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Der Referentenentwurf des Hauptverhandlungsdokumentationsgesetzes: „All right, Mr. Buschmann, we are ready for our close-up.”

von Dr. Eren Basar und Christian Heinelt

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Abstract
Am 22. November 2022 hat das Bundesministerium der Justiz (BMJ) den Referentenentwurf für das „Gesetz zur digitalen Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung“ (Hauptverhandlungsdokumentationsgesetz – DokHVG) vorgestellt. Das Gesetz soll die Grundlage für eine schrittweise Einführung einer Bild-Ton-Aufzeichnung und einer automatisierten Transkription zur Dokumentation von erstinstanzlichen Hauptverhandlungen vor den Landgerichten und Oberlandesgerichten in Strafsachen schaffen. Hauptfunktion dieser digitalen Verhandlungsdokumentation soll es sein, den Verfahrensbeteiligten ein „verlässliches, objektives und einheitliches Hilfsmittel für die Aufbereitung des Hauptverhandlungsgeschehens“[1] zur Verfügung zu stellen – die handschriftliche Notiz soll damit als Gedankenstütze ausgedient haben.[2] Unmittelbare prozessuale Wirkungen – gerade auf das Revisionsverfahren – soll die neue Dokumentationsform jedoch nicht entfalten.[3] Der folgende Beitrag stellt den wesentlichen Inhalt des Referentenentwurfs dar und gibt Denkanstöße bezüglich ausgewählter Themenkomplexe.

On 22 November 2022, the German Ministry of Justice released its draft on the so-called “Law on the digital documentation of hearings in front of criminal courts in first instance” (“Gesetz zur digitalen Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung“). Its legal provisions are meant to be the basis for the gradual introduction of audiovisual recording and automated transcription of hearings in front of District Courts or Higher Regional Courts as first instance. The digital documentation is meant to be a reliable, objective and consistent tool for the parties of the trial – manually written notes as a reminder shall be a thing of the past. However, provisions on direct procedural consequences – especially with respect to revision procedures – are not part of the draft. The following essay provides an overview over the draft and gives impulses for its discussion.

I. Was lange währt…

Auch wenn die Bild-Ton-Aufzeichnung von Strafprozessen nicht auf eine so lange Geschichte wie das Protokoll[4] zurückblicken kann, ist die Nutzung von Video- und Audiotechnik zur Dokumentation strafprozessualer Hauptverhandlungen keine neue Idee. Historisch bedeutsame Strafprozesse wie die sog. Nürnberger Prozesse wurden bereits audiovisuell dokumentiert, wobei die Aufnahme nur der Korrektur des Stenographen dienen sollte, und kein unmittelbares Hilfsmittel der Verfahrensbeteiligten war.[5] Bereits 1964 gab es dann auch die ersten konkreten gesetzgeberischen Erwägungen, das Tonbandprotokoll als § 273a StPO verfahrensrechtlich zu verankern, wovon der Gesetzgeber deswegen abgesehen hatte, da die technischen Voraussetzungen noch nicht gegeben seien.[6] Gleichwohl entschied der BGH im selben Jahr, dass das Gericht Äußerungen von Angeklagten, Zeugen und Sachverständigen mit ihrer Zustimmung auf Tonband aufnehmen dürfe, um die Bandaufnahme bei der Beratung als Gedächtnisstütze zu verwenden, ohne diese zu den Akten geben zu müssen.[7]

Die Bild-Ton-Aufzeichnung kam auch in den Folgejahren immer wieder auf die Agenda des Gesetzgebers. Mit dem sog. „Zeugenschutzgesetz[8] wurden 1998 etwa die §§ 58a, 255a StPO eingeführt, wodurch die Vorführung der Aufzeichnung einer vergangenen Zeugenvernehmung als Vernehmungssurrogat in der Hauptverhandlung zugelassen wurde.[9]

2004 kam es dann zumindest zu der Zulassung des Tonbandprotokolls vor den Amtsgerichten durch das sog. „Opferrechtsreformgesetz[10]. Seitdem kann der Vorsitzende nach § 273 Abs. 2 S. 2 StPO anordnen, dass anstelle der Aufnahme der wesentlichen Vernehmungsergebnisse in das Protokoll „einzelne Vernehmungen“ im Zusammenhang als Tonaufzeichnung zur Akte genommen werden – eine vollständige audiovisuelle Aufzeichnung für alle Vernehmungen ist auch danach nicht zulässig; die Regelung sieht nur die Dokumentation von einzelnen Vernehmungen vor.

Von einer Zulassung der Tonaufzeichnung vor den Land- und Oberlandesgerichten sah der Gesetzgeber bewusst ab. Als Grund gab er an, dass die gesamte Aufzeichnung der Hauptverhandlung zu einer Zunahme von Verfahrensrügen gemäß § 261 StPO führen würde und das Revisionsverfahren durch das Erfordernis umfangreicher Durchsicht der Aufnahmen belasten würde.[11] Weiterhin führte der Gesetzgeber Praktikabilitätserwägungen an: die audiovisuelle Dokumentation sei überkomplex und darum dem Schriftprotokoll unterlegen; außerdem sei eine Sichtung der Aufnahmen gerade innerhalb der Rechtsmittelfristen kaum ökonomisch machbar und der „von der Revisionsinstanz unüberprüfbare Spielraum des Tatrichters“ würde eingeengt werden.[12]

Trotz dieser Bedenken hat sich auch die Expertenkommission zur Reform des Strafverfahrensrecht 2016 mit der Einführung der audiovisuellen Dokumentation erstinstanzlicher Hauptverhandlungen auseinandergesetzt und grundsätzlich befürwortet.[13] Der damit wiederaufgelebte rechtspolitische Diskurs führte schließlich 2019 zur Einsetzung einer eigens zum Thema der Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung eingesetzten Expertinnen- und Expertengruppe durch das BMJ, die den vorliegenden Referentenentwurf im Wesentlichen aus deren Ergebnissen entwickelt hat.[14]

II. Überblick über den Inhalt des Referentenentwurfs

Der Referentenentwurf sieht eine verfahrensrechtliche Grundlegung der Bild-Ton-Aufzeichnung und Transkription vor, ohne dass der Entwurf entsprechende Detailregelungen treffen würde. Dass die Regelungen keine technischen Einzelheiten der Aufzeichnung bestimmen, war zu erwarten, zumal das Verfahrensrecht für derartige Bestimmungen der falsche Ort wäre. Beachtenswert ist aber, dass der Referentenentwurf auch bezüglich der Durchführung und Wirkungen der Aufzeichnung oberflächlicher bleibt als man es bei einer solchen langerwarteten Gesetzesänderung erhofft hat. Dies ist Folge der nur sehr eingeschränkten Wirkungen, die der Referentenentwurf der Aufzeichnung und dem Transkript zugesteht. Um mehr als ein „Hilfsmittel“ der Verfahrensbeteiligten soll es sich nicht handeln. Die Regelungen enthalten dementsprechend kaum Vorschriften zu den Auswirkungen der neuen Dokumentationsform auf den Prozessverlauf oder die Entscheidungsfindung durch das Gericht. Stattdessen konzentrieren sich die neuen Vorschriften auf den Schutz der Persönlichkeitsrechte der Verfahrensbeteiligten – die vorgesehenen Speicher-, Lösch- und Zweckbindungsvorschriften erinnern darum nicht nur auf den ersten Blick an einen „Prozessdatenschutz“. Die vorgeschlagene Erweiterung des § 353d StGB auf Bild-Ton-Aufzeichnungen stützt diesen Eindruck zusätzlich.

Gleichzeitig hat das BMJ den Referentenentwurf zum Anlass genommen, das Verfahrensrecht der Protokollierung umzustrukturieren.

1. Verfahrensrecht der Dokumentation der Hauptverhandlung

Kern des Referentenentwurfs sind die verfahrensrechtlichen Vorschriften zu der Erstellung, Speicherung und Auswertung der Bild-Ton-Aufzeichnung und des Transkripts. Nach dem Referentenwurf sollen dazu die §§ 271 bis 274 StPO geändert und ergänzt werden. Das Bundesjustizministerium hat sich dabei systematisch für die Einführung einer übergeordneten prozessualen Kategorie der „Dokumentation der Hauptverhandlung“ entschieden, der § 271 StPO-E als eine überblicksartige Grundnorm vorangestellt werden soll.

a) § 271 StPO-E als Dokumentationsgrundnorm

In dem neuen Abs. 1 des § 271 StPO-E soll weiterhin die Aufnahme des Hauptverhandlungsprotokolls als erste Dokumentationsform angeordnet werden, jedoch wird das Unterschriftserfordernis in den neugefassten § 272 StPO-E verlagert. Stattdessen wird die Aufgabe des Hauptverhandlungsprotokolls durch die Einfügung des Relativsatzes „das den Gang und die Ergebnisse der Hauptverhandlung im Wesentlichen wiedergeben und die Beachtung aller wesentlichen Förmlichkeiten ersichtlich machen muss“ bereits hier spezifiziert, was bisher erst in § 273 Abs. 1 S. 1 StPO geschehen war.

