2024, Verlag Nomos, ISBN: 978-3-7560-1943-4, S. 354, Euro 119,00
Es ist ruhig geworden um die Diskussion eines Verbandssanktionengesetzes (VerSanG). Im aktuellen Koalitionsvertrag der Bundesregierung „Verantwortung für Deutschland“ taucht das Vorhaben gar nicht mehr auf. Dennoch sollten Überlegungen zu einer Neukonzeption einer Sanktionierung von Unternehmen nicht von der Tagesordnung genommen werden. Dies macht die Verfasserin dieser Dissertation schon in der Einleitung deutlich. Primär geht es ihr darum, die fortdauernde Rechtsunsicherheit in Bezug auf interne Untersuchungen zu beenden. Da das VerSanG gescheitert ist, stellt sich für sie insbesondere die Frage, welche rechtlichen Stärken und Schwächen dieses Gesetzes sich für verbandsinterne Untersuchungen ergeben und wie Fehler in einem künftigen Gesetz vermieden werden können.
Dazu werden in Teil 2 der Untersuchung die Grundlagen der Verbandssanktionierung gelegt und sich zunächst mit der Grundkonzeption des VerSanG beschäftigt. Diese Grundkonzeption wird kritisiert, da das Gesetz Grundzüge des Ordnungswidrigkeitenrechts mit strafrechtlichen Folgen und einem strafprozessualen Verfahren kombinierte, wobei die kriminalstrafrechtlichen Elemente überwogen. Dies führte nach Meinung der Verfasserin zu starken konzeptionellen und dogmatischen Defiziten, da Kriminalstrafrecht geschaffen worden wäre, ohne es als solches zu bezeichnen. Dies sei nicht hinnehmbar gewesen. Zudem habe das VerSanG hohe Verbandssanktionen angedroht, ohne die vorgelagerte Schuldfrage zu klären. Diese Diskrepanzen hätten praktische Relevanz für verfahrensrechtliche Schutzstandards insbesondere im Bereich der verbandsinternen Untersuchungen entfaltet.
Trotz der grundsätzlichen Kritik an dem gescheiterten VerSanG sieht die Verfasserin dieses als rechtspolitisch notwendig an und spricht sich für eine Einführung der Verbandssanktion aus. Allerdings sollten in einem neuen Entwurf Fragen zur Konzeption der Verantwortlichkeit geklärt werden, um ein widerspruchsfreies Fundament für die Verbandsverantwortlichkeit zu entwickeln. Dabei spricht sich Ecker nicht für eine „kleine Lösung“, also eine Anpassung des OWiG aus, sondern für eine „große Lösung“ durch Umsetzung eines eigenständigen Gesetzes. Dafür spräche die Tatsache, dass die Verfolgung von
Verbandsstraftaten im Wesentlichen der Verfolgung von Straftaten entspricht und demzufolge vergleichbare verfahrensrechtliche Konsequenzen haben müsse. Außerdem würde es der Konstruktion der Zurechnung widersprechen, auf der einen Seite Leitungspersonen mit strafrechtlichen Konsequenzen zu belegen, während der Verband nur im Verwaltungsverfahren verfolgt werden könnte. Eine eigenständige Verbandssanktion wäre zudem das richtige, abschreckende und präventive Signal an die Verbände, das gleichzeitig die gesellschaftliche Verantwortung widerspiegeln würde. Daneben wäre ein separates Gesetz von Vorteil, wenn sich der europäische Gesetzgeber für besondere Vorgaben entscheiden würde, die eine künftige Verbandssanktionierung betreffen, da man somit ein bereits bestehendes Gesetz anpassen könne. Dieses sorge als abgeschlossenes Regelwerk für Übersichtlichkeit und insoweit auch Rechtssicherheit für die Verbände.
Bei einem Neuentwurf des VerSanG sei sich vorrangig mit der Schuldfrage zu beschäftigen, da das BVerfG schon früh festgestellt habe, dass es keine Strafe ohne Schuld geben dürfe. Interessant sind die diesbezüglichen Überlegungen der Verfasserin, die hier auch noch einmal die Argumentationsstränge früherer Diskussionen zusammenfassen. Der Schuldgrundsatz findet seine Grundlage in der Menschenwürdegarantie gem. Art. 1 Abs. 1 GG, so dass nur das natürliche Individuum Träger dieses Grundrechts sein könne, so dass Verbände aus dem Schutzbereich exkludiert seien. Daraus sei aber nicht zu schließen, dass der Verband kein Strafsubjekt sein könne. Denn der Inhalt des Schuldbegriffs sei durch diese individualstrafrechtliche Prägung nicht abschließend verfassungsrechtlich festgelegt. Aufgrund der grundlegenden Unterscheidung zwischen natürlichen Personen und Verbänden könnten die Überlegungen zur Schuld der Verbände keine unmittelbare Auswirkung auf den Schuldvorwurf bei natürlichen Personen entfalten, da Art. 1 Abs. 1 GG auf Verbände eben gerade nicht anwendbar sei. Zudem habe das BVerfG betont, dass der Schuldgrundsatz nicht nur bei der strafrechtlichen, sondern auch bei der ordnungswidrigkeitsrechtlichen Ahndung zu berücksichtigen sei. Wer also vehement das Schuldstrafrecht gegen die Verbandssanktionierung ins Feld führe, hätte zuvor die Untauglichkeit und Streichung der §§ 130, 30 OWiG fordern müssen. Eine Verbandssanktionierung könne daher nicht von vornherein auf verfassungsrechtlicher Ebene ausgeschlossen werden.
