Jurakenntnisse noch sonstiges wissenschaftliches Fachwissen durch den Schöffen geleistet werden können und sollen, dann dient er wohl oder übel als „Scharnier zur Lebenswelt“.
Allerdings bestehen in diesem Punkt ebensolche Bauchschmerzen. Weder sind alle Berufsrichter „weltfremd“, noch alle Schöffen „lebensnah“.[65] Hinzu kommt, dass ein Strafrichter allein aufgrund seiner Berufserfahrung schon weitaus mehr „Kontakt zu Straftaten“ hatte als ein Schöffe, der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zum ersten Mal in seinem Leben vor Gericht das Opfer einer Körperverletzung anhört oder das Geständnis eines Fahrers, der sich mutmaßlich unerlaubt vom Unfallort entfernt hat, zu bewerten hat. An „Erfahrung“ in strafrechtlichen Dingen hat der Schöffe daher dem Berufsrichter nichts voraus, und wenn er sie hätte, handelte es sich quasi um „Schrödingers Schöffe“, da er bei einschlägigem Strafrechtskontakt selbst „unfähig“ wäre, § 32 GVG, allerdings genau diesen bräuchte, um „fähig(er)“ als der Berufsrichter zu sein.
cc) Trugschluss des „gesunden Menschenverstandes“
Was bleibt, ist „der gesunde Menschenverstand“. Dieser hat allerdings nicht nur einen sehr geringen Anwendungsbereich, er ist zudem trügerisch und unzuverlässig.[66] So wie der Richter dauerhaft psychosozialen Verzerrungsmechanismen unterworfen ist (Perseveranzeffekte,[67] Schulterschlüsse, kognitive Dissonanz[68]), so unterliegt auch der Laienrichter diesen Verzerrungsfaktoren, denn diese sind weder abtrainierbar noch behebbar. Nicht einmal die Differenzierung nach der vorherigen Aktenkenntnis kann einen Vorteil bieten. Ob der Berufsrichter trotz Aktenkenntnis unvoreingenommen in die Verhandlung gehen kann, ist äußert fraglich[69] (er kann es nicht[70]); verhindert doch das Phänomen des „ironischen Prozesses“ effektiv jedwede Unabhängigkeit der Beteiligten. Der „ironische Prozess“ beschreibt den Umstand, dass die Psyche dazu neigt, genau diejenigen Vorprägungen, die eigentlich verbannt werden sollen, umso intensiver ins Bewusstsein zu brennen.[71] Der Berufsrichter, der sich einbildet, trotz Aktenkenntnis „wie ein leeres Blatt Papier“ in die Verhandlung zu schreiten, irrt ebenso wie der Schöffe, der glaubt, durch sein „ungetrübtes Rechtsgefühl“ den Berufsrichter unvoreingenommen „korrigieren“ zu können.[72] Im Übrigen: Rechtliche Belehrungen, egal von welcher Seite, sind demütigend.[73] Da der Berufsrichter weiß, worauf es ankommen wird, verfällt er schnell in ein priming der Vorverurteilung.[74] Da der Schöffe gerade nicht weiß, worauf es ankommt (und das sogar doppelt, nämlich weder rechtlich noch lebenssachverhaltsbezogen) verfällt er schnell in ein priming der Überforderung,[75] bei dem er im Endeffekt entweder kraft unterlegenen Wissens dem Berufsrichter und dessen Entscheidung folgen wird, oder aber eine absolute „Bauchentscheidung“ trifft,[76] die in etwa so „gerecht“ ist wie das Werfen einer Münze.[77]
dd) „Naiver Realismus“ statt systematischer Rechtswissenschaft
Die oben zitierte Phrase, dass „Denken in gerechten Kategorien“ von Nöten sei und „Rechtsfragen mit zu entscheiden [seien], allerdings nicht in der rechtswissenschaftlichen Systematik, sondern mit den Mitteln des billig und gerecht Denkenden“ ist daher Ausdruck baren Unverständnisses bezüglich der Aufgaben eines Strafverfahrens. Rechtsfragen dürfen selbstredend ausschließlich mithilfe rechtswissenschaftlicher Systematik entschieden werden, weil es ja gerade Rechtsfragen sind, die sich dem Recht aus rechtlicher Betrachtung stellen. Gemeint ist daher wohl die Näherung i.S. einer „just-world-Theorie“,[78] d.h. der naive Glaube daran, dass Gutem widerfährt, wer Gutes tut und vice versa. Das stellt allerdings weder einen Zugewinn in der Sache, noch ein nützliches Korrektiv dar. Zuzugestehen ist nur, dass der Schöffe jedenfalls zu Beginn seiner Tätigkeit dermaßen „unbefleckt“ an das Ganze herangeht, dass er etwaige „Betriebsblindheiten“ aufdecken kann.[79] Das wiederum bezöge sich allerdings ausschließlich auf Unwuchten im Ablauf, nicht hingegen auf den konkreten Fall und den zu fällenden Schuldspruch.
b) Was bringt der Schöffe der Gesellschaft?