Die digitale Dokumentation tritt als zweite Dokumentationsform neben das herkömmliche Hauptverhandlungsprotokoll. In § 271 Abs. 2 StPO-E soll die Pflicht begründet werden, Hauptverhandlungen der ersten Instanz vor dem Landgericht oder dem Oberlandesgericht in Bild und Ton aufzuzeichnen und die Tonaufzeichnung während der Hauptverhandlung automatisiert in ein elektronisches Textdokument zu übertragen (legaldefiniert als Transkript) – dass die Transkription zeitgleich geschehen muss, folgt aus dem neuen § 273 Abs. 2 StPO-E, wonach ihr vorübergehender Ausfall den Fortgang der Verhandlung nicht hindern soll. Hauptverhandlungen vor einem Amtsgericht sollen hingegen nicht der Aufnahmepflicht unterworfen werden. Das BMJ begründet dies zum einen mit der Kürze der dortigen Verhandlungen, die eine digitale Dokumentation weniger geboten erscheinen lassen, und zum anderen damit, dass bereits nach geltendem Recht ein Inhaltsprotokoll zu den wesentlichen Ergebnissen der Vernehmungen erstellt werden muss (§ 273 Abs. 2 S. 1 StPO-E).[15]

b) Erste Dokumentationsform: Hauptverhandlungsprotokoll, § 272 StPO-E

Die Regelungen zum Hauptverhandlungsprotokoll sollen in § 272 StPO-E zusammengeführt werden. Der bisherige Wortlaut der Norm (Inhalt des Hauptverhandlungsprotokolls) soll als neuer Abs. 1 fortbestehen, während die weiteren Regelungen der bisherigen §§ 271 und 273 StPO weitestgehend in die Absätze 2 bis 7 aufgenommen werden sollen.

Eine relevante inhaltliche Anpassung betrifft § 273 Abs. 3 StPO, der zum § 272 Abs. 5 StPO-E werden soll. Die vollständige Protokollierung und anschließende Verlesung der Feststellung eines Vorgangs in der Hauptverhandlung oder des Wortlauts einer Aussage oder Äußerung soll danach nicht erfolgen, „sofern eine Aufzeichnung nach § 271 Absatz 2 Satz 1 erfolgt“. Entgegen der Grundannahme der Gesetzesänderung, wonach das Protokoll und die Aufzeichnung mit Transkript nebeneinanderstehen, soll die Bild-Ton-Aufzeichnung das Protokoll insoweit ersetzen. Im Ergebnis ist dies sachgerecht, weil die Regelung in § 273 Abs. 3 StPO eine Ausnahme für die bislang fehlende Protokollierung darstellt. Das Bedürfnis entfällt mit der Neureglung.

c) Zweite Dokumentationsform: Bild-Ton-Aufzeichnung und Transkript, § 273 StPO-E

Die wesentliche Regelung zu der Art und Weise der Aufzeichnung und der Transkription sowie dem Umgang mit der neuen Dokumentationsform soll § 273 StPO-E sein. Das BMJ hat sich bei der Normierung der Vorschrift darum bemüht, einen Ausgleich zwischen den Vorteilen der neuen Dokumentationsform als effektives prozessuales Hilfsmittel und dem Schutz der betroffenen Verfahrensbeteiligten zu schaffen.[16] Dabei unterscheiden die einzelnen Absätze teilweise streng zwischen der Bild-Ton-Aufzeichnung und der Transkription.

§ 273 Abs. 1 StPO-E bringt zum Ausdruck, dass bei der Aufzeichnung die Persönlichkeitsrechte der aufgezeichneten Personen beachtet werden müssen. Das BMJ hat sich dazu entschieden, keine detaillierten gesetzlichen Vorgaben zu formulieren, sondern überlässt es den Ländern dieser Verpflichtung bei der technischen Umsetzung gerecht zu werden.[17] Als mögliche Maßnahmen zum Schutz der Betroffenen schlägt der Referentenentwurf die Wahl bestimmter Kamera- und Aufnahmeperspektiven oder die Verpixelung der aufgezeichneten Personen vor.[18] Bezüglich der Transkription trifft der Absatz hingegen keine Aussage.

§ 273 Abs. 2 StPO-E enthält eine weitere Abwägungsentscheidung des BMJ. Kommt es zu einer „vorübergehenden technischen Störung“, die die Erstellung der Aufzeichnung oder die Transkription beeinträchtigen, so soll dies nicht zu einer Verfahrensverzögerung führen. Der Beschleunigungsgrundsatz soll in einem solchen Fall Vorrang haben und die Hauptverhandlung soll trotz der Störung fortgesetzt werden. Eine Unterbrechung oder Wiederholung der von der Störung betroffenen Teile der Hauptverhandlungen kommt danach nicht in Betracht – in einem solchen Fall sei es ausreichend, dass das Formalprotokoll die wesentlichen Förmlichkeiten feststellt.[19] Eine dauerhafte Störung oder das Fehlen der Aufnahmetechnik an sich, kann hierdurch aber nicht kompensiert werden. Erkennbar ist diese Regelung dazu bestimmt, den Kritikern der audiovisuellen Dokumentation entgegenzukommen. Bekanntlich äußern vor allem Vertreter der Staatsanwaltschaften und der Gerichte die Sorge, der (technische) Mehraufwand könne zur Verzögerung der Verfahren führen.

Die Speicherung und Löschung der Aufzeichnung und des Transkripts sollen § 273 Abs. 3 und Abs. 4 StPO-E regeln. Sie sind danach grundsätzlich zu der – ab 2026 elektronisch geführten – Akte zu nehmen (Abs. 3 S. 1) und die Akteneinsichtsrechte nach §§ 147, 406e, 32f StPO erstrecken sich auch auf diese. Ebenso ist § 499 StPO auf diese Aktenteile anwendbar und zwingt zu der unverzüglichen Löschung elektronischer Aufzeichnungskopien, wenn diese nicht mehr benötigt werden. Wird die Bild-Ton Aufzeichnung getrennt von der Akte gespeichert, so gelten §§ 147, 406e und 499 StPO entsprechend für die Aufzeichnungsdatei (Abs. 3 S. 2). In diesem Fall muss aber in der Akte vermerkt sein, wo die Datei gespeichert ist (Abs. 3 S. 3). Das Transkript muss indes stets zur Akte genommen werden.

§ 273 Abs. 4 StPO-E überträgt die aus dem Datenschutzrecht bekannte Erforderlichkeitsgrenze auf die Speicherung der Bild-Ton-Aufzeichnung. Sobald das Verfahren rechtskräftig abgeschlossen oder auf andere Weise beendet ist, muss die Bild-Ton-Aufzeichnung gelöscht und die Löschung in der Akte vermerkt werden (Abs. 4 S. 1 und S. 2) – das Transkript wird hingegen erst nach Ablauf der Aktenaufbewahrungsfrist gelöscht. Der Vorsitzende kann jedoch nach seinem Ermessen anordnen, dass auch die Bild-Ton-Aufzeichnung so lange gespeichert bleiben soll, wenn deren Nutzung in einem anderen Verfahren – etwa dem Verfahren gegen einen Mittäter oder einem zivil- oder verwaltungsrechtlichen Verfahren – zu erwarten ist (Abs. 4 S. 3).

§ 273 Abs. 5 StPO-E adaptiert ein weiteres datenschutzrechtliches Prinzip: die Zweckbindung der Datenerhebung. Ebenso wie Abs. 5 beschränkt sich diese Regelung jedoch auf die Bild-Ton-Aufzeichnung, die danach nur ausnahmsweise für einen anderen Zweck als das Strafverfahren verwendet werden darf, wenn die Angeklagten, Zeugen und Nebenkläger in die Verwendung in anderen gerichtlichen oder behördlichen Verfahren zustimmen. Auf die Einwilligung anderer Betroffener wie der Verteidigung oder des Vertreters der Staatsanwaltschaft soll es dagegen nicht ankommen, obwohl deren Persönlichkeitsrechte ebenso berührt sein können.

