Zu den Kommentaren springen

Sicherheit und Zusammenhalt in Zeiten von Corona – Eine Quantitative Bevölkerungsbefragung in Hamburg

von Hendrik Thurnes, M.A.

Beitrag als PDF Version

Abstract
Im Rahmen dieses Beitrags werden erste deskriptive Ergebnisse einer Befragung der Hamburger Bevölkerung zur Beeinträchtigung des Sicherheitsgefühls, des sozialen Zusammenhalts und des Vertrauens in die Polizei durch die COVID-19-Pandemie dargestellt. Bereits auf der Basis der deskriptiven Ergebnisse deutet sich eine deutliche Beeinträchtigung des Sicherheitsgefühls durch die Pandemie an. Begleitet wird dies durch weit verbreitete Forderungen nach Law-and-Order-Staatlichkeit, wenngleich Annahmen zum gesellschaftlichen Zusammenhalt und das Vertrauen in die Polizei (weiterhin) als hoch zu bezeichnen sind.

In this article, descriptive results of a survey in the city of Hamburg, Germany (n= 1.203) on feelings of insecurity, social cohesion and trust in police during the COVID-19-pandemic is presented and discussed. Even this descriptive data suggests a strong impact of the pandemic on feelings of insecurity which are accompanied by widespread claims for a more law-and-order-oriented state. Still, assumptions on social cohesion and trust in police are on a high level.

I. Einleitung

Im Rahmen einer Masterarbeit an der Deutschen Hochschule der Polizei fand eine Befragung der Hamburger Bevölkerung zu sicherheitsrelevanten Einstellungen während der COVID-19-Pandemie statt. Speziell ging es um das eigene Sicherheitsgefühl, Annahmen über den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Wahrnehmung der Polizei Hamburg. Hierfür wurden 5.000 zufällig ausgewählte Hamburger Bürger/innen angeschrieben und gebeten, an einer Online-Befragung teilzunehmen. 1.203 Personen kamen der Aufforderung nach (ca. 24 %). Eine derartige Befragung bietet die Möglichkeit, ein systematisches und differenzierteres Bild der gegenwärtigen Stimmungslage der Bevölkerung zu erzeugen als dies durch häufig negative Rückmeldungen einzelner Bürger/innen geschieht.

Die Befragung fand im Zeitraum vom 23.4.2020 bis 6.5.2020 statt. In dieser Zeit entwickelte sich die Zahl der COVID-19-Infizierten in Deutschland von 150.000 auf 165.000. Ein erstes Abflachen der Kurve konnte also bereits verzeichnet werden und am 20.4.2020 gab die Bundesregierung neue Richtlinien zur Eindämmung der Pandemie heraus, die erste Lockerungen für Geschäfte beinhaltete, jedoch in den meisten Bundesländern sogleich mit einer Maskenpflicht verbunden wurden.

Im Folgenden wird auf einige der theoretischen Kernannahmen der Studie eingegangen und die Untersuchungsmethode dargestellt, bevor im darauffolgenden Abschnitt wesentliche deskriptive Ergebnisse der Befragung dargestellt werden.

II. Theoretische Kernannahmen und Stand der Forschung

Das Sicherheitsgefühl ist ein komplexes theoretisches Konstrukt, das sich aus verschiedensten Aspekten zusammensetzt. So finden konkrete Viktimisierungserfahrungen und die objektive Kriminalitätslage einen Ausdruck im Sicherheitsgefühl, aber auch diffuse (Existenz-)Ängste und Sorgen.[1] Zudem bewerten Menschen ihre Sicherheit häufig unbewusst in Abhängigkeit zur eigenen Fähigkeit, mit der Belastung durch Kriminalität oder anderen Anzeichen der Verwahrlosung („Incivilities“) umzugehen.[2] Die Einschätzung dieser Fähigkeit ist in der Regel stark abhängig davon, wie Menschen den sozialen Zusammenhalt in ihrer Umgebung einschätzen, d.h. wie sehr die eigene Wohngegend und das soziale Umfeld als unterstützend und hilfreich eingeschätzt wird.[3]

