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Folter im Besonderen Teil des Strafgesetzbuches

von Prof. Dr. Wolfgang Mitsch

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Abstract
Der am 3. Januar 2021 im Abendprogramm der ARD gesendete Film „Feinde“ nach literarischer Vorlage des Autors Ferdinand von Schirach hat das in den letzten Jahren etwas verblasste Thema „Rettungsfolter“ wieder in das Blickfeld interessierter Bürger und Wissenschaftler zurückgeholt. Die Kollegen Katharina Beckemper, Elisa Hoven und Thomas Weigend gestalteten dazu am 5. Januar 2021 an der Universität Leipzig eine sehr instruktive Diskussionsveranstaltung, an der sich über 600 online zugeschaltete Personen als Zuhörer und Diskutanten beteiligten. Dabei kamen viele juristische und nichtjuristische Aspekte zur Sprache, über die bereits vor fast zwei Jahrzehnten im Anschluss an die Entführung und Ermordung des Bankierssohns Jakob von Metzler mit großer Intensität gestritten wurde. 

The film „Feinde“ („Enemies“), based on the literary work of the author Ferdinand von Schirach, was broadcasted on ARD’s evening program on January 3, 2021. The film brought the topic of „rescue torture“ (the use of torture in the ticking tomb bomb scenario) back into the field of vision of interested citizens and scholars, which has faded somewhat in recent years. Colleagues Katharina Beckemper, Elisa Hoven and Thomas Weigend organized a very instructive discussion session on this topic at the University of Leipzig on January 5, 2021. More than 600 people participated online as listeners and discussants. Many legal and non-legal aspects were discussed, which had already been hotly debated almost two decades ago following the kidnapping and murder of the banker’s son Jakob von Metzler.

I. Einleitung

Der Gesamteindruck des äußerst anregenden Gedankenaustauschs war, dass über zentrale Fragen wie z. B. die Notwehrrechtfertigung nach wie vor kein Konsens hergestellt werden kann. Wie denn auch, nachdem sich die einschlägige Gesetzeslage seit dem Fall nicht verändert hat! Es ist erstaunlich, dass die auf dem Gebiet des Straf- und Strafprozessrechts so außerordentlich fleißigen und produktiven Gesetzgebenden all die Jahre keinen Anlass gesehen haben, ihr Rechtsgestaltungsmonopol durch Schaffung klärender Regelungen – z.B. im Bereich der §§ 32, 34 StGB – zu mobilisieren. Dafür besteht durchaus ein das spezielle Folter-Thema übergreifendes Bedürfnis, wenn man nur an die unsäglich unsichere Rechtslage im Bereich der „sozialethischen Einschränkungen“ des Notwehrrechts denkt. Es ist nun schon über ein halbes Jahrhundert her, dass der Strafrechtsreform-Gesetzgeber die ihm obliegende Aufgabe zur Herstellung von Rechtssicherheit an Rechtsprechung und Wissenschaft weitergereicht hat.  Bedenken auf der Grundlage des Art. 103 Abs. 2 GG werden überwiegend mit Hinweis auf das Wort „geboten“ in § 32 Abs. 1 StGB beschwichtigt. Auch für die Nichtrechtfertigung der lebensrettenden Folter sei dies nach der h.M. der gesetzliche Ankerplatz. Mit dem vorliegenden Text soll nicht noch einmal für die nur von einer Minderheit in der Strafrechtslehre befürwortete Rechtfertigung lebensrettender Folter eine Lanze gebrochen werden. Denn die Argumente pro und contra sind – das hat auch die Leipziger Diskussion gezeigt – ausgetauscht und neue nicht zu sehen. Einen Appell an den Gesetzgeber zur Kodifizierung zu richten, erscheint einem Anhänger der Mindermeinung wenig erfolgversprechend. Deshalb wird hier eine andere Beziehung des Strafrechts zur Folter aufgegriffen und auf Grundlage des geltenden StGB kritisch beleuchtet: Die Pönalisierung von Foltertaten durch die Strafvorschriften des Besonderen Teils des Strafgesetzbuches. Insbesondere das Kurzreferat von Katharina Beckemper gab Anstoß zu der Suche einer Antwort auf die Frage: „Wie wird eigentlich ein Folterer nach deutschem Strafrecht bestraft?“ Um eine Antwort vorwegzunehmen: überraschend milde. 

