Zu den Kommentaren springen

Tätlichkeiten (§ 185 StGB) und tätliche Angriffe (§ 114 StGB) als unterschiedliche Ehrverletzungsmodalitäten?

von Prof. Dr. Fredrik Roggan

Beitrag als PF Version 

Abstract
Die Strafrechtswissenschaft kreiste und kreist um die Frage, welches Rechtsgut vom „Tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte“ gemäß § 114 StGB geschützt wird. Der nachfolgende, weitere Versuch kommt zu dem Zwischenergebnis, dass sich der tätliche Angriff von der tätlichen Beleidigung nach § 185 Alt. 2 StGB dadurch unterscheidet, dass er ein tatsächliches Eindringen in die körperliche Sphäre in Gestalt einer Körperberührung nicht verlangt – und zu dem Endergebnis, dass diese Tathandlungen jeweils die Ehre der Betroffenen verletzten. Nach gesetzgeberischer Wertung handelt es sich bei Vollstreckungsbeamten allerdings um eine im Vergleich zu normalen Bürgern besonders herausgehobene Personengruppe. So verstanden hat mit § 114 StGB (und vergleichbaren Tatbeständen) ein Sonderstrafrecht das Licht der Welt erblickt.

Criminal law theory has revolved and still revolves around the question, which legal right is protected by the criminal offence of “assault on enforcement officers” according to § 114 of the Criminal Law Code. The following remarks arrive at the provisional conclusion that such an assault differs from assault and battery according to § 185, 2nd alternative of the Criminal Law Code by the fact that an assault does not require actual physical contact. And they arrive at the final conclusion that both actions are a violation of a person’s honour. However, the legislative intent was to grant special protection to enforcement officers as a group compared to normal citizens. Understood in this way, §114 of the Criminal Code (and similar offenses) constitutes a special criminal law.

I. Einleitung

Bei dem Begriff der Tätlichkeit im Zusammenhang mit dem Ehrverletzungsdelikt der Beleidigung nach § 185 StGB handelt es sich um einen weitestgehend – wenngleich nicht ganz einheitlich verstandenen – feststehenden Terminus. Neben diese Modalität einer Ehrverletzung ist in anderem Kontext, nämlich im sechsten Abschnitt des StGB unter der Überschrift des Widerstands gegen die Staatsgewalt, eine semantisch sehr ähnliche Tathandlung mit inzwischen selbständiger und gewachsener Bedeutung getreten: Mit dem Gesetz zur Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften vom 23.5.2017[1] wurde der auch schon bis dahin unter Strafe stehende tätliche Angriff aus § 113 Abs. 1 StGB a.F. herausgelöst und in den selbstständigen Straftatbestand des § 114 Abs. 1 StGB n.F. überführt. Als Tatgelegenheiten werden dort (allgemeine) Diensthandlungen von Amtsträgern und Soldaten der Bundeswehr, die zur Vollstreckung von Gesetzen, Rechtsverordnungen, Urteilen, Gerichtsbeschlüssen oder Verfügungen berufen sind, genannt. Auch im novellierten – im Folgenden aber nicht näher betrachteten – § 115 Abs. 3 S. 2 StGB ist der Begriff des tätlichen Angriffs enthalten. Schon vorher war er eine Tatmodalität in § 121 Abs. 1 Nr. 1 StGB. 

Gegenstände der nachfolgenden Überlegungen sind die (Wort-)Bedeutungen der Tathandlungen der Tätlichkeit einerseits und des tätlichen Angriffs andererseits. Zunächst ist dabei zu klären, in welchem Verhältnis die Begriffe zueinander stehen bzw. ob es sich überhaupt um inhaltlich unterscheidende Tatmodalitäten handelt (näher unter II.). Nachfolgend ist sodann die zentrale Frage zu beantworten, welche Rechtsgüter die sie enthaltenden Straftatbestände schützen. Während diese Bestimmung bei der tätlichen Beleidigung in § 185 Alt. 2 StGB noch sehr leicht fällt, ist dies beim tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte nach § 114 Abs. 1 StGB – gerade auch vor dem Hintergrund aktueller Rechtsprechung – sehr viel problematischer (näher unter III.).  