Die Polizei nimmt in diesem Kontext eine besondere Stellung ein, da sich das Vertrauen in sie zum einen durch ihre (angenommene) Effektivität bei der Kriminalitätskontrolle bemisst,[4] zum anderen jedoch auf ihrer Funktion als Repräsentant gesellschaftlicher Normen und Werte beruht.[5] Über Erfahrungen mit der Polizei bilden Menschen daher Annahmen zur Übereinstimmung individueller Wertvorstellungen mit den kollektiven und damit indirekt zum Zustand sozialen Zusammenhalts in ihrer Wohngegend.[6]

Ein als stark eingeschätzter sozialer Zusammenhalt und ein hohes Vertrauen in die Polizei führen demnach maßgeblich zu einem hohen Sicherheitsgefühl. Die drei Aspekte bedingen sich jedoch wechselseitig und so kann die allgemeine Sorge aufgrund der COVID-19-Pandemie das Sicherheitsgefühl der Menschen reduzieren und damit auch Annahmen zum gesellschaftlichen Zusammenhalt und dem Vertrauen in die Polizei negativ beeinflussen.

Zudem ist aus früheren Studien zu Pandemien und Katastrophen bekannt, dass Menschen sich stärker auf ihr nahes soziales Umfeld fokussieren und Außenstehende stärker ablehnen.[7] Staatliche Maßnahmen zur Kontaktbeschränkung verstärken diesen Effekt, wodurch die Offenheit gegenüber anderen Menschen abnimmt und fremdenfeindliche Einstellungen zunehmen können.[8]

Ziel der Befragung war es, herauszufinden, wie stark die Effekte der COVID-19-Pandemie auf das Sicherheitsgefühl, die Wahrnehmung der Polizei und Annahmen zum gesellschaftlichen Zusammenhalt inklusive möglicher Auswirkungen auf fremdenfeindliche Einstellungen der Hamburger Bevölkerung sind. Da durch die Befragung jedoch lediglich ein Ist-Stand erhoben werden kann, sind Aussagen zu einer Entwicklung nur bedingt möglich. Hierfür wurden behelfsweise ähnliche Umfragen herangezogen.

III. Untersuchungsmethode und Stichprobe

Zur Beantwortung der Forschungsfrage wurde ein quantitatives Vorgehen gewählt, d.h. dass die Befragungsteilnehmer einen standardisierten Fragebogen mit insgesamt 40 Oberfragen und zahlreichen Unterfragen ausgefüllt haben. Hierbei wurde überwiegend nach der Zustimmung zu bestimmten Aussagen auf einer vierstufigen Skala gefragt („stimme überhaupt nicht zu“, „stimme eher nicht zu“, „stimme eher zu“, „stimme voll und ganz zu“ oder analog je nach konkreter Frageformulierung).

Der Fragebogen konnte aus Ressourcen-Gründen lediglich in deutscher Sprache angeboten werden. Um von den 5.000 angeschrieben Menschen möglichst wenige aufgrund sprachlicher Barrieren nicht erreichen zu können und da u.a. fremdenfeindliche Einstellungen abgefragt wurden, wurden lediglich deutsche Staatsangehörige als Stichprobe aus dem Melderegister gezogen. Darüber hinaus waren alle Personen mindestens 16 Jahre alt, da eine gewisse kognitive Leistungsfähigkeit erforderlich war.

