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Der befangene Staatsanwalt? – Ein Blick auf die Perspektive eines Staatsanwalts und eines Strafverteidigers angesichts des BGH-Beschlusses vom 18. Januar 2024 (BGH 5 StR 473/23)

von RA Dr. Miguel Veljovic, LL.M.oec und StA Dr. Christopher Bona

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Abstract
Der Beitrag beleuchtet aus der Perspektive eines Strafverteidigers sowie eines Staatsanwalts, unter welchen Voraussetzungen ein Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft im Zuge einer Hauptverhandlung die Besorgnis der Befangenheit auslösen kann. Dazu wird die Entscheidung des BGH vom 18. Januar 2024 analysiert und die Folgen für die Praxis aufgezeigt.

This article examines from the perspective of a defence lawyer and a public prosecutor the conditions under which a representative of the public prosecutor’s office can raise concerns of bias in the course of a main hearing. To this end, the decision of the Federal Court of Justice of 18 January 2024 is analysed and the consequences for practice are outlined.

I. Einleitung

Die „Befangenheit“ von Staatsanwälten stellt bereits seit Juristengenerationen ein grundlegendes Problem der strafprozessualen Ausbildung dar. Mit Blick auf die strenge Objektivitäts- und Neutralitätsmaxime aus § 160 Abs. 2 StPO und dem von Hugo Isenbiel und Franz von Lisztmanifestierten Grundsatz, es handle sich um die „objektivste Behörde der Welt”[1], die ebenfalls die zur Entlastung dienenden Umstände zu ermitteln hat und im Zuge des Plädoyers auch auf solche Umstände verweisen muss, die strafmildernd zu berücksichtigen sind[2], erscheint es zunächst auffällig, dass gegen die Tätigkeit der Staatsanwaltschaft kein unmittelbar wirkendes Instrumentarium besteht, um im Fall der Besorgnis der Befangenheit gegen den Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft im Rahmen der Hauptverhandlung vorzugehen.[3] Eine Ausschließung des Staatsanwalts mit der Folge, dass eine weitere Bearbeitung oder Vertretung der Sache ausgeschlossen ist, ist – anders als bei anderen Verfahrensbeteiligten wie etwa dem Richter – nicht vorgesehen.[4] Die Entscheidung des BGH vom 18. Januar 2024, die sich explizit mit den Grundsätzen der Befangenheitsdogmatik hinsichtlich des Verhaltens von Sitzungsvertretern der Staatsanwaltschaft
beschäftigt, gibt nunmehr hinreichenden Anlass zur Rekapitulation, ob die lex lata das Schutzbedürfnis des Angeklagten auf der einen Seite und die Sicherstellung der ordnungsgemäßen Ausübung der staatsanwaltschaftlichen Tätigkeit auf der anderen Seite, angemessen und damit verhältnismäßig in Einklang zu bringen vermag.

Der folgende Beitrag beleuchtet dieses Problemfeld und strengt diesbezüglich einen wechselseitigen Austausch der Perspektiven an. Ferner werden Hinweise für die praktische Tätigkeit als Strafverteidiger, aber gleichwohl auch als Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft mit an die Hand gegeben. In einem Fazit wird die Ausgangsfrage bezüglich der Erforderlichkeit neuer gesetzlicher Regelungen bei zu besorgender Befangenheit des staatsanwaltschaftlichen Sitzungsvertreters beantwortet.

II. Der Beschluss des BGH vom 18. Januar 2024

1. Verfahrensgang

Dem Beschluss des BGH vom 18. Januar 2024[5] lag eine Revision gegen das Urteil des LG Leipzig vom 11. Mai 2023 zugrunde. Das LG hatte den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit versuchter Nötigung, und wegen Körperverletzung zu einer Gesamtgeldstrafe von 190 Tagessätzen zu je 60 Euro verurteilt und angeordnet, dass hiervon 40 Tagessätze als vollstreckt gelten. Hinsichtlich des Vorwurfs, die Nebenklägerin mehrfach vergewaltigt zu haben, sprach das LG ihn aus tatsächlichen Gründen frei. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten führte nur zu einer marginalen Schuldspruchänderung. Im Übrigen verwarf der Senat des BGH die weitergehende Revision, insbesondere die hier zu begutachtende Verfahrensrüge als unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2. Verfahrensrüge

Der Angeklagte stützte die Verletzung formellen Rechts seiner Verfahrensrüge, indem er die „tatsächliche Befangenheit der Staatsanwältin als Sitzungsvertreterin” beanstandete und einen Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren geltend machte.

Hiernach habe die Sitzungsvertreterin, die an allen sieben Hauptverhandlungstagen anwesend war, im Rahmen ihres Schlussvortrags dargelegt, sie sei bei „Vorwürfen sexualisierter Gewalt gegen Frauen im Allgemeinen und im konkreten Fall befangen”. Hierbei „empfinde” sie es als „unerträglich”, wenn sich eine Frau „als Opfer sexualisierter Gewalt im Rahmen einer öffentlichen Hauptverhandlung kritischen Fragen des Gerichts und der Verteidigung stellen und wegen ihres Aussageverhaltens rechtfertigen müsse”. Im Hauptverhandlungsprotokoll wurde diesbezüglich vermerkt: „Die Vertreterin der Staatsanwaltschaft hält den Schlussvortrag: Sie sei in Fällen häuslicher und sexueller Gewalt als Feministin und persönlich Betroffene befangen. Das sei unproblematisch, denn sie lege es hier offen. Mehrfach habe sie überlegt, ob sie einen Befangenheitsantrag stelle, davon aber letztlich abgesehen. Das Verhalten der Kammer sei zunächst nicht zu beanstanden gewesen, weil sie der Geschädigten viel Raum für ihre Aussage gegeben habe. Im weiteren Verlauf habe die Kammer die Geschädigte aber kritischer betrachtet als ma[n]chen Zeugen. Daher möge sich die Kammer des Confirmation Bias ebenso bewusst sein, wie sie ihre Befangenheit offengelegt habe“. Die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft beantragte deshalb auch die Verurteilung wegen der aus ihrer Sicht erwiesenen Vergewaltigung.

Der Vorsitzende der Strafkammer gab zur Revisionsbegründung eine dienstliche Erklärung ab und verwies darauf, dass das Verhalten der Sitzungsvertreterin „während der Hauptverhandlung von Gesetzes wegen nicht zu beanstanden” und die Begründung ihres Schlussvortrags jedenfalls „vertretbar” gewesen sei. Hiernach sei sie „nicht offensichtlich von verfahrensfremden Überlegungen bestimmt” gewesen. Erst wenn sie sich „zu einem früheren Zeitpunkt in vergleichbarer Weise erklärt hätte”, hätte das Gericht Bedenken im Hinblick auf die Fairness des Verfahrens gehabt.

