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Einführung zu Frederick T. Davis „Judicial Review of Deferred Prosecution Agreements – A Comparative Study“

von Prof. Dr. Carsten Momsen 

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Beitrag von Frederik T. Davis: Judicial Review of Deferred Prosecution Agreements – A Comparative Study 

Abstract
Frederick T. Davis legt eine umfassende rechtsvergleichende Studie zur Handhabung von sog. „Deferred Prosecution Agreements“ (DPA) und „Non Prosecution Agreements“ (NPA) vor. Er vergleicht aus der Perspektive des ausgewiesenen und in vielen Rechtsordnungen erfahrenen Praktikers und Wissenschaftlers die Verfahrenspraxis in den Vereinigten Staaten mit der Verfahrenspraxis acht verschiedener europäischer und außereuropäischer Länder, welche anders als die Vereinigten Staaten eine gesetzliche Regelung für D/NPAs eingeführt haben oder diese intensiv diskutieren. Deutschland ist folgerichtig nicht Bestandteil dieses Rechtsvergleichs, denn weder gibt es eine Regelung noch wird sie ernsthaft diskutiert. Obwohl Deutschland nicht der Strafrechtskultur der Leitentscheidung und des Richterrechts angehört, steht es in seiner Praxis insoweit den Vereinigten Staaten näher als die europäischen Nachbarn. Davis zeigt die Vor- und Nachteile informeller Verfahren aus der Sicht der amerikanischen Praxis auf. In dieser Einleitung werden entsprechende Überlegungen für das deutsche Rechtssystem angestellt und der Vergleich insoweit auf Deutschland als zehntes Land erstreckt.

Frederick T. Davis presents a comprehensive comparative law study on the handling of so-called „Deferred Prosecution Agreements“ (DPA) and „Non-Prosecution Agreements“ (NPA). He compares the procedural practice in the United States with the procedural practice in eight different European and non-European countries, which, unlike the United States, have introduced a legal regulation for D/NPAs or are discussing them intensively. Germany is consequently not part of this legal comparison, because neither a regulation exists nor is it seriously discussed. Although Germany is not part of the criminal law culture of leading decision and judiciary law, it is closer in practice to the United States than to European neighbors in this respect. Davis shows the advantages and disadvantages of informal procedures from the perspective of American practice. In this introduction, corresponding considerations are made for the German legal system and the comparison is insofar extended to Germany as the tenth country.

Frederick T. Davis schreibt „Ein Deferred Prosecution Agreement“ ist ein strafrechtliches Verhandlungsverfahren, das es Einzelpersonen – und zunehmend auch Unternehmen – ermöglicht, eine strafrechtliche Verurteilung zu vermeiden, indem sie sich mit der Staatsanwaltschaft darauf einigen, die Verantwortung für ihre Handlungen anzuerkennen, angemessene Zahlungen anstelle von Geldstrafen zu leisten, ihr Verhalten zu ändern und häufig bei laufenden Ermittlungen zu kooperieren, wofür im Gegenzug die strafrechtliche Anklage entweder fallen gelassen oder gar nicht erst erhoben wird.

Das Verfahren ist zu einer tragenden Säule der Bemühungen des US-Justizministeriums zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität geworden. Das Verfahren wurde inzwischen in einigen anderen Ländern nachgeahmt und wird in einigen weiteren Ländern von der Gesetzgebung wieder ernsthaft in Betracht gezogen.

Die verschiedenen Versionen weisen zwar viele Gemeinsamkeiten auf, unterscheiden sich aber in einem wesentlichen Punkt: ob die Gerichte eine Rolle bei der Überprüfung einer zwischen einem Staatsanwalt und einem Unternehmensangeklagten erzielten Vereinbarung spielen, und wenn ja, in welchem Umfang diese Überprüfung stattfindet.

In diesem Artikel werden die Verfahren für Vereinbarungen über die aufgeschobene Strafverfolgung in Unternehmen in solchen Ländern, die sie bereits eingeführt haben, sowie denjenigen, in denen derzeit Gesetzgebungsvorhaben erwogen werden, untersucht. Der Schwerpunkt liegt auf den jeweiligen Ansätzen für eine gerichtliche Überprüfung.

Die hier untersuchten Unterschiede können sich auch in der Praxis auf grenzüberschreitende strafrechtliche Ermittlungen auswirken. Diese vergleichende Studie bietet zugleich einen nützlichen Überblick über die Traditionen und Grundsätze der Gewaltenteilung in den jeweiligen Ländern.

