Majaani Hachmeister: Die Reform der Tötungsdelikte. Unter Berücksichtigung der Gesetzesinitiative des Jahres 2014 und des Referentenentwurfs des Jahres 2016

von Prof. Dr. Anja Schiemann 

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2023, Nomos, ISBN: 978-3-7560-0493-5, S. 365, Euro 109,00.

Um die Reform der Tötungsdelikte ist es ruhig geworden. Nachdem der damalige Justizminister Heiko Maas 2014 eine Expertenkommission zur Reform der Tötungsdelikte eingesetzt hatte und die Ergebnisse in einen Referentenentwurf überführt wurden, kam es zum Stillstand, da dieser nicht mehrheitsfähig war. Nun wird ein zaghafter Vorstoß durch das Eckpunktepapier zur Modernisierung des Strafgesetzbuches vorgenommen, in dem aber ersichtlich keine inhaltliche, sondern nur eine sprachliche Anpassung erfolgen soll. Brauchen wir dann überhaupt noch eine Dissertation zur Reform der Tötungsdelikte? Ja! Denn Hachmeister arbeitet nicht nur im historischen Rückblick die beiden Reformbemühungen aus den Jahren 2014 und 2016 auf, sondern analysiert auch die Gründe ihres Scheiterns. Schließlich plädiert sie für eine Neuauflage der Reformbestrebungen und stellt eigene „Reformgedanken“ an (S. 321).

Zunächst gibt die Verfasserin einen kurzen geschichtlichen Abriss über die Entwicklung des Mordparagrafen in der deutschen Strafgesetzgebung, bevor sie in einem „Problemaufriss“ die Mängel des geltenden Tötungsstrafrechts identifiziert. Neben der unzeitgemäßen Terminologie – die jetzt auch Anlass für die Reform „light“ der Tötungsdelikts im Eckpunktepapier zur Modernisierung des Strafgesetzbuches ist – bestreitet Hachmeister, dass die aktuelle Gesetzeslage den Anforderungen, die an eine rechtsstaatliche Kodifikation zum Schutz des höchstrangigen Rechtsguts Leben zu stellen sind, gerecht wird. Denn die stringente Anwendung des Mordparagrafen führe zu ungerechten und zum Teil zufälligen Ergebnissen, die in Ansehung des zugrunde liegenden Lebenssachverhalts in Verbindung mit dem absolut ausgestalteten, punitiven Instrument der lebenslangen Freiheitsstrafe unverhältnismäßig erscheinen. Denn es werden auch Fallkonstellationen erfasst, die in Ansehung der Schuld des Täters nicht als höchststrafwürdig eingestuft werden sollten – dies gelte insbesondere beim Mordmerkmal der Heimtücke. Tatbestandliche Korrekturen könnten nur bedingt Abhilfe verschaffen. Die notwendige Berücksichtigung von Strafzumessungserwägungen sei dagegen nach geltendem Recht nicht möglich. Zwar sei judikativen Strafzumessungslösungen wie der vom BGH praktizierten Rechtsfolgenlösung beizupflichten, jedoch bewirkten sie einen offenen Gesetzesbruch. Insofern sei eine Gesetzesrevision erforderlich.

Im darauffolgenden Kapitel nimmt die Verfasserin diverse und divergierende Vorschläge zur Reform der Tötungsdelikte ausführlich in den Blick. Insbesondere wird hier ein Schwerpunkt in die Erörterung des Anknüpfungsaspekts lebenslanger Freiheitsstrafe gelegt. Daneben wird sich umfassend der Frage gewidmet, welches Tatbestandsregelungsmodell sich als vorzugswürdig erweist. Hier werden das Eintatbestandskonzept sowie die diversen Stufenmodelle ausführlich vorgestellt und gewürdigt. Die abschließende eigene Stellungnahme bewertet die Konzeptionen abstrakt ohne Bezug zu einem konkreten Modell (S. 270). Die Verfasserin lehnt eine qualifikationsbedingte Kasuistik ab. Aber auch reine Privilegierungsmodelle liefen Gefahr, dass sie dem Erfordernis höchstmöglicher Tatbestands- und Sanktionsbestimmtheit nicht gerecht würden. Das Strafrecht könne die Existenz von Differenzierungen im Unrechtsgehalt von Tötungen nicht durch Wahl eines Privilegierungsmodells negieren.

Nach Auffassung von Hachmeister kann ein gemischtes Mehrstufenmodell die effizienteste Herstellung von Konkordanz zwischen der abstrakten Unrechtstypisierung und der konkreten Unrechtserscheinung im betreffenden Individualsachverhalt gewährleisten. Insofern sollten sowohl tatbestandliche Erschwerungskriterien als auch strafzumessungsrelevante Milderungsaspekte präzisiert ausgestaltet werden. Letztlich spricht sich die Verfasserin für die Vorzugswürdigkeit eines Grunddelikts des Totschlags aus. „Das Gesetzlichkeitsprinzip würde durch abschließende tatbestandliche Strukturen in Form von Qualifizierungen und Strafmilderungen durch ein qualifizierungsbezogenes Kombinationsmodell gewahrt werden“ (S. 276).

Sodann stellt die Verfasserin in einem weiteren Kapitel den Bericht der Expertenkommission sowie den Referentenentwurf aus dem Jahr 2016 vor und schließt jeweils eine eigene Stellungnahme unter Auswertung der Literaturstimmen an. Abschließend mündet dieses Kapitel in eine Beurteilung der Kernfragen der Tötungsdeliktsnormen und einen Ausblick. Das Grundproblem einer jeden Grenzziehung der Tötungsdelikte bestehe in dem Balanceakt der Herstellung einer Konkordanz von Individualgerechtigkeit durch Flexibilität und Rechtssicherheit durch Tatbestands- und Sanktionsbestimmtheit. Die jüngsten Gesetzesinitiativen hätten dem Kernproblem im Rahmen der Rechtsfolge in Form der lebenslangen Freiheitsstrafe nicht ausreichend Rechnung getragen. Vielmehr wurde ihre Sonderstellung akzeptiert.