In Hamburg leben ca. 1,84 Mio. Menschen.[9] Aufgrund der Auswahlkriterien der Stichprobe wurden ca. 300.000 Personen unter 16 Jahren und zusätzlich von den ca. 650.000 Menschen mit Migrationshintergrund ca. 260.000 Ausländer über 16 Jahren systematisch von der Befragung ausgeschlossen.[10]

Der Frauenanteil unter den Teilnehmenden liegt bei 51 % (47 % männlich, 0,6 % divers, 1,4 % ohne Angabe) und ist damit genauso hoch wie in der Hamburger Bevölkerung.[11] Die Bevölkerungspyramide (Abb. 1) legt nahe, dass junge Männer etwas unterrepräsentiert sind. Der Mittelwert des Alters liegt bei 47 Jahren und der Anteil an Menschen mit Hochschulabschluss unter den Teilnehmenden ist mit 45 % (Bevölkerung:  36 % mit sog. Tertiärabschluss, d.h. Hochschulstudium inkl. Meisterausbildung) relativ hoch.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Abbildung 1: Bevölkerungspyramide der Stichprobe in Relation zur Hamburger Bevölkerung (Männer links, Frauen rechts; Hamburg: Hintergrund; Stichprobe: Vordergrund, nicht enthalten: 7x mit Angabe „divers“)

 

 

Nach außen trat die Akademie der Polizei Hamburg befragungsdurchführende Institution auf. Da viele Menschen nicht zwischen den einzelnen Organisationsbereichen unterscheiden und sich bei Befragungen durch die Polizei Befragte häufig sozial erwünscht antworten, wurde die GESIS-Kurz-Skala zur Messung der Sozialen Erwünschtheit (KSE-G) nach Kemper/Beierlein/Bensch/Kova-leva/Rammstedt[12] mit in den Fragebogen aufgenommen. Unter sozialer Erwünschtheit wird die Tendenz verstanden, bei der Beantwortung von Fragen ein möglichst positives Bild von sich selbst abzugeben und eher so zu antworten, dass es dem Fragesteller gefällt. In der vorliegenden Befragung konnte ein statistisch signifikanter, aber schwacher Effekt für Antworten zur Wahrnehmung der Polizei und zum Anzeigeverhalten festgestellt werden. Das heißt, dass Ergebnisse in diesen Bereichen tatsächlich etwas negativer sind, als sie im Folgenden dargestellt werden.

IV. Ergebnisse

1. Sicherheitsgefühl

Das Sicherheitsgefühl wurde in Anlehnung an die regelmäßig stattfindenden Umfragen der R+V-Versicherung zu den Ängsten der Deutschen unter anderem über allgemeine Ängste erhoben (Abb. 2). Die Sorge vor einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage (73,7 %) sticht dabei am stärksten hervor und ist damit bei der Hamburger Bevölkerung auch deutlich stärker ausgeprägt als im deutschlandweiten Vergleich während der COVID-19-Pandemie (58 % der Befragten) und auch im Vergleich zu 2019 (35 %).[13] Die Angst vor einer schweren Erkrankung ist im Vergleich zur deutschlandweiten COVID-19-Befragung jedoch erheblich geringer ausgeprägt (41 %)[14] und auch die Angst vor terroristischen Anschlägen liegt deutlich unter dem Wert von 2019 (44 %).[15]

 

 

 

 

 

 

 

Abbildung 2: Ängste der Hamburger/innen mit Angabe „trifft ziemlich zu“, „trifft voll und ganz zu“ (n = 1174-1187)

 

Zudem wurde die Besorgnis um Gesundheit und Versorgung der Befragten um sich selbst und um verschiedene Personenkreise erhoben („Familie und Freunde“, „den Menschen in meiner Wohngegend“, „den Menschen in Hamburg“, „der Menschheit insgesamt“). Hier zeigt sich, dass die Besorgnis um sich selbst am geringsten ausgeprägt ist (20 %), gefolgt von der um die Menschen in der eigenen Wohngegend und in Hamburg (33% / 38 %). Am höchsten fiel die Besorgnis um Familie und Freunde sowie die Menschheit insgesamt aus (68 % / 66,4 %). Dies deckt sich in der Verteilung mit den Ergebnissen der COVID-19-Befragung des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG), wenn auch die Werte etwas höher ausfallen. Als Erklärungsansatz für den verhältnismäßig geringen Wert für die eigene Wohngegend im Vergleich zur Menschheit insgesamt liegt nahe, dass die Befragten in Bezug auf die globale Perspektive vermutlich geringer informiert sind und das Vertrauen in die politischen Institutionen niedriger ausfällt als für den eigenen, überschaubareren Bereich.[16]

