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Sozial-psychologische Reibungsverluste des „digitalisierten Strafprozesses“ – Kritische Überlegungen zu „Gerichtsfernsehen“, audiovisueller Vernehmungsdokumentation und „Big Data-Ermittlungen“

von Wiss. Mit. Dr. Oliver Harry Gerson

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Abstract
Der Beitrag untersucht aus interdisziplinärer Perspektive die in der deutschen Diskussion noch weitgehend unterrepräsentierten sozial-psychologischen Vor- und Nachteile der „Digitalisierung“ des Strafprozesses. Die Meilensteine auf dem Weg dorthin – „Gerichtsfernsehen“, au-diovisuelle Vernehmungsdokumentation und „Big Data-Ermittlungen“ – verfangen bislang nahezu ausschließlich in rechtspolitischen Fäden. Neben spezifisch strafprozessualen Problemen müssen sich alle Verantwortlichen noch weitaus intensiver mit der Wissenschaft der Wahrnehmung, verborgenen psychodynamischen Unwägbarkeiten und der darin verhafteten Wirkmächtigkeit(en) beschäftigen, um die notwendige Modernisierung des Strafverfahrens nicht in der Wiederholung alter Fehler münden zu lassen.

I. Einleitung

Modernisierung ist ein zweischneidiges Schwert. Sie lässt alte Probleme verschwinden, kreiert dafür im Gegenzug allerdings häufig neue, völlig anders geartete Hindernisse. So verhält es sich auch bei der Ausweitung von bild- und tontechnischen Übertragungen von Gerichtsverhandlungen (I.),[1] der audiovisuellen Vernehmungsdokumentation (II.)[2] und der Nutzung von Big Data[3] und Quellen-TKÜ[4] im Ermittlungsverfahren (III.).[5] Abseits rechtsdogmatischer Fragen soll es im Folgenden um die sozial-psychologischen Folge- und Verzerrungseffekte der angestrebten Modernisierungen gehen, welche unter dem weiten Topos „Digitalisierung“ fassbar sind.

II. Gerichtsfernsehen über § 169 Abs. 2 GVG hinaus – Ende der „Würde des Gerichts“?

Bislang stand der Aufnahme von Gerichtsverhandlungen zur Vorführung der § 169 S. 2 GVG entgegen. § 169 GVG kennt dabei „zwei“ Öffentlichkeiten: Zum einen die unmittelbare Öffentlichkeit, die aus den im Sitzungssaal anwesenden Zuschauern besteht, die stets zu gewährleisten ist. Zum anderen die mittelbare Öffentlichkeit, d.h. Personen, die mittels technischer Möglichkeiten – aber ohne eigene körperliche Anwesenheit – das Geschehen im Gerichtssaal verfolgen können, welche nicht zuzulassen ist.[6] Ausschließlich bei den Entscheidungsverkündungen des BVerfG sind weitergehende Aufnahmen möglich, vgl. § 17a BVerfGG.[7] Ein Vorstoß des Gesetzgebers regte an, dass sich auch andere Gerichtszweige „moderat“ für das „Gerichtsfernsehen“ öffnen sollen,[8] denn die Regelungen betreffend die Verfahrensöffentlichkeit (sprich § 169 S. 2 GVG) seien alt und überkommen.[9] Ein durch das EMöGG neu in § 196 GVG eingefügter Absatz 3 lässt nun auch für die Verkündung von Entscheidungen des BGH in besonderen Fällen Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen zum Zweck der öffentlichen Vorführung oder der Veröffentlichung ihres Inhalts zu.[10] Bislang würde es die unterinstanzlichen Gerichte demnach nicht betreffen, im Strafverfahren daher weder eine Amts-, noch eine landgerichtliche Tatsacheninstanz erfassen. Ungeachtet der Frage, ob eine Öffnung auch der vollständigen Tatsacheninstanz (sprich: der eigentlichen Hauptverhandlung) für die Medien-Öffentlichkeit ganz grundsätzlich in die deutsche Verfahrenstradition passt und wie eine entsprechende legislative Umsetzung aussehen könnte, sind im Folgenden grundlegende Reibungsflächen der Beeinflussung von Verfahrensabläufen durch mediale „Sichtbarmachung“ zu diskutieren.

1. Legitimationsprobleme juristischer Arbeit durch „unbegrenzte Wirklichkeitserfahrung“

Eine der Triebfedern der Erwägungen zur fortschreitenden Öffnung des Verfahrens über § 169 S. 2 GVG hinaus ist die Schaffung von mehr Verständnis für die Gerichtswirklichkeit und ein dadurch bewirkter Ansehenszugewinn für die Justiz.[11] Das ist insoweit nachvollziehbar, als das Vorführen zusammenhängender Abläufe gerichtlicher Procedere (also nicht allein der Urteilsverkündung) tatsächlich mehr Einsicht bieten könnte, als durch überzeichnete Dramaturgie und Hysterie fiktionaler Gerichtsserien (zumeist US-amerikanisch[12]) oder pseudo-dokumentarischer Gerichtsshows (zumeist deutsches Privatfernsehen[13]) geleistet wurde.[14] Die weitaus spannendere Frage ist jedoch, was ein „ungeschminkter“ Einblick „hinter die Kulissen des Rechts“ für das Strafverfahren und seine Akteure bedeuten würde. Zu befürchten sind komplizierte Rollenkonfusionen (a.) sowie der Verlust der professionellen Deutungshoheit über den Prozess (b.).

a) „Showbühne“ statt Gerichtsaal – Rollenkonfusionen und Erwartungsbrüche

Zum einen steht zu befürchten, dass der sensible Vorgang der juristischen Klärung des Lebenssachverhaltes zu einer „Showbühne“ verkommt.[15] Zwar wird durchaus diskutiert, dass ein Strafverfahren eine Art „Rollenspiel“ inszeniert.[16] Durch Bewusstmachung dieses Rollenarrangements würde womöglich das „szenisches Verstehen“[17] der Abläufe geschult, um durch ein austariertes „Vorverständnis“ die Verständigungsorientierung des Prozesses zu forcieren. Andererseits sprach bereits Goffman an, dass die Annahme einer Rolle zugleich die Annahme der damit implizierten Rollenerwartungen nach sich zieht.[18] Die völlige Öffnung des in der Regel allein von Juristen dominierten Gerichtssaales für Dritte in Form der medialen Vorführung trüge daher auch die Erwartungen Dritter vom Verhalten der Juristen an die Juristen heran.[19] Es könnte somit ein genau gegenteiliger Effekt eintreten, als der ministerielle Vorstoß ursprünglich intendierte: So wie ein Teilchen seine Laufbahn ändert, wenn es beobachtet wird,[20] würden plötzlich „Begutachter“ und „Anschauungsobjekt“ verschoben. Anstatt das Bild der Gesellschaft[21] von der Justizwirklichkeit zu korrigieren, würde vielmehr die spürbare Erwartung der Gesellschaft von der (eingebildeten) Wirklichkeit der Justizabläufe diese infizieren. Ohne Zweifel ist eine gewisse „Ablenkung“ aller Betroffenen nicht ausgeschlossen.[22]

b) Verlust der Deutungshoheit über den Ablauf – „Das Recht wird im Namen des Volkes gesprochen und nicht vor dem ganzen Volk!“[23]

Solange eine Hauptverhandlung entweder nur durch persönliche Sitzungsteilnahme erfahren oder durch das Lesen der Urteilsgründe rekonstruiert werden kann, verbleibt die Deutungshoheit über Abläufe und gefundene Ergebnisse nahezu ausschließlich innerhalb der Profession. Damit ist nicht gemeint, dass eine Geheimjustiz etabliert würde;[24] vielmehr geht es darum, dass ein juristisches Verfahren primär juristische Probleme erörtern und lösen soll. Erschaffen wird dadurch ein argumentativer Raum juristischer Autonomie und Autorität.[25] Eine umfassende Öffnung des Gesamtablaufs für eine breite Medienöffentlichkeit erhöhte daher den (Erwartungs-)Druck auf die Beteiligten, ihre Entscheidung über die „Erheblichkeit“ und „Wesentlichkeit“ einzelner Fragen noch einsichtiger und insbesondere noch frühzeitiger auszugestalten. Zwar spricht nichts gegen eine transparente und nachvollziehbare Begründung von Judikaten. Andererseits wird die juristische Arbeitsweise als sprachlogische Methode der Ergebniskonstruktion nicht ohne Grund durch ein mehrsemestriges Studium und einen abschließenden Vorbereitungsdienst erlernt. Die „Leichtigkeit“ der handwerklichen Bewältigung eines rechtlichen Konfliktes nach „allen Regeln der Kunst“ ist zumindest gefährdet, wenn die juristische Deutungshoheit über Gebühr beschränkt würde. Durch Aufnahme und Vorführung kompletter Hauptverhandlungsabläufe würde der argumentative Raum juristischer Autonomie und Autorität aufgebrochen und zugleich der ungeschützten Infragestellung durch eine noch breitere bzw. unbegrenzte Öffentlichkeit überlassen.[26]

Überdies wären die Akteure „auf ewig“ in ihrer Rolle gefangen: Der „Täter“ bliebe auch Jahre nach der Verhandlung über „Youtube“ identifizierbar, das Opfer dauerhaft als solches stigmatisiert.[27] Der Richter sähe sich womöglich als Zielscheibe von Hohn und Spott in der „heute show“ oder anderem Kabarett „verarbeitet“,[28] wenn er nicht permanent wortgewandt und verhandlungssicher agierte.[29] Solche Unwuchten innerhalb der ansonsten „vergänglichen“ Konfliktlösung bedürfen der sorgfältigen Überlegung vor der Einführung entsprechender Übertragungsmöglichkeiten.

