von Prof. Dr. Reinhold Schlothauer
Abstract
Die dem Gesetzgeber bis zum 25.5.2019 aufgegebene Umsetzung der EU-Richtlinie zu „Prozesskostenhilfe für Verdächtige und beschuldigte Personen im Strafverfahren“ hat in dem Referentenentwurf des BMJV vom 11.10.2018 Gestalt angenommen. Dem Vorhaben bläst schon jetzt der Wind ins Gesicht: Die Landesjustizverwaltungen sehen eine Kostenlawine auf sich zukommen. Ermittler befürchten eine Erschwernis ihrer Arbeit, weil „Spontangeständnisse“ bei Einschaltung eines Verteidigers nicht mehr zu erlangen seien. Der Entwurf werde dem „Rechtsstaat erheblichen Schaden“ zufügen (bild.de v. 28.12.2018). Umso wichtiger ist ein nüchterner Blick darauf, ob und wie der Entwurf die „alternativlosen“ Vorgaben des europäischen Pflichtenkatalogs umsetzen will. Unter dem Strich wird es zu einer Optimierung unseres Strafverfahrens kommen müssen, das durch frühzeitige Verteidigerbeteiligung Verfahrensfehler, unnötige oder mangelhafte Anklageerhebungen und im Einzelfall Fehlurteile vermeiden hilft. Ein Gewinn für den Rechtsstaat!
I. Einleitung
Der Referentenentwurf eines „Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung“ des BMJV vom 11.10.2018 dient der bis zum 25.5.2019 in nationales Recht umzusetzenden Richtlinie 2016/1919/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.10.2016 über Prozesskostenhilfe für Verdächtige und beschuldigte Personen im Strafverfahren sowie für gesuchte Personen in Verfahren zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls.[1] Angesichts des zeitlichen Vorlaufs bis zum Inkrafttreten der Richtlinie und der Umsetzungsfrist von gut zweieinhalb Jahren ist die Diskussion über dieses Projekt in der Bundesrepublik Deutschland erst sehr spät in Gang gekommen. Dies ist schon deshalb bemerkenswert, weil die Umsetzung zu erheblichen Änderungen insbesondere des deutschen Strafverfahrensrechts führt, die weitreichende praktische Folgen für die Ermittlungsbehörden, die Strafjustiz und deren Akteure sowie die Anwaltschaft haben werden. Der erst Mitte 2017 zunächst recht zaghaft einsetzende Diskussionsprozess[2] nahm erst 2018 richtig Fahrt auf, als das Ende der Umsetzungsfrist immer näher rückte. Die diesem Thema gewidmeten Beiträge machten den tiefgreifenden Änderungsbedarf für das deutsche Rechtssystem zunehmend deutlich[3], der dann in ersten nicht amtlichen Gesetzesvorschlägen konkretisiert wurde.[4]
Der folgende Beitrag geht der Frage nach, inwieweit der Referentenentwurf den Anforderungen der PKH-RL gerecht wird und welche Konsequenzen sich daraus und aus vorgeschlagenen Folgeänderungen für die Praxis des Strafverfahrens ergeben. Als Ausgangspunkt ist die umzusetzende Richtlinie in den Zusammenhang der europäischen Rechtsakte zu stellen, durch die die Verfahrensrechte von Verdächtigen und beschuldigten Personen in Strafverfahren gestärkt und vereinheitlicht werden sollen, um das erforderliche Vertrauen der Mitgliedstaaten in die jeweiligen Strafrechtssysteme der jeweils anderen Mitgliedstaaten zu schaffen.
II. Hintergrund der umzusetzenden Richtlinie
Die „Rechtsbeistand und Prozesskostenhilfe“ betreffende Maßnahme C des „Fahrplans“ des Rates vom 30.11.2009[5] weist darauf hin, dass „das Recht auf Rechtsbeistand (durch einen Rechtsberater) für einen Verdächtigen oder Beschuldigten in Strafverfahren zum frühest geeigneten Zeitpunkt des Verfahrens zur Gewährleistung eines fairen Verfahrens von grundlegender Bedeutung (ist); das Recht auf Prozesskostenhilfe sollte sicherstellen, dass tatsächlich Zugang zum vorgenannten Recht auf Rechtsbeistand besteht“.[6]
Der erste Teil dieser Maßnahme war Gegenstand der Richtlinie 2013/48/EU vom 22.10.2013 zum „Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand in Strafverfahren“.[7] Diese wurde mit einiger Verspätung in der Bundesrepublik Deutschland durch das „Zweite Gesetz zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten in Strafverfahren“ pp. vom 27.08.2017 umgesetzt.[8] Durch dieses Gesetz erhielt der Verteidiger eines Beschuldigten erstmalig das Recht auf Anwesenheit bei einer Gegenüberstellung mit dem Beschuldigten (§ 58 Abs. 2 S. 2 StPO) sowie bei polizeilichen Vernehmungen (§ 163a Abs. 4 S. 3 StPO). Bis dato stand ihm ein solches Recht nur bei richterlichen (§ 168c Abs. 1 StPO) und staatsanwaltschaftlichen (§ 163a Abs. 3 StPO) Beschuldigtenvernehmungen zu. Zusätzlich wurden die Vernehmungspersonen nunmehr verpflichtet, dem Beschuldigten auf dessen Wunsch Informationen zur Verfügung zu stellen, die es ihm erleichtern sollen, einen Verteidiger zu kontaktieren (§§ 136 Abs. 1 S. 3, 163a Abs. 3 S. 2 u. Abs. 4 S.2 StPO).
Die nunmehr umzusetzende Richtlinie betreffend Prozesskostenhilfe soll dem Beschuldigten über das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand zum frühest geeigneten Zeitpunkt hinaus die effektive Wahrnehmung dieses Rechts, also den tatsächlichen Zugang zu einem solchen gewährleisten. Zugangs- und Prozesskostenhilfe-Richtlinie sind somit zwei Seiten derselben Medaille der Gewährleistung eines fairen Verfahrens.[9]
Die Prozesskostenhilferichtlinie will die Effektivität des Rechts auf Zugang zu einem Rechtsbeistand vorrangig dadurch gewährleisten, dass Verdächtige und Beschuldigte an der Wahrnehmung dieses Rechts nicht aus finanziellen Gründen gehindert werden. Aus diesem Grund sollen die Mitgliedstaaten solchen Betroffenen, die nicht über ausreichende Mittel zur Bezahlung eines Rechtsbeistands verfügen, die dafür erforderlichen finanziellen Mittel bereitstellen (Art. 3, Art. 4 Abs. 1; Erwägungsgrund (8) der PKH-RL).
Folgerichtig soll es nach der Richtlinie von einer Bedürftigkeitsprüfung abhängen, ob Verdächtigen und Beschuldigten die erforderlichen finanziellen Mittel für die Unterstützung durch einen Rechtsbeistand seitens des Staates zur Verfügung gestellt werden (Art 4 Abs. 2 u. Abs. 3 PKH-RL). Im Hinblick darauf, dass manche Mitgliedstaaten für bestimmte Strafvorwürfe und Verfahrenskonstellationen eine Unterstützung von Beschuldigten durch eine professionelle Verteidigung unabhängig von ihrem Willen und ihren wirtschaftlichen Verhältnissen für notwendig erachten,[10] eröffnet die Richtlinie eine gleichwertige Alternative, unter welchen Voraussetzungen ihnen ein Rechtsbeistand zur Verfügung zu stellen ist. Danach kann auch nach Maßgabe sogenannter materieller Kriterien entschieden werden, wer in den Genuss von Rechtsbeistand kommen muss (Art. 4 Abs. 2 u. Abs. 4 PKH-RL). Die Fassung der Richtlinie verrät deutlich den dieser Alternative zugrundeliegenden Kompromisscharakter. Denn Art. 4 Abs. 2 PKH-RL lässt eine „Bedürftigkeitsprüfung“ auch anhand „materieller Kriterien“ zur Entscheidung darüber zu, „ob Prozesskostenhilfe nach (Art. 4) Abs. 1 zu bewilligen ist“. Letzterer wiederum macht einen Anspruch auf Prozesskostenhilfe aber ausschließlich davon abhängig, ob Verdächtige und beschuldigte Personen „über ausreichende Mittel zur Bezahlung eines Rechtsbeistands verfügen“.
Gleichwohl eröffnet die Richtlinie damit die Möglichkeit, Verdächtigen und beschuldigten Personen auch im Rahmen des Systems notwendiger Verteidigung unabhängig von ihrem Willen und ihren wirtschaftlichen Verhältnissen einen Pflichtverteidiger als Rechtsbeistand zur Wahrung ihrer Rechte zu bestellen. Da der Referentenentwurf von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, sind die Vorgaben der Richtlinie in das bestehende System der notwendigen Verteidigung zu implementieren mit der Folge, dass unter dessen Voraussetzungen unverteidigten Beschuldigten ein (zunächst staatlich finanzierter) Pflichtverteidiger zu bestellen ist. Wenn der Referentenentwurf dies als ein „von paternalistischen Gedanken getragenes System“ bezeichnet[11], scheint dies noch der Vorstellungswelt des Obrigkeitsstaates verhaftet zu sein. Für ein aufgeklärtes Staatsverständnis resultiert das System der notwendigen Verteidigung aus dem Bekenntnis zu einem rechtsstaatlichen Strafprozess, der durch das Prinzip der Verfahrensfairness und damit dem der Waffengleichheit charakterisiert wird.[12] Dies spiegelt sich sowohl in der Zugangs- als auch in der Prozesskostenhilferichtlinie wider, wonach Beschuldigte schon zu einem frühen Zeitpunkt des Ermittlungsverfahrens als Verfahrenssubjekte zu behandeln sind, die ihre Rechte mit Unterstützung professioneller Verteidigung wahrnehmen können sollen.
Diesem Ansatz ist letztlich auch der Referentenentwurf verpflichtet, der die Umsetzung der Richtlinie zum Anlass nimmt, diesen bislang zu erheblichen Teilen richterrechtlich geprägten Bereich umfassend zu normieren und systematisch klarer zu strukturieren, um die Verständlichkeit und Handhabbarkeit zu verbessern.[13] Das Ergebnis ist Gegenstand der nachfolgenden Erörterung.[14]
III. Umsetzung des Europarechtlichen Pflichtenkatalogs
1. Voraussetzungen für den Anspruch auf Rechtsbeistand
a) Für Beschuldigte
Nach Art. 3 i.V.m. Art. 4 Abs. 1 PKH-RL haben Beschuldigte in den Grenzen des Anwendungsbereichs der Richtlinie gemäß Art. 2 PKH-RL Anspruch auf Unterstützung durch einen Rechtsbeistand, wenn dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist und sie nicht über ausreichende Mittel zur Bezahlung eines Rechtsbeistands verfügen. Über die Fälle einer finanziellen Bedürftigkeit hinaus kann nach Art. 4 Abs. 2 PKH-RL die Richtlinie aber auch in der Weise umgesetzt werden, dass es von sog. materiellen Kriterien abhängig gemacht werden darf, ob Beschuldigte bei der Wahrnehmung ihres Rechts auf Zugang zu einem Rechtsbeistand Unterstützung erhalten müssen. Dabei ist nach Art. 4 Abs. 4 S. 1 PKH-RL „der Schwere der Straftat, der Komplexität des Falles und der Schwere der zu erwartenden Strafe Rechnung“ zu tragen. Diese Voraussetzungen sind nach Art. 4 Abs. 4 S. 2 PKH-RL in jedem Fall erfüllt, „a) wenn ein Verdächtiger oder eine beschuldigte Person in jeder Phase des Verfahrens im Anwendungsbereich dieser Richtlinie einem zuständigen Gericht oder einem zuständigen Richter zur Entscheidung über eine Haft vorgeführt wird und b) wenn er sich in Haft befindet“.
Der Referentenentwurf will die Vorgaben der Richtlinie unter grundsätzlicher Beibehaltung des „bewährten Systems der notwendigen Verteidigung umsetzen“. Deshalb sollen die Voraussetzungen, unter denen die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig ist (§ 140 Abs. 1 StPO-E) bzw. „geboten erscheint“ (§ 140 Abs. 2 StPO-E), soweit erforderlich an die Vorgaben von Art. 4 Abs. 4 PKH-RL angepasst werden.[15]
Die zwingende Vorgabe von Art. 4 Abs. 4 lit. a PKH-RL, wonach bei Vorführung eines Beschuldigten zwecks gerichtlicher „Entscheidung über eine Haft“ die materiellen Kriterien für seine Unterstützung durch einen Rechtsbeistand in jedem Fall als erfüllt gelten, zwingt zur Änderung des § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO. Denn danach ist die Mitwirkung eines Verteidigers erst notwendig, wenn gegen den Beschuldigten „Untersuchungshaft nach den §§ 112, 112a oder einstweilige Unterbringung nach § 126a oder § 275a Abs. 6 (StPO) vollstreckt wird“. Konsequenterweise soll nach § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO-E ein Fall notwendiger Verteidigung deshalb schon dann vorliegen, wenn „der Beschuldigte nach den §§ 115, 115a, 128 Abs. 1 oder § 129 (StPO) einem Gericht zur Entscheidung über Haft oder einstweilige Unterbringung vorzuführen ist“.
Von der Neuregelung wird jede Art der Vorführung erfasst, also auch die nach vorläufiger Festnahme zwecks Durchführung eines beschleunigten Verfahrens (§§ 127b, 417 ff. StPO).
Weiterer zwingender Änderungsbedarf ergibt sich in den Fällen, in denen sich der Beschuldigte in Haft befindet (Art. 4 Abs. 4 lit. b PKH-RL). Hier ist nach § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO die Mitwirkung eines Verteidigers erst notwendig, wenn sich der Beschuldigte mindestens drei Monate aufgrund richterlicher Anordnung oder Genehmigung in einer Anstalt befindet. Nach Art. 4 Abs. 4 lit. b PKH-RL bedarf es aber in jeglichem Fall der Haft unabhängig von ihrer Dauer der Unterstützung durch einen Rechtsbeistand.
Dementsprechend soll unabhängig von der vorangegangenen Dauer der Haft nach § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO-E ein Fall notwendiger Verteidigung immer dann vorliegen, wenn sich „der Beschuldigte aufgrund richterlicher Anordnung oder mit richterlicher Genehmigung in einer Anstalt befindet“. Dabei muss es sich nicht um eine Anstaltsunterbringung im anhängigen Verfahren handeln. Strafhaft, Untersuchungshaft oder (einstweilige) Unterbringung, auch in anderer Sache, begründen ebenfalls einen Fall notwendiger Verteidigung.[16] Auch die Hauptverhandlungshaft nach §§ 230 Abs. 2, 329 Abs. 3 StPO macht die Mitwirkung eines Verteidigers erforderlich und begründet zumindest für die Dauer des Freiheitsentzugs (siehe § 143 Abs. 2 StPO-E) einen Fall notwendiger Verteidigung.