II. Verletzung der Menschenwürde schwerer als Tötung

1. Menschenwürde als höchstes Gut

Die Debatte um die rechtliche – insbesondere strafrechtliche – Beurteilung der Rettungsfolter[1] rückt den Schutz der Menschenwürde ins Zentrum der Argumente und Gegenargumente. Folter verletze die Menschenwürde.[2] Daher sei Folter nicht zu rechtfertigen. Kein noch so gewichtiger und werthaltiger Zweck könne nach h.M. eine Handlung rechtfertigen, mit der die Menschenwürde verletzt wird. Im Entführer-Fall ist das die Menschenwürde des verhafteten Tatverdächtigen. Die Tat, die seine Würde verletzt, ist keine Tötung. Eine zur Befreiung der Geisel erforderliche Tötung des Entführers könnte ohne Weiteres gem. § 32 StGB oder nach den polizeirechtlichen Regeln über den „finalen Rettungsschuss“ gerechtfertigt werden, vgl. Art. 2 Abs. 2a EMRK.[3] Offenbar verletzt eine solche Rettungs-Tötung die Menschenwürde des Getöteten nicht.[4] Auch Folter kann tödlich ausgehen. Dieser Erfolg ist aber kein Definitionselement des Rechtsbegriffs „Folter“ und in den Fällen, über die wir diskutieren – realer Entführungsfall Jakob von Metzler, fiktiver Fall nach von Schirach – wird der Entführer gefoltert, aber nicht getötet. Daher könnte diese Tat sogar auf der Basis des § 34 StGB gerechtfertigt sein, wenn der Aspekt des Art. 1 GG[5] ausgeblendet würde. Einer Rechtfertigung aus § 32 StGB stünde ohnehin ein negatives Ergebnis der Güter- und Interessenabwägung – von Fällen eines krassen Missverhältnisses abgesehen[6] – nicht entgegen. Die Absolutheit der zu schützenden Menschenwürde hat also zur Folge, dass die typischen Mechanismen der Rechtfertigungsprüfung von vornherein ausgeschaltet werden.[7] Eine Abwägung widerstreitender Güter und Interessen findet nicht statt. Dort, wo der Gesetzgeber selbst eine generalisierte Abwägung vorgenommen hat – bei der Notwehr – wird deren Ergebnis durch die vorrangige Norm „die Menschenwürde ist unantastbar“ derogiert. Notwehr sei nicht „geboten“.[8] Wenn man also die Menschenwürde zu einem „Rechtsgut“ ernennt und in eine Skala mit den anderen strafrechtlich geschützten Rechtsgütern stellt, müsste sie an der Spitze stehen, noch vor dem Leben.[9]  Bildeten die nach h.M. tragenden Säulen des Notwehrrechts, Selbstschutzinteresse und Rechtsbewährungsinteresse[10], gemeinsam ein – recht diffuses – Rechtsgut, stünde dieses in der Rangliste vor dem Leben des Angreifers, aber hinter seiner Menschenwürde. Ob die Menschenwürde ein Rechtsgut ist[11], ist umstritten[12], kann aber dahingestellt bleiben.[13] § 34 StGB benutzt das Wort „Rechtsgut“ und benennt exemplarisch einige Individualgüter, erwähnt indessen die „Menschenwürde“ nicht. Worum es geht, ist nicht, ob die Menschenwürde ein Rechtsgut – im Kontext des § 34 StGB ein „anderes Rechtsgut“ − ist, sondern ob die Wahrung der Menschenwürde ein rechtlich relevanter Grund ist, die Menschenwürde angreifende und verletzende Handlungen ebenso zu verbieten – und gegebenenfalls zu pönalisieren – wie Handlungen, mit denen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit angegriffen und verletzt werden. Man kann diesen Grund verkürzend „Rechtsgüterschutz“ nennen, man kann es auch lassen. Da wir bei Leib und Leben von Rechtsgütern sprechen, soll hier zur vereinfachten Artikulation von Relationen und Vergleichen auch die Menschenwürde als „Rechtsgut“ bezeichnet werden. Nach der h.M. zur Rettungsfolter hat die Menschenwürde einen höheren Rechtsgutwert als das Leben. Sie ist das wertvollste Rechtsgut überhaupt. Die Gründe zum Schutz der Menschenwürde sind stärker als die Gründe zum Schutz des Lebens. So kann man dasselbe ausdrücken, ohne das Wort „Rechtsgut“ zu verwenden.

2. Strafniveau und Wert von Rechtsgütern

Der Wert von Rechtsgütern ist ein herausragender Faktor in der Interessenabwägung, deren Ergebnis eine Rechtfertigung wegen Notstands tragen soll, § 34 S. 1 StGB.  Die „abstrakte“ Wertung ist zwar nur ein erstes Indiz, das in der Gesamtwürdigung und Gesamtabwägung neben zahlreichen anderen Aspekten des konkreten Falles in die Waagschale fällt.[14] Aber sie hat häufig vorentscheidende Bedeutung für das Ergebnis, zumal wenn der Grad der drohenden Beeinträchtigung hoch ist. Da Leben abstrakt wertvoller ist als Gesundheit, wird die Abwägung in der Regel der Verhaltensweise das Rechtmäßigkeitsattest erteilen, die das Leben bewahrt und den Schaden an der Gesundheit nicht verhindert oder verursacht. Welchen abstrakten Wert die verschiedenen Rechtsgüter haben, soll aus den Strafdrohungen der Vorschriften abgeleitet werden, in denen Beeinträchtigungen dieser Rechtsgüter mit Strafe bedroht sind.[15] Da vorsätzliche Tötungen in §§ 211, 212 StGB wesentlich strenger pönalisiert sind als vorsätzliche Körperverletzungen in §§ 223 ff. StGB oder vorsätzliche Sachbeschädigungen in §§ 303 ff. StGB, ist das Leben ein Rechtsgut, das wesentlich wertvoller ist als die körperliche Unversehrtheit und das Eigentum. Diese einleuchtenden Wertungen mit den daraus resultierenden Rangverhältnissen der Rechtsgüter würde jeder vernünftige Mensch auch ohne diese Strafvorschriften so vornehmen. Denn auch die in den Strafvorschriften und ihren Sanktionsdrohungen zum Ausdruck kommenden Wertschätzungen sind ja in der Gesellschaft vorhanden und gehen als „außerrechtliche Wertungen“[16] der Gesetzgebung voraus. Die unterschiedlich hohen Strafen im Gesetz sind weder willkürlich noch aus der Luft gegriffen, sondern vollziehen nur Differenzierungen nach, die im Zusammenleben der Menschen und bei ihrem Umgang mit den Rechtsgütern gewohnheitsmäßig – weil als richtig empfunden – praktiziert werden. Zwischen der Höhe strafgesetzlicher Strafdrohungen und dem Wert von Rechtsgütern besteht also eine Korrelation. Weil ein Rechtsgut hohen Wert hat, ist das Strafmaß in der dieses Rechtsgut schützenden Strafvorschrift auf hohem Niveau. Wird der Wert eines Rechtsguts als hoch eingeschätzt, ist zu erwarten, dass es auch Strafvorschriften gibt, die Taten, die dieses Rechtsgut verletzen, mit hohen Strafen bedrohen.