II. Verschiedenheiten und Gleichartigkeiten von Tätlichkeiten und tätlichen Angriffen

Den hiesigen Kontext wenig erhellend findet sich im Duden für das Substantiv der „Tätlichkeit“ lediglich die Umschreibung „tätliche Auseinandersetzung“ und für das Adjektiv „tätlich“ die Bedeutung „körperliche Gewalt einsetzend; handgreiflich“.[2] Zumindest wird damit auf eine die Begriffe meinende Körperlichkeit einer Verhaltensweise hingewiesen. Eine hinreichend konkrete Unterscheidbarkeit dieser Begriffe ergibt sich hieraus freilich nicht. Je nach Perspektive wiederholt sich dieser Befund bei einer Betrachtung der Auslegung der gesetzlichen Termini.

1. Tätlichkeiten

Einigkeit besteht zunächst darin, dass die Tätlichkeit als Qualifikationstatbestand in § 185 Alt. 2 StGB eine unmittelbare körperliche Einwirkung auf eine Person meint, aus der sich ein ehrverletzender Sinn ergibt[3] bzw. die nach ihrem objektiven Sinn eine besondere Nicht- oder Missachtung des Geltungswerts des Betroffenen ausdrückt.[4] Gleiches gilt dafür, dass eine Tätlichkeit auch dann schon vorliegen kann, wenn die Erheblichkeitsgrenze zu § 223 Abs. 1 StGB nicht überschritten wird.[5] Daraus ergibt sich unmittelbar, dass es sich bei der tätlichen Beleidigung nicht um ein spezielles Körperverletzungsdelikt handelt.

Uneinigkeit besteht allerdings in der Frage, ob eine erfolgreiche Einwirkung auf den Körper des Betroffenen zu verlangen ist, ob also der Körper berührt werden muss.[6] In diesem Sinne wäre Kennzeichen der tätlichen Beleidigung, dass schon in dem Angriff auf den Körper des anderen die Ehrverletzung zum Ausdruck gebracht wird.[7] Im Ergebnis wäre dann auch der fehlgehende, den Körper nicht berührende Angriff (also bspw. ein fehlgehender Schlag etc.) von dem Qualifikationstatbestand erfasst. Bemerkenswert ist diesbezüglich – und dies nicht zuletzt mit Blick auf die einleitend genannten Wortbedeutungen – dass eine Tätlichkeit auch in einem tätlichen Angriff liegen kann und es sich bei den Begriffen somit um Synonyme handelte. Der Gesetzgeber hätte gleichsam für identische Tathandlungen unterschiedliche Begriffe gewählt.

Dem widerspricht indessen die überzeugendere und wohl herrschende Meinung. Nach ihr ist eine körperliche Berührung stets erforderlich[8] und demzufolge eine lediglich symbolische Kundgabe von Missachtung nicht ausreichend.[9] Durch das Erfordernis der körperlichen Berührung wird nicht zuletzt eine Unterscheidbarkeit der Tätlichkeit vom tätlichen Angriff möglich. In diesem Sinne ist die Tätlichkeit vom Erfolg des Angriffs auf die körperliche Sphäre des Betroffenen abhängig. Dieser „Körperberührungs-Erfolg“ ist damit zugleich die Ehrverletzungsmodalität. Hierdurch wird dem Opfer konkludent vermittelt, dass es – aufgrund seiner Minderwertigkeit – die körperliche Einwirkung zu dulden habe.[10]

2. Tätliche Angriffe

Nachdem der tätliche Angriff aus § 113 Abs. 1 StGB a.F. herausgelöst worden war, stellte sich angesichts des nunmehr erhöhten Strafrahmens von drei Monaten bis zu fünf Jahren die Frage, ob das bis dahin geltende Verständnis des Tatbestandsmerkmals aufrecht erhalten werden konnte. Dies verstand das Tatbestandsmerkmal – insoweit zurückreichend bis zur Rechtsprechung des Reichsgerichts[11] – als eine in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende Einwirkung ohne das Erfordernis eines – vom Vorsatz umfassten – Verletzungserfolgs.[12] Gerade auch durch den Verzicht auf jeglichen (Körper-)Verletzungserfolg kamen als Tathandlungen auch leichte Rempeleien[13] – beispielsweise gegen einen Polizeibeamten –, Schubser[14] oder auch nur das Ausholen zum Schlag[15] in Betracht. Da bei solch leichteren Eingriffen in die körperliche Sphäre von Vollstreckungsbeamten das Strafmaß des § 114 Abs. 1 StGB unverhältnismäßig hoch erscheint, wurde in der Literatur richtigerweise und durchaus nicht nur vereinzelt gefordert, dass von einem tätlichen Angriff erst ab einer gewissen Erheblichkeitsschwelle gesprochen werden dürfe.[16] Je nach Standpunkt wurde eine Einwirkung von einigem Gewicht[17] oder auch eine solche Handlung gefordert, die konkret geeignet ist, das Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit auch tatsächlich und nicht nur unerheblich zu beeinträchtigen. Dies müsse auch vom Vorsatz des Täters umfasst sein.[18]