3. Entscheidungsgründe des BGH

a) Keine Neuerung in Bezug auf die Anwendbarkeit der §§ 22 ff. StPO

Zunächst stellt der BGH – in rekapitulierender Weise der bisherigen Rechtsprechungspraxis[6] – fest, dass die §§ 22 ff. StPO auf Staatsanwälte weder unmittelbar noch analog anwendbar sind. Der Gesetzgeber habe bewusst darauf verzichtet, den Ausschluss oder die Ablehnung von Sitzungsvertretern zu regeln und entsprechende Vorschriften zu schaffen. Ein „förmliches innerprozessuales Verfahren” existiere nicht, um einen Sitzungsvertreter wegen zu besorgender Befangenheit abzulehnen. Vielmehr seien die Verfahrensbeteiligten darauf beschränkt, bei dem Vorgesetzten des Beamten der Staatsanwaltschaft darauf hinzuwirken, dass dieser ihn auf Grundlage des Substitutionsrechts nach § 145 GVG durch einen anderen Sitzungsvertreter ersetze. Auch ohne eine Ersetzung sei die Hauptverhandlung demnach fortzusetzen.

b) Mögliche Verletzung des Rechts auf ein faires und justizförmiges Verfahren

Trotz dieser Grundsatzdogmatik sind nicht sämtliche Handlungen eines Sitzungsvertreters angesichts der notwendigen Berücksichtigung des Rechts auf ein faires und justizförmiges Verfahren hinnehmbar, sodass eine hierauf gestützte Revision grundsätzlich möglich bleibt.

Vor die Klammer seiner Ausführungen stellt der Senat, dass bei der Beurteilung der zu besorgenden Befangenheit eines Staatsanwalts „nicht der strenge Maßstab wie bei einem der zur Entscheidung berufenden Richter angelegt werden kann”.[7] Diese Verschiebung der Anforderungen an den zu berücksichtigenden Maßstab begründet das Gericht mit der fehlenden Verurteilungskompetenz im Gegensatz zum erkennenden Gericht. Vielmehr müssen die Gründe, die eine Besorgnis der Befangenheit auslösen, ähnlich schwerwiegen wie die Ausschlusstatbestände der §§ 22, 23 StPO.[8]

Der anzulegende Maßstab habe deshalb die Rolle der Staatsanwaltschaft als „Wächter der Gesetze” und Organ der Strafrechtspflege sowie die zuvor beschriebene Pflicht zur Objektivität zu berücksichtigen. Hiernach sei eine Verletzung des Rechts auf ein faires und justizförmiges Verfahren nur dann gegeben, wenn der Staatsanwalt seine Pflicht zur Objektivität und Wahrung eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens derart schwer und nachhaltig tangiert, dass sich sein Verhalten in der Hauptverhandlung aus Sicht eines verständigen Angeklagten als Missbrauch staatlicher Macht darstellt.

Das Urteil wird hiernach regelmäßig auf der Rechtsverletzung beruhen, es sei denn, das erkennende Gericht sieht eine Kompensation für die Rechtsverletzung vor. Dieser „Ausdruck” der Kompensation münde in der Obliegenheit, bei dem Vorgesetzten des Sitzungsvertreters auf Ersetzung hinzuwirken und entsprechende Bemühungen öffentlich zu machen. Bei fehlender Reaktion des Gerichts könne nur ausnahmsweise ausgeschlossen werden, dass sich das Verhalten des Sitzungsvertreters auf die Urteilsbildung zulasten des Angeklagten ausgewirkt habe.

c) Keine Verletzung in der zu beurteilenden Sachverhaltskonstellation

 Unter Berücksichtigung der Äußerungen der Sitzungsvertreterin sei ein derart schwerer Verstoß nach Auffassung des Senats nicht begründet.

Die Äußerungen der Sitzungsvertreterin seien unter mehreren rechtlichen Gesichtspunkten „bedenklich”, hätten aber „noch nicht ein Maß angenommen, das – gemessen an den hierfür geltenden strengen Maßstäben – einen Verfahrensfehler begründen würde”.

Durch die Verwendung ihrer scharfen Wortwahl hätten die Ausführungen besorgen lassen, dass sie einem „grundlegenden Missverständnis von der richterlichen Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) und dem Konfrontationsrecht eines Beschuldigten (Art. 6 Abs. 3 lit. B EMRK) unterlegen ist“.[9]

Weiterhin sei es mit der staatsanwaltschaftlichen Pflicht nicht in Einklang zu bringen, dass die Sitzungsvertretung wahrgenommen wurde, obwohl sie sich wegen des Verfahrens selbst für befangen hielt. In diesem Zuge habe der Staatsanwalt eigenständig die Gründe seinem Dienstvorgesetzten offenzulegen und eine Ersetzung anzuregen. Durch diese eigenständige Pflicht werde die „im Gesetz angelegte Selbstkontrolle der Staatsanwaltschaft” effektiv verfolgt.

Die Begründetheit eines Verfahrensfehlers scheitere im konkreten Fall aber an dem Umstand, dass die Staatsanwältin trotz ihrer Ausführungen für den Angeklagten in mehreren Fällen einen Freispruch beantragte. Im Übrigen verwies der Senat auf die Ausführungen des Vorsitzenden der Strafkammer aus seiner dienstlichen Erklärung, der das Verhalten der Sitzungsvertreterin in der Hauptverhandlung „im Übrigen” nicht für beanstandungswürdig bewertete und das Verhalten „nicht offensichtlich von verfahrensfremden Überlegungen” bestimmt gewesen sei. Ferner hätten die Ausführungen im Rahmen der dienstlichen Erklärung belegt, dass sich die Strafkammer ihrer Verantwortung zur Wahrung des Rechts auf ein faires und justizförmiges Verfahren bewusst gewesen ist.

III. Rechtslage und bisherige Rechtsprechung im Überblick

Die Besorgnis der Befangenheit im Sinne der Strafprozessordnung kann nur im Hinblick auf die Ablehnung eines Richters geltend gemacht werden. Dies ist bereits in der Überschrift des § 24 StPO und folglich auch im Gesetzestext unzweideutig geregelt. Die Thematik der Befangenheit eines Staatsanwalts regelt die Strafprozessordnung nicht. Aufgrund des klaren Wortlauts der Norm können die Ausschlussgründe des § 22 Nr. 1 bis 5 StPO auch keine analoge Anwendung auf den Staatsanwalt finden. Dahingehend besteht in Rechtsprechung und in der herrschenden Literatur kein Dissens.