3. Schlussfolgerungen

Als überragender Rechtswert müsste die Menschenwürde ein Schutzgut sein, auf dessen Verletzung das Strafrecht mit einer Sanktionierung reagiert, deren Härte diesem Maximalwert korrespondiert.Davon ist das geltende Strafrecht weit entfernt.[17] Sieht man davon ab, dass die Anerkennung der Menschenwürde als strafrechtlich geschütztes Rechtsgut ohnehin umstritten ist, präsentieren die wenigen Strafvorschriften, in denen die Menschenwürde explizit erwähnt wird (§ 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB) oder die einen Sinnbezug zur Menschenwürde aufweisen, ein geradezu kümmerliches Strafniveau. Die Menschenwürde ist im Strafrecht nicht das gewichtigste Rechtsgut, nicht einmal eines der wichtigsten Rechtsgüter.[18] Der Schutz der Menschenwürde im Strafrecht, so es ihn denn gibt, ist in hohem Maße fragmentarisch.[19] Dafür muss man den Gesetzgeber nicht unbedingt schelten. Angesichts der Vielfalt menschenwürderelevanten Fehlverhaltens dürften die Anforderungen, die der Bestimmtheitsgrundsatz an die Tatbestandsmodellierungskunst des Gesetzgebers stellt, überfordernd sein. Eine Strafvorschrift mit dem Text „Wer die Würde eines anderen Menschen verletzt, wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft“, würde nicht nur wegen der mordgleichen Strafhöhe auf Unverständnis stoßen. Zwar wäre die Rechtsfolgenvoraussetzungsseite dieser Norm nicht weniger bestimmt als die des § 185 StGB. Diese extreme Unbestimmtheit tut bei der Beleidigung nicht weh, weil das sanktions- und strafverfahrensrechtliche Feld, auf dem die Reaktion des Strafrechts sich vollzieht, den grundsätzlich berechtigten Einwänden[20] einiges an Schärfe nimmt. Aber eine Strafnorm „Wer die Würde eines anderen Menschen verletzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft“ würde die Idee der Menschenwürde desavouieren. Das Konstrukt einer vertatbestandlichten Menschenwürdeverletzung ist aber auch deshalb nicht realisierbar, weil der Kern eines Straftatbestands immer eine physische Substanz haben muss, die Menschenwürde aber nichts Physisches ist, sondern ein geistiges Phänomen, das einem physischen Gegenstand einen spezifischen normativen Charakter verleiht. „Menschenwürdewidrig“ kann somit nur ein zusätzlicher Unwertaspekt einer Tat sein, die ein materielles Rechtsgut wie z.B. die körperliche Unversehrtheit verletzt und die auf Grund ihrer menschenwürdewidrigen Begehungsweise – nicht jede Körperverletzung verletzt die Menschenwürde (siehe ärztliche Heilbehandlung) – einen gesteigerten Grad an Strafwürdigkeit aufweist. Die Menschenwürde ist nachrangig. Ein Mensch muss leben, gesund sein, etwas zu essen und ein „Dach über dem Kopf haben“. So etwas brauchen auch Tiere. Wenn das gewährleistet ist, kann man außerdem über „Menschenwürde“ reden. Frei nach Bertolt Brecht meine ich “Erst kommt das Fressen, dann die Würde“. In vielen Regionen der Erde ist das, was wir ein menschenwürdiges Leben nennen, ein Luxusgut.  Das Strafrecht stellt die Menschenwürde zu Recht in die zweite Reihe. Es konzentriert sich zunächst einmal auf Güter, mit denen menschliche Grundbedürfnisse befriedigt werden.[21] Der Aspekt „Menschenwürde“ kann dem Tatbestandsbild eine spezielle Färbung geben oder die Tat qualifizieren.[22] Auf die meisten Straftatbestände trifft das jedoch nicht zu. Was haben Diebstahl, Sachbeschädigung oder Betrug mit Menschenwürde zu tun? Das verdeutlicht auch die Folter. In erster Linie ist sie eine Straftat gegen Fortbewegungsfreiheit, Willensentschließungsfreiheit sowie körperliche und seelische Unversehrtheit.[23] Danach richtet sich ihr tatbestandliches Tatbild im Gesetz und ihre Position im rechtsgutsbezogenen System der Straftatbestände. Einen besonderen Akzent fügt die Folter dem Tatbestand aber durch den zutiefst menschenverachtenden und erniedrigenden Modus hinzu. Das geltende Strafrecht zeigt daran jedoch geringes Interesse, wie sogleich mit Blick auf das geltende positive Recht darzulegen sein wird.[24] 

III. Straftatbestände

1. Tötungsdelikte 

Nicht selten kommen Folteropfer bei oder auf Grund der Tortur zu Tode. Das ist zwar nicht unbedingt das vom Täter angestrebte Ziel, insbesondere wenn er aus dem Opfer Informationen  herauspressen will, die er von einem Toten nicht (mehr) bekäme.  Aber zumindest in Gestalt eines tatbegleitenden dolus eventualis wird ein Tötungsvorsatz vorhanden sein, wenn die Misshandlungen so schwerwiegend sind, dass mit tödlichem Ausgang zu rechnen ist.[25] Zudem sind hier auch die Fälle einzubeziehen, in denen der Täter durch die Folter eines Angehörigen oder einer nahestehenden Person einen Dritten zu Aussagen nötigen will.[26] Zur Steigerung des Nötigungsdrucks wird der Folterer oftmals sein Opfer mit Absicht töten, vor allem wenn er dem Dritten angekündigt hat, dass ihm ähnliches passiere, wenn er nicht die geforderten Informationen preisgibt. Zwar keine Folter im eigentlichen Sinn, wegen der angewandten Methoden und deren Wirkung auf das Opfer gleichwohl hier zu berücksichtigen sind Taten von Sadisten, die mit der Folter keine Aussage des Opfers erzwingen, sondern allein foltern um des Folterns willen, um sich an dem Leiden des Opfers zu weiden oder daraus gar sexuelle Befriedigung zu erfahren.