Das damit formulierte Programm setzt Davis konsequent und aus der Perspektive jahrzehntelanger Erfahrungen mit der Rechtsvergleichung in Theorie und Praxis um. Seine rechtsvergleichenden Analysen institutionalisierter konsensualer Verfahrenserledigungen („Judicial Review of Deferred Prosecution Agreements – A Comparative Study“) in neun Ländern sind von großem Interesse für die deutsche Strafprozessrechtswissenschaft und -praxis.

Davis betrachtet zu Beginn die Vereinigten Staaten und vergleicht die dortige Rechtslage und -praxis detailliert mit der im Vereinten Königreich und in Frankreich. Kürzere Blicke gehen anschließend nach Kanada, Singapur, Australien, Irland, Argentinien und last not least nach Brasilien.

Aus hiesiger Perspektive ist schon die Auswahl der Rechtsordnungen interessant und vielsagend, denn Deutschland ist nicht unter den untersuchten Ländern. Aufgrund der großen Affinität des Autors zu Deutschland ist der Grund nicht fehlende Wertschätzung des deutschen Rechts, sondern schlicht der Umstand, dass es nichts zu vergleichen gibt. Denn bis dato fehlen entsprechende Institute in Deutschland im deutschen Verfahrensrecht.[1]

Corporate Deferred Prosecution Agreements (DPAs) beschreibt Davis als ein typisch amerikanisches Phänomen, das auf der einen Seite erhebliche Zugkraft entfaltet habe, auf der anderen Seite aber ebenso erhebliche Kontroversen über die letzten zwanzig Jahre ausgelöst habe. Sie sind heutzutage ein wesentliches Standbein der Verfolgung und Sanktionierung von Wirtschaftskriminalität in den Vereinigten Staaten aber auch in vielen Ländern Europas, deren Rechtsordnungen über entsprechende Instrumente verfügen.

So kommt Davis dann auch zu dem offensichtlich zutreffenden Ergebnis, dass die amerikanische Praxis in mindestens zweierlei Hinsicht einzigartig ist. Erstens wurden die Verfahren für DPAs (oder NPAs) in den USA weder durch Rechtsvorschriften noch durch offizielle Regelungen formalisiert. Vielmehr entwickelten sie sich einfach in einem evolutionären Prozess, Schritt für Schritt mit den einzelnen Verfahren, in denen Staatsanwälte und Anwälte großer Unternehmen sie ausgehandelt haben, wobei beide Parteien oft durch strategische Anreize motiviert wurden. Nur eine Konsequenz des Case-Law? Zunächst scheint es so. Denn jedes andere besprochene Land, das ein DPA-Äquivalent eingeführt hat oder ernsthaft in Erwägung zieht, hat dies auf gesetzlichem Wege und nach einer gründlichen öffentlichen Debatte getan. Interessant ist insoweit, dass gerade in Deutschland, das über kein institutionelles Äquivalent verfügt, die Praxis der §§ 153 und 153a StPO, sowie des Strafbefehlsverfahrens in Wirtschaftsstrafsachen ebenfalls einen stark einzelfallabhängigen Bezug hat und vor allem, dass in diesem Bereich Leit-entscheidungen die weitere Entwicklung prägen. Blickt man nur auf diesen Aspekt, so liegen die USA und Deutschland nicht gar so weit auseinander.

Zweitens zeichnen sich die DPAs in den USA und mehr noch die NPAs, für die es in anderen Ländern keine formale Entsprechung zu geben scheint, auch durch das Fehlen einer gerichtlichen Überprüfung, Kontrolle oder Beteiligung praktisch jeglicher Art aus. Das Fehlen von Rechtsvorschriften oder Regeln ist eng mit dem Fehlen einer minimalen gerichtlichen Überprüfung verbunden: Ohne eine solche Vorschrift oder Gesetzgebung gibt es weder Standards für die Bewertung einer DPA noch eine objektive Grundlage, auf der ein Richter eine DPA überprüfen könnte. Noch grundlegender ist, dass ein wesentlicher Grundsatz der Gewaltenteilung – dass nur die Exekutive entscheiden kann, ob eine Strafverfolgung eingeleitet wird oder nicht – in den Vereinigten Staaten so ausgelegt wurde, dass er den Kern der DPA/NPA bildet und sie somit vor einer Überprüfung schützt. Infolgedessen stellen DPAs und NPAs in den USA ein exklusives Spielfeld dar, auf dem Staatsanwälte und Unternehmensjuristen agieren können, indem sie immense Macht ausüben, um folgenreiche Ergebnisse zu erzielen, während sie gleichzeitig vor einer gerichtlichen Überprüfung oder einer formellen öffentlichen Rechenschaftspflicht geschützt sind. Teil 1 dieser Diagnose trifft m.E. in gleicher Weise auf das deutsche Wirtschaftsstrafverfahren zu. Teil 2 zumindest insoweit, als dass in dem Bereich der konsensualen Verfahrenserledigung in Wirtschaftsstrafsachen am ehesten eine Art Parteiprozess im Ermittlungsverfahren herrscht und häufig die größeren Ressourcen den Verfahrensausgang prägen. Anders als in den USA gibt es jedoch zumindest im Rahmen von § 153a StPO und dem Strafbefehlsverfahren eine minimale richterliche Kontrolle. Allerdings ist diese Form der Zustimmungskontrolle nicht mit einem formalen Rechtsmittelverfahren vergleichbar.