§ 273 Abs. 6 bis Abs. 8 StPO-E regeln den Zugang zu der Aufzeichnung und dem dazugehörigen Transkript durch die Verfahrensbeteiligten. Der Referentenentwurf unterscheidet dabei zwischen der Staatsanwaltschaft, der Verteidigung und beteiligten Rechtsanwälten einerseits sowie dem Angeklagten, dem Verletzten und dem Adhäsionskläger nach § 403 S. 2 StPO andererseits. Während die erste Gruppe nach jedem Verhandlungstag unverzüglich Zugang zu der Aufzeichnung und dem Transkript erhalten (Abs. 6), darf der nicht vertretene Verletzte oder Adhäsionskläger die Aufzeichnung nur in den Diensträumen und unter Aufsicht einsehen (Abs. 7).

Außerdem dürfen Verteidiger und Rechtsanwälte die ihnen zur Verfügung gestellten Aufzeichnungen nicht dem Angeklagten, dem Verletzten oder dem Adhäsionskläger überlassen (Abs. 8). Dies soll zu einer Verschärfung von § 32f StPO führen, der die Weitergabe der Aufzeichnung an den Angeklagten, einen Verletzten oder den Adhäsionskläger eigentlich erlauben würde – wegen der „Sensibilität“ der Aufzeichnung soll dies ausgeschlossen sein. Eine Vorführung der Aufzeichnung soll dagegen möglich sein. Ebenso soll auch die Weitergabe an Dritte zu Verfahrenszwecken zulässig sein.[20]

d) Beweiskraft und Berichtigung, § 274 StPO-E

Der Grundsatzentscheidung des BMJ, die Aufzeichnung und das Transkript nur als „Hilfsmittel“ der Verfahrensbeteiligten einzuführen, kommt auch in der Regelung zu der Beweiskraft der Dokumentationsformen und der Berichtigung des Protokolls zum Ausdruck. § 274 Abs. 1 StPO-E soll danach wortgleich zu dem aktuellen § 274 Abs. 1 S. 1 StPO sein, wonach die für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten nur durch das Protokoll bewiesen werden und in der Folge eine Verfahrensrüge für das Revisionsgericht einfach und ohne Rekonstruktion der Hauptverhandlung geprüft werden kann.[21]

Die Formulierung „nur“ in § 274 Abs. 1 (S. 1) StPO-E erhält durch die Einführung der Bild-Ton-Aufzeichnung und der Transkription eine neue Bedeutungsebene, da hierdurch nun auch das Verhältnis des Formalprotokolls zu der neuen Form der Hauptverhandlungsdokumentation bei der Revisionsbegründung und -prüfung austariert wird. Aufzeichnung und Transkript sollen danach auch im Falle der Revision nicht über ihre Rolle als „Hilfsmittel“ der Beteiligten des (erstinstanzlichen) Verfahrens hinauswachsen und sollen folglich nicht zum Beweis eines Verfahrensfehlers angeführt werden können. Das BMJ begründet dies damit, dass es ihnen an der dem Formalprotokoll eigenen „Konzentration auf die Beachtung der wesentlichen Förmlichkeiten und einer entsprechenden Selektion der Informationen“ fehle.[22] Das BMJ wiederholt damit die bereits in der Begründung zum Opferrechtsreformgesetz angesprochene Gefahr der Überfrachtung des Revisionsverfahren, die (angeblich) bei der Zulassung von digitalen Dokumentationsformen als Beweisgrundlage für eine Verfahrensrüge drohe.[23]

Der derzeitige § 274 Abs. 1 S. 2 StPO soll dagegen ersatzlos gestrichen werden. Das BMJ stützt dies auf die zutreffende Beobachtung, dass die Rechtsprechung mittlerweile eine Vielzahl möglicher Gründe für das Entfallen der Beweiswirkung des Hauptverhandlungsprotokolls anerkennt (z.B. Meinungsverschiedenheiten zwischen Vorsitzendem und Protokollführer, Lücken und Widersprüche) und die Regelung somit obsolet geworden ist. Außerdem sei zu erwarten, dass die Möglichkeit der Nutzung der Aufzeichnung und des Transkripts bei der Protokollerstellung Unklarheiten reduziere.[24]

Hierauf fußt auch die vorgeschlagene Regelung des § 274 Abs. 2 StPO-E, wonach das Protokoll einer Hauptverhandlung, die erstinstanzlich vor dem Landgericht oder dem Oberlandesgericht stattfand, anhand der Bild-Ton Aufzeichnung berichtigt werden darf. Eine Korrektur anhand des Transkripts erwähnt der Regelungsentwurf dagegen nicht. Da die Regelung des § 274 Abs. 2 StPO-E nach Aussage des BMJ jedoch nur klarstellen soll, dass die bereits nach geltendem Recht zulässigen Protokollberichtigungen auch unter Zuhilfenahme der Aufzeichnung vorgenommen werden dürfen,[25] ist davon auszugehen, dass das Protokoll auch anhand des Transkripts berichtigt werden dürfte. Die ausschließliche Nennung der Aufzeichnung wäre danach keine Grundlage für einen dem widersprechenden Umkehrschluss.

2. Erweiterung des § 353d StGB

Neben den verfahrensrechtlichen Bestimmungen enthält der Referentenentwurf schließlich auch eine Änderung des StGB. Der § 353d StGB („Verbotene Mitteilung über Gerichtsverhandlungen“) soll danach um eine vierte Handlungsvariante erweitert werden, die die Verbreitung oder Veröffentlichung einer Bild-Ton-Aufzeichnung aus einer Hauptverhandlung in Strafsachen oder einer Vernehmung im Ermittlungsverfahren unter Strafe stellt. Im Gegensatz zu den Handlungsvarianten Nr. 1 bis 3 soll eine Bild-Ton-Aufzeichnung danach absolut geschützt sein. Das Bundesjustizministerium hat sich bewusst dagegen entschieden, den Tatbestand auf Aufzeichnungen aus nichtöffentlichen Verhandlungen oder auf den Zeitraum bis zum Abschluss des Verfahrens zu beschränken. Ebenso ist der Tatbestand nicht auf „offizielle“ Bild-Ton-Aufzeichnungen beschränkt, sondern soll auch rechtswidrig angefertigte Aufzeichnungen erfassen.[26]

3. Umsetzung der Vorschriften

Das Bundesjustizministerium hat davon abgesehen, technische und organisatorische Detailregelungen zu der Umsetzung der neuen Dokumentationspflichten in den Referentenentwurf aufzunehmen.[27] Die Einzelheiten der Umsetzung soll vielmehr in Händen der einzelnen Bundesländer liegen, die die Verwaltungshoheit über die Gerichte ausüben. Dem entspricht es, dass der EGStPO ein neuer § 19 angefügt werden soll, der bestimmt, dass die Landesregierungen – oder dazu unterbevollmächtigte Landesministerien – durch Rechtsverordnung bestimmen können, wann die digitale Dokumentation der Hauptverhandlungen vor den Landes- und Oberlandesgerichten eingeführt werden soll und ob diese zunächst auf einzelne Gerichte und Spruchkörper begrenzt werden soll. Der Zeitpunkt der finalen Gesamtumsetzung darf aber nicht nach dem     1. Januar 2030 liegen. Für Hauptverhandlungen, bei denen ein Oberlandesgericht im Wege der Organleihe Staatsschutzverfahren in der Zuständigkeit des Bundes führt, ist sogar bereit der 1. Januar 2026 als spätester Umsetzungszeitpunkt vorgesehen (Abs. 1). Hauptverhandlungen, die bei Eintritt der Dokumentationspflicht bereits begonnen haben, trifft diese Pflicht jedoch noch nicht (Abs. 2).[28]

III. Nur ein „Hilfsmittel“ des Tatrichters (?)

Der Referentenentwurf geht von der Prämisse aus, dass die neue digitale Inhaltsdokumentation nur ein „Hilfsmittel“ der Verfahrensbeteiligten, insbesondere des Tatrichters, sein soll.[29] Der Begriff „Hilfsmittel“ soll zum Ausdruck bringen, dass die Bild-Ton-Aufzeichnung und das Transkript die Aufgabe der handschriftlichen Notizen der Verfahrensbeteiligten erfüllen sollen und nicht etwa die prozessualen Wirkungen haben sollen, die das „offizielle“ Hauptverhandlungsprotokoll hat. Die Grundstruktur des Revisionsverfahrens soll durch die Einführung der Inhaltsdokumentation nicht berührt werden.[30] Das entspricht der Linie vorheriger Entwürfe, die als einen Hauptgrund der Einführung der audiovisuellen Aufzeichnung auch die „Belastung der Vernehmungsbeamten“ mit der Mitschrift angesehen haben.[31]

An der Legitimität dieser isolierten Prämisse kann man durchaus zweifeln. Die digitale Verhandlungsdokumentation schafft eine objektive Grundlage für die inhaltliche Rekonstruktion der Hauptverhandlung, die der Akte beigefügt wird und sämtlichen Verfahrensbeteiligten zur Verfügung steht. Die digitale Verhandlungsdokumentation ähnelt damit in seiner prozessualen Objektivität dem Hauptverhandlungsprotokoll und übertrifft in seiner Genauigkeit die subjektiven handschriftlichen Notizen der Verfahrensbeteiligten.[32] Die Nachvollziehbarkeit und hohe Verlässlichkeit der digitalen Verhandlungsdokumentation implizieren prozessuale Folgen auf zwei Ebenen: der Entscheidungsfindung durch das erstinstanzliche Gericht und die Prüfung des Urteils durch das Revisionsgericht.