Die Verbandssanktion könne also auf Grund eines modifizierten Schuldbegriffs konzipiert werden. Kern eines solchen modifizierten Schuldbegriffs sei der Vorwurf des „Dafüreinstehenmüssens“, obwohl ein anderes Verhalten möglich gewesen wäre. Hierfür sei ein Verband sogar noch geeigneter als eine natürliche Person, da er unabhängig von personalen Zwängen und Vorprägungen Mehrheitsentscheidungen treffe, die zum täglichen Geschäft gehören.
Unter Abwägung der Modelle des originären Verbandsverschuldens und der Konzeption einer Verbandsverantwortlichkeit durch Zurechnung des Handelns und Verschuldens einer natürlichen Leitungsperson, plädiert die Verfasserin für ein System der Zurechnung. Dieses erfasse die praktische Wirkweise von Verbänden und spiegele das Handeln durch dessen Organe wider. Eine originäre unbeschränkte Verbandsverantwortlichkeit liefe dagegen dem Präventionszweck der Verbandssanktion zuwider und würde gegen den Schuldgrundsatz verstoßen. Da es bislang kein allgemeines europäisches Unternehmensstrafrecht gäbe, sollte bei der Konzeption eines Verbandssanktionenrechts den innerstaatlichen Reglementierungen Rechnung getragen werden. Dennoch sei selbstverständlich die europäische Entwicklung im Blick zu behalten.
In einem 3. Teil werden verbandsinterne Untersuchungen als Teil des Verbandssanktionsverfahrens vorgestellt, da diese das „Herzstück“ (S. 83) eines solchen Regelungswerks seien. Daher gibt die Verfasserin zunächst einen Überblick über Entwicklung und Begriff sog. Internal Investigations im angloamerikanischen Strafverfahren, um diese dann in das nationale Recht zu überführen. Trotz geäußerter Zweifel an der Zulässigkeit verbandsinterner Untersuchungen wird deutlich, dass diese durchaus gesetzlich anerkannt werden können. Sie ließen sich als integraler Bestandteil eines umfassenden Schadensmanagementsystems begreifen, das unter dem Stichwort Compliance bekannt sei.
Daher beschreibt Ecker in einem nächsten Schritt die Vorschriften, die schon heute für eine (mittelbare) Durchführungspflicht interner Untersuchungen herangezogen werden (§§ 76, 93 AktG; § 91 AktG; § 43 GmbHG; § 130 OWiG). Für eine Etablierung in einem möglichen VerSanG sei es erforderlich, gesetzliche Anhaltspunkte für die Durchführung verbandsinterner Untersuchungen zu implementieren und durch genaue Definition eine Klarstellung der Begriffsverwendung festzusetzen. Dies kritisiert die Verfasserin auch beim alten VerSanG, da keine Definition getroffen, sondern lediglich eine Klarstellung bezüglich der Erfassung von externen und internen Untersuchungen vorgenommen wurde. Insoweit formuliert Ecker eine Definition, wie sie Eingang in ein zukünftiges Gesetz finden könnte: „Verbandsinterne Untersuchungen sind anlassbezogene, repressive und nicht staatliche Maßnahmen zur Untersuchung einer verbandsbezogenen Verfehlung mit dem Zweck, die Tat ernsthaft und vollständig aufzuklären. Die Untersuchungen können sowohl durch den Verband selbst als auch durch von ihm beauftragte Dritte durchgeführt werden“ (S. 110). Diese Definition wird auf den dann folgenden Seiten der Dissertation erläutert.