Zur Klärung dieser Frage ist erneut das Selbstverständnis der Vereinigung der ehrenamtlichen Richter zu Rate zu ziehen und zu durchleuchten.
aa) Kein Medium der Vermittlung
Der DSV (Deutsche Vereinigung der Schöffinnen und Schöffen, s.o.) geht in Punkt I. seines Grundsatzpapieres davon aus, dass
„Ehrenamtliche Richterinnen und Richter […] Verantwortung für eine rechtsstaatliche Justiz [tragen] und […] für Plausibilität, Transparenz und Verständlichkeit der Gerichtsverfahren und – entscheidungen [sorgen]“.
Das klingt zunächst zwar „plausibel, transparent und verständlich“, zieht allerdings keine Effekte nach sich. Die Verantwortung, die ehrenamtliche Richter tragen, ist durch die Vorschriften des DRiG und bei Schöffen durch das GVG festgelegt. Da es sich hierbei um einfaches Bundesrecht handelt, schöpfen die Schöffen ihre „Verantwortung“ aus der positiv-rechtlichen Zuschreibung. Da allerdings keine grundgesetzliche Verpflichtung zur Erhaltung von Laienrichtern besteht,[80] ist diese Kompetenzanmaßung relativ, da allein von der Legislative abhängig. Des Weiteren ist zwar das Stimmgewicht der Schöffen dem Berufsrichter äquivalent. Die Verhandlungsleitung, die Verlesung des Urteils, das Verfassen der Urteilsgründe sowie das Anordnen von Maßnahmen außerhalb der Hauptverhandlung obliegen dennoch allein den Berufsrichtern. Fraglich ist daher, wo in dieser Ausgestaltung Transparenz und Verständlichkeit generiert werden sollen, vor allem aber auch, für wen. Die Idee der „Legitimation durch Verfahren“ ist nicht neu, aus der procedural-justice Forschung[81] ist bekannt, dass Menschen eher „process-oriented“ und weniger „outcome-oriented“[82] gepolt sind, beides allerdings miteinander verknüpft ist:[83] „Prozedurale Gerechtigkeit ist die Förderung von Ergebnisgerechtigkeit durch Verfahren.“[84] Partizipatorische Verfahrensmodelle sind allerdings auch allein durch Berufsrichter umsetzbar, da es hierbei um die Beziehung des Beschuldigten zum Staat, nicht um die Beziehung der zur Strafgewalt Legitimierten untereinander geht.[85] Die Schaffung von mehr Verständlichkeit allein durch „Beisitz“ von Laien ist in etwa so erfolgsversprechend wie der Versuch, eine fremdsprachige Fernsehübertragung dadurch nachvollziehbarer zu gestalten, indem neben den Fernseher ein schweigender Landsgenosse des Zuschauers gesetzt wird, von dem man zwar ahnt, dass er die eigene Sprache spricht, jedoch nicht weiß, ob er selbst überhaupt irgendetwas von den Inhalten und Abläufen verstanden hat.
bb) Expertenwissen vom Zufall abhängig
In Punkt II. seines Grundsatzpapieres führt der DSV aus:
„Ehrenamtliche Richterinnen und Richter, die Fachwissen in das Verfahren einbringen, erhöhen die Qualität der Rechtsprechung durch kaufmännische, technische, ökonomische, medizinische, landwirtschaftliche oder pädagogische Sachkunde.“
Auch das kann sein, ist allerdings aufgrund des zuvor aufgezeigten Benennungs- und Wahlverfahrens nicht steuerbar. Im Zweifel sitzt der Kaufmann-Schöffe in der Arzthaftungssache, der Mediziner im Streit um das Züchtigungsrecht von Kindern und der Techniker in der Verhandlung über das Vorenthaltung und Veruntreuen von Arbeitsentgelten. Juristisches Fachwissen haben die Berufsrichter selbst, Spezialwissen verschaffen Sachverständige. Der „Mann von der Straße“ hat dazu sicherlich eine „Meinung“, nicht zwangsläufig allerdings Expertise.