Die Zustimmung zu Maßnahmen der Pandemie-Eindämmung (vgl. Abb. 3) befand sich zum Zeitpunkt der Befragung hinsichtlich der in Hamburg tatsächlich umgesetzten Maßnahmen (Social Distancing, Einschränkung des öffentlichen Lebens) auf einem hohen Niveau. Der Wert lag im Vergleich zur IKG-Befragung jedoch in beiden Aspekten und auch zur Verhängung von Ausgangssperren ca. 10 % unter dem dort erhobenen.[17] Da die IKG-Befragung ca. vier Wochen vor hiesiger Befragung stattfand, könnte dies auf eine zurückgehende Zustimmung zu einschränkenden Maßnahmen insgesamt deuten.

 

 

 

 

 

 

 

 

Abbildung 3: Zustimmung zu Schutzmaßnahmen mit Angabe „eher sinnvoll“ und „sehr sinnvoll“ (n = 1184-1194)

 

Die Angaben zum Sicherheitsgefühl in konkreten Situationen (vgl. Abb. 4) befanden sich auf einem hohen Niveau, jedoch lässt sich feststellen, dass dieses gerade in öffentlichen Verkehrsmitteln und an Orten mit vielen Menschen erheblich reduziert ist. Dies deckt sich mit der repräsentativen Befragung von Gerhold[18] und drückt vermutlich eher die Sorge um eine eigene Infizierung als die Furcht vor Kriminalität aus. Die Angabe zum sog. Standard-Item des Sicherheitsgefühls („nachts ohne Begleitung in der Wohngegend“) befindet sich mit 74,1 % in etwa auf dem deutschlandweiten Niveau von 2017 (78,6 %).[19]

 

 

 

 

 

 

 

 

Abbildung 4: Sicherheitsgefühl mit Angaben „eher sicher“ und „sehr sicher“ (n = 1183-1191)

 

 Abbildung 5: Bewertung von Schwere und Häufigkeit ausgewählter „Incivilties“ (n = 1020-1186)

 

2. Polizeivertrauen

Das Vertrauen in die Polizei wurde über zwei Fragenkomplexe erhoben, die zum einen die Polizei als Institution betreffen und zum anderen die Wahrnehmung der Polizist/innen selbst.

Abb. 6 zeigt die differenzierte Betrachtung der Polizei Hamburg, welche insgesamt für ein hohes Vertrauen in die Polizei spricht und sich mit der Bewertung der Effektivität der Polizei aus dem deutschlandweiten Viktimisierungssurvey 2017 deckt.[20] Lediglich 34 % der Befragten gaben an, dass die Polizei Hamburg häufig erfolglos bei der Aufklärung von Straftaten ist, was in Anbetracht einer regelmäßigen Aufklärungsquote von knapp unter 50 %[21] gering erscheint, zumal ca. 61 % der Befragten davon ausgehen, dass die Polizei Hamburg überlastet ist.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Abbildung 6: Polizeivertrauen; Angaben mit „stimme eher zu“ und „stimme völlig zu“ (n = 1128-1163)

 

Darüber hinaus stimmten 87 % der Befragten der Aussage „Die Corona-Krise zeigt, dass man sich im Ernstfall auf die Polizei verlassen kann“ zu (Vgl.: „auf den Staat“: 83 %; „auf das Gesundheitssystem“: 90 %). Auch direkt nach ihrem Vertrauen in die Polizei Hamburg gefragt, gaben 85 % der Befragten an, dass sie ein großes oder sehr großes Vertrauen in diese hätten. Damit ist das Vertrauen in die Polizei Hamburg in etwa gleichauf mit dem Bundesverfassungsgericht und der Demokratie an sich. Etwas geringere Werte erzielten der Hamburger Senat, der öffentlich-rechtliche Rundfunk, und die Bundesregierung (73-78 %).