2. Zwischenfazit: Verflachung, Verkünstlichung und Verstetigung statt Transparenz

Die Vorführung der Urteilsverkündung ist nicht zu beanstanden, mag sie auch redundant sein. Ob hingegen das (weiterhin nicht mögliche) öffentliche Vorführen von Hauptverhandlungen zwangsläufig positive Wirkungen für Gesellschaft und Verfahrens nach sich zöge, ist zumindest kritisch zu hinterfragen. Nahezu vernichtend wirkt die Bewertung von Alwart zum Entwurf und auch zu den bis dato ergangenen Öffnungen für die Medienöffentlichkeit: „Der Entwurf ist geeignet, die gegenwärtige Justiz-, Medien- und Demokratiekrise zu verschärfen. […]. Dahinter verbirgt sich ein hermeneutisch leerer Informationsbegriff, der dazu geführt hat, dass die Hauptverhandlung an der Strafprozessordnung vorbei um mediale Erniedrigungsrituale erweitert worden ist. Die Angeklagten werden zwar nicht in einem Käfig präsentiert, nicht selten aber einem unfairen und stigmatisierenden Fotoshooting ausgesetzt, das ihre Verteidigung behindert. Inzwischen hat kaum noch jemand Antennen dafür, den unmoralischen und (menschen-)rechtsfeindlichen Charakter solcher Rituale zu erfassen.“[30] Wenngleich das Wetterleuchten hier sehr drastisch illustriert wird, ist die Stoßrichtung richtig: Zu groß scheint das Risiko der Verflachung der Inhalte, der Verkünstlichung der Abläufe und der Verstetigung der Verfahrens-(zwischen-)ergebnisse. Es wäre daher zwingend erforderlich (gewesen), vor der Ausweitung der Bild- und Ton-Übertragungen aus Gerichtssälen zunächst empirisch zu erheben, welche konkrete Vorstellung Nicht-Juristen von einem strafrechtlichen Verfahren haben, um eine „Hoch-Stilisierung“ und damit einhergehende Hemmung der Funktionalität zu verhindern. Solange keine eindeutigen wissenschaftlichen Erkenntnisse dazu vorliegen, ob Vorführungen das Verständnis der Abläufe tatsächlich erhöhen können, ohne zugleich unerträgliche Nachteile für die Beteiligten des Prozesses zu erwirken, ist von medialem Streaming von Hauptverhandlungen Abstand zu nehmen. „Gerichtsfernsehen“ ist Zukunftsmusik und sollte diese bleiben.[31] Der unabdingbare Öffentlichkeitsgrundsatz wurde bereits über die §§ 169 ff. GVG alter Fassung verwirklicht.

III. Die audiovisuelle Vernehmungsdokumentation und deren inhärente „Boomerang“-Effekte

Um „Filmen“ – jedoch in einem anderen Verfahrensabschnitt und mit anderer Intention – geht es auch bei der audiovisuellen Vernehmungsdokumentation. Ohne Zweifel stellt diese einen Fortschritt im Vergleich zur lediglich schriftlichen Skizzierung eines Vernehmungsprotokolls dar, welches als Relikt aus dem Papierzeitalter für Fehldeutungen und Wahrnehmungsverzerrungen steht.[32] Andererseits eröffnet sie zugleich eine neue Form der Digitalisierung von Ermittlungsvorgängen. Aus den §§ 163a Abs. 3 und 4 i.V.m. 168 a und b StPO sowie Nr. 45 Abs. 2 RiStBV ergibt sich, dass Vernehmungen (welche Hauptfehlerquellen im Strafverfahren sind[33]) im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren grundsätzlich zu protokollieren sind. Die audiovisuelle Aufzeichnung beim Beschuldigten hingegen unterliegt dem § 163a Abs. 1 S. 2 StPO, der auf die „Kann-Regelung“ beim Zeugen im § 58a Abs. 1 S. 1 StPO verweist.[34] Die ursprünglichen Empfehlungen der „Expertenkommission“[35] und auch des AE-Beweisaufnahme[36] wollten dies wesentlich ausweiten. Der Reformdruck ist somit offenkundig.[37]

Es soll auch hier nicht um die dogmatischen Problemlagen bezüglich der Verwertung[38] von Vernehmungsdokumentationen in der Hauptverhandlung gehen, die in Hinblick auf den geltenden Unmittelbarkeitsgrundsatz gem. §§ 249 ff. StPO lediglich ergänzend, und nur in engen Ausnahmefällen substituierend von statten gehen kann.[39] Auch ist klar, dass moderne Techniken Ressourcen sparen und vieles dadurch leichter und schneller funktionieren wird.[40] Stattdessen werden einige interdisziplinäre Erkenntnisse der Wahrnehmungspsychologie[41] zusammengestellt und in den Kontext der digital fixierten Vernehmungssituation eingeordnet,[42] um das Strafverfahren für den zukünftig vermehrten Einsatz der audiovisuellen Vernehmungsdokumentation zu wappnen.

1. Neue Perspektive(n) auf alte Dinge

Die audiovisuelle Vernehmungsdokumentation vertieft und fokussiert die Interpretation der Vernehmungsinhalte (a) und gestaltet die Beweisermittlung transparent und wiederholbar (b). Zugleich wird dadurch der Erkenntnisrahmen unserer Wahrnehmung umfassend erweitert (c).

a) Qualitativer Unterschied: Vertiefung und Fokussierung der Interpretation der Vernehmungsinhalte

Zu kurz greift, wer den Übergang von schriftlichem Protokoll zur audiovisuellen Vernehmungsdokumentation ausschließlich als technischen Umbruch begreift. Verändert werden vielmehr Art und Form der Beweisdeutungsmöglichkeiten.[43] Während sich bei Unklarheiten über den Ablauf der Vernehmung aus dem Vernehmungsprotokoll zumeist wenig ziehen lässt, da es (wenn überhaupt, vgl. Nr. 45 Abs. 2 S. 1 RiStBV: „möglichst wörtlich“) nur den Wortlaut der gestellten Fragen und die erhaltenen Antworten wiedergibt,[44] ist dies bei audiovisuellen Vernehmungen anders: Die vollzogene Wirklichkeitsfestschreibung ist umfassend. Zudem wird der inhaltliche Eindruck durch weitere Details angereichert, von der Tonlage und Lautstärke der kommunizierenden Beteiligten, der erfahrbaren Dauer der Vernehmung[45] (oder auch schon der Dauer zwischen Frage und Antwort), über Körperhaltung, Mimik und Gestik, bis hin zu den Begleitumständen der Befragung wie beispielsweise Raumgröße, vorgelegte Beweismittel etc.[46] Zwar nicht hautnah – aber doch „atmosphärisch“ dicht – wird durch die audiovisuelle Dokumentation demnach die „Lebenssituation Vernehmung“ rekonstruiert,[47] die als typischerweise zwangskommunikativ ausgestaltete Ermittlungsmaßnahme[48] weitaus mehr repräsentiert als die Ausformulierung dessen, was der Vernehmungsbeamte zu interpretieren und zu verschriftlichen bereit gewesen ist.

b) Quantitativer Unterschied: Wiederholbarkeit und Transparenz der Beweisermittlung

Auch für den Großteil der Befürworter der audiovisuellen Vernehmungsdokumentation soll ein unmittelbarer Beweistransfer[49] von Ermittlungsergebnissen aus dem Vorverfahren in die Hauptverhandlung die Ausnahme bleiben.[50] Es gelte weiterhin der Unmittelbarkeitsgrundsatz gem. §§ 249 ff. StPO, d.h. der im Ermittlungsverfahren Vernommene werde im Regelfall ohnehin im Rahmen der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung erneut befragt, die Dokumentation daher nicht zu Rate gezogen. Sie erleichtert nach bisherigem Verständnis also lediglich den Rückgriff bei Streitigkeiten über den konkreten Inhalt und Ablauf der im Ermittlungsverfahren durchgeführten Vernehmung.[51] Der Anwendungsbereich ist somit insbesondere bei Streitfragen über Erhebungs- und Vernehmungsverbote, die aus fehlerhaften Befragungen resultieren, eröffnet. Durch die mediale Umsetzung und die leichte Abspielbarkeit können insbesondere solche Vernehmungsbestandteile, die tatsächliche Abläufe betreffen (wie Dauer,[52] Anwesenheit, Belehrung) „einsichtig“ gemacht werden. Der Streit über vorgeblich fehlende und/oder fehlerhafte Belehrungen (sowohl § 163a Abs. 3 und 4 i.V.m. § 136 Abs. 1 als auch §§ 55 Abs. 2, 57 StPO) ist damit schnell vom Tisch. Entweder wird nicht mehr gerügt, dass Fehler unterlaufen sind, oder die Unstimmigkeit ist mittels Abspielen der streitigen Sequenz innerhalb kürzester Zeit aufklärbar.[53] Bedeutsam ist dabei, dass spätere Rezipienten der Dokumentation erstmals ermächtigt werden, die parallel fixierten Festschreibungen des schriftlichen Protokolls[54] zu hinterfragen. Während der geschriebene Text ausschließlich auf Stringenz und – bei unvorsichtiger Formulierung – auf suggestive Vernehmungstaktiken[55] abgeklopft werden kann, ermöglicht der Konsum der audiovisuellen Dokumentation ein Nacherleben der Geschehnisse und damit zugleich ein umfassendes Aufspüren von Fehlern.[56] Insgesamt wird also die „Rekonstruktion“ und „Unstreitigstellung“ vergangener Abläufe erheblich erleichtert und verbessert.

c) Deutlicher epistemologischer Unterschied i.S.e. „Was können wir wissen?“

Der Schritt von der Technisierung (d.h. der Nutzung von EDV zur Speicherung und Verarbeitung zuvor händisch gewonnener Informationen) zur Digitalisierung der Vorgänge (d.h. der vorgeschalteten Rezipienz der Informationen durch EDV) bewirkt durch die aufgezeigten qualitativen und quantitativen Verschiebungen einen Paradigmenwechsel in der Erkennensreichweite. Während das schriftliche Fixieren von Aussageinhalten der (angeblich) ontologischen Welt unseren Kreationswillen „aufzwingt“, wird durch die audiovisuelle Fixierung – unabhängig unseres menschlichen Willens – indes ein „Mehr“ an Wahrnehmung generiert. Die digitale Dokumentation erweitert den Möglichkeitsrahmen menschlicher Erkenntnisfähigkeit, wodurch „Erfahrung“ und „Erahnung“ zunehmend in den Hintergrund rücken. Digitale Erfassung „sieht“ mehr, „hört“ besser, ermüdet nicht und braucht keine Verschnaufpausen. Dass dies gleichwohl nicht unbedingt nur vorteilhaft ist, wird im Folgenden unter 2. herausgearbeitet.