Den Anforderungen von Art. 4 Abs. 4 S. 1 PKH-RL, wonach bei der Prüfung der materiellen Kriterien die „Schwere der Straftat“ und die „Schwere der zu erwartenden Strafe“ zu berücksichtigen sind, sollen – ergänzend zu dem insoweit unveränderten § 140 Abs. 2 S. 1 StPO („Schwere der Tat“) – die Änderungen in § 140 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 4 StPO-E Rechnung tragen. In § 140 Abs. 1 Nr. 1 StPO-E soll ergänzend zu den vor dem Oberlandesgericht oder dem Landgericht durchzuführenden erstinstanzlichen Hauptverhandlungen eine vor dem Schöffengericht zu erwartende Hauptverhandlung einen Fall notwendiger Verteidigung begründen. Unbeschadet der Tatsache, dass bei Verbrechensvorwürfen und damit einer Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr (§ 12 Abs. 1 StGB) weiterhin ein Fall notwendiger Verteidigung nach § 140 Abs. 1 Nr. 2 StPO gegeben ist, soll damit der Umstand Berücksichtigung finden, dass auch bei Vergehensvorwürfen mit einer zu erwartenden Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren (§§ 28, 25 Nr. 2 GVG) die Mitwirkung eines Verteidigers im Hinblick auf die Schwere der Straftat und die Schwere der zu erwartenden Strafe geboten ist.
Ausschließlich auf das Kriterium der Schwere der zu erwartenden Strafe stellt die Ergänzung des § 140 Abs. 1 Nr. 3 StPO ab, wonach die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig ist, wenn das Verfahren zu einem Berufsverbot führen kann. Dieser schwerwiegenden Rechtsfolge sollen nunmehr die Fälle gleichgestellt werden, in denen die Verhängung einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr zu erwarten ist (§ 140 Abs. 1 Nr. 3 StPO-E). Bei der Beurteilung dieser Straferwartung wird auch eine zu erwartende (ggfls. nachträgliche) Gesamtstrafenbildung im Falle einer anderweitigen Verurteilung (§ 55 Abs. 1 StGB, § 460 StPO) zu berücksichtigen sein.[17] Ob die Vollstreckung der zu erwartenden ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wird oder nicht, hat bei der Beantwortung der Frage nach der Notwendigkeit der Verteidigung unberücksichtigt zu bleiben.
Soweit nach Art. 4 Abs. 4 S. 1 PKH-RL die „Komplexität des Falles“ als materielles Kriterium für die Notwendigkeit der Unterstützung durch einen Rechtsbeistand Berücksichtigung finden muss, wird diesem bereits durch den weiterhin geltenden § 140 Abs. 2 StPO Rechnung getragen. Danach liegt bei Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage ein Fall notwendiger Verteidigung vor.
Den nach Art. 9 PKH-RL zu berücksichtigenden besonderen Bedürfnissen von schutzbedürftigen Beschuldigten wird für hör- und sprachbehinderte Beschuldigte bereits durch § 140 Abs. 2 S. 2 StPO Rechnung getragen. Die Bedeutung dieser Beeinträchtigung soll nunmehr dadurch besonders hervorgehoben werden, dass sie als Nr. 11 in den Katalog des § 140 Abs. 1 StPO-E aufgenommen und – neu – um sehbehinderte – und damit ebenfalls schutzbedürftige – Beschuldigte ergänzt wird.
Soweit nach § 140 Abs. 1 Nr. 10 StPO-E ein Fall notwendiger Verteidigung vorliegen soll, wenn „bei einer richterlichen Vernehmung die Mitwirkung eines Verteidigers aufgrund der Bedeutung der Vernehmung zur Wahrung der Rechte des Beschuldigten geboten erscheint“, könnte auch dies dem Kriterium der „Komplexität des Falles“ zugeordnet werden. Jedoch soll diese Regelung nur aus dem geltenden § 141 Abs.3 S. 4 StPO nach § 140 Abs. 1 StPO-E überführt werden, was der von den Entwurfsverfassern intendierten klareren systematischen Strukturierung des Rechts der notwendigen Verteidigung und Pflichtverteidigung geschuldet ist.[18]
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass durch die in § 140 StPO-E vorgesehenen Änderungen und Ergänzungen der Mindestvorschrift des Art. 4 Abs. 4 PKH-RL entsprochen wird.
b) Verdächtige
Unterstützung durch einen Rechtsbeistand sollen im Anwendungsbereich der Richtlinie nicht nur Beschuldigte, sondern auch Verdächtige erhalten (Art. 4 Abs. 1 PKH-RL), bei denen die entsprechenden Voraussetzungen des Art. 4 Abs. 2 PKH-RL vorliegen. Nach Erwägungsgrund (10) der Richtlinie soll diese Regelung auf Personen wie beispielsweise Zeugen Anwendung finden, die im Laufe einer Befragung durch die Polizei oder eine andere Strafverfolgungsbehörde zu Verdächtigen oder gar Beschuldigten werden und das Recht haben, sich nicht selbst belasten zu müssen und die Aussage verweigern zu dürfen. Nimmt man auch hier auf die materiellen Kriterien gemäß Art. 4 Abs. 4 PKH-RL Bezug, bedarf es mindestens dann der Unterstützung durch einen Rechtsbeistand, wenn Verdächtige sich im Zeitpunkt ihrer Vernehmung (in anderer Sache) in Untersuchungs- oder Strafhaft oder (einstweiliger) Unterbringung befinden (Art. 4 Abs. 4 lit. b PKH-RL). Ferner wird die Schwere der in Betracht kommenden Straftat, die Komplexität des Falles und die Schwere der im Hinblick auf den Verdachtsvorwurf zu erwartenden Strafe zu berücksichtigen sein (Art. 4 Abs. 4 S. 1 PKH-RL).
Der Referentenentwurf verhält sich nicht zur Notwendigkeit der Umsetzung dieser Vorgabe der Richtlinie. Es steht zu vermuten, dass die nach geltendem Recht bestehende Möglichkeit der Bestellung eines Zeugenbeistands (§ 68b Abs. 2 StPO) als ausreichend angesehen wird. Danach ist einem Zeugen bei seiner ohne anwaltlichen Beistand durchgeführten Vernehmung für deren Dauer ein Beistand unter der Bedingung beizuordnen, dass besondere Umstände vorliegen, aus denen sich ergibt, dass der Zeuge seine Befugnisse bei seiner Vernehmung nicht selbst wahrnehmen und seinen schutzwürdigen Interessen nicht auf andere Weise Rechnung getragen werden kann. In Betracht kommt hier insbesondere eine Belehrung über sein Recht zur Verweigerung der Auskunft (§ 55 Abs. 2 StPO) oder sein Schweigerecht (§ 136 Abs. 1 StPO). Sieht man davon ab, dass die Voraussetzungen für eine solche Belehrungspflicht nur diejenigen Fälle abdecken, in denen sich aus der Sicht der Vernehmungsperson der Zeuge oder ein Angehöriger i.S.d. § 52 Abs. 1 StPO der Gefahr zuziehen würde, wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden und dass die Reichweite des Auskunftsverweigerungsrechts vielfach von den Umständen des Einzelfalls abhängt, trägt der Entwurf den materiellen Kriterien des Art. 4 Abs. 4 S. 1 PKH-RL, nämlich der Schwere der potentiellen Straftat und der Schwere der möglicherweise zu erwartenden Strafe auch nicht ansatzweise Rechnung. Dies gilt gleichermaßen, wenn die Vernehmung eines Zeugen dazu führt, ihn zum Beschuldigten zu machen.
Ein Zeuge, der im Rahmen seiner Vernehmung in Gefahr gerät, wegen einer Straftat verfolgt zu werden, muss deshalb Anspruch auf Unterstützung durch einen Rechtsbeistand erhalten, wenn auch für einen Beschuldigten ein Fall notwendiger Verteidigung vorläge. Das wird abgesehen von einer Inhaftierung in anderer Sache (§ 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO-E) bei potenziellen Vorwürfen in Betracht kommen, die unter § 140 Abs. 1 Nr. 1 StPO-E, § 140 Abs. 1 Nr. 2 StPO, § 140 Abs. 1 Nr. 3 oder Nr. 11 StPO-E sowie unter § 140 Abs. 2 StPO-E fallen. Hier bedarf es zur Umsetzung der Richtlinie einer ergänzenden Regelung, die vorzugswürdig in § 68b Abs. 2 StPO zu verorten wäre.
2. Zeitpunkt der Entscheidung über die Unterstützung und der Bestellung eines Rechtsbeistands
Nach Art. 4 Abs. 5 und Art. 6 Abs. 1 PKH-RL ist die Entscheidung über die Unterstützung durch einen Rechtsbeistand (Bewilligung) und deren organisatorische Umsetzung (Bestellung eines Rechtsbeistands) „unverzüglich von einer zuständigen Behörde“ zu treffen. Die Pflicht zum unverzüglichen Vorgehen beginnt in dem Augenblick, in dem die Unterstützung durch einen Rechtsbeistand notwendig wird, im Falle des Art. 4 Abs. 4 PKH- RL also die dort angesprochenen Kriterien erfüllt sind. Spätestens ist die Unterstützung durch einen Rechtsbeistand vor einer Befragung durch die Polizei, eine andere Strafverfolgungsbehörde oder eine Justizbehörde oder vor Durchführung einer Ermittlungs- oder Beweiserhebungshandlung in Form einer Identifizierungs- oder Vernehmungsgegenüberstellung oder einer Tatortrekonstruktion (Art. 2 Abs. 1 lit. c PKH-RL) zu bewilligen (Art. 4 Abs. 5 PKH-RL).
Erwägungsgrund (19) der PKH-RL unterstreicht die Bedeutung des Unverzüglichkeitsgebots, weil er deutlich macht, dass spätestens vor einer Befragung oder Durchführung der genannten Ermittlungs- oder Beweiserhebungshandlungen zumindest eine – wenn auch nur provisorische – Unterstützung durch einen Rechtsbeistand bewilligt worden sein muss.
Mit dieser Vorgabe werden die Voraussetzungen notwendiger Verteidigung und für die Bestellung eines Rechtsbeistands in einer Weise in das Ermittlungsverfahren vorverlagert, die weit über den bislang in § 141 Abs. 3 StPO geregelten Rechtszustand hinausgeht. Liegt nicht ausnahmsweise ein Fall notwendiger Verteidigung nach § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO vor (Vollstreckung von Untersuchungshaft oder einstweiliger Unterbringung), hat lediglich fakultativ („kann“) eine Verteidigerbestellung in den Fällen notwendiger Verteidigung „auch schon während des Vorverfahrens“ zu erfolgen. Die von dem zuständigen Gericht zu treffende Ermessensentscheidung setzt nach h.M.[19] zusätzlich einen diesbezüglichen Antrag der Staatsanwaltschaft voraus, der auch nur nach pflichtgemäßem Ermessen zu stellen ist, ohne dass der Beschuldigte hierauf einen Anspruch hätte. Ein eigenes Antragsrecht des Beschuldigten sieht § 141 Abs. 3 StPO nicht vor.
Nach der Richtlinie ist demgegenüber die Unterstützung durch einen Rechtsbeistand auch schon im Ermittlungsverfahren obligatorisch, sobald die Voraussetzungen des Art. 4 Abs. 4 PKH-RL erfüllt sind. Diese ist spätestens vor der ersten Konfrontation des Beschuldigten mit der Polizei, einer anderen Strafverfolgungs- oder Justizbehörde zu gewähren, anlässlich derer der Beschuldigte befragt werden oder an einer in seiner Anwesenheit durchzuführenden Ermittlungs- oder Beweiserhebungshandlungen teilnehmen darf oder soll.
Der Referentenentwurf setzt in § 141 Abs. 1 StPO-E diese Vorgaben der Richtlinie für Beschuldigte bis auf eine zu kritisierende Ausnahme (§ 141 Abs. 3 StPO-E)[20] mustergültig um:
a) Danach ist auf Antrag des Beschuldigten unverzüglich ein Pflichtverteidiger zu bestellen, sobald ein Fall notwendiger Verteidigung vorliegt. Von Amts wegen setzt die Bestellung zusätzlich voraus, dass die Mitwirkung eines Verteidigers „erforderlich“ ist. Letzteres gilt nicht nur in den Fällen einer beabsichtigten Beschuldigtenvernehmung[21] oder einer mit ihm durchzuführenden Gegenüberstellung, in denen die Erforderlichkeit einer Verteidigermitwirkung gesetzlich vermutet wird[22] und für die die Notwendigkeit der Bestellung eines Verteidigers als spätester Zeitpunkt in § 141 Abs. 1 Nr. 1 StPO-E ausdrücklich bestimmt ist. Die Erforderlichkeit der Mitwirkung eines Verteidigers kann die Bestellung von Amts wegen ferner auch dann gebieten, wenn eine konkrete Verteidigungshandlung naheliegt.[23] Das ist sicherlich immer dann der Fall, wenn vor einer Verfahrenshandlung rechtliches Gehör zu gewähren ist (z.B. vor einer Entscheidung über eine Akteneinsichtsgewährung nach §§ 406e oder 475, 478 StPO) oder bei in Betracht kommenden Rechtsbehelfen gegen eine angeordnete oder bereits vollzogene Ermittlungsmaßnahme (z.B. §§ 81a, 81b, 98 Abs. 2 StPO). Im Hinblick auf den geringeren Prüfungsumfang dürfte die Ausübung des Antragsrechts die für Beschuldigte vorzugswürdigere Alternative darstellen, da diese nicht die Feststellung der Erforderlichkeit der Mitwirkung eines Verteidigers voraussetzt.
Nicht erforderlich soll nach Auffassung der Entwurfsbegründung die Mitwirkung eines Verteidigers dann sein, wenn das Ermittlungsverfahren gegen einen Beschuldigten noch gar nicht offen geführt werde.[24] Insbesondere in Fällen notwendiger Verteidigung aufgrund von Haft in anderer Sache (§ 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO-E) komme dieser Möglichkeit zur Einschränkung des Unverzüglichkeitsgebots Bedeutung zu. Diese unter Rückgriff auf die Richtlinie 2013/48 EU über das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand in Strafverfahren[25] beabsichtigte Regelung ist jedenfalls dann abzulehnen, wenn bei Strafhaft in anderer Sache das nicht offen geführte Ermittlungsverfahren dazu führt, die Gewährung von Vollzugslockerungen unter Verschleierung der tatsächlichen Gründe zu versagen oder zurückzunehmen.
b) Konsequent ist in Fortsetzung von § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO-E die Regelung in § 141 Abs. 1 Nr. 2 StPO-E, wonach es spätestens der Mitwirkung eines Verteidigers dann bedarf, wenn „der Beschuldigte einem Gericht zur Entscheidung über Haft oder einstweilige Unterbringung vorgeführt werden soll“. Zwar betont die Entwurfsbegründung zu Recht, dass es dieser Regelung im Hinblick auf § 141 Abs. 1 Nr. 1 StPO-E nicht bedurfte, weil mit der Vorführung nach §§ 115 Abs. 2, 115a Abs. 2, 128 Abs. 1 S. 2 StPO immer auch eine Vernehmung verbunden ist.[26] Die Regelung ist gleichwohl sinnvoll, weil sie klarstellt, dass ein Verteidiger nicht erst zum Zeitpunkt der Vernehmung, sondern insbesondere in den Fällen des § 128 Abs. 2 S. 2 StPO schon ab dem Antrag der Staatsanwaltschaft auf Erlass eines Haftbefehls zu bestellen ist. Der Festgenommene kann sich so unter besseren Voraussetzungen mit dem bestellten Verteidiger unter vier Augen auf den Vorführungstermin vorbereiten und den Erlass eines Haftbefehls nach Möglichkeit abzuwenden versuchen.
c) § 141 Abs. 1 Nr. 3 StPO-E, der § 141 Abs. 1 StPO entspricht, hat nach der Umsetzung der Richtlinie nur noch die Funktion einer Auffangregelung, wenn sich erst zum Ende oder nach Abschluss des Ermittlungsverfahrens herausstellt, dass ein Fall notwendiger Verteidigung vorliegt.[27]
d) Nicht der Umsetzung der Richtlinie geschuldet ist die Ausnahmeregelung in § 141 Abs. 3 S. 1 StPO-E, wonach im Vorverfahren unter den in Nr. 1 oder Nr. 2 aufgeführten Umständen Vernehmungen des Beschuldigten oder Gegenüberstellungen mit ihm auch vor Bestellung eines Verteidigers durchgeführt werden dürfen. Diese Regelung ist aus mehreren Gründen kritikwürdig:
Der Referentenentwurf nimmt zur Rechtfertigung dieser Regelung Bezug auf die Richtlinie 2013/48 über das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand in Strafverfahren.[28] Nach dessen Art. 3 Abs. 5 sollen den Mitgliedstaaten unter den jetzt in § 141 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 2 StPO-E genannten Umständen im Ermittlungsverfahren vorübergehende Ausnahmen vom Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand ermöglicht werden. Nachdem der Gesetzgeber bei der Umsetzung dieser Richtlinie in Gestalt des Zweiten Gesetzes zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Strafverfahren pp. vom 27.08.2017[29] im Hinblick auf vorhandene Regelungen zur Verhängung einer Kontaktsperre nach §§ 31 ff. EGGVG davon Abstand genommen hat, eine entsprechende Einschränkung des Rechts auf jederzeitigen Verteidigerbeistand (§ 137 StPO) einzuführen, enthält die Begründung des Referentenentwurfs keine nachvollziehbare Erklärung dafür, begrenzt auf den Bereich der Pflichtverteidigerbestellung einem Beschuldigten den Beistand eines Verteidigers bei Vernehmungen und Gegenüberstellungen zu verweigern.