1. Verschärfen der gerichtlichen Erörterungspflicht?

Keine ausdrückliche Äußerung trifft das BMJ dazu, ob sich das Gericht im Rahmen seiner Beweiswürdigung nach § 261 StPO stets explizit mit den nunmehr eindeutig dokumentierten Aussagen und Vorgängen im Prozess befassen muss und insofern verpflichtet wird, sich auch schriftlich in seinem Urteil mit der gesamten Bild-Ton-Aufnahme bzw. dem Transkript auseinanderzusetzen. Dieses Versäumnis verwundert, denn dies war eine der Einwendungen, die 2004 gegen die Einführung des Tonbandprotokolls bei Verhandlungen vor dem Land- und Oberlandesgericht vorgebracht wurden.[33] Auf die Gefahr von Verfahrensrügen nach § 261 StPO verweist auch der Referentenentwurf selbst, übergeht dann aber im Weiteren, was dies tatsächlich bedeutet.[34]

Es liegt nahe, dass es weder mit der richterlichen Freiheit bei der Würdigung der Hauptverhandlungen noch der Entscheidungsökonomie vereinbar wäre, wenn der Richter verpflichtet wäre, das gesamte Dokumentationsmaterial in seinem Urteil aufzuzählen und zu besprechen. Gleichwohl lässt sich dies nicht aus dem Referentenentwurf ableiten. Stattdessen schlägt das BMJ sogar vor, dass die Einführung der Bild-Ton-Aufzeichnung die vollständige Protokollierung von Aussagen und Äußerungen, die gegenwärtig in § 273 Abs. 3 S. 1 StPO geregelt ist, weitgehend ersetzen soll (s. oben). Der BGH hat aber bereits 1991 entschieden, dass ein Gericht dazu verpflichtet ist, sich in seinem Urteil mit einem nach § 273 Abs. 3 StPO erstellten Wortlautprotokoll auseinanderzusetzen und ein diesbezügliches Versäumnis als Verstoß gegen § 261 StPO gerügt werden kann.[35] Der BGH begründet dies damit, dass der besonders hohe Beweiswert eines derartigen Protokolls das Gericht dazu zwingt, entweder das Protokoll zur Vervollständigung der Beweiswürdigung zu erläutern oder bestehende Diskrepanzen gegenüber dem Wortlautprotokoll aufzuzeigen und zu begründen – auch die richterliche Freiheit erlaubt es nicht, dies einfach zu übergehen.

Begründet das BMJ nun die weitgehende Aufhebung des Rechts auf Beantragung der vollständigen Protokollierung damit, dass Vorgänge, Aussagen und Äußerungen durch die Aufzeichnung und Transkription dokumentiert werden,[36] so gesteht es insbesondere der Ton-Bild-Aufzeichnung zumindest implizit einen vergleichbaren Beweiswert zu. Konsequenz der genannten Rechtsprechung des BGH könnte es dann – zumindest in Abwesenheit einer anderweitigen Regelung –auch sein, dass das Gericht dazu verpflichtet wäre, die gesamte Bild-Ton-Aufzeichnung in seinem Urteil festzustellen und zu würdigen, um keinen Revisionsgrund zu riskieren.[37] Der so von dem Referentenentwurf provozierte Konflikt zwischen richterlicher Entscheidungsfreiheit und Verfahrensökonomie auf der einen Seite und der implizierten richterlichen Auseinandersetzungspflicht auf der anderen Seite verlangt eine entsprechende gesetzliche Entscheidung, die jedoch im aktuellen Entwurf fehlt. Die im Bericht der Expertenkommission vorgeschlagene Beschränkung der sog. Inbegriffsrüge auf Evidenzfälle wäre dabei ein denkbarer Ansatz.[38]

2. Verwertung in der Revisionsinstanz zur Kontrolle der Tatrichterentscheidung?

Der neuralgische Punkt des Referentenentwurfs ist die Verwendung der Ton-Bild-Aufzeichnung in der Revisionsinstanz. Die Strafprozessordnung sieht nur die Revision als Rechtsmittel gegen erstinstanzliche Urteile der Land- und Oberlandesgerichte vor. Eine neue Tatsacheninstanz inklusive erneuter Beweiswürdigung steht dem Verurteilten also nicht zu. Dies und die Besonderheiten des Revisionsrechts bergen nach der aktuellen Rechtslage die Gefahr, dass Fehler bei der ursprünglichen Wahrnehmung und späteren Vergegenwärtigung der Hauptverhandlung durch den Richter nicht mehr korrigiert werden können, selbst wenn diese dazu führen, dass ein Fehlurteil ergeht.[39]

Die hierfür maßgeblich verantwortliche „Besonderheit“ des Revisionsrechts ist das sog. Rekonstruktionsverbot. Dabei handelt es sich um eine ungeschriebene, vom BGH entwickelte und in ständiger Rechtsprechung verfestigte – wenn auch in der Literatur nicht unumstrittene[40] – Folge der Beschränkung des Revisionsgerichts auf die Prüfung von Rechtsfehlern. Es ist alleine Sache des Tatrichters das Ergebnis der Hauptverhandlung im Urteil festzustellen und zu würdigen – das Revisionsgericht ist daran gebunden.[41] Die Rüge des § 261 StPO, dass das Urteil in Widerspruch zu einem Vorgang in der Hauptverhandlung steht, ist grundsätzlich unzulässig und kann eine Revision nicht begründen, selbst wenn dies objektiv zu einem Fehlurteil führt. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn das Revisionsgericht den Widerspruch auch ohne Rekonstruktion der Hauptverhandlung feststellen kann, sondern dieser Widerspruch „verfahrensrechtlich bewiesen[42] ist – in anderen Worten: die Rüge ist nur begründet, wenn „allein aufgrund der Aktenlage der Nachweis geführt werden kann, daß die im Urteil getroffenen Feststellungen nicht durch die in der Hauptverhandlung benutzten Beweismittel gewonnen werden konnten[43]. Man spricht in diesem Fall von einem „paraten Beweismittel[44]. Ein solcher Beweis ist etwa das nach § 273 Abs. 3 StPO erstellte Wortlautprotokoll, sodass eine Diskrepanz oder Lücke zwischen Urteilsgründen und dokumentiertem Aussageinhalt ohne die Rekonstruktion der Hauptverhandlung durch das Revisionsgericht festgestellt werden kann.[45] Augenscheinsobjekte wie Fotos hat der BGH indes bisher nicht zur Begründung einer Inbegriffsrüge zugelassen, da deren Würdigung und gegebenenfalls erforderliche Abgleich mit einem Vergleichsobjekt eine dem Tatrichter vorbehaltene Überzeugungsbildung voraussetzt.[46]

Der im Referentenentwurf vorgeschlagene Wortlaut der §§ 271 bis 274 StPO kann so ausgelegt werden, dass er das Rekonstruktionsverbot weitgehend obsolet machen würde. Die Ton-Bild-Aufzeichnung sowie das Transkript sollen zu den Akten genommen werden (§ 273 Abs. 3 S. 1 StPO-E) und mindestens bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens gespeichert bleiben (§ 273 Abs. 4 S. 1 StPO-E). Ebenso spricht die vom BMJ implizierte Gleichstellung der neuen Dokumentationsformen und des Wortlautprotokolls (s. oben) dafür, dass die Bild-Ton-Aufzeichnung und das Transkript die prozessuale „Verfahrenswahrheit“ darstellen sollen und somit auch vom Revisionsgericht mit der Urteilsbegründung abgeglichen werden sollen. Dem widerspricht auch nicht die Negation der prozessualen Beweiskraft der neuen Dokumentationsformen in § 274 Abs. 1 StPO-E, die sich ausschließlich auf die „für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten“ beschränkt und den Abgleich mit den Urteilsgründen nicht per se ausschließt. Jedenfalls das Transkript wären nach diesem Verständnis ein „parater Beweis“ im Sinne der oben beschriebenen Rechtsprechung und somit auch für das Revisionsgericht erheblich. Die vom BGH begründete Ausnahme vom Rekonstruktionsverbot würde damit jedenfalls insoweit zur Regel werden. Darüber hinaus wäre zu erwarten, dass der BGH auch die Bild-Ton-Aufzeichnung als „paraten Beweis“ verstehen würden, obwohl es sich um ein Augenscheinsobjekt handeln würde. Dafür spräche entscheidend, dass die StPO die Bild-Ton-Aufzeichnung gerade zur Dokumentation der Hauptverhandlung vorsähe und damit zur „Aktenlage“ zählen würde.

