1. Das Wissenselement des bedingten Tötungsvorsatzes bei illegalen Autorennen ist gegeben, wenn die extreme Gefährlichkeit der Tathandlung geeignet ist, jedem Verkehrsteilnehmer deutlich vor Augen zu führen, dass ein solches Verhalten tödliche Folgen zeitigen konnte. Dies gilt insbesondere für im Kollisionszeitpunkt erreichte Geschwindigkeiten, die fast das Dreifache der zulässigen Höchstgeschwindigkeit betragen. Ein lediglich fahrlässiges Verhalten liegt dann nicht mehr nahe.
2. Bei illegalen Autorennen mit extrem überhöhten Geschwindigkeiten kann die Gesamtschau der Tatumstände dafür sprechen, dass sich die Fahrer mit der tödlichen Tatbestandsverwirklichung abgefunden haben und insoweit auch das voluntative Element erfüllt ist. (Leitsätze der Schriftleitung)
Tenor:
Die Angeklagten werden wegen Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt.
Ihnen wird die Fahrerlaubnis entzogen. Die dem Angeklagten H … und N … ausgestellten Führerscheine werden eingezogen.
Die zuständige Verwaltungsbehörde wird angewiesen, beiden Angeklagten lebenslang keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.
Die Angeklagten haben die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Nebenkläger zu tragen.
Angewendete Vorschriften:
§§ 211, 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5, 315c Abs. 1 Nr. 2 lit. a und d, 25 Abs. 2, 52, 69 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 Nr. 1, 69a Abs. 1 S. 2
G r ü n d e:
Verfahrensgegenstand
Gegenstand des Verfahrens ist das so genannte „Autorennen auf dem Kurfürstendamm“. Bereits das Ermittlungsverfahren war von größtem medialen Interesse begleitet. Es wurde schnell vermutet, dass es sich um ein vorab organisiertes illegales Autorennen durch die Berliner City-West gehandelt habe, bei welchem ein völlig Unbeteiligter unter den Augen von bestellten Zuschauern zu Tode gekommen war. Deshalb wurden schon während des Laufs der Ermittlungen seitens der Medien und Teilen der Politik drakonische Strafen und Änderungen der Strafgesetze gefordert. Tatsächlich hat sich aber schon während des Ermittlungsverfahrens gezeigt, dass es weder einen organisierten Hintergrund der Tat noch eine Verabredung von langer Hand gegeben hat, sondern dass es sich um eine spontane Tat zweier Raser handelte, weshalb die Kammer bei der Durchführung des Verfahrens und der Hauptverhandlung besonderes Augenmerk auf den Grundsatz des „fair trial“ gelegt hat.
Persönliche Verhältnisse der Angeklagten
[…]
Tatgeschehen
Vorgeschichte
Beide Angeklagte gehören zu einer Szene von Autonarren, die nachts in Berlin in verschiedenen Shisha-Bars verkehren. […]
Drei Tage vor der hiesigen Tat fuhren der Angeklagte H mit seinem Auto und die Zeugin A als Beifahrerin zusammen mit dem Zeugen Y in dessen Auto vom … zu einer Shisha-Bar an der Urania. Der Angeklagte H fuhr dabei mit dem Zeugen Y um die Wette, wobei der Weg den Kurfürstendamm entlang, vorbei an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche und dem Europacenter, die Tauentzien-straße entlang, vorbei am Wittenbergplatz bis zur Urania führte; den Weg also, der später im Verlaufe der verfahrensgegenständlichen Tat auch eingeschlagen werden sollte. Es wurden dabei Geschwindigkeiten von über 70 km/h gefahren und teilweise rote Ampeln missachtet. Beide Angeklagte lernten sich bei ihren Besuchen spätestens eine Woche vor der hiesigen Tat im … kennen, als sie beide zusammen mit den Zeugen B und M an einem Tisch saßen und über schnelle Autos redeten.
Tatgeschehen
Am Abend des 31.1.2016 hielt sich der Angeklagte N mit der Zeugin und Nebenklägerin K nach einem Besuch im Steakhaus … ab etwa 22:30 Uhr in der „Shisha-Lounge …, unweit des S-Bahnhofs Halensee auf. Gegen 00:30 Uhr am 1.2.2016 verließen beide das … und bestiegen den vor der Bar abgestellten Mercedes-Benz AMG CLA 45, amtliches Kennzeichen …, des Angeklagten N, der die Zeugin K nach Hause in die … Straße bringen wollte. Der Weg sollte über den Kurfürstendamm, Tauentzienstraße und Wittenbergplatz Richtung Bülowstraße führen. Der Angeklagte fuhr das Fahrzeug und die Zeugin saß auf dem Beifahrersitz. Die Fahrt ging zunächst vom … den Kurfürstendamm in östlicher Richtung folgend Richtung Adenauerplatz. Auf dem Weg dorthin überholte der Angeklagte N den Pkw „Aston Martin“ des Zeugen Dr. S mit etwa 130 km/h. Der Zeuge verstand dies als Aufforderung zu einer Wettfahrt, ließ sich aber nicht darauf ein. Am Adenauerplatz angekommen, hielt der Angeklagte an der rotes Licht abstrahlenden Lichtzeichenanlage in der rechten Fahrspur direkt an der Haltelinie mit heruntergelassener Fahrerseitenscheibe an.
Der Angeklagte H, der sich zuvor in einer Shisha-Bar in Steglitz mit dem Zeugen B, seinem Frisör, aufgehalten hatte, fuhr mit seinem Audi S6 TDI 3.0 Quattro, amtliches Kennzeichen …, am selben Abend zur gleichen Zeit den Kurfürstendamm von Halensee kommend in östlicher Richtung entlang, weil er noch mit den Zeugen A und S in der Nähe des Wittenbergplatzes am Kaufhaus … verabredet war. Am Adenauerplatz näherte er sich von hinten auf der linken der beiden Fahrspuren dem Fahrzeug des Angeklagten N und hielt an der roten Ampel mit heruntergelassener Beifahrerscheibe direkt neben diesem an.
Der Angeklagte H machte nun mit lauten Motorengeräuschen im Leerlauf seines Fahrzeugs auf sich aufmerksam und signalisierte zugleich, dass er zu einer Wettfahrt (einem so genannten Stechen) bereit sei. Als sich beide Angeklagte durch die geöffneten Seitenfenster sahen, stellten sie fest, dass sie sich aus dem … als Mitglieder der so genannten Raserszene seit einiger Zeit kannten. Auch bemerkte der Angeklagte H, dass neben dem Angeklagten N eine Beifahrerin im Fahrzeug saß. Beide Angeklagte fuhren beim Umschalten der Lichtzeichenanlage auf Grün schnell los und überquerten die Kreuzung Adenauer Platz, um abrupt in Höhe der hinter der Kreuzung liegenden Bushaltestelle der Linie M19 nebeneinander anzuhalten. Hier erfolgte ein kurzes Gespräch zwischen den Angeklagten durch die geöffneten Seitenscheiben ihrer Fahrzeuge, in dessen Verlauf es durch Gesten und Spiel mit dem Gaspedal zur Verabredung eines Stechens, also eines illegalen Straßenrennens, den Kurfürstendamm und die Tauentzienstraße entlang kam, obwohl zu dieser Zeit ein zwar den nächtlichen Gegebenheiten entsprechendes, jedoch nicht unerhebliches Verkehrsaufkommen herrschte.
Der Verabredung entsprechend raste der Angeklagte H im unmittelbaren Anschluss an das Gespräch – und nachdem beide Angeklagte von einem anderen Fahrzeug durch Hupen zum Weiterfahren gedrängt wurden – unter Überfahren von roten Ampeln mit stark überhöhter Geschwindigkeit in Richtung Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche los. Der Angeklagte hatte bereits jetzt den Entschluss gefasst, möglichst schnell und vor dem Angeklagten N das Ziel am Kaufhaus … zu erreichen und dabei alle Verkehrsregeln außer Acht zu lassen.
Der Angeklagte N nahm, nachdem er zunächst noch an zwei roten Ampeln angehalten hatte, in dem Bereich zwischen Olivaer Platz und Uhlandstraße unter deutlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit und unter Überfahren von roten Ampeln die Verfolgung des Angeklagten H auf. Er entschloss sich, möglichst schnell den Angeklagten H einzuholen und vor diesem das Ziel am Kaufhaus … zu erreichen und dabei ebenfalls alle Verkehrsregeln außer Acht zu lassen. Der Angeklagte beschleunigte seinen mit 280 kW und Allradantrieb ausgestatteten Mercedes so stark, dass er den Angeklagten H spätestens in Höhe der U-Bahnstation Uhlandstraße eingeholt hatte. Die Zeuginnen G und R, zwei Fußgängerinnen auf der Mittelinsel des Kurfürstendamms vor dem Eingang zum U-Bahnhof Uhlandstraße, die gerade die südliche Fahrbahn auf dem Weg zur Bushaltestelle überqueren wollten, sprangen hinter das Geländer des U-Bahneingangs zurück, um nicht von den mit sehr hoher Geschwindigkeit heranrasenden Fahrzeugen der Angeklagten erfasst zu werden. Der Angeklagte H fuhr zu dieser Zeit leicht versetzt vor dem Angeklagten N.
Gemeinsam rasten die Angeklagten von hier aus nebeneinander bzw. leicht versetzt voneinander mit Geschwindigkeiten von deutlich über 100 km/h in Richtung Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche und Wittenbergplatz, wobei jeder Angeklagte versuchte, sich entscheidend von dem anderen abzusetzen, um das Rennen für sich zu entscheiden. An der Kreuzung Kurfürstendamm/ Joachimsthaler Straße konnte der Zeuge D beobachten, dass beide Fahrzeuge leicht versetzt die Kreuzung mit deutlich mehr als 100 km/h passierten.
In die Kurve am Breitscheidplatz vor der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche und dem Europacenter fuhr der Angeklagte N mit einem leichten Vorsprung vor dem Angeklagten H ein, wobei beide ihr Fahrzeug deutlich im Grenzbereich bewegten. Die gefahrene Kurvengrenzgeschwindigkeit des Angeklagten H betrug zu diesem Zeitpunkt 120 – 135 km/h. Die gleichsam in der Mitte der Kurve liegende Ampelanlage im Kreuzungsbereich Tauentzienstraße/Rankestraße überfuhren beide bei Rot und passierten dabei ein als Rechtsabbieger eingeordnetes Taxi, was der Zeuge P, der sich an dem Fußgängerüberweg der Kreuzung über die Tauentzienstraße aufgehalten hatte, beobachten konnte.