Dass tödliche Folter Mord (§ 211 StGB) ist, liegt auf der Hand. In erster Linie ist es das Mordmerkmal „grausam“, das durch die brutalen Misshandlungen, die damit erzeugten schweren Qualen des Opfers und die typischerweise zugrunde liegende unbarmherzige rohe Gesinnung des Täters erfüllt wird.[27] Zweckneutrales “Quälen um des Quälens willen“ mit vom Vorsatz umfassten tödlichen Ausgang kann zudem das Mordmerkmal „Mordlust“ erfüllen, jedenfalls dann, wenn es dem Folterer darauf ankommt, einen „thrill“ durch den Todeskampf des Opfers zu erleben.[28] Auch das Merkmal „zur Befriedigung des Geschlechtstriebs“ ist einschlägig. Mitglieder der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (§ 19 JuSchG) werden dazu über vielfältiges Anschauungsmaterial berichten können.

2. Körperverletzungsdelikte

Wird – anders als im Fall Daschner – die Folter nicht nur angedroht, sondern vollzogen, ist so gut wie immer die körperliche Unversehrtheit des Opfers verletzt. Der Täter macht sich also nach §§ 223 ff. StGB strafbar. Polizeibeamte, Geheimdienstmitarbeiter und sonstige Amtsträger begehen Körperverletzung im Amt, § 340 StGB. Betrachtet man die Qualifikationstatbestände, fällt auf, dass der spezifische Unwert der Folter nirgends passgenau abgebildet ist.  Man kann das auch so ausdrücken:  das geltende StGB enthält keinen Foltertatbestand, jedenfalls nicht im 17. Abschnitt des Besonderen Teils. Wird die Tortur mit Folterinstrumenten ausgeführt, dürfte der Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung erfüllt sein, § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Zwingend ist das aber nicht. In kriminellen mafiösen Organisationen gibt es Folterknechte, die in der Lage sind, unter Anwendung spezieller Techniken mit bloßen Händen extreme Schmerzen zu verursachen und dabei keine Variante des § 224 Abs. 1 StGB zu verwirklichen. Da dem Opfer auch nicht unbedingt bleibende schwere Schäden zugefügt werden, läuft auch § 226 StGB ins Leere. Dass Brutalitäten dieser Art nur „einfache“ Körperverletzung gem. § 223 StGB sind, ist kaum zu glauben, aber StGB-konform. Überhaupt nicht von §§ 223 ff. StGB erfassbar ist die praktisch bedeutsame rein „psychische“ Folter.[29]

3. Willensbeugungs- und Freiheitsdelikte

Einen Menschen mit physischer Gewalt zu foltern setzt Gewahrsam des Täters an dem zu Folternden voraus.[30] Folteropfer sind immer Gefangene, die sich nicht wehren und die vor allem nicht weglaufen können.[31] Wer sich in Freiheit befindet, kann nicht physisch gefoltert werden, solange seine Bewegungsfreiheit nicht anderweitig – z.B. auf Grund Behinderung oder sonstiger körperlicher Defekte (vgl. § 225 Abs. 1 StGB) – eingeschränkt ist. Daher geht der Folter häufig eine Freiheitsberaubung (§ 239 StGB), Verschleppung (§ 234a StGB), Geiselnahme (§ 239b StGB) oder ein erpresserischer Menschraub (§ 239a StGB) voraus. Bei Folter durch Amtsträger kann allerdings der Freiheitsentzug auf einer legalen gerichtlichen Anordnung (z.B. §§ 112 ff. StPO) oder vorläufiger polizeilicher Festnahme (§ 127 StPO) beruhen. Die Freiheitsbeschränkung als solche wird durch die unerlaubte Behandlung während der Haft nicht rechtswidrig, eine Strafbarkeit aus § 239 StGB dadurch nicht begründet.[32] Die rechtmäßige Untersuchungshaft gegen Magnus Gaefgen verwandelte sich infolge der unerlaubten Folterandrohung nicht in eine rechtswidrige und strafbare Freiheitsberaubung. Anderenfalls hätte Gaefgen unverzüglich freigelassen werden müssen, folgt man der h.M. zur Bewertung der Folter. Die Erzwingung bestimmter Handlungen des Gefolterten – z. B. Preisgabe von Informationen – unterfällt außerhalb des staatlichen Bereichs dem Nötigungstatbestand (§ 240 StGB) und damit einer relativ geringen Strafdrohung.[33] Nötigung durch Amtsträger erfährt allein unter den Voraussetzungen des § 343 StGB eine Bewertung als schwerwiegende Straftat.[34]  Insbesondere auf der Grundlage des § 239b StGB kommt der Folter – jedenfalls im nichtstaatlichen Bereich – die schwerwiegende und scharfe Ahndung zu, die der Monstrosität halbwegs gerecht wird. Genau genommen ist es aber nicht die praktizierte Folter, sondern die sie ermöglichende Freiheitsentziehung, die im Schuldspruch abgebildet wird und das hohe Strafmaß erklärt. Geiselnahme ist die Tat schließlich auch dann, wenn es bei der Drohung bleibt und das Angedrohte ausbleibt. Für die Vollendung der ersten Tatbestandsalternative des § 239b Abs. 1 StGB ist nicht einmal das Aussprechen der Folterandrohung erforderlich.[35]

