Henning Hofmann: Predictive Policing Methodologie Systematisierung und rechtliche Würdigung der algorithmusbasierten Kriminalitätsprognose durch die Polizeibehörden

von Oliver Michaelis, LL.M., LL.M. 

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2020, Duncker & Humblot, Berlin, ISBN: 978-3-428-15374-9, S. 339, Euro 89,90

I. Einleitung

Hofmann untergliedert seine Arbeit in eine Einleitung (Kap. A, S. 15-35) bei der er in das Thema einführt und dieses abgrenzt, sowie dann drei sich anschließende Themenkapitel (Kap. B-D, S. 36-293) und eine Schlussbetrachtung (Kap. E, S. 294-319).

Der Autor widmet sich mit dieser Arbeit der wichtigen und aktuellen Frage: welche Auswirkungen die weltweit ständig steigende gesamtgesellschaftliche Datenerhebung in Verbindung mit der dadurch ermöglichten algorithmusbasierten Kriminalitätsprognose durch die Polizeibehörden haben kann und wie diese Ausweitung der Handlungskompetenzen der Polizeibehörden rechtlich zu würdigen sind (S. 27 f). Diese Sammlung der Big Data[1], der Zettabyte umfassenden Datensätze, kann eine enorme „Chance für Polizei- und Sicherheitsbehörden [sein], mithilfe neuer Befugnisse Kriminalität zu bekämpfen und andere Bedrohungslagen zu entschärfen“ ist (S. 27), eine aber auch zu beachtende Kehrseite dieser Digitalisierung sind die in den letzten Jahren gehäuften „Hackerangriffe u.a. auf kritische Infrastrukturen“ (S. 27) sowie die damit zusammenhängende Cyber-Kriminalität.[2]

Im Jahr 2004 stellte bereits Schoch[3] zutreffend fest, dass die Möglichkeiten und Befugnisse des Bundesnachrichtendienstes (BND), des Bundesgrenzschutzes (BGS – seit 2005 in Bundespolizei (BPOL) umbenannt) und des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) durch das Terrorismusbekämpfungsgesetz[4] v. 9.1.2002 deutlich erweitert wurden – auch durfte das Bundeskriminalamt (BKA) durch den neu geschaffenen § 7 Abs. 2 BKAG nun eigenständig Daten sowohl aus den öffentlichen als auch nicht öffentlichen Stellen erheben. Erkennbar wurden die Handlungsbefugnisse der Polizei zur Ermittlung von Straftaten deutlich ausgeweitet – dies erläutert der Autor an einigen Beispielen und führt damit anschaulich in die Thematik seiner Arbeit ein.

II. Zum Kapitel B: Terminologie und Handlungskonzepte – S. 36-129

Da bisher keine allgemeinverbindliche Definition des „Predictive Policing“[5] existiert, nähert sich Hofmann diesem Thema beginnend terminologisch an und gelangt so zu seinem Ergebnis, dass es um die Gewinnung und den Umgang von Datenmaterial sowie deren Nutzung zur Gewinnung von Prognosen über die zukünftige Kriminalitätsentwicklung geht (S. 40). Auf den Seiten 43-49 erklärt er die interessante Entwicklung – von dem ersten geospatialen Kartenmuster über das GIS-System[6], dem Blue CRUSH-Programm[7], über die PredPol[8] hin zu den aktuellen Entwicklungstendenzen. Die Seiten 49-111 nutzt Hofmann dann, um ausführlich im Abschnitt III. die technische Funktionsweise von Predictive Policing darzustellen. Äußerst interessant ist in diesem Kapitel auch die Darstellung über den gegenwärtigen Einsatz von Predictive Policing – sowohl international, als auch bezogen auf Deutschland (B. IV, S. 111-129).

III. Zum Kapitel C: Rechtliche Würdigung von Predictive Policing – S. 130-257

Im Kapitel 3 konzentriert sich der Autor vorrangig auf die Darstellung der verfassungsrechtlichen Würdigung von Predictive Policing für Deutschland (S. 130-198) mit einem Exkurs in Bezug auf die Würdigung nach US-amerikanischem Verfassungsrecht (S. 199-213) sowie der interessanten und aktuellen Thematik der Datenschutzrechtlichen Betrachtung im spezifischen Kontext des Polizeirechts (S. 213-257). Hofman erläutert die datenschutzrechtlichen Aspekte dabei sehr umfassend vor dem Hintergrund der Menschenwürdegarantie (Art. 1 Abs. 1 GG), des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG), der Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG), des Fernmeldegeheimnisses (Art. 10 Abs. 1 Var. 3 GG), der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG), der Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG), der Berufsfreiheit (Art 12 GG), der Eigentumsfreiheit (Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG) sowie der Allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) und würdigt diese potenziellen Verfassungsbeeinträchtigungen dann umfassend vor dem Hintergrund des Predictive Policing. Im dritten Abschnitt dieses Kapitels (S. 213-257) erfährt der Leser höchst interessante und gut aufgearbeitete Grundlagen der polizeilichen Datenverarbeitungsmethodik sowie deren normative Grundlagen mit den geltenden unionsrechtlichen Vorgaben der Union. Hofmann beschreibt dabei die grundsätzliche Regelung aus Art. 8 Abs. 1 GRC und Art. 16 Abs. 1 AEUV, welche den Datenschutz zum Regelungsinhalt haben sowie die RL[9] (EU) 2016/680, welche den Bedarf der mitgliedstaatlichen Strafverfolgungsbehörden an der immer schneller werdenden Datenverarbeitung zur Kriminalitätsbekämpfung begründet. Die Grundsätze der Verarbeitung personenbezogener Daten werden dabei u.a. an den Aspekten der Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung (Art. 4 Abs. 1 lit. a RL (EU) 2016/680), der Zweckbindung (Art. 4 Abs. 1 lit. b und c RL), des Gebots der Datenrichtigkeit (Abs. 4 Abs. 1 lit. d RL), der Datenminimierung (Art. 4 Abs. 1 lit. e RL) sowie des Gebots der Datensicherheit (Art. 4 Abs. 1 lit. f RL) erläutert.