Die Anzeigebereitschaft („Ich würde die Polizei rufen, wenn ich folgende Situationen mitbekommen würde“; n = 1175-1188) liegt für Einbrüche und häusliche Gewalt in der Nachbarschaft bei 99 bzw. 95 %. Schlägereien in der Öffentlichkeit und Fahrerflucht liegen bei knapp 90 % und öffentlicher Drogenhandel bei 62 %. Bei Ruhestörungen durch betrunkene Jugendliche und Verstöße gegen die Allgemeinverfügung zur Pandemie-Eindämmung hingegen würden lediglich 36 bzw. 31 % der Befragten die Polizei alarmieren.

Die Wahrnehmung der Polizist/innen fiel insgesamt sehr positiv aus und deckt sich mit dem dargestellten Bild von der Polizei als Institution in dieser Befragung. Neben der allgemein erfassten Wahrnehmung der Polizist/innen wurde zusätzlich eine Bewertung des Kontakts zur Durchsetzung der Allgemeinverfügung zur Pandemie-Eindämmung erhoben, falls eine solche stattgefunden hat. Dies traf lediglich auf 67 Befragte zu, daher lassen sich wenig Schlüsse aus den Ergebnissen ziehen. Jeweils ca. 65 – 75 % der Befragten mit Polizeikontakt gab an, dass die Polizist/innen freundlich, kompetent, hilfsbereit, aufmerksam sowie gerecht waren und ihr Handeln erklärt haben. 22 % gaben an, dass die Polizist/innen ihnen gegenüber Vorurteile hatten. Der Wert ist damit in etwa so hoch wie der aus dem Deutschen Viktimisierungssurvey 2017 in Bezug auf die Annahme, Polizist/innen würden Menschen aufgrund ihres sozioökonomischen Status ungleich behandeln.[22]

In der Bewertung der Polizist/innen im Allgemeinen (vgl. Abb. 7) fallen die Werte in den meisten Kategorien ähnlich hoch oder höher aus. Zwar überwiegend positiv, aber im Vergleich dennoch als negative Ausreißer können die Angaben zur Weltoffenheit, zur Gleichbehandlung aufgrund der Herkunft und über die Annahmen zur Sanktionierung unrechtmäßigen Polizeiverhaltens gewertet werden.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Abbildung 7: Bewertung der Polizist/innen mit Angabe „stimme eher zu“ und „stimme völlig zu“ (n = 1140-1183)

3. Gesellschaftlicher Zusammenhalt

Der gesellschaftliche Zusammenhalt wurde über Fragen zur gegenseitigen Unterstützung, Annahmen über die eigene Nachbarschaft und zu politischen Einstellungen nach Zick, Küpper, & Berghan erhoben.[23]

Die gegenseitige Unterstützung wurde darüber gemessen, ob die Befragten bereit wären, für Menschen aus der Nachbarschaft bestimmte Hilfeleistungen zu erbringen (Einkäufe erledigen; Vorräte und Medikamente teilen; Geld spenden), bzw. ob Menschen aus der Nachbarschaft dies für sie tun würden. Über 90 % der Befragten gaben an, dass sie auf nachbarschaftlicher Ebene Einkäufe erledigen sowie Vorräte und Medikamente teilen würden. Geld würden immerhin 52 % der Befragten spenden. Die Werte zu erwarteten Hilfeleistungen lagen leicht darunter (Einkäufe erledigen: 90 %; Vorräte und Medikamente teilen: 84 %, Geld spenden 30 %) und decken sich in der Verteilung stark mit den Ergebnissen der deutschlandweiten COVID-19-Befragung des IKG,[24] wobei die Hamburger Werte bei den erwarteten Hilfeleistungen deutlich höher ausfallen.