Insofern führt die Regelung zu einer Ungleichbehandlung von Beschuldigten, die nicht von der Möglichkeit der Bestellung eines Wahlverteidigers Gebrauch machen (können). Nach § 141 Abs. 3 S. 2 StPO-E soll nämlich das Recht des Beschuldigten, vor einer Vernehmung oder Gegenüberstellung jederzeit einen von ihm zu wählenden Verteidiger befragen zu können, unberührt bleiben. Einem solchen Beschuldigten könnte dann auch nicht die Anwesenheit seines Wahlverteidigers bei seiner Vernehmung oder einer Gegenüberstellung mit ihm verwehrt werden (§§ 163a Abs. 3 S. 2, Abs. 4 S. 3, 168c Abs. 1 und 5, 58 Abs. 2 S. 2 StPO). Bezeichnenderweise verweist die Entwurfsbegründung für die Wahlverteidigung auf die durch § 31 EGGVG unter wesentlich engeren Voraussetzungen eröffneten Befugnisse zur Verhängung einer Kontaktsperre.[30] Es ist völlig sachfremd einem Beschuldigten das Recht auf Verteidigerbeistand vorzuenthalten, nur weil er nicht in der Lage ist, sich des Beistands eines Wahlverteidigers zu bedienen. Die Einführung einer solchen Ausnahme im Zuge der Umsetzung der PKH-RL, die gerade solchen Beschuldigten Rechtsbeistand gewähren will, die nicht über ausreichende Mittel zu dessen Bezahlung verfügen (Art. 4 Abs. 1 PKH-RL), ist geradezu paradox.
Befremden löst auch der Hinweis in der Entwurfsbegründung aus, dass ein Verstoß gegen § 141 Abs. 3 StPO-E nicht zu einem Verwertungsverbot führen solle.[31] Solange der Gesetzgeber davon Abstand nimmt, generell Grundlagen und Voraussetzungen von Beweisverwertungsverboten zu regeln, ist die Entscheidung, welche Folgen Rechtsverstöße haben, der Rechtsprechung vorbehalten und und nicht einer „authentischen“ Auslegung der verletzten Vorschrift durch deren Verfasser zugänglich.
e) Ungeregelt bleibt in dem Entwurf der Zeitpunkt der Bestellung eines Rechtsbeistands für einen Verdächtigen. Erwägungsgrund (10) der Richtlinie mahnt für die Fälle, in denen während der Befragung eines Zeugen durch die Polizei etc. dieser zum Verdächtigen oder gar Beschuldigten wird, die unverzügliche Unterbrechung der Befragung an, um dem Betroffenen die Möglichkeit zu geben, seine in der Richtlinie vorgesehenen Rechte wahrnehmen zu können. Dies bedeutet, dass bei einem Vorwurf, der bei einem Beschuldigten die Kriterien des Art. 4 Abs. 4 PKH-RL erfüllen würde, auch dem verdächtigen oder gar beschuldigten Zeugen vor der Fortsetzung der Vernehmung von Amts wegen oder – nach entsprechender Belehrung – auf Antrag der Beistand durch einen Anwalt zu bewilligen wäre. Spätester Zeitpunkt für die Unterbrechung müsste die Belehrung nach § 55 Abs. 2 StPO oder nach §§ 136 Abs. 1, 163a Abs. 3 und Abs. 4 StPO sein. Als maßgebliches Kriterium im Sinne von Art. 4 Abs. 4 PKH-RL würde insbesondere auf die Höhe der bei dem in Verdacht stehenden Tatbestand zu erwartenden Strafe abzustellen sein.
3. Bewilligung der Unterstützung durch einen Rechtsbeistand: Zuständigkeit und Verfahren
a) Nach Art. 6 Abs. 1 PKH-RL ist die Entscheidung über die Bewilligung der Unterstützung von Verdächtigen und beschuldigten Personen von einer „zuständigen Behörde“ zu treffen. Dabei soll es sich ausweislich des Erwägungsgrundes (24) der Richtlinie um eine „unabhängige Behörde“, namentlich um ein Gericht einschließlich eines Einzelrichters handeln. Da diese Vorgabe § 141 Abs. 4 StPO entspricht, bedarf es im Zuge der Umsetzung der Richtlinie insoweit keiner inhaltlichen Anpassung der StPO.[32]
b) Nach Erwägungsgrund (24) besteht in dringenden Fällen die Möglichkeit, die Polizei und die Staatsanwaltschaft in das Bewilligungsverfahren einzubeziehen. Von dieser Möglichkeit will der Referentenentwurf Gebrauch machen, soweit es die Zulässigkeit der Bestellung eines Pflichtverteidigers durch die Staatsanwaltschaft bei besonderer Eilbedürftigkeit betrifft. Damit erhält die Staatsanwaltschaft in diesen Fällen auch die Kompetenz zur Auswahl des zu bestellenden Verteidigers. Der Umstand, dass es sich bei der Staatsanwaltschaft aus der Sicht eines Beschuldigten (trotz § 160 Abs. 2 StPO) nicht um eine „unabhängige Behörde“ handelt, soll durch mehrere Sicherungen kompensiert werden. Zum einen soll die Staatsanwaltschaft innerhalb von einer Woche die gerichtliche Bestätigung ihrer Entscheidung einholen (§ 142 Abs. 2 S. 2 StPO-E). Ferner soll der Beschuldigte von sich aus jederzeit die gerichtliche Entscheidung beantragen können (§ 142 Abs. 2 S. 3 StPO-E), was allerdings voraussetzt, dass er auf dieses Antragsrecht bei Bekanntgabe der staatsanwaltschaftlichen Verfügung hingewiesen wird. Schließlich dürfte in den Fällen sog. besonderer Eilbedürftigkeit das Recht des Beschuldigten, selbst den zu bestellenden Verteidiger zu bezeichnen, nicht im gebotenen Umfang wahrgenommen werden können, weshalb ihm gestattet werden soll, die Bestellung eines anderen von ihm zu bezeichnenden Verteidigers an Stelle des ihm zunächst von Amts wegen beigeordeneten Verteidigers beantragen zu können (§ 143a Abs. 2 S. 1 StPO-E).
Trotzdem ist die Sinnhaftigkeit dieser Regelung infrage zu stellen. Besonders eilbedürftig sind im Hinblick auf Art. 104 GG die Fälle vorläufig festgenommener oder aufgrund eines Haftbefehls ergriffener Beschuldigter. Hier steht aber einer Entscheidung durch das nach § 142 Abs. 1 Nr. 2 StPO-E zuständige Gericht nichts im Wege. Aber auch im Falle einer besonders eilbedürftigen Vernehmung des Beschuldigten oder einer Gegenüberstellung besteht angesichts moderner Kommunikationsmöglichkeiten für eine Eilzuständigkeit der Staatsanwaltschaft kein Bedarf. Die Vielzahl der Situationen, in denen es mittlerweile eines richterlichen Bereitschaftsdienstes bedarf, sowie die Möglichkeit, diesen flexibel zu organisieren (§ 22c GVG), lässt auch die Begründung für die Notwendigkeit einer staatsanwaltschaftlichen Eilzuständigkeit, nämlich der möglichen Unerreichbarkeit des zuständigen Richters Rechnung tragen zu müssen, zweifelhaft erscheinen.
c) Nach Art. 6 PKH-RL kommt eine Entscheidung über die Bewilligung der Unterstützung eines Verdächtigen oder einer beschuldigten Person durch einen Rechtsbeistand sowohl von Amts wegen als auch auf Antrag des Betroffenen in Betracht.
Von Amts wegen ist im Vorverfahren nur die Staatsanwaltschaft verpflichtet, bei dem zuständigen Gericht einen Antrag zu stellen, wenn die Mitwirkung eines Verteidigers erforderlich ist (§ 141 Abs. 2 StPO-E). Diese Regelung führt aber zu einem Defizit in all denjenigen Fällen, in denen sich das Verfahren noch in der Zuständigkeit der Behörden und Beamten des Polizeidienstes befindet und bereits zu diesem Zeitpunkt ein Fall notwendiger Verteidigung die Mitwirkung eines Verteidigers erforderlich macht (§ 141 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 1 StPO-E). Das Gebot, die im von der Polizei geführten Verfahren entstandenen Ermittlungsvorgänge „ohne Verzug“ der Staatsanwaltschaft zu übersenden (§ 163 Abs. 2 StPO), unterliegt in der Praxis erheblichen Relativierungen,[33] was die nach § 141 Abs. 1 StPO-E bestehende Verpflichtung zur unverzüglichen Bestellung eines Verteidigers konterkariert.
Dieses Problem wird weder in dem Referentenentwurf noch in seiner Begründung gelöst oder auch nur angesprochen. Dies verwundert um so mehr, als die Verpflichtung der Staatsanwaltschaft, von Amts wegen einen Antrag auf Bestellung eines Verteidigers zu stellen, trotz der korrespondierenden gerichtlichen Pflicht zur Bestellung damit begründet wird, nur so sei die effektive Wirksamkeit der Beistandsregelung zu gewährleisten. Denn das Gericht werde während des Ermittlungsverfahrens nichts von dem Verfahren erfahren, solange keine richterlichen Maßnahmen beantragt würden.[34] Das gilt aber erst recht, solange die Ermittlungen in den Händen der Polizei liegen und die dabei entstandenen Vorgänge noch nicht der Staatsanwaltschaft vorgelegt werden. Gerade bei der ersten Konfrontation eines Beschuldigten mit einem strafrechtlichen Vorwurf durch die Polizei ist dieser im Hinblick auf seine besondere Schutzbedürftigkeit auf einen Rechtsbeistand angewiesen, was die Richtlinie sicherstellen will.[35] Erst recht gilt dies, wenn ihm durch eine vorläufige Festnahme die Freiheit entzogen wird (Art. 2 Abs. 1 lit. a PKH-RL). Zwar begründet eine vorläufige Festnahme per se noch keinen Fall notwendiger Verteidigung. Ist aber aus einem anderen Grund die Mitwirkung eines Verteidigers nach § 140 StPO-E erforderlich, muss dem Beschuldigten gerade in der Situation der ihn belastenden Freiheitsentziehung zu einem Verteidigerbeistand verholfen werden. Dies gilt besonders vor dem Hintergrund der vom BGH vertretenen Auffassung, dass ein Beschuldigter trotz des Unverzüglichkeitsgebots des § 128 Abs. 1 S. 1 StPO erst dann dem Richter vorzuführen ist, wenn die mit der Aufklärung des Sachverhalts betraute festnehmende Behörde mit ihren Ermittlungen soweit fortgeschritten ist, dass sie dem Richter eine möglichst umfassende Grundlage für seine Entscheidung unterbreiten kann; insofern könne die Vorführung innerhalb der gesetzlichen Frist hinausgeschoben werden, soweit dies sachdienlich erscheine.[36]
Es ist deshalb eine Ergänzung des § 142 StPO-E geboten, durch die die Polizei verpflichtet wird, in Fällen notwendiger Verteidigung von Amts wegen – durch Vermittlung der Staatsanwaltschaft – eine gerichtliche Entscheidung über die Bestellung eines Pflichtverteidigers herbeizuführen. Eine solche Regelung muss der Polizei praktikable Kriterien an die Hand geben, auf Grund derer sie beurteilen kann, ob ein Fall notwendiger Verteidigung i.S.d. § 140 StPO-E vorliegt. Dabei ist dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die Polizei ausbildungs- und situationsbedingt nur eingeschränkt befähigt ist, hier eine genaue Prüfung vorzunehmen. Da sie aber regelmäßig zumindest in der Lage ist, den in Rede stehenden historischen Lebenssachverhalt strafrechtlich beispielsweise unter dem Gesichtspunkt eines Diebstahls, einer Körperverletzung oder eines Betruges einzuordnen,[37] eignen sich als Anknüpfungspunkt zur Aktivierung der polizeilichen Handlungspflicht die Strafvorwürfe, für die das Gesetz eine erhöhte Mindeststrafe vorsieht. Die betreffenden Straftatbestände sind auch für die Polizei eindeutig zu identifizieren, wobei ihr – falls erforderlich – gemäß Art. 7 Abs. 2 PKH-RL eine diese Voraussetzungen betreffende angemessene Schulung zur Verfügung zu stellen ist. Kommt die Verhängung einer Freiheitsstrafe mit einem erhöhten Mindestmaß in Betracht, liegt die Annahme der Voraussetzungen des § 140 Abs. 1 Nr. 3 oder des Abs. 2 StPO-E nahe. Die Polizei ist dann zu verpflichten, sofort den Vorgang der Staatsanwaltschaft vorzulegen, um eine Entscheidung des zuständigen Gerichts über eine Verteidigerbestellung herbeizuführen.
d) Der Referentenentwurf will in Umsetzung von Art. 6 Abs. 2 PKH-RL / Erwägungsgrund (18) erstmalig ein Antragsrecht des Beschuldigten auf Bestellung eines Pflichtverteidigers einführen (§ 141 Abs. 1 S. 1 StPO-E). Nach § 141 Abs. 4 S. 1 StPO-E ist ein solcher Antrag im Vorverfahren bei der Polizei oder bei der Staatsanwaltschaft anzubringen und von dort unverzüglich dem nach § 142 Abs.1 Nr. 1 oder Nr. 2 StPO-E zuständigen Gericht zur Entscheidung vorzulegen.
Über dieses Antragsrecht ist er von der Polizei vor der ersten Vernehmung bzw. vor einer Gegenüberstellung zu belehren (§ 163a Abs. 4 S. 2 StPO, §§ 136 Abs. 1 S. 5, 58 Abs. 2 S. 5 StPO-E). Allerdings soll dieses nur „nach Maßgabe des § 141 Abs. 1“ (§ 136 Abs. 1 S. 5 StPO-E) bzw. „in den Fällen des § 140“ (§ 58 Abs. 2 S. 5 StPO-E) bestehen. Damit stehen das Antragsrecht und die diesbezügliche Belehrungs- bzw. Hinweispflicht unter dem Vorbehalt, dass „ein Fall der notwendigen Verteidigung“ (§ 140 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 StPO-E) vorliegt. Durch die Verquickung von Antragsvoraussetzungen und Anspruchsvoraussetzungen werden nicht nur der Beschuldigte bei der Wahrnehmung seines Antragsrechts, sondern auch die Beamten des Polizeidienstes in Erfüllung ihrer Belehrungspflicht überfordert. Beiden fehlen zu diesem Zeitpunkt des Ermittlungsverfahrens i.d.R. die erforderlichen Informationen und/oder Kenntnisse, um die Voraussetzungen eines Falles notwendiger Verteidigung verlässlich beurteilen zu können.
