von Prof. Dr. Anne Schneider, LL.M.
Abstract
Der Gesetzgeber hat 2020 den Versuch des sexuellen Missbrauchs von Kindern in Form von Cybergrooming unter Strafe gestellt, allerdings nur für den Fall, dass der Täter nicht mit einem Kind, sondern einem Erwachsenen kommuniziert. Die Strafbarkeit allein des beendeten untauglichen Versuchs von § 176 Abs. 4 Nr. 3 StGB ist ein Novum im deutschen Strafrecht. Der Beitrag zeigt, dass sie weder europarechtlich oder völkerrechtlich geboten ist, noch mit Blick auf die deutsche Dogmatik in der bestehenden Form legitimiert werden kann.
In 2020, the legislator criminalized the attempt of cybergrooming in cases in which criminal liability failed because the perpetrator did not communicate with a child. The introduction of criminal liability only for ineffectual attempts of a crime, i.e. attempts that could never lead to success, is a novelty in German criminal law. The article shows that neither European Law nor International Law require the criminal liability of an attempted violation of § 176 para. 4 No. 3 German Criminal Code. Nor can the new law be justified in the light of criminal law doctrine.
I. Einleitung
„Hoffe, bin nicht zu alt (Oliver45)“, „Guten Tag, Hi, mag jüngere (Ruhrgebietler53)“, „Willst du mal was aufregendes sehen (Stefan1991)“ und „Bist du noch Jungfrau (Anaconda33)“ waren einige der Chatanfragen, die Ermittler des BKA innerhalb von vier Minuten erhielten, als sie sich mit dem Profil eines 13-jährigen Mädchens in einem Chatroom anmeldeten.[1] Der kurze Zeitraum, in dem dieses Stichprobe gesammelt wurde, lässt vermuten, dass entsprechende Chatverläufe in Deutschland an der Tagesordnung sind.[2] Der Gesetzgeber hat schon vor einiger Zeit darauf reagiert und das sog. Cybergrooming unter Strafe gestellt.
II. Strafbarkeit von Cybergrooming
Unter Cybergrooming versteht man die Anbahnung von Kontakten zu Kindern über das Internet zur Vorbereitung von sexuellem Missbrauch.[3] Im deutschen Strafrecht findet sich eine entsprechende Strafbarkeitsregelung in § 176 StGB, der allgemein den sexuellen Missbrauch von Kindern regelt. Dabei ist die Regelung u.a. auf das Übereinkommen des Europarats zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch (sog. Lanzarote-Übereinkommen)[4] und die Richtlinie 2011/93/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern sowie der Kinderpornografie sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2004/68/JI des Rates[5] zurückzuführen.
Gem. § 176 Abs. 4 Nr. 3 StGB ist strafbar, wer „auf ein Kind mittels Schriften (§ 11 Absatz 3) oder mittels Informations- oder Kommunikationstechnologie einwirkt“, um das Kind zu sexuellen Handlungen zu bringen oder bestimmte kinderpornographische Straftaten zu begehen. Die Einwirkung darf dabei nicht rein mündlich sein, sondern muss mittels Schriften oder mittels Informations- und Kommunikationstechnologie geschehen, die vom Kind auch wahrgenommen werden müssen.[6] Das Einwirken mit pornographischen Inhalten wird bereits von § 176 Abs. 4 Nr. 4 StGB erfasst, so dass Nr. 3 sich v.a. auf nicht-pornographische Inhalte bezieht. So werden auch Chatnachrichten wie „Hi. Lust zu chatten, bin 35“ oder „Bin 17, noch ok?“[7] vom Begriff des Einwirkens erfasst, sofern der Täter die entsprechende Absicht und sein Tatverhalten die notwendige Intensität aufweist.
Ob sich die Absicht des Täters verwirklicht oder zumindest eine entsprechende Gefahr besteht, spielt für die Strafbarkeit keine Rolle.[8] Schon das Einwirken begründet nach Vorstellung des Gesetzgebers die Gefahr, dass es zu einem Treffen zwischen dem Kind und dem Täter kommen könnte, bei dem die sexuelle Selbstbestimmung des Kindes beeinträchtigt wird. Es handelt sich daher um ein abstraktes Gefährdungsdelikt.[9] Damit wird die Strafbarkeit sehr weit nach vorne verlagert.[10] Dem hatte der Gesetzgeber Rechnung getragen, indem er für die Fälle des § 176 Abs. 4 Nr. 3 und Nr. 4 StGB ursprünglich keine Versuchsstrafbarkeit angeordnet hatte (s. § 176 Abs. 6 StGB).[11]
III. Einführung der Versuchsstrafbarkeit
Dies hat sich nunmehr geändert. Im Herbst letzten Jahres hatte die Bundesregierung einen Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem unter bestimmten Voraussetzungen auch der Versuch des Cybergroomings nach § 176 Abs. 4 Nr. 3 StGB strafbar sein sollte.[12] Dieser ist am 13. März 2020 in Kraft getreten.[13]
1. Inhalt der Neuregelung
Danach wurde § 176 Abs. 6 StGB, der die Versuchsstrafbarkeit enthält, wie folgt neu gefasst:
(6) Der Versuch ist strafbar; dies gilt nicht für Taten nach Absatz 4 Nummer 4 und Absatz 5. Bei Taten nach Absatz 4 Nummer 3 ist der Versuch nur in den Fällen strafbar, in denen eine Vollendung der Tat allein daran scheitert, dass der Täter irrig annimmt, sein Einwirken beziehe sich auf ein Kind.