2. Neue Probleme durch wahrnehmungspsychologische Unwägbarkeiten

Trotz unbestreitbarer Nützlichkeit bei Streitigkeiten über tatsächliche vergangene Gegebenheiten sind mit der au-diovisuellen Vernehmungsdokumentation auch gravierende wahrnehmungspsychologische Probleme verbunden,[57] quasi „neue Verzerrungen“, die die alten ersetzen. Es geht um Verzerrungen durch die technischen Vorrichtungen als solche (a), Verzerrungen durch die neue Überbetonung des gesprochenen Wortes (b), sowie Verzerrungen durch die Erweiterung der technisch-basierten Ausforschungsmöglichkeiten zu Lasten des Befragten (c).

a) „Is guilt in the eye of the camera?“[58] – Die Bedeutung von richtigen Perspektive(n) und volatilen Wahrnehmungskausalitäten

Vor allem ein zunächst unscheinbarer Aspekt technischer Natur kann weitreichende Folgen erwirken. Aus seit Jahren gefestigten Studien ist bekannt, dass Stellung und Winkel der Kamera großen Einfluss auf die spätere Bewertung eines Videoinhaltes haben.[59] Neben Daniel Lassiter[60] hat sich auch der Psychologe Robert Cialdini mit diesem Phänomen beschäftigt. Er erklärt die Unwägbarkeiten mit dem Grundsatz „What is focal, is causal“.[61] Dieses Prinzip besagt, dass Menschen bei der Bewertung der Frage nach der Ursächlichkeit Dritter für bestimmte Abläufe in ihrer Einschätzung maßgeblich davon beeinflusst werden, welche Person sie aktiv wahrnehmen konnten. In Versuchen wurden Probanden dazu in die Nähe eines Tisches mit einem Pärchen gesetzt, welches im Rahmen des Versuchsaufbaus über ein Thema streiten sollte. Eine Probandengruppe wurde hinter den Rücken des Mannes platziert, sah also lediglich die Frau frontal. Eine andere Probandengruppe saß hinter dem Rücken der Frau, sah demnach den Mann frontal. In weiteren Abwandlungen saßen Probandengruppen neben dem Tisch, konnten somit beide Partner gleich gut erkennen. Das überraschende Resultat: Trotz identischen „Streitgesprächs“ kamen die Probandengruppen aus jedem „Blickwinkel“ zu anderen Urteilen bezüglich der Frage, wer im Streit „obsiegte“ oder „unterlag“, wer den aktiven/passiven Part spielte und insbesondere auch, wer das Endergebnis (also den Streitentscheid) hauptsächlich verursacht habe.[62] Schon in früheren Studien ergaben sich vergleichbare Resultate.[63] Cialdini schlussfolgert daraus, dass diejenige Person, die sich im Fokus der Aufmerksamkeit des Betrachters befindet, automatisch für verantwortlicher, aktiver, bestimmender und überlegener gehalten wird, da unsere Wahrnehmung den deutlich erkennbaren Akteur in seinem individuellen Einfluss auf das Ergebnis überinterpretiert: „whomever’s face was more visible was judged to be more causal.“[64] Diese Regel (auch als „salience-effect“ bekannt[65]) gilt natürlich nicht nur für Vernehmungen, kann aber gerade dort zu erheblichen Verzerrungen führen.

Übertragen auf audiovisuelle Vernehmungsdokumentationen wird deutlich, dass die denkbar schlechteste Kameraposition daher eine solche ist, die lediglich den Vernommenen frontal zeigt, den Befragenden hingegen ausblendet oder nur anteilig ins Bild rückt. Jeglicher späterer Einwand dergestalt, dass Vernehmungsfragen manipulativ, die Situation bedrängend, die angewandte List[66] erdrückend oder die Vernehmung insgesamt einseitig gewesen seien, würden trotz Besehens des Videos womöglich allein deshalb nicht geglaubt, weil der als aktiv (sprich: frontal) gesehene Befragte zugleich als der für das Gesamtergebnis verantwortliche Akteur verstanden wird. Ein Berufen des Betroffenen auf die Behauptung, zur Aussage gedrängt oder überlistet worden zu sein, wird trotz Existenz einer Vernehmungsdokumentation erschwert.

Deutlich wird, dass allein durch einen zunächst unscheinbaren Umstand wie einen ungeschickten Kamerawinkel der vermeintliche Segen der Reproduzierbarkeit der „wahren Sachlage“ zu einem wahrnehmungspsychologischen „Boomerang“ verkommen kann. Der Effekt ist zudem robust: „Nothing could change the camera angle’s prejudicial impact – except changing the camera angle itself.“[67]

b) „Wer sagt was und wie?“ – Von der Macht der Worte und der Verhinderung von Wahrheitserfahrung

Weitere Verzerrungen können sich aus der „ungeschminkten“ Wortwahl bzw. der Art und Weise ihrer Verbalisierung ergeben. Zwar trägt das schriftliche Protokoll den typischen Nachteil jedes Interpretationskonstruktes in sich, d.h. in der Regel werden darin – entgegen der Realität[68] – stets stolperfreie Fragen gestellt, die in geraden Sätzen und ohne Füllwörter Beantwortung finden; offenkundig ist dabei, dass eine Vernehmung in den seltensten Fällen umfassend korrekt und sprachlich sauber ausformuliert von Statten geht. Weit gefehlt wäre es jedoch, in der audiovisuellen Vernehmung in diesem Punkt uneingeschränkte Vorteile zu wähnen. Durch die Vernehmbarkeit der individuellen Stimme(n) werden indes neue, völlig andersartig gelagerte Emotionen beim Rezipienten getriggert.[69] Wortwahl, Stimmfarbe und -lage, Sprechduktus, Spracheinfärbung und unzählige weitere Parameter entfalten direkten Einfluss auf den Sympathie- und Glaubwürdigkeitsgehalt von Sprechinhalten.[70] Menschen schließen (zu) schnell von der Stimme auf den Charakter, nicht ohne Hintergedanken kommt der Begriff „Persönlichkeit“ von „personare“ = „durch den Klang“.[71] Durch Sprache offenbart der Sprecher unweigerlich sein „Ich“.[72] Diesen Umstand nutzen beispielsweise die sog. forensische Sprechererkennung und Tonträgeranalyse, welche durch das BKA bereits seit Jahrzehnten eingesetzt werden.[73] Aus deren Auswertungen sind sichere Auskünfte über Geschlecht, Alter, regionale Herkunft und Muttersprache, mittels Wortwahl und Duktus zusätzlich auch über Bildungsstand und soziale Schichtzugehörigkeit des Sprechers möglich.[74]

Es ist darüber hinaus eine weit verbreite, aber (zu) schöne Einbildung, dass es mehrheitlich auf den Inhalt des Gesagten ankommt. Gerade bei hörbaren Sprechakten rückt der Inhalt zum Teil weit in den Hintergrund. Mehr als die Hälfte der Überzeugungskraft eines Vortrages wird über die nicht-inhaltlichen Faktoren übermittelt. Stattdessen gelte die (inzwischen heftig umstrittene) 55/38/7-Regel nach Mehrabian: Körpersprache wirke zu 55%, die Stimme zu 38% auf die Bedeutung der Kommunikation, so dass lediglich 7% für das gesprochene Wort als Bedeutungsträger verbleiben.[75] Umgekehrt kann also – überspitzt formuliert – ein Vortrag noch so richtig sein, man redet sich dennoch um „Kopf und Kragen“, wenn man nicht den „richtigen Ton“ trifft. Ein Umstand, der bei schriftlichen Protokollen eine völlig untergeordnete Rolle spielt.

c) „Was schwitzen Sie denn so?“ – Vom non-verbalen nemo tenetur-Grundsatz und der Gefahr des „gläsernen Interviews“

Aus einem schriftlichen Protokoll wird nicht ersichtlich, welche Stimmung bei der Befragung herrschte. Dieser Umstand ist in all den Fällen nachteilig, in denen die Atmosphäre erdrückend[76] bzw. manipulativ auf den Befragten wirkte und er dadurch zu rückblickend ungeschickten Einlassungen bewegt wurde. In solchen Konstellationen fällt der Nachweis der Suggestion schwer, vor allem wenn der Betroffene den genauen Ablauf aus dem Gedächtnis nicht mehr kleinteilig wiedergeben kann. Nahezu auf die Spitze getrieben wird dieser Nachteil durch die audiovisuelle Dokumentation von non-verbalen Aussageinhalten, auf die der sich Äußernde keinen bewussten Einfluss hat. Selbst ein Schweigen sendet Signale, da menschliche Interaktion stets interpretationsbehaftet ist. Bedingt durch sog. „Interpunktionsschleifen“[77] dreht jeder Fragesteller (und auch jeder Rezipient) subjektiv „seinen eigenen Film“, den er bei der Befragung (bzw. beim Konsum des Videos) vor seinem inneren Auge abspult, während er dabei rezipierte Außenwelteinflüsse stimmig in seine individuelle Wahrnehmungskonstruktion einfügt. Der Befragte gerät vor allem dann ins Hintertreffen, wenn sich in seiner Körpersprache Regungen zeigen, die – scheinbar – nicht zum geäußerten Inhalt passen. Ein überspitzes Beispiel: Es ist auch „Hobby-Profilern“ geläufig, dass sich Lügner beim Lügen häufig an die Nase fassen.[78] Dies liegt daran, dass aufgrund der Aufregung die Durchblutung der feinen Endkapillaren verstärkt wird und die Nase dadurch unweigerlich zu jucken beginnt (sog. „Pinocchio-Effekt“[79]). Das ist so lange ein taugliches Zeichen für Lügen, bis ich auf Personen treffe, die Schnupfen (oder Nasen-Komplexe…) haben, und sich daher reflexartig und/oder gewohnheitsmäßig an die Nase greifen.[80] Gleiches gilt für Schwitzen vor Aufregung wegen einer unwahren Aussage, oder aber wegen Hitze, Medikamenteneinnahme, einer zu engen Krawatte, Chilli zum Mittagessen usw. Durch Sichtung der Videos auf solche Merkmale ohne hinreichende Fachkenntnisse in diesem Bereich würden „laienhafte Glaubwürdigkeitseinschätzungen an die Stelle fachlicher Expertise treten“.[81]

Entsprechendes gilt für die Auswertung der sog. „Mikromimik“. Es handelt sich dabei um feinste, nicht bewusst steuerbare und vom menschlichen Auge nicht direkt erkennbare Muskelzuckungen im Gesicht,[82] die Unterbewusstseinsinhalte des Sprechers freigeben.[83] Wer diese Informationen „lesen“ kann,[84] erfährt unter Umständen viel über die Kohärenz von Aussageinhalt und Aussagewahrheit. Allzu verlockend wäre es dann, das Video der Vernehmung bereits im Ermittlungsverfahren durch den Zeitraffer zu schicken und dutzende Male auf Mikrobewegungen sichten zu lassen. Während die gewöhnliche Vernehmung nach Beendigung abgeschlossen ist und nicht mehr reproduziert werden kann, ist der audiovisuell aufgenommene Betroffene der nachträglichen Interpretation seiner „Performance“ schutzlos ausgeliefert.

