Till Zimmermann: Das Unrecht der Korruption. Eine strafrechtliche Theorie

von Prof. Dr. Anja Schiemann

Beitrag als PDF Version 

2018, Nomos, ISBN: 978-3-8487-4144-1, S. 835, Euro 179,00.

Die umfangreiche Habilitation von Zimmermann macht es sich zur Aufgabe, eine Theorie des Unrechts der Korruption zu entwerfen. Der Autor stellt die These auf, dass das bisherige Fehlen einer solchen Theorie zumindest mitursächlich für die beklagte defizitäre Bestimmtheit der Korruptionsdelikte ist. Die Auslegungsschwierigkeiten begännen am denkbar frühesten Punkt, nämlich mit der Unklarheit über die Reichweite des Korruptionsbegriffs (S. 56). Den Ausgangspunkt bildet die Hypothese, dass die Korruptionsdelikte eine spezielle Deliktskategorie darstellen und eine spezifische, eigenständige Unrechtsstruktur aufweisen (S. 59).

Daher arbeitet der Verfasser im ersten Teil seiner Monographie diese Kern-Struktur der Korruption heraus. Auf Grundlage dessen wird ein abstrakter „Ur-Deliktstatbestand“ der Korruption entworfen. Dieser wird dann auf seine Ausweitungsmöglichkeiten und -grenzen hin untersucht. Im zweiten Teil werden die Erkenntnisse für konkrete Sachbereiche fruchtbar gemacht. Hilfreich ist, dass Zimmermann dem Leser durch ein Personen- und Sachverzeichnis die Suche im Werk erleichtert. Auch die Beispielsfälle können durch ein separates Verzeichnis schnell aufgefunden werden.

Ausgangspunkt der fundierten Untersuchung ist die Feststellung, dass fast alle der im strafrechtlichen Kontext vertretenen Korruptionsdefinitionen mangelhaft sind. Der Autor seziert alle Definitionen, um die Schwächen offen zu Tage treten zu lassen. Als „einigermaßen prämissenkonform“ bezeichnet er Modifikationen der Tauschtheorie, die die äußere Form des Korruptionsunrechts in dem regelwidrigen Tausch eines Vorteils gegen eine Entscheidung ansähen. Auch diese Ansätze versagten aber dann, wenn die Art des Unrechts sowie der Person des Opfers zu bestimmen sei.

Wegen der Schwächen dieser bisherigen Definitionsansätze nähert sich der Verfasser in einem weiteren Schritt von der Rechtsgutsdiskussion her – auch hier seien die Theorien zahlreich, aber wenig überzeugend. Dies macht er auf argumentativ sehr hohem Niveau deutlich für das Konstrukt eines Loyalitäts-, Nichtkäuflichkeits- und Unentgeltlichkeitsrechtsgut. Überzeugender findet Zimmermann dann schon die Vertrauensschutzlehre sowie das Postulat eines Rechtsguts der Entscheidungskorrektheit. Gegen eine solche Deutung spreche aber, dass das Vertrauen in ein System kein Schutzgut einer rationalen Strafnorm sein könne. Ausführlich wird sich dann der Inkorrektheitslehre mit ihrem Rechtsgut der Sachgerechtigkeit von Entscheidungen gewidmet. Verhinderungswürdig sei danach das Hervorrufen einer Fehlentscheidung bei der normgeleiteten Auflösung eines Interessenkonflikts zwischen verschiedenen Parteien. Hier käme ausschließlich den Regeln des jeweils betroffenen gesellschaftlichen Subsystems ein Votum über die Sachgerechtigkeit einer gekauften Entscheidung zu. Das Defizit dieser akzessorischen Inkorrektheitslehre bestünde aber darin, dass die Person des Korruptionsopfers nicht präzise bestimmt werden könnte. Die Figur des Korrumpierenden könne dogmatisch ebenfalls nicht eingebunden werden. Da den Autor keiner der vorgefundenen Rechtsgutsansätze überzeugt, folgt konsequent die Entwicklung einer eigenen Theorie des Korruptionsunrechts.

Für Zimmermann bilden zwei Elemente den Kern des Korruptionsunrechts: Die vorsätzliche Vornahme einer Fehlentscheidung (1.) bilde den Kern des Unrechts der Korruption (2.). Umgangssprachlich sei demnach folgende Definition anzuwenden: Korruption ist der (Ver-)Kauf einer unfair benachteiligenden Fehlentscheidung.