Für den Beschuldigten wäre es zudem eine zusätzliche Zumutung, wenn er beispielsweise die Erwartung, dass gegen ihn „eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verhängt oder ein Berufsverbot angeordnet wird“ (§ 140 Abs. 1 Nr. 3 StPO-E) oder die Einschätzung der „Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage“ oder seiner Unfähigkeit, sich „selbst verteidigen“ zu können (§ 140 Abs. 2 StPO-E), zur Grundlage seiner Entscheidung machen müsste, einen Antrag auf Bestellung eines Pflichtverteidigers zu stellen.
Aus diesem Grund muss ihm ein vorbehaltsloses Antragsrecht eingeräumt werden, worauf sich auch die entsprechende Belehrungs- bzw. Hinweispflicht zu erstrecken hätte.[38] Ob dem Antrag nach Maßgabe des § 140 StPO-E stattzugeben ist oder nicht, hat sodann das nach § 141 Abs. 1 StPO-E zuständige Gericht zu entscheiden.
e) Im Sinne der Richtlinie, Beschuldigten, die nicht über ausreichende Mittel zur Bezahlung eines Rechtsbeistands verfügen, den Zugang zu einem Rechtsbeistand zu ermöglichen (Art. 3 u. Art. 4 Abs. 1 PKH-RL), ist der in § 136 Abs. 1 S. 5 StPO im Zusammenhang mit der Belehrung über das Antragsrecht zu erteilende Hinweis auf die Rechtsfolge des § 465 StPO zu streichen.[39] Denn der Hinweis darauf, dass der Angeklagte im Falle seiner Verurteilung die Kosten des Verfahrens, zu denen die dem Pflichtverteidiger aus der Staatskasse zu erstattende Vergütung gehört, zu tragen hat, konterkariert die Intention der Richtlinie. Darüber hinaus ist die Verknüpfung des Antragsrechts mit dem Hinweis auf die Kostenfolge des § 465 StPOsystemwidrig, weil in den Fällen, in denen dem Beschuldigten von Amts wegen ein Verteidiger beigeordnet wird, die betreffende Entscheidung nicht zu seiner Disposition steht und unabhängig von seinen finanziellen Verhältnissen zu treffen ist. Im Übrigen müsste ein vollständiger und zutreffender Hinweis beinhalten, dass bedürftige Verurteilte einen nachgelagerten Vollstreckungsschutz gemäß § 6 Abs. 1 JbeitrG i.V.m. den dort genannten Vorschriften der ZPO genießen.
4. Auswahl und Qualifikation des zu bestellenden Rechtsbeistands
a) Zur Auswahl des zu bestellenden Rechtsbeistands enthält die Richtlinie keine Regelung. Auch das von Art. 7 Abs. 4 PKH-RL geforderte Recht des Betroffenen, einen ihm zugewiesenen Rechtsbeistand auswechseln zu lassen, trifft weder eine Aussage darüber, durch wen die Auswahl des zugewiesenen Rechtsbeistands zu erfolgen hat, noch darüber, wer im Falle von dessen Auswechselung die Person des neu zuzuweisenden Rechtsbeistands bestimmen soll. Art. 7 Abs. 1 lit. b PKH-RL fordert lediglich, dass seitens der Mitgliedstaaten sicherzustellen ist, dass die Qualität der von dem Rechtsbeistand zu erbringenden Dienstleistungen angemessen ist, „um die Fairness des Verfahrens zu wahren“. Zusätzlich sollen die Mitgliedstaaten geeignete Maßnahmen zur Förderung geeigneter Weiterbildungsmaßnahmen derjenigen ergreifen, die Dienstleistungen für Verdächtige und beschuldigte Personen in Strafverfahren erbringen (Art. 7 Abs. 3 PKH-RL). Dies macht deutlich, dass die geforderte und zu fördernde Qualität den spezifischen Anforderungen einer Beistandsleistung auf dem Gebiet des Straf- und Strafverfahrensrechts entsprechen muss. Für die Entscheidung, wer den zu bestellenden Rechtsbeistand auszuwählen hat, hat der nationale Gesetzgeber also freie Hand, solange gewährleistet ist, dass dieser über die erforderliche fachspezifische Qualifikation verfügt.
b) Die Frage, von wem und wie der zu bestellende Verteidiger auszuwählen ist, gehört zu den am stärksten umstrittenen Punkten im Zuge der Umsetzung der Richtlinie in das deutsche Recht, zumal sie nicht nur mit strafprozessualen, sondern auch mit berufsrechtlichen Implikationen verbunden ist. Eckpunkte der bislang geführten Diskussion sind richterzentrierte Auswahlmodelle, Verfahren, die eine autonome Entscheidung des Betroffenen ermöglichen sollen, Auswahlverfahren, die in den Händen anwaltlicher Berufsorganisationen liegen und solche, in denen die Entscheidung nach dem Zufallsprinzip getroffen werden soll. Während einerseits die Notwendigkeit einer in richterlicher Unabhängigkeit zu treffenden Entscheidung in den Vordergrund gestellt wird, wird andererseits genau dies vor dem Hintergrund abgelehnt, dass dabei nicht das Verteidigungsinteresse des Beschuldigten, sondern möglicherweise nur das gerichtliche Interesse an einer möglichst komplikationslosen Verfahrensabwicklung ohne störende Verteidigerintervention Berücksichtigung fände. Aus berufsständischer Sicht wird wiederum die Befürchtung geäußert, dass der mit der Auswahl durch anwaltliche Berufsorganisationen – insbesondere durch die Rechtsanwaltskammern – verbundene organisatorische Aufwand die betreffenden Einrichtungen überfordern könne. Auch sei zu besorgen, dass ohne gleichmäßige Verteilung aller Pflichtverteidigermandate bestimmte Teile der Anwaltschaft bevorzugt und andere, insbesondere jüngere Rechtsanwälte, benachteiligt würden. Einer sich an der Qualität der zu erbringenden Verteidigungsleistungen orientierenden Auswahl wird schließlich entgegengehalten, diese laufe auf eine Bevormundung der Betroffenen hinaus, zumal es keine allgemeinverbindlichen Qualitätsstandards gebe.
Der Referentenentwurf hält an der bestehenden Rechtslage fest, wonach das zuständige Gericht nicht nur festzustellen hat, ob ein Fall notwendiger Verteidigung vorliegt, sondern es bejahendenfalls auch die konkrete Auswahl zu treffen hat. Allerdings enthält der Entwurf gegenüber § 142 Abs. 1 StPO erhebliche Modifikationen:
c) Im Regelfall (§ 142 Abs. 3 S. 3 StPO-E) ist der von einem Beschuldigten innerhalb einer ihm gesetzten Frist bezeichnete Verteidiger zu bestellen, wenn dem kein wichtiger Grund entgegensteht. Als solcher wird als ein Beispielsfall angeführt, dass der von dem Beschuldigten bezeichnete Verteidiger nicht oder nicht rechtzeitig zur Verfügung steht.[40] Diese Neuerung ist dem Umstand geschuldet, dass für bestimmte Fälle notwendiger Verteidigung, in denen die Mitwirkung eines Verteidigers im Verfahren erforderlich wird, eine gesetzliche Frist zu wahren (Vorführung § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO-E) oder vor der Vornahme bestimmter, möglicherweise eilbedürftiger Ermittlungs- oder Beweiserhebungshandlungen ein Verteidiger zu bestellen ist (§ 141 Abs. 1 Nr. 1 StPO-E). Angesichts der Umstände des Einzelfalles entzieht sich der Begriff des „nicht oder nicht rechtzeitig zur Verfügung“ stehenden Verteidigers naturgemäß einer näheren Konkretisierung. Gegen diese Regelung wird eingewandt, der Richter könne den Zeitraum, innerhalb dessen der zu bestellende Verteidiger zur Verfügung zu stehen habe, bewusst so knapp bestimmen, dass er den von dem Betroffenen bezeichneten Verteidiger nicht bestellen müsse. Eine solche Gefahr kann zwar nicht ausgeschlossen, sollte aber auch nicht überschätzt werden. Auch bei der Beauftragung eines Wahlverteidigers gibt es Beweiserhebungshandlungen, bei denen die Anwesenheit des Verteidigers nur innerhalb bestimmter zeitlicher Grenzen zu realisieren ist (vgl. § 58 Abs. 2 S. 4 StPO für die Gegenüberstellung, §§ 168c Abs. 5 S. 3 und 168d Abs. 1 StPO für die richterliche Beschuldigten- oder Zeugenvernehmung oder Augenscheinseinnahme), ohne dass hier in der Praxis – soweit ersichtlich – in einer Weise verfahren wird, die nur dem Ziel dient, den Verteidiger fernzuhalten. Keinesfalls wäre es eine Option, die zulässige Zeitdauer des nicht-richterlich angeordneten Freiheitsentzugs nur deshalb zu überschreiten, weil für die Vorführungsverhandlung der bezeichnete Verteidiger nicht zur Verfügung steht. Im Übrigen soll ein Beschuldigter, dem dann ein anderer als der von ihm bezeichnete Verteidiger beigeordnet werden muss, innerhalb von zwei Wochen nach Bestellung beantragen können, ihm einen anderen von ihm bezeichneten Verteidiger zu bestellen (§ 143a Abs. 2 S. 1 StPO-E).[41]
§ 142 Abs. 3 S. 3 StPO-E lässt es weiterhin in unbenannten Fällen eines wichtigen Grundes zu, von der Bestellung des von dem Beschuldigten bezeichneten Verteidigers abzuweichen. Für die Konkretisierung eines „wichtigen Grundes“ kann auf die Rechtsprechung zurückgegriffen werden, die zu der identischen Klausel in § 142 Abs. 1 S. 2 StPO ergangen ist.[42]
In der Entwurfsbegründung wird allerdings ausdrücklich hervorgehoben, dass ein solcher wichtiger Grund nicht deshalb vorliege, weil der bezeichnete Verteidiger weder ein Fachanwalt für Strafrecht noch ein Rechtsanwalt ist, der sein Interesse an der Übernahme von Pflichtverteidigungen angezeigt hat.[43] Darauf wird zurückzukommen sein.[44]
d) Hat der Beschuldigte keinen Verteidiger bezeichnet, der ihm bestellt werden soll, oder steht der bezeichnete Verteidiger nicht oder nicht rechtzeitig zur Verfügung, geht das Auswahlrecht nach § 142 Abs. 4 StPO-E auf das zuständige Gericht über. Auch hier hat der Beschuldigte die Möglichkeit, innerhalb von zwei Wochen nach Bestellung die Bestellung eines anderen von ihm bezeichneten Verteidigers zu beantragen. Das zuständige Gericht „soll“ im Falle des § 142 Abs. 4 StPO-E einen Rechtsanwalt aus dem Kreis der im Gesamtverzeichnis der Bundesrechtsanwaltskammer (§ 31 BRAO) eingetragenen Rechtsanwälte zum Pflichtverteidiger bestellen, bei dem es sich entweder um einen Fachanwalt für Strafrecht handelt oder um einen anderen Rechtsanwalt, der gegenüber der Rechtsanwaltskammer sein Interesse an der Übernahme von Pflichtverteidigungen angezeigt hat und der für die Übernahme der Verteidigung geeignet ist.
e) Aus Sicht der Richtlinie ist gegen die Technik der Auswahlregelung in § 142 Abs. 3 und Abs. 4 StPO-E nichts zu erinnern, weil die Richtlinie – wie ausgeführt – insoweit keine Vorgaben macht. Allerdings entspricht der Entwurf nur ansatzweise[45] den von der Richtlinie vorgegebenen Qualitätsanforderungen an diejenigen Rechtsanwälte, die die mit ihrer Bestellung verbundenen Dienstleistungen zu erbringen haben und die durch geeignete Weiterbildungsmaßnahmen zu fördern sind.
An die nach § 142 Abs. 3 StPO-E beizuordnenden Rechtsanwälte stellt der Entwurf keinerlei strafrechtsspezifische Qualitätsanforderungen. Die Entwurfsbegründung weist im Gegenteil ausdrücklich darauf hin, dass ein der Beiordnung entgegenstehender wichtiger Grund insbesondere nicht darin liege, dass der von dem Beschuldigten bezeichnete Verteidiger kein Fachanwalt für Strafrecht ist,[46] der damit besondere theoretische Kenntnisse und praktische Erfahrungen auf dem Gebiet des Straf- und Strafverfahrensrechts und im Bereich von Methodik und Recht der Strafverteidigung nachzuweisen hat (§§ 2 ff., 13 FAO). Ob dem Fachanwaltsstandard vergleichbare Kenntnisse und Erfahrungen bei dem von dem Beschuldigten bezeichneten Rechtsanwalt vorhanden sind oder nicht, kann und soll das zuständige Gericht nicht prüfen. Erst wenn im weiteren Verlauf des Verfahrens evident wird, dass der beigeordnete Verteidiger „keine angemessene Verteidigung gewährleistet“, soll die Bestellung aufgehoben werden müssen (§ 143a Abs. 3 S. 2 StPO-E).
Dass der bestellte Verteidiger von dem Beschuldigten „bezeichnet“ wird, ist kein Indiz für das Vorliegen der für Beistandsleistungen im Strafverfahren erforderlichen Qualität. Dass ein Vertrauensverhältnis zwischen Verteidiger und Mandant für eine effektive Verteidigung eine notwendige Voraussetzung ist, ist eine Selbstverständlichkeit; dies ist aber keine ausreichende Voraussetzung und kann fachliche Qualifikation nicht ersetzen. Auch unterliegt der nicht als Fachanwalt für Strafrecht tätige Rechtsanwalt keiner verbindlichen Fortbildungsverpflichtung auf dem Gebiet des Strafrechts. Fachanwälte haben auf dem Gebiet, dessen Fachanwaltsbezeichnung sie führen, eine jährliche Fortbildung nachzuweisen (§ 15 FAO), anderenfalls die Erlaubnis zum Führen dieser Bezeichnung widerrufen werden darf (§ 25 FAO). Die für alle Rechtsanwälte bestehende allgemeine Fortbildungspflicht (§ 43a Abs. 6 BRAO) ist allenfalls eine Obliegenheit, die sich ohnehin nicht spezifisch auf das Gebiet des Straf- und Strafverfahrensrechts bezieht.
Denselben Vorbehalten begegnet die Bestellung solcher Rechtsanwälte, die nach § 142 Abs. 4 StPO-E lediglich „gegenüber der Rechtsanwaltskammer (ihr) Interesse an der Übernahme von Pflichtverteidigungen angezeigt“ haben sollen. „Interesse“ ist ein ungedeckter Wechsel auf die Zukunft, insbesondere wenn es sich – wie die Entwurfsbegründung ausführt[47]– darin erschöpfen darf, dass der betreffende Rechtsanwalt damit seine Bereitschaft zum Ausdruck bringe, „sich gerade auch durch eine verstärkte forensische Tätigkeit laufend fortzubilden“. Es kann sich dann um Anwälte handeln, die allein aus ihrer Praxis lernen, „für die zahllose Mandanten das Lehrgeld zu entrichten haben“, dessen Währung vielfach ihre Freiheit ist, deren Entzug alle Straftatbestände androhen.