Aus meiner Sicht besonders interessant ist der von Davis im zweiten Teil gezogene Schluss, dass gerade die erfolgreichen Bemühungen, eine gerichtliche Überprüfung der konsensualen Erledigungen abzuwehren, dazu geführt haben, die Compliance-Optimierung als Grundlage und Rechtfertigung für die Strafverfolgung geprägt haben. Zugleich, so Davis mit Verweis auf andere Autoren, leisten N/DPAs einen bedeutenden, aber auch umstrittenen Beitrag zu den Unternehmenspraktiken und veranschaulichen einen Wandel in der Strafverfolgungskultur von einer Ex-post-Fokussierung auf Bestrafung zu einer Ex-ante-Fokussierung auf Compliance. D/NPAs werden ausschließlich auf dem Verhandlungsweg erzielt, ohne die Notwendigkeit, sich mit den Beweisregeln und anderen standardmäßigen strafrechtlichen Komplexitäten auseinanderzusetzen, geprägt durch die fehlende Notwendigkeit, ein neutrales Gericht von den Fakten zu überzeugen. Ein solches System gibt den Bundesstaatsanwälten in den Vereinigten Staaten außerordentlichen Spielraum und Flexibilität: Sie können eine Strafverfolgungspolitik verfolgen, bei der einer ihrer vermeintlichen Gegner (große Unternehmen) zu einem bedeutenden Mechanismus zur Erreichung von Veränderungen geworden ist. Davis ist daher nicht verwundert, dass ein Autor festgestellt hat, dass die Strafverfolgungspolitik der Bundesbehörden Angeklagte von Unternehmen in Polizisten von Unternehmen verwandelt.

Obwohl es keine Aufsicht gibt, haben solche Vereinbarungen dennoch weitreichende Auswirkungen auf Dritte – und die Öffentlichkeit. Die Höhe der im Rahmen dieser Vereinbarungen gezahlten Strafen geht zumindest in den USA oft in die Milliarden und erreicht auch in Deutschland erhebliche Summen. Die detaillierten Verpflichtungen mit Bezug auf künftiges Verhalten (und manchmal auch zur Überwachung), denen die Unternehmen zustimmen, können nicht nur Aktionäre und Mitarbeiter, sondern auch Wettbewerber, Verbraucher und andere Mitglieder der Öffentlichkeit betreffen.

Es stellt sich damit auch für Davis die Frage, ob diese wichtigen und folgenschweren Vorgänge tatsächlich vollständig hinter verschlossenen Türen stattfinden sollten. Ob es richtig ist, dass sie von einflussreichen Unternehmensanwälten, Anwälten und Staatsanwaltschaften ausgehandelt werden, aber der Öffentlichkeit nur durch gegenseitig genehmigte Pressemitteilungen und ohne jegliche gerichtliche Kontrolle oder öffentliche Rechenschaftspflicht bekannt gegeben werden?

Davis zeigt, dass eine solche Geheimhaltung dem DPA-Verfahren keineswegs inhärent ist: Jeder, der die langen, detaillierten und artikulierten Untersuchungen englischer/walisischer DPAs liest, die vom High Court of England gemäß den gesetzlichen Bestimmungen zur Verfügung gestellt werden, erhält ein viel umfassenderes Verständnis des relevanten Kontextes und kann sich auf dieser Basis die Frage stellen, ob das betreffende Ergebnis tatsächlich ein gutes war.