Kurzum: Die nicht steuerbaren „körperlich-inkulpativen“ Faktoren einer Vernehmungssituation können durch die audiovisuelle Fixierung überbetont werden, während sie in der schriftlichen Fassung untergingen.

3. Zwischenfazit: Vorteile der neu erlangten Beweiskraft dürfen Nachteile der audiovisuellen Wehrlosstellung nicht überdecken

Die Vorteile der audiovisuellen Vernehmungsdokumentation lassen sich schlagwortartig zusammenfassen als 1) umfassende Disziplinierung der Vernehmungsinterpretation, 2) bessere Rekonstruierbarkeit der dem Beweis zugänglichen Abläufe und dadurch bedingte 3) konkrete Erweiterung der Erkenntnismöglichkeiten.

Die aufgezeigten Nachteile sind hingegen nur ein kleiner Ausschnitt aus dem weiten Feld der Wahrnehmungsverzerrungen, die sich aus dem unbedachten Umgang mit digitalen Methoden der „Wahrheitsfestschreibung“ ergeben können.[85] Die dem Menschen immanenten Wahrnehmungsbeschränkungen können lediglich verlagert, nur in den seltensten Fällen hingegen tatsächlich aufgehoben werden. Es irrt daher, wer sich erhofft, dass die audiovisuelle Vernehmungsdokumentation bereits durch schlichtes Aufstellen einer Kamera auf jeder Polizeistation erfolgreich eingeführt wäre. Es gilt zwar uneingeschränkt die Pflicht, die Wahrnehmungsherrschaft über Vernehmungsinhalte paritätisch zu verteilen; das ergibt sich bereits aus dem Grundsatz der strafprozessualen Waffengleichheit gem. Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 20 Abs. 3 GG. Diesem Credo ist jedoch nicht gedient, wenn „Wahrheit“ durch „Beweis- und Berechenbarkeit“ ersetzt wird. Wer zu einer audiovisuellen Vernehmungsdokumentation anrät, muss zugleich sicherstellen, dass dem Vernommenen die Vorteile, die er über die Schwächung des schriftlichen Protokolls erhält, nicht durch den Treppenwitz der Umkehrung von Wahrnehmungskausalitäten und der noch besseren Möglichkeit der nachträglichen Ausforschung seiner Aussageinhalte wieder aus der Hand geschlagen werden.[86]

IV. Big Data im Ermittlungsverfahren – Datenflut und Vergeheimdienstlichung

Die letzte hier zu besprechende Erscheinung der Digitalisierung ist nicht auf eine einzige Maßnahme verkürzbar: Es geht um die stetig verbesserte technische Ausspähung und Vernetzung von Rohdaten, sprich das umfassende Auslesen (auch) verschlüsselter Telekommunikations- und Bewegungsprofile,[87] Konteneinsichten, das „Anzapfen“ von Verbunddatenbanken[88] und der mit diesen Vorgängen[89] einhergehenden Datenflut.[90] Durch die fortschreitende Vereinfachung des Zugriffs und die hypertrophe Informationsmenge werden sich gewichtige Parameter der Ermittlungsarbeit langfristig verändern, insbesondere sind Phänomene der Enthemmung (1) und der Überinformation (2) zu bedenken.

1. Enthemmung durch Wegfall des physischen Zugriffs

Keine Neuerung stellt die fortschreitende „Vergeheimdienstlichung“ des Ermittlungsverfahrens dar.[91] Diese gründet vornehmlich im Rückgriff auf heimliche Ausforschungsmethoden.[92] Die prekäre Entwicklung ist vielmehr als eine Form der „Enthemmung“ zu charakterisieren. Das physische Betreten einer Wohnung zur Beschlagnahme eines Rechners ist weitaus aufwändiger als der „Mausklick“ zum Start eines Programms, welches die Daten direkt vom Rechner „absaugt“. Das muss Auswirkungen auf die Hemmschwelle der Ermittler haben, wenngleich in diesem Bereich kaum Forschungsmaterial vorliegt. Die Annäherung erfolgt daher von den Rändern her: Als Hemmung bezeichnet man eine Störung oder Verminderung der Motivation aufgrund psychischen Widerstands.[93] Eine „soziale Hemmung“ liegt vor, wenn die Leistungsminderung in der Anwesenheit anderer Personen gründet.[94] Bei Enthemmung ist diese „Antriebsblockade“ (untechnisch gesprochen) außer Funktion gesetzt. Aus anderem Kontext (vor allem der Erforschung von hate speech[95] und cyber-bullying[96]) ist beispielsweise der sog. „online-disinhibition-effect[97] bekannt. Man bezeichnet damit die niedrigere Hemmschwelle, die ein Online-Chat-Teilnehmer gegenüber der Entäußerung verbal-aggressiver Aussagen im Vergleich zu seinem sonstigen „analogen“ Kommunikationsgebaren entwickelt. Hetzen, Mobben und Hassen werden in anonymen Foren, durch die Verwendung von Avataren und die Nicht-Erkennbarkeit des „Opfers“ wesentlich erleichtert. Auf den Einwand hin, dass ein „datensaugender“ Ermittler nicht chattet, ist einzugestehen, dass das einseitige Ermitteln gegenüber einem Verdächtigen nicht exakt die Situation des sozialen Kontakts im Cyberspace repräsentiert. Versteht man das umfassende ermittlungstechnisch gestützte „Hacken“ und Infiltrieren hingegen als Form des „Angriffs“ bzw. „Eingriffs“ in die Schutzsphäre Dritter, liegt der Vergleich mit Formen moderner Kriegsführung nahe. So ist beim Einsatz bewaffneter Kampfdrohnen der „Clou“ darin zu sehen, dass die todbringenden Flugobjekte unbemannt entsendet und mittels eines Joysticks „am Schreibtisch“ gesteuert werden können. Dass durch diese Form der Entzerrung der Gefahr des direkten Konfliktes (Risiko des eigenen Todes des „Piloten“ ist null) die Hemmschwelle zu töten gesenkt wird, ist seit vielen Jahren in der Diskussion.[98]

Wenngleich das Mithören im Rahmen der TKÜ, das umfassende „Absaugen“ von Daten oder die Universaleinsicht in Chat-Protokolle oder E-Mailverläufe weder ein „Online-Mobbing“ noch einen „Drohnenkrieg“ darstellen, bleibt festzuhalten, dass mechanische Datenerhebung durch Entzerrung und Enthemmung zugleich zu einer Verrohung der Ermittlung führen können.[99] Es fehlt der physische Akt, der die Schutzbereichsverkürzung des Betroffenen spürbar macht. Im Gegenzug verliert die virtuelle Maßnahme jedoch nicht an Schlagkraft. Das händische Durchwühlen einer Schublade wirkt zwar auf den ersten Blick intensiver als das Herunterladen der WhatsApp-Chatverläufe. Die Schutzbedürftigkeit des Ausgespähten ist in Hinblick auf die technische Abschöpfung seiner „Lebensdaten“[100] – da diese i.d.R. „unsichtbar“ verläuft – allerdings um ein Vielfaches erhöht.

2. Überforderung durch Datenflut – „Je mehr Käse, desto mehr Löcher und je mehr Löcher, desto weniger Käse“

Überdies wird von vielen Seiten moniert, dass ein „Mehr“ an Information keineswegs zu einem „Mehr“ an Verständnis führt.[101] Überinformation („information overload[102]) führt hingegen oft zu völlig konträren Prozessen, da beim Versuch der Inhaltserfassung permanent Komplexität reduziert werden muss. Neben der mechanisch anstrengenden Sichtung hunderter bis tausender Seiten Material, die vor allem bei Kontobewegungen oder Chat-Verlauf-Rekonstruktionen zu überwiegendem Anteil im Einzelfall unverdächtig sind (und dadurch bestehende Verdachtsmomente überdecken), wird durch das Wissen um die Masse an Daten ein trügerisches Sicherheitsgefühl illusioniert. In dem Glauben, „alles“ auf einem Datenspeicher abgelegt zu haben und lediglich einer Sichtung unterziehen zu müssen, wird der entscheidende Vorgang jedes Ermittlungsvorgangs strukturell geschwächt: die Gewichtung der Erkenntnisse. Denn die im Rahmen der Ermittlung gefasste (Denk-)Hypothese soll durch „gerichtete“ Beweismittelgenerierung belegt oder widerlegt werden. Nicht nur, dass die Belegung einer Denkhypothese ohnehin zu einem kognitiven Tunnelblick führt;[103] durch Überinformation wird zugleich die Fähigkeit zur Selektion und Bewertung geschwächt. Im aktiven Arbeitsspeicher des Gehirns können zeitgleich maximal sieben Faktoren bewusst gehalten werden, d.h. ein werthaltiger Denkprozess ist effektiv auf etwa eine Handvoll Aspekte limitiert.[104] Das Bewusstsein um ein unüberschaubares, mehrere tausend Seiten umfassendes Chat-Protokoll dutzender Beteiligter, die durch hundertfache Transaktionen eine ellenlange Liste von Schadbeträgen erwirkt haben sollen, lähmt die Fähigkeit zur Durchdringung des Inhalts. Die eigene Wahrnehmung reagiert so absurd wie nachvollziehbar: Eine Seite Chatverlauf wird 1000 Seiten gleichgesetzt, es handelt sich trotz quantitativen Unterschieds in der Summe der Informationsdetails (z.B. „zahlreiche inkriminierende Passagen“) qualitativ lediglich um einen Faktor (der maximal sieben!) der Informationsart (z.B. „Existenz von Chat-Protokollen“), der aktiv bewusst gehalten werden kann. Eine Überinformation führt daher nicht zwangsläufig zu einer Verbesserung der Ermittlungstiefe, sondern lediglich zu einer Überfrachtung aller Wahrnehmungskanäle, die daher – aus „Selbstschutz“ – ein Zusammenstreichen der Wirklichkeit(en) einfordern.