cc) Andere, nicht fehlende Kompetenzen
In Punkt III heißt es zudem:
„Ehrenamtliche Richterinnen und Richter verbessern den Anspruch der Bürgerinnen und Bürger auf Justizgewährung. Ihre Beteiligung an der Rechtsprechung ist deshalb in allen Gerichtsbarkeiten anzustreben. Bagatellfälle können ihnen zur eigenständigen Erledigung zugewiesen werden, wodurch sie – auch im Rahmen der Schiedsgerichtsbarkeit – einen nachhaltigen Beitrag zu einer zeitnahen, effizienten und kostengünstigen Rechtsprechung leisten können.“
Weshalb Laienrichter die „Justizgewährung“ verbessern, ist nicht nachvollziehbar. Sie schaffen schließlich kein weiteres Gericht höherer Ordnung, sondern verändern lediglich die funktionelle Zuständigkeit der ohnehin bestehenden Instanzen. Ob Bagatellfälle tatsächlich besser bei Laiengerichten aufgehoben sind, ist hingegen durchaus eine erwägenswerte Überlegung, geht allerdings weit über das hinaus, was nach geltendem Recht zurzeit möglich und zukünftig geplant ist. Richtig ist, dass kompetente und nachhaltige Formen alternativer Streitbeilegung mithilfe kommunikativer Lösungsmechanismen einen wertvollen Beitrag zur Abarbeitung von Rechtsstreitigkeiten leisten könnten.[86] Dann aber wäre der Schöffe erst recht nicht mehr „zufällig“ über Gemeindelisten zu bestimmen, sondern müsste hinreichende Kompetenzen zur alternativen Streitschlichtung nachweisen, die zwar denen des Juristen, was die Fachkenntnisse des Rechts betrifft, verschieden sind, diesen allerdings – um sinnvoll wirken zu können – in keiner Art und Weise nachstehen dürften.
c) Stellungnahme zum „Nutzen“ für Berufsrichter und Gesellschaft
Der Schöffe ist ein Überbleibsel eines früheren Systems, in dem es noch weitaus wichtiger war, Vertrauen in die Obrigkeit zu erhalten. Dem Berufsrichter kann er nur bedingt zu Seite stehen, der Gesellschaft kann er aufgrund seiner restringierten Möglichkeiten zur tatsächlich diskursiven Vermittlung von „Recht“ lediglich geringen Mehrwert bieten. Das harte Urteil Kühnes ist für Schöffen in ihrer bisherigen Ausgestaltung daher zutreffend: Sie sind „überlebte Reminiszenz mit Spuren basisdemokratischer Verklärung.“[87]
III. Bewertung und Kritik der geplanten Änderungen im RegE
Nach diesem Ausflug in Grund und Grenzen des Schöffenamtes ist eine abschließende Bewertung der angedachten Gesetzesmodifikationen möglich.
1. Zum „ununterbrochenen Schöffenamt“
Geschaffen würde durch die Änderungen (siehe oben I.1.und I.2.) das Amt eines „durchgängig aktiven Schöffen“, der zudem über sein Funktionsende selbst entscheiden können soll.[88]
Dieser Vorschlag ist umfassend negativ zu beurteilen.[89] Wie aufgezeigt, liegt der tatsächliche Mehrwert, den ein Schöffe in das Strafverfahren einbringen kann, in seiner „Unbeflecktheit“ bezüglich der Kenntnis strafverfahrensrechtlicher Abläufe. Würde nunmehr die Möglichkeit eröffnet, für mehr als zwei aufeinanderfolgende Amtsperioden (was bereits zehn Jahren Amtszeit entspricht) eine weitere Verstetigung bis zum 75. Lebensjahr zu erwirken, während neben dem „Quereinstieg in die Justiz ohne Jurastudium“ der letzte Rest an „Vorteil“, den der Schöffe gegenüber dem Berufsrichter innehaben kann, eingeebnet. Sofern er über Jahrzehnte den Richter „spielt“, wird er die technischen und juristischen Abläufe besser und besser verstehen, sich zwangsläufig „Sachkunde“ aneignen und einen Erfahrungsschatz anhäufen. Basiert diese nebenberufliche Entfaltung durch „learning by doing“ jedoch nicht auf einem grundständigem Studium der Rechtswissenschaft, der Ableistung des Vorbereitungsdienstes und dem Bestehen des 2. Staatsexamens, kann allenfalls „gefährliches Halbwissen“ über „Recht“, „Gerechtigkeit“, „Justiz“ und „Strafe“ erworben werden.[90] Halbwissen wird dabei auch nicht durch „ethische Überformung“ domestiziert, sondern entwickelt ein Eigenleben, welches wegen der Gleichstellung zum Stimmgewicht des Richters die ohnehin gefährdete „Verfahrensbalance des Strafverfahrens“[91] weiter perturbierte. Ältestengerichte in „Gacaca-Manier“ haben zwar ihre Berechtigung, da sie als wirkmächtige Mechanismen der transitional justice kollektive Traumata ganzer Gesellschaften aufarbeiten können.[92] Von dieser Sonderform ist das deutsche Schöffensystem mit seiner institutionellen Einbindung jedoch schon prinzipiell verschieden.
Dass das Ende des Schöffenamtes über das 65. Lebensjahr hinaus weiterhin in der Hand des Schöffen selbst liegen soll, ließe sich allein mit der demographischen Gesamtsituation, keinesfalls allerdings über die angebliche Transparenzfunktion oder Verständlichkeitsfiktion legitimieren. Die Kluft zwischen einem 75-Jährigen Schöffen und einem 15-Jährigen Straftäter bereitet mehr Übersetzungsschwierigkeiten als Verständigungspotenziale.