Es ist auch kein Korrektiv, dass das zuständige Gericht bei diesen Anwälten zu prüfen hat, ob sie „für die Übernahme der Verteidigung geeignet“ sind (§ 142 Abs. 3 StPO-E). Denn diese Beurteilung könnte allenfalls auf einschlägigen Erfahrungen des zuständigen Gerichts mit dem betreffenden Rechtsanwalt beruhen, was allein dem Zufall überlassen bliebe.
Dass das zuständige Gericht nur bezüglich der nach § 142 Abs. 4 StPO-E zu bestellenden „Interesse“- Rechtsanwälte zur Prüfung ihrer Eignung für die Übernahme der Verteidigung verpflichtet sein soll, nicht aber zu der der nach § 142 Abs. 3 StPO-E von den Beschuldigten bezeichneten Verteidigern, wäre überdies mit der Vorgabe von Art. 7 Abs. 1 lit. b PKH-RL betreffend die Sicherstellung der Qualität der von den bestellten Rechtsbeiständen zu erbringenden Dienstleistungen nicht zu vereinbaren. Denn diese rechtfertigt keine Differenzierung zwischen den zu bestellenden Rechtsbeiständen je nachdem, ob sie von dem Beschuldigten oder dem zuständigen Gericht bezeichnet bzw. ausgewählt worden sind. Der „backstop“ der Eignungsprüfung in § 142 Abs. 4 letzter Halbsatz StPO-E soll möglicherweise dem Umstand Rechnung tragen, dass das Gericht durch seine Auswahlentscheidung die Verantwortung für eine angemessene Verteidigung des Beschuldigten übernimmt. Inwieweit die Justiz damit auch für eine etwaige „Schlechtverteidigung“ in strafprozessualer[48] und haftungsrechtlicher[49] Hinsicht einzustehen hat, muss der weiteren Diskussion überlassen bleiben. Ihrer Verantwortung kann sich die Justiz im Falle der Verteidigerbestellung nach § 142 Abs. 3 StPO-E aber nicht dadurch entziehen, dass die Auswahl dem Beschuldigten überlassen wird und dieser dementsprechend auch die Folgen einer „Schlechtverteidigung“ zu tragen hätte. Eine solche Überbürdung der Verantwortung der Justiz auf den Beschuldigten wäre jedenfalls mit Art. 7 Abs. 1 lit. b PKH-RL nicht zu vereinbaren. Denn die Richtlinie nimmt dort die Mitgliedstaaten in die Verantwortung, die die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen haben, um sicher zu stellen, „dass die Qualität der mit der Prozesskostenhilfe verbundenen Dienstleistungen angemessen ist, um die Fairness des Verfahrens zu wahren“. Sie lässt es deshalb nicht zu, dass der Staat dem Beschuldigten bei der Auswahl des zu bestellenden Pflichtverteidigers unbeschadet seiner Qualifikation freie Hand gibt.
f) Den Anforderungen der Richtlinie kann deshalb nur die Bestellung solcher Verteidiger genügen, die das Bestehen ihrer fachlichen Qualifikation nachweisen können. Dies ist Fachanwälten für Strafrecht und solchen Rechtsanwälten möglich, die über vergleichbare theoretische Kenntnisse und praktische Erfahrungen verfügen. Der Vorschlag der Bundesrechtsanwaltskammer, dass einem Beschuldigten deshalb nur solche Verteidiger beigeordnet werden dürfen, die „die Teilnahme an einer mindestens 15-stündigen Weiterbildungsmaßnahme auf dem Gebiet der mit der Pflichtverteidigung verbundenen Dienstleistungen nachgewiesen“ haben,[50] erfüllt bei Rechtsanwälten, die keine Fachanwälte für Strafrecht sind, zumindest das absolute Minimum der von der Richtlinie für erforderlich gehaltenen Qualität und muss Mindestvoraussetzung einer Bestellung zum Pflichtverteidiger unabhängig davon sein, ob der Beschuldigte einen Rechtsanwalt bezeichnet oder nicht.
g) Dass als Pflichtverteidiger beigeordnete Rechtsanwälte eine strafrechtsspezifische Weiterbildung erfahren sollen (Art. 7 Abs. 3 PKH-RL) ist nicht Gegenstand des Referentenentwurfs und zwar weder in seinem strafprozessualen noch in seinem berufsrechtlichen Teil. Auch insoweit ist die Übernahme des Vorschlags der Bundesrechtsanwaltskammer zwingend, wonach für Rechtsanwälte, die keine Fachanwälte für Strafrecht sind, gefordert wird, sie seien verpflichtet, „alle zwei Kalenderjahre hörend oder dozierend an einer fünf Zeitstunden nicht unterschreitenden fachspezifischen Veranstaltung“ teilzunehmen.[51]
Sollte die Befürchtung zutreffen, dass „in der Fläche“ nicht die benötigte Anzahl an Rechtsanwälten mit dieser Minimalqualifikation zur Verfügung stehen, so müssten hier durch Anhebung der Vergütung Anreize geschaffen werden, zumal Art. 7 Abs. 1 und Abs. 3 PKH-RL fordert, dass die Mitgliedstaaten die geforderte Qualität der von den Rechtsbeiständen zu erbringenden Dienstleistung durch Maßnahmen „auch finanzieller Art“ sicherzustellen und zu fördern haben.[52]
h) Jenseits der von der Richtlinie angemahnten Qualität der Beistandsleistungen ist den Bedenken gegen die gerichtliche Zuständigkeit bei der Verteidigerauswahl Rechnung zu tragen. Die durch den Referentenentwurf intendierte Vorverlagerung der Verteidigerbestellung auf einen frühen Zeitpunkt im Ermittlungsverfahren lässt erwarten, dass die Anzahl derjenigen Beschuldigten zunimmt, die nicht in der Lage sind, einen ihnen zu bestellenden Verteidiger zu bezeichnen. Häufig wird es sich bei solchen Beschuldigten um Menschen aus prekären und bildungsfernen Verhältnissen handeln. Es ist nicht auszuschließen, dass bei der gerichtlichen Auswahl der in diesen Verfahren zu bestellenden Verteidiger dem Gesichtspunkt der Sicherstellung einer schnellen und reibungslosen Erledigung besondere Bedeutung beigemessen wird. Einem solchen Eindruck kann nur dadurch begegnet werden, dass derjenige – qualifizierte – Rechtsanwalt zum Pflichtverteidiger bestellt wird, der in einer von der zuständigen Rechtsanwaltskammer geführten Liste an bereitester Stelle aufgeführt ist, was eine gezielte Beiordnung ausschließt.[53]
5. Recht auf Auswechselung des zugewiesenen Rechtsbeistands
Nach Art. 7 Abs. 4 PKH-RL müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass Betroffene auf entsprechenden Antrag das Recht haben, den ihnen für die Erbringung von Prozesskostenhilfe-Dienstleistungen zugewiesenen Rechtsbeistand auswechseln zu lassen, sofern die konkreten Umstände dies rechtfertigen. Eine nähere Konkretisierung des dafür erforderlichen Verfahrens und der die Auswechselung rechtfertigenden Umstände ist der Richtlinie nicht zu entnehmen.
a) § 143a Abs. 2 StPO-E setzt diese Vorgabe in zweifacher Weise um: Nach § 143a Abs. 2 S. 1 StPO-E erhält der Beschuldigte das Recht, die Auswechselung des ihm zunächst bestellten Pflichtverteidigers zu beantragen, wenn es sich bei diesem nicht um den von ihm bezeichneten Verteidiger handelt oder ihm zur Auswahl des Verteidigers eine zu kurze Frist gesetzt wurde. Diese Voraussetzungen entsprechen denjenigen, die schon nach geltendem Recht nach herrschender Meinung die Aufhebung der ursprünglichen Bestellung und die Beiordnung des nunmehr von dem Beschuldigten bezeichneten Verteidigers gebieten.[54]
Bislang kann die Entscheidung, durch die dem Beschuldigten ein anderer als der von ihm bezeichnete Verteidiger beigeordnet wird, mit der unbefristeten einfachen Beschwerde angefochten werden. Dieses Recht soll künftig durch die Möglichkeit ersetzt werden, innerhalb von zwei Wochen nach der Bestellung die Auswechselung des beigeordneten Verteidigers beantragen zu können. Dagegen ist unter Zugrundelegung der Richtlinie nichts einzuwenden. Die Voraussetzungen für diesen Rechtsbehelf sind einfach und schnell zu erfassen. Ob die Regelung sinnvoll ist, steht auf einem anderen Blatt. Innerhalb von zwei Wochen wird der Beschuldigte nicht immer beurteilen können, ob zu dem bestellten Verteidiger ein Vertrauensverhältnis hergestellt und von diesem eine qualifizierte Verteidigung sichergestellt werden kann. Erfolgte die Nichtbeiordnung des von dem Beschuldigten bezeichneten Verteidigers aus einem wichtigen Grund, der auch zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Auswechselungsantrag noch vorliegt, kommt eine Bestellung dieses Verteidigers allerdings nicht in Betracht.[55] Da die Zurückweisung der Auswechselung nur noch mit der sofortigen Beschwerde angegriffen werden kann (§ 143a Abs. 3 StPO-E),[56] steht der Beschuldigte vor der Alternative, dies im Beschwerdeweg überprüfen zu lassen oder/und im Rahmen der Begründung dieses Rechtsmittels (hilfsweise) einen anderen ihm beizuordnenden Verteidiger zu bezeichnen.
Zwar wird die von der Bezeichnung des zu bestellenden Verteidigers abweichende Entscheidung gemäß § 35 Abs. 2 S. 1 StPO durch Zustellung bekannt gemacht, wodurch auch dem Schriftlichkeitsgebot des Art. 6 Abs. 2 PKH-RL Rechnung getragen wird. Da es sich bei der von § 143a Abs. 2 S. 1 StPO-E eingeräumten Antragsmöglichkeit aber nicht um ein Rechtsmittel handelt, kommt die dafür geltende Regelung des § 35a S.1 StPO nicht zum Zuge, weshalb der Betroffene über das Antragsrecht und die dafür bestehende Antragsfrist nicht belehrt wird. Dies durch die Möglichkeit eines Wiedereinsetzungsantrags kompensieren zu müssen, wäre wenig sinnvoll, weshalb § 143a Abs. 2 StPO-E dahin zu ergänzen wäre, dass der Betroffene mit der Zustellung der Bestellungsentscheidung über sein Antragsrecht und die dafür bestehende Frist zu belehren ist.
b) Nach § 143a Abs. 2 S. 2 StPO-E kann der Beschuldigte die Auswechselung des bestellten Verteidigers auch dann beantragen, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen beiden endgültig zerstört oder aus sonstigen Gründen keine angemessene Verteidigung des Beschuldigten gewährleistet ist.[57] Diese Regelung widerspricht nicht den Vorgaben von Art. 7 Abs. 4 RL, da dieser zu dem zu dieser Feststellung führenden Verfahren keine Vorgaben macht. Der Referentenentwurf belässt es, der bisherigen an § 143 StPO angelehnten Rechtspraxis folgend, dabei, dass über den Auswechselungsantrag das zuständige Gericht (§ 142 Abs. 1 StPO-E) zu entscheiden hat. Die hieran seit Jahrzehnten geübte Kritik wird dabei allerdings ignoriert. Mit der Antragstellung wäre es beispielsweise erforderlich, bei unterschiedlichen Auffassungen über das Verteidigungskonzept diese Differenzen aktenkundig zu machen, möglicherweise sogar gegenüber demjenigen Richter offenzulegen, der zur Urteilsfindung berufen ist. Da die Preisgabe von Verteidigungsinterna aus verständlichen Gründen nicht opportun ist, sind unsubstantiierte Anträge auf einen Pflichtverteidigerwechsel regelmäßig zum Scheitern verurteilt. Daran würde sich auch nach der Neuregelung nichts ändern. Deshalb muss dem Gericht die Zuständigkeit für diese Entscheidung entzogen werden. Verschiedenen Vorschlägen folgend[58] sollte über die Auswechselung des Verteidigers in Fällen kontroverser Auffassungen über die „angemessene Verteidigung“ ein Gremium der zuständigen Anwaltskammer entscheiden, dem gegenüber der Betroffene detailliert darlegen könnte, welche konkreten Umstände einen Verteidigerwechsel rechtfertigen. Dessen Vertreter sind nach §§ 76, 43c Abs. 3 BRAO zur Verschwiegenheit verpflichtet, so dass nachteilige Auswirkungen auf das Verfahren durch Offenlegung der betreffenden Umstände vermieden werden können. Unabhängig davon ist dem Beschuldigten ein Recht auf die Stellung eines Auswechselungsantrags einzuräumen, das keiner Begründung bedarf, wenn der Antrag vor Eröffnung des Hauptverfahrens gestellt wird. Dasselbe muss ihm bei Einlegung eines Rechtsmittels gegen ein instanzabschließendes Urteil ermöglicht werden.
6. Dauer der Beistandsleistung
Zur Dauer der Beistandsbewilligung wird in Erwägungsgrund (25) der Richtlinie ausgeführt, dass die damit geschaffene rechtliche Vertretung während des gesamten Strafverfahrens fortgeführt werden sollte.
Dem trägt der Grundsatz des § 143 Abs. 1 StPO-E Rechnung, wonach die Bestellung des Pflichtverteidigers erst mit der Einstellung oder dem rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens einschließlich eines Verfahrens nach § 423 oder § 460 StPO endet. Dem ist zuzustimmen. Die Ausnahmen in § 143 Abs. 2 StPO-E stehen bis auf § 143 Abs. 2 S. 3 StPO-E (Aufhebung oder Außervollzugsetzung eines gemäß § 230 Abs. 2 oder § 329 Abs. 3 StPO gestützten Haftbefehls) und § 143 Abs. 2 S. 4 StPO-E (keine Inhaftierung im Anschluss an die Vorführung eines Beschuldigten gemäß §§ 115 Abs. 1, 115a Abs. 1, 128 Abs. 1 StPO) nicht als „Soll-ʺ, sondern als „Kann-ʺ Vorschriften im erweiterten Ermessen des zuständigen Gerichts, was der bisherigen Rechtsprechung insbesondere zu § 140 Abs. 3 StPO entspricht. Mit dieser Maßgabe widerspricht die ausnahmsweise Zulässigkeit einer frühzeitigen Aufhebung der Verteidigerbestellung nicht den in Erwägungsgrund (25) formulierten Erwartungen.
7. Rechtsbehelfe
Art. 8 PKH-RL gibt den Mitgliedstaaten auf, bei Verletzung der nach der Richtlinie den Beschuldigten pp. zustehenden Rechte einen wirksamen Rechtsbehelf zur Verfügung zu stellen.