Hintergrund der Änderung ist, dass das Einwirken in bestimmten Fällen bis zur Neuregelung nicht strafbar war, nämlich immer dann, wenn der Täter tatsächlich nicht mit einem Kind kommuniziert, sondern mit einem Jugendlichen oder Erwachsenen.[14] In der Stichprobe des BKAs verwirklichten die entsprechenden Chatpartner schon deshalb nicht den Cybergrooming-Tatbestand, weil sie statt eines 13-jährigen Mädchens tatsächlich einen BKA-Ermittler adressierten. Den Ermittlern waren in solchen Fällen selbst dann die Hände gebunden, wenn es tatsächlich zu einer Verabredung zum Zweck der Anfertigung pornographischer Bilder kam.[15] Für diesen speziellen Fall, dass nämlich der Chatpartner nur scheinbar ein Kind ist, ist nun eine Versuchsstrafbarkeit eingeführt worden. Bestraft wird also der beendete untaugliche Versuch am untauglichen Tatobjekt.[16]
Dabei ist die Formulierung technisch allerdings wenig geglückt. Gem. § 176 Abs. 6 S. 2 StGB n.F. soll der Versuch nur strafbar sein, wenn die Vollendung an dem Irrtum des Täters scheitert. Die Vollendung scheitert aber in den vom Gesetzgeber gemeinten Fällen des Einwirkens auf ein sog. „Scheinkind“ nicht daran, dass sich der Täter irrt, sondern daran, dass der objektive Tatbestand nicht verwirklicht ist. Der Irrtum des Täters ist – wie immer beim Versuch – Voraussetzung für die Versuchsstrafbarkeit. Eine andere Formulierung wäre daher besser gewesen.[17]
Ungenau ist die Formulierung auch deshalb, weil sie nicht zwingend nur den Fall erfasst, dass der Täter mit einer Person chattet, die er oder sie für unter 14 Jahre alt hält, die aber tatsächlich kein Kind ist. Denkbar wäre es auch, dass der Täter mit einer 15-jährigen Person chattet, deren Alter er kennt, aber irrig davon ausgeht, es handele sich bei 15-jährigen noch um Kinder. Ein solcher Subsumtionsfehler belastet den Täter normalerweise nicht; es handelt sich um ein Wahndelikt. Der Wortlaut der Neuregelung umfasst aber auch diese Konstellation.
2. Kritik im Gesetzgebungsverfahren
In den Stellungnahmen zum Referentenentwurf und zum späteren Gesetzentwurf wurde die Regelung, die unverändert in Kraft getreten ist, – wie meistens – unterschiedlich beurteilt. Ein Großteil der Stellungnahmen begrüßt die Neuregelung ausdrücklich als wichtigen Schritt auf dem Weg zur Bekämpfung des Cybergroomings.[18] Zum Teil wird die Regelung allerdings als nicht weitgehend genug angesehen und die Ausdehnung auf alle Fälle der Nr. 3 gefordert. Es erscheine widersprüchlich, nur den untauglichen Versuch zu bestrafen, den tauglichen jedoch straflos zu lassen.[19] Zudem wird die Erweiterung auf § 176 Abs. 3 Nr. 4 StGB gefordert.[20] Teilweise wird die Altersgrenze von 14 Jahren für den Fall des Cybergroomings für zu niedrig gehalten und eine Erhöhung auf Jugendliche unter 16[21] oder 18[22] Jahren bzw. eine flexible Regelung[23] vorgeschlagen. Auch würden völker- und europarechtliche Vorgaben eine weitergehende Regelung erfordern.[24]
Kritiker des Entwurfes verwiesen darauf, dass mit einer solchen Regelung die Versuchsstrafbarkeit einer Handlung im Vorbereitungsstadium eingeführt werde, mithin die Strafbarkeit weit vorverlagert würde.[25] Dies gelte erst Recht für die von einigen Sachverständigen und vom Bundesrat vorgeschlagenen Erweiterungen auf alle Fälle des Versuchs und Nr. 4.[26] Ein unmittelbares Ansetzen zum Einwirken sei zudem nur schwer zu fassen.[27] Außerdem sei die Formulierung des Entwurfes nicht gelungen.[28] Bezweifelt wird auch, dass eine Neuregelung zur Verbesserung der Strafverfolgung notwendig sei.[29] Diesem Zweck könne außerdem mit anderen Mitteln genüge getan werden.[30]
Es zeigt sich also, dass die Regelung von den einen als zu weitgehend, von anderen als nicht weit genug bewertet wird. Derartig unterschiedliche Stellungnahmen sind im Gesetzgebungsverfahren nicht ungewöhnlich, weil häufig gezielt Organisationen zur Stellungnahme aufgefordert werden, die bestimmte konträre Interessen vertreten. In diesem Spannungsverhältnis kann die Rechtswissenschaft, die von solchen Partikularinteressen im Grunde frei ist, eine zumindest neutralere Perspektive vermitteln. Im Folgenden soll daher die Einführung einer Versuchsstrafbarkeit von Cybergrooming unter Berücksichtigung einiger der im Gesetzgebungsverfahren genannten Kritikpunkte kritisch beleuchtet werden, wobei der Grundtatbestand des § 176 Abs. 4 Nr. 3 StGB als solcher nicht hinterfragt werden soll.[31]
IV. Völker- und europarechtliche Notwendigkeit
Zuerst stellt sich die Frage, ob höherrangiges Recht die Regelung einer Versuchsstrafbarkeit erfordert. Wäre dies der Fall, wäre der Umfang einer solchen Verpflichtung bei der Regelung zu berücksichtigen. Eine Pflicht zur Einführung einer Versuchsstrafbarkeit von Cybergrooming könnte sich aus dem Lanzarote-Übereinkommen sowie aus der Richtlinie 2011/93/EU ergeben.
1. Lanzarote-Übereinkommen
Das Übereinkommen des Europarats wurde von Deutschland am 18.11.2015 ratifiziert.[32] Die Strafbarkeit des Cybergroomings ist in Art. 23 des Übereinkommens geregelt.[33] Danach ist es strafbar, einem Kind ein Treffen in der Absicht vorzuschlagen, dieses sexuell zu missbrauchen oder für pornographische Zwecke einzuspannen, wenn auf den Vorschlag hin zu einem Treffen hinführende „konkrete Handlungen“ vorgenommen werden. § 176 Abs. 4 Nr. 3 StGB entspricht diesen Anforderungen im Wesentlichen. Zu Recht weist der Deutsche Juristinnenbund allerdings darauf hin, dass „einwirken“ und „ein Treffen vorschlagen“ nicht dasselbe ist.[34] Diesem Einwand ließe sich jedoch über eine völkerrechtsfreundliche Auslegung des Begriffs des „Einwirkens“ Rechnung tragen. Gem. Art. 24 Abs. 2 des Übereinkommens muss grds. auch der Versuch der darin enthaltenen Delikte unter Strafe gestellt werden. Für Fälle u.a. des Art. 23 erlaubt Art. 24 Abs. 2 jedoch eine Ausnahme: Jeder Vertragsstaat kann sich vorbehalten, den Versuch bestimmter Delikte nicht unter Strafe zu stellen. Die Bundesrepublik Deutschland hat mit Blick auf die weite Vorverlagerung der Strafbarkeit in § 176 Abs. 4 Nr. 3 StGB von diesem Recht Gebrauch gemacht.[35] Aus dem Lanzarote-Übereinkommen ergibt sich somit keine Pflicht, den Versuch des Cybergroomings zu bestrafen.
