Caprice Doerbeck: Cybermobbing. Phänomenologische Betrachtung und strafrechtliche Analyse

von Prof. Dr. Anja Schiemann

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2019, Duncker & Humblot GmbH, ISBN: 978-3-428-15842-3, S. 405, Euro 99,90.

 Kriminalpolitische Themen haben teilweise eine kurze Halbwertzeit und Monographien sind daher der Gefahr ausgesetzt, dass sich Inhalte durch neue Gesetze überholen. Schnell werden aus de lege ferenda Vorschlägen Paragrafen de lege lata, die inhaltlich modifiziert sind oder ganz von kriminalpolitischen Forderungen abweichen. Die Dissertation von Doerbeck berücksichtigt laut Vorwort Literatur und Rechtsprechung bis zum Juni 2019. Am 3.4.2021 ist das Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität in überwiegenden Teilen in Kraft getreten (BGBl. I 2021, 448 [474] und BGBl. I 2021, 441 ff.). Hierdurch wurden unter anderem die Beleidigungsdelikte angepasst, um so den besonderen Belastungen der Betroffenen durch die Verbreitungsmacht des Netzes Rechnung zu tragen. So wurde der Straftatbestand des § 185 StGB durch die Einfügung „öffentlich, in einer Versammlung, durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3) oder“ um weitere Qualifikationen neben der Beleidigung mittels einer Tätlichkeit erweitert. Die Strafdrohung wird hierfür auf bis zu zwei Jahre erhöht, so dass eine der kriminalpolitischen Forderungen von Doerbeck (S. 372) somit quasi umgesetzt wurde. Wer meint, die Dissertation jetzt guten Gewissens aus der Hand legen zu können, täuscht. Die Arbeit erschöpft sich nämlich nicht in dieser kriminalpolitischen Forderung, sondern analysiert das Phänomen des Cybermobbings, seine Ausprägungen sowie die unterschiedlichen Facetten in Betracht kommender Deliktsverwirklichungen. Daher lohnt sich ein intensiverer Blick in die Arbeit.

Nach einer Einführung beginnt die Dissertation mit phänomenologischen Betrachtungen, wobei sich zunächst sehr knapp sprachwissenschaftlichen Überlegungen gewidmet wird. Interessant ist, dass der Mobbingbegriff seine heutige Bedeutung erst seit ungefähr 50 Jahren erhalten hat und von dem Verhaltensforscher Konrad Lorenz geprägt wurde. Cybermobbing, so die Verfasserin, müsse sprachwissenschaftlich als Mobbing in einer virtuellen Welt verstanden werden (S. 36).

Ausführlich wird sich dann empirischen Erkenntnissen gewidmet, die zeigen, dass Cybermobbing in Deutschland weder auf Täter noch auf Opferseite ein seltenes Phänomen ist. So waren zwischen 8 und 33 % der Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen bereits einmal als Täter an einem Cybermobbingverlauf beteiligt, gleich zeitig wurden 5 – 35 % dieser Personen selbst Opfer von Cybermobbing (S. 81). Zudem zeigen die empirischen Er-kenntnisse, dass Cybermobbing in vielen Fällen von Personen bemerkt wird, die nicht aktiv am Geschehen mitwirken und nicht darauf reagieren (Sog. Bystander).

Im dritten Kapitel wird das Phänomen Cybermobbing inhaltlich konkretisiert und eine Definition erarbeitet. Die Verfasserin versteht unter Cybermobbing „ein vorsätzliches, aus negativen Einzelhandlungen bestehendes Verhalten, das sich gegen eine – zumindest in Folge dieser Handlungen – schwächere Person richtet und mittels moderner Informations- und Kommunikationstechnologie erfolgt. Es muss sich über einen längeren Zeitraum wiederholen, wenn nicht eine öffentliche Handlung vorliegt, die dazu führt, dass andere Personen den Cybermobbingprozess – wie vom ursprünglichen Täter vorhergesehen und gebilligt – über einen längeren Zeitraum fortsetzen“ (S. 114).

Facettenreich und interessant ist dann auch die Aufarbeitung und Abgrenzung der Untergruppen Cybermobbing by proxy, Denigration, Exclusion, Impersonation, Online Harassment, Outing and Trickery (S. 123 ff.).

Im vierten Kapitel widmet sich die Verfasserin der Frage, welche Straftatbestände durch Cybermobbing – Rechtslage Juni 2019 – erfüllt sein können. Größte Bedeutung käme den Beleidigungsdelikten und den Tatbeständen zum Schutz des Rechts am eigenen Wort und Bild zu. So greifen auch bei ehrherabsetzenden Foto- und Videomanipulationen nicht nur §§ 185 ff. StGB, sondern auch § 33 KUG. Werde zudem der höchstpersönliche Lebensbereich durch Bildaufnahmen verletzt, seien veränderte Fotos auch taugliche Tatobjekte i.S.d. § 201a StGB. Dagegen sei eine Körperverletzung bei den in Cybermobbingfällen geradezu typischen psychischen Beeinträchtigung regelmäßig nicht gegeben, außer sie habe körperliche Auswirkungen. Auch ein Suizid infolge des Cybermobbings könne nur dann dem Täter zugerechnet werden, wenn das Opfer nicht freiverantwortlich gehandelt habe. Dies käme primär bei minderjährigen Opfern oder psychisch Kranken in Betracht. Insgesamt werden diese und weitere Delikte in der Dissertation sehr differenziert und unter Würdigung zahlreicher Literatur und Rechtsprechung geprüft. Leider sind nicht alle der unterschiedlichsten Konstellationen gerichtlich entschieden, so dass es – so die Verfasserin – eine offene Frage sei, wie die Rechtsprechung damit im Einzelnen umgeht (S. 307).