Bei den Angaben zur eigenen Nachbarschaft stechen die Annahmen zur gegenseitigen Rücksichtnahme ins Auge. Entgegen der, auf Basis des Forschungsstandes ableitbaren Annahme geben jeweils ca. 80 % der Befragten an, dass die gegenseitige Rücksichtnahme seit Pandemie-Beginn in der eigenen Wohngegend und in Hamburg zugenommen hat. Zudem nimmt nur eine Minderheit an, dass die COVID-19-Pandemie in der eigenen Wohngegend nicht ernst genug genommen wird (vgl. Abb. 8).

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Abbildung 8: Einschätzung der eigenen Nachbarschaft mit Angaben „stimme eher zu“ und „stimme völlig zu“ (n = 981-1177)

 

Ergänzend wurde die Zustimmung zu einigen teilweise sehr umstrittenen politischen Aussagen abgefragt. Um darzulegen, dass es sich nicht um die Meinung des Umfrageveranstalters bzw. der Polizei Hamburg handelt, sondern um kontroverse Meinungen, die im öffentlichen Diskurs geäußert werden, wurde die Frageformulierung entsprechend eingeleitet. Inhaltlich bilden die insgesamt elf Unterfragen verschwörungstheoretische, sozialdarwinistische, fremdenfeindliche und Law-and-Order-Einstellungen in Anlehnung an die sog. „Mitte-Studien“ des IKG ab (n = 1168 – 1185).[25]

Ca. 3/4 der Befragten stimmten der Forderung nach mehr Dankbarkeit gegenüber „führenden Köpfen“ und Respekt gegenüber den Behörden, insbesondere der Polizei während der COVID-19-Pandemie zu. Zudem forderten 60 % ein härteres Vorgehen der Polizei gegen Verstöße und 42 %, dass die Polizei „Corona-Parties“ auch mit Gewalt auflöst, um abschreckend zu wirken. Weiter befürworteten 35 %, dass die Polizei verstärkt ärmere Menschen, Migranten und Geflüchtete kontrolliert, da bei diesen Personengruppen eine erhöhte Gefahr der Übertragung bestehe. Die Werte bewegen sich damit auf einem ähnlich hohen Niveau wie bei gleich oder sehr ähnlich formulierten Fragen der COVID-19-Studie des IKG[26] und sprechen für ein großes Bedürfnis der Bevölkerung nach klaren Verhaltensregeln sowie deren Durchsetzung in Krisen- oder Katastrophenzeiten.[27]

Die Hamburger Werte fallen tendenziell etwas höher aus als in der Befragung des IKG, was daran liegen könnte, dass nur vier Antwortmöglichkeiten („stimme überhaupt nicht zu“, „stimme eher nicht zu“, „stimme eher zu“ „stimme völlig zu“) vorgegeben waren und keine Mittelkategorie („teils-teils“) im Fragebogen bestand.

Von den Befragten sahen 4 % einen Zusammenhang zwischen der Aufnahme von Geflüchteten und dem Ausmaß der Pandemie auf Deutschland. 27 % der Befragten stimmten der Aussage zu, dass die in Deutschland lebenden Ausländer häufiger Verstöße gegen die Auflagen der Allgemeinverfügung begehen als die Deutschen selbst und 1/3 der Befragten lehnte die  Aussage ab, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt durch die kulturelle Vielfalt in Deutschland gestärkt wird. Die Werte der regelmäßig durchgeführten Mitte-Studien betragen für rechtsextreme, fremdenfeindliche Einstellungen knapp 10 %.[28] Klar rechtspopulistische Einstellung lassen sich hingegen bei ca. 20 % und Tendenzen hierzu bei ca. 40 % der Bevölkerung feststellen[29], so dass sich für die Hamburger Bevölkerung kein ungewöhnlich abweichendes Bild ergibt.

