2022, Verlag Dr. Kovac, ISBN: 978-3-339-13040-2, S. 417, Euro 139,80.
In der Dissertation wird sich der Frage gewidmet, inwieweit sich die mit der Neuregelung in § 46 Abs. 2 StGB und der Aufnahme von Hassmotiven gesetzten Ziele des Gesetzgebers eignen, die sorgfältige Ermittlung und Berücksichtigung derartiger Beweggründe im gesamten Verfahren zu gewährleisten. Dabei wird durchaus ein Blick über den deutschen Tellerrand hinausgewagt und auch das europäische Ausland und die USA in die Erwägungen mit einbezogen. Hierdurch soll untersucht werden, ob und inwiefern sich die Behandlung des Kriminalitätsphänomens Hasskriminalität in Deutschland von der in anderen Ländern unterscheidet. Zudem wird eine empirische Studie durchgeführt, in der Richter und Staatsanwälte ihre Einschätzungen und Erfahrungen zur Behandlung der Hasskriminalität und die Einschätzungen der Strafzumessungslösung in der Praxis darlegen sollten (der Fragebogen ist in der Anlage auf S. 411 ff. verfügbar).
Begonnen wird mit einer Einführung in die Thematik, wobei der Frage nachgegangen wird, ob es sich bei Hasskriminalität um einen wachsenden Phänomenbereich handelt. Hierzu wurden nicht nur Statistiken ausgewertet, sondern auch im Rahmen einer Umfrage versucht, Einschätzungen zu generieren. Fremdenfeindlichkeit und Rassismus im Rahmen von rechten bzw. rechtsextremistischen Taten stellen die bei Hasskriminalität am häufigsten vorkommenden Motive dar.
In einem nächsten Schritt wird die historische Entwicklung sowie Begriffsbestimmung nachgezeichnet, um ein Grundlagenverständnis des Kriminalitätsphänomens Hasskriminalität zu schaffen (S. 45 ff.). Festgestellt werden muss, dass es keine einheitliche Definition und Behandlung von Hasskriminalität gibt. Wann Kriminalität als Hasskriminalität erfasst wird, hängt primär davon ab, ob das Vorurteil der Täter der Deliktskategorie zugeordnet wird oder nicht (S. 122). Zu konstatieren ist, dass von allen Staaten die Vorurteilsmotive Ethnizität, Religion oder Weltanschauung, sexuelle Orientierung und Behinderung als Hasskriminalität angesehen werden. Das Vorurteilsmotiv des Geschlechts wird in den Vereinigten Staaten, Österreich und Deutschland dem Phänomenbereich zugeordnet, im Vereinigten Königreich jedoch nicht. Eine Tabelle gibt eine Übersicht über die Zuordnung unterschiedlicher, der Hasskriminalität zugeordneten, Vorurteilsmotive für die USA, Deutschland, Österreich und das Vereinigte Königreich (S. 123).
Die Verfasserin konstatiert, dass eine Gesetzgebung gegen Hasskriminalität ein beliebtes Mittel sei, um die ei-gene moralische Korrektheit und Bereitschaft, Minderheiten zu unterstützen, öffentlichkeitswirksam zu untermauern. Zudem sei Hasskriminalitätsgesetzgebung auch stets eine symbolische Nachricht an die jeweilige Opfergruppe. Schwierigkeiten bereite auf der anderen Seite aber der Umstand, dass Vorurteilsmotive von den ermittelnden Behörden nicht ohne weiteres erkannt werden.
Im dritten Unterkapitel widmet sich die Verfasserin der Sanktionierung von Hasskriminalität auf Strafzumessungsebene in Deutschland und deren Auswirkungen auf die Verbüßung der Strafe. Hier werden sehr dezidiert die Gesetzesbegründung sowie die Stellungnahmen wiedergegeben und so ein umfassendes Bild des Gesetzgebungsprozesses sowie der begleitenden Kritik gezeichnet. Auch werden kritische Stimmen gegen die Novellierung der befragten Richter und Staatsanwälte wiedergegeben. Unklar bleibt an dieser Stelle – noch – wie viele Experten diesbezüglich befragt wurden und warum Fleck hier gerade diese wenigen Aussagen für ihr Zwischenfazit herausgezogen hat. Soweit der Hinweis folgt, die Auswertung dieser Aussagen sollte die Möglichkeit schaffen, ganz konkret die Kritikpunkte der Novellierung in der Rechtspraxis zu untersuchen, so bleiben die Auswahlkriterien bzgl. der aufgenommenen Aussagen an dieser Stelle im Nebel.
Den Abschluss des zweiten Kapitels bildet das Phänomen der „Hassreden“ in Deutschland. Hier wird das NetzDG und die Änderungen des Gesetzes zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität kurz wiedergegeben. Regelungen zur Bekämpfung von Hassreden seien essenziell, um einem rechtsfreien Raum im Internet entgegenzuwirken. Allerdings müssten diese Regelungen auch durchgesetzt werden, um eine Wirkung zu entfalten (S. 199). Hier soll – insofern zeitlich nach Drucklegung der Arbeit – nun das Eckpunktepapier des BMJ zum Gesetz gegen digitale Gewalt mehr Durchsetzungskraft gewährleisten.[1]
Weiteres Hauptkapitel ist die Darstellung der Studie zum Umgang mit Hasskriminalität in der Justizpraxis. Zunächst werden schon durchgeführte Studien von Krupna und Lang wiedergegeben. Diese bildeten die Grundlage für die Entwicklung des Fragebogens von Fleck. Die Umfrage wurde 2017 durchgeführt. Es kam zu einem Rücklauf von 340 Online-Fragebögen und 15 Fragebögen in Papierform. Davon beantworteten 150 Staatsanwälte und 204 Strafrichter die Umfrage, eine Person machte keine Angaben zu ihrer Berufszugehörigkeit. Auf den geringen Rücklauf und die Frage der Repräsentativität wird ausführlich eingegangen (S. 255 ff.). Es folgt eine dezidierte, graphisch anschaulich aufbereitete Wiedergabe des Antwortverhaltens, dessen Lektüre auf jeden Fall lohnt – eine Darstellung im Rahmen der Rezension würde aufgrund der Kleinteiligkeit zu weit führen. Zusammenfassend lässt sich aber festhalten, dass die Befragten der Auffassung sind, dass sich Vorurteilsmotive bei der Tatbegehung sowohl auf die Durchführung eines TOA als auch auf die Sozialprognose bei der Beurteilung, ob die Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann, auswirken. Die überwiegende Mehrheit der Befragten ist aber der Ansicht, dass ein TOA auch bei Taten mit Vorurteilsmotiv durchgeführt werden kann. Dieses Vorurteilsmotiv habe aber negative Auswirkungen auf die Aussetzung der Strafe zur Bewährung.