2. Richtlinie 2011/93/EU
Art. 6 Richtlinie 2011/93/EU enthält eine Vorschrift zur Strafbarkeit der Kontaktaufnahme zu Kindern für sexuelle Zwecke. Art. 6 Abs. 1 ist dabei Art. 23 des Lanzarote-Übereinkommens nachgebildet, was in den englischen und französischen Sprachfassungen der Richtlinie deutlicher zum Ausdruck kommt. Eine Regelung zur Versuchsstrafbarkeit findet sich in Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie. Dieser lautet:
(2) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass der Versuch eines Erwachsenen, mit Mitteln der Informations- und Kommunikationstechnologie Straftaten gemäß Artikel 5 Absatz 2 und 3 zu begehen, indem er Kontakt zu einem Kind, das das Alter der sexuellen Mündigkeit noch nicht erreicht hat, aufnimmt, um kinderpornografische Darstellungen dieses Kindes zu erhalten, strafbar ist.
Fraglich ist, ob sich aus dieser Regelung die Notwendigkeit der Strafbarkeit des Versuchs von Cybergrooming ergibt. Der Wortlaut der Regelung ist sperrig.[36] Der Versuch des Erwachsenen muss sich auf die Begehung der Straftaten aus Art. 5 Abs. 2 und 3 mit Mitteln der Informations- und Kommunikationstechnologie beziehen, d.h. auf den Erwerb oder Besitz und den bewussten Zugriff auf Kinderpornographie. Dies muss geschehen, indem der Täter Kontakt zu einem Kind aufnimmt in der Absicht, von diesem Kind kinderpornographische Darstellungen zu erhalten. Bestraft werden soll also nicht der Versuch des Kontaktes zu dem Kind, sondern der Versuch des Besitzes von Kinderpornographie durch die Kontaktaufnahme mit dem Kind.[37] Ein Blick in andere Sprachfassungen bestätigt dieses Ergebnis.[38]
Unklar bleibt, ob tatsächlich ein Versuch der in Art. 5 Abs. 2 und 3 enthaltenen Delikte vorliegen muss, also zu diesen unmittelbar angesetzt worden sein muss, oder ob bereits die Kontaktaufnahme als solche unter Strafe steht. Für letzteres spricht die Systematik der Richtlinie: Während die allgemeine Versuchsstrafbarkeit in Art. 7 Abs. 2 enthalten ist, betrifft Art. 6 Abs. 1 den Vorschlag eines Treffens in der Absicht, bestimmte Straftaten zu begehen, ohne dass diese versucht sein müssen. Es ist daher überzeugender, wenn bei Art. 6 Abs. 2 ebenfalls die Kontaktaufnahme als solche unter Strafe gestellt werden soll. Der Bezug zu den kinderpornographischen Delikten wird dann durch den subjektiven Tatbestand hergestellt. Nach diesem Muster ist auch die deutsche Regelung aufgebaut. Allerdings ist klargestellt, dass nur die Kontaktaufnahme zu einem Kind strafbar ist, nicht die zu einem Erwachsenen. Da der Versuch sich nicht auf die Kontaktaufnahme bezieht, ergibt sich aus der Richtlinie keine Pflicht, das Einwirken auf ein „Scheinkind“ unter Strafe zu stellen.[39]
Die Regelung der Versuchsstrafbarkeit könnte jedoch aus einem anderen Grund europarechtlich geboten sein. Der deutsche Gesetzgeber hat in § 176 Abs. 4 Nr. 3 StGB eine andere Tatbeschreibung gewählt als der europäische, nämlich „einwirken“ statt „ein Treffen vorschlagen“ (Art. 6 Abs. 1, Art. 23 Lanzarote-Übereinkommen) und „Kontakt aufnehmen“. Der Gesetzgeber hat diesen Begriff aus § 180b StGB a.F. übernommen.[40]
Unter Einwirkung werden alle Formen der intellektuellen Beeinflussung tiefergehender Art gefasst.[41] Als Mittel kommen wiederholtes Drängen, Überreden, Versprechungen, Wecken von Neugier, Einsatz von Autorität, Täuschung, Einschüchterung, Drohung und auch Gewalteinwirkung in Betracht.[42] Die Bandbreite des möglichen Verhaltens des Täters ist groß. Das Merkmal des Einwirkens erfordert danach eine gewisse Hartnäckigkeit seitens des Täters.[43] So wurde z.B. der Versand eines pornographischen Fotos für sich genommen nicht als „Einwirken“ angesehen.[44] Dasselbe müsste für ein einfaches „hi“ zur Einleitung eines Chats gelten.
Hierbei handelt es sich allerdings schon um eine Kontaktaufnahme, die, wenn sie in bestimmter Absicht erfolgt, nach Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie bestraft werden soll. Eine Versuchsstrafbarkeit könnte diese Schwierigkeiten umgehen, wenn ein unmittelbares Ansetzen zum Einwirken, das bei erster Kontaktaufnahme vorliegt, genügen würde. Allerdings setzt dies voraus, dass tatsächlich jede Kontaktaufnahme zu einem Kind unter den Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie strafbar sein soll. Dies muss durch Auslegung ermittelt werden.
EU-Richtlinien sind in allen Amtssprachen gleichermaßen verbindlich, weshalb der Wortlaut unter Zuhilfenahme aller Sprachfassungen zu ermitteln ist. Die anderen Sprachfassungen verwenden allerdings zum Teil kein neutrales Verb wie „Kontaktaufnahme“, sondern Ausdrücke wie „Werben, Umgarnen“[45] oder „Bedrängen“[46]. Andere wiederum sind ähnlich wie die deutsche wertneutral formuliert.[47] Nach dem Wortlaut sind also sowohl eine extensive als auch eine restriktive Deutung zulässig.