Zum Teil spiegeln sich in dieser Diskrepanz zwischen den Systemen die unterschiedlichen Verfassungsgrundsätze der Gewaltenteilung zwischen Exekutive und Judikative sowie die verschiedenen Strafverfolgungskulturen wider.[2] Seltsamerweise, so Davis, besteht der größte Unterschied im Ausmaß der richterlichen Beteiligung an DPAs unter den untersuchten Ländern nicht zwischen sogenannten „Common Law“- und „Civil Law“-Ländern, sondern zwischen zwei Ländern mit engen und sich überschneidenden Traditionen, nämlich den Vereinigten Staaten und dem Vereinigten Königreich. Die umfassendste und solideste Form der gerichtlichen Kontrolle von DPAs findet derzeit in England und Wales statt, und zwar im Rahmen von Gesetzen, die eine Überprüfung durch den High Court vorsehen, sowie bei den bisherigen DPA-Genehmigungen. Die ehemaligen englischen Kolonien, mit Ausnahme der Vereinigten Staaten, in denen DPAs in Erwägung gezogen werden oder in denen sie bereits verabschiedet wurden, verlangen alle zumindest ein gewisses Maß an gerichtlicher Beteiligung. Auch ihre Gesetzgebungsgeschichte spiegelt im Allgemeinen die Entscheidung für das englische und nicht für das US-amerikanische Modell wider, auch wenn sie sich darin unterscheiden, wie genau eine solche Überprüfung stattfinden soll. Diese politisch begründete Ablehnung des US-Ansatzes deutet darauf hin, dass die hier analysierte Ungleichheit fortbestehen wird.

Für Davis bleibt die Frage: Was ist die praktische Bedeutung  und  Auswirkung  dieser  deutlichen  Unterschiede?

Zunächst einmal sind DPAs in jedem Szenario einvernehmliche Vereinbarungen. Daraus folgt, dass sie, wenn sie wirksam und weit genug verbreitet sein sollen, um eine wirkliche Wirkung zu haben, den Parteien einen Anreiz bieten müssen, diese Instrumente zu nutzen. Hält die Möglichkeit, dass eine einmal zwischen Staatsanwaltschaft und Unternehmen getroffene „Vereinbarung“ von einem Richter überprüft und möglicherweise für ungültig erklärt werden kann, ein Unternehmen davon ab, eine solche Vereinbarung einzugehen?

Aus der Sicht eines Unternehmens bedeutet die Aufnahme von Verhandlungen mit einem Staatsanwalt nicht zwangsläufig eine Verpflichtung, eine Einigung zu erzielen oder eine Verteidigung auszuschließen. Doch ist dies nicht ohne Risiko, da die bloße Aufnahme von Gesprächen einem Staatsanwalt nützliche Informationen oder andere strategische Vorteile verschaffen kann – ein allgemeines Problem jeglicher abspracheähnlicher Verfahrensbeendigung. Zudem werden in der Praxis nur wenige DPA-Gespräche von einem Unternehmen eröffnet, die nicht zu einer Art Verhandlungsergebnis führen. Einige DPA-Regelungen versuchen, dieses Problem zu lösen, indem sie das Recht auf Verteidigung im Falle einer gescheiterten Verhandlung formell schützen (ähnlich wie in § 257c StPO).

Die englischen/walisischen und die französischen DPA-Regelungen enthalten spezielle Bestimmungen, die besagen, dass weder eine vorgeschlagene Vereinbarung noch die Verhandlungen, die zu ihr geführt haben, als Beweismittel gegen das Unternehmen verwertet werden können, wenn der Versuch, DPA zu erzielen, nicht zu einem endgültigen öffentlich-sichtbaren und damit verbindlichen Ergebnis führt.

