„Hass in sozialen Medien aus Sicht von Wissenschaft und Praxis“ Tagung im DFG-Projekt „Soziale Medien und Strafrecht – Äußerungsdelikte in einem neuen Umfeld“ am 27. und 28. Juni 2025 in Würzburg

von Dr. Tamina Preuß, M.A.

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„Wir glauben nicht an die Meinungsfreiheit, wenn wir sie nicht auch den Leuten zugestehen, die wir verachten.“ Dieses zeitlose Zitat des US-amerikanischen Linguisten und Publizisten Noam Chomsky ist in der aktuellen Debatte um den gesellschaftlichen Umgang mit kontroversen Positionen und die Grenzen der Meinungsfreiheit, gerade bei Hassrede, sehr präsent. Die Meinungsfreiheit wird bekanntlich jedoch nicht schrankenlos zugestanden, sondern findet ihre Grenzen u.a. in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und dem Recht der persönlichen Ehre sowie sonstigen verfassungsimmanenten Schranken. Doch wo liegen diese Grenzen im konkreten Einzelfall? Kann man pauschal dem Kampagneslogan[1] „Hass ist keine Meinung“[2] folgen? Gibt es bestimmte Schmähworte, die nie durch die Meinungsfreiheit gedeckt sind? Welche Rolle kommt dem Kontext zu? Diese und viele andere Fragen waren Gegenstand der Tagung „Hass in sozialen Medien aus Sicht von Wissenschaft und Praxis“, die am 27. und 28. Juni 2025 im Rahmen des von Prof. Dr. Tobias Reinbacher und Prof. Dr. Frank Peter Schuster geleiteten durch die DFG geförderten Projekts „Soziale Medien und Strafrecht – Äußerungsdelikte in einem neuen Umfeld“[3] an der Julius-Maximilians-Universität in Würzburg stattfand.

I. Einführung

Nach der Begrüßung der zahlreichen Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Wissenschaft und Praxis sowie aus dem Kreis der Studierenden der Universität Würzburg durch Schuster, eröffnete Reinbacher mit einem einführenden Vortrag die Tagung. Zu Beginn seiner Ausführungen betonte er das „toxische Potential“ der sozialen Medien als Orte für Hass und Propaganda, aber auch deren enorme Bedeutung für den politischen Diskurs. Diese seien heute „nicht nur Stammtisch“, sondern „auch Zeitung, Fernsehen und Parteiveranstaltung.“

Im Zentrum der einführenden Worte standen Hate Speech (Hassrede, Hasskommentare) – verstanden als Posts und Kommentare im Internet, die abwerten, aufhetzen, beleidigen und/oder bedrohen, auftretend u.a. in rassistischer, gewaltverherrlichender, sexistischer, antisemitischer, homophober oder transphober Form[4] – als Gefahr für die Demokratie und die Reichweite und Grenzen der Meinungsfreiheit bei Äußerungen im Internet. Anhand von Fallgruppen wurde die Schwierigkeit der Abwägung von Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht der Betroffenen verdeutlicht, die wiederholt im Rahmen der weiteren Tagung aufgegriffen wurde. Der Referent warf die Frage auf, wie mit dem Hass im Internet umzugehen sei und welchen Beitrag das Strafrecht hierzu leisten könne. Diese Frage zog sich wie ein „roter Faden“ durch die zwei Tagungstage.