Das BMJ will den Referentenentwurf jedoch gerade nicht so verstanden wissen. Vielmehr betont das BMJ ausdrücklich, dass die digitale Inhaltsdokumentation „mit Blick auf das Revisionsverfahren keine unmittelbaren prozessualen Wirkungen[47] haben soll. Die Heranziehung der Dokumentation in der Revisionsinstanz soll „entsprechend der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu „paraten“ Beweismitteln auf wenige Evidenzfälle beschränkt bleiben“, wodurch der Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung gewahrt bleiben soll.[48] Weder die Aufzeichnung noch das Protokoll sollen etwas an dem Grundsatz des Rekonstruktionsverbots und der damit zusammenhängenden weitgehenden Beschränktheit der revisionsgerichtlichen Prüfung ändern.[49]

Das BMJ schließt sich damit dem Vorschlag der Expertengruppe an.[50] Die Expertengruppe räumt ein, dass mit der Einführung einer digitalen Verhandlungsdokumentation die faktische Grundlage des Rekonstruktionsverbots weggefallen sei. Gleichwohl sei die nur eingeschränkte Berücksichtigung von in der Hauptverhandlung eingeführten Beweismitteln bei der Revision beizubehalten.[51] Weitere denkbare Modelle seien die Behandlung der Revision als beschränkte zweite Tatsacheninstanz[52] oder die Anerkennung einer auf qualifizierte Verstöße beschränkten „Feststellungsrüge[53], jedoch sprächen gegen diese Modelle vor allem Argumente der Verfahrensökonomie und Rechtssicherheit.[54] Gerade das Argument der Verfahrensökonomie wird damit unterstrichen, dass sich die Dauer und Prüfintensität der erstinstanzlichen Verfahren seit der Einführung der StPO 1881 stark erhöht hätten – anfangs sei bereits ein Verfahren mit sechs Verhandlungstagen als außergewöhnlich komplex angesehen worden.[55]

Auch aus Verteidigersicht kann der Furcht der Expertengruppe und des BMJ vor einer Ausuferung der Revisionsinstanz bei Einführung der digitalen Inhaltsdokumentation nicht widersprochen werden: Bereits jetzt ist die Abfassung einer Revisionsbegründung de lege artis ein schwieriges und zeitaufwändiges Unterfangen, an dem nicht wenige Strafverteidiger bereits scheitern – dies würde durch die Berücksichtigungsfähigkeit der umfassenden digitalen Verhandlungsdokumentation nicht erleichtert werden, zumal es bei den hohen formalen Anforderungen an Verfahrensrügen bleiben soll. Hiervor könnte sich der Verteidiger auch nicht dadurch retten, dass er eine einfach zu verfassende Sachrüge gegen die Beweisgründe erhebt – die digitale Inhaltsdokumentation soll nach dem Referentenentwurf Teil der Akte und nicht etwa des Urteils sein und wäre damit dem Revisionsgericht bei der Prüfung der Sachrüge schlechthin entzogen („verbotener Blick in die Akten“).[56]

Gleichwohl erscheint die verfahrensrechtliche Eingrenzung der Wirkungen der digitalen Verhandlungsdokumentation nicht der rechtsstaatlich angezeigte Weg zur Lösung dieses Konflikts zu sein. Eine konsequente Verwirklichung des gesetzgeberischen Willens des BMJ würde dazu führen, dass die Revisionsgerichte im schlimmsten Fall gegen die eindeutig dokumentierte „Verfahrenswahrheit“ entscheiden müssten. Dass das Transkript und die Bild-Ton-Aufzeichnung zudem zur Korrektur des Protokolls[57] und damit sogar zur sog. Rügeverkümmerung[58] verwendbar sein sollen, begründet zusätzlich Bedenken an der Vereinbarkeit dieses Ansatzes mit dem Grundsatz der Waffengleichheit.

Ob der BGH eine solche Vorgehensweise absegnen würde ist zweifelhaft, zumal er bereits jetzt Durchbrechungen des Rekonstruktionsverbots erlaubt, die auf einen umgesetzten Referentenentwurf „passen“ würden. Es ist darum nicht unwahrscheinlich, dass eine Umsetzung des Referentenentwurfs das Rekonstruktionsverbot (zumindest mittelfristig) weitgehend zurückdrängen würde. In diesem Fall wären jedoch weitere Reformen des Revisionsrechts angezeigt, um der neuen Prozessrealität angemessen Rechnung zu tragen. Der Entwurf will die Weiterentwicklung dieser Fragen der Rechtsprechung überlassen. Es scheint, als ob der Verfasser des Entwurfs nicht alle Fragen schon jetzt regeln, sondern vor allem den Einstieg die digitale Dokumentation sicherstellen will.

IV. Folgen eines technischen Ausfalls

Eine relevante Frage ist, welche Auswirkungen eine gegen §§ 271 und 273 StPO-E verstoßende Nichtaufnahme des Prozesses bzw. der Ausfall der Transkription hätte. Der Referentenentwurf sieht hierzu nur eine ausdrückliche Regelung vor: § 273 Abs. 2 StPO-E. Dort wird festgestellt, dass eine vorübergehende technische Störung den Fortgang der Hauptverhandlung nicht behindert.

1. „Vorübergehende“ Störungen sollen geduldet werden

Zum einen ist bereits nicht klar, wann eine Störung noch „vorübergehend“ ist. Der reine Wortlaut erlaubt damit auch langwierige Störungen, solange diese nicht die gesamte Hauptverhandlung erfassen – erst dann wäre die Störung nicht nur vorübergehend, sondern dauerhaft. Eine solche weite Auslegung würde aber die Aufnahmepflicht nahezu bedeutungslos machen. Überzeugender ist es, wenn man „vorübergehend“ im Sinne eines Wesentlichkeitsvorbehalts versteht und zwischen „wesentlichen“ und „unwesentlichen“ Teilen der Hauptverhandlung unterscheidet – eine Differenzierung, die etwa auch bei der Anwendung von § 338 Nr. 5 StPO vorgenommen wird, um das „Beruhenserfordernis“ des Revisionsrechts zu konkretisieren.[59] Während eine bereits kurze Störung während der Vernehmung eines wichtigen Zeugen maßgeblichen Einfluss auf die Qualität der späteren Entscheidungsfindung haben kann und darum auch rechtliche Relevanz haben sollte, erscheint selbst eine längere Störung bei der Verlesung der Anklage oder dem der Aufzeichnung rund um die Erörterungen zum Selbstleseverwahren als weniger schwerwiegend, zumal die Anklage dem Gericht im Wortlaut vorliegt und ihre Verlesung in das Protokoll aufgenommen werden muss.[60] Dasselbe gilt für das Selbstleseverfahren. Das Fehlen einer Aufnahme ist in diesen Fällen eher erträglich.

2. Wie ist mit Fehlern und Unvollständigkeiten umzugehen?

Ob die Bild-Ton-Aufzeichnung oder das Transkript unvollständig oder fehlerhaft sind, soll anders als bei der Übertragung einer Aufzeichnung in das Protokoll nach § 168a Abs. 5 StPO nicht überprüft und bestätigt werden müssen. Das Gericht soll aus eigenem Antrieb oder auf Anregung von Verfahrensbeteiligten jedoch Fehler oder Unvollständigkeiten des Transkripts formlos beheben.[61] Bezüglich der Bild-Ton-Aufzeichnung schweigt der Referentenentwurf indes. Das BMJ ging wohl davon aus, dass es in der Natur der Sache liege, dass Fehlerhaftigkeiten oder Unvollständigkeiten der Aufzeichnung nicht nachträglich behoben werden können. Dies ist jedoch nur bei vollständigen Ausfällen des Aufnahmegeräts richtig. Sollte das Bild oder der Ton der Aufzeichnung aufgrund technischer Störungen in Mitleidenschaft gezogen worden sein, so ist es gegebenenfalls möglich, die Aufnahmequalität durch nachträgliche Bearbeitung zu verbessern.