Nach dem Kurvenausgang beschleunigte der Angeklagte H seinen mit 165 kW und gleichfalls Allradantrieb ausgestatteten Audi S6 mit Vollgas, um an den nun vor ihm fahrenden Angeklagten N wieder heranzukommen und an diesem vorbeizuziehen, was der Zeuge Sh aus seinem vor dem Fitnessstudio … gerade eingeparkten Fahrzeug heraus beobachten konnte. Der Zeuge Sa, der als Fußgänger gerade das Fitnessstudio … betreten wollte, konnte den Mercedes-Benz des Angeklagten N beobachten, wie er mit einer Geschwindigkeit von 100 – 150 km/h auf der linken Fahrspur der Tauentzienstraße auf die Kreuzung mit der Nürnberger Straße zufuhr. Der Zeuge R, der als Fußgänger gerade die … -Filiale in der Nähe der Kreuzung Tauentzienstraße / Nürnberger Straße verlassen hatte, wurde durch die lauten Motorengeräusche beider Fahrzeuge beim Beschleunigen aufmerksam und verglich die Geräusche mit denen startender Sportflugzeuge. Als er beiden Fahrzeugen in Richtung Wittenbergplatz hinterher schaute, sah er, dass beide auf die schon jetzt Rot abstrahlende Lichtzeichenanlage an der Kreuzung mit der Nürnberger Straße zurasten. Hierbei nutzte der Angeklagte H die rechte und der Angeklagte N die linke der beiden für den Durchgangsverkehr vorgesehenen Fahrstreifen der Tauentzienstraße. Der Zeuge Al, der an der Bushaltestelle hinter der Ecke Tauentzienstraße / Rankestraße auf den Bus wartete, konnte beobachten, wie beide Angeklagte Kopf an Kopf und abwechselnd mit leichtem Vorsprung Richtung Wittenbergplatz rasten. Eine 40 m lange Baustelle auf dem mittleren Fahrstreifen etwa 150 m vor der Kreuzung Nürnberger Straße / Tauentzienstraße umfuhren beide – der Angeklagte H rechts und der Angeklagte N links – mit deutlich mehr als 100 km/h. Die Ampel an der Kreuzung vor ihnen war weiterhin Rot.
Mit einem noch leichten Vorsprung von wenigen Metern und einer Geschwindigkeit von 139 bis 149 km/h fuhr der Angeklagte N bei Rot in den Kreuzungsbereich Tauentzienstraße / Nürnberger Straße ein. Auch der Angeklagte H fuhr bei Rot in den Kreuzungsbereich ein, wobei dieser aufgrund des vollständig durchgetretenen Gaspedals zwischenzeitlich eine Geschwindigkeit von mindestens 160 bis 170 km/h erreicht hatte.
Spätestens jetzt war beiden Angeklagten bewusst, dass ein die Nürnberger Straße befahrender, bei grüner Ampelphase berechtigt in die Kreuzung einfahrender Fahrzeugführer und etwaige Mitinsassen bei einer Kollision mit den von ihnen gelenkten Pkw nicht nur verletzt, sondern aufgrund der von ihnen im Rahmen des vereinbarten Rennens gefahrenen sehr hohen Geschwindigkeiten mit großer Wahrscheinlichkeit zu Tode kommen würden. Die körperliche Schädigung anderer – auch der Beifahrerin des Angeklagten N, der Zeugin K – durch ein von ihnen verursachtes Unfallgeschehen war ihnen gleichgültig und sie überließen es dem Zufall, ob es zu einem Zusammenstoß mit einem oder mehreren Fahrzeugen im Kreuzungsbereich kommen würde. Die Schädigung bzw. den Tod anderer Verkehrsteilnehmer sowie im Nahbereich der Kreuzung aufhältlicher Personen durch herumfliegende Trümmerteile der beteiligten Fahrzeuge nahmen sie billigend in Kauf.
Aufgrund der erreichten Geschwindigkeit, des Befahrens des Kreuzungsbereichs bei Rot und der aufgrund baulicher Gegebenheiten (Litfaßsäule, rechtwinklige Hausbebauung bis dicht an die Fahrbahn) nicht bestehenden Möglichkeit der Einsicht nach rechts in die kreuzende Nürnberger Straße kollidierte der Angeklagte H – absolut unfähig noch zu reagieren – im Scheitelpunkt der Kreuzung mit dem Fahrzeug des Geschädigten W, der aus der Nürnberger Straße kommend regelkonform bei Grün in den Kreuzungsbereich Tauentzienstraße / Nürnberger Straße eingefahren war.
Bei dem Aufprallgeräusch blickte der Zeuge Sa erneut zu der Kreuzung und sah, dass die Lichtzeichenanlage in Fahrtrichtung der Angeklagten immer noch rotes Licht abstrahlte.
Durch den Aufprall wurde der Jeep Wrangler, amtliches Kennzeichen …, des Geschädigten W von dem Audi des Angeklagten H auf der Fahrerseite quasi durchstoßen. Durch die sehr hohe Aufprallenergie wurde das Fahrzeug um die eigene Längs-, Hoch- und Querachse gedreht und mit einer Geschwindigkeit von etwa 60 km/h rund 70 m durch die Luft in Richtung Wittenbergplatz geschleudert, wo das es auf der Fahrerseite liegend zum Stillstand kam.
Der von dem Angeklagten H gesteuerte Audi drehte sich durch die Wucht des Aufpralls leicht nach links und kollidierte mit abgerissener Frontverkleidung mit dem neben ihm fahrenden Mercedes-Benz des Angeklagten N, bevor er mit der linken Frontpartie und einer Auslaufgeschwindigkeit von noch 140 km/h gegen die aus Granitstein bestehende Hochbeeteinfassung des Mittelstreifens der Tauentzienstraße stieß. Hierdurch, durch die anschließende Rotation um die eigene Achse und durch das nochmalige Kollidieren mit der Hochbeeteinfassung wurden zahlreiche Fahrzeugteile des Audis (wie beispielsweise die Auspuffanlage, die Fahrertür, Plastikteile und Glassplitter) abgerissen, durch die Luft geschleudert und auf einer Fläche von 60 – 70 m Durchmesser auf der Tauentzienstraße verstreut. Die Zeugin D – Fußgängerin auf dem nördlichen Gehweg der Tauentzienstraße vor der dortigen … -Filiale an der Kreuzung Nürnberger Straße – wurde nur um wenige Zentimeter von an ihrem Kopf vorbeifliegenden Auspuffteilen verfehlt und flüchtete sich in den dortigen Hauseingang. Der Audi selbst kam erst rund 60 m nach dem Aufprall gegen den Jeep auf der Tauentzienstraße zum Stehen.
Durch den seitlichen Anstoß des Audis wurde der von dem Angeklagten N gesteuerte Mercedes-Benz nach links aus der Spur gedrückt. Das Fahrzeug kollidierte frontal mit einer vor der aus Granitstein bestehenden Hochbeeteinfassung angebrachten Fußgängerampel, fällte diese um und prallte im weiteren Verlauf frontal gegen die vorgenannte Hochbeeteinfassung. Durch den Aufprall wurden Teile der Granitabgrenzung vollständig herausgerissen und einzelne Granitblöcke zusammen mit abgerissenen Fahrzeug- und Splitterteilen des Mercedes-Benz mehrere Meter weit durch die Luft geschleudert. Das hinter der Hochbeeteinfassung liegende Erdreich wurde durch die Wucht des Aufpralls zu einer Art Rampe aufgeschoben und der Mercedes-Benz des Angeklagten N mehrere Meter weit durch die Luft katapultiert. Erst auf der gegenüberliegenden Hochbeeteinfassung kam das Fahrzeug wieder auf und nach einem Auslauf von einigen Metern mit dem Heck auf der Hochbeeteinfassung zum Stehen. Hierdurch wurde ein weiterer Granitblock um rund 2 – 3 cm in südliche Richtung verschoben.
Der Zeuge W, der sich zusammen mit seinem Freund, dem Zeugen G, auf dem Bürgersteig der Nürnberger Straße direkt an der Ecke zur Tauentzienstraße aufgehalten hatte, leistete dem Angeklagten H und dem Verstorbenen Erste Hilfe, während sein Freund den ersten Notruf absetzte. Ihm bot sich der Anblick eines Trümmerfeldes nicht gekannten Ausmaßes, gleichsam ein Bild der Verwüstung. Gleiches bekundete die Zeugin D, die angesichts des Ausmaßes des Trümmerfeldes zunächst von einem Bombenattentat ausgegangen war. Auch der Unfallsachverständige Dr. W äußerte, dass er in seiner mehr als zwölfjährigen Berufspraxis ein solches Trümmerfeld nur bei Frontalunfällen auf Bundesstraßen oder Autobahnen gesehen habe. Es sei sofort klar gewesen, dass bei dem Tatgeschehen außerordentlich hohe Kräfte gewirkt hätten.
Der Angeklagte N und die Zeugin K konnten im Folgenden – ebenso wie der Angeklagte H – ohne fremde Hilfe ihr Fahrzeug verlassen, wurden vor Ort von einem Notarzt behandelt und in das Klinikum Westend zur weiteren Behandlung verbracht. Die Angeklagten N und H hatten jeweils nur leichte und oberflächliche Verletzungen erlitten. Die Zeugin und Nebenklägerin K hingegen trug eine Lungenkontusion rechts, eine Knieprellung links, eine Kopfplatzwunde und eine Schnittverletzung am linken Daumen davon. Sie musste im Krankenhaus zwei Tage stationär behandelt werden. An den Folgen der Lungenkontusion leidet sie noch heute.
Der Geschädigte W, der aufgrund des sehr schnellen Geschehensablaufs nicht ansatzweise eine Ausweichmöglichkeit hatte, erlag noch am Unfallort in seinem Fahrzeug den bei dem Aufprall erlittenen multiplen Verletzungen, was die Angeklagten als möglich erkannt hatten, sich hiermit um des erstrebten Zieles willen – nämlich dem Gewinn des Straßenrennens und der damit verbundenen und angestrebten Selbstbestätigung – jedoch abgefunden hatten. Im Einzelnen erlitt der Geschädigte Schädel- und Hirnverletzungen im linken Scheitel- und Schläfenbereich, eine linksseitige Rippenserienfraktur, Brüche des linken Schulterblattes, des linken Schlüsselbeines, des linken Oberschenkels, des linken Oberarmes und der Elle sowie der ersten Rippe und des rechten Wadenbeins. Weiterhin wurden die linke Lunge, das Herz, die Leber, die Milz und die Darmwurzel mit Einblutungen in die Körperhöhlen verletzt.