Ist ein Staatsanwalt im Verfahren persönlich betroffen, kommt den § 22 Nr. 1 bis 3 StPO jedoch eine Indizwirkung für die zu besorgende Befangenheit des Staatsanwaltes zu.[10] Dies ist wenig verwunderlich, da ein Staatsanwalt, der beispielsweise in einem Verwandtschaftsverhältnis zu dem Verletzten der Straftat in dem jeweiligen Verfahren steht, nur schwerlich die von § 160 Abs. 2 StPO verlangte Objektivität aufweisen kann. Ist der Staatsanwalt derart persönlich betroffen, hat das erkennende Gericht die Möglichkeit, bei dem „ersten Beamten der Staatsanwaltschaft“ dessen Substitution anzuregen, § 145 Abs. 1 GVG.[11] Dieser kann, muss jedoch nicht, den insoweit befangenen Sitzungsvertreter ablösen und einen anderen Staatsanwalt mit der Amtsverrichtung beauftragen.[12]

Außerhalb dieser recht offensichtlichen, persönlichen Betroffenheit des Staatsanwalts kann eine Befangenheit lediglich aus einem Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren folgen.[13] Der Beurteilungsmaßstab besteht darin, ob aus der Sicht der ablehnenden Partei vernünftige, für einen unbeteiligten Dritten nachvollziehbare Gründe ersichtlich sind, die ein Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Staatsanwalts im Hinblick auf eine gesetzestreue Aufgabenerfüllung rechtfertigen. Dabei genügt nicht jedes amtspflichtwidrige Verhalten des Staatsanwalts. Es ist vielmehr eine schwere und anhaltende Verletzung seiner Amtspflichten erforderlich. Das beanstandete Verhalten muss so gravierend sein, dass die Voreingenommenheit des Staatsanwalts offensichtlich wird und aus der Perspektive der ablehnenden Partei als Missbrauch der staatlichen Macht, der das Recht auf ein faires Verfahren gefährdet, erscheint. Liegen derart gravierende Gründe vor, kann sich das aus § 145 Abs. 1 GVG folgende Ermessen des Dienstvorgesetzten auf null reduzieren, sodass er gar eine Pflicht hat, den Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft durch einen Neuen zu ersetzen.[14]

Die Hürden für die Annahme einer derartigen Unparteilichkeit des Staatsanwalts sind damit offenkundig hoch. In Rechtsprechung und Literatur lassen sich keine Entscheidungen finden, in denen das Urteil eines erkennenden Gerichts wegen Zweifeln an der Unparteilichkeit des Staatsanwalts aufgehoben wurde.[15] Dies leuchtet auch deshalb ein, weil der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO nicht einschlägig ist, sondern das Urteil im Sinne des § 337 StPO auf der Mitwirkung des „befangenen“ Staatsanwalts beruhen müsste.[16] Mithin müsste das Gesetz derart verletzt sein, dass eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist. Führt man sich jedoch vor Augen, dass es für die Ablehnung oder Ausschließung von Staatsanwälten keine gesetzliche Grundlage in den §§ 22 ff. StPO gibt und auch den §§ 141 bis 145 GVG kein rechtliches Instrumentarium zur Ablehnung von Staatsanwälten entnommen werden kann[17], leuchtet es ein, dass die Aufhebung eines Urteils aufgrund des Verhaltens des Sitzungsvertreters wegen einer Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren nur schwerlich denkbar erscheint, insbesondere da die Staatsanwaltschaft keine Verurteilungskompetenz innehat und das erkennende Gericht im Rahmen seiner Verfahrensherrschaft das Verhalten des Staatsanwalts kompensieren kann.[18] Im Ergebnis müsste der Staatsanwalt damit ganz massiv gegen seine Neutralitätspflicht verstoßen und das erkennende Gericht müsste diesen Verstoß klag- und kommentarlos hinnehmen, damit es zu der Aufhebung eines Urteils kommt.

IV. Austausch der Perspektiven

1. Perspektive eines Rechtsanwalts

Der praktisch relevanteste Fall, in der eine Besorgnis der Befangenheit zur Ablehnung eines Verfahrensbeteiligten führt, stellt – wie die vorstehenden Ausführungen zeigen – die Ablehnung eines Richters dar.[19] In diesem Zusammenhang wird in der Praxisliteratur für Rechtsanwälte regelmäßig darauf hingewiesen, dass wegen der zuweilen weitreichenden Folgen für das Verfahrensklima die Stellung eines Befangenheitsantrags in besonderer Weise einer Abwägung der Für und Wider erfordert.[20] Dennoch muss die Durchsetzung des verfassungsrechtlichen determinierten Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs sowie des Rechts auf ein faires Verfahren im Einzelfall dazu führen, dass der Konflikt nicht gescheut werden darf. Die Stellung eines konkret ausgearbeiteten, sachlich durchdachten Befangenheitsantrags vermag bisweilen die besondere Wächterfunktion des anwaltlichen Beistands zu untermauern und führt dies den Verfahrensbeteiligten auch vor Augen. Die Ausarbeitung eines solchen Antrags erfordert jedenfalls eine genaue Aufarbeitung der in der Rechtsprechung vorherrschenden Kasuistik.[21] Oberstes Credo bleibt hierbei dem Mandanteninteresse am günstigsten und effektivsten nachzukommen, wobei sich schematische Lösungen verbieten.[22]

Die hiesig entschiedene Konstellation des BGH betrifft den Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft, der in der bisherigen Praxis – mangels eines konkreten rechtlichen Instrumentariums – einen weiten Spielraum in der Ausgestaltung der Sitzungsvertretung hatte. Dieser grundsätzlich weite Spielraum bleibt – trotz der nicht überzeugenden konkreten Ausführungen des Senats – weiterhin bestehen.

Die hiesige Entscheidung ist bemerkenswert, da der BGH – auch weil er den gesetzgeberischen Willen sowie die grundlegende Rolle der Verfahrensbeteiligten berücksichtigt – die (Mit-)Verantwortlichkeit zum Einschreiten gegen möglicherweise befangene Staatsanwälte auf das erkennende Gericht verschiebt. Ein Unterlassen führt nämlich zur vom BGH statuierten Beruhensvermutung, welche demnach der Wirkung eines vorliegenden, absoluten Revisionsgrundes gleicht.

Dieser grundsätzliche Gedanke des Senats überzeugt. Denn das Gericht ist als neutraler Spruchkörper dazu verpflichtet, den Anspruch des Angeklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs, sowie die Grundsätze der Waffengleichheit[23] zu wahren. Hierbei ist es in der konkreten Art und Weise ihres Verhaltens an die Grundsätze der Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit gebunden. Der BGH begründet in der hiesigen Konstellation deshalb eine nach außen wirkende Obliegenheit der prozessualen Fürsorge, auch wenn er diesem Rechtskorpus keine weitergehende Konkretisierung verleiht. Durch die statuierte Obliegenheit wird das Gericht auf die Ersetzung des Sitzungsvertreters hinzuwirken haben, sofern hinreichende Umstände vorliegen, die die Befangenheit des Sitzungsvertreters zu besorgen vermögen. Bei Nichterfüllung dieser Obliegenheit wird das Beruhen des Urteils auf dem Rechtsfehler – wie der Senat ausdrücklich dargelegt hat – vermutet. Damit statuiert der BGHfolgenden Grundsatz, nämlich, dass das erkennende Gericht das Verhalten des Sitzungsvertreters nicht „sehendes Auge“ – insbesondere mit Blick auf das fehlende kodifizierte rechtliche Instrumentarium – beiseiteschieben kann.