Danach folgt ein Unterkapitel zu Verfahrensvorgaben für die Durchführung einer verbandsinternen Untersuchung. Dazu wird zunächst der Pflichtenkatalog nach dem alten Vorschlag eines § 17 VerSanG einer kritischen Betrachtung unterzogen. Dezidiert und kenntnisreich wird der Lösungsansatz des VerSanG verworfen, da er mit „erheblichen Makeln behaftet“ war (S. 190). Die rechtsstaatlichen Defizite des alten Regelungsvorschlags müssten daher bei einer Neuauflage vermieden werden. Mithin sei zunächst eine Überarbeitung der Voraussetzungen des § 17 Abs. 1 Nr. 1 VerSanG de lege ferenda dringend geboten. Hier sei eine Präzisierung angezeigt. Ziel des Gesetzes sollte es sein, eine ressourcenschonende, prozessökonomisch sinnvolle und möglichst umfangreiche Aufklärung durch die Verbindung der Untersuchungen zu fördern. Auch hier macht die Verfasserin konkrete de lege ferenda-Vorschläge die wie folgt lauten:
„(1) Das Gericht soll die Verbandssanktion mildern, wenn
- der Verband oder der von ihm beauftragte Dritte mit den Verfolgungsbehörden im Rahmen einer internen Untersuchung kooperiert,
- der Verband oder der von ihm beauftragte Dritte einen wesentlichen Beitrag zur Aufklärung der Verbandstat und der Verbandsverantwortlichkeit geleistet oder sich ernsthaft, unter Ausschöpfung aller ihm tatsächlich zustehenden Mittel, bemüht hat, die Aufklärung der Verbandstat zu fördern“ (S. 196).
Im Folgenden definiert die Verfasserin den „wesentlichen Beitrag“ zur Aufklärung sowie das ernsthafte Bemühen. Außerdem finden sich nähere Erläuterungen, bspw. zur subjektiven Komponente. Auch die Spezifikation der ununterbrochenen und uneingeschränkten Kooperation führt sie einem de lege ferenda Vorschlag zu (S. 199) und erläutert diesen.
Schließlich widmet sie sich dem Aspekt der Mitarbeiterbefragung und spricht sich für eine eigene Normierung außerhalb der Kooperationsvoraussetzungen aus. Nach prägnanter Diskussion der unterschiedlichen Lösungsansätze formuliert sie auch hier eine eigene Vorschrift nebst Erläuterungen:
„Mitarbeiterbefragungen
(1) Die Befragung eines Mitarbeiters erfordert, dass er vor seiner Befragung darauf hingewiesen wird, dass seine Auskünfte in einem Strafverfahren gegen ihn verwendet werden können.
(2) Der befragte Mitarbeiter kann einer prozessualen Verwertung seiner Angaben widersprechen, die ihn selbst oder die in § 52 Absatz 1 der Strafprozessordnung bezeichneten Angehörigen gefährden würden, wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden. Der Widerspruch ist in einem gegen den Mitarbeiter gerichteten Verfahren bis spätestens zu dem in § 257 StPO genannten Zeitpunkt geltend zu machen“ (S. 206).
Das nächste Unterkapitel beschäftigt sich mit der Berücksichtigung verbandsinterner Untersuchungen, wobei zunächst die Berücksichtigung de lege lata im Rahmen der Bußgeldbemessung und sodann die Berücksichtigung im Rahmen des gescheiterten VerSanG betrachtet wird. Die Verfasserin kritisiert gerade letzteres, da die Ausgestaltung eines präventiven Compliance-Systems vollständig den Verbänden überlassen wurde und lediglich für die Durchführung verbandsinterner Untersuchungen dezidierte Vorgaben erfolgten. Ecker spricht sich für eine Berücksichtigung der verbandsinternen Untersuchungen im Rahmen der Sanktionsbemessung aus, sollte es zu einem neuen Gesetzentwurf kommen. Allerdings sei der im VerSanG normierte Umfang des in Aussicht gestellten Strafabschlags bei Durchführung verbandsinterner Untersuchungen in Höhe von 50% geeignet, um für ausreichend Motivation zu sorgen. Ansonsten ließ aber das VerSanG Fragen offen, die bei einem neuen Gesetzesvorstoß aufgegriffen werden sollen. Insbesondere sollte das Verhältnis der Milderungs- und Einstellungsmöglichkeiten unterein-ander sowie eine mögliche Verschmälerung des Ermessensspielraums diskutiert und beantwortet werden. Auch sollte die Einführung von Bemessungsleitlinien der Verbandsgeldsanktion in Betracht gezogen werden. Grundsätzlich sei die Idee des gesetzlichen Sanktionssystems im VerSanG aber gut und würde zu einer Anreizerhöhung beitragen.