Solchen restriktiven Interpretationen hat die oberlandesgerichtliche und sich mittlerweile verfestigende Rechtsprechung eine deutliche Absage erteilt: Voranschreitend entschied zunächst das OLG Hamm, dass etwa eine körperliche Berührung oder auch nur ein darauf zielender Vorsatz des Täters nicht erforderlich ist: Dies ergebe sich daraus, dass der Gesetzgeber bei der Formulierung des Tatbestands den Wortlaut der zuvor in § 113 Abs. 1 StGB a.F. enthaltenen Formulierung übernommen habe. Nach seinem Willen sollte die Begehungsform des tätlichen Angriffs ohne eine Modifikation der überkommenen Definition aus § 113 StGB herausgelöst werden.[19] Im Ergebnis reicht damit ein Erschrecken des Opfers (etwa durch den Schuss aus einer Schreckschusspistole[20]) aus.[21]

Explizit wendet sich das Gericht gegen ein körperverletzungsbezogenes Verständnis des Tatbestandsmerkmals: Dies verkenne, dass es gerade die Intention des Gesetzgebers bei Schaffung des § 114 StGB war, den Schutz der Amtsträger durch eine erhöhte Strafandrohung bei tätlichen Angriffen, und zwar solchen i.S.v. § 113 StGB a.F., zu erhöhen. Diese gesetzgeberische Intention werde bei der geforderten engen Auslegung unterlaufen, ja gerade in ihr Gegenteil verkehrt, weil dann sogar die Bandbreite strafbarer Handlungen, die einen tätlichen Angriff bilden könnten, im Vergleich zu § 113 StGB eingeschränkt würde. Eine solche explizit der gesetzgeberischen Intention, welche auch durch die Übernahme der Formulierung aus § 113 StGB a.F. im Wortlaut der Norm zum Ausdruck komme, zuwiderlaufende Auslegung würfe schon Bedenken im Hinblick auf das Demokratieprinzip aus Art. 20 Abs. 1 und 2 GG auf. Dieses lege nahe, dem gesetzgeberischen Willen Rechnung zu tragen, sofern man dadurch nicht mit anderen Prinzipien (etwa dem Bestimmtheitsgrundsatz etc.) in Konflikt gerate.[22]

Diese sich inzwischen auch in den unteren Instanzen zeigende Linie[23] dürfte bis zu einer (zu erhoffenden) Korrektur durch die höchstrichterliche Rechtsprechung die nachfolgenden Judikate prägen. Obgleich dieses Verständnis kritikwürdig ist, soll es den nachfolgenden Überlegungen zugrunde gelegt werden. Dabei zeigt sich zunächst, dass es eine deutliche Unterscheidbarkeit von der Tätlichkeit im Sinne des § 185 Alt. 2 StGB ermöglicht: Während dort in die körperliche Sphäre tatsächlich eingedrungen werden muss, braucht es beim tätlichen Angriff zu keiner körperlichen Berührung zu kommen.[24] Dies lässt sich ohne weiteres mit der Bedeutung des Angriffs, wie er im Übrigen auch in § 32 StGB verstanden wird,[25] vereinbaren: Bei ihm handelt es sich nach der am weitest gehenden Auffassung um ein menschliches Handeln, das eine noch nicht endgültig abgeschlossene Rechtsgutsverletzung oder einen Zustand verursacht, der die unmittelbare Gefahr einer Rechtsgutsverletzung begründet[26] oder kürzer – mit der herrschenden Meinung – um die Bedrohung rechtlich geschützter Interessen durch menschliches Verhalten.[27] In diesem Sinne handelt es sich beim tätlichen Angriff um eine einer Tätlichkeit vorgelagerte Verhaltensweise, bei der der Eintritt einer Verletzung eines im Folgenden zu bestimmenden Rechtsguts in der Zukunft liegt bzw. liegen kann.  