Die Gesetzgebungshistorie gibt nicht viel her. Art. 6 Abs. 2 ist auf einen Vorschlag des Rechtsausschusses zurückzuführen, auf den sich Parlament und Rat ohne größere Diskussion verständigt haben. Deutlich wird aber, dass die Vorschrift die Strafbarkeit des Cybergroomings postulieren soll.[48]
In systematischer Hinsicht ist der Vergleich zu Art. 6 Abs. 1 relevant. Hiernach ist der Vorschlag eines Treffens nur strafbar, wenn bereits auf ein Treffen hinwirkende Schritte unternommen wurden. Wäre in Art. 6 Abs. 2 jede Kontaktaufnahme strafbar, dann würde derjenige eher bestraft, der das Kind zu kinderpornographischen Posen bewegen will (Art. 5 Abs. 3), als der, der das Kind bei dem Treffen sexuell missbrauchen möchte (Art. 3 Abs. 4). Dies verträgt sich nicht mit dem unterschiedlichen Strafmaß, das die Richtlinie für beide Verstöße vorsieht. Die Systematik spricht daher für eine restriktive Auslegung des Begriffs der Kontaktaufnahme.
Beim Zweck der Regelung ist zu berücksichtigen, dass der EU-Gesetzgeber das Cybergrooming wegen der damit verbundenen Gefahr für die Kinder verbieten möchte (vgl. Erwägungsgrund 19). Cybergrooming wird dadurch gekennzeichnet, dass der Täter eine Beziehung zu dem Opfer aufbaut und diese missbraucht.[49] Die Gefährlichkeit entsteht daher durch mehrfache Kontaktaufnahme. Dann gibt es aber keinen Grund, bereits den Erstkontakt unter Strafe zu stellen. Auch dies spricht daher für eine restriktive Auslegung des Begriffs der „Kontaktaufnahme“.
Im Ergebnis erfordert die „Kontaktaufnahme“ daher eine gewisse Intensität, was der vom deutschen Gesetzgeber gewählte Begriff „Einwirken“ widerspiegelt. Es ist deshalb aus der Perspektive des Europarechts nicht erforderlich, das unmittelbare Ansetzen zum Einwirken unter Strafe zu stellen.
V. Bewertung der Neuregelung
Das Ziel der Regelung wird im Entwurf herausgestellt: Es müsse eine Strafbarkeitslücke geschlossen werden, weil das Verhalten des Täters, der tatsächlich mit einem Erwachsenen kommuniziere, genauso strafwürdig sei wie das desjenigen, der mit einem Kind kommuniziere.[50] In einem solchen Fall bestünde eine abstrakte Gefahr für den sexuellen Missbrauch von Kindern, da der Täter mit der Kommunikation eine Hemmschwelle überschritten habe.[51]
Im Folgenden soll überprüft werden, ob die vom Gesetzgeber gegebene Begründung die Neuregelung trägt. Dabei stellt sich vor allem die Frage, ob die Annahme zutrifft, die Kommunikation mit einem „Scheinkind“ begründe bereits die abstrakte Gefahr eines sexuellen Missbrauchs von Kindern. Auch aus verfassungsrechtlichen Gründen ist diese Frage wichtig: Als Verbotsnorm greift das Verbot des Cybergroomings in die allgemeine Handlungsfreiheit und, durch das Verbot bestimmter Kommunikationsinhalte, in das allgemeine Persönlichkeitsrecht ein.[52] Kommt es zu einer Verurteilung, sind hierdurch auch das Freiheits- und Eigentumsrecht betroffen. Rechtfertigen lässt sich diese Regelung nur dann, wenn sie verhältnismäßig ist, also einem legitimen Regelungszweck folgt, der im Strafrecht typischerweise im Schutz bestimmter Allgemein- oder Individualinteressen liegt, und zur Verfolgung dieses Zwecks geeignet, erforderlich und angemessen ist.[53] Verfolgt die Regelung den Schutz der sexuellen Selbstbestimmung von Kindern, muss sie sich zu deren Schutz eignen. Dies wäre nicht der Fall, wenn ein völlig ungefährliches Verhalten untersagt würde.
Die Bewertung der Gefährlichkeit eines Verhaltens ist nicht einfach und lässt sich mit juristischen Methoden kaum erfassen. Nicht ohne Grund hat der Gesetzgeber bei der Einschätzung von Gefahren einen großen Entscheidungsspielraum.[54] Eine erste Annäherung kann jedoch der systematische Vergleich der Neuregelung mit dem sonstigen geltenden Recht bieten. Denn bei einer punktuellen Neuregelung gebietet es der Gedanke der Systemgerechtigkeit, dass sich diese in das bestehende Regelungssystem einfügen muss.[55] Die Neuregelung ist insbesondere deshalb auffällig, weil ausschließlich der beendete untaugliche Versuch strafbar sein soll. Außerdem stellt sich die Frage, ob es überzeugend ist, die Versuchsstrafbarkeit auf Fälle des § 176 Abs. 4 Nr. 3 StGB zu beschränken und Nr. 4 auszuklammern.[56]
Mit der Beschränkung der Versuchsstrafbarkeit auf einen speziellen Fall des beendeten untauglichen Versuchs, nämlich die Situation, dass der Täter nicht, wie gedacht, mit einem Kind, sondern mit einem Jugendlichen oder Erwachsenen kommuniziert, betritt der Gesetzgeber Neuland. In den Fällen, in denen auch der Versuch von Vorbereitungshandlungen strafbar ist (etwa in §§ 89a Abs. 2a i.V.m. 11 Abs. 1 Nr. 6, 265 Abs. 2 und 310 Abs. 1 Nr. 3, 4, Abs. 3 StGB), handelt es sich immer – jedenfalls auch – um taugliche Versuche. Es stellt sich daher die Frage, ob eine Regelung zur Strafbarkeit allein des untauglichen Versuchs des Cybergroomings mit dem Grund der Versuchsstrafbarkeit vereinbar ist. Dieser ist umstritten.