II. Die Auswirkungen von digitaler Gewalt und rechtliche Handlungsmöglichkeiten

Im ersten Vortrag stellte Katharina Goede (Juristin bei HateAid gGmbH) die Arbeit der gemeinnützigen Organisation HateAid vor und beleuchtete die Auswirkungen digitaler Gewalt – definiert als verschiedene Formen von Belästigung, Herabwürdigung, Diskriminierung oder sozialer Isolation im Internet oder mit Hilfe elektronischer Kommunikationsmittel[5] – auf die Betroffenen sowie deren rechtliche Handlungsmöglichkeiten. Dabei kamen unterschiedliche Aspekte des Betroffenenschutzes, wie Nutzung von Meldewegen nach dem Digital Services Act (DSA), IT-Sicherheitsmaßnahmen, straf- und zivilrechtlicher Rechtsschutz sowie Beantragung einer Auskunftssperre im Melderegister nach § 51 Bundesmeldegesetz (BMG), zur Sprache. Einen Exkurs widmete die Referentin dabei den von sexualisierten Deepfakes ausgehenden Gefahren. Sie wies darauf hin, dass der aktuelle Koalitionsvertrag[6] vorsieht, bestehende Strafbarkeitslücken im Bereich Deepfakes zu schließen. Goede sprach sich für die konsequente Ahndung von Verstößen gegen den DSA aus und befürchtete einen Rückschritt bei der Plattformregulierung. Im Rahmen, der sich anschließenden Diskussion ging es u.a. um die von Prof. Dr. Mustafa Temmuz Oğlakcıoğlu (Universität des Saarlandes) aufgeworfene Frage, ob die Netzwerkregulierung im Bereich der Äußerungsdelikte vom Strafrecht abgekoppelt werden sollte.

III. Hass in sozialen Medien aus Sicht der Bayerischen Strafverfolgungsbehörden

Einblicke in die Perspektive der bayerischen Strafverfolgungsbehörden auf die Verfolgung von Hate Speech gab der Beauftragte der bayerischen Justiz zur strafrechtlichen Bekämpfung von Hate-Speech David Beck (Staatsanwalt als Gruppenleiter). Dieser ist bei der Bayerischen Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus bei der Generalstaatsanwaltschaft München (ZET) angesiedelt. Ausgehend vom Hate Speech-Begriff der Bayerischen Justiz, wonach Hate Speech Straftaten, wie §§ 86a, 111, 126, 130, 140, 185 ff., 241 StGB erfasst, die über eine bilaterale Kommunikation hinausgehen, unter Verwendung des Internets erfolgen und als Hasskriminalität einzuordnen sind, betonte Beck, dass bei Hate Speech die Opfer häufig austauschbar sind und durch die Taten nicht nur das individuelle Opfer, sondern die gesamte angegriffene Gruppe verletzt ist. Anhand konkreter Fälle, wie den hetzerischen Kommentaren nach der Veröffentlichung des Fotos des dreijährigen im Mittelmeer ertrunkenen syrischen Flüchtlingsjungen Alan Kurdi, wurde verdeutlicht, wie menschenverachtend Hass-Kommentare in den sozialen Medien sein können. Anschließend erläuterte Beck die Maßnahmen der bayerischen Justiz gegen Hate Speech. Diese umfassen die Schaffung des Amtes des Hate-Speech-Beauftragten, der für herausgehobene Ermittlungsverfahren mit seinem Team bayernweit zuständig ist, und die Einrichtung von Sonderdezernaten für die Bekämpfung von Hate Speech bei allen 22 bayerischen Staatsanwaltschaften.[7] Weitere Maßnahmen gegen Hate Speech seien die Teilnahme an bundesweiten Aktionstagen gegen Hasspostings – zuletzt am 25.6.2025[8] –, niedrigschwellige Anzeige- und Meldemöglichkeiten, zusammengefasst unter bayern-gegen-hass.de, und konsequente Strafverfolgung. Letzteres belegte der Referent mit Statistiken zu den bei den bayerischen Staatsanwaltschaften erfassten Hate-Speech-Verfahren (2024: 3.462 neu eingeleitete Verfahren, hiervon 2.909 gegen bekannte Täter und 533 Verfahren gegen Unbekannt) und den Verfahrensabschlüssen (2024: ca. 1.300 Einstellungen, 794 Klageerhebungen, 597 Verurteilungen) in Bayern.[9] Opportunitätseinstellungen von Hate-Speech-Verfahren seien in Bayern die Ausnahme.