4. Amtsdelikte

Der offizielle Rechtsbegriff „Folter“ bezieht sich auf Täter, die als Staatsorgan oder im staatlichen Auftrag handeln.[36] Deswegen wird der Maßstab für die strafrechtliche Bewertung in erster Linie im Bereich der Amtsdelikte gesucht. Vorschläge zur Ergänzung des geltenden Strafrechts beschränken sich auf Strafvorschriften, die in diesem Bereich verortet sind.[37] Dass dieser Blickwinkel zu eng ist, wurde oben schon gezeigt. Lücken weist das StGB nicht nur in §§ 331 ff. StGB, sondern auch in §§ 223 ff. StGB sowie in §§ 239 ff. StGB auf. Physische Folter durch Polizeibeamte und andere Amtsträger ist Körperverletzung im Amt, § 340 StGB. Das typische Nötigungselement der Folter findet allein im Straftatbestand „Aussageerpressung“ (§ 343 StGB) Berücksichtigung. Da diese Strafnorm ausschließlich mit Verfahren repressiver Zielrichtung verknüpft ist, vermag sie präventivpolizeiliches Handeln nicht zu erfassen.[38] Diese Erfahrung wurde im Daschner-Fall gemacht. Die Polizeibeamten wirkten auf den Tatverdächtigen nötigend ein, um das Leben des entführten Kindes zu retten. Die Informationen, die sie auf diese Weise zu erlangen hofften, sollten also zur Abwendung der dem Leben des Kindes drohenden Gefahr verwertet werden. Dass eine Verwertung im Strafverfahren gegen den Tatverdächtigen an § 136a StPO scheitern würde, war von vornherein klar. Ziel der Nötigung war also nicht eine Aussage „in dem Verfahren“, das ist in §  343 Abs. 1 Nr. 1 StGB das „Strafverfahren“.[39] Daher konnte das Urteil gegen den Polizeivizepräsidenten nur auf § 240 StGB (i.V.m. § 357 StGB) gestützt werden.[40] Das wirkt in Relation zu dem Empörungsgrad und dem Menschenwürdepathos, der dieses Verfahren begleitete, geradezu lächerlich.

IV. Ergänzungsbedarf

1. Körperverletzungsdelikte

Der kurze Abgleich mit den §§ 223 ff. StGB hat hinreichend deutlich gezeigt, dass das StGB in diesem Bereich spezifische unrechtssteigernde Umstände, die vor allem in Folterpraktiken, wenngleich nicht nur in ihnen, manifest werden, tatbestandlich nicht berücksichtigt und folglich auch nicht in jedem Fall angemessen sanktionieren kann. Denn das Sanktionshöchstmaß der nicht tödlichen und keine schweren Folgen gem. § 226 Abs. 1 StGB verursachenden Misshandlung beträgt zehn Jahre (§ 224 Abs. 1 StGB), gegebenenfalls sogar nur fünf Jahre (§ 223 Abs. 1 StGB). Der euphemistischen Feststellung von Wolter, der Gesetzgeber habe seiner Pflicht, „extreme Menschenwürdeverletzungen“ mit Strafe zu bewehren, in §§ 223 ff. StGB entsprochen[41], ist entschieden zu widersprechen. Das Sanktionsdefizit bleibt nur deswegen in manchen Fällen verdeckt, weil der Rahmen der Misshandlungen eine Geiselnahme ist und deshalb gem. § 239b Abs. 1 i.V.m. § 52 Abs. 2 S. 1 StGB bis zu 15 Jahre Freiheitsstrafe möglich sind. In Fällen von Polizeigewalt gegenüber rechtmäßig Inhaftierten fällt indessen der gesamte Block der §§ 239 ff. StGB weg, bleibt es also auf der Grundlage des § 340 StGB bei dem niedrigen Strafniveau.

Das eigentliche Manko der lex lata ist die prinzipienlose kasuistische Gestaltung des Bereichs der qualifizierten Körperverletzungsdelikte. Es ist nicht zu verstehen, warum der Besondere Teil des Strafgesetzbuches Straftaten gegen das Leben (§§ 211 ff. StGB) und Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit (§§ 223 ff. StGB) nicht stärker harmonisiert. Schließlich ist ein versuchter Mord häufig zugleich eine vollendete Körperverletzung, deren Unrechtsgehalt gewiss ebenso durch mordmerkmalserfüllende Tatsachen gesteigert wird, wie der Unrechtsgehalt der vorsätzlichen Tötung. Sofern dies nicht in einem Tatbestand der qualifizierten Körperverletzungsdelikte erfasst wird, bleibt nur die Strafzumessung innerhalb des grundtatbestandlichen Strafrahmens des § 223 StGB. Dieses Sanktionsniveau ist zur angemessenen Ahndung von Folter zu gering. Warum also gibt es in §§ 224 bis 226 StGB keine Tatbestandsvariante „grausame Misshandlung“?[42] Nach geltendem Strafrecht erfüllt Grausamkeit während einer Körperverletzung, die noch kein Tötungsversuch ist, aber in eine vorsätzliche nicht grausame Tötung übergeht, nicht den Mordtatbestand.[43] Was einem Menschen, der eine schwere Verletzungsfolge i.S.d. § 226 StGB erlitten hat, bei der Verursachung dieser Schädigung widerfahren ist, kann eine grausame Behandlung gewesen sein, muss es aber nicht. Es ist also möglich, dass eine grausame Misshandlung mit anschließender Tötung „nur“ Totschlag und „einfache“ (§ 223 StGB) Körperverletzung ist.