Die gleichen allgemeinen Grundsätze gelten in den Vereinigten Staaten: Eine starke Tradition, gewohnheitsrechtliche Beweisregeln und die Bestimmungen von Rule 408 der Federal Rules of Evidence schließen eine offensive Verwendung von „Kompromissangeboten und Verhandlungen“ in späteren Verfahren aus. Anwälte verstärken diesen Schutz oft durch die so genannten „Queen for a Day“-Bestimmungen oder durch hypothetische Angebote.[3] Der Schutz, den diese allgemeine Regel bietet, ist jedoch nicht vollständig und kann von Gerichtsbarkeit zu Gerichtsbarkeit variieren. In der Praxis, so Davis, wisse jeder, der ein Unternehmen vertritt oder berät, dass jedes Gespräch mit einem Staatsanwalt, insbesondere mit einem Staatsanwalt, der nichts von dem Fehlverhalten des Mandanten weiß, ein folgenschwerer Schritt ist: Die Kontaktaufnahme mit einem Staatsanwalt kann notwendig sein, um formal den Status einer echten „Selbstanzeige“ und die häufig allein daran geknüpften Vergünstigungen zu erhalten. Gleichwohl informiert sie einen Staatsanwalt unweigerlich darüber, dass etwas vermutlich Illegales geschehen ist und eine Untersuchung wert sein könnte. Selbst wenn bereits Gespräche zwischen einem Staatsanwalt und einem Unternehmensanwalt stattfinden (z.B. wenn gegen ein Unternehmen ermittelt wird), kann die Verfolgung eines möglichen DPA-Ergebnisses strategisch komplex sein. Macht es in diesem variablen Kontext einen Unterschied, ob eine einmal mit der Staatsanwaltschaft getroffene Vereinbarung einer weiteren Prüfung unterzogen und möglicherweise nicht genehmigt wird?

Abschließend setzt Davis sich nochmals intensiv mit der Frage auseinander, ob eine gerichtliche Kontrolle für ein rechtsstaatliches Verfahren essenziell ist. Seines Erachtens erfolgt eine gerichtliche Überprüfung im Rahmen von DPA-Verfahren, weil die jeweilige Strafverfolgungskultur und Tradition dies erfordern. Anderenfalls sei es unwahrscheinlich, dass eine solche Möglichkeit geschaffen werde, da die Überprüfung das Verfahren für Staatsanwälte oder Verteidiger massiv verkomplizieren könne.[4] Vergleicht man die intensive Diskussion um die sehr komplexe Regelung des § 257c StPO mit seiner geringen praktischen Bedeutung einerseits und der deutlich höheren Bedeutung der weitgehend entformalisierten §§ 153 ff. StPO, so spricht vieles dafür, dass übergeordnete Gesichtspunkte tatsächlich leitend für die gesetzlichen Regelungen sind. Das wirft zugleich ein interessantes Licht auf die in Deutschland gezielt unterbliebene Kodifizierung und  die Entwicklung  des  Ermittlungsverfahrens  in  deutschen Strafverfahren und Wirtschaftsstrafverfahren insbesondere.

Davis schließt seine Überlegungen mit der Frage, ob eine Veröffentlichung der D/NPAS vorzugswürdig oder gar notwendig sei. Meines Erachtens völlig zutreffend betont er die Rückwirkungen für die Fairness eines (informell) erledigten Verfahrens. Selbst wenn das Verfahren selbst unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet, gilt dies sonst an keiner anderen Stelle für die Entscheidung und ihre Gründe. Zwar kann die Veröffentlichung eine fehlende gerichtliche Überprüfung nicht kompensieren, sie kann aber die Vereinbarung zum Gegenstand einer Diskussion machen und ihr damit den Geschmack der Mauschelei nehmen.[5] Es mag durchaus plausible Argumente dafür geben, hier nicht auf derselben Detailtiefe zu bestehen, wie sie für die schriftlichen Urteilgründe erforderlich ist. Es gibt auch in Deutschland keinen überzeugenden Grund dafür, dass informelle Verfahrenserledigungen gleichbedeutend sind mit der teilweisen Wiedereinführung von „in-camera“ – Verfahren, welche mit guten historischen Gründen bereits in der RStPO von 1877 ausgeschlossen wurden.

 

*     Der Beitrag von Frederik T. Davis ist in der Erstveröffentlichung online abrufbar unter: https://www.jtl.columbia.edu/volume-60/judicial-review-of-deferred-prosecution-agreements-a-comparative-study-ag4ar (zuletzt abgerufen am 22.3.2023) oder in diesem Heft (KriPoZ 2023, 111 ff.).

[1]      Vgl. Momsen/Helms/Washington, in: Momsen/Grützner (Hrsg.), Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Aufl. (2020), S. 344 f. Rn. 1-5 – damals schrieben wir noch, Canada habe angekündigt ein RAR einzuführen, Singapur, Australien und Frankreich würden vergleichbare Schritte erwägen.
[2]      Vgl. Momsen/Washington, in: FS Kindhäuser, 2019, S. 935 ff.
[3]      Näher Momsen/Washington, in: FS Rogall, 2018, S. 593 ff.
[4]      Momsen/Helms/Washington, in: Momsen/Grützner (Hrsg.), Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, S. 364-381.
[5]      Vgl. Momsen, in: FS Rössner, 2015, S. 871 ff.

 

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