Bezüglich der Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts werden in Cypbermobbingkonstellationen keine Besonderheiten identifiziert. Hinsichtlich des Setzens eines Links und des Teilens eines Beitrags geht die Verfasserin mit der herrschenden Meinung in der Literatur von einer täterschaftlichen Begehungsweise aus, sofern es sich um Delikte handelt, die tatbestandlich eine bloße Inhaltsweitergabe ohne Identifikation mit dem Inhalt erfordern. Auch bei Delikten, die über eine Inhaltsweitergabe hinausgehen, müsse das Setzen eines Links und das Teilen des Betrags meistens als täterschaftliches Handeln angesehen werden, da der Link bzw. der geteilte Beitrag in das Profil des Handelnden eingebunden werden. Dagegen stelle das bloße „Liken“ eine Beihilfehandlung dar, weil hierdurch nur eine fremde Aussage für gut befunden werde.

Nach dieser umfassenden Prüfung de lega lata folgt eine Bewertung der gegenwärtigen (Juni 2019) Rechtslage. Auch wenn in anderen Ländern explizite Cybermobbingtatbestände eingeführt wurden, so spricht sich die Verfasserin für Deutschland dagegen aus. Denn bereits durch andere Straftatbestände bestehe ein umfangreicher Rechtsgüterschutz, so dass es an einem entsprechenden Strafbedürfnis fehle. Zudem müsste ein Straftatbestand Cybermobbing sowohl im Hinblick auf das Dauerhaftigkeitselement als auch hinsichtlich seiner Tathandlungen und Tatfolgen sehr vage bleiben, so dass ein Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz gem. Art. 103 Abs. 2 GG im Raum stünde. Da Cybermobbing aber die Psyche des Opfers massiv beeinträchtigen könne, sollte § 223 Abs. 1 StGB neu gefasst werden, um auch solche Schädigungen der psychischen Gesundheit zu erfassen. Konkret wird folgende Formulierung vorgeschlagen: „Wer eine andere Person körperlich misshandelt oder an der physischen oder psychischen Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft“ (S. 363).

Die Einführung eines Qualifikationstatbestands, der an die bloße Begehung der §§ 185 ff. StGB über das Internet anknüpft, wird von der Verfasserin abgelehnt. Stattdessen wird vorgeschlagen, auf das Vorliegen der unrechtserhöhenden Umstände abzustellen, die mit der Verwendung der Internetnutzung einhergehen. Hier wird auf die „Öffentlichkeit“ als Qualifikation abgestellt und eine Höchststrafdrohung von zwei Jahren Freiheitsstrafe vorgeschlagen. Diese Forderung wurde durch das Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität bereits umgesetzt und ist geltendes Recht.

Nicht umgesetzt wurde ein weiterer Vorschlag von Doerbeck. Die Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen nach § 201a StGB sollte ihrer Meinung nach um eine Qualifikation des öffentlichen Zugänglichmachens der Aufnahme mit einer Höchststrafdrohung von fünf Jahren Freiheitsstrafe erweitert werden, um den  erhöhten Unrechtsgehalt  abzubilden. Fraglich ist  natürlich, ob durch die sehr hohe Strafdrohung nicht ein Ungleichgewicht zur „nur“ mit bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe bedrohten Qualifikation der Beleidigung entsteht.

Auch hinsichtlich der Ausgestaltung als Antragsdelikt spricht sich die Verfasserin für eine Einschränkung des absoluten Antragserfordernisses bei öffentlicher Begehungsweise aus. Auch der Gesetzgeber hat durch das Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität § 194 StGB modifiziert, allerdings anders, als in der vorliegenden Dissertation gefordert. So wird von dem Antragserfordernis bei Beleidigungen im Rahmen einer Versammlung oder bei Zugänglichmachen der Öffentlichkeit nur dann abgesehen, „wenn der Verletzte als Angehöriger einer Gruppe unter der nationalsozialistischen oder einer anderen Gewalt- und Willkürherrschaft verfolgt wurde, diese Gruppe Teil der Bevölkerung ist und die Beleidigung mit dieser Verfolgung zusammenhängt“ (§ 194 Abs. 1 S. 2 StGB).

In einem Exkurs werden zudem – leider nur recht kurz – Präventionsüberlegungen angestellt (S. 361 ff.). Die Vermittlung von Medienkompetenz ist hier sicherlich von entscheidender Bedeutung. Wie dies umgesetzt werden soll, geht über pauschale und bereits gängige Empfehlungen nicht hinaus, ist aber auch nicht Gegenstand der Dissertation. Verhaltensempfehlungen an die Opfer, rechtliche Hintergrundinformationen und Links zu Beratungsstellen werden als weiterer Baustein der Präventionsangebote genannt.

Insgesamt bietet die vorliegende Dissertation einen guten Gesamtüberblick über die Phänomenologie des Cybermobbings, seine Unterarten aber auch Abgrenzungen zu anderen – ähnlichen – Phänomenen. Hier bekommt man, trotz der Gesetzesnovellierung im Bereich der Beleidigungsdelikte, wertvolle Grundlagen – auch durch einen umfangreichen Fußnotenapparat – vermittelt, die nach wie vor Gültigkeit haben.

Die von der Verfasserin formulierten de lege ferenda Vorschläge haben sich zwar teilweise überholt, teilweise geben sie aber Anlass, noch einmal über – noch – bestehende Strafbarkeitslücken beim Cybermobbing nachzudenken und gegebenenfalls weitere Anpassungen vorzunehmen. Eines eigenen Cybermobbingtatbestands bedarf es, hier ist Doerbeck absolut recht zu geben, nicht.

 

 

 

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