3. Zwischenfazit: „Big Data-Ermittlung“ beeinträchtigt die Entwicklung von Störgefühlen und die Fähigkeit zur inhaltlichen Durchdringung

Wenngleich es keine einfache Alternative zur umfassenden Ermittlung gibt und gerade „Umfangs-Verfahren“ ihrem Wesen nach Unmengen von Daten und Abläufen archivieren, sind die Folgewirkungen der leichten Abschöpfbarkeit und unüberschaubaren Masse an zu sichtenden Daten verheerend. Womöglich immer eifriger und unsensibler wird gesammelt, was in der Sache kein Mensch mehr händisch sichten kann. Werden allerdings sowohl das Abschöpfen als auch das inhaltliche Sichten von Computern und Algorithmen übernommen, entstünde im Stadium des Vorverfahrens quasi ein „autopoietisches System“, das nicht neue Wahrheiten, sondern in perfekter Selbstabdichtung ausschließlich neue Geheimnisse erzeugte.

V. Gesamtfazit: Digitalisierung ja, aber mit Augenmaß – Strafverfahren 4.0 wird kein leichtes Unterfangen

Digitalisierung ist an sich eine zu befürwortende Entwicklung; zudem ist sie Lebens- und Rechtsrealität. Das Strafverfahren und seine Akteure sollten sich dem Wandel demnach nicht grundsätzlich verschließen. Weder geht es beim Ansprechen von Reibungsverlusten daher um Rückschrittspropaganda, noch um professionelles Bedenkentragen. Dennoch ist Vorsicht geboten. Ein anschlussfähiges Strafprozessrecht muss die freigesetzten Schwingkräfte kanalisieren und nutzbar machen.[105] Dazu bedarf es nicht immer des Eingreifens des Gesetzgebers. Vielmehr sollte die Fehleranfälligkeit menschlicher Wahrnehmung bewusster in das law in action integriert werden. Neben spezifisch strafprozessualen Fragen müssen sich alle Beteiligten daher noch weitaus intensiver mit der Wissenschaft der Wahrnehmung, verborgenen psychodynamischen Unwägbarkeiten und der darin verhafteten Wirkmächtigkeit(en) beschäftigen, um die notwendige Modernisierung des Strafverfahrens nicht in einer Wiederholung alter Fehler münden zu lassen.

 