2. Zur „Verkleinerung“ der Vorschlagsliste
Die bisherigen Regelungen zur Erstellung der Auswahllisten beruhen auf dem Gedanken, dass nur dann von einer echten Wahl gesprochen werden kann, wenn mehr Personen verfügbar sind als tatsächlich gebraucht werden. Bei einer Absenkung der Listenplätze auf das lediglich Eineinhalbfache wird diese Hürde gerissen. Zwar wird im Gegensatz dazu in der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit auf eine Mindestzahl von Kandidaten in der Vorschlagsliste gänzlich verzichtet (§ 20 ArbGG, § 14 SGG). Je geringer allerdings die Kandidatenzahl, desto größer wird die Gefahr, dass die gemeindlich generierte Vorschlagsliste die eigentliche Wahlentscheidung antizipiert und den Wahlausschüssen kein ausreichender Spielraum für eine eigene, wirkliche Wahlentscheidung mehr verbleibt.[93] Aus ohnehin restringierter Wahl würde nach und nach reine Akklamation. Die Bundesregierung hat daher schon in ihrer Stellungnahme zutreffend darauf hingewiesen, dass dies in besonderem Maße für später notwendig werdende Ergänzungswahlen gilt: Erfahrungsgemäß sei während einer Schöffenperiode mit einer gewissen Anzahl von Streichungen von der Schöffenliste und Heranziehung von Hilfsschöffen zu rechnen.[94]
Soll das angeblich „demokratisch“ (dazu oben) so wichtige Amt des Schöffen tatsächlich demokratisch bleiben, muss es mit der aufkeimenden „Politikverdrossenheit“ seiner Bürger auskommen. Wenn die Listen nicht „voll“ werden, ist das entweder ein Zeichen für fehlendes Verständnis für die Notwendigkeit des Schöffenamtes in der Gesellschaft oder zumindest für fehlende Kommunikation über das Verständnis dieses Amtes in der Gesellschaft. Beides ist nicht über eine Verkleinerung der Auswahlliste behebbar. Die angestrebte Modifikation ist damit schon nicht geeignet zur Behebung des Missstandes.
IV. Gesamtfazit
„Solche Schwierigkeiten hat der Mann vom Lande nicht erwartet; das Gesetz soll doch jedem und immer zugänglich sein, denkt er […].“
Reformen, die unter dem Titel „Zweites Gesetzes zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Strafverfahren“ firmieren, sollten darauf ausgerichtet sein, den Zugang zum Recht für den Rechtsunterworfenen zu erleichtern. Zentralfigur des Strafprozesses ist der Beschuldigte.[95] Fehl ginge, wer in diesem Bild den Schöffen
als „Türhüter“ vor dem Gesetz verstünde, der dieses dem Beschuldigten erst zugänglich macht. Zum einen, weil der Schöffe als Teil des Gerichts ohnehin am „triadischen Kräftefeld“[96] partizipiert, allerdings nicht auf Seiten des Beschuldigten, sondern auf Seiten der „Inkulpationsmaschinerie“. Zum anderen, weil es für den „Zugang“ zum Recht keiner Laien bedarf, die „übersetzen“, was sie verstanden zu haben glauben, sondern vielmehr der sinnstiftenden Kommunikation zwischen allen Beteiligten. Weder dürstet das Strafverfahren daher nach dem dauerhaften Schöffenamt, noch nach der Verringerung des Auswahlpools und erst recht nicht nach der Kombination beider Maßnahmen: „Alle streben doch nach dem Gesetz“; nicht nur die Schöffen!
[1] Dazu Esser, in KriPoZ 3/2017.
[2] In den drei bisherigen Stellungnahmen zum RegE (BDK, BDR und DVJJ) widerspricht nur der BDR ausdrücklich: „Die angedachte Regelung stellt den Sinn des Schöffenamts in Frage. Eine Wahl ins Schöffenamt ohne eine zeitliche Beschränkung führt zu einer nicht gewollten Professionalisierung. Lediglich das Erreichen des Lebensalters von 75 Jahren als zeitliche Beschränkung einzusetzen ist weder angemessen noch sachlich gerechtfertigt.“
[3] Die unterschiedlichen Bezeichnungen „Schöffe“, „Handelsrichter“ und „Ehrenamtlicher Richter“ ergeben sich aus § 45a DRiG.
[4] Das erfordert auch Art. 6 EMRK, vgl. EGMR Posokhov v. Russland, Urt. v. 04.03.2003, Individualbeschwerde Nr. 63486/00; Esser, in: LR-StPO, Bd. 11, 26. Aufl. (2012), Art. 6 Rn. 136.
[5] Im JGG finden sich Regelungen in den §§ 33-33b, 35 JGG.
[6] BGHSt 43, 36.
[7] Z.B. §§ 228 Abs. 1 S. 1, 230 Abs. 2, 231 Abs. 2, 231a Abs. 3 S. 1, 231b, 231c, 238 Abs. 2 StPO; §§ 171a, 171b, 174 GVG.