Im 4. Teil geht die Verfasserin der Frage des Beschlagnahmeschutzes für Unterlagen aus verbandsinternen Untersuchungen nach. Hier strebte das VerSanG eine Lösung der problematischen Rechtslage rund um die Beschlagnahme verbandsinterner Untersuchungsunterlagen an. Denn es ist umstritten, inwieweit Ermittlungsbehörden befugt sind, interne Untersuchungsunterlagen bei Verbänden und ihrem mandatierten Rechtsbeistand zu beschlagnahmen. Diese bestehende Beschlagnahmeproblematik de lege lata legt Ecker unter Berücksichtigung der Rechtsprechung und des Diskurses der Literatur dar. Sie kritisiert insbesondere die Entscheidung des BVerfG zur restriktiven Haltung des Beschlagnahmeschutzes interner Untersuchungsunterlagen. Denn es sei nicht ausreichend berücksichtigt worden, dass in § 160a StPO der gesetzgeberische Wille zum Ausdruck komme, die Vertrauensbeziehung des Mandanten zu seinem Rechtsanwalt umfassend vor staatlichen Zugriff zu schützen. Zudem sei ein extensives Verständnis des § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO ebenso verfassungskonform wie eine enge Auslegung. Es sei aber zu befürchten, dass die meisten Gerichte der Argumentation des BVerfG Folge leisteten, so dass Rechtssicherheit und eine Harmonisierung der widerstreitenden Interessen zwischen effektiver Strafverfolgung und Beschlagnahmeschutz nur durch den Gesetzgeber hergestellt werden könnten.
Daher wird im nächsten Schritt überprüft, wie sich der Gesetzgeber im gescheiterten VerSanG des Problemkreises rund um den Beschlagnahmeschutz verbandsinterner Untersuchungsunterlagen positioniert hat. In der Begründung zum VerSanG wurde jedenfalls explizit klargestellt,
dass die bestehende Rechtsunsicherheit nicht durch die Beschlüsse des BVerfG beseitigt worden sei. Die Verfasserin stellt die im VerSanG geplanten Änderungen in der StPO vor und bewertet diese kritisch unter Aufzeigen der
bestehenden Unklarheiten und systematischen Wider-sprüche. Aufgrund dieser Schwächen kommt sie zu einem alternativen Vorschlag für den Beschlagnahmeschutz. Sie ist der Auffassung, dass ein künftiges Gesetz zur Verbandssanktionierung einen eigenständigen Beschlagnahmeschutz für interne Untersuchungsunterlagen vorsehen sollte. Hier macht sie wieder einen eigenen de lege ferenda Vorschlag eines Paragrafen zum Beschlagnahmeverbot mit anschließenden Erläuterungen:
„(1) Die physischen und digitalen Arbeitsprodukte verbandsinterner Untersuchungen unterliegen nicht der Beschlagnahme, soweit sie sich im Gewahrsam des Verbands, des Untersuchungsführers oder des Verbandsverteidigers befinden. Dies gilt nicht für bereits bestehende originäre Beweismittel und Produkte, die in keinem Zusammenhang zu der verbandsinternen Untersuchung stehen.
(2) Der Untersuchungsführer ist zur Verweigerung des Zeugnisses über die Informationen berechtigt, die ihm im Rahmen der verbandsinternen Untersuchung bekannt gegeben oder anvertraut wurden. Dies gilt nicht im Rahmen der Kooperation, soweit § 17 eine Mitwirkungspflicht bestimmt.“
In Teil 5 werden die wesentlichen Ergebnisse leserfreundlich noch einmal zusammengefasst. Zudem werden alle de lege ferenda Vorschläge nebst Erläuterungen zusammengestellt (S. 297 ff.), so dass man einen schönen Überblick erhält, also quasi einen Gesetzentwurf nebst Begründung. Dieser erstreckt sich allerdings nicht auf die vollständige Formulierung eines Gesetzes, sondern konsequent nur auf die Teile, die von Eckerkritisiert wurden. Hier hätte sich vielleicht noch ein kurzer Hinweis angeboten, ob ansonsten alle Normen des VerSanG beibehalten werden oder ebenfalls in Nuancen angepasst werden sollten.
Ausblickend wird jedenfalls festgehalten, dass die Normierung eines verbindlichen Rahmens für Verbandssanktionen und verbandsinterne Untersuchungen nach wie vor zu den drängenden Aufgaben des Gesetzgebers zählt. Auch wenn, wie eingangs erwähnt, der aktuelle Koalitionsvertrag im Gegensatz zum Koalitionsvertrag der 20. Legislaturperiode eine Überarbeitung der Vorschriften der Unternehmenssanktionen nicht mehr zum Gegenstand hat, ist doch nicht ausgeschlossen, dass sich zukünftig aufgrund von EU-Recht akuter Regelungsbedarf ergibt. Doch auch wenn nicht, kann und muss der Gesetzgeber handeln. Dies hat die vorliegende Dissertation noch einmal nachdrücklich deutlich gemacht. Über die Kritik der unbefriedigenden Rechtslage de lege lata hinaus hat Ecker die problematischen Normen des gescheiterten VerSanG zum Anlass genommen, eigene de lege ferenda Vorschläge zu formulieren. Mit diesen sollte man sich auseinandersetzen.