IV. Hass in sozialen Medien aus Sicht der Hessischen Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (ZIT)

Oberstaatsanwalt Hanno Wilk (Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt a. M.) bereicherte die Tagung um die Perspektive der bereits 2010 gegründeten in Frankfurt a.M. ansässigen Hessischen Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (ZIT), die u.a. für besonders aufwendige und umfangreiche Ermittlungsverfahren im Bereich Hate Speech zuständig ist.[10] Im Rahmen des Vortrags kamen viele unterschiedliche Aspekte zur Sprache, wie die Zusammenarbeit mit der im Hessischen Ministerium des Innern, für Sicherheit und Heimatschutz angesiedelten Meldestelle „HessenGegenHetze“, Frauenfeindlichkeit, Rassismus im Sport und Streitfragen zur Strafbarkeit der gegen Personen des politischen Lebens gerichteten Beleidigung, üblen Nachrede und Verleumdung nach § 188 StGB, insbesondere zur Auslegung der sog. Eignungsklausel. Gegenstand des Vortrags war auch der Umgang mit den Tätern und Täterinnen. Der Referent stellte die These auf: „Unrechtseinsicht und Empathie entstehen erst in der persönlichen Konfrontation, unter Umständen vor Gericht.“ Hierfür geeignete Maßnahmen seien das digitale Interventionsprogramm „STOP HATE“[11] und der derzeit noch im Aufbau befindliche „Digitale Täter-Opfer-Ausgleich.“

V. Hass in sozialen Medien aus Sicht eines Opferanwalts

Den Abschluss des ersten Tagungstages bildete der in Dialogform gehaltene Vortrag von Chan-jo Jun (Rechtsanwalt Jun Legal GmbH, Würzburg) und Jacqueline Sittig (Wissenschaftliche Mitarbeiterin Jun Legal GmbH, Würzburg). Im Fokus des sehr lebhaft gehaltenen Referats standen dabei die Verfahren, mit denen Jun über die Landesgrenzen hinausgehende Aufmerksamkeit erregt hat, wie das Verfahren gegen Facebook im Fall Anas Modamani und die Klage der Bundestagsabgeordneten Renate Künast gegen Meta. Der Fokus lag dabei auf der Verantwortlichkeit der Plattformbetreiber und der Schwierigkeit der Rechtsdurchsetzung, aber Jun berichtete auch darüber, im Zusammenhang mit seinen Mandaten in der Vergangenheit selbst Opfer von Hassbotschaften und Drohungen geworden zu sein. Daneben gab Sittig einen Einblick in ihre Forschung zu Deepfake-Pornografie.[12] Abschließend appellierten die Referenten an die Wissenschaft, sich bei aktuellen Themen in die Diskussion einzumischen, „Farbe zu bekennen“ und die eigene Position klar zu benennen.