Eine Ursache für das Scheitern identifiziert Hachmeister darin, dass es deutlich einfacher sei, die Schwächen des status quo zu konstatieren, als eine Lösung anzubieten, wie das Strafrecht auf vorsätzliche Tötungen zu reagieren habe. Ein an den status quo angelehnter Novellierungsversuch sei daher immer der Kritik ausgesetzt, geltende Strukturen nur unzureichend zu modifizieren. Tiefer greifende Veränderungen seien so nicht möglich. Zudem divergieren die eine weitreichende Reform favorisierenden Auffassungen sehr stark, so dass eine Zusammenführung unmöglich erscheint.

Darüber hinaus wurde in den Diskussionen die Befürchtung laut, dass die kumulative Novellierung von Tatbestand und Rechtsfolgen zu einer Überfrachtung der Reformbemühungen führen könnte. Allerdings, so die Verfasserin, würde die Einführung eines Einzelfallgerechtigkeit sicherstellenden, flexiblen Strafrahmens bei gleichzeitiger, tatbestandlicher Erfassung von straferhöhenden und strafmindernden Kriterien das Problem der Restriktionsmöglichkeiten der Mordmerkmale entschärfen. Zudem sei eine strikte Trennung von Tatbestand und Rechtsfolgen unmöglich. Denn es handele sich partiell um dogmatisch ineinander verwobene Strukturen, die gedanklich stets durchdrungen werden müssten. Daher müsse eine Reform die Konnektivität zwischen Tatbestand und Rechtsfolge in Form einer reziproken Wirkung berücksichtigen.

Die Verfasserin resümiert zudem, dass vor allem rechtspolitische Gründe einer Reform entgegenstünden und führt dies näher aus. Dabei verkenne der Gesetzgeber vor allem seine Einschätzungsprorogative und Vorbildfunktion, durch ein zeitangemessenes, gerechteres System einen Bewusstseinswandel auch in der Bevölkerung zu bewirken. Ausblickend bietet Hachmeister eine „kleine“ und „große“ Revision an (S. 321 ff.).

Im Rahmen einer kleinen Lösung müssten zunächst die Begrifflichkeiten „Mörder“ und „Totschläger“ entfernt und eine tatakzentuierte Formulierung gewählt werden. Diese kleine Lösung strebt derzeit auch der Justizminister Buschmann in seinem Eckpunktepapier zur Modernisierung des Strafrechts an. Daneben schlägt die Verfasserin vor, zumindest die niedrigen Beweggründe wie im Referentenentwurf von 2016 vorgeschlagen, um einen Katalog definierter Motivtypen zu konkretisieren. Zudem müsse bei Beibehaltung der lebenslangen Freiheitsstrafe zwingend eine Einschränkungsmöglichkeit derselben erfolgen. Zu erwägen wäre hier die Einführung einer alternativenSanktionsmöglichkeit in Form einer zeitigen Freiheitsstrafe neben der lebenslangen Freiheitsstrafe. Als zweite Alternative käme die Begrenzung der lebenslangen Freiheitsstrafe auf eine Mindestverbüßungsdauer von 15 Jahren als verbindliche Regelverbüßungszeit in Betracht. Lediglich in Fällen der Feststellung der besonderen Schwere der Schuld könne dann eine lebenslange Freiheitsstrafe verhängt werden. Auch § 57a StGB müsste dann modifiziert werden (dazu S. 323). Für diese „kleine“ Lösung macht Hachmeister einen konkreten de lege ferenda Vorschlag (S. 325 f.).

Bei einer „großen“ Revision plädiert die Verfasserin für die Abschaffung der lebenslangen Freiheitsstrafe. Danach würde der Paragraf des Totschlags in § 211 StGB den Grundtatbestand bilden. Der Mordparagraf in § 212 StGB würde qualifizierte Fälle im Sinne unrechtsgradueller Differenzierungen erfassen. Das von Hachmeister konzipierte „neue Tötungsgefüge“ (S. 327) weist vier unterschiedliche Strafrahmen auf. Für das simultane Vorliegen von mordqualifizierenden Erschwerungsgründen nach § 212 Abs. 1 StGB-E mit privilegierenden Umständen des § 211 Abs. 2 StGB würde nach § 212 Abs. 2 StGB-E eine Kompensation eintreten. Diese hätte zur Folge, dass der Strafrahmen des Mordes nach unten mit einer Mindeststrafe von fünf Jahren zu öffnen und die zeitliche Höchststrafe zwingend ausgeschlossen wäre. Auch für dieses Modell macht Hachmeister einen konkreten de lege ferenda Vorschlag (S. 327 f.) und lässt den Leser im Anschluss an ihren diesbezüglichen Überlegungen zu Tatbestand, Rechtsfolgen und notwendigen Folgeänderungen teilhaben.

Die Dissertation von Hachmeister stellt eine wichtige Diskussionsgrundlage für die Reform der Tötungsdelikte dar. Es wurde mehr als deutlich, dass die Tötungsdelikte nicht nur einer sprachlichen Korrektur bedürfen, sondern umfassend neu zu strukturieren und modifizieren sind. Insofern sollte die konkrete Ausarbeitung des Eckpunktepapiers zur Modernisierung des Strafrechts auch nicht bei einer sprachlichen Anpassung stehen bleiben, sondern endlich! in eine umfassende Reform der Tötungsdelikte überführt werden.

 

 

 

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