Knapp 40 % der Befragten stimmten der Aussage zu, dass Medien und Politik während der Pandemie gezielt bestimmte Informationen verschweigen (IKG-COVID-19-Befragung: 24 %)  und  ca. die  Hälfte forderte,  dass  der deutsche Staat bei der Versorgung mit Medizinprodukten,

Lebensmitteln und anderen wichtigen Gütern zuerst an die deutsche Bevölkerung denken soll, auch wenn dadurch andere Staaten weniger erhalten. Eine Gleichbehandlung bei der medizinischen Versorgung für Menschen, die sich aufgrund eines Verstoßes gegen die Maßnahmen zur Pandemie-Eindämmung infizieren, lehnten 13 % der Befragten ab.

IV. Fazit

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass während der COVID-19-Pandemie für die Hamburger Bevölkerung vor allem wirtschaftliche Sorgen im Vordergrund stehen und zum Zeitpunkt der Befragung die Zustimmung zu den verhängten Eindämmungsmaßnahmen hoch war. Das Sicherheitsgefühl war vor allem im öffentlichen Personenverkehr und an Orten mit vielen Menschen eingeschränkt, was für eine deutliche Beeinträchtigung durch die Pandemie spricht. Dies wurde auch durch die Wahrnehmung der Häufigkeit entsprechender Verstöße gegen die verhängten Maßnahmen sowie die Bewertung ihrer Schwere bestätigt.

Das Vertrauen in die Polizei als Institution hingegen kann weiterhin als sehr stark ausgeprägt betrachtet werden und auch die Bewertung der Polizist/innen fiel in den meisten Bereichen sehr positiv aus. Zumindest auf Basis des dargelegten Forschungsstands war die hohe Solidarität innerhalb der Gesellschaft und die verbreitete Annahme einer gestiegenen Rücksichtnahme seit Pandemie-Beginn, die sich in den Befragungsdaten zeigte, überraschend. Veränderungen bei fremdenfeindlichen Einstellungen waren nicht offensichtlich, durchaus aber stark verbreitete Law-and-Order-Einstellungen.

Als ein die Aussagekraft einschränkender Faktor ist zu erwähnen, dass lediglich deutsche Staatsbürger/innen an der Befragung teilnehmen konnten, ca. 16 % der Hamburger Bevölkerung ihre Wahrnehmungen und Einstellungen also in der vorliegenden Studie nicht darlegen konnten. Dadurch ungehindert lassen jedoch bereits die hier dargestellten Ergebnisse einen sehr viel detaillierteren Rückschluss auf gesellschaftliche Zustände und Annahmen zum Sicherheitsgefühl sowie Einstellungen zur Polizei zu, als dies durch vereinzelte Rückmeldungen im Bürger-Polizei-Kontakt möglich ist.

 

*      Der Verfasser ist Polizeibeamter an der Akademie der Polizei Hamburg und Politikwissenschaftler (M.A.).