In dem zu entscheidenden Sachverhalt lässt bereits die dienstliche Erklärung des Vorsitzenden der Strafkammer[24] hingegen aufgrund vorliegender Ungereimtheiten bzw. Ungenauigkeiten zahlreiche Folgefragen aufkommen, die leider in den Erwägungen des Senats keine Berücksichtigung gefunden haben.

Dabei treten jene Fragen besonders in den Vordergrund: Welchen Maßstab hat der Vorsitzende der Strafkammer angelegt, wenn er von der floskelartigen „Vertretbarkeit“ des Verhaltens des Sitzungsvertreters gesprochen hat? Wurde hierbei die maßgebliche Perspektive des Angeklagten eingenommen? Und aus welchem Grund soll das Verhalten aus Sicht des Angeklagten in der konkreten Situation „vertretbar“ gewesen sein?

Muss die zu besorgende Befangenheit, wie der Vorsitzende der Strafkammer dies dargelegt, „offensichtlich“ zu Tage getreten sein? Kann das Verhalten des Sitzungsvertreters nur bis zu einem bestimmten Zeitpunkt beim Angeklagten die Besorgnis der Befangenheit auslösen? Und kann das die Besorgnis der Befangenheit begründende Verhalten zu einem ggf. späten Zeitpunkt (wie hier im Plädoyer) das gesamte prozessuale Verhalten „kontaminieren“?

Ferner bleibt die Frage unbeantwortet, ob und an welchem Punkt aus einer Obliegenheit eine aus dem Recht auf ein faires Verfahren resultierende Pflicht zur Einwirkung auf den Vorgesetzten durch das erkennende Gericht entstehen könnte? In konsequenter Weise vermeidet der Senat deshalb die Verwendung des Begriffs „Pflicht“. 

Unter Berücksichtigung dieser Folgefragen können die konkreten Ausführungen des Senats nicht überzeugen, da sie letztlich nur wenige Antworten, auch zur Durchsetzung der Rechte des Angeklagten auf ein faires Verfahren, aus der Perspektive eines Strafverteidigers liefern. 

Bereits der tragende Grund des Senats, der gegen eine die Besorgnis erregende Befangenheit des Staatsanwalts sprechen soll, überzeugt nicht. Denn der Verweis des Senats auf eine teilweise Freispruchbeantragung der Sitzungsvertreterin, die gegen ihre zu besorgende Befangenheit sprechen soll, übersieht, dass im konkreten Fall auch ein Antrag auf Verurteilung wegen Vergewaltigung mit tateinheitlich verwirklichter Körperverletzung in zwei Fällen gestellt wurde. Im Ergebnis sah die Kammer die Verwirklichung des Straftatbestands der Vergewaltigung nicht (und damit umfassend nicht) als einschlägig an, sodass eine diesbezügliche Verurteilung bezüglich sämtlich angeklagter Sexualdelikte ausblieb. Bereits dieser Umstand hätte erschwerend in die Abwägung des BGH aufgenommen werden müssen.

Der Maßstab der zu besorgenden Befangenheitsprüfung aus Sicht des Angeklagten hätte deshalb mit Blick auf den gestellten Antrag eine dezidierte Auseinandersetzung erforderlich gemacht, aus welchen Gründen trotz des Verurteilungsantrags bezüglich einer mehrfachen Sexualstraftat eine zu besorgende Befangenheit aus Sicht des Angeklagten ausgeschlossen werden konnte.

Zwar bezog sich der teilweise Freispruchantrag der Sitzungsvertreterin auf weitere fünf Fälle der angeklagten Vergewaltigungen. Ausweislich des mitgeteilten Sachverhalts ist aber nicht ersichtlich, aus welchen Gründen ein solcher Freispruchantrag bezüglich der fünf Fälle der angeklagten Vergewaltigung erfolgte. Dieser könnte sich auf solche Fälle bezogen haben, bei der die Beantragung einer Verurteilung offensichtlich aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen völlig zwecklos gewesen wäre.

Jedenfalls reicht der mitgeteilte Sachverhalt und die Existenz eines teilweisen Freispruchantrags in der hiesigen Konstellation nicht aus, um widerspruchsfrei die zu besorgende Befangenheit der Sitzungsvertreterin abzulehnen.

Dies hätte aus anwaltlicher Perspektive auch zur Folge, dass der Sitzungsvertreter durch einen teilweise dem Angeklagten zu Gute kommenden Antrag die zu besorgende Befangenheit prozessual „heilen“ könnte. Denn letztlich bleibt zu bedenken, dass trotz des teilweisen Freispruchantrags ein teilweiser Verurteilungsantrag wegen zweier Vergewaltigungsvorwürfe und damit ein konkreter Zusammenhang zwischen den Äußerungen der Staatsanwältin und ihrem prozessualen Verhalten vorlag. Es ist darauf hinzuweisen, dass einem Antrag auf Verurteilung nicht per se auf eine „Befangenheit“ des Staatsanwalts geschlossen werden darf. In der hiesigen, speziellen Konstellation dient das prozessuale Verhalten aber als substantieller Anhaltspunkt, der gegen die Argumentation des Senats spricht.

Weiterhin tritt erschwerend hinzu, dass die Sitzungsvertreterin nicht an ihren Vorgesetzten herangetreten ist. Der Senat formuliert hier, dass dem Staatsanwalt eine Pflicht („hat er die Gründe vorzulegen“) zur Offenlegung seiner Befangenheit zukomme. Die aus dem Fair-trial-Grundsatz abzuleitende Pflicht zur Selbstkontrolle bzw. Selbstbeschränkung wurde nicht erfüllt.[25] Denn ausweislich des Plädoyers der Sitzungsvertreterin war ersichtlich, dass sie selbst ihr Verhalten mit einer möglichen Befangenheit in Verbindung gebracht hat, aber nicht an ihre Vorgesetzten herangetreten ist.

Die Möglichkeiten der Pflichterfüllung, bspw. auch auf einer milderen Ebene (Stichwort: Erforderlichkeit), wie z.B. in einem offenen Gespräch mit dem Dienstvorgesetzten, ob die Besorgnis der Befangenheit begründet ist (und damit noch vor Stellung eines Antrags auf Ersetzung), wäre deshalb in den Blick zu nehmen gewesen.