[1]      Vgl. den Gesetzesentwurf der BReG „Gesetz zur Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren und zur Verbesserung der Kommunikationshilfen für Sprach- und Hörbehinderte (EMöGG)“, BT-Drs. 18/10144 v. 26.10.2016 (im Folgenden „RegE-Medienöffentlichkeit“), welcher zwar bei weitem noch keine Übertragung der Hauptverhandlung erlaubt, jedoch einen gewichtigen Schritt in Richtung einer fortschreitenden Öffnung des § 169 GVG bedeutet; an allen Gerichten wird künftig allerdings eine Ton-Übertragung in einen Nebenraum zulässig sein; gegen diese Änderungen die BRAK-Stellungnahme Nr. 18/2016. Der DAV äußerte in seiner Stellungnahme 38/2016, S. 4, dass er einer „behutsamen Erweiterung“ der Medienöffentlichkeit nicht grundsätzlich ablehnend gegenüberstehe. Er erkenne aber Defizite in der getätigten Interessenabwägung innerhalb des Entwurfs. Am 22.6.2017 beriet der Bundestag über den Gesetzentwurf und nahm ihn in der geänderten Fassung des Rechtsausschusses (BT-Drs. 18/12591 v. 31.5.2017) einstimmig an. Am 22.9.2017 wurde der Entwurf vom Bundesrat gebilligt, nachdem der Rechtsausschuss dazu angeraten hatte, keinen Antrag auf Einberufung des Vermittlungsausschusses zu stellen (vgl. zuvor auch BR-Drs. v. 1.9.2017; zum Entwurf auch von Coelln, AfP 2016, 491 ff.; Claus, jurisPR-StrafR 22/2016 Anm. 1) und als „Gesetz über die Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren – EMöGG vom 8.10.2017“ im BGBl I 2017 Nr. 68 v. 18.10.2017, S. 3546 ff. verkündet.
[2]      Gemeint ist die Aufzeichnung (Dokumentation) von Vernehmungen im Ermittlungsverfahren zur Fixierung von Vernehmungsinhalten (für den Zeugen bereits de lege lata in § 58a StPO verankert). Nicht gemeint sind die bereits bestehenden Formen der Vernehmung durch Videotechnik in der Hauptverhandlung z.B. in §§ 247a, 255a StPO, vgl. hierzu den Überblick von Goecke, Wahrnehmungsherrschaft über die Beweiserhebung und das Recht auf ein faires Verfahren, in: Strafverteidigervereinigungen (Hrsg.), „Welche Reform braucht das Strafverfahren?, Texte und Ergebnisse des 39. Strafverteidigertags in Lübeck 2015, S. 9 ff. Für die Einführung der audiovisuellen Vernehmungsdokumentation vgl. auch die Resolution des 39. Strafverteidigertages 2015 in Lübeck, abgedruckt in StV 2015, 328 ff.; AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 ff.; Neuhaus, StV 2015, 158 ff. Vorangetrieben wurde das Vorhaben „audiovisuelle Vernehmungsdokumentation“ insbesondere [zu weiteren Vorläufen der BRAK u.a. Altenhain, ZIS 2015, 269 (270 ff.)] durch den Abschlussbericht der „Expertenkommission zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des allgemeinen Strafverfahrens und des jugendgerichtlichen Verfahrens“ (fortan „Expertenkommission“), abrufbar unter: https://www.bmjv.de/SharedDocs/Artikel/DE/2015/10132015_Abschlussbericht_Reform_Strafprozessrecht.html, S. 67 ff. (zuletzt abgerufen am 25.10.2017), dessen umfassende Empfehlungen bisher leider nur in Ansätzen legislativen Widerhall finden konnten; noch vor Veröffentlichung der Beratungen zuversichtlich zum Umsetzungswillen Nobis, StV 2015, 56 ff.; kritisch hingegen bereits zu den originären Empfehlungen der Expertenkommission Gräfin van Galen, ZRP 2016, 42 ff.; sehr kritisch zu den Ergebnissen Schünemann, StraFo 2016, 45 ff.; diplomatisch Basar/Schiemann, KriPoZ 2016, 177 (193): „Die von der Kommission abgegebenen Empfehlungen stellten für sich genommen schon keinen ‚großen Wurf‘ dar. Gleichwohl waren sie nicht so schlecht, wie manche sie hielten, auch wenn sie hinter den gesteckten Erwartungen weit zurückfielen.“
[3]      Einführung in datenschutz- und wettbewerbsrechtliche Probleme bei Paal/Hennemann, NJW 2017, 1697 ff.; zum Strafrecht Meinicke, K&R 2015, 377 ff. und Meinicke, DSRITB 2014, 183 ff.; vgl. auch Warken, NZWiSt 2017, 329 (332 f.).
[4]      Vgl. den „Gesetzentwurf zur Änderung des Strafgesetzbuchs, des Jugendgerichtsgesetzes, der Strafprozessordnung und weiterer Gesetze“ in Form des Änderungsantrages vom 15.5.2017 bezüglich der Neufassung der §§ 100a ff. StPO; zu Recht kritisch hierzu Beukelmann, NJW-Spezial 2017, 440; vgl. auch Blechschmidt, StraFo 2017, 361 ff.
[5]      Zu den Verzerrungsfaktoren in Bezug auf die elektronische Akte vgl. Gerson, StraFo 2017, 402 ff.
[6]      Diemer, in: KK-StPO, 7. Auflage (2013), GVG § 169 Rn. 1; a.A. Kaulbach, JR 2011, 51; grundlegend zur Medienöffentlichkeit bereits Ranft, Jura 1995, 573 ff. sowie Scherer, Gerichtsöffentlichkeit als Medienöffentlichkeit. Zur Transparenz der Entscheidungsfindung im straf- und verwaltungsgerichtlichen Verfahren, 1979, sowie Scherer, ZaöRV 39 (1979), 38 ff.
[7]      Sehr kritisch hierzu Wolf, NJW 1994, 681 ff.; a.A. Eberle, NJW 1994, 1637 ff.
[8]      ReGE-Medienöffentlichkeit (Fn. 1), S. 1: “moderate Lockerung des bisherigen Verbots.“
[9]      ReGE-Medienöffentlichkeit (Fn. 1), S. 9; a.A. BVerfG, Urt. v. 24.1.2001 – 1 BvR 2623/95 = NJW 2001, 1633 (n-tv Entscheidung); abweichende Voten von Kühling/Hohmann-Dennhardt/Hoffmann-Riem, WRP 2001, 243 (252 ff.); dazu auch Diekmann, NJW 2001, 2451 ff., der in eine ähnliche Richtung tendiert wie der RegE; die Entscheidung befürwortend Huff, NJW 2001, 1622 ff.; dagegen Kaulbach, JR 2011, 51 ff.
[10]    Vgl. EMöGG (Fn. 1), Art. 1 Abs. 3. Das gilt sodann über § 55 VwGO, § 52 FGO, § 61 SGG und § 72 ArbGG entsprechend auch für den BFH, das BSG und das BAG.
[11]    ReGE-Medienöffentlichkeit (Fn. 1), S. 13 ff.
[12]    Z.B. “Law and Order“ (inklusive des Serienuniversums), “Ally McBeal”, “Boston Legal”, “Suits” etc.
[13]    Z.B. „Streit um Drei“ (ZDF), „Richterin Barbara Salesch“, „Richter Alexander Hold“ (Sat.1-Gruppe), „Das Strafgericht“, „Das Familiengericht“, „Das Jugendgericht“ (RTL-Gruppe) inklusive aller Ableger und spin offs („Lenßen und Partner“, „Rechtsanwalt/Staatsanwalt Posch ermittelt“, „Im Namen der Gerechtigkeit – Wir kämpfen für ihr Recht“ etc.); dazu auch Allgaier, ZRP 2004, 212: „Die journalistische Komponente siegt über die rechtliche.“
[14]    Dazu auch Grimm, ZRP 2011, 61. Polemisierend zur grundsätzlichen Befähigung des Bürgers zum Verständnis rechtlicher Zusammenhänge Zuck, NJW 2001, 1623 (1624 ff.)
[15]    Kutschaty/Gerhardt, ZRP 2013, 219. Der RegE-Medienöffentlichkeit (Fn. 1), S. 12 traut den Medien hingegen viel zu: „Die Sichtweisen dazu, ob die heutige Medienlandschaft einer sachlichen Berichterstattung zuträglich ist, gehen auseinander. Der Entwurf geht jedoch von der Grundannahme aus, dass die mediale Darstellung auch heute der Justiz gerecht werden und darüber hinaus der Bevölkerung auch ein positiveres Bild vermitteln kann.“; ähnlich optimistisch Bräutigam, BRAK-Magazin 4/2017, 15.
[16]    Kühne, Strafprozessrecht, 2016, § 1 Rn. 3; Arenhövel, ZRP 2004, 61; zur Fruchtbarmachung des „Rollenbegriffs“ für das Strafverfahren Gerson, Das Recht auf Beschuldigung, 2016, S. 35 ff. in Bezug auf Popitz und Dahrendorf.
[17]    Hassemer, Einführung in die Grundlagen des Strafrechts, 1981, S. 78, 112 ff.; vgl. auch Herzog, FS Hamm, 2008, S. 203; Fabricius, FS Hassemer, 2010, S. 37 ff.
[18]    Vgl. nur Goffman, Presentation of Self in everyday Life, 1959, S. 9: “When we allow that the individual projects a definition of the situation when he appears before others, we must also see that the others, however passive their role may seem to be, will themselves effectively project a definition of the situation by virtue of their response to the individual and by virtue of any lines of action they initiate to him.”
[19]    Zur bereits vorherrschenden „Boulevardisierung der Gerichtsberichterstattung“ s. Metin, ZRP 2005, 205 ff.
[20]    Sog. „Welle-Teilchen-Dualismus“, entdeckt im Doppelspaltexperiment.
[21]    Zum Schutz des Rechts der Richter am eigenen Bild gem. § 22 KUG schon Ernst, NJW 2001, 1624 (1626).
[22]    So sehr deutlich BT-Drs. IV/178 v. 07.02.1962, S. 45: „Sie [Rundfunk- und Filmaufnahmen] lenken den Angeklagten und die Zeugen von der Hauptverhandlung ab; Sie hindern unter Umständen den Angeklagten und den Verteidiger wegen der Scheu vor einem unbeschränkten, unübersehbaren und unsichtbaren Zuhörer- oder Zuschauerkreis, ihre Aussagen und Erklärungen so zu gestalten, wie es das Verteidigungsinteresse erfordert. Sie vereiteln den Zweck des § 243 Abs. 2 StPO, wonach die Zeugen bei der Vernehmung des Angeklagten nicht zugegen sein dürfen, und ermöglichen es späteren Zeugen zu hören, was früher vernommene Zeugen ausgesagt haben. Sie legen auch den Zeugen und Sachverständigen Hemmungen bei ihren Aussagen auf und beeinträchtigen ihre Unbefangenheit. Den noch nicht verurteilten Angeklagten zerren sie in einer oft unerträglichen Weise in das Scheinwerferlicht einer weiten Öffentlichkeit.“
[23]    Kutschaty/Gerhardt, ZRP 2013, 219 [Hervorhebungen O.H.G.]
[24]    Vielmehr solle sich der Richter ständig „beobachtet“ fühlen, Grimm, ZRP 2011, 61 (62).
[25]    Von Zuck, NJW 1995, 2082 (2083) spöttisch „Arkanum“ genannt.
[26]    Grimm, ZRP 2011, 61 (62); das gilt selbstverständlich auch für Vorverurteilungen zu Lasten des Beschuldigten. Treffend zu den Risiken einer Medienöffnung für alle Beteiligten Ernst, NJW 2001, 1624 (1626): „Im Medienzeitalter sind zudem stets auch die Folgen der Freigabe von Personen zum Abschuss‘ durch die Medien zu bedenken.
[27]    Zu diesem Problem der Rollenzementierung Kutschaty/Gerhardt, ZRP 2013, 219 (220).
[28]    Arenhövel, ZRP 2004, 61 ff. zur Wechselwirkung aus sachlicher und überzogener Kritik durch den Boulevard.
[29]    Spitzzüngig Zuck, NJW 1995, 2082: „Vor allem will ich Richter und Staatsanwälte sehen, blitzgescheit und manchmal arrogant, auch eitel, schlecht vorbereitet, oder souverän, sachkundig, verständnisvoll, und den pflichtbewußten Langeweiler. Und dann alle diese Anwälte, die Mietmäuler und die juristischen Hasardeure, die Stars und die Biedermänner, aber natürlich auch die guten, die den Sachverhalt kennen, ein Rechtsgespräch führen und die Interessen des Mandanten wirklich wahrnehmen können. Dann will ich das Gerichtspersonal und die Sachverständigen sehen, die Übersetzer und die Zeugen. Und natürlich will ich auch die Parteien selbst sehen. Ich könnte mir dann ein Bild des Klägers machen, der, als wahre Inkarnation der deutschen Rechthaber-Kultur, unter der Überschrift ‚Unharmonischer Intimverkehr als Reisemangel‘ das fehlende Doppelbett gerügt hat […].“
[30]    Alwart, Stellungnahme zur BT-Drs. 18/10144 im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages am 29.3.2017, S. 2, abrufbar auf http://www.bundestag.de/blob/500950/3287353c09411dcb3368baa