Es bedarf weder Phantasie noch intellektueller Anstrengung, um eine konkrete Vorstellung davon zu bekommen, wie der Tatbestand des § 226 StGB sinnvoll ergänzt werden könnte, um die Lücken zu schließen. Wem dazu das Vorbild des § 211 Abs. 2 StGB nicht reicht, der kann sich in anderen Bereichen des Besonderen Teils oder im Nebenstrafrecht umschauen. Das StGB meint erwachsene Menschen dagegen abschirmen zu müssen, mit „grausamen oder sonst unmenschlichen Gewalttätigkeiten gegen Menschen“ medial konfrontiert zu werden (§ 131 StGB), obwohl schwer zu erklären ist, welches Rechtsgut dadurch geschützt wird. Daran, den praktischen Vollzug derartiger Gewalttätigkeiten an lebenden Menschen in §§ 223 ff. StGB als eine qualifizierte Körperverletzung auf dem Sanktionsniveau des § 226 StGB zu pönalisieren, sollte man aber doch denken, nachdem Herr von Schirach am Sonntagabend zur „Tatort“-Zeit in Erinnerung gerufen hat, wie furchtbar eine solche Behandlung ist. Eine interessante Anregung zur Einbeziehung von Folter in §§ 223 ff. StGB gibt § 17 Nr. 2 b TierSchG:  Strafbar ist es, einem Wirbeltier länger anhaltende oder sich wiederholende erhebliche Schmerzen oder Leiden zuzufügen. Dies trifft das spezifische Unrecht ziemlich genau, zumal mit dem Merkmal „Leiden“ auch folterbedingte seelische Qualen erfasst werden können. Des Weiteren sei auf § 96 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 AufenthG hingewiesen. Qualifizierend wirkt hier unter anderem eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung.[44] Sogar das Wort „Würde“ kann zur Aufrüstung des Strafrechts mobilisiert werden, wenn man an den wehrstrafrechtlichen Tatbestand „Entwürdigende Behandlung“ (§ 31 WStG) denkt. Die Existenz dieses auf Subordinationsverhältnisse zugeschnittenen Unrechtsmerkmals offenbart zugleich die Strafbarkeitslücke im Bereich der §§ 340 ff. StGB. Opfer unmenschlicher, erniedrigender, entwürdigender Behandlung sind unter anderem auch Strafgefangene, wobei die Täter häufig Mithäftlinge sind, was bei garantenpflichtwidriger Untätigkeit des Vollzugsanstaltspersonals zur Strafbarkeit gemäß § 13 StGB führen würde, wenn es die einschlägigen speziellen Straftatbestände gäbe. Es gibt sie aber nicht. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass geeignete Textbausteine, die sich in §§ 223 ff. StGB an passender Stelle einfügen lassen, im geltenden Strafrecht vorhanden sind. Ein Gesetzgeber, der beim Erfinden neuer Straftatbestände („Upskirting“) und noch mehr im Verschärfen bestehender Strafdrohungen (§§ 184b, 184c StGB; § 244 Abs. 4 StGB) keine übertriebene Zurückhaltung übt, sollte in der Lage sein, diesem Baukasten geeignetes Material für sinnvolle Ergänzungen des Strafrechts zu entnehmen.

2. Willensbeugungs- und Freiheitsdelikte

Wie gesehen, ist die angemessene Bestrafung einer nicht tödlich ausgegangenen Folter durch Nichtamtsträger auf der Grundlage der §§ 239 ff. StGB möglich. Jedenfalls punktuell sind einige typische Elemente des Foltersachverhalts hier subsumierbar. Jedoch offenbart schon § 239 StGB eine Lückenhaftigkeit, die nicht mit der ohnehin irreführend beschönigenden Phrase „fragmentarischer Charakter des Strafrechts“ überspielt werden kann. Gefangene werden von ihren Bewachern häufig mutwillig geprügelt, zumal wenn sie sich über die Behandlung beschweren oder gar zu fliehen versuchen. Wird die Freiheitsberaubung vor Ablauf von sieben Tagen (§ 239 Abs. 3 Nr. 1 StGB) beendet, ist eine solche Tat unterhalb der Stufe des § 226 StGB eine „einfache“ Freiheitsberaubung (§ 239 Abs. 1 StGB) in Tateinheit (§ 52 StGB) mit einer „einfachen“ Körperverletzung, § 223 StGB. Gewiss wird es in den meisten Fällen möglich sein, den erhöhten Unrechtsgehalt durch die Strafbemessung innerhalb des Strafrahmens bis zu fünf Jahren schuldangemessen zur Geltung zu bringen. Es sind aber auch Fälle denkbar, in denen das bezweifelt werden muss. Kurios erscheint in diesem Zusammenhang die fragwürdige Lehre von der „Klammerwirkung“, die bei einem Dauerdelikt wie Freiheitsberaubung  die schwer zu ertragende Konsequenz hat, dass die permanente Misshandlung des Gefangenen als eine einzige Körperverletzung gilt, die mit der Freiheitsberaubung in Tateinheit steht.[45] Einen Täter, der sein Opfer acht Tage eingesperrt hält, während dieser Zeit jedoch „in Ruhe lässt“ und vielleicht sogar „gut behandelt“, erwartet eine Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren (§ 239 Abs. 3 Nr. 1 StGB). Dagegen droht einem Täter, der den am siebenten Tag freigelassenen Gefangenen an sechs aufeinanderfolgenden Tagen mit Faustschlägen traktiert, durch Kälte, Gestank, Licht-, Luft- und Nahrungsentzug sowie vielleicht noch psychisch mit dem Geräusch eines  tropfenden Wasserhahns gequält hat, maximal eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren. 