III. Insbesondere: Der tätliche Angriff als Ehrverletzungsmodalität?

Den so verstandenen tätlichen Angriff überhaupt mit einer Ehrverletzung in Verbindung zu bringen, liegt schon aufgrund seines systematischen Kontextes im Sechsten Abschnitt des StGB jedenfalls nicht nahe. Nahe liegt stattdessen, den Tatbestand des § 114 Abs. 1 StGB im Zusammenhang mit dem Schutz anderer Individualrechtsgüter[28] oder auch der staatlichen Dienstausübung[29] zu sehen. Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass der Tatbestand jedenfalls bei dem unter II.2. dargestellten – abermals: kritikwürdigen! – Verständnis nicht als Ausprägung des Schutzes dieser Rechtsgüter angesehen werden kann.

1. Schutz von bestimmten Individualrechtsgütern?

Nicht nur vereinzelt wird angenommen, dass der tätliche Angriff nach § 114 Abs. 1 StGB vor Verletzungen der körperlichen Unversehrtheit schützen solle.[30] Etwas allgemeiner formuliert wird auch von dem im Vordergrund stehenden Schutz der körperlichen Integrität gesprochen.[31] Der Tatbestand diente dann dem Schutz eines in der Kommentarliteratur mitunter unbenannten Individualrechtguts.[32] Indessen vermag diese Wertung – jedenfalls auf dem Boden der genannten Rechtsprechung – nicht zu überzeugen. Denn wenn eine körperliche Berührung im Falle eines tätlichen Angriffs nicht erforderlich sein soll und täterseitig auch kein entsprechender Vorsatz vorhanden sein muss und damit im Ergebnis einem körperverletzungsbezogenen Verständnis des Tatbestandsmerkmals explizit widersprochen wird, so braucht die körperliche Unversehrtheit mithin nicht berührt zu sein. Oder kurz: § 114 Abs. 1 StGB geht es weder um den Schutz der körperlichen Unversehrtheit noch der körperlichen Integrität von Amtsträgern.

In der angeführten Rechtsprechung wird als weiteres Individualrechtsgut – wenn auch nur kurz – die Handlungs- und Entschließungsfreiheit der Betroffenen angesprochen.[33] Wäre dem so, handelte sich bei § 114 Abs. 1 StGB um ein spezielles Nötigungsdelikt. Indessen weist die Begrifflichkeit des tätlichen Angriffs schon keinerlei Bezug zur Willensentschließung und Willensbetätigung, sondern verhält sich insoweit „neutral“. Richtigerweise wird deshalb davon ausgegangen, dass bei einem tätlichen Angriff eine Nötigung nicht bezweckt werden muss.[34] Dem Tatbestand kann es damit nicht um den Schutz der höchstpersönlichen, also nicht berufsausübungsbezogenen Handlungs- und Entschließungsfreiheit von Amtsträgern gehen.

2. Schutz der Dienstausübung?

Als Tatgelegenheit nennt § 114 Abs. 1 StGB eine nicht näher bestimmte Diensthandlung. Es ist im Ansatz daher nicht völlig abwegig, die Strafbarkeit des tätlichen Angriffs bei solchen Gelegenheiten als Ausprägung des Schutzes von solchen Diensthandlungen bzw. der Dienstausübung[35] – oder: noch allgemeiner – der Tätigkeit der Staatsgewalt[36] zu verstehen. Die bisherige Rechtsprechung verhält sich zu dieser Frage nicht.

Anzuknüpfen ist insoweit an das soeben Gesagte: Richtigerweise wird von der ganz herrschenden Meinung angenommen, dass ein tätlicher Angriff sich nicht – im Unterschied zum Widerstandleisten nach § 113 Abs. 1 StGB – gegen die Vornahme einer (beliebigen) Diensthandlung, also auf deren Vereitelung oder auch Erschwerung zu richten braucht.[37] Ausreichend soll sein, dass die Tätlichkeit beispielsweise aus allgemeiner Feindseligkeit gegen „den Staat“ [38] begangen wird.