05ea924e0/alwart-data.pdf (zuletzt abgerufen am 25.10.2017).
[31]    So schon Huff, NJW 2001, 1622 (1623); a.A. Loubal/Hofmann, MMR 2016, 669 ff., die eine Ausweitung der Medienöffentlichkeit im Kern befürworten; unterschiedliche Vorschläge zur Umsetzung dieser Erweiterung bei Hirzebruch, BRJ 2017, 5 ff.; sehr optimistisch hingegen Bräutigam, BRAK-Magazin 4/2017, 15.
[32]    Vgl. schon Expertenkommission (Fn. 2), S. 69; Altenhain, Dokumentationspflicht im Ermittlungsverfahren – warum eigentlich nicht?, in: Strafverteidigervereinigungen (Hrsg.), „Welche Reform braucht das Strafverfahren?, Texte und Ergebnisse des 39. Strafverteidigertags in Lübeck 2015, S. 181 (198 ff.) = [wortgleich, daher parallel zitiert in] ZIS 2015, 269 (278); Neuhaus, StV 2015, 185 (189); als allseits bekannte Stichworte genügen Perseveranz, Inertia, Kognitive Dissonanz etc., vgl. erstmalig bereits Schünemann, StV 2000, 159 ff.; vertiefend Gerson, Das Recht auf Beschuldigung, 2016, S. 150 ff.; nach Jansen, Zeuge und Aussagepsychologie, 2011, S. 140 beinhalten von Vernehmungsbeamten angefertigte Eindrucksvermerke „nur Wertungen und keine Beschreibungen des Beobachtungen. […] Bei den heute zur Verfügung stehenden Techniken erscheint es nicht mehr zeitgemäß, auf rein subjektive Einschätzungen von Vernehmungsbeamten zurückzugreifen.“; vgl. auch Nack/Park/Brauneisen, NStZ 2011, 310 ff.: „Es darf als allgemeinkundig gelten, dass die Wiedergabe einer Aussage durch den Vernehmenden oder den Protokollführer misslingen kann. Dass dieses die Wahrheitsfindung im Strafverfahren nachteilig beeinflussen kann, bedarf keiner näheren Erläuterung.“
[33]    Vgl. nur Neuhaus, StV 2015, 185 (187) m.w.N.
[34]    Dazu auch der Überblick über die Rechtslage bei Altenhain, ZIS 2015, 269 f. Mit der Erweiterung des § 136 StPO durch einen Absatz 4 ist die Vernehmung eines minderjährigen Beschuldigten zukünftig in Bild und Ton aufzuzeichnen, wenn dadurch seine schutzwürdigen Interessen besser gewahrt werden können, vgl. BT-Drs. 18/11277 v. 22.2.2017 u. 18/12785 v. 20.6.2017 als (untechn.) „Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens“. Am 7.7.2017 hat der Bundesrat den Text in Form der Abänderungen des ursprünglichen Entwurfs durch den Rechtsausschuss (BT-Drs. 18/12785 v. 20.6.2017) gebilligt. Durch die RL 2016/800 („Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.5.2016 über Verfahrensgarantien in Strafverfahren für Kinder, die Verdächtige oder Beschuldigte in Strafverfahren sind“, ABl. EU Nr. L 132 v. 21.5.2016, S. 1 ff.), ist dies ohnehin notwendig geworden, vgl. hierzu Neubacher/Bachmann, ZRP 2017, 140 ff.; zu Bedenken dieser Vernehmungsform für Kinder bereits Knoblauch zu Hatzbach, ZRP 2000, 276 ff.
[35]    Expertenkommission (Fn. 2), S. 67 ff.
[36]    AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1, 8 zu § 136 StPO-E.
[37]    Zum kompletten Streitstand Gerson, Das Recht auf Beschuldigung, 2016, S. 871 ff. m.w.N. sowie (Fn. 32).
[38]    Allgemein zu Verwertungsfragen „digitaler“ Beweismittel Hercher/Momsen, Digitale Beweismittel im Strafprozess – Eignung, Gewinnung, Verwertung, Revisibilität, in: Strafverteidigervereinigungen (Hrsg.), Die Akzeptanz des Rechtsstaats in der Justiz, Texte und Ergebnisse des 37. Strafverteidigertags in Freiburg, 2013, S. 173 ff., zur Verwertung S. 185 ff.
[39]    Instruktiv hierzu AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 (2 ff.; 25 f.); grundsätzlich zustimmend Jahn, StV 2015, 778 ff.; Kröpil, JR 2015, 611 (616); Buckow, ZIS 2012, 551 (553 f.); eher kritisch zum Entwurf hingegen Pollähne, StV 2015, 784 (790); zur Unzulässigkeit des „Mainzer Modells“ (Form der audiovisuellen Zeugenvernehmung in der Hauptverhandlung) s. BGH, Beschl. v. 20.9.2016 − 3 StR 84/16 = NStZ 2017, 372 ff.; zur Wirkung des § 255a StPO vgl. Widmaier/Nourouzi, MAH, § 9 Rn. 252 f.; Diemer, NStZ 2002, 16 ff. Der § 247a Abs. 1 S.1 StPO verweist ausdrücklich auf § 251 Abs. 2 StPO, der eine Ersetzung der Vernehmung in der Hauptverhandlung durch Niederschrift (hier analog: Videodokumentation) zulässt.
[40]    Vgl. hier nur Leitner, Videotechnik im Strafverfahren. Ein Petitum für mehr Dokumentation und Transparenz, 2012, S. 130. Weshalb das weiterhin ernsthaft bestritten wird, ist nicht wirklich nachvollziehbar, vgl. auch Artkämper, Kriminalistik 2009, 417 (423): „Die jahrzehntelange Zurückhaltung der Kriminalisten gegen Tonband- und Videovernehmungen ist schwer verständlich, es sei denn, es gäbe etwas zu verbergen. Dass das nicht der Fall ist, sollte auch gerichtlich nachvollziehbar dokumentiert werden.“; Radtke, DRiZ 2017, 190 f. greift einen anderen Aspekt auf und befürchtet Nachteile für die Arbeit der Revisionsgerichte. Dieses Problem ergäbe sich hingegen erst durch eine Videodokumentation der Hauptverhandlung selbst, vgl. eindringlich Wilhelm, Dokumentationspflicht in der Hauptverhandlung – warum eigentlich nicht?, in: Strafverteidigervereinigungen (Hrsg.), „Welche Reform braucht das Strafverfahren?, Texte und Ergebnisse des 39. Strafverteidigertags in Lübeck, 2015, S. 165 und oben I. zum „Gerichtsfernsehen“.
[41]    Zu Frankreich Henrion/Nitschmann, ZStW 115 (2003), 958 (971 f.); zu England und Wales Gleß, Der Einsatz von Videotechnologie in anderen europäischen Ländern, in: Strafverteidigervereinigungen (Hrsg.), „Wehe dem, der beschuldigt wird“, Texte und Ergebnisse des 34. Strafverteidigertags in Hamburg, 2010, S. 193 ff.
[42]    Ähnliche Aspekte greift auch Kertai, MMR 2011, 716 ff. auf, wenn er durch die Einführung von Bildern den Einzug der „visuellen Rechtskommunikation“ in seiner Bedeutung für das Strafverfahren hinterfragt.
[43]    Unstreitig kommt einer audiovisuellen Vernehmungsdokumentation der größte Beweiswert zu, vgl. Eisenberg, StPO, 2017, 2. Teil Rn. 613, 617. Der AE-Beweisaufnahme (GA 2014, 1 ff.) – sowie insbesondere Jahn, StV 2015, 778 (779) – gehen sogar davon aus, dass die mündliche Vernehmung in der Hauptverhandlung im Vergleich zur Dokumentation der Aussage zwei unterschiedliche Gegenstände der Beweiserhebung darstellten, sowie die Vernehmung in der Hauptverhandlung nicht per se die „bessere“ sei.
[44]    Altenhain (Fn. 32), S. 181 (196 f.).
[45]    Obwohl dies auch beim schriftlichem Protokoll obligatorisch sei, vgl. Eisenberg, StPO, 2017, 2. Teil Rn. 613 ff.
[46]    Vgl. auch Neubacher/Bachmann, ZRP 2017, 140 (141) m.w.N.
[47]    Vgl. auch Gleß (Fn. 41), S. 193 (204).
[48]    Die Zwangskommunikation unterscheidet sich von der symmetrischen Kommunikation, weil sie sich nicht frei und sozialtypisch entwickelt, sondern institutionalisiert und verzerrt stattfindet. Die Vernehmung ist ein Paradigma dieses Phänomens; dazu Gerson, Das Recht auf Beschuldigung, 2016, S. 403 ff., 549 ff. m.w.N.
[49]    Zu den historischen Wurzeln der Verhinderung eines Beweistransfers vom Vorverfahren ins Hauptverfahren AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 (13 ff.).
[50]    AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 (4 ff., 18 ff.). Der Alternativentwurf moniert vor allem die inzwischen völlig unsystematische Durchlöcherung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes (S. 25) und möchte mithilfe der audiovisuellen Dokumentation ein „neues Konzept von Beweisaufnahme“ etablieren; vgl. auch Jahn, StV 2015, 778 (780, 782); so auch herausgearbeitet von Kröpil, JR 2015, 611 (613).
[51]    So auch BRAK-Stellungnahme-Nr. 1/2010, S. 6.
[52]    Zur zulässigen Dauer von 45 min bis zu höchstens einer Stunde und gegen weitaus ausschweifendere Vorschläge (drei bis vier Stunden) Eisenberg, StPO, 2017, 2. Teil Rn. 606.
[53]    Altenhain, ZIS 2015, 269 (279).
[54]    Denn bei diesem soll es zunächst verbleiben, vgl. Expertenkommission (Fn. 2), S. 71 f.; a.A. Altenhain (Fn. 32), S. 181 (203 ff.), der das Protokoll neben der Videodokumentation für obsolet hält.
[55]    Eisenberg, StPO, 2017, 2. Teil Rn. 587 ff., 613; ausführlich zu deren Wirkung Jansen (Fn. 32), S. 119 ff.
[56]    Altenhain, ZIS 2015, 269 (278).
[57]    Rechtlich kann die audiovisuelle Aufzeichnung bei Zeugen, sofern sie nicht gem. §§ 52 ff. StPO aussageverweigerungsberechtigt sind, einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht gem. Art. 8 EMRK darstellen, vgl. auch Expertenkommission (Fn. 2), S. 71; Altenhain (Fn. 32), S. 181 (193 ff.).
[58]    Aufsatztitel einer der Pioniere dieser Forschungsfrage, vgl. Lassiter/Geers/Munhall/Handley/Beers, Videotaped confessions: Is guilt in the eye of the camera?, in: Zanna (Hrsg.), Advances in Experimental Social Psychology 33/2001, S. 189 ff.
[59]    Unstreitig gestellt von Eisenberg, StPO, 2017, 2. Teil Rn. 617 m.w.N.
[60]    Lassiter/Geers/Handley/Weiland/Munhall, Journal of Applied Psychology 87/2002, 867 ff.; zuvor schon Lassiter/Irvine, Journal of Applied Social Psychology 16/1986, 268 ff.; wird ausschließlich der Befragte und nicht der Vernehmende gefilmt, kann es zu Wahrnehmungsverzerrungen des Inhalts kommen (sog. illusionary causation), vgl. Lassiter, American Psychologist 65/2010, 768 (770); Kassin/Appleby/Torkildson Perillo, Legal and Criminological Psychology 15/2010, 39 (50).
[61]    Vgl. Cialdini, Pre-Suasion, 2016, S. 51 ff.; zu ähnlichen Ergebnissen kommen auch Lassiter/Geers/Munhall/Ploutz-Snyder/Breitenbecher, Psychological Science, 13.4/2002, 299 ff.
[62]    Cialdini, Pre-Suasion, 2016, S. 52 m.V. auf die Studien von Taylor/Fiske, Salience, Attention, and Attributions: Top of the Head Phenomena, in: Berkowitz (Hrsg.), Advances in Experimental Social Psychology Vol. 11, S. 249 ff.
[63]    Robinson/Zebrowitz-McArthur, Journal of Personality and Social Psychology 43/1982, 236; Hagemann/Strauss/Leissing, Psychological Science 19/2008, 769 ff.
[64]    Cialdini, Pre-Suasion, 2016, S. 55.
[65]    Briggs/Lassiter, Journal of Social Behavior and Personality 9.1/1994, 171 ff.
[66]    Zu den Untiefen der polizeilichen Befragungsarten und -formen instruktiv Eisenberg, StPO, 2017, 2. Teil Rn. 587 ff. m.w.N.
[67]    Cialdini, Pre-Suasion, 2016, S. 64; bereits erkannt auch von Buckow, ZIS 2012, 551 (554), der deshalb mindestens zwei Kameras in unterschiedlichen Positionen für die Aufnahme fordert.
[68]    Wenngleich eine geschlossene, ununterbrochene und zusammenhängende Darstellung der Geschehnisse durch den Befragten zu garantieren sei, vgl. Eisenberg, StPO, 2017, 2. Teil Rn. 583, 583a.
