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Mehr Sicherheit durch Strafverfolgung? – Der Koalitionsvertrag im Lichte des IT-Strafrechts

von Jana Elsner, Lorenz Meinen und Prof. Dr. Christian Rückert

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Abstract
Hinter den teils vage formulierten Zielen des Koalitionsvertrags, verbergen sich auch viele strafrechtliche offene Fragestellungen unserer Zeit. Die Antwort des Koalitionsvertrags scheint (zumindest im strafprozessualen Bereich) “Befugniserweiterung zugunsten der Strafverfolgungsbehörden” zu lauten. Ob und wie, diese rechtlich zulässig gestaltet werden könnte, soll anhand der geplanten Speicherung von IP-Adressen und Erweiterung der Funkzellenabfrage betrachtet werden. Die Koalition plant auch vermeintliche Strafbarkeitslücken bei der Verbreitung von Deepfakes zu schließen. Der Beitrag beleuchtet die Notwendigkeit neuer strafrechtlicher Sanktionen bezüglich Deepfakes überblickartig und untersucht die mögliche Umsetzung des Koalitionsziels durch § 201b StGB-E, sowie die europarechtlichen Vorgaben durch die RL (EU) 2024/1385, denen § 201b StGB-E bislang nicht genügt.

Behind the occasionally vague wording of the coalition agreement’s objectives lie many unresolved criminal law issues of our time. The coalition agreement’s response appears to be (at least in the area of criminal procedure law) an expansion of powers in favor of law enforcement agencies. Whether and how this could be made legally permissible is examined on the basis of the planned storage of IP addresses and the expansion of mobile phone location data. The coalition also plans to close alleged loopholes in the criminal liability of distributing deepfakes. This article provides an overview of the need for new criminal sanctions in relation to deepfakes and examines the possible implementation of the coalition’s goal through Section 201b StGB-E (German Criminal Code) and the European legislation of Directive (EU) 2024/1385, with which Section 201b StGB-E does not yet comply.

I. Der Koalitionsvertrag und das IT-Strafrecht

Zu Beginn der 21. Legislaturperiode wurde der neue Koalitionsvertrag zwischen den gewählten Regierungsparteien CDU/ CSU und SPD veröffentlicht.[1] Dieser soll den versprochenen Politikwechsel[2] für die kommenden vier Jahre verschriftlichen. Viele Neuregelungsvorschläge aus dem Bereich des IT-Strafrechts sind keine Unbekannten, sondern gesetzgeberische „Dauerbrenner“, die nun endlich geltendes Recht werden sollen.

Im dritten Abschnitt,[3] „Sicheres Zusammenleben, Migration und Integration“, findet man daher auch für den Bereich des Strafrechts viele altbekannte, bisher gescheiterte, politische Ziele wieder. Vergleicht man diesen Abschnitt mit den Wahlprogrammen der Regierungsparteien, so hat sich hier erkennbar der Einfluss des Koalitionspartners CDU/CSU durchgesetzt.[4] Geplant ist eine Reihe von Befugniserweiterungen zugunsten der Strafverfolgungsbehörden, (auch) durch eine entsprechende Anpassung der Strafprozessordnung.[5] Diese Ziele stützt der Koalitionsvertrag etwas pauschal auf das Vertrauen in die Arbeit der Sicherheitsbehörden.[6] Zudem wird eine Erweiterung der Ermittlungsbefugnisse als notwendige Reaktion auf die aktuellen (digitalen) Herausforderungen gesehen.[7]

Eine Kompetenzerweiterung auf staatlicher Seite kann jedoch im grundrechtsrelevanten Bereich nicht als Einbahnstraße verstanden werden.[8] Grundrechtseingriffe müssen verhältnismäßig sein, insbesondere also mit den Interessen der Betroffenen in Einklang gebracht werden. Diese Pflicht zur interessengerechten Abwägung trifft gerade auch den parlamentarischen Gesetzgeber. Bei der geplanten Normierung der IP-Adressenspeicherung (im Folgenden unter II.) und Erweiterung der Funkzellenabfrage (unter III.) lohnt sich daher ein Blick hinter die Kulissen. Welchen Hintergrund haben diese Vorhaben und wie steht es um ihre Verfassungs- und Europarechtsverträglichkeit?

Kein Koalitionsvertrag kommt ohne die Forderung aus, vermeintliche Strafbarkeitslücken zu schließen. Dieser Leitlinie folgend verspricht die Koalition Strafbarkeitslücken rund um “bildbasierte sexualisierte Gewalt” zu schließen und damit Deepfakes strafrechtlich zu regulieren. Ob es eine solche Lücke tatsächlich gibt und welche Ansätze es bisher gibt, sie zu schließen, wird unter IV. beleuchtet.