3. Statusbezogener Ehrschutz!

Nicht zuletzt durch die Gesetzesbegründung wird der Blick auf ein Rechtsgut gelenkt, das in den bisherigen Betrachtungen zum neu gefassten Tatbestand in § 114 Abs. 1 StGB nur am Rande thematisiert wurde: Durch die neue Strafvorschrift solle der Respekt (und die Wertschätzung), den Vollstreckungsbeamte sowie auch die Hilfskräfte der Feuerwehr, des Katastrophenschutzes und der Rettungsdienste verdienten,[39] hervorgehoben werden. Dann läge „das spezifische Unrecht eines Angriffs auf einen Repräsentanten des staatlichen Gewaltmonopols“[40] darin, dass der Täter diesem gegenüber den gesetzlich vorausgesetzten Respekt nicht zeigt.

Der Respekt, den eine Person verdient, liegt schon begrifflich nahe bei der Achtung.[41] Damit gerät die Ehre der in Betracht kommenden Tatopfer als geschütztes Rechtsgut in den Blick. Dann wäre der aus der Ehre abzuleitende Anspruch auf Achtung das Angriffsobjekt[42] eines tätlichen Angriffs. Indessen kann § 114 Abs. 1 StGB aber nicht den Schutz vor „ehrenrührigen“ Angriffen auf einen Kernbereich des jedem Menschen geschuldeten Respekts meinen,[43] wie dies bei der Beleidigung nach § 185 StGB der Fall ist, denn der strafrechtliche Schutz ist bei § 114 Abs. 1 StGB ja explizit auf die Angehörigen bestimmter Berufsgruppen beschränkt. Dem Gesetz muss es demnach um den Schutz eines berufsbezogenen Achtungsanspruchs gehen. In der Literatur wird diesbezüglich, ohne dass eine Verbindung zu einer offenbar existierenden, berufsbezogenen Ehre ausdrücklich hergestellt würde, von „besonders schützenswerten Opfern“[44] oder auch einem strafrechtlichen Schutz, der „statusbezogen“[45] ist, gesprochen.[46] Nach gesetzgeberischer Wertung muss dieser Schutz wegen des im Vergleich zu § 185 Alt. 2 StGB nicht unbeträchtlich erhöhten Strafrahmens höherrangig sein. Ohne dass dies hier zu vertiefen wäre, kann selbstverständlich nicht der Respekt gegenüber bestimmten Berufsgruppenals schutzwürdiges Rechtsgut des Strafrechts angesehen und dieser hierdurch ohnehin auch nicht bewirkt werden.[47]

Im Ergebnis stellt eine Respektsverletzung gegenüber von einzelnen Angehörigen bestimmter Berufsgruppen, ohne dass die Qualität einer Tätlichkeit erreicht werden müsste, ein erhöhtes Unrecht – die Gesetzesbegründung spricht von dem bereits genannten „spezifische(n) Unrecht“ – dar. Gleichsam wird damit deutlich, dass es sich bei § 114 Abs. 1 StGB um ein statusgruppenbezogenes Beleidigungsdelikt handelt. Freilich bedient dieses – wie in dieser Zeitschrift bereits zu Recht kritisierend angesprochen wurde – eher „autoritäre Muster als vorbildliche Autorität“[48] von Repräsentanten des staatlichen Gewaltmonopols.

IV. Kurzes Fazit

Akzeptierte man ein Sonderstrafrecht, wie es § 114 Abs. 1 StGB darstellt, so wäre dem Gesetzgeber zumindest vorzuhalten, dass er einen wenig sachgerechten Regelungsstandort wählte. Richtigerweise wäre er in den vierzehnten Abschnitt einzuordnen gewesen. Dies hätte offenbart, dass die Vorschrift mit dem nach wie vor existierenden System der Widerstandstaten nichts mehr zu tun hat.[49]

Unabhängig davon wird man – von weiteren (an anderer Stelle ausführlich besprochenen) rechtsdogmatischen Unzulänglichkeiten abgesehen – die Vorschrift des § 114 Abs. 1 StGB wie auch die „benachbarte“ Regelung in § 115 Abs. 3 S. 2 StGB als gesetzgeberischen Irrweg ansehen dürfen. Mit guten Gründen war ein Sonderstrafrecht zum Schutz bestimmter Berufsgruppen als Opfer dem bundesdeutschen Strafrecht – und dies nicht zuletzt aus Gleichheitsgründen[50] – bislang fremd.[51] Im Ergebnis kommt Vollstreckungsbeamten – und dies mit „tatkräftiger Unterstützung“ der Rechtsprechung – nunmehr, wie dies in der Laiensphäre bereits vorher angenommen worden sein soll, eine herausgehobene Stellung bei einem Ehrverletzungsdelikt zu. Dadurch bringt das Strafrecht, wird denn § 114 StGB nicht alsbald wieder gestrichen[52] oder kommt es zu der hier erhofften Korrektur durch die höchstrichterliche Rechtsprechung, zum Ausdruck, dass es insbesondere auch Polizeivollzugsbeamte als herausgehobene Personengruppe versteht und nicht als (reguläre) Bürger mit besonderen Aufgaben.[53]