[69]    Instruktiv Amon, Die Macht der Stimme: Mehr Persönlichkeit durch Klang, Volumen und Dynamik, 2017; Bazil/Piwinger, Der Ton macht die Musik. Über die Funktion der Stimme in der Kommunikation, in: Bentele/Piwinger/Schönborn (Hrsg.), Kommunikationsmanagement (2016, Losebl. 2001 ff.), Art. Nr. 1.28.
[70]    Umfassend zum Themenfeld „Sprache und Vorverurteilung“ vgl. Gerson, Das Recht auf Beschuldigung, 2016, S. 184 ff. m.w.N.; zu den wissenschaftlichen Kriterien der aussagepsychologischen Exploration instruktiv Arntzen, Psychologie der Zeugenaussage, 2011, S. 15 ff., 25 ff. (sog. Glaubhaftigkeitskriterien wie z.B. Detailreichtum, Wirklichkeitsnähe, Ausgefallenheit, Komplikationsketten, aber auch Kohärenz und Konstanz).
[71]    Amon (Fn. 69), S. 32 ff.; instruktiv hierzu auch Kiese-Himmel, Körperinstrument Stimme. Grundlage, psychologische Bedeutung, Störung, 2016, S. 27 ff.; Sendlmeier, Die psychologische Wirkung von Stimme und Sprechweise – Geschlecht, Alter, Persönlichkeit, Emotion und audiovisuelle Interaktion, in: Resonanz-Räume – Die Stimme und die Medien, 2012, S. 99.
[72]    Sendlmeier (Fn. 71), S. 99 (107) beschreibt es wie folgt: „Da die Stimme einen Einblick in die Seele, in die Innerlichkeit, in den Charakter eines Menschen gibt, ist sie etwas Intimes. Sie verrät evtl. auch unsere Angst, zurückgewiesen zu werden, unsere Sehnsüchte, unsere Aufgeregtheit oder Verlegenheit. Schon durch den ersten Höreindruck von Stimme und Sprechweise erhalten wir ein recht differenziertes ‚Bild‘ von einem Menschen. Die Anonymität und Beliebigkeit von personenbezogenen Daten werden durch den spezifischen Stimmklang und die individuelle Art der Satzmelodie und der Aussprache aufgehoben. Der Zugang zu wesentlichen Aspekten der Persönlichkeit ist unmittelbar und weitgehend unverfälscht gegeben.“
[73]    Vgl. Die Kriminalpolizei 2008, Forensische Sprechererkennung und Tonträgerauswertung in Praxis und Forschung, abrufbar auf http://www.kriminalpolizei.de/ausgaben/2008/dezember/detailansicht-dezember/artikel/forensische-sprechererkennung-und-tontraegerauswertung-in-praxis-und-forschung.html (zuletzt abgerufen am 25.10.2017); instruktiv Sendlmeier (Fn. 71), S. 99 ff.
[74]    Kiese-Himmel (Fn. 71), S. 28 ff.
[75]    Grundlegend Mehrabian, Silent Messages. Implicit Communication of Emotions and Attitudes, 1971. Konkretisierend zu bestehenden Irrtümern über die Ergebnisse dieser Studien (sog. Mehrabian-Mythos) ist anzumerken, dass Mehrabian vor allem Kommunikationen untersuchte, in denen über Emotionen gesprochen wurde. Reine Fachvorträge sind damit (wohl) außen vor, eine polizeiliche Vernehmung gleichwohl wieder „im Rennen“. Mehrabian selbst fühlt sich dennoch missverstanden, vgl. sein Statement auf http://www.kaaj.com/psych/smorder.html (zuletzt abgerufen am 25.10.2017).
[76]    Zum verbotenen Vorspiegeln vorgeblicher Überführungsbeweise vgl. BGH, Urt. v. 24.08.1988 – 3 StR 129/88 = NStZ 1989, 35: „Weiß der Vernehmungsbeamte, daß nach den bisherigen Ermittlungen kein dringender Tatverdacht gegen den Beschuldigten besteht, so kann eine Täuschung i. S. des § 136a I 1 StPO schon darin liegen, daß er ihm gegenüber nur pauschal und ohne bestimmte Beweismittel vorzuspiegeln von einer erdrückenden, ihm keine Chance lassenden Beweiskette spricht, um ihn dadurch zu einem Geständnis zu bewegen.“
[77]    Beschrieben von Watzlawick/Beavin/Jackson, Menschliche Kommunikation, 1990, S. 57 ff.
[78]    Nicht sinnvoll hingegen sei der Merkspruch: „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht“, hierzu BGH, NStZ-RR 1998, 276.
[79]    Erforscht und nachgewiesen von Moliné/Gálvez-Gárcia/Fernández-Gómez//De La Fuente/Tornay/Mata Martín/
Iborra/Puertollano/Gómez Milán
, Psychophysiology 2017, 1 ff.
[80]    Es gibt auch Wechselwirkungen von Stimme und Mimik, beispielsweise korreliert eine höhere Stimme mit einer höheren Augenbrauenposition des Sprechers, s. Kiese-Himmel (Fn. 71), S. 28.
[81]    Kluck, zitiert nach Jansen (Fn. 32), S. 83; genauso Neubacher/Bachmann, ZRP 2017, 140 (142) m.w.N.
[82]    Überhaupt ist der Blick ins Gesicht eines anderen ein wirkmächtiger Auslöser zahlreicher Emotionen und Beurteilungen, vgl. Viggiano/Marzi, Context and Social Effects on Face Recognition, in: Balcetis/Lassiter (Hrsg.), Social psychology of visual perception, 2010, S. 171 ff.
[83]    Vorreiter hier Ekman, Facial Expressions of Emotion: an Old Controversy and New Findings, 1992; vgl. hierzu und zu weiteren körpersprachlichen Indikatoren Geipel, Handbuch der Beweiswürdigung, 2013, Kap. 25 Rn. 67 ff.
[84]    Die meisten Menschen können es wohl nicht, die wenigen „Truth Wizards“ (nach Ekman) seien dünn gesät.
[85]    Vgl. dazu den Wortlaut des § 58a Abs. 2 S. 1 StPO: „Die Verwendung der Bild-Ton-Aufzeichnung ist nur für Zwecke der Strafverfolgung und nur insoweit zulässig, als dies zur Erforschung der Wahrheit erforderlich ist.“
[86]    Bedenkenswert wäre beispielsweise ein legislativ anzuführender Halbsatz, der besagt, dass „die Einsicht in die Dokumentation ausschließlich zur Klärung von Streitfragen über Ablauf und Inhalt der Vernehmungssituation zulässig“ ist. So würde zumindest das nachträgliche Ausforschen und Sichten der Vernehmungsdokumentation zu „Überführungszwecken“ im Ermittlungsverfahren unterbunden; zu weit daher der Wortlaut des § 58a Abs. 2 S. 1 StPO (vgl. Fn. 85), der von „Zwecken der Strafverfolgung“ spricht.
[87]    Der „Staatstrojaner“ ist auf dem Vormarsch, vgl. nur Kipker, ZRP 2016, 88 ff.; Stoklas/Wendorf, ZD-Aktuell 2017, 05725; zu den erheblichen strafprozessualen und datenschutzrechtlichen Problemen Popp, ZD 2012, 51 ff.; gegen die Quellen-TKÜ vgl. nur Becker/Meinicke, StV 2011, 50 ff.; zur kritikwürdigen Einführung „durch die Hintertür“ Beukelmann, NJW-Spezial 2017, 440.
[88]    Creemers/Guagnin, KrimJ 2014, 138 (145 f.) unter Bezug auf empirisches Material.
[89]    Überblick zum Stand der Technik bei Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, 2017, § 36 Rn. 1 ff. m.w.N.
[90]    Die gesamte Kommunikation verlagert sich mehr und mehr auf digitale Kanäle, S. 71 ff. Letztlich werden Terrabyte an Daten zu lagern sein, so Momsen, Digitale Beweismittel aus der Sicht der Strafverteidigung, in: Beck/Meier/Momsen (Hrsg.), Cybercrime und Cyberinvestigations – Neue Herausforderungen der Digitalisierung für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie, 2015, S. 67 (75); zu den vielfältigen Möglichkeiten der Erhebung und Verarbeitung personenbezogener, öffentlich verfügbarer Daten im Ermittlungsverfahren sowie den sich daraus ergebenden rechtlichen Schwierigkeiten vgl. ausführlich Rückert, ZStW 129 (2017), S. 302 ff.; s.a. Warken, NZWiSt 2017, 329 (333 ff.).
[91]    Vgl. hierzu nur Schünemann, ZIS 2009, 484 (488); Paeffgen, GA 2003, 647 ff.; Zöller, ZStW 124 (2012), 411 (416); Hefendehl, GA 2011, 209 f.;
[92]    Umfassend hierzu Brodowski, Verdeckte technische Überwachungsmaßnahmen im Polizei- und Strafverfahrensrecht, 2016, S. 31 ff.
[93]    Freud, Hemmung, Symptom und Angst, 1926, S. 9 ging noch von einer „Funktionseinschränkung des Ichs“ aus.
[94]    Kurzüberblick unter http://www.spektrum.de/lexikon/psychologie/soziale-aktivierung/14490 (zuletzt abgerufen am 25.10.2017).
[95]    Zur strafrechtlichen Würdigung Galetzka/Krätschmer, MMR 2016, 518 ff.
[96]    Zum grundrechtlichen Ehrschutz Glaser, NVwZ 2012, 1432; zum zivilrechtlichen Rechtsschutz Giebel, NJW 2017, 977 ff.
[97]    Dazu eingehend Suler, CyberPsychology and Behavior, 7/2004, 321 ff. sowie Suler, The Psychology of Cyberspace, 2004.
[98]    So unter anderem Genschow, Senken Kampfdrohnen die Hemmschwelle zu töten?, abrufbar auf http://de.in-mind.org/users/oliver-genschow (zuletzt abgerufen am 25.10.2017), der – zumindest angreifbar – auf Milgrams Experimente zum Gehorsam verweist; vgl. auch Brzoska, „Computer dürfen nicht über den Tod entscheiden“, abrufbar auf http://www.zeit.de/politik/deutschland/2014-07/drohnen-friedensforscher-interview (zuletzt abgerufen am 25.10.2017); Steinbicker, Kampfdrohnen setzen die Hemmschwelle zur militärischen Gewaltanwendung deutlich herab, abrufbar auf http://www.aixpaix.de/autoren/steinbicker/drohnen.html (zuletzt abgerufen am 25.10.2017); eine verbotene Methode der Kriegsführung i.S.d. § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VStGB sei sie gleichwohl nicht, vgl. GBA, Verfügung vom 20. 6. 2013 – 3 BJs 7/12-4 = NStZ 2013, 644 (646); vgl. auch (647): „Nach humanitärem Völkerrecht besteht daher weder ein generelles Verbot des Einsatzes von Drohnen noch ist ein im Verhältnis zu sonstigen militärischen Kampfmaßnahmen abweichender rechtlicher Beurteilungsmaßstab angezeigt.“
[99]    Zu automatisierten Tötungsrobotern Beck, abrufbar auf http://www.sueddeutsche.de/kultur/verantwortung-maschinen-ohne-erbarmen-1.3078492 (zuletzt abgerufen am 25.10.2017).
[100]   Zur sog. „Kernbereichslehre“ des BVerfG vgl. nur BVerfGE 34, 238 (245) = NJW 1973, 891 (892) (Heimliche Tonbandaufnahmen); 80, 367 (373) = NJW 1990, 563 (Verwertung von Tagebuchaufzeichnungen); 109, 279 (313) = NJW 2004, 999 (1002) (Großer Lauschangriff); str. Rspr.
[101]   Sehr umstritten in diesem Kontext die Darlegungen von Spitzer, Digitale Demenz, 2012 und Gigerenzer, Bauchentscheidungen. Die Intelligenz des Unbewussten und die Macht der Intuition, 2007; vgl. auch Han, Transparenzgesellschaft, 2012, S. 11: „Durch die wachsende, ja wuchernde Informationsmasse verkümmert heute das höhere Urteilsvermögen. Oft bewirkt ein Weniger an Wissen und Information ein Mehr. Die Negativität des Auslassens und des Vergessens wirkt nicht selten produktiv.“
[102]   Dazu Levy, Information Overload, in: Himma/Tavani (Hrsg.), The handbook of information and computer ethics, 2008, S. 497 ff.; Jacoby, Journal of consumer research 10.4/1984, 432 ff.; O‘Reilly, Academy of management journal, 23.4/1980, 684 ff.; Kimble/Hildreth/Grimshaw, The role of contextual clues in the creation of Information Overload. Matching Technology with Organisational Needs, in: Proceedings of 3rd UKAIS Conference, 1998, S. 405 ff.
[103]   Dazu Gerson, Das Recht auf Beschuldigung, 2016, S. 153 ff. m.w.N.
[104]   Der „Arbeitsspeicher“ im Gehirn umfasst ein Areal von etwa der Größe eines Cent-Stückes. Zwar lässt sich die Merkfähigkeit trainieren, im Grunde ist dies aber eine mechanische, keine intellektuelle Leistung (Stichworte: Eselsbrücken, Mnemo-Techniken etc.).
[105]   Das in jeder Hinsicht zustimmungswürdige Fazit von Momsen, (Fn. 90), S. 67 (90): „Digitale Beweismittel verändern das Strafverfahren.“

 

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