Solange die Misshandlungen während der Freiheitsberaubung keinen Nötigungszweck erfüllen, kommen die einzigen Strafvorschriften mit ausreichendem Sanktionsniveau, § 239a StGB und § 239b StGB, nicht zur Anwendung. Aber selbst der das Phänomen der Folter qualitativ und quantitativ noch am besten erfassende Tatbestand § 239b StGB weist folterspezifische Lücken und entsprechenden Ergänzungsbedarf auf: als Nötigungsmittel ist allein die „Drohung“ berücksichtigt. Der Fall, dass der Entführte sogleich – ohne vorherige Androhung – physisch oder psychisch gequält wird, ist bei streng wortlautgetreuer Beurteilung nicht tatbestandsmäßig. Außerdem sind die tatbestandsmäßigen Drohungsinhalte unvollständig. Androhung langanhaltender Misshandlung ohne die schweren Folgen des § 226 StGB steht außerhalb des § 239b StGB, soweit damit nicht zugleich ein Freiheitsentzug von über einer Woche in Aussicht gestellt wird.  Der Gesetzestext sollte also zumindest um ein Merkmal erweitert werden, das sowohl die Anwendung als auch die Androhung sonstiger Foltermethoden einbezieht. Formulierungshilfe kann sich der Gesetzgeber durch § 136a Abs. 1 StPO geben lassen, dessen Merkmal „Quälerei“ sowohl für physische als auch psychische Foltermethoden aufnahmefähig sein dürfte.   

3. Amtsdelikte

Vollkommen unzureichend ist das geltende Strafrecht im Bereich der Amtsdelikte. Die qualifizierte Körperverletzung im Amt (§ 340 Abs. 3 StGB) ist tatbestandlich ein Abziehbild der §§ 224 ff. StGB ohne Anhebung der gesetzlichen Strafdrohung.[46] Dass das StGB diese Straftatbestände überhaupt in § 340 Abs. 3 StGB aufgreift, hat seinen Grund wohl darin, einen Anknüpfungspunkt für die gerichtliche Anordnung von Nebenfolgen zu schaffen, § 358 StGB. Das wäre nämlich ohne § 340 Abs. 3 StGB nicht ganz zweifelsfrei, wenn man die Ansicht verträte, dass die von einem Amtsträger begangene qualifizierte Körperverletzung auf der Konkurrenzebene § 340 Abs. 1 StGB verdrängt und deshalb im Schuldspruch diese Strafvorschrift nicht auftaucht. Die Lücken in §§ 223 ff. StGB (s.o. III. 1.) sind zugleich Lücken des § 340 StGB. Auch der geltende § 343 StGB ist defizitär. Ein brandenburgischer Polizeibeamter unterliegt zwar bei der Befragung von Personen im präventivpolizeilichen Tätigkeitsbereich den Verboten des § 136a StPO (§ 15 Abs. 4 BbgPolG), macht sich aber nicht aus § 343 StGB strafbar, wenn er dagegen verstößt.[47] Defizitär ist des Weiteren § 344 StGB. Denn die unzulässige Freiheitsberaubung und die Misshandlung im Rahmen einer zulässigen Freiheitsberaubung gegenüber Schuldigen wird von diesem Tatbestand nicht erfasst.[48] Die Vorschläge zur Schaffung eines speziellen Foltertatbestand im 30. Abschnitt des BT sind Schritte in die richtige Richtung, aber nicht ausreichend. Wünschenswert ist auf jeden Fall die Einbeziehung der Todeserfolgsqualifikation. Nimmt sich ein Folteropfer aus Verzweiflung oder zur Verhinderung des Verrats von Genossen das Leben, ist nach geltendem Recht keineswegs ausgemacht, dass die dafür verantwortlichen Amtsträger tatsächlich die angemessene Strafe bekommen können. § 227 StGB i.V.m. § 340 Abs. 3 StGB scheidet sicher aus, wenn der Suizid vor Anwendung der physischen Folter allein auf Grund von deren Androhung vollzogen wurde.[49] §§ 239 Abs. 4, 239b Abs. 2 i.V.m. § 239a Abs. 3 StGB setzen eine rechtswidrige Freiheitsentziehung voraus, was bei einem Häftling unter den Voraussetzungen der §§ 112, 127 StPO nicht der Fall ist. Den §§ 343, 344 und 345 StGB sollte also ein Absatz hinzugefügt werden, wonach die leichtfertige Verursachung des Todes mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren zu ahnden ist. Dieselbe Ergänzung sollte dem in der Literatur vorgeschlagenen neuen Folter-Tatbestand zuteil werden.

V. Schluss

Es ist gut, dass die Diskussion über die „Rettungs-Folter“ wieder   aufgenommen worden ist. Zur Thematik der Rechtfertigung nach § 32 StGB ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Davon kaum trennen lässt sich die Frage, wie rechtswidrige Folter tatbestandlich eingefangen und bestraft werden kann und soll. Der vorliegende Text dürfte gezeigt haben, dass das deutsche Strafrecht sich dieser Aufgabe noch überhaupt nicht angenommen hat.

 