 

[1]      BGBl. I 2017, S. 1226.
[2]      Duden – Deutsches Universalwörterbuch, 9. Aufl. (2019), Stichworte „Tätlichkeit“ und „tätlich“.
[3]      Fischer, StGB, 67. Aufl. (2020), § 185 Rn. 18.
[4]      Eisele/Schittenhelm, in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. (2019), § 185 Rn. 18; Rogall, in: SK-StGB, 9. Aufl. (2017), § 185 Rn. 24; Regge/Pegel, in: MüKo-StGB, 3. Aufl. (2017), § 185 Rn. 45; vgl. auch Kühl, in: Lackner/Kühl, StGB, 29. Aufl. (2018), § 185 Rn. 13; vgl. auch Kindhäuser/Hilgendorf, in: LPK-StGB, 8. Aufl. (2020), § 185 Rn. 12.
[5]      Regge/Pegel, in: MüKo-StGB, § 185 Rn. 45.
[6]      Verneinend Eisele/Schittenhelm, in: Schönke/Schröder, § 185 Rn. 18; Kühl, in: Lackner/Kühl, § 185 Rn. 13.
[7]      Fischer, StGB, § 185 Rn. 18.
[8]      Rogall, in: SK-StGB, § 185 Rn. 24.
[9]      Regge/Pegel, in: MüKo-StGB, § 185 Rn. 45 mit zahlreichen weiteren Nachweisen.
[10]    So auch Fischer, StGB, § 185 Rn. 18.
[11]    RGSt 59, 264 (265).
[12]    Jeweils mit weiteren Nachweisen Fischer, StGB, § 114 Rn. 5; Eser, in: Schönke/Schröder, § 114 Rn. 4; Heger, in: Lackner/Kühl, § 114 Rn. 2; Kindhäuser/Hilgendorf, in:LPK-StGB, § 114 Rn. 2.
[13]    Satzger, in: FS Neumann, 2017, S. 1161 (1167); Schellenberg, ZRP 2017, 62.
[14]    So die Konstellation in OLG Hamm, Urt. v. 10.10.2019 – 4 RVs 88/19 –, juris, Rn. 26: „… mit der Hand deutlich spürbar am Oberkörper traf“.
[15]    Vgl. etwa Wessels/Hettinger/Engländer, Strafrecht – Besonderer Teil 1, 43. Aufl. (2019), Rn. 653.
[16]    Überblick bei Barton, in: Hilgendorf/Kudlich/Valerius, Handbuch des Strafrechts – Band 4, 2019, § 20 Rn. 83 ff.
[17]    So etwa Dallmeyer, in: von Heintschel-Heinegg, StGB, 3. Aufl. (2018), § 114 Rn. 5.
[18]    Busch/Singelnstein, NStZ 2018, 510 (512); zust. Jäger, JA 2019, 705 (707); Puschke/Rienhoff, JZ 2017, 924 (930); a.A. etwa Wessels/Hettinger/Engländer, Rn. 653.
[19]    OLG Hamm, Beschl. v. 12.2.2019 – III-4 RVs 9/19 –, juris, Rn. 14; bestätigend OLG Hamm, Urt. v. 10.10.2019 – 4 RVs 88/19 –, juris, Rn. 24.
[20]    Kindhäuser/Hilgendorf, in: LPK-StGB, § 114 Rn. 2.
[21]    Schermaul, JuS 2019, 663 (664).
[22]    Dem OLG Hamm zustimmend BayObLG, Beschl. v. 8.10.2019 – 204 StRR 1971/19 bei Kulhanek, NStZ-RR 2020, 39 (40).
[23]    Vgl. etwa LG Nürnberg-Fürth, NStZ-RR 2020, 39.
[24]    Magnus, GA 2017, 530 (534).
[25]    Ebenso Busch/Singelnstein, NStZ 2018, 510 (512).
[26]    Vgl. nur Fischer, StGB, § 32 Rn. 5.
[27]    Mit weiteren Nachweisen Erb, in: MüKo-StGB, 3. Aufl. (2017), § 32 Rn. 36.
[28]    Vgl. etwa Wolters, in: SK-StGB, § 114 Rn. 2: Körperliche Unversehrtheit.
[29]    Vgl. etwa Fischer, § 114 Rn. 2.