Die von den Angeklagten gefahrene Wegstrecke betrug vom … bis zum Kollisionsort 3,4 Kilometer. Auf dieser Strecke wurden insgesamt 20 Kreuzungen oder Einmündungen passiert, von denen zur Tatzeit 13 durch Ampelanlagen geregelt waren. Bei Einhaltung aller Verkehrsregeln werden für das Durchfahren dieser Strecke mindestens acht Minuten benötigt. Ab dem Adenauerplatz unterlagen 11 Kreuzungen der Regelung durch Lichtzeichenanlagen.
Geschehen nach der Tat
Der Angeklagte N irrte nach der Tat um das Wrack seines Fahrzeugs herum und suchte sein Handy, das ihm schließlich von dem Zeugen Polizeimeister E, einem der ersten Polizeibeamten am Tatort, aus dem Wrack gereicht wurde. Er stand unter Schock und hatte noch nicht realisiert, dass ein drittes Fahrzeug, in dem der Fahrer verstorben war, am Geschehen beteiligt war. Nachdem er Kenntnis von dem Tod des Geschädigten erlangt hatte, zeigte er sich an den Folgetagen betroffen und verschlossen.
Der Angeklagte H erlitt bei dem Geschehen eine Amnesie. Er wusste und weiß bis heute nicht, was passiert ist. Auch hatte er nicht realisiert, dass er mit dem Fahrzeug des Geschädigten kollidiert und der Geschädigte getötet worden war. Mit ihm war nach der Kollision kein vernünftiges Gespräch möglich, er sprach immer nur wieder die Worte „Wie konnte das passieren, wie konnte das passieren?“ vor sich hin. In den rund 90 Minuten nach der Tat entnommenen Blutproben beider Angeklagter fanden sich jeweils keine Hinweise auf den Konsum von Alkohol, Drogen oder Medikamenten.
Beweiswürdigung
Persönliche Verhältnisse
[…]
Einlassungen der Angeklagten
[…]
Ergebnisse der einzelnen Beweiserhebungen
[…]
Rechtliche Würdigung
Nach dem festgestellten Sachverhalt haben die Angeklagten gem. § 25 Abs. 2 StGB mittäterschaftlich und bedingt vorsätzlich handelnd mit gemeingefährlichen Mitteln einen Mord zum Nachteil des Geschädigten W gem. § 211 StGB in Tateinheit (§ 52 StGB) mit einer gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil der Zeugin und Nebenklägerin K gem. den §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB und vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs gem. § 315 c Abs. 1 Nr. 2 lit. a und d StGB begangen.
Mittäterschaft
Mittäterschaft liegt vor, wenn ein Tatbeteiligter nicht bloß fremdes Tun fördern will, sondern seinen Beitrag als Teil der Tätigkeit des anderen und umgekehrt dessen Tun als Ergänzung seines eigenen Tatanteils will. Ob ein Beteiligter dieses enge Verhältnis zur Tat hat, ist nach den gesamten Umständen, die von seiner Vorstellung umfasst sind, in wertender Betrachtung zu beurteilen. Wesentliche Anhaltspunkte dafür können gefunden werden im Grad des eigenen Interesses am Erfolg der Tat, im Umfang der Tatbeteiligung und in der Tatherrschaft oder wenigstens im Willen zur Tatherrschaft, so dass Durchführung und Ausgang der Tat maßgeblich von seinem Willen abhängen. Einer auf einem gemeinsamen Willen beruhenden – arbeitsteilig begangenen – Mittäterschaft steht mangelnde Eigenhändigkeit beim Mord nicht entgegen. Stets muss sich die Mitwirkung nach der Willensrichtung des sich Beteiligenden als Teil der Tätigkeit aller darstellen. Voraussetzung für die Zurechnung fremden Handelns als eigenes mittäterschaftliches Tun ist ein zumindest konkludentes Einvernehmen der Mittäter (BGHR, StGB § 25 Abs. 2 Mittäter 10, 40; NStZ 2003, 253 [254]; NStZ-RR 2004, 40 [41]).
So liegt der Fall hier. Die Angeklagten haben sich am Tattag auf die Durchführung eines spontanen Autorennens geeinigt. Zwar konnte die Zeugin K eine ausdrückliche Verabredung der Angeklagten in Höhe des Adenauerplatzes nicht bestätigen, da sie sich mit ihrem Smartphone beschäftigte, doch steht dies einem mittäterschaftlichen Handeln nicht entgegen. Nachdem der Angeklagte H durch schnelles An- und Vorausfahren seinen Kontrahenten zweimal herausgefordert und der Angeklagte N noch gezögert und an zwei roten Ampeln gehalten hatte, gab Letzterer seine Zurückhaltung schließlich auf, ließ sich auf das Rennen ein, überholte den Angeklagten H und übernahm zeitweise die Führung. Dabei benutzten die Angeklagten beide Fahrstreifen des Kurfürstendamms und im weiteren Verlauf der Tauentzienstraße, fuhren nebeneinander bzw. abwechselnd voreinander versetzt und bildeten mit ihrer kW-starken Fahrerphalanx aufgrund der hohen Geschwindigkeit eine gemeinsame Gefahr für das dortige Verkehrsgeschehen. Dies deckt sich auch mit den Erkenntnissen des technischen Sachverständigen Dr. W, der ausgeführt hat, dass beide Angeklagte eine Fahrweise, wie man sie bei einem Wettrennen erwarte, gezeigt hätten; beide hätten durch maximales Beschleunigen versucht vor dem jeweils anderen zu sein. Dass sich der Angeklagte N an dem spontanen Autorennen im selben Maß wie der das Fahrzeug des Geschädigten W unmittelbar rammende Angeklagte H beteiligt hat, ergibt sich auch aus dem zutreffenden Hinweis des Angeklagten H gegenüber der verkehrspsychologischen Sachverständigen Dr. B, wonach der Angeklagte N das Geschehen ja auch in Kauf genommen habe und dieser genauso wie er – H – das querende Auto habe treffen können. Schließlich hat der Zeuge H als guter Freund des Angeklagten N bekundet, dass dieser nach dem Geschehen davon gesprochen habe, dass er den größten Fehler seines Lebens begangen habe, indem er sich auf ein Rennen eingelassen habe, das schiefgegangen sei. Dass der Angeklagte N in der Tatnacht generell bereit war, sich auf ein Rennen einzulassen, wird auch durch die Angaben des Zeugen Dr. S belegt, der mit seinem Pkw Aston Martin aus Hamburg kommend von dem Angeklagten mit hoher Geschwindigkeit überholt und zu einem Rennen herausgefordert wurde.
Dies korrespondiert mit dem Inhalt der Aussagen der Zeuginnen D, B und Da, C, V – allesamt frühere Freundinnen des Angeklagten N –, wonach es in der Raserszene typisch sei, dass es keine Detailabsprache für das bevorstehende Rennen gebe, sondern man nähere sich dem anderen Fahrzeug an der Ampel, taxiere dasselbe im Hinblick auf seine Leistung, nehme Augenkontakt zu dem potentiellen Gegner auf, gebe Gas, lasse den Auspuff aufröhren und schieße dann bis zur nächsten Ampel los. Gegebenenfalls werde Revanche gegeben und das Spiel wiederhole sich. Als an der roten Ampel Stehender beobachte man den potentiell herannahenden Gegner über die Fahrzeugspiegel, schätze die Leistungskraft des eigenen Fahrzeuges ab und lasse sich gegebenenfalls auf das Rennen ein.
Der Angeklagte N hat sich durch das Verhalten des Angeklagten H herausfordern lassen, sein anfängliches Zögern aufgegeben und durch das Vor- und Nebeneinanderfahren bei stetig steigender Geschwindigkeit konkludent zum Ausdruck gebracht, dass er mit dem Angeklagten H ein gemeinsames Rennen fahren und sich auf ein Kräftemessen einlassen will, um diesem die Überlegenheit seines Fahrzeuges zu demonstrieren, das Rennen zu gewinnen und als Überlegener aus dem Kräftemessen hervorzugehen, wobei er zusammen mit dem Angeklagten H die potentielle Unfallgefahr bewusst ignoriert hat. Nur ergänzend sei darauf hingewiesen, dass ein Kräftemessen mittels eines Autorennens / Stechens naturgemäß ein von einer gemeinsamen Tatherrschaft getragenes Verhalten darstellt. Die Teilnehmer finden sich geplant, spontan oder sukzessive zusammen, um ihr fahrerisches Können und die Potenz ihrer Fahrzeuge auf einer gewissen Fahrstrecke zu vergleichen und den Wettkampf als Sieger zu beenden. Dabei gehen sie zusammen Risiken ein, bestimmen zusammen den Fahrablauf und setzen zusammen die Gefahrenquellen für ihre Umwelt, die im innerstädtischen Bereich eine ganz andere Qualität erreichen als zum Beispiel auf einer genehmigten Rennstrecke oder einer einsamen Landstraße.
Bedingter Tötungsvorsatz
Die Angeklagten handelten mit bedingtem Tötungsvorsatz.
Abgrenzung zur bewussten Fahrlässigkeit
Bedingter Vorsatz und bewusste Fahrlässigkeit unterscheiden sich darin, dass der bewusst fahrlässig Handelnde mit der als möglich erkannten Folge nicht einverstanden ist und deshalb auf ihren Nichteintritt vertraut, während der bedingt vorsätzlich Handelnde mit dem Eintreten des schädlichen Erfolges in der Weise einverstanden ist, dass er ihn billigend in Kauf nimmt oder dass er sich wenigstens mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet (BGH, NStZ-RR 2016, 79 [80], Urt. v. 14.1.2016 – 4 StR 84/15). Bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen liegt es nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit rechnet, das Opfer könne zu Tode kommen und – weil er mit seinem Handeln gleichwohl fortfährt – einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt. Eine hohe und zudem anschauliche konkrete Lebensgefährlichkeit von Gewalthandlungen stellt mithin auf beiden Vorsatzebenen das wesentliche auf bedingten Tötungsvorsatz hinweisende Beweisanzeichen dar. Allerdings können im Einzelfall das Wissens- oder das Willenselement des Eventualvorsatzes fehlen, wenn etwa dem Täter, obwohl er alle Umstände kennt, die sein Vorgehen zu einer das Leben gefährdenden Behandlung machen, das Risiko der Tötung infolge einer psychischen Beeinträchtigung etwa bei Affekt oder alkoholischer Beeinflussung nicht bewusst ist (Fehlen des Wissenselements) oder wenn er trotz erkannter objektiver Gefährlichkeit der Tat ernsthaft und nicht nur vage auf ein Ausbleiben des tödlichen Erfolges vertraut (Fehlen des Willenselements). Beide Elemente müssen tatsachenfundiert getrennt voneinander geprüft werden. Die Prüfung, ob bedingter Vorsatz oder bewusste Fahrlässigkeit vorliegt, erfordert insbesondere bei Tötungs- oder Körperverletzungsdelikten eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände, wobei es vor allem bei der Würdigung des voluntativen Vorsatzelements regelmäßig erforderlich ist, dass sich der Tatrichter mit der Persönlichkeit des Täters auseinandersetzt und seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung sowie seine Motivation und die zum Tatgeschehen bedeutsamen Umstände – insbesondere die konkrete Angriffsweise – mit in Betracht zieht (BGH, NStZ-RR 2016, 204 f., Urt. v. 19.4.2016 – 5 StR 498/15; 4 StR 84/15, a.a.O.; NStZ-RR 2016, 111 f., Beschl. v. 9.6.2015 – 2 StR 504/14; NStZ 2016, 25 ff., Urt. v. 16.9.2015 – 2 StR 483/14; NStZ 2016, 341, Urt. v. 3.12.2015 – 1 StR 457/15; NStZ 2016, 670 ff., Urt. v. 13.7.2016 – 1 StR 128/16; NStZ 2017, 22 ff., Beschl. v. 26.4.2016 – 2 StR 484/14; NStZ 2017, 25 f., Urt. v. 11.10.2016 – 1 StR 248/16; Urt. v. 22.12.2016 – 1 StR 571/16 , juris, jeweils mit weiteren Nachweisen; Preuß, NZV 2017, 105 [106]; so auch für den hiesigen Fall: KG, Beschl. v. 29.8.2016 – (3) 121 HEs 16/16 (31-32/16), Haftband Band VIII, Bl.76 ff.; Kubiciel, jurisPR-StrafR 16/2016, Anm. II.1.; für möglich haltend Piper, NZV 2017, 70 [71], Anm. 20; ebenso Schweizerisches Bundesgericht Lausanne, Urt. v. 26.4.2004 – 6P.138/2003, juris; zweifelnd Mitsch, DAR 2017, 70).