Dass das Aufnahmematerial nachträglich bearbeitet werden soll, hat das BMJ dabei auch nicht per se ausgeschlossen. So benennt es etwa die Verpixelung eines Verfahrensbeteiligten als mögliche Maßnahme zum Schutz der Persönlichkeitsrechte. Gleichwohl kann eine solche nachträgliche Bearbeitung auch das Aufnahmematerial verfälschen und die gegebenenfalls richtige Erinnerung eines Verfahrensbeteiligten in Zweifel ziehen. Diesbezüglich wäre eine Klarstellung des Gesetzgebers wünschenswert.

3. Dauerhafte Störungen als Revisionsgrund?

Zum anderen ist zu fragen, ob es sich bei der Verletzung von § 273 Abs. 2 StPO um einen Revisionsgrund handeln würde. Die Einführung eines absoluten Revisionsgrundes sieht der Referentenentwurf nicht vor. Für die Aufnahme eines neuen absoluten Revisionsgrundes in § 338 StPO sprächen aber durchaus gute Gründe. Die normative Legitimation für die Normierung eines Prozessfehlers als absoluter Revisionsgrund ergibt sich aus zwei kumulativen Erwägungen: der Fehler muss zentrale Institutionen und Garantien des Strafverfahrensrechts berühren und es ist zudem der Beruhensnachweis für den Revisionsführer kaum zu führen.[62] Der zweite Grund ist bei einer Verletzung von § 273 Abs. 2 StPO ohne Weiteres damit gegeben, dass es dem Revisionsführer wohl nicht gelingen wird darzulegen, dass das Urteil bei einer lückenlosen Aufzeichnung und der Vollständigkeit des „Hilfsmittels“ Bild-Ton-Aufzeichnung anders ausgefallen wäre.

Weiterhin sollen die unmittelbaren rechtlichen Wirkungen der Aufzeichnung nach dem Referentenentwurf zwar nur gering sein, jedoch kann eine unvollständige Aufzeichnung gleichwohl in Konflikt mit grundlegenden strafprozessualen Prinzipien treten. So kann man durchaus die Frage stellen, ob es dem Unmittelbarkeitsgrundsatz widerspräche, wenn die Bild-Ton-Aufzeichnung den neuen „Standard“ bei der Rekonstruktion der Hauptverhandlung darstellt und dieser im Einzelfall nunmehr unterboten wird. Dem könnte man zwar entgegenhalten, dass man in diesem Fall lediglich zu dem aktuellen „Standard“ zurückkehren würde, jedoch ist auch die Auslegung der Prozessmaximen nicht statisch, sondern muss sich der prozessualen Realität anpassen. Hat sich diese durch die flächendeckende Einführung von Bild-Ton-Aufzeichnungen verändert, so darf auch die Interpretation des Unmittelbarkeitsgrundsatzes nicht „im Gestern“ verharren. Weiterhin liegt auch der Verstoß gegen den Fair-Trial-Grundsatz nahe, wenn etwa die Aussage des wichtigsten Entlastungszeugen der Verteidigung nicht aufgenommen worden ist, jedoch der Richter sich die aufgezeichnete Vernehmung des Hauptbelastungszeugen jederzeit wieder vorspielen und somit besonders prägnant vor Augen führen kann.[63] Die dadurch bewirkten kognitiven Verzerrungen werden zusätzlich intensiviert, wenn der Richter bereits eine Entscheidungstendenz hat und diese von der aufgezeichneten Aussage bestätigt wird (sog. confirmation bias).[64]

Das Fehlen einer Bild-Ton-Aufzeichnung kann folglich – jedenfalls in der Wirkung – mit der Situation eines unaufmerksamen oder abgelenkten Richters verglichen werden, dessen eingeschränkte Wahrnehmung und damit unzuverlässige Erinnerung relevanter Teile der Verhandlung zu einer ähnlichen Gefährdung einer ausgewogenen Entscheidungsfindung führen kann wie die unvollständige Aufzeichnung der Verhandlung. In beiden Fällen wird der Richter den ihm im Detail präsenten Aussagen und Äußerungen mehr Gewicht bei der Urteilsfällung zugestehen als Verhandlungspassagen, die er nur noch schwer und lückenhaft gedanklich rekonstruieren kann. Dass es einen absoluten Revisionsgrund nach § 338 Nr. 1 StPO darstellen kann, wenn ein Richter unfähig war, wesentliche Vorgänge in der Hauptverhandlung wahrzunehmen, hat das Reichsgerichtindes bereits 1926 erkannt.[65]

Nicht zuzustimmen ist dem Argument der Expertengruppe, dass die Anerkennung eines derartigen Revisionsgrunde zu einem Aufwand führen würde, der in keinem sinnvollen Verhältnis zu dem verfolgten Zweck der digitalen Inhaltsdokumentation stehen würde, zumal dann gegebenenfalls Sitzungstage zu wiederholen seien.[66] Es ist selbsterklärend, dass die Behebung von Verfahrensfehlern zu Verzögerungen und zusätzlichem Aufwand führt, der möglicherweise im Einzelfall außer Verhältnis zu der faktischen Schwere des konkreten Rechtsverstoßes steht. Dies ist jedoch der Preis eines rechtskonformen Verfahrens – so ist es unbestritten, dass ein Sitzungstag wiederholt werden muss, der rechtswidrig unter Ausschluss der Öffentlichkeit durchgeführt wurde, selbst wenn davon auszugehen ist, dass sowieso niemand dem Verfahren beigewohnt hätte.

V. Im Übrigen…

1. Findet das Datenschutzrecht Anwendung?

Das BMJ war sich bei der Verfassung des Referentenentwurfs bewusst, dass gerade die Aufzeichnung von Bild und Ton eine Beeinträchtigung der Persönlichkeitsrechte der Beteiligten des Prozesses bedeutet. Der Eingriff wiegt hier schwer, da die Beteiligten regelmäßig keine Möglichkeit haben, der Aufnahme zu entgehen und sie zudem oftmals über sensible Bereiche ihres Privat- oder Intimlebens oder traumatische Erlebnisse berichten müssen. Außerdem steigert die Existenz weiterer Dokumentationen der Aussage eines Zeugen oder Angeklagten die Gefahr ihrer Kenntnisnahme durch Externe, was mitunter zu einem Risiko für den Aussagenden werden kann, der mögliche Vergeltungshandlungen zu befürchten hat.[67]

Was ist aber mit der Anwendung des BDSG? Eigentlich liegt sowohl die Bild-Ton-Aufzeichnung und die Transkription im Anwendungsbereich des BDSG nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 lit. b BDSG, da es sich bei Land- und Oberlandesgerichten um Öffentliche Stellen der Länder im Sinne der Begriffsbestimmung des § 2 Abs. 2 BDSG handelt.[68] In Teil 3 des BDSG (§§ 45 ff. BDSG) sieht das Gesetz sogar ein spezifisches Datenschutzrecht vor, das auf die Datenverarbeitung durch Strafgerichte Anwendung finden soll. Gleichwohl erwähnt der Referentenentwurf ebenso wie der Bericht der Expertinnen- und Expertengruppe das BDSG an keiner Stelle.

Eine Antwort auf die Frage, wie mögliche Anwendungskonflikte zwischen § 273 StPO-E und dem BDSG zu lösen sind, könnte man indes § 1 Abs. 2 S. 1 BDSG entnehmen, der klarstellt, dass das BDSG zu anderen Rechtsvorschriften des Bundes – wie der StPO – subsidiär ist. § 273 StPO-E ist aber nur vorrangig, wenn und soweit zwischen dieser Regelung und dem BDSG „Tatbestandskongruenz“ besteht. Das heißt, dass das BDSG anwendbar bleibt, soweit die StPO eine datenschutzrechtliche Regelung nicht selbst trifft und sie insoweit auch nicht abschließend ist. Relevante datenschutzrechtliche Regelungen sind insbesondere die Betroffenenrechte „Informationspflicht“, „Auskunftsrecht“ und „Widerspruchsrecht“,[69] für die der Referentenentwurf keine Regelungen vorsieht.