VI. Hass in sozialen Medien aus Sicht der Bayerischen Polizei

Mit der polizeilichen Perspektive auf Hass in den sozialen Medien eröffnete Michael Weinzierl (Kriminaloberrat, Beauftragter der Bayerischen Polizei gegen Hasskriminalität, insbesondere Antisemitismus) den zweiten Tagungstag. Weinzierl definierte Hasskriminalität im Sicherheitskontext als vorurteilsgeleitete Kriminalität und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, bei der das Opfer meist austauschbar ist, die im virtuellen und analogen Raum stattfindet, Minderheiten und vulnerable Gruppen in ihrer Lebensführung beeinflusst, sich gegen unsere freiheitlich demokratische Grundordnung und unser Wertebild richtet und die gesamte Gesellschaft destabilisiert und deshalb politisch motivierte Kriminalität ist. Vorgestellt wurden ausgewählte Zahlen aus dem Lagebild Bayern Hasskriminalität 2024 des Bayerischen LKA:[13] Für das Berichtsjahr 2024 wurden in Bayern 2.021 Fälle von Hasskriminalität registriert. Dies sind deutlich mehr Fälle als in den Vorjahren (2023: 1867 Fälle, 2022: 1186 Fälle, 2021: 1225 Fälle), worin Weinzierl eine tatsächliche Zunahme der Hasskriminalität, keine bloße Aufhellung des Dunkelfelds, sah. Die erfassten Fälle wurden unterschiedlichen Unterthemenfeldern (UTF) zugewiesen. Quantitativ besonders auffällig waren dabei die UTF Fremdenfeindlichkeit (1829 Fälle), Ausländerfeindlichkeit (736 Fälle), Antisemitismus (579 Fälle) und Rassismus (626 Fälle). Die Aufklärungsquote im Bereich Hasskriminalität ist relativ hoch (2024: 65,41 Prozent), woraus Weinzierl herleitete, dass das Narrativ, bei einer Anzeige komme „eh nichts raus“ in vielen Fällen nicht zutrifft. Als weiteren Aspekt beschäftigte sich der Vortragende mit den Betroffenen von Hasskriminalität. Er brachte zur Sprache, welche Bevölkerungsgruppen betroffen sind, welche Ängste und Hemmungen bei und vor der Anzeigeerstattung bestehen und was Betroffene „Hatern“ entgegensetzen können. In der anschließenden Diskussion wurden zukünftig zu erwartende Veränderungen der UTF im Lagebild thematisiert. Der Referent hielt Erweiterungen der Kategorien im Bereich Bodyshaming, sozialer Status und Einsatz von KI – Stichwort Deepfakes – für naheliegend sowie eine weitere Ausdifferenzierung im Bereich Antisemitismus. Auf die Frage, was die Polizei brauche, um in Zukunft besser gegen Hasskriminalität vorgehen zu können, nannte Weinzierl u.a. eine entsprechende Aus- und Fortbildung zur Schaffung von Sensibilität, klare Definitionen und eine Klärung der Rolle der Polizei im Internet.

VII. Hass in sozialen Medien aus mediensoziologischer Sicht

Die mediensoziologische Perspektive auf Hass in den sozialen Medien wurde durch das Referat von Prof. Dr. Elke Wagner (Julius-Maximilians-Universität Würzburg) abgebildet. Im ersten Schritt widmete sich die Referentin der Frage „Was ist Hass im Netz?“ Sie warf einen Blick auf unterschiedliche Definitionsversuche und kam zu dem vorläufigen Ergebnis, dass eine einheitliche Definition von Hass im Internet nahezu unmöglich ist. Im zweiten Schritt näherte sie sich der Frage anhand der Kommunikationstheorie des Soziologen Niklas Luhmann an und führte u.a. aus, dass nach Luhmann Verstehensprozesse erst über die Anschlusskommunikation sichtbar werden. Wie eine Äußerung zu verstehen sei, sei eine empirische Frage, die man soziologisch untersuchen könne und – im Falle von Hasskommunikation im Netz – auch dringend müsse: Handelt es sich bei einem Posting um Hass-Rede oder wurde schlicht ein Wort benutzt, das im konkreten Fall auch als Jugendslang verstanden werden muss? Anschließend verdeutlichte Wagner anhand von Interviewausschnitten aus einer von ihr durchgeführten Untersuchung der empirischen Praxis von Community-Managerinnen und -Managern, dass die Einstufung einer Äußerung als Hasskommunikation, die gelöscht werden sollte, immer vom Einzelfall und hier vom jeweiligen Kontext abhängt. Als Fazit ihres Vortrags hielt Wagner fest, dass eine einheitliche Definition von Hass im Netz aus soziologischer Sicht nicht zu erwarten und eine möglichst offene Definition aufgrund der Kontextabhängigkeit von Kommunikation aus soziologischer Perspektive sinnvoll ist. Eine einheitliche, kontextvergessene Definition könne dazu führen, auch Postings zu löschen, die sich eigentlich gegen Hass und Hetze im Netz aussprechen wollen.