Schon eine Gleichgültigkeit gegenüber dem zwar nicht erstrebten, wohl aber hingenommenen Tod des Opfers rechtfertigt die Annahme bedingten Tötungsvorsatzes (BGH, 5 StR 498/15, a.a.O.). Der mit bedingtem Tötungsvorsatz handelnde Täter hat kein Tötungsmotiv, sondern geht einem anderen Handlungsantrieb nach. Selbst ein unerwünschter Erfolg steht dessen billigender Inkaufnahme nicht entgegen (BGH, 4 StR 84/15, a.a.O., 81). Auch kann sich aus der Art des jeweiligen Handlungsantriebs ein Rückschluss auf die Stärke des vom Täter empfundenen Tatanreizes und damit auch auf seine Bereitschaft zur Inkaufnahme schwerster Folgen ergeben (BGH, Urt. v. 7.7.2016 – 4 StR 558/15, juris, Rn. 17). Im Übrigen sind an die für die Feststellung eines zumindest bedingten Tötungsvorsatzes erforderliche Überzeugungsbildung des Tatrichters keine überspannten Anforderungen zu stellen. Voraussetzung für die Überzeugung ist nicht eine absolute, das Gegenteil oder andere Möglichkeiten ausschließende Gewissheit im Sinne einer nicht mehr gegebenen Gleichwertigkeit oder einer stärkeren Wahrscheinlichkeit. Vielmehr genügt ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, das vernünftige Zweifel nicht aufkommen lässt (BGH, 1 StR 248/16, a.a.O., 26).
Bei einem strafrechtlich relevanten Verhalten im Straßenverkehr ist auch zu berücksichtigen, ob ein Pkw beschleunigt wird und dabei eine Geschwindigkeit erreicht, die in Bezug auf die Handlung (als solcher) ein lediglich fahrlässiges Verhalten nicht nahelegt (BGH, 4 StR 84/15, a.a.O., 80).
Die jüngere Rechtsprechung des BGH stellt klar, dass Gleichgültigkeit gegenüber der erkannten Möglichkeit des Erfolgseintritts für den dolus eventualis bei Tötungsdelikten genügt. Ferner betont sie die Bedeutung der Größe und Anschaulichkeit der vom Täter wissentlich geschaffenen Lebensgefahr auch für das Willenselement des Vorsatzes. Liegt eine große und anschauliche Todesgefahr vor, so genügt das zur Begründung der Zuschreibung des dolus eventualis. Will das Tatgericht trotz einer solchen Gefahr keinen Vorsatz annehmen, so bedarf dies besonderer Begründung (vgl. Puppe, NStZ 2016, 575 ff.). Es geht auch bei der hier vorzunehmenden Vorsatz-Fahrlässigkeits-Abgrenzung um die einer revisionsgerichtlichen Überprüfung standhaltenden vollständigen und nachvollziehbaren tatrichterlichen Beweiswürdigung und Überzeugungsbildung im bzw. für den Einzelfall, der generalisierende Entscheidungsregeln nicht gerecht werden können (vgl. Schiemann, NStZ 2017, 24).
Soweit es mittäterschaftliches Handeln betrifft, haftet jeder Mittäter für das Handeln der anderen nur im Rahmen seines – zumindest bedingten – Vorsatzes; er ist also für den Taterfolg nur insoweit verantwortlich, als sein Wille reicht, so dass ihm ein Exzess der anderen nicht zur Last fällt. Handlungen eines anderen Tatbeteiligten, mit denen nach den Umständen des Einzelfalles gerechnet werden muss, werden jedoch vom Willen des Mittäters umfasst, auch wenn er diese sich nicht besonders vorgestellt hat (BGH, Beschl. v. 3.3.2011 – 4 StR 52/11, juris; v. 1.9.2016 – 2 StR 19/16, juris = NStZ-RR 2017, 77 f.).
Fallvergleichung
Der hiesige Fall unterscheidet sich von in der jüngeren Vergangenheit beurteilten ähnlichen Sachverhalten, die zu Verurteilungen wegen fahrlässiger Tötung führten, maßgeblich, so dass ein kurzes Eingehen auf dieselben zum Zwecke der Abgrenzung als angezeigt erscheint:
a) Im Fall zweier Heranwachsender im Alter von 20 Jahren, die sich in Köln ein Autorennen lieferten, überfuhr einer von ihnen mit einer Geschwindigkeit von 85 – 115 km/h eine rote Ampel und kollidierte im Kreuzungsbereich mit einer bevorrechtigt eingefahrenen Taxe, wobei ein Insasse verstarb (Urt. d. AG Köln 12.1.2016 – 643 Ls 308/15 10 Js 22/15, juris).
b) Im Verlauf eines weiteren in Köln ausgetragenen Rennens stieß ein Fahrzeug bei einer Geschwindigkeit von 73 – 83 km/h an eine Bordsteinkante, schleuderte über die Fahrbahn auf den gegenüberliegenden Fahrradweg und kollidierte dort bei einer Restgeschwindigkeit von 48 – 55 km/h mit einer Radfahrerin, die in der Folge ihren Verletzungen erlag (Urt. des LG Köln 14.4.2016 – 117 KLs19/15 , juris).
c) Im Kölner „Autoraserfall von der Aachener Straße“ (Urt. des LG Köln 23.5.2016 – 113 KLs 34/15, bestätigt durch Beschl. des BGH v. 22.11.2016 – 4 StR 501/16, beide bei juris) schleuderte der Täter nach einem Fahrspurwechsel bei einer Geschwindigkeit von 109 km/h und der Kollision mit einem anderen Fahrzeug über einen Kreuzungsbereich, prallte gegen den Mast einer Lichtzeichenanlage und erfasste nach 75 Metern einen Fahrradfahrer tödlich. Der Angeklagte war nicht vorbestraft und zuvor straßenverkehrsrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten. d) Im Bremer Fall eines seine Touren filmenden Motorradfahrers (becklink 2005632) kam es trotz Vollbremsung zum Tod eines Fußgängers, wobei der Täter aus jugendlichem Leichtsinn handelte, diese Fahrt nicht gefilmt hatte und der Geschädigte in angetrunkenem Zustand bei für ihn rotem Ampellicht über die Straße gegangen war.
d) Im Bremer Fall eines seine Touren filmenden Motorradfahrers (becklink 2005632) kam es trotz Vollbremsung zum Tod eines Fußgängers, wobei der Täter aus jugendlichem Leichtsinn handelte, diese Fahrt nicht gefilmt hatte und der Geschädigte in angetrunkenem Zustand bei für ihn rotem Ampellicht über die Straße gegangen war.
e) Aufgrund ihrer besonderen Gegebenheiten lassen sich diese Fälle der fahrlässigen Tötung nicht auf den hiesigen Fall übertragen. Sie berücksichtigen die dortigen Fallbesonderheiten und werden den speziellen Täterpersönlichkeiten und dem konkreten Tatgepräge des hiesigen Falles nicht ansatzweise gerecht, was insbesondere dadurch erhellt wird, dass es sich dort teilweise um Einzeltäter, Heranwachsende, verkehrsrechtlich Unbelastete handelte und Geschwindigkeiten von (nur) unter bzw. um 100 km/h zum Tragen kamen. Umgekehrt präjudiziert das hiesige Urteil nicht die strafrechtliche Beurteilung anderer bzw. künftiger Raserunfälle, da es sich bei dem verurteilenden Erkenntnis immer nur um eine den Besonderheiten des Einzelfalles Rechnung tragende Entscheidung handeln kann.
f) Auch liegt entgegen der Auffassung der Verteidigung gegenwärtig nicht eine Situation vor, wonach für Fälle der vorliegenden Art die §§ 211, 212 StGB in subjektiver und objektiver Hinsicht nicht zur Anwendung gelangen dürfen, da die aktuellen gesetzgeberischen Tätigkeiten zur Heraufstufung der Durchführung eines illegalen Autorennens von einer Ordnungswidrigkeit auf eine Straftat eine momentane Regelungslücke belegen würden. Sind die subjektiven und objektiven Tatbestandsvoraussetzungen eines Tötungsdelikts – wie im vorliegenden Fall geschehen – zu bejahen, so ist aus den §§ 211, 212 StGB als geltendem Recht zu strafen.