IV. Zum Kapitel D: Chancen, Risiken und Handlungsempfehlungen – S. 258-293

Das vierte Kapitel über die Chancen, Risiken und Handlungsempfehlungen unterteilt Hofmann im Wesentlichen in drei Teile: Im Teil I (S. 258-267) werden die überschaubaren Chancen des Predictive Policing dargestellt. So offenbart Predictive Policing „eine vielversprechende Lösungsmöglichkeit zu sein, um effektiver und auch nachhaltiger gegen kriminelle Strukturen […] vorzugehen und gleichsam die […] Polizeikräfte sinnvoller einzusetzen, gar letzten Endes für [deren] Entlastung zu sorgen.“ (S. 259). Auch dem Aspekt, durch Predictive Policing Missstände in der Polizeiarbeit aufzudecken, kann einiges abgewonnen werden. Denn für gewöhnlich werden Polizeikontrollen im Vorfeld nicht begründet, „mit Predictive Policing wäre aber zumindest in manchen Fällen nachvollziehbar, warum einer bestimmten Handlung nachgegangen wurde.“ (S. 265). Durchaus ein nachvollziehbarer Vorteil.

In Teil II (S. 267-288) konzentriert sich der Autor auf die zahlreichen Risiken des Predictive Policing. So benennt er die mangelnde Objektivierbarkeit der Algorithmen, die mitunter umfangreichen Grundrechtseingriffe oder die fragwürdige ethische Grundlage, da „die Inputs zumeist ohne moralische Reflektion getätigt“ werden (S. 269), als Risiko für eine sinnvolle Anwendung. Ebenfalls sollte ein übertriebenes Technikvertrauen kritisch betrachtet werden, da die Abläufe in den Algorithmen zunehmend schwerer nachzuverfolgen sind, gerade auch, wenn sie durch Prozesse der Künstlichen Intelligenz (KI) erweitert werden. Weiterhin arbeitet kein System fehlerfrei – Sicherheitslücken, fehlerhafte Algorithmen, fehlerhafte Prognosen, fehlerhafte Anwendung und viele andere Risiken birgt das System und stellt mithin weiterhin eine ernstzunehmende Hürde dar. Diesen Bereich hat Hofmann sehr anschaulich und kritisch ausgearbeitet, so dass der Leser spätestens jetzt erkennen muss, dass die erträumte Zukunft hier noch nicht beginnen kann.

Mit 17 Lösungsvorschlägen in Teil III (S. 288-293) unter dem Stichwort „Best Practice-Ansätze für Predictive Policing“ rundet der Autor seine Darstellung sinnvoll ab.

V. Fazit

Die Darstellung Hofmann´s ist stets klar strukturiert und überzeugt in seiner Argumentation. Sie ist somit für den Fachkundigen, als auch für den (noch) fachfremden, aber interessierten Leser, eine gute Empfehlung. Hofmann´s Dissertation beschäftigt sich mit einem sehr wichtigen und weiterhin kritisch zu verfolgenden Thema. Auch wenn noch lange nicht alle Probleme gelöst sind, so stellt die vorliegende Arbeit doch schon einen Schlussstein dieser wissenschaftlichen Problematik dar – wie es Hofmann bereits selber beschreibt – und sie sei mithin ein „Ausgangspunkt für einen dringend angezeigten wissenschaftlichen sowie gesellschaftspolitischen Diskurs“ (S. 21). Dem kann nur zugestimmt werden.

 

[1]      Bspw. für Google Street View oder das Bestreben der Menschen ihre analogen Daten zu digitalisieren, um sie bspw. zu archivieren.
[2]      Weiterführend dazu, im Hinblick auf die Beweisverwertungsverboten bei durch Hacks erlangten Daten im Rahmen des CyberCrime, siehe: Michaelis, MMR 09/2020, 586-591.
[3]      Schoch, Der Staat 2004, 347, 351.
[4]      BGBl. I 2002, S. 361 – auch bekannt als „Sicherheitspaket II“.
[5]      „Predictive“ kann als Voraussage und „Policing“ als das Kontrollieren oder das Durchsetzen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch die Polizei umschrieben werden.
[6]      Geografisches Informationssystem (GIS) bei der Polizei.
[7]      Criminal Reduction Utilizing Statistical History (CRUSH), ein von der Stadt Memphis im US-Bundesstaat Tennessee von IBM beschafftes System, um seit 2006 damit Gesetzesübertritte vorhersehen zu können, bei dem das System neben polizeilichen Statistiken gerade auch auf öffentliche Quellen zurückgreift, wie Wetterberichte, geplante größere Veranstaltungen, Zahltage oder weiteres.
[8]      PredPol entstand 2010 aus einem Forschungsprojekt zwischen dem Los Angeles Police Department (LAPD) und der University of California, Los Angeles (UCLA); es stellt den in den USA am häufigsten verwendeten Algorithmus für die vorausschauende Polizeiarbeit dar – doch mangels einer unzureichenden Überwachung des Systems und einer nicht genauen und nachvollziehbaren Messung der Wirksamkeit beendete im April 2020 das LAPD offiziell das PredPol-Programm.
[9]      Richtlinie (EU) 2016/680 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung sowie zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2008/977/JI des Rates.

 

 

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