Dass das Verhalten der Sitzungsvertreterin erst im Plädoyer höchst auffällig wurde, kann die zu besorgende Befangenheit für das gesamte Verfahren nicht umfänglich verhindern, sodass es auf einen Zeitpunkt, der nach außen getretenen Besorgnis bezüglich ihres Verhaltens regelmäßig nicht ankommen wird.[26]

Denn die Äußerungen der Sitzungsvertreterin zeigen eine verfahrensbezogene Grundeinstellung, indem sie sich selbst als Feministin und persönlich Betroffene bezeichnet. Daraus wäre unter Berücksichtigung des Kontextes ihrer Aussage abzuleiten gewesen, dass sie diese Eigenschaft im Zuge des gesamten Verfahrensverlaufs aufwies und insofern auch sämtliche Beweismittel und damit das Für und Wider bewertete. Hierfür spricht auch der Antrag auf Verurteilung wegen Vergewaltigung in zwei Fällen.[27]

Die durch die eingeholte Erklärung des Vorsitzenden unterstellte Annahme, dass die Sitzungsvertreterin ihre persönliche Betroffenheit bis zum Plädoyer zurückhalten konnte, ist insofern lebensfremd und durch ihr prozessuales Verhalten jedenfalls stark zweifelhaft.[28]

Ein erheblicher Verstoß – ganz unabhängig vom Zeitpunkt des Zutagetretens – muss zur Wahrung der Rechte des Angeklagten deshalb dazu führen, dass das Gesamtverhalten, auch wenn dieses jedenfalls nicht fortwährend oder gar offenkundig zu beanstanden war, kontaminiert wird. Das Abstellen auf ein notwendiges Vordringen des Verhaltens im gesamten Verfahrensabschnitt, dass die Besorgnis der Befangenheit erregt, schränkt das Recht auf Durchsetzung eines fairen Verfahrens übermäßig ein und würde de facto die Möglichkeit der Ersetzung unmöglich machen.

Ferner vermag die schlichte Existenz der dienstlichen Erklärung, die im Rahmen des Revisionsverfahrens eingeholt wurde, und auf welche der Senat rekurriert, das Verantwortungsbewusstsein der Kammer für das notwendige Einschreiten im Zuge der Hauptverhandlung nicht ex-post zu begründen. Hierbei handelt es sich um eine Art „Unbedenklichkeitsbescheinigung“, welche sich die erkennende Kammer ex-post und damit im Zuge des Revisionsverfahrens selbst erteilen kann.

Der Strafverteidiger kann durch das frühzeitige Herantreten an das Gericht im Zuge der Hauptverhandlung eine solche Beruhenskorrektur durch die Senate des BGH verhindern. Hierbei sollte das Gericht dazu aufgefordert werden, sich zum Verhalten des Sitzungsvertreters zu äußern und die jeweiligen Ausführungen in das Hauptverhandlungsprotokoll aufzunehmen. Letztlich sollte der Spruchkörper auch auf die hiesige Rechtsprechung – und damit auf die Pflicht zur prozessualen Fürsorge – aufmerksam gemacht werden. Bei fehlender (dokumentierter) Beachtung der Situation ist das erkennende Gericht in der eigenhändigen Beeinflussung der Beruhensprüfung durch Einreichung der dienstlichen Erklärung ex-post jedenfalls beschränkt.

2. Perspektive eines Staatsanwalts

Gemessen an den Anforderungen des § 160 Abs. 2 StPO hat sich der Staatsanwalt auch in der Hauptverhandlung neutral und objektiv zu verhalten. Die für und gegen den Angeklagten sprechenden Gesichtspunkte müssen entsprechend gewürdigt und in Abwägung zueinander gebracht werden. Bestehen am Ende einer Hauptverhandlung Zweifel an der Schuld des Angeklagten, so hat selbstverständlich auch der Staatsanwalt in seinem Schlussvortrag den Freispruch des Angeklagten zu beantragen.

Der Staatsanwalt ist demnach kein „Gegenspieler“ oder Kontrahent des Angeklagten oder der Verteidigung. Die Staatsanwaltschaft hat im Rahmen der Hauptverhandlung als Organ der Rechtspflege auch unabhängig von der Verteidigung selbstständig darauf zu achten, dass das Gebot des fairen Verfahrens eingehalten wird. So bestimmt beispielsweise Nr. 4a der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV), dass der Staatsanwalt alles zu vermeiden hat, was zu einer nicht durch den Zweck des Ermittlungsverfahrens bedingten Bloßstellung des Beschuldigten führen kann. Wenngleich diese Vorschrift dem Wortlaut nach für das Ermittlungsverfahren gilt[29], lässt sich der Rechtsgedanke auch auf das Verhalten des Staatsanwalts als Sitzungsvertreter in der Hauptverhandlung übertragen, der sich dort gegenüber dem Angeklagten objektiv und nicht moralisch (ab)wertend zu verhalten hat.

Vor diesem Hintergrund ist das Verhalten der Sitzungsvertreterin in der Entscheidung des BGH auch aus der Perspektive eines Staatsanwalts zu kritisieren. Fühlt sich eine Sitzungsvertreterin aus persönlicher Betroffenheit, für die es im Einzelfall immer nachvollziehbare Gründe geben mag, „befangen“ und nicht in der Lage, die Aufgaben des Staatsanwalts in der Hauptverhandlung objektiv zu erfüllen, gibt es keinen nachvollziehbaren Grund, das Verfahren bis zum Urteilsspruch fortzuführen. Einen „gesetzlichen“ Staatsanwalt gibt es im Gegensatz zum gesetzlichen Richter nicht. Der Austausch oder gelegentliche Wechsel eines Sitzungsvertreters während einer laufenden Hauptverhandlung ist auch in der beruflichen Praxis keine Seltenheit. Das Strafverfahren kann und darf den Verfahrensbeteiligten keine Bühne dafür bieten, ihre höchstpersönlichen moralischen, gesellschaftlichen oder politischen Überzeugungen („Ich bin Feministin“) kundzutun. Vielmehr muss es den Angeklagten in den Mittelpunkt stellen[30] und unter Einhaltung der förmlichen Verfahrensregeln Feststellungen zur Schuld oder Unschuld desselben treffen.

Die Entscheidung des BGH ist daher in dieser Frage differenziert und nachvollziehbar. Das Gericht betont ausdrücklich, dass das Verhalten der Sitzungsvertreterin nicht mit der staatsanwaltschaftlichen Pflicht zur Objektivität in Einklang zu bringen gewesen ist. Die Möglichkeit, bei dem Dienstvorgesetzten die Ersetzung zu beantragen, wird der Staatsanwältin im Folgenden buchstäblich nahegelegt.