In diesem Zusammenhang verfängt auch nicht die Argumentation der Verteidigung, wonach in der Welt der Raserszene der Einzelne eines bedingten Tötungsvorsatzes nicht zugänglich sei, da er die Risiken des Rasens aus seinen Überlegungen grundsätzlich ausblende. Folgte man dieser Ansicht, so hieße dies, dass eine bestimmte Personengruppe einem gewissen Deliktsbereich generell nicht unterfallen würde und insoweit grundsätzlich nicht belangt werden könnte. Neben der Raserszene ließen sich für weitere Personengruppen entsprechende Straflosigkeitsbereiche definieren. Dass diese Ansicht neben der Sache liegt, ist offensichtlich. Für die Begehung einer Tat wird immer nur der einzelne Mensch als Einzel- oder Mittäter, Anstifter oder Gehilfe bestraft. Auch der allein handelnde Schnellfahrer oder der an einem Rennen Teilnehmende bleibt eine Person, die ihren Verstand benutzen kann, Lebens- und Verkehrserfahrung gesammelt hat, eine theoretische und praktische Führerscheinprüfung abgelegt und bestanden hat und die grundsätzlich weiß und erkennen kann, dass ein höchstgefährlicher Fahrstil geeignet ist, den Tod und die Verletzung anderer Menschen zu verursachen. Raserei stellt keine seelische Krankheit dar und schon bei durchschnittlicher Sinnes- und Geistesanspannung hat der Schnellfahrer im Ruhezustand die Möglichkeit des Insichgehens, Besinnens und der Erkenntnis. Ob er sein Handeln danach ausrichtet, wird von ihm entschieden und im Rahmen der vorzunehmenden Vorsatzprüfung durch das Gericht beurteilt.
Subsumtion
Bei Zugrundelegung der … dargestellten Grundsätze gilt hier Folgendes:
a) Täterpersönlichkeiten
[…]
b) Psychische Verfassung zur Tatzeit
[…]
c) Motivation
Im Vordergrund stand für beide Angeklagte das Gewinnen des Rennens um jeden Preis zum Zwecke der Selbstbestätigung, wobei sie sich selbst und dem Kontrahenten beweisen wollten, dass man der bessere Fahrer sei und das leistungsfähigere Fahrzeug besitze. Mit ihrem Statussymbol Auto gaben sie sich dem Geschwindigkeitsrausch hin, rasten als „Transporter“ „in meiner Stadt“ (H) über den „Lifestyle-Kudamm“ (N) und trachteten danach, eine peinliche Niederlage auch im Hinblick auf die anwesenden bzw. wartenden Zeugen K, A und S zu vermeiden.
d) Tatumstände / Konkrete Angriffsweise
Die Angeklagten waren mit zwei hochmotorisierten (Audi: 165 kW, Daimler: 280 kW), schweren (1.840 / 1.585 kg), sportlich bereiften (255/35 R 19 / 235/40 R 18) und mit modernster Sicherheitstechnik und hohen Beschleunigungswerten versehenen Kraftfahrzeugen unterwegs.
Sie durchfuhren ab dem Adenauerplatz eine Rennstrecke von etwa 2,5 Kilometern, passierten elf mit einer Ampelschaltung versehene Kreuzungen, die teilweise Rot abstrahlten, und hatten aufgrund der nächtlichen Beleuchtung, verengter Fahrbereiche aufgrund vereinzelter Baustellen und der jeweiligen Bebauung nur begrenzte Einsicht in kreuzende Querstraßen, was insbesondere für den Rechtsfahrenden galt, da dessen Blickwinkel verkürzt war. Das Rennen fand nicht auf einer Landstraße in einem dünnbesiedelten Gebiet oder auf einer Bundesautobahn ohne Geschwindigkeitsbeschränkung statt, sondern im innerstädtischen Bereich der City West in Berlin auf dem Kurfürstendamm / Tauentzienstraße, der zentralen Hauptverkehrsstraße bzw. Flaniermeile, wo, wie die Zeugenbekundungen ergeben haben, auch des Nachts ein den zeitlichen Gegebenheiten entsprechendes Verkehrsaufkommen an Bussen, Taxen, Privatfahrzeugen und Fußgängern herrschte. Bereits vor dem Kollisionspunkt hatten die Angeklagten Geschwindigkeiten von über 100 km/h inne, nahmen durch nebeneinander bzw. leichtes versetztes Fahren auf beiden Fahrstreifen die gesamte Fahrbahnbreite ein, missachteten teilweise rotes Ampellicht und durchfuhren die Kurve am Breitscheidtplatz auf Höhe der Kaiser-Wilhem-Gedächtniskirche mit Grenzgeschwindigkeit. Unmittelbar vor der Unfallkreuzung Tauentzienstraße / Nürnberger Straße gaben beide Angeklagte Vollgas, der rechts fahrende Angeklagte H setzte sich vor den Angeklagten N und trotz der bereits mehrere Sekunden für sie rotes Ampellicht abstrahlenden Lichtzeichenanlage fuhren sie mit 139 – 149 km/h (N) bzw. 160 – 170 km/h (H) in den Kreuzungsbereich ein, den sie nach rechts aufgrund der Straßenrandbebauung und einer dort aufgestellten Litfaßsäule nicht einsehen konnten. Die Angeklagten über- bzw. unterschritten damit geringfügig die zulässige Geschwindigkeit um das Dreifache und unternahmen im Kollisionszeitpunkt und im vorkollisionären Zeitraum keinerlei Bremsversuche. Sie hatten sich durch ihr Verhalten, insbesondere ihre Geschwindigkeit, jeglicher Reaktionsmöglichkeit beraubt, konnten keinerlei Vermeidungsverhalten mehr entfalten und hatten dadurch dem bei grünem Ampellicht in den Kreuzungsbereich einfahrenden Geschädigten W keinerlei Ausweich- und Reaktionsmöglichkeit belassen. Dieser besaß aufgrund der seine Fahrerseite treffenden Aufprallenergie des Pkw Audi des Angeklagten H nicht den Hauch einer Überlebenschance.
e) Wissenselement
Die Angeklagten haben demnach als wegen vielfach begangener Verkehrsverstöße bereits sanktionierte Kraftfahrzeuglenker in Form eines Autorennens aus Gewinnstreben, angestrebter Selbstbestätigung und zwecks Demonstration der Stärke des eigenen Wagens zur Tatzeit ihre Fahrzeuge über die aufgezeigte Distanz über die Berliner Hauptverkehrsadern Kurfürstendamm und Tauentzienstraße gelenkt, dabei ihre Geschwindigkeit beständig gesteigert, rotes Ampellicht missachtet und im Tatzeitpunkt den Geschädigten W tödlich verletzt, weil sie mit etwa dreifach überhöhter Geschwindigkeit bei für sie rotem Ampellicht mit Vollgas und ohne jegliche Einsichtsmöglichkeit in die Unfallkreuzung eingefahren sind. Dies stellt ein in jeder Hinsicht halsbrecherisches Verhalten dar, das zum Tod oder zur Verletzung Dritter und auch der eigenen Person führen konnte. Im Hinblick auf den konkreten Fahrstil und die Tatörtlichkeiten war die hohe Wahrscheinlichkeit eines schweren Verkehrsunfalls naheliegend, zumal die Fahrstrecke nicht menschen- und autoleer war, die Fahrzeuge im Kurvenbereich an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche im Grenzbereich des technisch Machbaren gelenkt wurden und sich die Gefährlichkeit der Handlung mit der Länge der gefahrenen Strecke kontinuierlich erhöhte, da damit auch die Wahrscheinlichkeit eines Unfalls zunahm. Bei einer wertenden Gesamtbetrachtung aller vorstehenden Umstände ist danach das Wissenselement des Eventualvorsatzes als gegeben anzusehen; denn die extreme Gefährlichkeit der Tathandlung war geeignet, jedem Verkehrsteilnehmer, auch den in keinster Weise psychisch beeinträchtigten Angeklagten, deutlich vor Augen zu führen, dass ein solches Verhalten tödliche Folgen zeitigen konnte. Dies gilt insbesondere für die im Kollisionszeitpunkt erreichte Geschwindigkeit, die bezüglich der Handlung ein lediglich fahrlässiges Verhalten nicht mehr nahelegt (BGH, 4 StR 84/15, a.a.O.). Insofern war es konsequent und folgerichtig, dass die Verteidigung das Wissenselement des bedingten Tötungsvorsatzes nicht in den Mittelpunkt ihrer Plädoyers gestellt hat.
f) Voluntatives (Wollens-) Element
Bei der von der Kammer vorgenommenen Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände war auch das voluntative Element des bedingten Tötungsvorsatzes zu bejahen. Die Angeklagten haben sich mit der tödlichen Tatbestandsverwirklichung abgefunden, wissentlich eine große, anschauliche und konkrete Lebensgefahr geschaffen, sich gegenüber der erkannten Möglichkeit des Erfolgseintritts gleichgültig verhalten, waren aufgrund ihrer Motivation bereit, schwerste Folgen in Kauf zu nehmen, wobei sie den Tötungserfolg nicht wünschten und auch kein Tötungsmotiv hatten, sondern dem oben aufgezeigten Handlungsantrieb nachgingen. Hinzu kommt, dass, wie vorstehend ausgeführt, die von ihnen eingehaltene Unfallgeschwindigkeit ein nur fahrlässiges Verhalten geradezu ausschließt und ihr Handeln auch vom Wortgehalt und auf einer möglichen Skala von fahrlässig falschem Verkehrsverhalten nicht mehr erfasst wird. Die Angeklagten konnten im Tatzeitpunkt gerade nicht mehr ernsthaft darauf vertrauen, dass alles gut gehen werde, sondern sie überließen es bei Einfahrt in den Kreuzungsbereich Tauentzienstraße / Nürnberger Straße dem Zufall, ob ein bevorrechtigtes Fahrzeug kreuzen werde und die Insassen den unausweichlichen Zusammenstoß überleben würden. Diese Konsequenzen waren ihnen in diesem Moment egal und gleichgültig; denn jeder von ihnen wollte aus dem Rennen als Sieger hervorgehen. Sie ließen es darauf ankommen und konnten nicht mehr ernstlich darauf vertrauen, ein Unfallgeschehen durch ihre Fahrgeschicklichkeit zu vermeiden, was insbesondere dadurch belegt wird, dass ein Vermeidungsverhalten – ein Lenk- oder Bremsmanöver – nicht mehr vorgenommen wurde und auch objektiv nicht mehr möglich war.
Vorstehendes wird auch noch durch folgende Gesichtspunkte belegt:
Im Rahmen seiner verkehrspsychologischen Exploration durch die Sachverständige Dr. B hat der Angeklagte H u.a. angegeben, dass er ab und zu auch schon so wie an dem Tag des Unfalls gefahren sei, aber nur nachts, da er gewusst habe, dass dann weniger Verkehr sei. In einem Fall habe er einem mit 70 km/h aus einer Seitenstraße ohne Licht herauskommenden Fahrzeug noch ausweichen können. Wenn er nachts um zwei Uhr bei Dunkelheit über den Kudamm fahre, gucke er kilometerweit voraus und habe das Gefühl immer anhalten oder ausweichen zu können, um niemanden zu gefährden. In seiner Stadt kenne er sich aus. Er gehe das Risiko ein, um die Bestätigung zu erhalten, dass er besser fahre als andere. Er habe nicht damit gerechnet, dass um diese Uhrzeit noch jemand unterwegs sei und demzufolge bei Grün fahren würde. Sie hätten ja offensichtlich auch andere Ampeln überfahren und da sei ja auch nichts passiert. Am Tag habe er sich an die Lichtsignalanlagen gehalten, weil dann Verkehr gewesen sei. Wenn der Mitangeklagte N milder bestraft werden würde, könne er das nicht verstehen. Dieser habe es ja auch in Kauf genommen. Er (N) habe genauso wie er (H) das querende Auto treffen können.