[8] Zu den Grenzen der Beteiligung genauer unter II.1. und bei Meyer-Goßner/Schmitt, 59. Aufl. (2016), § 30 GVG Rn. 3 sowie Heinrich, Verhandlungsverantwortung und Verhandlungsleitung im Kollegialgericht, 2015, S. 80 ff.
[9] Und daher tauglicher Täter des § 336 StGB, so Barthe, in: KK-StPO, 7. Aufl. (2013), § 31 GVG Rn. 3; die Unabhängigkeit ist auch im Rahmen von Art. 6 EMRK erheblich, dazu eingehend Esser, in: LR-StPO, Bd. 11, 26. Aufl. (2012), Art. 6 Rn. 156 ff.
[10] Treffend Satzger, Jura 2011, 518.
[11] Schöne Darlegung der Argumente bei Satzger, Jura 2011, 518 (519 f.) m.w.N.
[12] Vgl. z.B. Anger, NJW 2008, 3041.
[13] Lewisch, JBl. 2012, 496 (499); zum Unterschied zu den „Geschworenen“ und zur Geschichte instruktiv Satzger, Jura 2011, 518 (519 ff.) und Machura, RoR 2000, 111 f.; aus Sicht der EMRK sind Geschworenengerichte zulässig, da die EMRK keine absoluten Vorgaben an die nationalen Verfahrenssysteme setzt, vgl. Esser, in: LR-StPO, Bd. 11, 26. Aufl. (2012), Art. 6 Rn. 238 m.w.N.
[14] Moos, JBl. 2010, 73 (76).
[15] Volk, in: FS Dünnebier, 1982, S. 373, zitiert bei Satzger, Jura 2011, 518 (520); ähnlich auch Kühne, ZRP 2005, 237 (238).
[16] Gegen die Schöffenbeteiligung exemplarisch Duttge, JR 2006, 358 ff.; Kühne, in: FS Amelung, 2009, S. 657 (667 f.); Kühne, ZRP 2005, 237 (238); gegen zu harsche Kritik an der Institution Schöffe hingegen Börner, ZStW 122 (2010), 157 ff.
[17] RegE, S. 30.
[18] A.a.O.
[19] BR-Drs. 419/16 = BT-Drs. 18/10025, S. 1 ff.
[20] Aus der Sicht eines Richters vgl. Heinrich, Verhandlungsverantwortung und Verhandlungsleitung im Kollegialgericht, 2015, S. 79 ff.
[21] Laut Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 29 GVG Rn. 2 kaum noch verbreitet.
[22] Zur sonstigen Besetzung mit zwei Berufsrichtern und zwei Schöffen vgl. § 76 Abs. 2 S. 4 GVG.
[23] Güntge, in: SSW-StPO, 2014, § 28 GVG Rn. 1.
[24] Barthe, in: KK-StPO, § 29 GVG Rn. 3.
[25] Näher Güntge, in: SSW-StPO, § 30 GVG Rn. 1 ff.
[26] Bader, NJW 2007, 2964 (2965).
[27] Vgl. Güntge, in: SSW-StPO, § 28 GVG Rn. 3 m.w.N.; Barthe, in: KK-StPO, § 30 GVG Rn. 5a-c; Börner, ZStW 122 (2010), 157 (161 ff.).
[28] Zum Streitstand m.w.N. Barthe, in: KK-StPO, § 30 GVG Rn. 2; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 30 GVG Rn. 2; Ellbogen, DRiZ 2010, 136 ff.; Börner, ZStW 122 (2010), 157 (181 ff.).
[29] So schon RGSt 69, 120 (124) und noch BGHSt 13, 73 (74); ebenso Börner, ZStW 122 (2010), 157 (181 ff.) m.w.N.
[30] So BGHSt 43, 36 (39), Satzger, Jura 2011, 518 (523) m.w.N.
[31] „Die Anklageschrift darf den Schöffen nicht zugänglich gemacht werden. Ihnen kann jedoch, namentlich in Verfahren mit einem umfangreichen oder schwierigen Sachverhalt, für die Dauer der Hauptverhandlung eine Abschrift des Anklagesatzes nach dessen Verlesung überlassen werden.“
[32] EGMR Elezi v. Deutschland, Urt. v. 12.06.2008, Individualbeschwerde Nr. 26771/03, §§ 47-51; besprochen u.a. von Ellbogen, DRiZ 2010, 136 ff.
[33] Welche wegen § 24 Abs. 2 GVG identisch zu der des Strafrichters ist, vgl. auch Barthe, in: KK-StPO, § 29 GVG Rn. 7.
[34] Fast schon spöttisch dazu Güntge, in: SSW-StPO, § 31 GVG Rn. 3 und Satzger, Jura 2011, 518 (521): „keine auch nur durchschnittlichen intellektuellen Fähigkeiten […].“
[35] Güntge, in: SSW-StPO, § 29 GVG Rn. 1.
[36] Satzger, Jura 2011, 518 (520).