II. Anlasslose Speicherung von IP-Adressen

In Anlehnung an die jüngste EuGH-Entscheidung,[9] verzichtet der Koalitionsvertrag auf den Terminus der „Vorratsdatenspeicherung“. Soweit er aber eine dreimonatige Speicherpflicht für IP-Adressen[10] (eine Art Telefonnummer eines Computers bei der Internetnutzung)[11] anstrebt, ist in vereinfachter Form genau das gemeint. Ermittler können auch mittels IP-Adressen Rückschlüsse auf die jeweilige Geräteaktivität ziehen und damit ein bestimmtes Nutzungsverhalten bzw. den Nutzer selbst ermitteln. Insbesondere kann nachvollzogen werden, welche Onlineaktivitäten mit der jeweiligen IP-Adresse in Verbindung stehen.[12] Eben deshalb stellen auch die bloße anlasslose Speicherung und Verwendung solcher IP-Adressen erhebliche Eingriffe dar.[13] Freilich wird aber mit dem ausdrücklichen Verweis auf die IP-Adressenspeicherung eine allumfassende Speicherung sämtlicher Verbindungsdaten (Vorratsdatenspeicherung im eigentlichen Sinne) ausgeschlossen.

1. Hintergrund zur geplanten IP-Adressenspeicherung

Da im Folgenden dargestellt wird, wie eine gesetzliche Regelung der IP-Adressenspeicherung aussehen könnte, lohnt es sich, diese Maßnahme zunächst im Kontext der allgemeinen Vorratsdatenspeicherung einzuordnen und zu rekapitulieren, warum nun „nur noch“ IP-Adressen gespeichert werden sollen.

Allgemein versteht man unter einer Vorratsdatenspeicherung die Speicherung von Verkehrs- bzw. Standortdaten, also jegliche Verbindungsdaten.[14] Erfasst werden lediglich die „Rahmenbedingen“ der Telekommunikation, nicht jedoch deren Inhalt selbst. Konkret kann damit z.B. festgehalten werden, wer mit wem, wo und wie lange telefoniert hat.[15] Natürlich lassen sich aus den gespeicherten Rahmenbedingungen je nach Sachverhalt aber auch Rückschlüsse auf den Inhalt der Kommunikation ziehen. Technisch gesehen werden diese Verbindungsdaten anlasslos (d.h. ohne bestehenden Verdacht einer Straftat) von einem Kommunikationsunternehmen (§ 3 Nr. 1 TKG) gespeichert, damit staatliche Behörden später darauf (vor allem zu Strafverfolgungszwecken) zugreifen können. Es wird hier also zwischen der Phase der anlasslosen Datenspeicherung und der verdachtsbasierten Datenweiterleitung sowie Datennutzung unterschieden.[16]

Man könnte die Vorratsdatenspeicherung mittlerweile als ein politisches und rechtliches „rotes Tuch“ bezeichnen, denn ein Blick zurück zeigt, dass dieses Instrument nur schwer legalisiert werden kann. Zurecht, denn eine allgemeine und anlasslose Datenspeicherung ohne Zweckbindung erfasst auch tatunbeteiligte Dritte. Aufgrund der schweren Eingriffsintensität müssen die gesetzlichen Hürden für die Verwendung dieser Daten daher entsprechend hoch sein.

Ursprünglich erlaubte § 113b S. 1 Nr. 1 TKG a.F., dass die nach § 113a TKG a.F. (auch i.V.m. § 100g Abs. 1 S. 1 StPO a.F.) gespeicherten Daten zur Verfolgung jeglicher Straftaten an die zuständige Stelle übermittelt werden konnten.[17] Die „Verfolgung von Straftaten“ stellte jedoch kein ausreichendes, Verhältnismäßigkeit schaffendes, Korrektiv für den Eingriff in das Fernmeldegeheimnis (Art. 10 Abs. 1 GG) dar.[18] Ebenso fehlten normierte technische Schutzmaßnahmen für die gespeicherten Daten.[19] Das BVerfG erklärte diese Regelungen daher für verfassungswidrig und damit nichtig.[20]

Parallel dazu kontrollierte der EuGH den europäischen Auslöser für §§ 113a, 113b TKG a.F., (die Richtlinie 2006/24/EG) und kam zu dem Schluss, dass dieser seinerseits unverhältnismäßig in Art. 7 GRCh und Art. 8 der GRCh eingriff.[21]

Zwar justierte der deutsche Gesetzgeber mit einer Neufassung des TKG nach,[22] nun bestand aber, auch vor dem Hintergrund weiterer Entscheidungen des EuGH, eine allgemeine Unsicherheit über die unionsrechtliche Zulässigkeit einer erneuten anlasslosen Vorratsdatenspeicherung.[23] Nachdem das OVG Münster in einem Eilrechtsschutzverfahren die unionsrechtliche Unzulässigkeit der Regelungen im Anschluss an die Entscheidungen des EuGH annahm,[24] kündigte die Bundesnetzagentur an, bis zur Rechtskraft der Hauptsacheentscheidung keine Maßnahmen mehr zur Durchsetzung der Speicherpflicht vorzunehmen. Damit setzte sie faktisch die Speicherpflicht für die Telekommunikationsanbieter aus.[25]

Auf Anfrage des BVerwG[26] zur Vereinbarkeit der TKG-Vorschriften mit der Richtlinie 2002/58/EG stellte der EuGH[27] dann weiterhin klar, dass eine anlasslose Speicherung aller Verbindungsdaten auch nicht für die Verfolgung schwerer Straftaten, sondern allein zum Schutz der nationalen Sicherheit im Angesicht einer bereits bestehenden oder vorhersehbaren ernsten Bedrohung eingesetzt werden kann.