Der auf den ersten Blick entstandene Eindruck, dass das strafrechtliche und das mediensoziologische Verständnis von Hass im Internet sehr weit auseinanderliegen, da das Strafrecht nach klaren Definitionen verlangt, während dies mediensoziologisch nicht sinnvoll ist, konnte im Rahmen der anschließenden Diskussion widerlegt werden. So wurde klar, dass auch die Referentin für eine strafrechtliche Regulierung von Hasskommunikation im Internet basierend auf strafrechtlichen Begrifflichkeiten und Grundsätzen plädiert und dass auch aus strafrechtlicher Perspektive der Kontext immer entscheidend für die Subsumtion des Einzelfalls unter einem bestimmten Straftatbestand ist. Selbst auf den ersten Blick vermeintlich eindeutige Fälle können sich je nach soziokulturellem Kontext und Verständnis der beteiligten Personen auf den zweiten Blick als nicht tatbestandsmäßig herausstellen.

VIII. Lauter Hass, leiser Rückzug – Wie Hass im Netz den demokratischen Diskurs bedroht

Der Abschlussvortrag wurde von Elena Kountidou (Geschäftsführerin Neue deutsche Medienmacher:innen) gehalten. Die Neuen deutschen Medienmacher:innen (NdM) sind ein bundesweites Netzwerk von Journalisten und Journalistinnen, das sich für gute Berichterstattung und für vielfältiges Medienpersonal einsetzt. Kountidou stellte unterschiedliche Projekte der NdM vor, u.a. die Ergebnisse der repräsentativen Befragung „Lauter Hass – leiser Rückzug“, die vom Kompetenznetzwerk gegen Hass im Netz unter Beteiligung des NdM, von HateAid und anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren herausgegeben wurde.[14] Ein Ergebnis dieser Studie ist, dass mehr als die Hälfte der Befragten sich aus Angst vor Hass seltener zur eigenen politischen Meinung bekennt und sich seltener an Diskussionen im Internet beteiligt. Dies gilt vor allem für Betroffene. Dementsprechend kann man sagen: „Der Hass ist laut. Der Rückzug ist leise.“ Als aus den Studienergebnissen abgeleitete politische Forderungen nannte die Referentin den besseren Schutz und die Unterstützung der Betroffenen, die bessere Ausbildung der Sicherheitsbehörden und das Stärken von Medienkompetenz und politischer Bildung – über den schulischen Bereich hinaus und nach einer einheitlichen Strategie – sowie die, auch finanzielle, Inverantwortungnahme der Social Media Plattformen. Auch kam Kountidou auf das Projekt BetterPost zu sprechen, im Rahmen dessen analysiert wird, wie die Sprache in journalistischen Post mit Rassismus in den Kommentaren zusammenhängt.[15] Weiter behandelte Kountidou die von Desinformationen ausgehenden Gefahren und gab einen Einblick in den Alltag von Community-Managern und -Managerinnen, die täglich unter enormen Zeitdruck, ohne spezielle Ausbildung, ohne Leitlinien und ohne Supervision oder psychologische Betreuung mit mitunter tausenden von Hasskommentaren konfrontiert sind. Kountidou sprach sich für eine Aufwertung der bislang wenig beachteten Tätigkeit der Community-Manager und -Managerinnen aus. In der Diskussion nach dem Vortrag ging es u.a. darum, ob man Fake News im Vorfeld zur Beeinflussung von Wahlen weitergehend rechtlich erfassen sollte. In diesem Zusammenhang berichtete Kountidou über einen derzeit in Wales diskutierten Vorschlag, der vorsieht, dass gegenüber Politikern und Politikerinnen, die absichtlich die Öffentlichkeit täuschen, die Möglichkeit bestehen soll, Mandate zu entziehen und Sanktionen zu verhängen.[16]