§ 142 Abs. 2, 142 Abs. 5, 143 Abs. 3, 143a Abs. 2 S. 1, 143a Abs. 3, 144 S. 3 und 304 Abs. 5 StPO-E sollen dieser Vorgabe ausdrücklich Rechnung tragen.
a) Zwingend geboten ist eine Änderung des § 304 Abs. 5 StPO, wonach grundsätzlich gegen Verfügungen des Ermittlungsrichters des BGH und des Oberlandesgerichts die Beschwerde unzulässig ist, wovon auch die Beiordnung eines Pflichtverteidigers und damit im Zusammenhang stehende Entscheidungen betroffen sind. Die gesetzliche Ausnahme für die Verhaftung, einstweilige Unterbringung, Beschlagnahme, Durchsuchung oder in § 101 Abs. 1 StPO bezeichnete Maßnahmen betreffende Verfügungen (§ 304 Abs. 5 StPO) soll künftig auch für die Bestellung eines Pflichtverteidigers oder deren Aufhebung gelten (§ 304 Abs. 5 StPO-E).
b) Ansonsten besteht schon bislang die Möglichkeit, gegen eine die Pflichtverteidigerbestellung betreffende richterliche Entscheidung (sogenannte einfache) Beschwerde (§ 304 Abs. 1 StPO) und gegen die Beschwerdeentscheidung weitere Beschwerde (§ 310 Abs. 1 StPO) einzulegen. Künftig soll dieses Rechtsmittel – sofern es nicht Verfügungen des Ermittlungsrichters des BGH oder des Oberlandesgerichts betrifft – als sofortige Beschwerde ausgestaltet werden (§§ 142 Abs. 5, 143 Abs. 3, 143a Abs. 3 und 144 S. 3 StPO-E).
Die dafür gegebene Begründung, dass auf diese Weise schneller Klarheit herrsche und die Einlegung der Beschwerde nicht zu irgendeinem Zeitpunkt im späteren Verfahren erfolgen und dann zu einer Verfahrensverzögerung führen könne,[59] verschleiert den vermutlichen Hintersinn dieser Änderung. Durch die vorgeschlagene Änderung entfiele nämlich nicht nur das Rechtsmittel der weiteren Beschwerde. Es entfiele infolge von § 336 S. 2 StPO auch die Möglichkeit, die betreffenden Entscheidungen zum Gegenstand einer Revisionsrüge zu machen. Davon wären außer den die Auswahl und Auswechselung des Verteidigers betreffenden Entscheidungen insbesondere diejenigen erfasst, durch die ein von dem Beschuldigten oder der Staatsanwaltschaft gestellter Beiordnungsantrag abgelehnt wurde. Damit ließe sich nicht mehr mittels einer Verfahrensrüge prüfen, ob die fehlende Anwesenheit eines Verteidigers in der Hauptverhandlung insbesondere in den Fällen der auslegungsbedürftigen Regelung des § 140 Abs. 2 StPO den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO begründet.[60] Künftig würde es in diesen Fällen auch nicht mehr zu einer die Rechtseinheit fördernden Rechtsprechung der Oberlandesgerichte kommen können. Auch die Zulässigkeit der Bestellung eines Sicherungsverteidigers könnte nicht mehr zum Gegenstand einer Verfahrensrüge gemacht werden.
Es sprechen ferner praktische Gründe dagegen, den Rechtsschutz auf das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde zu beschränken. Die Einlegungsfrist von einer Woche (§ 311 Abs. 2 StPO) wird in vielen Fällen nicht gewahrt werden können. Dies gilt insbesondere in den Fällen von in Haft befindlichen Beschuldigten, deren Antrag auf Bestellung eines Pflichtverteidigers abgelehnt worden ist oder die durch die Aufhebung der Bestellung beschwert sind. Auch in den Fällen der Ablehnung eines Verteidigerwechsels wegen Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zwischen dem Beschuldigten und dem bestellten Verteidiger (§ 143a Abs. 2 S. 2 StPO-E) wird es insbesondere inhaftierten Beschuldigten nur selten möglich sein, kurzfristig Kontakt mit einem potenziellen neuen Verteidiger aufzunehmen, um sich über die Er-folgsaussichten des Rechtsmittels beraten zu lassen und gegebenenfalls eine überzeugungskräftige Begründung vorzubereiten. Von einem „wirksamen Rechtsbehelf“ im Sinne von Art. 8 PKH-RL kann unter diesen Umständen nicht gesprochen werden.
IV. Weitere Rechtsänderungen
Die Umsetzung der PKH-Richtlinie haben die Entwurfsverfasser zum Anlass genommen, das Recht der notwendigen Verteidigung und Pflichtverteidigung „möglichst umfassend zu normieren und dabei systematisch klarer zu strukturieren, um die Verständlichkeit und Handhabbarkeit zu verbessern“.[61] Folgende wesentliche in diesem Zusammenhang anzusprechende, also nicht der Richtlinie geschuldete Änderungen, sind hervorzuheben:
1. Notwendige Verteidigung bei richterlichen Vernehmungen, die aufgrund ihrer Bedeutung die Mitwirkung eines Verteidigers zur Wahrung der Rechte des Beschuldigten gebieten (§ 140 Abs. 1 Nr. 10 StPO-E)
Es handelt sich hierbei um die Übernahme der bislang in § 143 Abs. 3 S. 4 StPO normierten Regelung.[62] Danach bestellt das Gericht, bei dem eine richterliche Vernehmung durchzuführen ist, dem Beschuldigten einen Verteidiger insbesondere dann, wenn dessen Mitwirkung aufgrund der Bedeutung der Vernehmung zur Wahrung der Rechte des Beschuldigten geboten erscheint. Bei einer richterlichen Vernehmung nach §§ 168c Abs. 1 bzw. Abs. 2 und 223 StPO ist dies die Regel.[63] Die Vorschrift hat zur Konsequenz, dass eine solche Vernehmung zwingend in Anwesenheit eines Verteidigers durchzuführen ist.[64] Durch die Überführung dieser Regelung nach § 140 Abs. 1 Nr. 10 StPO-E würde sich deren Inhalt allerdings auf die bloße Feststellung beschränken, dass damit ein Fall notwendiger Verteidigung vorliegt (§ 140 Abs. 1 S. 1 StPO-E). Was die weitere Umsetzung dieser Vorgabe angeht, fehlt es gegenüber der geltenden Rechtslage an einer entsprechenden Regelung in dem Referentenentwurf. Lediglich für die Zuständigkeit für die Bestellung kann auf § 142 Abs.1 Nr. 1 und Nr. 3 StPO-E, für die Dauer der Bestellung auf § 143 Abs. 2 S. 1 StPO-E zurückgegriffen werden. Zur Gewährleistung der Anwesenheit eines Verteidigers, dessen Mitwirkung „geboten“ ist, bedarf es deshalb einer ergänzenden Regelung. Diese könnte in § 168c sowie in § 223 StPO verortet werden. In einem § 168c Abs. 3 (neu) bzw. § 223 Abs. 3 (neu) StPO wäre zu bestimmen, dass in einem Fall notwendiger Verteidigung i.S.d. § 140 Abs. 1 Nr. 10 StPO-E die Durchführung der richterlichen Vernehmung gemäß § 168c Abs. 1 oder Abs. 2 bzw. § 223 StPO zwingend in Anwesenheit eines (ggfls. bestellten bzw. zu bestellenden) Verteidigers zu erfolgen hat.
2. Kodifizierung der Sicherungsverteidigung (§ 144 StPO-E)
Nach § 144 S. 1 StPO-E können einem Beschuldigten in Umfangsverfahren und Verfahren mit besonderen Schwierigkeiten zusätzlich zu seinem gewählten oder nach § 141 StPO-E bestellten Verteidiger bis zu zwei Pflichtverteidiger bestellt werden, „wenn dies zur Sicherung der zügigen Durchführung des Verfahrens erforderlich ist“. Die im letzten Halbsatz vorgenommene Engführung, die auch in der amtlichen Überschrift „Sicherungsverteidiger“ zum Ausdruck kommt, begegnet Bedenken. Denn sie lässt nicht erkennen, dass auch jenseits der Verfahrenssicherung umfangreiche und schwierige Verfahren die Mitwirkung mehrerer Verteidiger gebieten können. Die „vom Willen des Beschuldigten unabhängige Bestellung weiterer Verteidiger“[65] scheint ein Recht des Beschuldigten, die Bestellung weiterer Verteidiger beantragen zu können, ausschließen zu wollen. Im Übrigen findet die in der Entwurfsbegründung betonte Alternativität zwischen Bestellungsgrund der Verfahrenssicherung einerseits und dem der Schwierigkeit der Sache, der durch Mitwirkung weiterer Verteidiger begegnet werden soll,[66] andererseits im Wortlaut der Vorschrift keine Stütze.
Es fragt sich ferner, ob die unter der Hand eingeführte Begrenzung der Anzahl der beizuordnenden Verteidiger für alle in Betracht kommenden Fälle eine ausreichende Regelung ermöglicht. Das sog. NSU-Verfahren vor dem OLG München gegen Beate Zschäpe u.a. bietet hierfür ein anschauliches Beispiel. Der Angeklagten waren zu Beginn des Verfahrens drei Verteidiger beigeordnet worden. Die nach einer Vielzahl von Verhandlungstagen eingetretene Störung des Vertrauensverhältnisses führte zur Bestellung eines vierten Verteidigers, weil die bis zu diesem Zeitpunkt stattgefundene Beweisaufnahme die weitere Mitwirkung der daran beteiligten Verteidiger gebot. Dies wäre bei Umsetzung des Entwurfs nicht mehr möglich.
Die an die Sicherung der zügigen Durchführung des Verfahrens anknüpfende Voraussetzung für die Bestellung weiterer Verteidiger könnte dazu verleiten, diesem Gesichtspunkt bei der Terminierung Vorrang vor der Sicherstellung einer effektiven Verteidigung einzuräumen. Denn eine solche ist nur dann gewährleistet, wenn alle Verteidiger kontinuierlich zumindest den wesentlichen Teilen der Beweisaufnahme beiwohnen können. Eine Verfahrensgestaltung, die darauf abstellen würde, dass an der Hauptverhandlung nur der Sicherungsverteidiger anwesend ist, würde zu einer Behinderung effektiver Verteidigung führen können.
Was die Auswahl der zu bestellenden Verteidiger angeht, sollen gemäß § 144 S. 3 StPO-E die in § 142 Abs. 3 und Abs. 4 StPO-E vorgesehenen Regelungen zur Anwendung kommen. Diese auch heute schon von der Rechtsprechung praktizierte Handhabung würde jedenfalls vom Ansatz her einer Rückkehr zur Praxis der Zwangsverteidigung entgegenstehen. Die in § 144 S. 3 StPO-E vorgesehene Verweisung auf § 142 Abs. 3 bis 5 StPO-E lässt andererseits im Umkehrschluss vermuten, dass § 143a Abs. 2 S. 2 StPO-E (Verteidigerwechsel wegen Störung des Vertrauensverhältnisses) keine Anwendung finden soll. Dies verstärkt die Sorge, dass im Interesse der Sicherung einer zügigen Verfahrensdurchführung unbeschadet eines zerstörten Vertrauensverhältnisses oder der fehlenden Fähigkeit des bestellten Verteidigers zu einer angemessenen Verteidigung nach dem Motto „Augen zu und durch“ verfahren werden darf. Dies lässt Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit der vorgesehen Änderung aufkommen. Der Entwurf bedarf deshalb einer nachhaltigen Revision.
Im Übrigen sollte dem Beschuldigten in den Fällen des § 76 Abs. 2 S. 3 und der §§ 120, 120b GVG auf seinen Antrag hin ein weiterer Verteidiger beigeordnet werden. Auch deshalb sollte die Vorschrift die Überschrift „Bestellung zusätzlicher Pflichtverteidiger“ erhalten.
V. Desiderata
Mit der PKH-Richtlinie werden Mindestvorschriften (Art. 1 Abs. 1 PKH-RL) für die qualitative Unterstützung von Beschuldigten pp. durch einen Rechtsbeistand festgelegt: „Die Mitgliedstaaten sollten berechtigt sein, die in dieser Richtlinie festgelegten Rechte auszuweiten, um ein höheres Schutzniveau zu gewährleisten“.[67] Der Referentenentwurf beschränkt sich weitgehend auf die Festlegung dieser Mindestvorschriften und ignoriert Defizite, die in der jahrelangen Diskussion um eine Reform der notwendigen Verteidigung und der Pflichtverteidigung immer wieder aufgezeigt worden sind. Davon können im Rahmen dieses Beitrags nur stichwortartig Folgende hervorgehoben werden:
1. Katalog der Fälle der notwendigen Verteidigung (§ 140 Abs. 1 StPO-E):
a) Nach § 140 Abs. 1 Nr. 3 StPO-E soll ein Fall der notwendigen Verteidigung erst vorliegen, wenn zu erwarten ist, dass gegen den Beschuldigten eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verhängt wird. Diese Voraussetzung war offensichtlich bis zur Veröffentlichung des Entwurfs interministeriell umstritten. In der Einleitung der Entwurfsbegründung[68] wird zurecht darauf hingewiesen, dass, um der Schwere der zu erwartenden Strafe vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EGMR gerecht zu werden, ein Fall notwendiger Verteidigung bereits ab einer Straferwartung von mindestens sechs Monaten Freiheitsstrafe gegeben sein müsse. Dies ist nachdrücklich zu unterstützen, wenn im Einzelfall die Verhängung einer Geldstrafe nicht zu erwarten ist.
b) Bei der Höhe der zu erwartenden Freiheitsstrafe muss auch denjenigen Fällen Rechnung getragen werden, in denen bei einer Verurteilung der Widerruf einer noch offenen Strafaussetzung zur Bewährung in anderer Sache zu erwarten ist und sich dadurch das den Beschuldigten erwartende Gesamtstrafübel erhöht. Der Bedeutung dieses Gesichtspunkts wird nach geltendem Recht von der Rechtsprechung bereits im Rahmen der Voraussetzungen des § 140 Abs. 2 StPO („Schwere der Tat“) Rechnung getragen. Zur Klarstellung ist die Aufnahme in den Katalog des § 140 Abs. 1 StPO-E geboten.
c) Nach § 140 Abs. 1 Nr. 9 StPO liegt ein Fall notwendiger Verteidigung vor, wenn dem Verletzten nach den §§ 397a und 406h Abs. 3 und 4 StPO ein Rechtsanwalt beigeordnet worden ist. Diese der Gewährleistung von Waffengleichheit geschuldete Regelung ist auch auf die Fälle zu erstrecken, in denen sich der Verletzte eines ihm nicht beigeordneten Rechtsanwalts bedient. Denn auch hier stehen dem Beschuldigten nicht nur die Staatsanwaltschaft, sondern auch ein mit eigenen Verfahrensrechten ausgestatteter Rechtsanwalt gegenüber. Wird von einem anwaltlich vertretenen Verletzten Akteneinsicht beantragt (§ 406e StPO), wird ein unverteidigter Beschuldigter die ihm im Rahmen der Gewährung rechtlichen Gehörs zustehenden Rechte (§ 406e Abs. 2 StPO) allenfalls suboptimal wahrnehmen können.[69]
d) Schutzbedürftige Beschuldigte im Sinne von Art. 9 PKH-RL sind nicht nur sprach-, hör- und sehbehinderte Beschuldigte im Sinne von § 140 Abs. 1 Nr. 11 StPO-E, sondern auch Beschuldigte, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind. Ebenso wie die Defizite von hör- und sprachbehinderten Beschuldigten nicht allein durch die Zur-Verfügung-Stellung von Kommunikationshilfen im Sinne von § 186 GVG ausgeglichen werden, ist bei Beschuldigten, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind, die Gewährleistung der Verständigung mittels eines Dolmetschers (§§ 185, 187 GVG) nicht ausreichend. Dem ist als weiterer Fall notwendiger Verteidigung durch Aufnahme in den Katalog des § 140 Abs. 1 StPO-E Rechnung zu tragen, wobei die Bestellung von Amts wegen erfolgen sollte.
e) Die besondere Komplexität des Falles im Sinne von Art. 4 Abs. 4 PKH-RL sollte zumindest noch in folgenden Konstellationen durch eine ausdrückliche Regelung in § 140 StPO-E Berücksichtigung finden: Dies betrifft zum einen Verfahren, in denen es zu einer Beschlagnahme zur Sicherung der Einziehung (§ 111b StPO) oder zu einem Vermögensarrest (§ 111e StPO) kommt. Des Weiteren Verfahren, in denen gegen ein Urteil Rechtsmittel zu Ungunsten des Angeklagten eingelegt werden.