61,7 Prozent der Befragten äußerste sich kritisch im Hinblick auf die Ausermittlung von Vorurteilsmotiven, dies sei problematisch und Hasskriminalität als solche oftmals nicht erkannt. Hier sei eine besondere Sensibilisierung der Ermittlungspersonen erforderlich.
Der Frage danach, ob die Straftaten im Phänomenbereich in den letzten zehn Jahren angestiegen sei, konnte von den Befragten nur teilweise bestätigt werden (26,2 Prozent). Als häufigste Vorurteilsmotive gaben die Studienteilnehmer Fremdenfeindlichkeit und Rassismus an, gefolgt von Religion und Weltanschauung. Interessant war das Ergebnis der Befragung im Hinblick auf die Vorurteilsmotive der sexuellen Orientierung und Behinderung. Hier wurde überwiegend angegeben, solche Motive nicht strafschärfend berücksichtigt zu haben. Andererseits war man der Auffassung, dass man diese hypothetisch berücksichtigen würde – so dass ein großer Unterschied zwischen hypothetischer und tatsächlicher Berücksichtigung dieser Vorurteilsmotive in der Justizpraxis besteht.
Der letzte Fragenkomplex zielte auf die Beurteilung der Novellierung des § 46 Abs. 2 StGB durch die Justizpraxis ab. Durch die Novellierung, so das Ergebnis der Befragung, seien Vorurteilsmotive als strafschärfender Faktor nicht stärker in den Fokus gerückt. Die gewählte Gesetzesformulierung „sonstige menschenverachtende Beweggründe“ wurde von der Mehrheit der Befragten als hinreichend bestimmt angesehen (58,6 %). Allerdings betonten auch 37,7 Prozent, dass dies nicht so sei. Die Studienteilnehmer gaben an, diesen Beweggrund sehr selten strafschärfend zu berücksichtigen.
Über 90 % der Befragten beantworteten die Frage nach der Gleichbehandlung von einer Tat von einem Deutschen zum Nachteil einer ausländischen Person und einer Tat von einem Ausländer zum Nachteil einer deutschen Person auf der Strafzumessungsebene zustimmend. Insgesamt wird die Novellierung von der Justizpraxis eher befürwortet (60% der Befragten).
Die Verfasserin befürchtet auch keine Ausuferung der Formulierung und eine daraus resultierende Unübersichtlichkeit der Vorschrift des § 46 Abs. 2 StGB. Explizit greift sie hier den 2021 – also nach der Befragung – eingefügten antisemitischen Beweggrund auf. Es wäre interessant zu erfahren, ob sie dies auch für die im Gesetz zur Änderung des Sanktionenrechts vorgesehenen geschlechtsspezifischen sowie gegen die sexuelle Orientierung gerichteten Motive so sieht.[2]
Betont wird, dass die symbolische Benennung von Vorurteilsmotivationen als strafschärfende Faktoren isoliert betrachtet nur sehr begrenzt Wirkung entfalten könnten. Ohne die Ermittlung solcher Motive könne auch keine strafschärfende Berücksichtigung erfolgen. Um die Ermittlungen zu erleichtern und zu optimieren sei es notwendig, den Ermittlungsbeamten Fortbildungen hinsichtlich dieses Phänomenbereichs anzubieten und so eine Sensibilisierung zu schaffen. Kulturelles-Bewusstseins-Training sei von großer Bedeutung, um diese Verbrechen auch angemessen verfolgen zu können. Wie dieses Training aussehen soll, wird leider nicht näher erläutert.
Insgesamt bietet die Dissertation von Fleck nicht nur einen guten Überblick über das Phänomen der Hasskriminalität sowie die Berücksichtigung von Vorurteilsmotiven im Rahmen der Strafzumessung, sondern auch interessante Antworten im Zusammenhang mit der 2017 durchgeführten Befragung von Staatsanwälten und Richtern rund um diese Thematik. Wichtig ist, dieses Phänomen weiterhin empirisch zu begleiten – sei es durch Befragungen, aber auch weitere Gesetzesanalysen. Schließlich scheint die Aufnahme weiterer Vorurteilsmotive, auch angesichts der neuerlichen Reformüberlegungen zum Sanktionenrecht, noch lange nicht abgeschlossen.
[1] S. hierzu https://kripoz.de/2023/04/12/gesetz-gegen-digitale-gewalt/ (zuletzt abgerufen am 15.9.2023).
[2] Informationen hierzu abrufbar unter: https://bit.ly/3EKOJO0 (zuletzt abgerufen am 15.9.2023), mittlerweile verkündet im BGBl. I 2023, Nr. 203.