IX. Zusammenfassung der Tagung

In seinem abschließenden Beitrag fasste Schuster die Vorträge der Tagung zusammen und verglich sie mit den bisherigen Forschungsergebnissen. Das Internet mit den sozialen Medien biete auf der einen Seite für den Normalbürger die Möglichkeit, Inhalte selbst zu produzieren und Reichweite für aus seiner Sicht wichtige Belange zu generieren. Auf der anderen Seite stünden die Gefahren für die Gesellschaft; aufgrund des Online-Enthemmungseffekts[17] würden Menschen im Internet deutlich aggressiver miteinander kommunizieren als offline. Schuster griff unterschiedliche im Laufe der Tagung zur Sprache gekommene Aspekte noch einmal auf. Die Aufklärungsquoten seien zwar vergleichsweise hoch. Derzeit sei man aber vor allem noch auf mehr oder minder freiwillige Auskünfte der (ausländischen) Provider angewiesen. Rechtshilfeersuchen und Europäische Ermittlungsanordnungen spielten aus Gründen der Verhältnismäßigkeit fast keine Rolle. Für grenzüberschreitende Auskunftsersuchen zumindest eine völkerrechtlich belastbare Regelung zu finden, sei der Ansatz der ab August 2026 geltenden E-Evidence-VO. Die Abwägung von Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsschutz bleibe eine Hauptschwierigkeit der Staatsanwaltschaften. Auch Normen wie § 130 StGB und § 188 StGB wiesen unbestimmte Tatbestandsmerkmale auf, welche in der Praxis große Probleme in der Handhabung bereiteten. Er kam zu dem vorläufigen Fazit, dass in den vor 15 bis 20 Jahren als positives Instrument zur Verbesserung der Meinungsfreiheit wahrgenommenen sozialen Medien, in denen sich der Normalbürger Gehör verschaffen konnte, das Phänomen Hate Speech zunimmt und sichtbare Autoritäten fehlen. Die Grenzen zwischen strafloser Meinungsäußerung und strafbarer Hetze seien teilweise unklar – zumindest für Nichtjuristen – und manche Nutzer würden deshalb zu Unrecht annehmen, das Internet sei ein regelloser Raum. Es sei unser gemeinsames Anliegen, dem entgegenzuwirken.

X. Abschlussdiskussion

Die nachfolgende Abschlussdiskussion befasste sich vor allem mit dem Beitrag des Strafrechts zur Bekämpfung von Hassrede. Beck führte aus, mit dem Strafrecht könne man die Welt nicht retten und aus dem Internet voller Hass kein Internet ohne Hass machen, vielmehr diene das Strafrecht als ultima ratio der Bestrafung einzelner Täter, soweit konkrete Äußerungen Straftatbestände erfüllen. Es müsse auch auf anderen Ebenen etwas passieren. Dr. Fabian Stam (Universität Potsdam) betonte dagegen, das Strafrecht schütze der Gesellschaft wichtige Interessen und lege die äußersten Grenzen des Zulässigen fest. Dem Strafrecht komme nicht nur eine reaktive Funktion, sondern auch eine verhaltenssteuernde Funktion zu. Schuster bezeichnete das Strafrecht als „deutlichstes Wort des Staates“ und betonte den Aspekt, dass es die Zivilcourage fördern könne, wenn man das Strafrecht quasi als Argument hinter sich habe. Ähnlich wie Beck sah auch Wilk das Strafrecht als „rein fragmentarische Unterstützungsleistung.“ Wilk sprach sich zudem deutlich gegen eine Verschiebung der Hate Speech-Delikte in das Ordnungswidrigkeitenrecht aus, da dieses die erforderlichen komplizierten Abwägungsprozesse nicht leisten könne. Nach einer kurzen Diskussion über die Bestrafung von Hate Speech de lege ferenda – etwa durch die Pönalisierung der Beteiligung an einem Shitstorm als abstraktes Gefährdungsdelikt – sprach Reinbacher das Schlusswort: Das Projekt, im Rahmen dessen die Tagung stattfand, werde die Welt nicht retten, aber vielleicht zu ein bisschen weniger Hass im Netz beitragen.