1. Grund der Versuchsstrafbarkeit
Einer Ansicht nach besteht der Grund für die Versuchsstrafbarkeit in der objektiven Gefährlichkeit für das durch die Strafnorm geschützte Rechtsgut (objektive Theorie).[57] Eine solche Gefahr fehlt jedoch in den Fällen des untauglichen Versuchs, weil der Täter die Rechtsgutsgefährdung gar nicht hätte herbeiführen können. Dies sieht man auch an der Neuregelung: Selbst wenn der Täter ein Treffen mit seinem Chatpartner arrangiert hätte, hätte dies nicht zu einem sexuellen Missbrauch von Kindern geführt, wenn der Chatpartner kein Kind ist. Auch wenn die objektive Theorie sich gut mit dem Gedanken des Rechtsgüterschutzes und des Erfolgsunrechts verträgt, liegt sie dem geltenden Recht ersichtlich nicht zu Grunde, da dieses in § 23 Abs. 3 StGB die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs voraussetzt.[58]
Das Gegenmodell ist die sog. subjektive Theorie, wonach der Versuch deshalb strafbar sein soll, weil der Täter seine rechtsfeindliche Gesinnung betätigt.[59] Danach wären alle Formen untauglicher Versuche zu bestrafen. Im Fall des Einwirkens auf ein Scheinkind liegt eine solche rechtsfeindliche Gesinnung vor und tritt auch nach außen hin durch den Chatvorgang zu Tage, so dass das Versuchsunrecht verwirklicht und damit ein strafbarer Versuch anzunehmen wäre. Allerdings kann auch diese Theorie nicht erklären, warum das Gericht beim „grob unverständigen Versuch“ von Strafe absehen kann (§ 23 Abs. 3 StGB).[60] Auch in diesen Fällen betätigt der Täter seine rechtsfeindliche Gesinnung.
Die h.M. begründet die Versuchsstrafbarkeit im geltenden Recht daher mit einer gemischt objektiv-subjektiven Theorie.[61] Neben die rechtsfeindliche Gesinnung des Täters, womit der Wille zur Tatbestandsverwirklichung gemeint ist, muss ein objektives Verhalten treten, das geeignet ist, das Vertrauen der Allgemeinheit in die Geltung der Rechtsordnung zu erschüttern.[62] In diese Richtung geht auch die Begründung der Neuregelung im Gesetzentwurf, in der zwar v.a. das vergleichbare Handlungsunrecht betont wird, aber auch eine abstrakte Gefährlichkeit der Tathandlung mit Blick auf andere Kinder angenommen wird.[63] Diese Theorie überzeugt, weil sie eine Erklärung dafür bietet, warum nicht bei jedem Straftatbestand eine Versuchsstrafbarkeit angeordnet ist. Das Ausmaß der Rechtserschütterung durch den Versuch ist der Indikator für dessen Strafbarkeit. Dies erklärt, warum der Versuch von Verbrechen immer strafbar ist, der von Vergehen hingegen nicht immer, denn der erschütternde Eindruck ist umso größer, je wichtiger die durch eine Strafnorm geschützten Rechtsgüter sind, was sich wiederum im Strafmaß niederschlägt.
2. Rechtserschütternder Eindruck durch Einwirkung auf ein „Scheinkind“
Es ist somit zu fragen, ob der untaugliche Versuch, auf ein „Scheinkind“ einzuwirken, geeignet ist, einen solchen rechtserschütternden Eindruck zu hinterlassen. Dieser kann sich in den vorliegenden Fällen daraus ergeben, dass die Vermutung besteht, dass ein Täter, der mit dem „Scheinkind“ auf diese Weise kommuniziert, wenig Hemmungen haben dürfte, dies auch mit echten Kindern zu tun.[64] Für diese Annahme spricht, dass es eine hohe Wahrscheinlichkeit gibt, dass Täter nicht nur mit einem Kind kommunizieren. Ermittlungen zeigen, dass die meisten Täter sich mit mehreren verschiedenen Kindern austauschen.[65] Hierdurch wird vermutlich die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass es zu einem Treffen oder zur Übersendung pornographischer Bilder kommt.[66] Gerade bei anonymen Internetkontakten ist der Aufwand sehr gering, den der Täter betreiben muss, um mit mehreren Kindern zu kommunizieren.[67] Typischerweise kennen sich Täter und Opfer in solchen Fällen nicht, so dass es keinen Grund zur Annahme gibt, dass der Täter das Opfer speziell ausgewählt hat. Zwar gibt es auch Fälle, in denen der Täter das Kind aus anderem Kontext kennt und mit diesem über das Internet kommuniziert.[68] Ein solcher Täter würde möglicherweise nicht mit fremden Kindern kommunizieren, weshalb das entsprechende Risiko gering wäre. Genauso wäre es aber denkbar, dass der Täter persönlich mit dem ihm bekannten Kind kommuniziert, was von § 176 Abs. 4 Nr. 3 StGB gar nicht erfasst wird. Diese Fälle stellen nicht den typischen Fall des Cybergroomings dar, der der Regelung zu Grunde liegt.[69] Zudem dürfte es in den Fällen, in denen der Täter mit einem bestimmten Kind kommunizieren möchte, selten dazu kommen, dass er ausschließlich auf ein „Scheinkind“ einwirkt. Häufig wird in diesen Fällen der Chat von einem Erwachsenen übernommen und weitergeführt, so dass es zumindest eine Anfangskommunikation gibt, die als Einwirken gewertet werden kann.[70] Wegen der großen Wiederholungsgefahr ist bereits der Versuch einer Einwirkung geeignet, die Geltung der Norm des § 176 Abs. 4 Nr. 3 StGB zu beeinträchtigen.
Zusätzlich zu dem durch Wiederholungsgefahr bestehenden rechtserschütternden Eindruck ist die Kommunikation mit einem „Scheinkind“ auch aus einem anderen Grund gefährlich. Der Täter übt mit dem Einwirken auf ein Scheinkind zugleich die Kommunikation mit echten Kindern.[71] Da Einwirken typischerweise ein längerer Prozess ist, der aus dem Hin- und Herschreiben von Nachrichten besteht, muss der Täter jedes Mal von neuem überlegen, wie er seine Botschaften formuliert, um sein Gegenüber nicht zu verschrecken, aber gleichzeitig auf den sexuellen Missbrauch oder die Kinderpornographie hinzuführen. Der Täter trainiert somit sein Konzept.[72] Je häufiger der Täter dies übt, desto leichter dürfte es ihm fallen, die Kommunikation am Laufen zu halten. Bei Kommunikation gilt allgemein „Übung macht den Meister“, was sich auch Ratgeber zum Ansprechen von potentiellen Partnern oder auch „Pick-Up-Artists“ zunutze machen. Dabei spielt es für den Übungseffekt keine Rolle, ob tatsächlich ein Kind oder ein Erwachsener kommuniziert, solange dieser auf die Kommunikationsbestrebungen eingeht.