Dass der Senat in dem ausdrücklich als solchem bezeichneten „Fehlverhalten“ dennoch keinen Verfahrensfehler gesehen hat, der einen relativen Revisionsgrund begründet, ist dagegen kein Widerspruch, sondern steht konsequent im Einklang mit den bestehenden Regelungen in §§ 22 ff. StPO sowie §§ 141 ff. GVG. Denn zum einen führt das Gericht nachvollziehbare Argumente an, die dafürsprechen, dass die hohen Hürden, die ein Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren begründen können, nicht erreicht wurden. Dafür spricht vor allem, dass die Sitzungsvertreterin sich außerhalb ihres Schlussvortrages beanstandungsfrei verhalten und überdies auch einen Teilfreispruch beantragt habe. Letzteres wäre im Falle einer Befangenheit, die zu einer Aufhebung des Urteils hätte führen müssen, nicht zu erwarten gewesen.

Aus der Perspektive des Staatsanwalts ist außerdem anzuführen, dass der Gesetzgeber – die Kenntnis dieser Diskussion unterstellt – bis heute keine speziellere Regelung zur „Befangenheit des Staatsanwalts“ geschaffen hat, wofür es auch gute Gründe gibt. Denn zum einen muss der Staatsanwalt als Ankläger die Möglichkeit haben, Argumente auch schärfer formulieren zu können[31], ohne sich sogleich unter dem Damoklesschwert der § 22 ff. StPO zu befinden.[32] Zum anderen können sämtliche Verfahrensbeteiligte bei dem Dienstvorgesetzen nach § 145 Abs. 1 GVG die Ersetzung des Sitzungsstaatsanwalts anregen.[33] Begründet das Verhalten des Sitzungsvertreters die Besorgnis, dass dieser sich nicht an das Gebot des fairen Verfahrens halten werde, kann auch der Verteidiger das Gericht auffordern, bei dem Dienstvorgesetzten auf die Ersetzung hinzuwirken. Es besteht damit – wie auch die dargelegten, taktischen Erwägungen der Strafverteidigung zeigen – durchaus die Möglichkeit, „über die Bande“ gegen das Verhalten des Sitzungsvertreters vorzugehen, sodass zumindest indirekt ein Regelungsinstrumentarium besteht. Da der Staatsanwalt keine Verurteilungskompetenz innehat, ist der Schutz des Angeklagten vor einem „befangenen“ Staatsanwalt mit den bestehenden Regelungen im Ergebnis ausreichend.

V. Folgen für die Praxis

1. Folgen für die Praxis eines Rechtsanwalts

Für die Beratungspraxis eines Rechtsanwalts wird zu erwägen sein, frühzeitig bei einem Erstarken eines die Besorgnis der Befangenheit erregenden Verhaltens auf das erkennende Gericht zuzugehen und auf die durch den BGH statuierte Obliegenheit zur Fürsorge hinzuweisen. Ferner sollte bei dem Gericht das Begehren konkret dargelegt und die einzelnen, die Besorgnis der Befangenheit erregenden, Gesichtspunkte hinsichtlich des Verhaltens des Sitzungsvertreters dokumentiert und möglichst in das Protokoll aufgenommen werden. Die Stellung einer revisionssicheren Verfahrensrüge macht insofern die Verankerung der wesentlichen Verhaltenszüge im Hauptverhandlungsprotokoll durch Antrag nach § 273 Abs. 3 StPO erforderlich. Bei Ablehnung ist das dargelegte Begehren selbst im Protokoll aufzunehmen.[34]

Die hiesige Rechtsprechung des BGH wird auch in den Verfahrensabschnitten des Ermittlungs- und des Zwischenverfahrens anwendbar sein, sodass ein Herantreten an das Gericht bereits zu diesen Zeitpunkten zu eruieren ist. Gerade im Bereich der Anwendung von Opportunitätseinstellungen besteht ein strukturelles Übergewicht der Staatsanwaltschaft, sodass teilweise die „Entscheidungskompetenz“ auf die Staatsanwaltschaft faktisch verlagert wird.[35] Sollte die Staatsanwaltschaft sich vehement und pauschal, das bedeutet unter Versagung einer hinreichenden Begründung zum Nichtvorliegen der Voraussetzungen, weigern, von den Opportunitätseinstellungen Gebrauch zu machen, stellt dies eine Sachverhaltskonstellation dar, die ein Herantreten an das Gericht substantiell begründen würde.

Letztlich ist ebenfalls erwägenswert, ob möglicherweise gegen das erkennende Gericht ein originärer Befangenheitsantrag wegen aufkommender Besorgnis der Befangenheit gestellt wird, wenn das Gericht nicht aktiv tätig wird und die Erwägungen des Strafverteidigers schlicht beiseiteschiebt.

Denn die unterlassene Einwirkung des erkennenden Gerichts gegen das Besorgnis erregende Verhalten des Sitzungsvertreters dürfte dann, wenn Einwendungen schlicht beiseitegeschoben oder gar dem Verhalten beigepflichtet werden, aus Sicht eines vernünftigen Beschuldigten, Angeschuldigten oder Angeklagten zu der Annahme führen, das Gericht solidarisiere sich mit dem gezeigten Verhalten oder möglicherweise auch mit den in der Verhandlung getätigten Aussage. Eine solche Wahrnehmung kann ohne Zweifel den Eindruck der Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit nivellieren.[36] Deshalb ist hier der konkrete Prüfungsmaßstab deutlich vor Augen zu führen: Es kommt nicht auf das tatsächliche Vorliegen der Befangenheit des Gerichts, sondern nur auf die Besorgnis der Befangenheit aus Sicht des Angeklagten an.[37]

Diese Vorgehensweise hätte den praktischen Vorteil, dass eine für den Mandanten zuträgliche Entscheidung im Rahmen eines Revisionsverfahrens erzielbar ist, wobei bei Vorliegen des absoluten Revisionsgrundes gem. § 338 Nr. 3 StPO das Beruhen des Urteils auf dem Rechtsfehler vermutet würde. Eine zusätzliche Entscheidungsinstanz eröffnet sich wegen der Regelung in § 28 Abs. 2 S. 2 StPO für den Angeklagten nicht, da die Entscheidung eines erkennenden Richters nur mit dem Urteil im Rahmen der Revision (oder mit der Verfassungsbeschwerde) angefochten werden kann.