Die Frage nach der Anwendbarkeit des BDSG verliert aber wegen § 500 Abs. 1 StPO an Bedeutung. Danach soll Teil 3 des BDSG (§§ 45 ff. BDSG) entsprechend auf Datenverarbeitungen durch öffentliche Stellen der Länder – mithin auch die hier betroffenen Land- und Oberlandesgerichte – anzuwenden sein, die zum Anwendungsbereich der StPO gehören. Der tatsächliche Umfang der entsprechenden Anwendbarkeit der §§ 45 ff. BDSG und der damit zusammenhängenden Durchdringung tradierter strafprozessualer Grundsätze durch das „neue“ Datenschutzrecht ist jedoch nicht unumstritten.[70] Im Ergebnis spricht derzeit aber vieles dafür, die in den § 45 ff. BDSG enthaltenen Regelungen für anwendbar zu halten.[71]

Soweit der Referentenentwurf die Löschung der Bild-Ton-Aufzeichnung ausdrücklich anordnet (§ 273 Abs. 4 StPO-E), ist zudem § 161 Abs. 2 StPO zu beachten, der die Anwendung des § 58 Abs. 3 BDSG für derartige Fälle ausschließt. [72] Diese Regelung ist vor dem Hintergrund des durch die Löschpflicht begründeten hohen Schutzniveaus verständlich – § 58 Abs. 3 BDSG hätte ansonsten das Potential den durch § 273 Abs. 4 StPO-E intendierten Schutz der Verfahrensbeteiligten zu demontieren.[73] Bezüglich des Transkripts sieht der Referentenentwurf keine entsprechenden Regeln vor, so dass dieses nach derzeitiger Rechtslage den §§ 45 ff. BDSG unterfallen dürfte. Relevant sind hier vor allem § 47 Nr. 6 und § 48 BDSG. Das datenverarbeitende Land- bzw. Oberlandesgericht würde danach verpflichtet sein, angemessene Sicherheitsmaßnahmen (z.B. Verschlüsselung der Daten) zu ergreifen, insbesondere wenn es die Bild-Ton-Aufzeichnung erstellt, speichert, zur Verhandlungsrekonstruktion verwendet und den Verfahrensbeteiligten zur Verfügung stellt.

2. Ersetzt das Transkript den Prozessbeobachter?

Gerade in Wirtschaftsstrafprozessen ist es üblich, dass im Publikum auch Anwälte des verletzten Unternehmens als sog. „Prozessbeobachter“ sitzen, die den Ablauf der Hauptverhandlung und insbesondere die Aussagen bestimmter Zeugen mitschreiben. Dies dient regelmäßig der Vorbereitung zivilrechtlicher Klagen oder der Unterstützung interner Untersuchungen bei dem verletzten Unternehmen. Strafprozessual ist dies grundsätzlich zulässig, zumal sich ein Prozessbeobachter wie jeder andere Zuschauer auf den Öffentlichkeitsgrundsatz berufen kann.[74]

Gerade aufgrund des mit einer solchen Prozessbeobachtung verbundenen Zeitaufwands für den beauftragten Rechtsanwalt stellt sich die Frage, ob die Einführung einer digitalen Inhaltsdokumentation das Ende dieser Form der Prozessbeobachtung einläuten könnte. Zumindest das Transkript scheint dieses Potential zu haben. Im Gegensatz zur Bild-Ton-Aufzeichnung, die nach der Konzeption des Gesetzgebers als besonders schwerer Eingriff in die Persönlichkeitsrechte nur in Ausnahmefällen für andere Zwecke als die Rekonstruktion der Hauptverhandlung durch die Verfahrensbeteiligten nutzbar sein soll (vgl. § 273 Abs. 4 und 5 StPO-E), sieht der Referentenentwurf nämlich keine entsprechenden Einschränkungen der Speicherung und Verwendung des Transkripts vor – es soll sich danach um einen „normalen“ Aktenbestandteil handeln.

Hieraus folgt, dass für das Transkript auch der Anwendungsbereich der §§ 406e, 475 StPO eröffnet wäre. Danach kann für den Verletzten (§ 406e StPO) oder eine andere Privatperson (§ 475 StPO) ein Rechtsanwalt Einsicht in die Prozessakte nehmen, wenn er ein berechtigtes Interesse darlegt und keine überwiegenden schutzwürdigen Interessen des Beschuldigten oder anderer Personen entgegenstehen. Die damit implizierte Abwägung zwischen den Interessen des Einsichtsberechtigten und der im Transkript genannten Verfahrensbeteiligten wird dabei nicht stets zugunsten der Verfahrensbeteiligten ausfallen können. Der durch die Einsichtsgewährung ausgelöste Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Verfahrensbeteiligten ist in diesem Fall vernachlässigbar, da der bereits durch die Öffentlichkeit der Verhandlung verursachte Eingriff nur perpetuiert, aber nicht weiter vertieft wird. Dies folgt nicht zuletzt daraus, dass ein Prozessbeobachter bereits in der Verhandlung ein Wortprotokoll hätte verfassen können. Lediglich in den Fällen, in denen das Gesetz auch den Ausschluss der Öffentlichkeit erlaubt – insbesondere zum Schutz der Privatsphäre eines Prozessbeteiligten nach § 171b GVG – erscheint ein Ausschluss des Rechts auf Einsicht des Transkripts begründbar.

Klarzustellen ist, dass das sog. „Doppeltürmodell“ des Bundesverfassungsgerichts[75] auf solche privaten Akteneinsichts- und Auskunftsrechte keine Anwendung findet. Die Abfrage der Akteninhalte stellt nämlich keinen rechtfertigungsbedürftigen Grundrechtseingriff durch eine staatliche Stelle, sondern die Rechtsausübung durch eine private Person dar.

VI. Fazit

Die Einführung digitaler Dokumentationsformen ist zweifelsohne ein sinnvoller und überfälliger Beitrag zu der Modernisierung des Strafprozesses. In einer Zeit, in der jedes Smartphone Video- und Tonaufnahmen ermöglicht, erscheint es als geradezu archaisch, wenn die Verfahrensbeteiligten bei der Rekonstruktion der Hauptverhandlung vor den Strafgerichten im Wesentlichen auf ihre notizengestützte Erinnerung vertrauen müssen. Bild-Ton-Aufzeichnungen und Transkripte sind der fehleranfälligen menschlichen Erinnerungsfähigkeit weit überlegen.[76]

Auf den zweiten Blick muss man sich jedoch fragen, ob das BMJ bei der Erarbeitung des Referentenentwurfs nicht von einer falschen Prämisse ausgegangen ist, indem es der Bild-Ton-Aufzeichnung und dem Transkript nur die Rolle eines „Hilfsmittels“ zugedacht hat – das Primat des Hauptverhandlungsprotokolls bleibt ungebrochen und die Bild-Ton-Aufzeichnung wird unterschätzt. Die Bild-Ton-Aufzeichnung und das Transkript werden einen ganz erheblichen Einfluss auf die Entscheidungsfindung durch das Gericht und die Vorgehensweise der Verteidigung und der Staatsanwaltschaft haben. Die rechtliche Normierung sollte dem durch eine entsprechende „Regelungsdichte“ auch Rechnung tragen. Der Referentenentwurf konzentriert sich indes auf den – sicherlich auch relevanten – Persönlichkeitsschutz der Verfahrensbeteiligten, lässt aber diverse Fragen offen, deren Regelung geboten gewesen wäre.

Dies liegt daran, dass das BMJ davon ausgeht, dass die Grundstruktur des Revisionsrechts und die strikte Trennung zwischen Tatsachen- und Rechtsinstanz bzw. zwischen Berufung und Revision diese Fragen bereits hinreichend beantwortet. Dies verkennt jedoch, dass die Trennung zwischen Tatsachen- und Rechtsinstanz kein prozessuales Prinzip für sich ist, sondern durch die Gegebenheiten des geltenden Strafprozessrechts geprägt wird. Durch die Aufnahme einer objektiven und verlässlichen Inhaltsdokumentation in das Prozessrecht ändern sich die Rahmenbedingungen der richterlichen Entscheidungsfindung und insbesondere ihre Überprüfbarkeit jedoch in einem solchen Maße, dass sich auch die Grenzen zwischen dem verschieben, was als Tatsachen- und Rechtsprüfung verstanden wird.

Gleichwohl darf nicht verkannt werden, dass der Entwurf schon in seiner jetzigen Ausgestaltung einen historischen Schritt wagt. Immerhin stößt das digitale Inhaltsprotokoll bei Vertretern der Justiz häufig auf Skepsis. Im Zentrum steht seit jeher die Sorge der Mehrbelastung. Diese ist nicht gänzlich unbegründet. Die Urteilsgründe müssen erkennen lassen, dass das erkennende Gericht eine umfassende Gesamtwürdigung vorgenommen hat und nicht nur einzelne Beweisergebnisse aneinanderreiht.[77] Dieser Vorgabe wird in der forensischen Praxis nicht immer entsprochen. Das digitale Inhaltsprotokoll wird hier dazu führen, dass die Gerichte in vielen Fällen mehr Begründungsaufwand haben werden.