Diese Definition führt zu diversen dogmatischen Folgerungen: Theoretisch könne Korruption in fast allen gesellschaftlichen Subsystemen auftreten. Es käme für ihr Vorliegen nicht darauf an, ob ein bestochener Entscheidungsträger weisungsgebunden agiert oder weisungsfrei ist. Daher sei es grundsätzlich möglich, auch den Geschäftsherrn zu korrumpieren und zu bestrafen, sofern das jeweilige gesellschaftliche Subsystem bestimmte Entscheidungen als inkorrekt anerkennt. Das Unrecht der Korruption sei im Kern ein Verletzungs-Erfolgsunrecht. Materiell-rechtlich sei der Bestechende Anstifter und nicht (Mit-)Täter. Bei der durch Korruption beeinträchtigten Entscheidungskorrektheit handele es sich um ein Rahmenrechtsgut, dessen spezifischer Inhalt und dessen Träger für jeden Einzelfall gesondert anhand des Schutzzwecks zu bestimmen sei.

Korruptionsunrecht sei auch in Gestalt der Beeinträchtigung ausschließlich individueller Interessen möglich. In diesen Fällen könne aber das Tatopfer auch auf den Schutz durch das Recht verzichten. Dagegen sei Heimlichkeit kein Wesensmerkmal der Korruption. Daher könnten auch Leistungen an Dritte korruptionsrelevant sein. Entscheidend für den Eintritt des Unrechtserfolgs sei allein, ob der gegenüber dem Entscheidungsträger versprochene Zuwendungsvorgang jenen zu bestimmen geeignet sei. Allerdings verwirkliche nicht jede Bestechung das Korruptionsunrecht. Eine korruptionsrelevante Fehlentscheidung läge nämlich nur dann vor, wenn der Nehmer zur verbindlichen Entscheidung eines Interessenswiderstreits zwischen Dritten befugt sei. Diese Bedingung sei beim „Abkaufen“ des Ergebnisses eines intrapersonalen Interessenswiderstreits (etwa bei Prostitution) nicht gegeben. Auch verneint wird dies in Fällen, in denen der Geber den Nehmer mittels Vorteilszuwendung zu einer arbeitsrechtlichen Schlechtleistung zulasten des Prinzipals bestimmt (bspw. bei der Bestechung von Sportlern oder Trainer gem. §§ 265c, 265d StGB). Weiterhin ist der Autor der Ansicht, dass Erpressungs- und Korruptionsunrecht nicht in einem Exklusivitätsverhältnis stünden. Handele der von einem Entscheidungsträger zur Schmiergeldzahlung Gedrängte aber in einem Zustand des entschuldigenden Nötigungsnotstands, so läge mangels Kollusion kein Korruptionsunrecht vor.

Nach diesen dogmatischen Schlussfolgerungen widmet sich Zimmermann den Vor- und Sonderformen des Korruptionsunrechts. So seien die versuchte passive und die versuchte aktive Korruption dogmatisch-konstruktiv möglich. Denkbar sei auch der Fall der Verschwörung zur Korruption, die dogmatisch dem noch nicht realisierten Unrechtspakt zwischen präsumtivem Täter und Anstifter nach § 30 StGB entspräche. Dogmatisch ebenfalls möglich sei das Konstrukt eines Unrechts der Kettenanstiftung zur Korruption. Allerdings scheine der kriminalpolitische Nutzen eines solchen Straftatbestands zweifelhaft.

Daneben sei auch denkbar, eine Sanktionierung der Belohnungskorruption einzuführen, die einem Entscheidungsträger nachträglich einen Vorteil für die Herbeiführung einer inkorrekten Entscheidung gewährt. Der Autor sieht in einer solchen Konstruktion ein abstraktes Gefährdungsdelikt. Legitimationsgrundlage sei die nicht ganz unbegründete Erwägung, mit einer nachträglichen Belohnung sei die Gefahr verbunden, hierdurch den Anreiz zur künftigen Begehung ähnlicher Fehlentscheidungen zu setzen. Außerdem könne man über eine Sanktionierung der Gewährung von Vorteilen ohne unmittelbaren Bezug zu einer künftigen oder vergangenen inkorrekten Entscheidung (sog. Protokorruption) nachdenken. Die Gefährdung durch eine protokorruptive Zuwendung sei aber erst dann strafrechtlich signifikant, wenn der Geber mit Beeinflussungswillen gehandelt habe. Darüber hinaus sieht Zimmermann den Stimmhandel als strafwürdiges Verhalten an und kann sich ein solches Kumulationsgefährdungsdelikt vorstellen, sofern es bei Kollektiventscheidungen typischerweise an einem nachweisbaren Einfluss auf das Endergebnis fehlt bzw. unüberwindbare Nachweisschwierigkeiten zu erwarten seien.