2. Auswechselung des bestellten Verteidigers
Zusätzlich zu dem in § 143a Abs. 2 StPO-E vorgesehenen Recht des Beschuldigten, die Auswechselung des ihm bestellten Verteidigers beantragen zu können, sollte ihm diese Möglichkeit auch dann gegeben werden, wenn er dies im Vorverfahren, nach Anklageerhebung vor Eröffnung des Hauptverfahrens und nach Verkündung eines nicht rechtskräftig gewordenen Urteils innerhalb eines Monats nach dessen Zustellung begehrt.[70]
VI. Erste Reaktionen auf den Referentenentwurf
1. In den bislang vorliegenden Stellungnahmen der Verbände,[71] denen hierzu seitens des BMJV Gelegenheit gegeben wurde, findet der Referentenentwurf überwiegend Zustimmung, soweit er die Mindestvorschriften der Richtlinie umsetzt. Das gilt unausgesprochen oder ausdrücklich auch für die Grundkonzeption des Entwurfs, die Richtlinie im bisherigen System notwendiger Verteidigung und Pflichtverteidigung umzusetzen und die Bewilligung von Verteidigerbeistand nicht von finanziellen Kriterien abhängig zu machen.[72] Lediglich die Stellungnahme des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins vom 30.11.2018 drückt im Interesse „bedürftiger“ Beschuldigter i.S.v. § 397a Abs. 2 StPO Sympathien für die Gewährung einer „Legal Aid“ im Hinblick auf die Intention der Richtlinie aus, professionelle Verteidigung nicht an der Mittellosigkeit von Beschuldigten scheitern zu lassen.[73] Welche Folgen dies bei dem dann zwangsläufig entfallenden Institut der notwendigen Verteidigung insbesondere für das Verfahren im ersten Rechtszug hätte, wird allerdings nicht erörtert.
Eine eher prinzipielle Kritik an dem Entwurf wird von dem Deutschen Richterbund auch insoweit geübt, als nach dessen Auffassung die notwendige Verteidigung „zu stark in das Ermittlungsverfahren ausgeweitet“ werde, was mit dem „Ziel“ kollidiere, „Strafverfahren zu straffen und zu vereinfachen“.[74] Diese Kritik geht an den verbindlichen Vorgaben der Richtlinie vorbei, die auch nicht für das zitierte Ziel einer Verfahrensstraffung und -vereinfachung in Anspruch genommen werden kann. Da die Unterstützung durch einen Rechtsbeistand „unverzüglich und spätestens vor einer Befragung durch die Polizei“ etc. oder vor der „Durchführung einer […] Ermittlungs- oder Beweiserhebungshandlung“ unter Mitwirkung des Beschuldigten bewilligt werden muss (Art. 4 Abs. 5, Art. 6 Abs. 1 PKH-RL) und es sich hierbei um typische Ermittlungsmaßnahmen handelt (§ 163a Abs. 1 StPO), ist die Vorverlagerung der Gewährung von Rechtsbeistand in das Ermittlungsverfahren von der Richtlinie verbindlich vorgegeben mit der Maßgabe, dass zu diesem Zeitpunkt bei „Schwere der Straftat, Komplexität des Falles und Schwere der zu erwartenden Strafe“ (Art. 4 Abs. 4 PKH-RL) ein Fall notwendiger Verteidigung vorliegt. Wenn vor diesem Hintergrund in § 140 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 3 und Nr. 7 StPO-E von der „Erwartung“ der dort genannten Verfahrensentwicklung gesprochen wird, entspricht dies den Vorgaben der Richtlinie.
2. Im Übrigen wird in den vorliegenden Stellungnahmen an der Umsetzung der Vorgaben der Richtlinie sowie an Folgeregelungen Detailkritik geübt, von der nur einige Punkte hervorgehoben werden sollen:
a) Zu den Voraussetzungen notwendiger Verteidigung
Aus Verteidigersicht müsse die Mindeststraferwartung des § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO-E im Hinblick auf die Schwere der zu erwartenden Strafe abgesenkt werden und – noch weitergehend – jede Form von zu erwartender Freiheitsstrafe[75] beziehungsweise Geldstrafe von mehr als 90 Tagessätzen erfassen.[76] Ferner müsse das Strafbefehlsverfahren unabhängig von der von der Staatsanwaltschaft beantragten Rechtsfolge einen Fall notwendiger Verteidigung begründen.[77]
b) Bestellung eines Pflichtverteidigers
Einmütig wird vonseiten der anwaltlichen Interessenvertreter die Regelung des § 141 Abs. 3 StPO-E abgelehnt, wonach unter den dort genannten Voraussetzungen im Vorverfahren abweichend von der Regel des § 141 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StPO-E vor der Vernehmung des Beschuldigten und vor einer mit ihm durchzuführenden Gegenüberstellung von der Bestellung eines Verteidigers abgesehen werden dürfe.[78] Die Vorschrift sei ersatzlos zu streichen. Zumindest sei bei Verstößen ein Beweisverwertungsverbot gesetzlich einzuführen.[79]
c) Verteidigerauswahl und Qualität
Auch eine richterliche Zuständigkeit für die Auswahl eines Verteidigers in denjenigen Fällen, in denen der Beschuldigte keinen Verteidiger bezeichne oder der bezeichnete Verteidiger nicht (rechtzeitig) zur Verfügung stehe (§ 142 Abs. 3 StPO-E) wird vonseiten der anwaltlichen Interessenvertreter unisono abgelehnt. Seitens der Gerichte würden auf diese Weise nicht ausschließbar solche Verteidiger ausgewählt werden können, von denen eine konsensuale Verfahrenserledigung und nicht die bestmögliche Verteidigung des Beschuldigten erwartet werde.[80] Ein seitens der Anwaltschaft zu organisierendes rollierendes System, nach dem – ähnlich wie bei dem Einsatz von Hilfsschöffen – der an bereitester Stelle stehende Rechtsanwalt heranzuziehen sei, sei vorzugswürdig.[81]
Die von Art. 7 Abs. 1 lit. b PKH-RL geforderte Qualität der durch den bestellten Rechtsbeistand zu erbringenden Dienstleistungen werde bei den nach § 142 Abs. 4 StPO-E zu bestellenden Verteidigern nur durch Fachanwälte für Strafrecht gewährleistet. Das bloße Interesse an der Übernahme von Pflichtverteidigungen sei keinerlei Qualitätskriterium.[82] Erforderlich sei über die Interessenbekundung hinaus der Nachweis der Teilnahme an einer Weiterbildungsmaßnahme auf dem Gebiet der mit der Pflichtverteidigung verbundenen Dienstleistungen und die kontinuierliche Fortbildung auf diesem Gebiet.[83] Lediglich der Deutsche Richterbund hält das Kriterium des anzuzeigenden Interesses an der Übernahme von Pflichtverteidigungen für sachgerecht, um mit den auf dem Gebiet der notwendigen Verteidigung zu erbringenden Dienstleistungen die Fairness des Verfahrens zu wahren.[84]
Was die Bestellung eines von dem Beschuldigten bezeichneten Verteidigers gemäß § 142 Abs. 3 StPO-E angeht, wird das damit zum Ausdruck gebrachte Vertrauen als ausreichender Qualitätsnachweis gewertet.[85] Lediglich die Bundesrechtsanwaltskammer fordert hier, dass der Beschuldigte nur solche Verteidiger bezeichnen dürfe, die ihre Qualität als Fachanwälte für Strafrecht beziehungsweise durch Weiter- und Fortbildungsnachweise auf dem Gebiet der mit der Pflichtverteidigung verbundenen Dienstleistungen nachweisen könnten.[86]
Die in § 142 Abs. 2 StPO-E vorgesehene Eilzuständigkeit der Staatsanwaltschaft für die Bestellung und Auswahl eines Pflichtverteidigers wird nicht nur in anwaltlichen Stellungnahmen,[87] sondern auch seitens des Deutschen Richterbundes kritisiert[88]. Letzterer fordert die Streichung dieser Regelung; aus Sicht anwaltlicher Interessenvertreter sollte zumindest auch für die Staatsanwaltschaft ein rollierendes System bei der Auswahl des zu bestellenden Verteidigers zum Zuge kommen.[89]
Die Forderung von Art. 7 Abs. 4 PKH-RL, wonach dem Beschuldigten bei Vorliegen konkreter Umstände ein Antragsrecht auf Auswechselung des zunächst bestellten Verteidigers einzuräumen ist, wird nach anwaltlicher Auffassung in § 143a Abs. 2 StPO-E nur ansatzweise umgesetzt. Zu fordern sei ein nicht an eine Frist gebundenes Recht des Beschuldigten, diesem zumindest bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens einen Verteidigerwechsel ohne Angabe von Gründen zu ermöglichen.[90] Dies müsse ihm auch zwischen den Instanzen ermöglicht werden[91]. Im Übrigen verhalten sich die Stellungnahmen weder zu den „konkreten Umständen“, die die Auswechselung des Pflichtverteidigers rechtfertigen, noch zu dem Verfahren, wie und durch wen diese Voraussetzung zu prüfen ist.
Die Regelung zur Bestellung weiterer Verteidiger, die unabhängig vom Willen des Beschuldigten der Sicherung der zügigen Durchführung des Verfahrens dienen sollen (§ 144 StPO-E), begründet aus der Sicht anwaltlicher Interessenvertreter wegen der aus Terminologie („Sicherungsverteidiger“) und Begründung erkennbaren Stoßrichtung Bedenken.[92] Insbesondere wird die Befürchtung geäußert, dass bei Terminkollisionen nicht den Verteidigungsinteressen des Beschuldigten, sondern nur dem gerichtlichen Interesse der zügigen Durchführung des Verfahrens Rechnung getragen werde. Inwieweit der Umfang oder die Schwierigkeit der Sache die Bestellung eines weiteren Verteidigers rechtfertige, bedürfe einer gesetzlichen Konturierung, indem beispielsweise an Verfahren nach §§ 120, 120b beziehungsweise 76 Abs. 2 S. 3 GVG angeknüpft werde.
d) Kosten der Pflichtverteidigung
Schließlich vermissen die anwaltlichen Stellungnahmen die bei Umsetzung der Richtlinie zu erwartende Streichung des Hinweises auf die Kostenfolge des § 465 StPO im Rahmen der Belehrung eines Beschuldigten über sein Recht, die Bestellung eines Pflichtverteidigers beantragen zu können (§ 136 Abs. 1 S. 5 StPO).[93] Die potenziell irreführende Belehrung könne von der Stellung eines Antrages auf „Legal Aid“ abschrecken.
3. Befremden löst die Abstinenz vieler Stellungnahmen in Bezug auf Fragen auf, die der Referentenentwurf in der Alltagspraxis des Strafprozesses aufwerfen würde. Dies gilt ganz besonders für die vielen Ermittlungsverfahren, die von der Polizei bearbeitet werden, bevor die Staatsanwaltschaft damit befasst wird. Lediglich seitens der Bundesrechtsanwaltskammer[94] und des Deutsche Strafverteidiger e.V. [95] wird hier eine ausdrückliche Verpflichtung der Polizei zur Beantragung einer Pflichtverteidigerbestellung im Fall notwendiger Verteidigung gefordert. Auch die Umsetzung der Richtlinie in Bezug auf sogenannte „Verdächtige“ wird lediglich von der Bundesrechtsanwaltskammer angemahnt.[96] Schließlich wird die Beschneidung der Rechtsschutzmöglichkeiten des Beschuldigten durch Ersetzung des Rechtsmittels der einfachen Beschwerde durch das der sofortigen Beschwerde nicht angesprochen, geschweige denn kritisiert.
Dagegen werden in zahlreichen Stellungnahmen Klientelinteressen vertreten. Das gilt besonders für diejenigen der anwaltlichen Berufsverbände. Gegen die Qualitätsanforderungen der Richtlinie wird ins Feld geführt, dass „gerade jungen Kollegen der Zugang zur Pflichtverteidigung nicht versagt werden (dürfe). Diesen Kollegen dürfen gerade auch zum Berufsstart nicht weitere finanzielle Belastungen durch die Qualifikation zum Fachanwalt für Strafrecht auferlegt werden“.[97] Mit einer überraschenden Wendung endet die Stellungnahme des Deutschen Richterbundes, indem festgestellt wird, dass die Ausweitung der notwendigen Verteidigung die Praxis vor große Herausforderungen stelle, die bei der Personalausstattung der Staatsanwaltschaften und Gerichte berücksichtigt werden müsse.[98] Dabei scheint bei all diesen Argumenten aus dem Blick zu geraten, dass die durch den Referentenentwurf umzusetzende Richtlinie kein Arbeitsbeschaffungsprogramm für Rechtsberufe darstellt, sondern den Schutz der Rechte von Verdächtigen und beschuldigten Personen im Strafverfahren durch eine professionelle Strafverteidigung sicherstellen will.
VII. Abschließende Bewertung
Die Umsetzung der Prozesskostenhilferichtlinie durch den Referentenentwurf des BMJV führt im Verhältnis zum geltenden Rechtszustand zu einem erheblich verbesserten Schutz von (potenziellen) Beschuldigten und einer deutlichen Stärkung ihrer Rechte durch eine professionelle Strafverteidigung. Dies ist allerdings zum geringsten Teil dem nationalen Gesetzgeber zugutezuhalten, für den nach Ausübung der Option, tatsächlichen Rechtsbeistand nach Maßgabe materieller Kriterien zu gewährleisten, die Umsetzung der Mindestvorschriften der Richtlinie weitgehend „alternativlos“ ist. Von der Möglichkeit, über diese hinauszugehen, macht der Referentenentwurf praktisch keinen Gebrauch. Im Gegenteil: In Bezug auf die praktische Umsetzung des Anspruchs auf tatsächlichen Zugang zu professioneller Verteidigung lässt er an wichtigen Punkten zu wünschen übrig. Dies betrifft vor allem das weite Feld der ausschließlich polizeilich geführten Ermittlungsverfahren sowie die an eine tatsächlich professionelle Strafverteidigung zu stellenden Qualitätsanforderungen.
Trotzdem stellt der bei der Umsetzung der PKH-RL durch den Referentenentwurf eingeschlagene Weg einen deutlichen Fortschritt dar. Das gilt für die Ausweitung der notwendigen Verteidigung und die Vorverlagerung der Verteidigerbestellung auf einen frühen Zeitpunkt des Ermittlungsverfahrens, wenn der von den Ermittlungsbehörden mit einem strafrechtlichen Vorwurf konfrontierte Beschuldigte in ganz besonderer Weise darauf angewiesen ist, die ihm zustehenden Schutzrechte mithilfe einer professionellen Strafverteidigung besonnen und selbstbewusst ausüben zu können. Vor dem Hintergrund der rechtspolitischen Diskussion um die prozessualen Konsequenzen der zunehmenden Bedeutung des Ermittlungsverfahrens für das hergebrachte Modell der gerichtlichen Hauptverhandlung ist es fast schon als ein Treppenwitz der Geschichte zu bezeichnen, wenn es in der Stellungnahme des Deutschen Richterbundes heißt, es sei – solange der Beschuldigte sich in Freiheit befände und noch keine Ermittlungs- und Beweiserhebungshandlungen in seiner Anwesenheit stattfänden – nicht ersichtlich, „dass ein Verteidiger in einem so frühen Stadium der Ermittlungen erheblich zur Wahrung der Beschuldigtenrechte beitragen kann“.[99] Die Aufgabe, „auch die zur Entlastung dienenden Umstände zu ermitteln“, ist trotz § 160 Abs. 2 StPO nicht allein der Staatsanwaltschaft vorbehalten.