Den Angaben des Angeklagten H gegenüber der Sachverständigen lässt sich zwanglos und eindeutig entnehmen, dass ihm das Risiko seines Verhaltens grundsätzlich bewusst war, er es am Tag mied, in der Nacht die Folgen seines Handelns in Kauf nahm bzw. sie ihm gleichgültig waren und er durch seinen aggressiven Fahrstil die Bestätigung suchte und erhielt, besser als andere fahren zu können. Vollkommen zutreffend ist in diesem Zusammenhang seine Feststellung, dass der Mitangeklagte N den tödlichen Zusammenstoß ebenfalls in Kauf genommen hat; denn es hing vom Zufall ab, wessen Fahrzeug im Kollisionszeitpunkt die Führung übernommen hatte.
Der Annahme des Wollenselementes des bedingten Tötungsvorsatzes im Falle des Angeklagten H steht auch nicht die Einschätzung der Sachverständigen entgegen, wonach mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen sei, dass der Angeklagte aufgrund einer narzisstischen Selbstüberhöhungs- und einer deutlichen Externalisierungstendenz bzw. Opferhaltung sein Fahrkönnen in einem extremen Ausmaß überschätzt habe und daher der Meinung gewesen sei, dass er mit seinem nicht regelkonformen und riskanten Verhalten im Verkehr keine anderen Verkehrsteilnehmer ernsthaft gefährden werde.
Da der Angeklagte gegenüber der Sachverständigen aufgrund einer unfallbedingten Amnesie nur wenige Angaben zum Tattag und zum Unfallgeschehen gemacht hat, basiert ihre gutachterliche Einschätzung im Wesentlichen auf den Angaben des Angeklagten zu seinem sonstigen Fahrstil, den Umständen früherer Auffälligkeiten im Straßenverkehr und dem Nichtbestreiten des ihm für das konkrete Tatgeschehen vorgeworfenen Fehlverhaltens. Hinzu kommt, dass sie frag- und unglaubwürdige Angaben des Angeklagten (Er lege rund 50.000 km im Jahr zurück; er könne schon etwas voraussehen, das passieren könnte; nachts auf dem Kudamm gucke er kilometerweit voraus; die Polizei schreibe immer Dinge auf, die nicht stimmen; er habe gedacht, dass die Polizei nur auf die Fahrer schöner Autos achte, um diese zu bestrafen etc.) nur bedingt überprüft und ihrem Gutachten zugrunde gelegt hat. Insofern fehlt es an einem Abgleich des Vorstellungsbildes des Angeklagten, seines Handlungsvermögens und seiner ihm attestierten Selbstüberschätzung im Verhältnis zu den objektiven Gegebenheiten des konkreten Falles, und zwar insbesondere dann, wenn der Angeklagte angibt, dass der Mitangeklagte es ja auch in Kauf genommen habe und er genauso wie er (H) dass querende Auto habe treffen können. Dies bedeutet nicht, dass die Sachverständige zu verkehrspsychologisch falschen Erkenntnissen gelangt ist, sondern dass ihrem Gutachten nur eine indizielle Aussagekraft zukommen kann, die die Kammer in wertender Betrachtung in die oben näher dargestellten Gesamtumstände eingestellt hat. Zu Recht weisen Godenzi / Bächli-Biétry in ihrem Aufsatz „Tötungsvorsatz wider Willen? – Die Praxis des (Schweizer) Bundesgerichts bei Raserdelikten“ in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die verkehrspsychologische Beurteilung eines Geschehens für die juristische Vorsatzfeststellung nicht bindend ist, der „psychische Sachverhalt“ mit dem „juristischen Psychogramm“ wenig gemein hat, Psychologen und Juristen, wo es um „Wissen und Wollen im Rechtssinne“ geht, nicht dieselbe Sprache sprechen und ein solcher Zwiespalt zwischen psychologischer und juristischer Beurteilung der Merkmale „Wissen“ und „Wollen“ nicht nur bei Raserdelikten schwierige Grundsatzprobleme der Vorsatzdogmatik aufwirft [in Jahrbuch zum Straßenverkehrsrecht 2009, 561, 568 (590)].
Keinen Zweifel hatte die Kammer auch hinsichtlich der Bejahung des Wollenselementes bei dem Angeklagten N. Der Einwand der Verteidigung, die insofern vermeintlich günstige gutachterliche Stellungnahme der Sachverständigen Dr. B müsse auch zu Gunsten des Angeklagten N zum Tragen kommen, geht fehl. Der Angeklagte hat sich, was sein gutes Recht ist, zur Sache nicht eingelassen und hat sich auf Anraten seiner Verteidiger von der Sachverständigen nicht explorieren lassen. Es liegt auf der Hand, dass ein fachpsychologisches Gutachten nicht genereller Natur sein, sondern immer nur die einzelne Person in den Blick nehmen und sich zu dieser verhalten kann. Durch sein Handeln bringt der Angeklagte N, der zunächst noch an zwei roten Ampeln angehalten, überlegt und abgewogen, dann aber den Entschluss gefasst hat, sich auf das todbringende Rennen einzulassen, sein klares Streben nach dem Gewinn desselben zum Ausdruck. Das Aufschließen zu dem führenden Fahrzeug des Angeklagten H und die zeitweilige Übernahme der Führung belegen die konkrete Gefährlichkeit seines Fahrstils und die Gleichgültigkeit gegenüber dem Wohlergehen seiner Beifahrerin und der Gesundheit und dem Leben anderer Verkehrsteilnehmer. Die Gesamtwürdigung aller tatbezogenen, persönlichkeitsimmanenten und handlungsleitenden Motive lässt wie im Falle des Angeklagten H angesichts der auch von ihm an der Tatörtlichkeit gefahrenen Geschwindigkeit auf die Bereitschaft zur Inkaufnahme schwerster Folgen schließen. Auch der Angeklagte N hat eine hoch intensive Gefahrenlage (mit)geschaffen, sich in der konkreten Situation jeglicher Handlungsmacht begeben, keinerlei Wahrnehmungsmöglichkeit nach rechts gehabt und dem Geschädigten W keinerlei Reaktions- und Abwehrchancen belassen. Dies rechtfertigt bei der vorzunehmenden Gesamtwürdigung, zumal auch er sich in einer psychisch unproblematischen Verfassung befand, die Bejahung des voluntativen Elements im Rahmen des bedingten Tötungsvorsatzes.
g) Potentielle Einwände gegen das Vorliegen eines bedingten Tötungsvorsatzes
aa) Die Kammer hat im Rahmen ihrer Betrachtung nicht außer Acht gelassen, dass sich das Unfallgeschehen in einem Wintermonat zur Nachtzeit ereignet hat, mithin zu einer Zeit, zu der das Verkehrsaufkommen naturgemäß niedriger war. Allerdings hat die Beweisaufnahme durch die Bekundungen der gehörten Zeugen ergeben, dass sich in allen Bereichen der Fahrstrecke der Angeklagten Menschen aufhielten und im Rahmen des nächtlichen Straßenverkehrs Privatfahrzeuge, Busse des öffentlichen Nahverkehrs und Taxen unterwegs waren. Wurden die Angeklagten zu Beginn ihres Rennens noch durch das Hupen eines anderen Fahrzeuges zur Weiterfahrt aufgefordert, so belegen die von dem technischen Sachverständigen W in der Hauptverhandlung vorgeführten und in Augenschein genommenen Bilder einer Überwachungskamera des Ladengeschäfts der Firma M im Kreuzungsbereich Tauentzienstraße / Nürnberger Straße, dass sich wenige Sekunden vor dem Unfallgeschehen mehrere Fahrzeuge dort aufhielten. In diesem Zusammenhang sei nochmals betont, dass es sich bei der Rennstrecke und dem Unfallort um den zentralen Bereich des alten West-Berlins handelt, der gerade zwischen der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche / Europacenter und dem Wittenbergplatz / KaDeWe eine starke Anziehungskraft für Touristen aus aller Welt besitzt und auch noch nachts Menschen anzieht. Nicht zuletzt deswegen hatte sich der Angeklagte H dort auch mit den Zeugen A und S im Bereich des Kaufhauses … verabredet. Die Angeklagten wussten daher und hatten auch erkannt, dass sie im Verlaufe des Rennens jederzeit mit querenden Fußgängern und Fahrzeugen rechnen mussten, die sie durch ihren riskanten Verkehrsstil in höchste Gefahr für Leib und Leben bringen würden.
bb) Im Rahmen der vorgenommenen Gesamtbetrachtung hat sich die Kammer auch mit dem möglichen Einwand auseinandergesetzt, dass die Vorstellung eines für Dritte tödlichen Unfalls regelmäßig auch die Vorstellung einer eigenen möglichen tödlichen Verletzung impliziere, womit dem Täter eine Art Kamikaze-Einstellung unterstellt werde (Mitsch, a.a.O.). Auch wolle der Täter in der Regel nicht, dass sein „Heiligtum“ Auto Schaden nehme (Preuß, a.a.O.). Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass sportlich genutzte Fahrzeuge der in Rede stehenden Art ein besonderes Gefühl der Sicherheit vermitteln. Die Fahrer dieser Fahrzeuge fühlen sich in ihren tonnenschweren, stark beschleunigenden, mit umfassender Sicherheitstechnik ausgestatteten Autos geschützt, stark und überlegen wie in einem Panzer oder in einer Burg und blenden jegliches Risiko für sich selbst aus. An dem Wagen habe er, so der Angeklagte H gegenüber der Sachverständigen B, die Fahrweise geliebt. Der Wagen ziehe „mit allen Vieren“ und sei sehr sicher. Ja, er habe das Auto geliebt, weil er es als sicher empfunden habe und es auch ein schönes Auto gewesen sei. In dem Auto habe er sich im Vergleich zu den anderen Autos, die er gekannt habe, sicherer gefühlt.