Ferner sind – in Anbetracht der dargelegten Ausführungen des Senats – die Anforderungen hinsichtlich des Maßstabs einer Annahme der Besorgnis der Befangenheit für das erkennende Gericht niedriger als für den Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft. Die hieraus resultierende Folgefrage wäre, ob das Gericht befangen sein könnte, wenn die hohen Hürden für die Befangenheit des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft noch nicht überschritten sind. Angesichts der Ausführungen zu den unterschiedlichen Wertungsmaßstäben einer Befangenheit des erkennenden Gerichts und der eines Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft, die der Senat ausdrücklich dargelegt hat, muss dies möglich sein. Demnach kann die Solidarisierung des Gerichts mit Verhaltensweisen des Sitzungsvertreters, die zwar auffällig, aber noch nicht die hohen Hürden der vorgenannten Rechtsprechung in Bezug auf den Sitzungsvertreter überschritten haben, dennoch die Befangenheit der Mitglieder des erkennenden Gerichts begründen.

Letztlich muss ein Strafverteidiger aber den Mandanten auch auf die möglichen Kostenfolgen hinweisen. Zudem sind die oben dargelegten Für und Wider vor der Begehung eines solchen Konfliktweges in besonderem Maße zu berücksichtigen. Hierbei muss der Grundsatz „Vorsicht statt Nachsicht“ gelten. Es ist nicht fernliegend, dass sich durch das vorstehend eröffnete Verfahrensverhalten eine einheitliche „Kaltfront“ aus Staatsanwaltschaft und Gericht gegen den Angeklagten bildet.

Die von dem BGH statuierte Obliegenheit des erkennenden Gerichts führt aber dazu, dass bereits im Rahmen der Hauptverhandlung ein weiterer gangbarer Weg zur effektiven Durchsetzung der Rechte des Angeklagten geschaffen wurde. Ein „Freifahrtschein“ existiert damit für das die Befangenheit besorgende Verhalten von Staatsanwälten weder für den Sitzungsvertreter noch für das erkennende Gericht.

2. Folgen für die Praxis eines Staatsanwalts

Die Folgen der Entscheidung des BGH auf die Praxis des Staatsanwalts im Rahmen der Wahrnehmung der Sitzungsvertretung dürften recht gering sein. Der Beschluss hat deutlich gemacht, wie weit die Äußerungen eines Staatsanwalts gehen dürfen, ohne dass es im Ergebnis zu der Aufhebung eines Urteils kommt. Selbst die ausdrückliche Selbstbezichtigung als „im konkreten Fall befangen“ genügt dafür offenkundig nicht.

Indes sollte die Entscheidung des Senats keinesfalls als Aufforderung verstanden werden, sich in der Hauptverhandlung vergleichbar zu verhalten. Denn zum einen hat das Gericht betont, dass das Recht des Angeklagten auf ein justizförmiges Verfahren durch die Verletzung der Pflicht zur Objektivität durchaus verletzt sein kann und das Urteil in einem solchen Fall regelmäßig auf der Rechtsverletzung beruhen wird. Das Gebaren der Staatsanwältin bezeichnet der Senat ausdrücklich als „Fehlverhalten“. Der Sitzungsvertreter sollte sich nicht darauf verlassen, dass ein derartiges Auftreten durch die Verfahrensherrschaft des Gerichts kompensiert wird. Zum anderen nimmt der BGH das erkennende Gericht in die Pflicht, bei dem Dienstvorgesetzten im Zweifel auf die Ersetzung des Staatsanwalts durch einen anderen Sitzungsvertreter hinzuwirken. Im Falle einer umfangreichen Hauptverhandlung mit mehreren Sitzungstagen kann dies die Stellung der Staatsanwaltschaft schwächen, wenn ein nicht mit dem Verfahrensinhalt vertrauter Staatsanwalt die Sitzungsvertretung übernehmen muss. Auch sollten die Folgen einer solchen Entscheidung des Dienstvorgesetzten auf die eigene berufliche Situation nicht unterschätzt werden, da Zweifel an der Fähigkeit zur Objektivität für einen Staatsanwalt nicht hinnehmbar sind. Im Ergebnis sollte der Staatsanwalt die Entscheidung des BGH zum Anlass nehmen, seine Objektivität in jedem Stadium eines Strafverfahrens selbst zu überprüfen und im Zweifel selbst bei dem Dienstvorgesetzen auf seine Ablösung hinwirken.

VI. Kriminalpolitisches Fazit

Die Analyse der Entscheidung des BGH sowie der Blick auf die wechselseitigen Perspektiven hat gezeigt, dass der Schutz des Angeklagten vor einem die Besorgnis der Befangenheit erregenden Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft durch praktische Handgriffe möglich bleibt, obgleich eine konkrete gesetzliche Regelung nicht existiert. Es bleibt deshalb äußerst fraglich, ob eine gesetzliche Regelung in diesem Kontext zusätzlichen Schutz für den Angeklagten bieten könnte.[38] Dies gilt vor allem deshalb, weil der Senat des BGH in seiner Entscheidung hohe Hürden zur Ablehnung von Staatsanwälten wegen zu besorgender Befangenheit manifestiert hat. Die Einführung einer Regelung zur Ablehnung von Staatsanwälten würde diese von der Rechtsprechung aufgestellten Hürden indes nicht obsolet machen. Ein tatsächlicher Mehrwert wäre durch die Kodifizierung eines Ablehnungsrechts aus der hier vertretenen Auffassung nicht erkennbar. Zudem hat der Beitrag aufgezeigt, dass ausreichend Möglichkeiten bestehen, gegen ein beanstandungswürdiges Verhalten des Staatsanwalts vorzugehen. Dabei kann zum einen das erkennende Gericht in die Pflicht genommen und bei Untätigkeit mit einem Befangenheitsantrag durch die Verteidigung die Rechte des Angeklagten durchgesetzt werden. Zum anderen kann bei dem Dienstvorgesetzen des Staatsanwalts auf dessen Ablösung in der Hauptverhandlung hingewirkt werden. Letztlich muss jedoch eingestanden werden, dass das Herantreten an den Dienstvorgesetzten in den wenigsten Fällen hinreichende Aussichten auf Erfolg haben wird.

In diesem Kontext ist dem Vorschlag von Volkmann und Vogel deshalb zuzugestehen, dass sie eine Lösung für den unmittelbaren „Schulterschlusseffekt“ innerhalb der Behörde anbieten, indem sie die Zuständigkeit für eine formalisierte Entscheidung der jeweiligen Dienst- und Fachaufsicht nach § 147 GVG zuordnen.[39] Insgesamt ist aber – unter Berücksichtigung der hohen Hürden der Rechtsprechung – dennoch nicht zu erwarten, dass eine gesetzliche Regelung ein substantielleres „Mehr“ an Rechtssicherheit für den Angeklagten schaffen würde. Vielmehr würden sich die weisungsbefugten Stellen in der Praxis an den hohen Hürden der Rechtsprechung orientieren, sodass die Erfolgsquote äußerst gering sein dürfte.