 

[1]      HateAid, online abrufbar unter: https://hateaid.org/wp-content/uploads/2023/09/hateaid-hass-ist-keine-meinung-aufklaerungsbooklet-digital.pdf (zuletzt abgerufen am: 30.6.2025); Neue deutsche Medienmacher e. V., online abrufbar unter: https://neuemedienmacher.de/wp-content/uploads/2016/07/18072016NoHateSpeechDeutschland.pdf (zuletzt abgerufen am: 30.6.2025).
[2]      Vgl. zur Diskussion hinsichtlich des Slogans Diringer, online abrufbar unter: https://www.welt.de/debatte/kommentare/plus210223321/Der-Slogan-Hass-ist-keine-Meinung-ist-gefaehrlicher-Bloedsinn.html (zuletzt abgerufen am: 30.6.2025); Zywietz, online abrufbar unter: https://www.online-propagandaforschung.de/index.php/2022/12/23/hass-meinung/ (zuletzt abgerufen am: 30.6.2025).
[3]      Zum DFG-Projekt, online abrufbar unter: https://gepris.dfg.de/gepris/projekt/519476214?context=projekt&task=showDetail&id=51
9476214& (zuletzt abgerufen am: 2.7.2025).
[4]      Bayerisches Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales, online abrufbar unter: https://bayern-gegen-gewalt.de/gewalt-infos-und-einblicke/formen-von-gewalt/digitale-gewalt/hatespeech/#sec1 (zuletzt abgerufen am: 30.6.2025).
[5]      HateAid, online abrufbar unter: https://hateaid.org/digitale-gewalt/#definition (zuletzt abgerufen am: 30.6.2025).
[6]      CDU, CSU, SPD, Verantwortung für Deutschland, Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 21. Legislaturperiode,
S. 90, online abrufbar unter: https://www.koalitionsvertrag2025.de/sites/www.koalitionsvertrag2025.de/files/koav_2025.
pdf (zuletzt abgerufen am: 1.7.2025).
[7]      Beck, online abrufbar unter: https://www.justiz.bayern.de/gerichte-und-behoerden/generalstaatsanwaltschaft/muenchen/spezial_4.php (zuletzt abgerufen am: 2.7.2025).
[8]      Die Bayerische Polizei, online abrufbar unter: https://www.polizei.bayern.de/aktuelles/pressemitteilungen/087072/index.html (zuletzt abgerufen am: 1.7.2025).
[9]      Bayerisches Staatsministerium der Justiz, online abrufbar
unter: https://www.justiz.bayern.de/presse-und-medien/pressemitteilungen/archiv/2025/40.php (zuletzt abgerufen am: 1.7.2025).
[10]    Staatsanwaltschaften Hessen, online abrufbar unter: https://staatsanwaltschaften.hessen.de/staatsanwaltschaften/generalstaatsanwalt
schaft-frankfurt-am-main/aufgabengebiete/zentralstelle-zur-bekaempfung-der-internet-und-computerkriminalitaet-zit (zuletzt abgerufen am: 1.7.2025).
[11]    STOP HATE, online abrufbar unter: https://stop-hate.de/ (zuletzt abgerufen am: 1.7.2025).
[12]    Vgl. Sittig, online abrufbar unter: https://www.bpb.de/lernen/bewegtbild-und-politische-bildung/556843/strafrecht-und-regulierung-von-deepfak
-pornografie/ (zuletzt abgerufen am: 1.7.2025).
[13]    Bayerisches Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration, online abrufbar unter: https://gegenhass.polizei.bayern.de/wie-ist-die-lage/index.html (zuletzt abgerufen am: 1.7.2025).
[14]    HateAid, online abrufbar unter: https://hateaid.org/wp-content/uploads/2024/04/Studie_Lauter-Hass-leiser-Rueckzug.pdf (zuletzt abgerufen am: 1.7.2025).
[15]    Neue Medienmacher, online abrufbar unter: https://neuemedienmacher.de/projekte/betterpost/ (zuletzt abgerufen am: 1.7.2025).
[16]    Lewis, online abrufbar unter: https://www.bbc.com/news/articles/c1w07n8n3e7o (zuletzt abgerufen am: 2.7.2025).
[17]    Vgl. Suler, CyberPsychology & Behavior 2004, 321.

 

 

 

 

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