[30]    Puschke/Rienhoff, JZ 2017, 924 (929); Zöller, KriPoZ 2017, 143 (147); Busch/Singelnstein, NStZ 2018, 510 (512 f.); Bleckat, ZAP 2019, 1207 (1209).
[31]    Kindhäuser/Schramm, Strafrecht – Besonderer Teil I, 9. Aufl. (2019), Rn. 58.
[32]    Fischer, StGB, § 114 Rn. 2: „Individualschutz der Amtsträger“; vgl. auch Eser, in: Schönke/Schröder, § 114 Rn. 1; Schermaul, JuS 2019, 663.
[33]    OLG Hamm, Beschl. v. 12.2.2019 – III-4 RVs 9/19 –, juris, Rn. 18.
[34]    Barton, in: Hilgendorf/Kudlich/Valerius, § 20 Rn. 85.
[35]    Fischer, StGB, § 114 Rn. 2.
[36]    Wolters, in: SK-StGB, § 114 Rn. 2.
[37]    Satzger, in: FS Neumann, S. 1161 (1169); Fischer, StGB, § 114 Rn. 5; Eser, in: Schönke/Schröder, § 114 Rn. 4; Wolters, in: SK-StGB, § 114 Rn. 2; Heger, in: Lackner/Kühl, § 114 Rn. 2; Kindhäuser/Hilgendorf, LPK-StGB, § 114 Rn. 2; Schermaul, JuS 2019, 663.
[38]    Eser, in: Schönke/Schröder, § 114 Rn. 4.
[39]    BT-Drs. 18/11161, S. 1 und 9.
[40]    BT-Drs. 18/11161, S. 8.
[41]    Duden – Das Synonymwörterbuch, 7. Aufl. (2019), Stichwort „Respekt“.
[42]    Vgl. nur Barton, in: Hilgendorf/Kudlich/Valerius, § 12 Rn. 16.
[43]    Vgl. auch dazu nur Barton, in: Hilgendorf/Kudlich/Valerius, § 12 Rn. 15.
[44]    Fischer, StGB, § 114 Rn. 2.
[45]    Wolters, in: SK-StGB, § 114 Rn. 2.
[46]    Ähnlich Satzger, in: FS Neumann, S. 1161 (1179): Anknüpfung an das „bloße ‚So-Sein’“.
[47]    So auch Puschke/Rienhoff, JZ 2017, 924 (929); Busch/Singelnstein, NStZ 2018, 510 (512).
[48]    Prittwitz, KriPoZ 2018, 44 (46).
[49]    Von einer „ungeschickten systematischen Verortung“ sprechen auch König/Müller, ZIS 2018, 96 (102).
[50]    Vgl. dazu Satzger in: FS Neumann, S. 1161 (1173); Zöller, ZIS 2015, 445 (451); vgl. auch Prittwitz, KriPoZ 2018, 44 (46) und Braun, DPolBl 2016, 9 (10); a.A. wohl Bleckat, ZAP 1207 (1208).
[51]    Magnus, GA 2017, 530 (531).
[52]    Magnus, GA 2017, 530 (535).
[53]    Andersherum König/Müller, ZIS 2018, 96 (101).

 

 

 

Schreiben Sie einen Kommentar

Durch Abschicken des Formulares wird dein Name, E-Mail-Adresse und eingegebene Text in der Datenbank gespeichert. Für weitere Informationen lesen Sie bitte unsere Datenschutzerklärung.

Unsere Webseite verwendet sog. Cookies. Durch die weitere Verwendung stimmen Sie der Nutzung von Cookies zu. Informationen zum Datenschutz

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen.
Wenn Sie diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwenden oder auf "Akzeptieren" klicken, erklären Sie sich damit einverstanden.

Weitere Informationen zum Datenschutz entnehmen Sie bitte unserer Datenschutzerklärung. Hier können Sie der Verwendung von Cookies auch widersprechen.

Schließen