Zu überlegen ist außerdem, ob sich die Rechtsprechung zur „motivationalen Selbstbindung“ bei § 30 Abs. 2 Var. 1 StGB auf den untauglichen Versuch des Einwirkens übertragen lässt.[73] In dem vom BGH entschiedenen Fall hatte sich der Täter zur Tötung des Opfers bereiterklärt, zu der es dann nicht kam. Fraglich war, ob auch die Erklärung ggü. dem Opfer als „Sich-Bereiterklären“ zu werten war. Der BGH bejahte dies mit der Begründung, dass auch eine solche Erklärung geeignet sei, eine – für das Opfer gefährliche – Selbstbindung des Täters hervorzurufen.[74] Dies gelte jedenfalls dann, wenn „[…] [des Opfers] Zustimmung oder sonstige Mitwirkung nach der Vorstellung des Täters die Tatausführung ermöglicht und der Täter mit seiner Erklärung auf die Herbeiführung dieser Zustimmung oder sonstigen Mitwirkung abzielt.“[75] Zwar ist das Einwirken bei § 176 Abs. 4 Nr. 3 StGB deutlich weiter zu verstehen als das Sich-Bereiterklären im Sinne des § 30 Abs. 2 StGB. Die Vorschrift erfasst aber auch entsprechende Fälle. Teilt der Täter etwa dem Kind mit, er würde auch gerne mit dem Kind kuscheln oder das Kind streicheln, erklärt er hiermit seine Bereitschaft, sexuelle Handlungen an dem Kind vorzunehmen (§ 176 Abs. 1 StGB). Wie beim vom BGH entschiedenen Fall des Mordes ist die Einwilligung des Opfers unwirksam. Dennoch ist die Mitwirkung des Opfers aus Sicht des Täters erforderlich und soll durch die Einwirkung herbeigeführt werden. Es ist nicht fernliegend, dass ein Täter, der beispielsweise selbst ein Treffen mit dem Kind vorgeschlagen hat, um sich diesem sexuell zu nähern, sich verpflichtet fühlt, das Treffen zustande kommen zu lassen, wenn das Kind zugestimmt hat – etwa aus Angst, dieses nicht zu enttäuschen. Bei etlichen Tätern von Cybergrooming lässt sich die Motivation feststellen, eine echte Liebesbeziehung zu dem Kind aufzubauen.[76] Bei diesen Tätern kommt daher eine solche motivationale Selbstbindung in Betracht.
Im Ergebnis führen die bei Cybergrooming bestehende erhebliche Wiederholungsgefahr, der Trainingseffekt durch zweiseitige Kommunikation und die motivationale Selbstbindung des Täters dazu, dass eine Versuchsstrafbarkeit bei Cybergrooming im Grundsatz noch zu legitimieren ist.
3. Umfang der Versuchsstrafbarkeit
Fraglich ist allerdings, ob die Beschränkung der Versuchsstrafbarkeit auf das Einwirken auf ein Scheinkind vor diesem Hintergrund überzeugt. Geht man davon aus, dass die Versuchsstrafbarkeit wegen der großen Wiederholungsgefahr des Normbruchs angezeigt ist, ist nicht ersichtlich, warum nur untaugliche Versuche strafbar sein sollten, nicht aber Fälle, in denen das Einwirken bspw. aus technischen Gründen scheitert.[77] Schon das unmittelbare Ansetzen zum Einwirken begründet den Normbruch. In solchen Fällen, in denen noch nicht einmal eine Kommunikation zu Stande kommt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass andere Kinder angeschrieben werden, sogar noch größer, als wenn ein Erwachsener sich als Kind ausgibt und antwortet. Zudem ist nicht ersichtlich, warum in § 176 Abs. 4 Nr. 4 StGB keine Versuchsstrafbarkeit vorgesehen ist, wenn es auf die Wiederholungsgefahr ankommt. Täter, die mit pornographischen Inhalten auf Kinder einwirken, dürften dies ebenso häufig bei einer großen Zahl von Personen versuchen. Dies gilt zumindest für den Fall der Internetkommunikation.
Ganz anders ist dies mit dem Trainingseffekt. Dieser kommt nur dann zum Tragen, wenn die Einwirkungsbemühungen des Täters kommunikativ erwidert werden. Erst durch das Hin- und Herschreiben entwickelt der Täter ein größeres Gespür dafür, welche Kommunikation wann angebracht ist. Ein unmittelbares Ansetzen zum Einwirken hat diesen Effekt hingegen nicht. Dies spricht dafür, die Strafbarkeit nur für beendete Einwirkungsversuche anzunehmen, also solche, bei denen der Täter aus seiner Sicht alles für das Einwirken Erforderliche getan hat. Da-von wären die Scheinkind-Fälle erfasst, aber auch Fälle, in denen das Kind die Einwirkung in letzter Konsequenz nicht mitbekommen hat. Ein solcher Trainingseffekt zeigt sich auch bei Einwirkungen mittels pornographischer Inhalte. Auch hier muss der Täter sorgsam den Zeitpunkt wählen, an dem er den Inhalt „gefahrlos“ an das Kind schicken kann. Insoweit müsste auch bei Nr. 4 die Strafbarkeit des beendeten Versuchs vorgesehen werden. Stellt man auf eine motivationale Selbstbindung ab, kann diese grds. auch nur bei beendeter Einwirkung vorliegen. Allerdings müsste die Einwirkung so beschaffen sein, dass der Täter die Einwilligung des Opfers in einen sexuellen Missbrauch erhalten hat und sich dadurch gebunden fühlen könnte, den sexuellen Missbrauch tatsächlich durchzuführen. Eine solche Einschränkung findet sich im Wortlaut nicht wieder. Außerdem besteht das Risiko der motivationalen Selbstbindung darin, dass der Täter sich gebunden fühlen könnte, die Tat zu begehen. Beim Einwirken auf ein Scheinkind ist die Tatbegehung aber völlig ausgeschlossen, weil es an einem tauglichen Tatobjekt fehlt. Bei dieser Begründung müsste der untaugliche Versuch daher ausgenommen werden. Der Verzicht auf die Versuchsstrafbarkeit bei Nr. 4 lässt sich so hingegen begründen, weil Nr. 4 – anders als Nr. 3 – keine Absicht zur Begehung weiterer Straftaten voraussetzt und deshalb eine motivationale Selbstbindung des Täters keine Rolle spielt.