[37] Vgl. z.B. das „Grundsatzpapier“ des DSV, bzw. das „Rechtspolitisches Programm des Bundesverbandes ehrenamtlicher Richterinnen und Richter e.V.“, Punkt I, abrufbar auf http://www.schoeffen.de/grundsatzpapiere.html (zuletzt abgerufen am 19.2.2017).
[38] Aus neuester Zeit BVerfG, Beschl. v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12 (Treaty Override), Rn. 2, 53 = NJW 2016, 1295 ff.
[39] So aber vor allem das „Grundsatzpapier“ des DSV (vgl. Fn. 37), Punkt I. Zum Problem der demokratischen Struktur der 3. Gewalt eingehend Tschentscher, Demokratische Legitimation der dritten Gewalt, 2006, S. 145 ff.
[40] Zum Ablauf auch Satzger, Jura 2011, 518 (521 ff.), kritisch zum Ablauf aber auch zur Bewertung durch die Praxis Katholnigg, NStZ 1992, 73 ff.
[41] Zu diesem Grundsatz auch Bader, NJW 2007, 2964.
[42] Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 36 GVG Rn. 2.
[43] BGHSt 38, 47.
[44] BGHSt 33, 41; a.A. aber LG Frankfurt a.M., Urt. v. 28.11.1984 – 94 Js 31 732/83 – Ns = NJW 1985, 155 ff.
[45] Güntge, in: SSW-StPO, § 45 GVG Rn. 7.
[46] Beim Statistischen Bundesamt ist in der Fachserie 10 zumeist herauszulesen, wie viele Verfahren vor einem Schöffengericht abgeurteilt wurden und wie viele ehrenamtliche Richter es gibt. Auf der Seite des BMJ existiert zwar ein Link zur Zahl der tätigen Schöffen, dieser ist jedoch defekt (Stand 2/2017)
[47] BR-Drs. 419/16, S. 2; so auch schon App, MDR 1987, 106.
[48] Eingehend auch Barthe, in: KK-StPO, § 3 GVG Rn. 5.
[49] Vgl. vor allem BVerfG, Beschl. v. 6. 5. 2008 – 2 BvR 337/08 = NJW 2008, 2568; dazu Anger, NJW 2008, 3041 (3042 ff.); zur Kopftuch tragenden Schöffin LG Dortmund, Beschl. v. 7. 11. 2006 – (VIII) Gen. Str. K. = NJW 2007, 3013; vgl. dazu auch Bader, NJW 2007, 2964 ff. und KG Berlin, Urt. v. 9.10.2012 – (3) 121 Ss 166/12 (120/12) = StraFo 2013, 164 ff.; Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen Partei allein genüge hingegen nicht, so Barthe, in: KK-StPO, § 32 GVG Rn. 8.
[50] Barthe, in: KK-StPO, § 33 GVG Rn. 1.
[51] Dazu Barthe, in: KK-StPO, § 33 GVG Rn. 1c.
[52] Kritisch dazu schon App, MDR 1987, 106 ff. (zum § 32 Nr. 3 GVG a.F.).
[53] Nicht Abgeordnete des Europaparlaments, vgl. LG Heidelberg, Beschl. v. 4.12.1987 – 1 AR 6/87 m. Anm. Wahl, NStZ 1988, 316 (317 f.).
[54] Eine Gemeindereferentin der katholischen Kirche ist hingegen kein „Religionsdiener“, so OVG NRW, Beschl. v. 6.12.2001 – 16 F 56/01 = NVwZ-RR 2002, 325.
[55] Auch bereits der Rechtsreferendar, vgl. AG Tiergarten, Beschl. v. 8.3.1989 – 245 Sam IIa 324/89; a.A. jedoch Barthe, in: KK-StPO, § 34 GVG Rn. 5; zu einer Sonderkonstellation in Bezug auf das BAG vgl. VG Kassel, Urt. v. 25.4.1979 – I E 401/77. Ebenso ist die gleichzeitige Funktion als Berufs- und Laienrichter ausgeschlossen, auch in der Sozialgerichtsbarkeit, vgl. SG Leipzig, Beschl. v. 23.1.2010 – S 1 SF 11/10 ERI.
[56] Welche nur Ausnahmsweise möglich sein soll, dazu BGHSt 9, 203 ff.
[57] Vgl. http://www.schoeffen.de/ (zuletzt abgerufen am 19.2.2017).
[58] Vgl. hierzu und zum folgenden Sens/Lieber, Ethische Grundsätze der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter, S. 1-2, abrufbar auf http://www.schoeffen.de/grundsatzpapiere.html (zuletzt abgerufen am 19.2.2017).
[59] Zur „Kopftuch tragenden Schöffin“ und weiteren Problemfällen Bader, NJW 2007, 2964 ff. und Fn. (49).
[60] Vor allem, weil Schöffen im Rahmen des § 257c StPO ohnehin quasi außen vorgelassen werden, so Strate, NStZ 2010, 362 (364 f.) bzw. sich kaum gegen die „einigen Parteien“ auflehnen, Fischer, StraFo 2009, 177 (183); weniger pessimistisch hingegen Satzger, Jura 2011, 518 (525); Börner, ZStW 122 (2010), 157 (194 ff.).