 

[1]      Zur rechtshistorischen Einordnung und Entwicklung der Staatsanwaltschaft: Eisele/Trentmann, NJW 2019, 2365 und zur Diskussion um eine Entkoppelung der Staatsanwaltschaft von Weisungsrechten: Thomas, KriPoZ 2020, 85 ff.
[2]      Dezidiert zu der Staatsanwaltschaft als überparteiliches Organ der Rechtspflege: Volkmann/Vogel, StV 2021, 537 (539).
[3]      Z.B. Herrmann, in: Heghmanns/Herrmann, Das Arbeitsgebiet des Staatsanwalts, 6. Aufl. (2022), A. II. Nr. 3. Rn. 47.
[4]      Herrmann, in: Heghmanns/Herrmann, Das Arbeitsgebiet des Staatsanwalts, A. II. Nr. 3. Rn. 47.
[5]      BGH, BeckRS 2024, 15007.
[6]      BGH, NJW 1980, 845; BGH, NStZ 1991, 595; BGH, NStZ 2008, 353 f.
[7]      Unter Verweis auf BGH, BeckRS 1995, 6252.
[8]      Unter Verweis auf: Tolksdorf, Mitwirkungsverbot für den befangenen Staatsanwalt, 1989, S. 113 f.
[9]      Ausführlich zur Reichweite der Befragung von Zeugen und zu möglichen Gegenrechten der Staatsanwaltschaft im Rahmen der Hauptverhandlung die Befragung von Zeugen zu beanstanden: BGH, BeckRS 2024, 15007 Rn. 12.
[10]    Pawlik, NStZ 1995, 309 (311); Brocke, in: MüKo-StPO, 2. Aufl. (2025), § 145 GVG Rn. 9 m.w.N.
[11]    Eine Pflicht des Gerichts, auf die Ablösung des Staatsanwalts hinzuwirken, kann lediglich in Ausnahmefällen bestehen, und zwar wenn nur so das Recht des Angeklagten auf ein faires Verfahren gewährleistet werden kann, s. LG Mönchengladbach, Beschl. v. 26.3.1987 – 12 KLs 12/85 (2), juris.
[12]    Inhofer, in: BeckOK-GVG, 27. Ed. (Stand: 15.5.2025), § 145 GVG, Rn. 3.
[13]    LG Mönchengladbach, Beschl. v. 26.3.1987 – 12 KLs 12/85 (2), juris; Brocke, in: MüKo-StPO, § 145 GVG Rn. 9, dort auch zum folgenden Text.
[14]    Vgl. OLG Hamm, NJW 1969, 808 f.
[15]    Anders zu beurteilen ist dies lediglich bei der bekannten Problematik der weiteren Mitwirkung des Sitzungsstaatsanwalts, der in der Hauptverhandlung als Zeuge vernommen wurde, s. dazu etwa BGH, NStZ 1983, 135; BGH, NStZ 2019, 482; Heil, in: KK-StPO, 9. Aufl. (2023), Vorb. § 22 Rn. 7 m.w.N.
[16]    Heil, in: KK-StPO, § 22 Rn. 7.
[17]    BGH, NJW 1980, 845 (846); Miebach, NStZ 1989, 13 f.
[18]    BGH, NStZ-RR 2024, 252 (253).
[19]    So auch: Krause, in: Müller/Schlothauer/Knauer, Münchener Anwaltshandbuch, 3. Aufl. (2022), § 7 Rn. 71. 
[20]    Ausführlich hierzu: Krause, in: Müller/Schlothauer/Knauer, Münchener Anwaltshandbuch, § 7 Rn. 71; ebenfalls: Tsambikakis, in: Müller/Schlothauer/Knauer, Münchener Anwaltshandbuch, § 2 Rn. 110.
[21]    M.w.N. zur Kasuistik der Rechtsprechung: Krause, in: Müller/Schlothauer/Knauer, Münchener Anwaltshandbuch, § 7 Rn. 72.
[22]    Krause, in: Müller/Schlothauer/Knauer, Münchener Anwaltshandbuch, § 7 Rn. 74.
[23]    Als Recht, gleichwertig auf die Entscheidungswirkung einzuwirken: m.w.N.: Krauß, in: LR-StPO, 26. Aufl. (2023), Vorb. § 141 Rn. 22.
[24]    Vgl. s. oben: II. 2.
[25]    Zu den Ausflüssen des fair-trial-Grundsatzes nach Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK: m.w.N. Kudlich, StV 2025, 157 (160); zum Fair-Trial-Grundsatz weiterführend: Volkmann/Vogel, StV 2021, 537 (540).
[26]    Ebenfalls: Kudlich, StV 2025, 157 (160).
[27]    Zu den Folgen eines solchen Ankereffekts staatsanwaltschaftlicher Plädoyers: m.w.N. Kudlich, StV 2025, 157 (160); „Schulterschlusseffekt“: Volkmann/Vogel, StV 2021, 537 (542).
[28]    Hierzu aus verfahrenspsychologischer Sicht: Volkmann/Vogel, StV 2021, 537 (541 f.).
[29]    Vgl. Gertler, in: BeckOK-StPO, Nr. 4a RiStBV, Rn. 7.
[30]    Vgl. Gertler, in: BeckOK-StPO, Nr. 23 RiStBV, Rn. 34.
[31]    Vgl. Burhoff, ZAP 2024, 1199 (1207).
[32]    Vgl. dazu BGH, BeckRS1995, 6252, Cirener, in: BeckOK-StPO, § 22 Rn. 37, wonach für Staatsanwälte im Vergleich zu Richtern weniger strenge Maßstäbe bei der Beurteilung der Besorgnis der Befangenheit gelten.
[33]    Heil, in: KK-StPO, Vorb. § 22 StPO, Rn. 6.
[34]    Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl. (2024), § 273 Rn. 10; Protokollanfertigung zum Verhalten des Sitzungsvertreters und Drängen auf Tätigwerden des Gerichts: Burhoff, ZAP 2024, 1199 (1207).
[35]    Hierzu bereits auf diesen in der Praxis bedeutsamen Umstand hinweisend: Volkmann/Vogel, StV 2021, 537 (543).
[36]    Zu weiteren Fällen, aus denen aus dem Prozessverhalten des Gerichts die Besorgnis der Befangenheit abgeleitet wird: Cirener, in: BeckOK-StPO, § 24 Rn. 35 ff.
[37]    Zurecht zu diesem terminologischen Unterschied: Tsambikakis, in: Müller/Schlothauer/Knauer, Münchener Anwaltshandbuch, § 2 Rn. 110.
[38]    Hier z.B. Volkmann/Vogel, StV 2021, 537 (543), die eine bundesgesetzliche Schaffung eines formalisierten Antragsrechts zur Ablösung befangener Staatsanwälte befürworten.
[39]    Volkmann/Vogel, StV 2021, 537 (543).

 

 

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