Im Ergebnis zeigt sich, dass die Beschränkung der Strafbarkeit auf den untauglichen Versuch nicht überzeugt. Legitimieren lässt sich allerdings die Beschränkung der Versuchsstrafbarkeit auf Fälle, in denen das Einwirken aus Sicht des Täters bereits beendet ist. Häufig wird es sich dabei um Fälle handeln, in denen es am tauglichen Tatobjekt fehlt, so dass die Neuregelung die praktisch bedeutsamen Fälle erfasst. Es gibt aber keinen Grund, denkbare Fälle des tauglichen beendeten Versuchs von der Strafbarkeit auszunehmen.
VI. Ergebnis
Das Gesetz zur Einführung einer Versuchsstrafbarkeit des Cybergroomings ist weder völker- noch europarechtlich erforderlich. Der Sache nach ist es gut gemeint, aber schlecht ausgeführt. In bestimmten Fällen weisen Täter, die mit „Scheinkindern“ kommunizieren, zwar ein erhöhtes Gefährdungspotential für echte Kinder auf, weshalb eine Bestrafung legitim sein kann. Mit der Beschränkung der Neuregelung auf untaugliche Versuche verlässt der Gesetzgeber allerdings grundlos die vertrauten Pfade der Strafrechtsdogmatik und schafft eine Regelung, die sich nicht bruchlos legitimieren lässt. Im Dunkeln bleibt hierbei v.a., worauf genau die Annahme von Gefährdungspotential gestützt wird. Schon die Legitimation des § 176 Abs. 4 Nr. 3 StGB wird aus diesem Grund in Zweifel gezogen.[78] Die Neuregelung verstärkt diese Zweifel noch.
[1] Kind, Stellungnahme des BKA zum Gesetzentwurf, S. 7. Alle Stellungnahmen zum Gesetzentwurf sind abrufbar unter: https://www.bundestag.de/ausschuesse/a06_Recht/anhoerungen_archiv/stellungnahmen-665970 (zuletzt abgerufen am 18.3.2020).
[2] Vgl. auch die Zitate aus Chat-Nachrichten in Großbritannien in Kloess/Hamilton-Giachritsis/Beech, Sexual Abuse 31 (2019), 73 (79 ff.).
[3] Eisele, in: FS Heinz, 2012, S. 697 (698).
[4] S. die dreisprachige Textfassung in BGBl. 2015 II, S. 26.
[5] ABl. 2011, L 335/1.
[6] Eisele, in: FS Heinz, 2012, S. 697 (699); Renzikowski, in: MüKo-StGB, 3. Aufl. (2017), § 176 Rn. 42.
[7] Kind, S. 7.
[8] Alexiou, Cyber-Grooming, 2018, S. 335; Renzikowski, in: MüKo-StGB, § 176 Rn. 42.
[9] Eisele, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 176 Rn. 1a; wohl auch Renzikowski, in MüKo-StGB, § 176 Rn. 6.
[10] Kritisch etwa Alexiou, S. 325 ff., die die Norm für verfassungswidrig hält, S. 338; D. Amelung/Funcke-Auffermann, StraFo 2004, 265 (267); Eisele, in: FS Heinz, 2012, S. 697 (701); Duttge/Hörnle/Renzikowski, NJW 2004, 1065 (1067 f.).
[11] BT-Drs. 15/350, S. 18.
[12] BT-Drs. 19/13836.
[13] BGBl. 2020 I, S. 431.
[14] BT-Drs. 19/13836, S. 9. Siehe auch Eisele, in: FS Heinz, 2012, S. 697 (700).
[15] Egetmeier, Stellungnahme Kriminaldirektion Freiburg zum Gesetzentwurf, S. 1.
[16] BT-Drs. 19/13836, S. 10.
[17] S. etwa den Vorschlag von Mitsch in einem Kommentar auf der Internetseite der KriPoZ, abrufbar unter: https://kripoz.de/2019/04/30/versuchsstrafbarkeit-des-cybergroomings/ (zuletzt abgerufen am 18.3.2020); Kriminalpolitischer Kreis (KriK), Stellungnahme, S. 2, abrufbar unter: https://kripoz.de/wp-content/uploads/2019/02/stellungnahme-krik-cybergrooming.pdf (zuletzt abgerufen am 18.3.2020).
[18] Brodowski, Stellungnahme zum Gesetzentwurf, S. 2 f.; Egetmeier, S. 1; Goger, Stellungnahme Generalstaatsanwaltschaft zum Gesetzentwurf, Zentralstelle Cybercrime, S. 2; Kind, S. 2; Weigend, Stellungnahme zum Gesetzentwurf, S. 4; Weiler, Stellungnahme Innocence in Danger zum Gesetzentwurf, S. 6; Deutsche Kinderhilfe, Stellungnahme zum Referentenentwurf, S. 1; Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendmedizin (DAKJ), Stellungnahme zum Referentenentwurf, S. 2; Bundeskoordinierung spezialisierter Fachberatung gegen sexualisierte Gewalt in Kindheit und Jugend (BKSF), Stellungnahme zum Referentenentwurf, S. 4; Deutscher Juristinnenbund (djb), Stellungnahme zum Referentenentwurf, S. 1 f; Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter (FSM), Stellungnahme zum Referentenentwurf, S. 2; Deutscher Richterbund (DRB),Stellungnahme zum Referentenentwurf, S. 1 f. Alle Stellungnahmen zum Referentenentwurf sind abrufbar unter: https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/DE/
Cybergrooming.html (zuletzt abgerufen am 18.3.2020). Siehe auch Drohsel, ZRP 2018, 213 (215).
[19] Fischer, Stellungnahme zum Gesetzentwurf, S. 3; Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drs. 19/13836, S. 14; Kriminologische Zentralstelle (KrimZ), Stellungnahme zum Gesetzentwurf, S. 4.
[20] Siehe die Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drs. 19/13836, S. 14; Goger, S. 2 f.; Kind, S. 3; djb, S. 2.
[21] Kind, S. 2 f.
[22] Deutsche Kinderhilfe, S. 1.
[23] BKSF, S. 5.
[24] BKSF, S. 3; djb, S. 2 f.; DAKJ, S. 3; a.A. Deutscher Anwaltsverein (DAV), Stellungnahme zum Referentenentwurf, S. 4; FSM, S. 4; Weigend, S. 2 f.