[61] Zu den teilweise bedenklichen „Fairnessüberlegungen“ der Laienrichter vgl. die Studie von Machura, RoR 2000, 111 ff.: „Die Befragten waren vor allem dann mit ihrer Rolle als Schöffen zufrieden, wenn sie sich von den vorsitzenden Berufsrichtern als Partner akzeptiert gefühlt haben. Wichtig für das Zufriedenheitsgefühl sind dann auch die Bewertungen der Urteile. Die wahrgenommene Gerechtigkeit der Strafnormen ist ebenfalls von Bedeutung für die Rollenzufriedenheit. Auch die Faktoren „Freude/Ehre“ und „interessante Fälle“ tragen zur Rollenzufriedenheit bei. Die faire Behandlung der Angeklagten war demgegenüber weniger entscheidend. Das muss allerdings vor dem Hintergrund gesehen werden, dass die Schöffen ein hohes Niveau richterlicher Fairness wahrnahmen. […] Die Verhandlungen des letzten Gerichtstages wurden von 52 % für „sehr fair“ und von 39 % für „fair“ gehalten. Skeptischere Meinungen hatten nur 4 % von der Fairness der Verhandlungen. Die Befragten beurteilten die Verfahren besonders dann als fair, wenn die vorsitzenden Richter aus ihrer Sicht die Angeklagten fair behandelten.“ Ob die befragten Schöffen „Fairness“ tatsächlich in Form der Verfahrensgerechtigkeit verstanden, wird nicht deutlich. Zu dieser Ausprägung Tschentscher, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, 2009, S. 121 ff.
[62] Einen guten Überblick verschaffen Bender/Graßl, ApuZ 2014, 31 ff. Zufallswahlen sind nicht per se abzulehnen, so auch Katholnigg, NStZ 1992, 73 ff.
[63] Vgl. die Nachweise bei Bosch, in: SSW-StPO, § 73 Rn. 8.
[64] Vgl. nur BGHSt 7, 85; 32, 12.
[65] So auch Kühne, ZRP 2005, 237 (238). Zu den unterschiedlichen „Milieus“ von Berufsrichtern und Schöffen in Auswertung einer empirischen Studie Machura, RoR 2000, 111 (113 ff.): „Die Berufsstruktur der Schöffen ist insoweit unglücklich, da die Lebensumstände der Angeklagten zu vielen Schöffen fremd sein dürften (das gilt entsprechend auch für die Berufsrichter). Vermutlich wären Arbeiter-Schöffen die Verhältnisse der oft in prekärer ökonomischer Lage befindlichen Angeklagten immer noch näher als dem Devisenmakler oder beamteten Lehrer.“
[66] Mit ähnlichen, empirisch belegten Kritikpunkten (Überforderung, Selbstüberschätzung etc.) Duttge, Jenseits der Illusionen, in: Texte und Ergebnisse des 36. Strafverteidigertages Hannover, 2013, S. 203 (207 ff.).
[67] Mit der Pionierleistung Schünemann, StV 2000, 159 ff.
[68] Eingehend und ausführlich hierzu Gerson, Das Recht auf Beschuldigung, 2016, S. 150 ff., 250 ff.
[69] St. Rspr. seit RGSt 59, 409 f.; vgl. auch BGH, NStZ 2011, 46; BVerfG, Beschl. v. 26.1.1971 – 2 BvR 443/69, Rn. 15.
[70] Umfassend hierzu Gerson, Das Recht auf Beschuldigung, S. 150 ff., 250 ff. m.w.N. Inzwischen sollte das Wissen um die „Unfähigkeit zur Unbefangenheit“ i.e.S. zum Allgemeingut gehören; rneut aktuell hierzu Sommer, in LTO v. 24.1.2017, http://www.lto.de/recht/hintergruende/h/fehlurteile-strafprozess-richter-entscheidungspsychologie/ (zuletzt abgerufen am 6.3.2017).
[71] Zu den Grundlagen Wegner, Psychological Science 8/1997, 148 ff.; Wegner/Ansfield/Pillow, Psychological Science 9/1998, 196 ff. m.w.N. der umfangreichen Studien.
[72] Zu dieser ursprünglich angedachten „Publizitätskontrolle und Informationsmehrung“ vgl. Barthe, in: KK-StPO, § 29 GVG Rn. 4; Börner, ZStW 122 (2010), 157 (190) sieht aber gerade wegen dessen „Unkenntnis“ den Schöffen als „Garant der Unmittelbarkeit und Mündlichkeit der Hauptverhandlung“.
[73] Braun, JuS 1996, 287 (288).
[74] Zum priming vgl. nur Kahneman, Schnelles Denken, Langsames Denken, 2011, S. 69 ff.; Murphy/Zajonc, Journal of Personality and Social Psychology 64/1993, 723 ff.; Higgins/Rholes/Jones, Journal of Experimental Social Psychology 13/1974, 141 ff.