Allerdings kann in einem rechtsstaatlichen Strafverfahrensrecht der prozessuale Mehraufwand dann kein Argument gegen eine neue prozessuale Vorschrift sein, wenn sie einen wesentlichen qualitativen Gewinn für die Wahrheitsgewinnung darstellen würde. Das dürfte bei der Einführung eines digitalen Inhaltsprotokolls aber außer Streit stehen. Insofern ist die Stoßrichtung des Entwurfs als Einstieg in die digitale Epoche der StPO zu begrüßen.

 

[1]      RefE, S. 2.
[2]      RefE, S. 1 f.
[3]      RefE, S. 2.
[4]      Einen Überblick zur Geschichte des Protokolls gibt Leitner, Videotechnik im Strafverfahren, 2012, S. 18 ff.
[5]      Vgl. Leitner, S. 34 ff.
[6]      Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses (12. Ausschuß) über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Strafprozeßordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes (StPÄG), BT-Drs. IV/1020, S. 5.
[7]      BGH, NJW 1964, 602 = BGHSt 19, 193.
[8]      Gesetz zum Schutz von Zeugen bei Vernehmungen im Strafverfahren und zur Verbesserung des Opferschutzes v. 30.4.1998, BGBl. I, 820.
[9]      Vgl. etwa Mitsch, JuS 2005, 102.
[10]    Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Verletzten im Strafverfahren (Opferrechtsreformgesetz – OpferRRG) v. 24.6.2004, BGBl. I, 1354.
[11]    BT-Drs. 15/1976, S. 12 f.
[12]    BT-Drs. 15/1976, S. 13.
[13]    Zur Kommission und deren Ergebnissen Basar, StraFo 2016, 222.
[14]    RefE, S. 11.
[15]    RefE, S. 18 f.
[16]    RefE, S. 20.
[17]    RefE, S. 21.
[18]    RefE, S. 21.
[19]    RefE, S. 21.
[20]    RefE, S. 24 f.
[21]    RefE, S. 25.
[22]    RefE, S. 25.
[23]    BT-Drs. 15/1976, S. 13: „Dies würde zu einer erheblichen Erschwernis für das Revisionsverfahren führen, weil es regelmäßig der vollständigen Durchsicht der Tonbandaufnahmen bedürfte, damit sich etwaige Lücken schließen oder behauptete Widersprüche auflösen ließen. Zudem würde das Revisionsgericht in Fällen, in denen verschiedene Dolmetscher unterschiedliche Übersetzungen einer Aussage geliefert haben, die alle durch Tonband festgehalten wurden, sprachwissenschaftliche Studien anstellen müssen, um den behaupteten Inhalt der Aussage auf seine Richtigkeit zu überprüfen. […] Die vollständige Aufnahme der Hauptverhandlung produziert eine Vielfalt und Menge von Informationen, die die Staatsanwaltschaft und insbesondere die Strafverteidigung vor das Problem stellt, Komplexität reduzieren zu müssen.“
[24]    RefE, S. 25.
[25]    RefE, S. 25.
[26]    RefE, S. 28.
[27]    RefE, S. 2.
[28]    RefE, S. 8.
[29]    So ausdrücklich RefE, S. 2, 12, 13, 18, 20, 23, 25.
[30]    Bericht der Expertinnen- und Expertengruppe, S. 64.
[31]    Basar, KriPoZ 2017, 95 (99) mit Verweis auf BT-Drs. 18/11277, S. 22.
[32]    So ausdrücklich schon BT-Drs. 18/11277, S. 22.
[33]    BT-Drs. 15/1976, S. 12.
[34]    RefE, S. 10.
[35]    BGH, NStZ 1991, 500 = BGHSt 38, 14.
[36]    RefE, S. 20.
[37]    Eine auf die Verletzung von § 261 StPO gestützte Verfahrensrüge würde in einem solchen Fall auch nicht gegen das „Rekonstruktionsverbot“ des Revisionsrechts verstoßen – vgl. BGH, NStZ 1991, 500 (501).
[38]    Bericht, S. 65 f.
[39]    Vgl. z.B. Basar: „Digitales Inhaltsprotokoll“, Handelsblatt v. 13.12.2022; van Lijnden: „Wenn die subjektive Wahrnehmung von Richtern Urteile beeinflusst“, Welt-Online v. 30.11.2022.
[40]    Z.B. Wilhelm, ZStW 117 (2005), 143 (154 ff.); Döhmer, SVR 2009, 47 (48 ff.); Bartel, Das Verbot der Rekonstruktion der Hauptverhandlung, 2014, S. 144 ff.
[41]    BGH, NStZ 1967, 213 = BGHSt 21, 149.
[42]    BGH, NStZ-RR 2014, 15.
[43]    BGH, NStZ 1998, 51 (52).
[44]    Begriff geht auf Herdegen, StV 1992, 590 (596) zurück.
[45]    BGH, NStZ 1991, 501 = BGHSt 38, 14.
[46]    Vgl. BGHSt 29, 18 (21 f.).
[47]    RefE, S. 2.
[48]    RefE, S. 13.
[49]    Explizit: RefE S. 12 f., 25.
[50]    Bericht, S. 67 ff.
[51]    Bericht, S. 69, 73 f.
[52]    Bericht, S. 70, 71 ff.
[53]    Bericht, S. 70 f., 73 mit Verweis auf Mosbacher, StV 2019, 182.
[54]    Bericht, S. 73 f.
[55]    Bericht, S. 74.
[56]    Eine Sachrüge gegen die Beweisgründe kann nur darauf gestützt werden, dass die Beweiswürdigung, wie sie im Urteilstext dargestellt ist, lückenhaft oder widersprüchlich ist oder gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstößt; vgl. Eschelbach, in: BeckOK-StPO, 45. Ed. (Stand: 1.10.2022), § 261 Rn. 75 ff.
[57]    Vgl. § 274 Abs. 2 StPO-E, RefE S. 25 f.
[58]    So ausdrücklich der Bericht, S. 76 f.
[59]    Vgl. Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl. (2022), § 338 Rn. 36 ff. m.w.N.
[60]    Schmitt in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 273 Rn. 7.
[61]    RefE, S. 12.
[62]    Knauer/Kudlich, in: MüKo-StPO, 2019, § 338 Rn. 3 f. m.w.N.
[63]    Zur Bedeutung von Wiederholung und Reflektion für die Erinnerung: Häcker, in: Bender/Häcker/Schwarz, Tatsachenfeststellung vor Gericht, 5. Aufl. (2021), Rn. 152 f.
[64]    Ausführlich: Schweizer, Kognitive Täuschung vor Gericht – Eine empirische Studie, 2005, S. 178 ff.
[65]    RGSt 60, 63 (64); weiterhin auch BGHSt 2, 14 (15 f.).
[66]    Bericht, S. 78 ff.
[67]    RefE, S. 2, 12
[68]    Vgl. z.B. Arning/Rothkegel, in: Taeger/Gabel, DSGVO-BDSG-TTDSG, 4. Aufl. (2022), BDSG § 2 Rn. 52 und Basar, StraFo 2019, 222 (225).
[69]    Zu alledem: BT-Drs. 18/11325, S. 79.
[70]    Vgl. Köhler, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 500 Rn. 2 und dagegen Singelnstein, NStZ 2020, 639, differenzierend Graf, in:
KK-StPO, 9. Aufl. (2023), § 500 Rn. 5 f.
[71]    So das LG Kiel, ZD 2022, 510, das eine Durchsuchung wegen der Verletzung des § 51 BDSG für rechtswidrig erklärt hat. Zum bislang wenig untersuchten Verhältnis der StPO zu § 45 ff BDSG vgl. Rückert, Die Grundlagen der Erhebung und Verwertung digitaler Daten als Beweismittel im Strafverfahren, Kap. G. II. (erscheint 2023).
[72]    Zu den Löschpflichten der StPO im Verhältnis zum BDSG vgl. Basar/Hieramente, HRRS 2018, 336 (341).
[73]    Vgl. Köhler, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 161 Rn. 21.
[74]    Rotsch, Criminal Compliance, 2015, § 35 Rn. 22 ff.
[75]    BVerfGE 130, 151 (184).
[76]    Vgl. z.B. Häcker, in: Bender/Häcker/Schwarz, Rn. 1647 ff.
[77]    Z.B. BGH, NStZ-RR 2016, 47.

 

 

 

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