Kriminalpolitisch diskutiert werden sollten die de lege ferenda Vorschläge des Verfassers. Der Korruptions-Mustertatbestand lautet wie folgt:

A Korruption (Vollendung und Versuch)

(1) Ein (zur Entscheidung eines Interessenwiderstreits Befugter), der durch das Versprechen oder die Gewährung eines Vorteils für sich oder einen Dritten zu (der Herbeiführung einer inkorrekten Vorzugsentscheidung) bestimmt worden ist (Bestechlichkeit), wird mit (…) sanktioniert.

(2) Wer einen (zur Entscheidung eines Interessenswiderstreits Befugten) durch das Versprechen oder die Gewährung eines Vorteils für diesen oder einen Dritten zu (der Herbeiführung einer inkorrekten Vorzugsentscheidung) bestimmt hat (Bestechung), wird (milder) (sanktioniert)“ (S. 465 f.).

Der Verfasser weist darauf hin, dass es sich keineswegs um einen gebrauchsfähigen Straftatbestand handelt, gerade in Beug auf die Klammern bestünde je nach „Einsatzgebiet“ abzustimmender Konkretisierungsbedarf. Es ist schade, dass sich nicht die Mühe gemacht wurde, diese konkreten Straftatbestände zu formulieren. Durch die „Vorläufigkeit“ ist hier vor einer gewissen Ausfüllungsbeliebigkeit zu warnen. Durch klar gefasste Straftatbestände hätte eine konkrete Entscheidungs- und Diskussionsgrundlage geschaffen werden können. So reiht sich in den weiter abzustimmenden und zu konkretisierenden Vorschlag auf S. 468 f. noch ein weiterer Korruptions-Mustertatbestand ein.

Kriminalpolitisch zurückhaltend diskutiert werden sollten meiner Meinung nach die von Zimmermann vorgeschlagenen Gefährdungstatbestände der Verschwörung zur Korruption (S. 469, 474) und dem Stimmhandel bzw. der Verschwörung zum Stimmhandel (S. 487). Auch wenn der Verfasser hier konsequent das umsetzt, was das Ergebnis seiner Definition des Korruptionsunrechts ist, so ist doch die Vorfeldkriminalisierung gerade auch im Hinblick auf fehlende Kausalitäten und die Schwierigkeit des Nachweises eines vom Autor konstatierten „Beeinflussungswillens“ mit Vorsicht zu betrachten.

Daneben konstruiert der Verfasser den korruptiven Einflusshandel (S. 491), die Belohnungskorruption (S. 501) sowie die Protokorruption (S. 536). Insgesamt wird betont, dass die Normarchitektur sämtlicher Modelltatbestände so ausgestaltet ist, dass innerhalb eines Modellparagrafen eine separate Erfassung von aktiver und passiver Seite erfolgen kann.

Die Habilitation bietet nicht nur eine umfassende Abhandlung aller theoretischen Diskussionen und Fundierungen des Korruptionsunrechts. Sie bietet auch eine dezidierte, argumentativ überzeugende Kritik am Korruptions-Kernstrafrecht de lege lata. Durch die de lege ferenda Vorschläge bleibt die Habilitation nicht nur umfangreiches Nachschlagewerk mit sehr dezidiertem Literaturverzeichnis, sondern transportiert die Theorie in eine kriminalpolitische, zukunftsorientierte Neuausrichtung des Korruptionsstrafrechts. Zimmermann ist hier großzügig, was zu bestrafendes Unrecht der Korruption sein könnte. Gerade die Vorfeldkriminalisierungen sind hier in kritischer Diskussion zu überprüfen.

 

 

 

Unsere Webseite verwendet sog. Cookies. Durch die weitere Verwendung stimmen Sie der Nutzung von Cookies zu. Informationen zum Datenschutz

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen.
Wenn Sie diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwenden oder auf "Akzeptieren" klicken, erklären Sie sich damit einverstanden.

Weitere Informationen zum Datenschutz entnehmen Sie bitte unserer Datenschutzerklärung. Hier können Sie der Verwendung von Cookies auch widersprechen.

Schließen