[1] ABl. L 297 vom 04.11.2016, S. 1 ff. (im Folgenden zitiert als PKH-RL).
[2] Siehe zunächst Pieplow, Freispruch, März 2017 (Heft 10), S. 20; Brodowski, Editorial StV 2017, Heft 8.
[3] Jahn/Zink, in: FS Graf-Schlicker, 2018, S. 475; Schlothauer, StV 2018, 169.
[4] Schlothauer/Neuhaus/Matt/Brodowski, HRRS 2018 (Heft 2), S. 55; Bahns/Burkert/Guthke/Kitlikoglu/Scherzberg, Neuordnung der Pflichtverteidigerbestellung, Policy Paper der Strafverteidigervereinigungen, Mai 2018.
[5] Vgl. die Entschließung des Rates vom 30.11.2009 über einen „Fahrplan zur Stärkung der Verfahrensrechte von Verdächtigen oder Beschuldigten in Strafverfahren“, ABl. C 295/1 vom 4.12.2009.
[6] Entschließung des Rates vom 30.11.2009 (Fn. 5), S. 3.
[7] ABl. L 2941/1 vom 6.11.2013.
[8] BGBl. I vom 4.09.2017, S. 3295.
[9] Diesem Ziel soll flankierend im Strafverfahren gegen Jugendliche auch Art. 6 der Richtlinie 2016/800 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.05.2016 (ABl. L132/1 vom 21.5.2016) dienen.
[10] Neben der Bundesrepublik Deutschland (§§ 140 ff. StPO) ist auf die Republik Österreich (hierzu Todor-Kostic, in: Kier/Wess (Hrsg.), Handbuch Strafverteidigung, Wien, 2017, S. 26) sowie auf die Republik Italien (hierzu Helfer, StV 2007, 326 [329]) zu verweisen.
[11] Referentenentwurf S. 19.
[12] S. nur Wohlers, in: SK-StPO, 5. Aufl. (2016), vor § 137 Rn. 37 m.w.N.
[13] Referentenentwurf S. 1.
[14] Diese beschränkt sich auf die vorgeschlagenen Änderungen der StPO; die Umsetzung der PKH-RL im Hinblick auf Prozesskostenhilfe für gesuchte Personen in Verfahren zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls in Gestalt von Änderungen des IRG und des IStGHG muss aus Umfangsgründen unberücksichtigt bleiben.
[15] Schreiben des BMJV vom 11.10.2018 an die Verbände mit der Bitte um Kenntnisnahme von dem Referentenentwurf und der Gelegenheit zu einer Stellungnahme, S. 2.
[16] Zur Frage, ob Untersuchungshaft in anderer Sache nach geltendem Recht einen Fall notwendiger Verteidigung nach § 140 Abs. 1 Nr. 4 oder erst unter den weiteren Voraussetzungen des § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO begründet, siehe die Nachw. bei Beulke, in: SSW-StPO, 2. Aufl. (2016), § 140 Rn. 22.
[17] Siehe § 143 Abs. 1 StPO-E zur Dauer der Bestellung eines Pflichtverteidigers.
[18] Zu dieser Änderung ausführlich nachfolgend unter IV. 1.
[19] Vgl. zuletzt BGH, StV 2016, 133 m. abl. Anm. Neuhaussowie Müller-Jacobsen, NJW 2015, 3385.
[20] Dazu nachfolgend unter III. 2 d).
[21] Art. 4 Abs. 5 PKH-RL spricht von „Befragungen“ durch die Polizei. Da in der Praxis noch immer Streit über die Abgrenzung einer sog. förmlichen Vernehmung von einer informellen Vernehmung bzw. informatorischen Befragung besteht, sollte hier die Terminologie der Richtlinie übernommen werden.
[22] Vgl. für die Vernehmung §§ 163a Abs. 4, 163a Abs. 3, 168c Abs. 1 StPO und für die Gegenüberstellung § 58 Abs. 2 StPO.
[23] Entwurfsbegründung, S. 35.
[24] A.a.O.
[25] Art. 3 Abs. 5 der sog. Zugangs-RL (Fn. 7).
[26] Entwurfsbegründung, S. 35.
[27] A.a.O.
[28] Zugangs-RL (Fn. 7).
[29] BGBl I 2017, 3295.
[30] Entwurfsbegründung, S. 37.
[31] A.a.O.
[32] § 142 Abs. 1 StPO-E entspringt lediglich der Absicht einer verständlicheren Strukturierung des Rechts der Pflichtverteidigung.
[33] Zu den polizeilichen Usancen s. Kölbel, in: MK-StPO, 2016, § 163 Rn. 35. Ferner Erb, in: LR-StPO, 27. Aufl. (2018), § 163 Rn. 82.
[34] Entwurfsbegründung, S. 36.
[35] Die PKH-RL dient der Umsetzung der „Maßnahme C“ des vom Rat der EU am 30.11.2009 verabschiedeten Fahrplans (Fn. 5), die sicherstellen will, dass Verdächtige und Beschuldigte zwecks Gewährleistung eines fairen Verfahrens zum frühest geeigneten Zeitpunkt des Verfahrens tatsächlichen Zugang zu einem Rechtsbeistand erhalten.
[36] BGH, NStZ 2018, 734.
[37] Erb, in: LR-StPO (Fn. 33), § 163a Rn. 87.
[38] Entsprechend ist § 114b Abs. 2 S. 1 Nr. 4a StPO-E anzupassen.
[39] § 58 Abs. 2 S. 5 StPO-E enthält eine entsprechende Hinweispflicht nicht.
[40] Aus Gründen der redaktionellen Klarstellung ist auch in § 142 Abs. 4 StPO-E eine entsprechende Präzisierung vorzunehmen. Denn dem Gesichtspunkt der Erforderlichkeit der Mitwirkung des zu bestellenden Verteidigers ist auch in den Fällen Rechnung zu tragen, in denen die Bestellung aus dem Kreis der dort bezeichneten Rechtsanwälte erfolgt. Dementsprechend ist § 142 Abs. 4 StPO-E dahin zu ergänzen, dass (ausschließlich) ein rechtzeitig zur Verfügung stehender Verteidiger zu bestellen ist.
[41] Siehe hierzu nachfolgend unter III.5.a).
[42] Vgl. d. Nachw. bei Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl. (2018), § 142 Rn. 13.
[43] Entwurfsbegründung, S. 40.
[44] Nachfolgend unter e).
[45] Eine Ausnahme stellt insbesondere die im Hinblick auf fehlende Qualität der Beistandsleistung beabsichtigte Streichung von § 142 Abs. 2 StPO durch die Neufassung der §§ 141 bis 144 StPO-E dar, die unter bestimmten Voraussetzungen die Bestellung von Rechtsreferendaren als Verteidiger zulässt.
[46] Entwurfsbegründung, S. 40.
[47] Entwurfsbegründung, S. 40.
[48] Zu denken ist beispielsweise an die Erhaltung von Rügerechten bei „Verwirkung“ von Rügebefugnissen durch einen unqualifizierten Pflichtverteidiger (siehe hierzu Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins durch den Ausschuss Strafrecht Nr. 58/18 vom November 2018, S. 11).
[49] Beispielsweise Folgen unterlassener Anrufung des Gerichts bei Anordnung oder Vollziehung der Beschlagnahme und des Vermögensarrestes nach §§ 111g Abs. 2 und 111h Abs. 3 StPO.
[50] Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK), Nr. 1 (Januar) 2019, S. 15 f. mit einem entsprechenden Alternativentwurf für § 142 Abs. 3 u. Abs. 4 StPO-E.
[51] So der Vorschlag eines § 43a Abs. 7 S. 2 BRAO-E in der Stellungnahme der BRAK (Fn. 50), S. 16.
[52] Auch dieser Forderung trägt der Referentenentwurf auch nicht ansatzweise Rechnung, wenn er sich allein darauf beschränkt, dass auch den durch die Staatsanwaltschaft bestellten Rechtsanwälten die Vergütung eines gerichtlich bestellten Rechtsanwalts zustehen solle (§ 59a Abs. 1 RVG-E).
[53] Vgl. Stellungnahme der BRAK (Fn. 50), S. 10 und 17.
[54] Vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO (Fn. 42), § 142 Rn. 19.
[55] Entwurfsbegründung, S. 45.
[56] Dazu nachstehend unter III. 7.
[57] Von der letzteren Alternative kann das Gericht auch von Amts wegen, wenn auch nach Anhörung des Betroffenen, Gebrauch machen.
[58] Vgl. nur Schlothauer/Neuhaus/Matt/Brodowski (Fn. 4), S. 62 u. 71.
[59] Entwurfsbegründung, S. 41.
[60] Der Frage, ob in dieser Konstellation trotzdem die Abwesenheit eines Verteidigers im Hinblick auf eine von Amts wegen gebotene Bestellung eines Pflichtverteidigers zum Gegenstand einer Verfahrensrüge gemacht werden kann, soll hier nicht nachgegangen werden.
[61] Entwurfsbegründung, S. 1.
[62] Entwurfsbegründung, S. 33. Diese Regelung wurde im Zuge des „Gesetzes zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens“ eingeführt, insbesondere um das Recht eines Beschuldigten auf kontradiktorische Vernehmung wesentlicher Belastungszeugen im Falle seiner Abwesenheit zu gewährleisten: BT-Drs. 18/11277, S. 27 – Gesetzesbegründung.
[63] Es empfiehlt sich deshalb die Streichung dieses Vorbehalts (siehe auch die Stellungnahmen des Deutschen Anwaltvereins durch den Ausschuss Strafrecht [Fn. 48], S. 6 und der Strafverteidigervereinigungen vom 2.12.2018, S. 6).
[64] Vgl. Schlothauer, StV 2017, 557; Meyer-Goßner/Schmitt (Fn. 42), § 141 Rn. 5d sowie Burhoff, StraFo 2018, 405 (409).
[65] Entwurfsbegründung, S. 46.
[66] Entwurfsbegründung, S. 46 zu Satz 1.
[67] Erwägungsgrund (30) der PKH-RL.
[68] Entwurfsbegründung, S. 2.
[69] Verfahren, die sich gegen mehrere Beschuldigte richten, von denen sich nicht alle des Beistands eines Verteidigers bedienen, können aus der Sicht eines unverteidigten Beschuldigten aus Gründen der Waffengleichheit auch einen Fall notwendiger Verteidigung begründen. Da hier aber die Umstände des Einzelfalles von Bedeutung sind (z. B. widerstreitende Verteidigungsinteressen), entzieht sich diese Situation einer Aufnahme in den Katalog des § 140 Abs. 1 StPO-E, weshalb hier § 140 Abs. 2 StPO-E einschlägig ist.
[70] Zur Begründung s. Schlothauer/Neuhaus/Matt/Brodowski (Fn.4), S. 67.
[71] Zum Zeitpunkt des Manuskriptabschlusses (10.1.2019) konnten folgende Stellungnahmen berücksichtigt werden: Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins durch den Ausschuss Strafrecht aus November 2018 (Fn. 48); Stellungnahme des Deutsche Strafverteidiger e.V, Nr. 2/2018 vom 29.11.2018; RAK Sachsen, Stellungnahme Nr. 2/2018 aus November 2018; Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein, Stellungnahme vom 30.11.2018; Strafverteidigervereinigungen, Stellungnahme vom 02.12.2018; Deutscher Richterbund, Stellungnahme Nr. 14/18 aus November 2018); Stellungnahme der BRAK aus Januar 2019 (Fn. 50).
[72] Deutscher Anwaltverein durch den Ausschuss Strafrecht (Fn.48), S. 4 f.; Strafverteidigervereinigungen (Fn.71), S. 5; Deutscher Richterbund, (Fn. 71) unter A. Stellungnahme der BRAK aus Januar 2019 (Fn. 50), S. 5.
[73] Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein (Fn.71), S. 4.
[74] Deutscher Richterbund, (Fn.71) unter B. vor 1 und B. 2.
[75] Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein (Fn.71), S. 4.
[76] Strafverteidigervereinigungen (Fn.71), S. 5.
[77] Strafverteidigervereinigungen (Fn.71), S. 6; Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein (Fn.71), S. 3.
[78] Strafverteidigervereinigungen (Fn.71), S. 9; Deutscher Anwaltverein durch den Ausschuss Strafrecht (Fn.48), S. 3 u. 7 f.; BRAK (Fn. 50), S. 11; Deutsche Strafverteidiger e.V. (Fn. 71), S. 7.
[79] Strafverteidigervereinigungen (Fn. 71), S. 10; Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein (Fn. 71), S. 6.
[80] Deutscher Anwaltverein durch den Ausschuss Strafrecht (Fn. 48), S. 13.
[81] Deutscher Anwaltverein durch den Ausschuss Strafrecht (Fn. 48), S. 10; Strafverteidigervereinigungen (Fn. 71), S. 12; Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein (Fn. 71), S. 5; Deutsche Strafverteidiger e.V. (Fn. 71), S. 6 f.; BRAK (Fn. 50), S. 10 u. 17.
[82] Strafverteidigervereinigungen (Fn. 71), S. 13; Deutsche Strafverteidiger e.V. (Fn. 71), S. 6f.; Deutscher Anwaltverein durch den Ausschuss Strafrecht (Fn. 48), S. 14; BRAK (Fn. 50), S. 14.
[83] BRAK (Fn. 50), S. 16; Strafverteidigervereinigungen (Fn. 71), S. 13; Deutsche Strafverteidiger e.V. (Fn. 71), S. 6 u. 8; Deutscher Anwaltverein durch den Ausschuss Strafrecht (Fn. 48), S. 14.
[84] Deutscher Richterbund (Fn. 71) unter B. 4.
[85] Deutscher Anwaltverein durch den Ausschuss Strafrecht (Fn. 48), S. 13; Strafverteidigervereinigungen (Fn. 71), S. 10.
[86] BRAK (Fn. 50), S. 16.
[87] Strafverteidigervereinigungen (Fn. 71), S. 11; Deutscher Anwaltverein durch den Ausschuss Strafrecht (Fn. 48), S. 10.
[88] Deutscher Richterbund (Fn. 71) unter B. 3.
[89] Strafverteidigervereinigungen (Fn. 71), S. 12.
[90] Strafverteidigervereinigungen (Fn. 71), S. 16.
[91] BRAK (Fn. 50), S. 18.
[92] Deutscher Anwaltverein durch den Ausschuss Strafrecht (Fn. 48), S. 4 u. 17 f.; Strafverteidigervereinigungen (Fn. 71), S.16 f.
[93] BRAK (Fn. 50), S. 8; Deutscher Anwaltverein durch den Ausschuss Strafrecht (Fn. 48), S. 20.
[94] BRAK (Fn. 50), S. 5 f.
[95] Deutsche Strafverteidiger e.V. (Fn. 71), S. 6.
[96] Stellungnahme der BRAK (Fn. 50), S. 11.
[97] Deutsche Strafverteidiger e.V. (Fn. 71), S. 8; Rechtsanwaltskammer Sachsen (Fn. 71), S. 6.
[98] Deutscher Richterbund (Fn.71) unter B. vor 1. und B. 10.
[99] Deutscher Richterbund (Fn.71) unter B 2.