Infolge dieses Sicherheitsgefühls war es auch nur logisch und konsequent, dass sich der Angeklagte während der Fahrt nicht angeschnallt hat. Dass seine Einschätzung der Sicherheitslage nicht falsch war, wird auch durch die Folgen des Unfallereignisses bestätigt. Während die Insassen des Audis und des Daimler-Benz mit vergleichsweise geringen Verletzungen überlebten, verstarb der Jeepfahrer noch am Unfallort. Vorstehende Erwägungen lassen sich nach den Bekundungen der dem Angeklagten N nahestehenden Zeugen zwanglos auf diesen übertragen, der sein Selbstwertgefühl ebenfalls über die Kraft, Stärke und Potenz seines Fahrzeuges definierte.
cc) Auch die Beschädigung bzw. Zerstörung ihrer Fahrzeuge haben die Angeklagten in der Anlaufphase des Rennens und zum Tatzeitpunkt ausgeblendet. Unabhängig davon, dass jedes Kräftemessen im Bereich der gefahrenen Geschwindigkeiten die Gefahr einer Kollision mit dem Rennpartner, eines Reifenplatzers oder eines individuellen Fahrfehlers in sich birgt, standen hier das Gewinnstreben, die Selbstbestätigung, die Dominanz und das Ansehen unter Gleichgesinnten im Vordergrund. Zögerte der Angeklagte N anfangs noch damit, sich auf das Rennen einzulassen, so gab er alsbald seine Zurückhaltung auf, stellte alle Bedenken zurück, nahm die Verfolgung des Angeklagten H auf und konnte diesen zeitweise auch überholen. Bei diesem gegenseitigen sich zu immer höheren Geschwindigkeiten Hochpushen (Vollgas zum Unfallzeitpunkt) und im Grenzbereich des technisch machbaren Fahrens (Kurvengeschwindigkeit am Breitscheidplatz) war kein Raum mehr für die Schonung des eigenen Fahrzeuges. Mögliche Gedanken in diese Richtung gingen im Adrenalinrausch und im „Kick“ des Rennens bei bestmöglichem Einsatz der Kraft des eigenen Fahrzeuges unter.
dd) Auch die Argumentation, die hiesige rechtliche Betrachtungsweise mache jeden an einer Kreuzung zu schnell fahrenden Autofahrer zu einem potentiellen Mörder, verfängt nicht. Der Schluss auf einen mutmaßlichen inneren Sachverhalt beruht ebenso wenig wie die Zuschreibung von Vorsatz auf einem Einfaktorenmodell der Erfolgswahrscheinlichkeit. Eine solche Verengung des Sichtfeldes wird weder der Komplexität eines juristischen Wertungsaktes gerecht, noch sind die vielgestaltigen Bedingungen einer inneren Entscheidungsfindung adäquat abgebildet. Beurteilungsgrundlage der Vorsatzannahme ist in jedem Fall der gesamte Geschehensablauf mit all seinen objektiven und subjektiven Facetten (Godenzi / Bächli-Biétry, a.a.O., 622, vgl. auch Preuß, a.a.O.). Inwieweit es im vorgelagerten Rennbereich zu derartig gefahrenträchtigen Situationen wie der an der Unfallkreuzung gekommen ist, hatte offen zu bleiben, da sie nicht Gegenstand der zu beurteilenden Anklage waren. Nur die wenigsten auf überhöhte Geschwindigkeit zurückzuführenden tödlich endenden Unfallereignisse werden einem Totschläger oder Mörder zuzurechnen sein, zumal sich auch nicht jeder Täter auf ein Autorennen einlässt. Massive Geschwindigkeitsüberschreitungen allein können auch bei tödlichen Folgen die Vorsatzannahme nicht tragen (Godenz / Bächli-Biétry, a.a.O., 623). Es ist naheliegend, dass in der Anfangsphase des hiesigen Rennens bei noch eingehaltenen Geschwindigkeiten von unter oder um 100 km/h, geradem Straßenverlauf, teilweise vorhandener Einsehbarkeit der querenden Straße, grünem Ampellicht etc. die Gesamtabwägung aller einzubeziehenden objektiven und subjektiven Tatumstände noch ein anderes Ergebnis hätte zeitigen können. Dies stellt jedoch die von der Kammer für den Unfallzeitpunkt und -ort vorgenommene Bewertung nicht in Frage, da sich erst dort die gefahrträchtige Situation in der oben beschriebenen Art und Weise unter Einbeziehung und Bewertung aller relevanten Beweisanzeichen tödlich aktualisiert hat.
ee) Das hiesige Rennen war nicht konkret verabredet worden. Die Angeklagten haben sich spontan zusammengefunden, doch hindert dies nicht die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes. Zwar ließe sich bei einer akribischen Planung eines Rennens der Vorsatz eher bejahen (Preuß, a.a.O.), doch hat sich der Vorsatz, wie beschrieben, erst „entwickelt“. Aufgrund der Länge der Fahrstrecke, der stetigen Beschleunigung bis zum Vollgas und des Herausholens von allem, was technisch in den Fahrzeugen steckte, bei schlussendlichem Überfahren einer mehrere Sekunden bereits Rot abstrahlenden Ampel verliert der Spontanitätsgesichtspunkt bei wertender Gesamtbetrachtung seinen möglichen Stellenwert.
ff) Dem Nachtatverhalten und etwaigen Äußerungen der Angeklagten kommt in diesem Zusammenhang nur ein geringer Indizwert zu (Preuß, a.a.O.). Demgemäß hat die Kammer zu Lasten des Angeklagten N entgegen der Bewertung der Staatsanwaltschaft auch nicht die Suche nach seinem Handy im Anschluss an das Verlassen seines Fahrzeuges berücksichtigt; denn dieses Verhalten kann dem Umstand geschuldet sein, dass er Freunde und Verwandte informieren wollte. Ein sicherer Rückschluss auf seine Haltung zu dem Unfallgeschehen und seine innere Einstellung lässt sich daraus nicht ableiten. Gleiches gilt entgegen der Auffassung der Verteidigung für die Äußerung bzw. Frage des Angeklagten H an der Unfallstelle. „Wie konnte das passieren?“ Unabhängig davon, dass diese Frage von vielen Menschen nach Ereignissen wie dem vorliegenden oft rein rhetorisch gestellt wird, lässt sich aus ihr kein wie immer gearteter Schluss auf das Vor- bzw. Nichtvorliegen des Wissens- oder Wollenselements des bedingten Tötungsvorsatzes ziehen; denn der Angeklagte litt nach dem Unfall an einer Amnesie und musste sich diese Frage, auf die er keine Antwort fand, naturgemäß stellen.
h) Zusammenfassende Betrachtung
Nach alledem haben sich die Angeklagten vor dem Hintergrund ihrer Persönlichkeiten und frei von jeglicher psychischer Beeinträchtigung am Tattag auf ein Autorennen eingelassen, das in der konkreten Begehungsweise zu den tödlichen Verletzungen des Geschädigten W geführt hat. Diesen „Erfolg“ haben sie bedingt vorsätzlich in Kauf genommen; denn sie handelten in Kenntnis der objektiven Gefährlichkeit ihres Verhaltens und konnten nicht mehr darauf vertrauen, dass alles gut ausgehen werde. Den möglichen Tod eines querenden Fahrzeugführers wünschten sie nicht, nahmen ihn aber angesichts ihres Gewinnstrebens gleichgültig hin. Ihre extreme Geschwindigkeit, Vollgas, die Missachtung roten Ampellichts, ihre „Blindfahrt“ und die Tatörtlichkeit als innerstädtischer Großstadtbereich beließen dem Geschädigten keine Überlebenschance, zumal auch die Angeklagten selbst keine Möglichkeit mehr hatten, das Unfallgeschehen durch ein Brems- oder Lenkmanöver zu vermeiden. Ergebnis dieses todbringenden Versagens der Angeklagten als Fahrzeugführer war, so der Sachverständige Dr. W, das Szenario eines „typischen Landstraßenunfalls“ bzw., so die Bekundungen der am Unfallort eintreffenden Polizeibeamten, der Anblick eines „Schlachtfeldes“.
Wollte man unter den gegebenen Umständen das Vorliegen des bedingten Tötungsvorsatzes, und zwar insbesondere des voluntativen Elements, negieren, so liefe dies auf eine Umschreibung bzw. Aufweichung der … dargelegten Merkmalsbegrifflichkeit heraus und bedeutete eine (partielle) Neudefinition des bedingten Tötungsvorsatzes für Fälle der vorliegenden Art. Die bedingt vorsätzliche Tötung eines anderen Menschen lässt sich aber nur nach einheitlichen Maßstäben und nicht danach beurteilen, bei welcher Gelegenheit oder in welchem Rahmen – hier: Straßenverkehr – sie erfolgt.
Mord
Die Angeklagten waren als Mörder gem. § 211 StGB zu verurteilen, da sie den Geschädigten mit einem gemeingefährlichen Mittel töteten. Eine Tötung aus sonstigen niedrigen Beweggründen lag indes nicht vor.
Gemeingefährliches Mittel
Das Mordmerkmal der Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln ist erfüllt, wenn der Täter ein Mittel zur Tötung einsetzt, das in der konkreten Tatsituation eine Mehrzahl von Menschen an Leib und Leben gefährden kann, weil er die Ausdehnung der Gefahr nicht in seiner Gewalt hat. Die Qualifikation hat ihren Grund in der besonderen Rücksichtslosigkeit des Täters, der sein Ziel durch die Schaffung unberechenbarer Gefahren für andere durchzusetzen sucht. Dabei ist nicht allein auf die abstrakte Gefährlichkeit eines Mittels abzustellen, sondern auf seine Eignung und Wirkung in der konkreten Situation unter Berücksichtigung der persönlichen Fähigkeiten und Absichten des Täters. Die Mordqualifikation kann deshalb auch dann erfüllt sein, wenn ein Tötungsmittel eingesetzt wird, das seiner Natur nach, wie hier, nicht gemeingefährlich ist. Maßgeblich ist dann jedoch die Eignung des Mittels zur Gefährdung Dritter in der konkreten Situation (BGH, Urt. v. 16.8.2015 – 4 StR 168/05, NStZ 2006, 167 [168]; v. 16.3.2006 – 4 StR 594/05, NStZ 2006, 503 [504]; v. 25.3.2010 – 4 StR 594/09, NStZ 2010, 515; v. 21.12.2016 – 1 StR 375/16, juris). Lässt der Unfallverlauf es als möglich erscheinen, dass eine abstrakte Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer von vornherein ausgeschlossen war, weil sich das Unfallereignis nur außerhalb des Gefahrenbereichs Dritter zutragen konnte, so ist das Mordmerkmal nicht erfüllt (BGH, Beschl. v. 16.1.2007 – 4 StR 598/06, NStZ-RR 2007, 174).