[1]      Dazu im Anschluss an die Leipziger Veranstaltung überzeugend Hoven, ZIS 2021, 115 ff.
[2]      von Schenck, Pönalisierung der Folter in Deutschland – de lege lata et ferenda, 2011, S. 57.
[3]      Rengier, Strafrecht Allgemeiner Teil, 11. Aufl. (2019), § 18 Rn. 38:  sogar die Tötung eines fliehenden Diebes kann durch § 32 StGB gerechtfertigt sein.
[4]      Zu diesem Widerspruch Hoven, ZIS 2021, 115 (118).
[5]      Als eine Konkretisierung des Menschenwürdeaspekts wird hier auch das kodifizierte Folterverbot in Art. 3 EMRK und anderen völkerrechtlichen Normen qualifiziert.
[6]      Rengier, AT (o. Fn. 3), § 18 Rn. 57.
[7]      Hoven, ZIS 2021, 115 (117); Manoledakis, in: Prittwitz/Manoledakis, Strafrecht und Menschenwürde, 1998, S. 9 (15): in die Menschenwürde darf nicht eingegriffen werden, weder zur Rettung eines übergeordneten Interesses noch im Falle von Notwehr.
[8]      F. Knauer, ZStW 126 (2014), 305 (321).
[9]      So Paraskevopoulos, in: Prittwitz/Manoledakis, Strafrecht und Menschenwürde, 1998, S. 63 (64). Anders Manoledakis (o. Fn. 7), S. 15: wäre die Menschenwürde ein Rechtsgut, stünde sie auf einem Niveau unter dem Leben und über der Ehre.
[10]    Rengier, AT (o. Fn. 3), § 18 Rn. 1.
[11]    Dafür Paraskevopoulos (o. Fn. 9), S. 63 (64).
[12]    F. Knauer, ZStW 126 (2014), 305 (320).
[13]    Anders Manoledakis (o. Fn.  7), der meint, die Menschenwürde aus allen Abwägungsprozessen mit anderen Rechtsgütern heraushalten zu können, indem er ihr den Rechtsgutscharakter abspricht. Die Menschenwürde als ein dem Leben übergeordnetes Rechtsgut zu klassifizieren, hält er für „absurd“ (ebenda).
[14]    Perron, in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. (2019), § 34 Rn. 23.
[15]    F. Knauer, ZStW 126 (2014), 305 (322); krit. Perron, in: Schönke/Schröder, StGB, § 34 Rn. 43.
[16]    Perron, in: Schönke/Schröder, StGB, § 34 Rn. 44.
[17]    F. Knauer, ZStW 126 (2014), 305 (327, 336).
[18]    So die zutreffende Feststellung von F. Knauer, ZStW 126 (2014), 305 (323).
[19]    F. Knauer, ZStW 126 (2014), 305 (326).
[20]    Findeisen, ZRP 1991, 245 ff.
[21]    Paraskevopoulos (o. Fn.  9), S. 63 (65).
[22]    In diesem Sinne verstehe ich die Empfehlung von Prittwitz, in: Prittwitz/Manoledakis, Strafrecht und Menschenwürde, 1998, S. 19 (29), strafrechtlichen Menschenwürdeschutz mittels „konkret benannter Verletzungen der Menschenwürde zu versuchen“.
[23]    von Schenck (o. Fn. 2), S. 57.
[24]    Vgl. das Fazit bei v. Schenck (o. Fn.  2), S. 113.
[25]    Beutler, Strafbarkeit der Folter zu Vernehmungszwecken, 2006, S. 190.
[26]    Instruktiv Ligocki, Der Drittbezug bei Gewalt, 2019.
[27]    Beutler (o. Fn. 25), S. 192; Schneider, in: MüKo-StGB, Bd. 4, 4. Aufl. (2021), § 211 Rn. 136.
[28]    Schneider, in: MüKo-StGB, § 211 Rn. 49.
[29]    F. Knauer, Der Schutz der Psyche im Strafrecht, 2013, S. 258.
[30]    Auf „psychische“ Folter trifft das nicht unbedingt zu. § 239 StGB findet deshalb bei F. Knauer (o. Fn. 29), S. 257-260 im Abschnitt „Bestehender Schutz“ keine Erwähnung.
[31]    Vgl. die Gesetzesvorschläge für einen Foltertatbestand bei F. Knauer (o. Fn.  29), S. 264:  „… Gewahrsam oder in sonstiger Weise unter seiner Kontrolle…“; v. Schenck (o. Fn. 2), S. 229: „… festgehaltener Personen …“.
[32]    Beutler (o. Fn. 25), S. 157. Wahrscheinlich aus diesem Grund kommen §§ 239 ff. StGB in der Analyse des geltenden Folterstrafrechts „Pönalisierung der Folter de lege lata“ bei von Schenck (o. Fn. 2), S. 89 – 113 nicht vor.
[33]    v. Schenck (o. Fn. 2), S. 108.
[34]    v. Schenck (o. Fn. 2), S. 90 ff.
[35]    Renzikowski, in : MüKo-StGB, Bd. 5, 3. Aufl. (2019), § 239b Rn. 16.
[36]    v. Schenck (o. Fn. 2), S. 63 ff.
[37]    F. Knauer (o. Fn. 29), S. 264; v. Schenck (o. Fn. 2), S. 239.
[38]    v. Schenck (o. Fn. 2), S. 103.
[39]    LG Frankfurt, NJW 2005, 692 (695); Beutler (o. Fn. 25), S. 160; Jerouschek, JuS 2005, 296 (297).
[40]    LG Frankfurt, NJW 2005, 692 (693).
[41]    Wolter, NStZ 1993, 1 (6).
[42]    Rechtsvergleichend z.B.  Art. 222-1 des Code Pénal Frankreichs.
[43]    Schneider, in: MüKo-StGB, § 211 Rn. 140.
[44]    Zu den völkerrechtlichen Anklängen vgl. Gericke, in MüKo-StGB, Bd. 8, 3. Aufl. (2018), § 96 AufenthG Rn. 37.
[45]    Rengier, AT (o. Fn. 3), § 56 Rn. 62 ff.; Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht Allgemeiner Teil, 50. Aufl. (2020), Rn. 1284.
[46]    Wolters, JuS 1998, 582 (586): „Etwas merkwürdig mutet der neue Abs. 3 dieser Vorschrift an.“
[47]    Wagenländer, Zur strafrechtlichen Beurteilung der Rettungsfolter, 2006, S. 113.
[48]    Voßen, in: MüKo-StGB, Bd. 5, 3. Aufl. (2019), § 344 Rn. 22: Anordnung von Untersuchungshaft ohne dringenden Tatverdacht.
[49]    Dazu schon Mitsch, Jura 1993, 18 ff.

 

 

 

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