[1]      Müller, SIAK-Journal 2018, 3 (43); Feltes, NK 2019, 1 (4).
[2]      Sargeant/Kochel, Policing and Society 2016, 26 (14 f.); Herrmann, in: Marks/Steffen, Sicher leben in Stadt und Land, 2013, S. 277; Imbusch, in: Endreß/Maurer, Resilienz im Sozialen, 2005, S. 256.
[3]      Hummelsheim-Doss, in: Birkel/Hummelsheim-Doss/Leitgöb-Guzy/Oberwittler, Opfererfahrungen und kriminalitätsbezogene Einstellungen in Deutschland, 2016, S. 195; Feltes, OSZE-Jahrbuch 2014, S. 251; Lasthuizen/Eeuwijk/Huberts, Police Practice and Research 2005, S. 6 (375 f.).
[4]      Mutongwizo/Holley/Shearing/Simpson, Policing 2019, Online-Vorveröffentlichung, S. 10.
[5]      Jackson/Sunshine, BJC 2007.
[6]      Jackson/Bradford/Hohl/Farrall, Policing 2009, S. 100.
[7]      Shrira/Wisman/Webster, EVP 2013.
[8]      Reicher/Stott, Policing 2020, S. 4.
[9]      Statistikamt Nord, 2019b, online abrufbar unter: https://www.statistik-nord.de/fileadmin/Dokumente/Statistische_Berichte/bevoelkerung/A_I_S_1_j_H/A_I_S1_j18.pdf, (zuletzt abgerufen am 25.6.2020).
[10]    Statistikamt Nord, 2019a, online  abrufbar unter: https://www.statistik-nord.de/fileadmin/Dokumente/Statistische_Berichte/bevoelkerung/A_1_4_j_H/A_I_4_j_18_HH.pdf, (zuletzt abgerufen am 25.6.2020).
[11]    Statistikamt Nord, 2019b.
[12] Kemper/Beierlein/Bensch/Kovaleva/Rammstedt, GESIS-Working Papers 2012.
[13]    R+V Versicherung, 2020, online abrufbar  unter: https://www.ruv.de/static-files/ruvde/Content/presse/die-aengste-der-deutschen/aengste-corona/ruv-aengste-coronakrise.pdf, (zuletzt abgerufen am 25.6.2020).
[14]    a.a.O.
[15]    R+V Versicherung, 2019, online abrufbar unter: https://www.ruv.de/static-files/ruvde/Content/presse/die-aengste-der-deutschen/aengste-grafiken/ruv-aengste-grafiken.pdf, (zuletzt abgerufen am 25.6.2020).
[16]    Rees/Papendick/Rees/Wäschle/Zick, 2020, online abrufbar unter: https://pub.uni-bielefeld.de/download/2942930/2942931/Rees%20
et%20al.%20Erste%20Ergebnisse%20einer%20Online-Umfrage%20zur%20gesellschaftlichen%20Wahrnehmung%20des%20Umgangs%20mit%20der%20Corona-Pandemie%20in%20Deutschland.
pdf, S. 7, (zuletzt abgerufen am 25.6.2020).
[17]    A.a.O., S. 10.
[18]    Gerhold, 2020, online abrufbar unter: https://www.sicherheit-forschung.de/forschung/projekte/Corona/COVID-19-Risikowahr-nehmung-und-Bewaeltigungsstrategien_Gerhold—2020.pdf, (zuletzt abgerufen am 25.6.2020).
[19]    Birkel/Church/Hummelsheim-Doss/Leitgöb-Guzy/Oberwittler, Der Deutsche Viktimisierungssurvey 2017, S. 46.
[20]    Birkel/Church/Hummelsheim-Doss/Leitgöb-Guzy/Oberwittler, S. 72.
[21]    Polizei Hamburg, Polizeiliche Kriminalstatistik 2019.
[22]    Birkel/Church/Hummelsheim-Doss/Leitgöb-Guzy/Oberwittler, S. 74.
[23]    Zick/Küpper/Berghan, Verlorene Mitte – Feindselige Zustände Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2018.
[24]    Rees/Papendick/Rees/Wäschle/Zick, S. 8.
[25]    Zick/Küpper/Berghan.
[26]    Rees/Papendick/Rees/Wäschle/Zick, S. 12.
[27]    vgl. Bonkiewicz/Ruback, Policing 2010.
[28]    IKG, Ergebniszusammenfassung Mitte-Studie 2019, S. 6 f.
[29]    A.a.O.

 

 

 

 

 

Schreiben Sie einen Kommentar

Durch Abschicken des Formulares wird dein Name, E-Mail-Adresse und eingegebene Text in der Datenbank gespeichert. Für weitere Informationen lesen Sie bitte unsere Datenschutzerklärung.

Unsere Webseite verwendet sog. Cookies. Durch die weitere Verwendung stimmen Sie der Nutzung von Cookies zu. Informationen zum Datenschutz

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen.
Wenn Sie diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwenden oder auf "Akzeptieren" klicken, erklären Sie sich damit einverstanden.

Weitere Informationen zum Datenschutz entnehmen Sie bitte unserer Datenschutzerklärung. Hier können Sie der Verwendung von Cookies auch widersprechen.

Schließen