Im Vordergrund der Betrachtung steht die besondere Sozialgefährlichkeit des Täters. Tötungen mit gemeingefährlichen Mitteln werden als gesteigert bedrohlich empfunden, weil jedermann ohne Anlass zufällig in den Einzugsbereich eines solchen Tötungsverbrechens geraten kann und dadurch keine Chance hat, sich auf die ihm drohende Gefahr einzustellen und darauf zu reagieren. Die Auslegung des Mordmerkmals hat sich an der Nichtkontrollierbarkeit der Auswirkungen des eingesetzten Tatmittels zu orientieren (Schneider, in: KüKo-StGB, 2. Auf. [2012], § 211 Rn. 121). Entscheidend ist, ob der Täter das Tatmittel in der konkreten Situation so beherrscht, dass eine Gefährdung weiterer Personen ausgeschlossen ist (Neumann, in: NK-StGB, 4. Aufl. [2013], § 211 Rn. 87). Keine Bedingung ist, dass es tatsächlich zu einer Vielzahl von Todesopfern kommt. Erforderlich und ausreichend ist, dass für einen vom Täter nicht eingrenzbaren größeren Personenkreis eine konkrete Lebensgefahr bestand bzw. dass das Tatwerkzeug nach seinen typischen Wirkweisen dazu geeignet war, tatsituativ solche Gefahren hervorzurufen (Mitsch, in: AnwK-StGB, 2. Aufl. [2015], § 211 Rn. 67, Schneider, a.a.O., Rn. 126). So ist es zum Beispiel unerheblich, dass in dem Zimmer, in welches ein Molotow-Cocktail geschleudert wird, zufällig niemand außer seinem Bewohner ist; es genügt, dass sich dort auch andere Personen befinden konnten (vgl. Jähnke, in: LK-StGB, 11. Aufl. [2005], §211 Rn. 57). Die Gefahrverursachung für mindestens drei Personen neben dem unmittelbaren Tatopfer erscheint als ausreichend (Schneider, a.a.O., Rn. 127; Rengier, StV 1986, 405 [409]).
Ist die betroffene Personenanzahl für den Täter nicht berechenbar, beherrscht er den Umfang der Gefährdung nicht, handelt er in besonderer Rücksichtslosigkeit und hat er es nicht in der Hand, wie viele Menschen als Repräsentanten der Allgemeinheit (Rengier, a.a.O., 407) in den von ihm geschaffenen Gefahrenbereich geraten und durch sein Verhalten ihr Leben verlieren können, so ist der Täter wegen eines Mordes „mit gemeingefährlichen Mitteln“ zu bestrafen, sofern er dies in seinen Vorsatz aufgenommen hat und ihm die Gefährdung einer Mehrzahl von Menschen mit tödlichen Verletzungen bewusst war. So liegt der Fall hier.
Durch ihr Verhalten verursachten die Angeklagten im Kreuzungsbereich der Tauentzienstraße / Nürnberger Straße sowie in dessen Umfeld in einer Ausdehnung von 60 bis 70 Metern ein „Schlachtfeld“. Das Fahrzeug des Geschädigten W wurde um die eigene Längs-, Hoch- und Querachse gedreht und in Richtung Wittenbergplatz geschleudert. Der Audi des Angeklagten H prallte zweimal gegen die Hochbeeteinfassung des Mittelstreifens der Tauentzienstraße und kam erst nach 60 Metern im Bereich des Kaufhauses … zum Stehen. Der Mercedes-Benz des Angeklagten N fällte eine auf dem Mittelstreifen befindliche Ampel, riss Teile der dortigen Granitabgrenzung heraus, schob hinter der Hochbeeteinfassung liegende Erde zu einer Art Rampe auf, wurde mehrere Meter weit durch die Luft katapultiert und fand mit dem Heck auf der Hochbeeteinfassung seine Endposition. Weiträumig flogen Teile der Betoneinfassung, größere (Auspuffanlage) und kleinere Fahrzeugteile sowie Splitter durch die Luft und blieben in einem Umfeld von 60 bis 70 Metern verstreut auf der Tauentzienstraße und zu einem kleineren Teil in der Nürnberger Straße liegen. Unmittelbar betroffen wurde der Geschädigte W als Fahrer seines Jeeps Wrangler, lebensgefährliche Verletzungen hätten die Zeugen D, W und G erleiden können, die sich weniger als 50 Meter vom Kollisionspunkt entfernt aufhielten. In geringerem Maße galt das auch für die im weiteren Umkreis von 50 bis 100 Metern sich aufhaltenden Zeugen Sa, S, R und M.
Es ist allein glücklichen Umständen zu verdanken, dass zum Unfallzeitpunkt nur das mit dem Geschädigten W besetzte Fahrzeug die Unfallkreuzung befuhr. Ebenso gut hätte das Fahrzeug mit vier oder fünf Insassen besetzt sein können. Ihm hätten weitere Fahrzeuge nachfolgen können, auch aus der Gegenrichtung hätten durch grünes Ampellicht bevorrechtigte Fahrzeuge die Tauentzienstraße queren können. Dass dies noch kurz vor dem Unfallgeschehen der Fall war, belegen die Videoaufnahmen der Überwachungskamera der Firma M.
Bei dieser Sachlage, insbesondere der bei Einfahrt in den Kreuzungsbereich innegehabten Geschwindigkeit im Bereich des Dreifachzulässigen, und der Unfähigkeit der Angeklagten das Geschehen noch irgendwie zu beherrschen, bestand für einen von ihnen nicht eingrenzbaren größeren Personenkreis eine konkrete Lebens- und Todesgefahr, die sich für den Geschädigten W – und für die Zeugin K als Beifahrerin des Angeklagten N – in tragischer Weise realisiert hat. In dieser Situation schufen die Angeklagten mit besonderer Rücksichtslosigkeit und in nicht mehr zu kontrollierender Art und Weise eine konkrete Gefahrenlage, in der sie es nicht mehr in der Hand hatten, wie viele Menschen als Repräsentanten der Allgemeinheit es treffen würde. Dass ihnen dies bewusst war, ist offensichtlich. Ihre Wegstrecke und insbesondere der nähere Tatortbereich waren eben nicht auto- und menschenleer. Wie bereits weiter oben ausgeführt worden ist, herrschte ein mäßiger, der Nachtzeit entsprechender Verkehr vor, an dem zumindest die benannten Zeugen als Fußgänger teilnahmen. Auf den inner- bzw. hauptstädtischen Charakter des fraglichen Kreuzungsbereichs zwischen Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche / Europacenter und Wittenbergplatz / KaDeWe ist bereits hingewiesen worden. Dass dort auch zur Nachtzeit Menschen in welcher Form auch immer am Verkehrsgeschehen teilnehmen würden, lag auf der Hand und war den Angeklagten für ihre Lieblingsstrecke und den „Lifestyle-Kudamm“ auch bekannt.
Im Übrigen ist die Fallkonstellation hinsichtlich des hier in Frage stehenden Mordmerkmals mit dem vom BGH (4 StR 594/05, a.a.O.) entschiedenen Fall einer Geisterfahrt vergleichbar. Dort hatte der Täter sein unbeleuchtetes Fahrzeug nachts in Suizidabsicht in Gegenrichtung auf eine Autobahn gelenkt und den Tod der Insassen eines in 500 Meter Entfernung entgegenkommenden Autos billigend in Kauf genommen. Das Fahrzeug war tatsächlich mit sechs Insassen besetzt, wovon drei bei der anschließenden Kollision verstarben, während die drei anderen schwer verletzt wurden. Der BGH hat in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass es für den Angeklagten nicht beherrschbar gewesen sei, welche und wie viele Personen durch das von ihm mit mindestens 117 km/h (!) in den Gegenverkehr gelenkte Fahrzeug gefährdet, verletzt und getötet werden konnten. Auch im hiesigen Fall war unmittelbar nur ein Fahrzeug betroffen, das jedoch zwanglos mit mehreren Insassen hätte besetzt sein können. Anders als im außerstädtischen Autobahnbereich hätten hier durch die Schleuderbewegungen der beteiligten Fahrzeuge und die katapultartigen Ablösungen von Fahrzeugteilen auch nichtmotorisierte Verkehrsteilnehmer betroffen und tödlich bzw. schwer verletzt werden können. Dies gilt nicht zuletzt für die Zeugen A und S, mit denen der Angeklagte H im Bereich des Kaufhauses P, wo sein Fahrzeug zum Stillstand gekommen ist, verabredet war.
Niedrige Beweggründe
Das Vorliegen des weiteren Mordmerkmals aus sonstigen niedrigen Beweggründen vermochte die Kammer nicht mit letzter Sicherheit zu bejahen. Zwar war es von der Staatsanwaltschaft sachgerecht, auch dieses Merkmal im Rahmen der durchgeführten Hauptverhandlung einer Prüfung zu unterziehen (Vgl. dazu Preuß, a.a.O., 106 f.), doch vermochte die Kammer nicht mit Sicherheit festzustellen, dass die Motive der Angeklagten nach allgemeiner sittlicher Anschauung verachtenswert waren und auf tiefster Stufe standen. Da sich die Beteiligten naheliegender Weise nicht kannten, konnten insbesondere die Beweggründe, Handlungsantriebe und Einstellungen der Angeklagten gegenüber dem Geschädigten und seinem Lebensrecht nicht näher bestimmten werden.
Gefährliche Körperverletzung
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Straßenverkehrsgefährdung
Darüber hinaus waren die Angeklagten wegen einer vorsätzlichen Gefährdung des Straßenverkehrs gem. § 315 c Abs. 1 Nr. 2 lit. a und d StGB zu bestrafen, da sie grob verkehrswidrig und rücksichtslos die Vorfahrt des Geschädigten W nicht beachteten, an einer Straßenkreuzung zu schnell fuhren und dadurch Leib und Leben des Geschädigten in der Weise gefährdeten, dass sie ihn töteten.
Schuldfähigkeit
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Strafzumessung
Lebenslange Freiheitsstrafe
Die Angeklagten waren im Hinblick auf die vorgenannten tateinheitlich (§ 52 StGB) und gemeinschaftlich (§ 25 Abs. 2 StGB) erfüllten Verbrechens- bzw. Vergehenstatbestände jeweils zu einer (§ 52 Abs. 2 S. 1 StGB) lebenslangen Freiheitsstrafe zu verurteilen. Diese Strafe war mangels Vorliegens eines gesetzlichen Strafmilderungsgrundes nicht zu mildern. Eine Ausnahme von der absoluten Strafandrohung kam auch nicht im Wege der Rechtsfolgenlösung in Betracht, da diese nur für den Fall des Heimtückemordes bei Vorliegen außergewöhnlicher mildernder Umstände anzunehmen ist (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 1 Strafmilderung 1-7).
[…]