[75] Grundlagen der overconfidence bei Larrick/Burson/Soll, Organizational Behavior and Human Decision Processes 102/2007, 76 ff.; Brenner/Koehler/Liberman/Tversky, Organizational Behavior and Human Decision Processes 65/1996, 212 ff.; Juslin, Organizational Behavior and Human Decision Processes 57/1994, 226 ff.
[76] Eingehend hierzu Glöckner, Entscheidungsverhalten von Schöffen. Forschungsbericht des Max-Planck-Instituts zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern, 2011.
[77] Oder das „Würfeln“, dazu Englich/Mussweiler/Strack, Personality and Social Psychology Bulletin 32/2006, 188 ff.; Hinzu kommt, dass der Schöffe den im System strukturell angelegten „Machtüberschuss“, welcher der Rolle des Richters immanent ist, weder durchschauen noch verhindern kann; zu den Ursachen und Folgen schwer beherrschbarer richterlicher Macht instruktiv Sommer, StraFo 2017, 1 ff.
[78] Vgl. dazu Bock, ZIS 2013, 201 f.; grundlegend auch Lerner, The Belief in a Just World – A Fundamental Delusion, 1980, S. 11 ff.
[79] Dieser Fähigkeit geht empirisch besehen recht schnell verloren, so Machura, RoR 2000, 111 ff.: „Eine nähere Analyse ergibt, dass die Schöffen sich dann mehr an der Beratung beteiligten, wenn sie sich vom Berufsrichter fair behandelt fühlten, wenn sie Gelegenheit erhielten, ihre Meinung einzubringen. Drei Viertel der Schöffen gaben an, nur „manchmal“ oder noch seltener eine andere Meinung als der Richter zu vertreten. Wer längere Jahre als Schöffe tätig war, erscheint etwas angepasster, vertritt etwas seltener eine andere Meinung. Je häufiger sich Befragte an Beratungen beteiligt hatten, desto häufiger vertraten sie eine andere Meinung. Außerdem gilt: Je mehr Zeitdruck in der Beratung, desto seltener können Schöffen eine andere Meinung einbringen.“ Erneut bestätigt in Glöckner, Entscheidungsverhalten von Schöffen. Forschungsbericht des Max-Planck-Instituts zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern, 2011.
[80] Duttge, Jenseits der Illusionen, S. 203 (204); Harms, RuP 2005 (224 ff.); Börner, ZStW 122 (2010), 157 (158 f.); a.A. wohl Anger, NJW 2008, 3041 (3042); App, MDR 1987, 106. In BVerfGE 18, 241 heißt es jedoch nur, dass sich Schöffen auch auf Art. 92, 97 GG berufen können, nicht, dass diese Artikel die Existenz von Laienrichtern verlangen.
[81] Grundlagen bei Tschentscher, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, S. 118 ff.
[82] Grundlegend Lind/Tyler, The social psychology of procedural justice, 1988.
[83] Tschentscher, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, S. 123 ff.
[84] A.a.O., S. 131.
[85] Zur Idee des partizipatorischen Ermittlungsverfahrens Jahn, ZStW 115 (2003), 815 ff.; Jahn, NJ 2005, 106 (110 f.); Jahn, in: FS Kirchhof, 2013, § 128 Rn. 6.; Satzger, Gutachten C zum Dt. Juristentag, 2004, S. 32 ff., 38 ff.
[86] Zu den seit den 1980er Jahren etablierten „Neighborhood Justice Centers“ vgl. Röhl/Röhl, DRiZ 1980, 421 ff.
[87] Kühne, Strafprozessrecht, 9. Aufl. (2015), § 5 Rn. 117.
[88] So der RegE, S. 30.
[89] So auch die Stellungnahme des BDR, vgl. Fn. (2).
[90] So auch Duttge, Jenseits der Illusionen, S. 203 (210).
[91] Begrifflichkeit nach Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, 28. Aufl. (2014), § 69 Rn. 1. Ausformuliert und als Modell der kommunikativen Autonomiebeziehungen interpretiert bei Gerson, Das Recht auf Beschuldigung, S. 321 ff.
[92] Dazu das Paper von Gabisirege/Babalola, Trauma et thérapie: les juridictions-gacaca comme espace de travail de deuil et de guérison du trauma, 2005; instruktiv auch Knust, Strafrecht und Gacaca. Entwicklung eines pluralistischen Rechtsmodells am Beispiel des ruandischen Völkermordes, 2013.
[93] Das käme einer bloßen Übernahme der Vorauswahl gleich, was nicht zulässig ist, vgl. BGHSt 35, 190 (193).
[94] Vgl. BT-Drs. 18/10025, S. 5 f.
[95] Rogall, in: SK-StPO, 4. Aufl. (2010), Vorb. § 133 Rn. 9; Kühne, Strafprozessrecht, § 4 Rn. 102.
[96] Kühne, Strafprozessrecht, § 9 Rn. 179; Kühne, GA 2008, 361 (362).