[25] Fischer, Stellungnahme, S. 2 f.; KriK, S. 2; Weigend, S. 3 f.; KrimZ, S. 3 f.; DAV, S. 5, 7 ff.; Dt. Strafverteidiger, Stellungnahme zum Referentenentwurf, S. 5 f.
[26] Weigend, S. 3 f.; BKSF, S. 4.; FSM, S. 4 f.
[27] KriK, S. 2; Weigend, S. 3 f.; siehe auch DAKJ, S. 2.
[28] Weigend, S. 4 f.
[29] Brodowski, S. 2; ähnlich DAV, S. 6 f.
[30] DAV, S. 10.
[31] Zur Kritik an § 176 Abs. 4 Nr. 3 StGB Alexiou, S. 323 ff. m.w.N.
[32] BGBl. 2015 II, S. 26.
[33] S. die englische Originalfassung: „Article 23 – Solicitation of children for sexual purposes: Each Party shall take the necessary legislative or other measures to criminalise the intentional proposal, through information and communication technologies, of an adult to meet a child who has not reached the age set in application of Article 18, paragraph 2, for the purpose of committing any of the offences established in accordance with Article 18, paragraph 1.a, or Article 20, paragraph 1.a, against him or her, where this proposal has been followed by material acts leading to such a meeting.“.
[34] djb, S. 2 f.
[35] S. die Informationen zum Vertrag auf https://www.coe.int
en/web/conventions/full-list/-/conventions/treaty/201 (zuletzt abgerufen am 18.3.2020).
[36] Ziemann/Ziethen, ZRP 2012, 168 (170 f.).
[37] So auch Ziemann/Ziethen, ZRP 2012, 168 (170 f.).
[38] S. etwa die englische und französische Fassung.
[39] So auch Ziemann/Ziethen, ZRP 2012, 168 (170).
[40] BT-Drs. 15/350, S. 18.
[41] Maurach/Schroeder/Maiwald/Hoyer/Momsen, Strafrecht BT I, 11. Aufl. (2019), § 20 Rn. 12; Eisele, in: FS Heinz, 2012, S. 697 (705 f.).
[42] Eisele, in: FS Heinz, 2012, S. 697 (706).
[43] OLG Hamm, MMR 2016, 425 (425); Alexiou, S. 335; Eisele, in: FS Heinz, 2012, S. 697 (705 f.).
[44] BGH, NStZ-RR 2015, 139 (140).
[45] „Embaucar“ (Spanisch), „adescare“ (Italienisch); „å hverve“ (Dänisch).
[46] „To solicit“ (Englisch), „solliciter“ (Französisch).
[47] „Att kontakta“ (Schwedisch), „benaderen“ (Niederländisch).
[48] S. die Diskussion zum Richtlinienvorschlag im Parlament, abrufbar unter http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?type=CRE&reference=20111026&secondRef=ITEM-015&language=EN (zuletzt abgerufen am 18.03.2020).
[49] S. Alexiou, S. 35 ff.; Bergmann/Baier, RPsych 2016, 172 (173).
[50] BT-Drs. 19/38136, S. 9.
[51] A.a.O.
[52] Vgl. Kaspar, Verhältnismäßigkeit und Grundrechtsschutz im Präventionsstrafrecht, 2014, S. 357 ff.
[53] Ausführlich Kaspar, S. 51 ff.
[54] S. auch für Vorbereitungsdelikte BGHSt 63, 161 Rn. 43.
[55] Hotz, Methodische Rechtsetzung, 1983, S. 186 ff.
[56] Kritisch die in Fn. 20 Genannten.
[57] In diese Richtung aus neuerer Zeit Hoffmann-Holland, in MüKo-StGB, § 22 Rn. 12 ff.; Zimmermann, JR 2018, 23 (23 ff.). Zur Entwicklung und vergangenen Vertretern Haas, ZStW 123 (2011), 226 (227 ff.); Hillenkamp, in LK-StGB, 12. Aufl. (2007), vor § 22 Rn. 90 ff.; Roxin, AT II, 2003, § 29 Rn. 25 ff.
[58] Vgl. aber Hoffmann-Holland, in MüKo-StGB, § 22 Rn. 12 ff.
[59] Siehe etwa BGHSt 11, 324 (327); Kühl, in Lackner/Kühl, 29. Aufl. (2018), § 22 Rn. 11; Hillenkamp, in LK-StGB, vor § 22 Rn. 66 ff.
[60] Siehe nur Eser/Bosch, in Schönke/Schröder, vor § 22 Rn. 21.
[61] Siehe etwa Kaspar, S. 411.; Eser/Bosch, in Schönke/Schröder, vor § 22 Rn. 22; Satzger, Jura 2013, 1017 (1024 f.).
[62] BT-Drs. 19/13836, S. 10.
[63] BT-Drs. 19/13836, S. 9.
[64] BT-Drs. 19/13836, S. 9. Hierauf weist auch Alexiou hin, S. 92 ff.
[65] DRB, S. 3. Siehe auch Alexiou, S. 140; Kloess/Hamilton-Giach-ritsis/Beech, Sexual Abuse 31 (2019), 73 (79 ff.).
[66] Siehe auch Alexiou, S. 92 f.
[67] Alexiou, S. 91 ff.; Kloess/Hamilton-Giachritsis/Beech, Sexual Abuse 31 (2019), 73 (74).
[68] So etwa in OLG Hamm, MMR 2016, 425 (425).
[69] S. auch Heger, in Lackner/Kühl, § 176 Rn. 4a.
[70] S. OLG Hamm, MMR 2016, 425 (425).
[71] S. zu diesem Täterverhalten Alexiou, S. 135 ff.; European Online Grooming Project, Final Report, S. 83 ff. (“adaptable type”), abrufbar unter: http://natcen.ac.uk/media/22514/european-online-grooming-projectfinalreport.pdf (zuletzt abgerufen am 18.3.2020).
[72] Siehe die Beispiele in Kloess/Hamilton-Giachritsis/Beech, Sexual Abuse 31 (2019), 73 (79 ff.).
[73] BGHSt 63, 161.
[74] BGHSt 63, 161 Rn. 30 ff.
[75] BGHSt 63, 161 Rn. 28.
[76] Siehe European Online Grooming Project, S. 81 ff. (“intimacy-seeking type“); Alexiou, S. 133 ff., 141 m.w.N.
[77] Fischer, Stellungnahme, S. 2 f.
[78] Siehe zur Kritik die in Fn. 10 Genannten.