Um nach der faktischen Aussetzung der Speicherpflicht und dem jüngsten EuGH-Urteil zur Vorratsdatenspeicherung, wieder einen Schritt auf eine anlasslose Datenspeicherung zu zugehen, legte die CDU/CSU Fraktion im Dezember 2024 einen weiteren Gesetzesentwurf zur Mindestspeicherung von IP-Adressen vor.[28] Dieser Gesetzentwurf scheint es nun auch auf die politische Agenda des Koalitionsvertrages geschafft zu haben.

2. Anforderungen an eine rechtswirksame IP-Adressenspeicherung

Da sich der EuGH in seinem Urteil nicht gegen die Speicherung von IP-Adressen ausgesprochen hat, sehen die Koalitionspartner hierin die Möglichkeit endlich eine Art Vorratsdatenspeicherung „light“ zu regeln, um Rechtsklarheit für die Ermittlungsbehörden zu schaffen.[29]

In der Tat spricht der EuGH in seiner Entscheidung von der Möglichkeit einer allgemeinen und unterschiedslosen Vorratsdatenspeicherung von IP-Adressen.[30] Jedoch werden, trotz ihrer niedrigeren Eingriffsintensität im Vergleich zur Speicherung aller Verbindungsdaten, hohe Anforderungen an die Zulässigkeit der IP-Adressenspeicherung gestellt. Insbesondere stellt der EuGH klar, dass durch die gespeicherten IP-Adressen auch Einblicke in das Privatleben der jeweiligen Nutzer gewonnen werden können, was schwer in die Gewährleistungen von Art. 7 GRCh und Art. 8 GRCh eingreift.[31]

So darf eine solche Maßnahme nur zum Schutz der nationalen Sicherheit, zur Bekämpfung schwerer Kriminalität und zur Verhütung schwerer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit eingesetzt werden. Weiterhin ist die Maßnahme auch zeitlich auf das absolute Notwendige zu begrenzen.[32]

Der Anspruch des deutschen Gesetzgebers muss somit sein, eine klare Richtschnur[33] für die Ermittlungsbehörden vorzugeben. Die anlasslose Vorratsdatenspeicherung aller Verbindungsdaten ist ein grundsätzlich unverhältnismäßiger (!) Eingriff in die Rechte der Betroffenen. Wenn der EuGH also von einer zulässigen anlasslosen IP-Adressenspeicherung spricht, so ist dies eine eng gefasste und deshalb explizit zu normierende Ausnahme. Dem ist bei der Anpassung von §§ 175, 176 TKG sowie § 100g StPO auch Rechnung zu tragen.[34]

Konkret sollte sich der Gesetzgeber strikt an die Vorgaben des EuGH zur IP-Adressenspeicherung halten und auch sicherstellen, dass in der Neuregelung hinreichende Schutzmechanismen für Betroffene enthalten sind.

Bei der Klassifizierung bestimmter schwerer Straftaten ist es unerlässlich, die Strafverfolgungsbehörden in den Regelungsprozess mit einzubinden. Praxisnah sollte hier ein Straftatenkatalog entwickelt werden, der Formen schwerer Kriminalität abbildet, bei denen die Verwendung von gespeicherten IP-Adressen ein notwendiges Mittel darstellt. Durch eine ausdrückliche Beschränkung des Katalogs auf schwere Straftaten muss weiterhin sichergestellt werden, dass gespeicherte IP-Adressen nachträglich nicht doch zur Bekämpfung mittelschwerer bzw. leichter Kriminalität herangezogen werden können. Zudem darf diese Ermittlungsmaßnahme nur subsidiär zu weniger eingriffsintensiven Maßnahmen eingesetzt werden – auch das ist klarzustellen.

Weiterhin sollte eine Neuregelung festlegen, dass die gespeicherten Daten nur für einen begrenzten Zeitraum verwendet werden dürfen. Der Koalitionsvertrag sieht bereits eine Speicherpflicht von drei Monaten vor.[35] Es muss aber auch geregelt werden, dass die erhobenen Daten nach Ablauf dieser Frist endgültig gelöscht werden.

Auch sollte eine Begründungsregelung nach dem Vorbild des § 100e Abs. 3 und Abs. 4 StPO geschaffen werden. Eine solche findet derzeit bereits bei der Verkehrsdatenabfrage entsprechende Anwendung (s. § 101a Abs. 1 StPO). Bei der Verwendung gespeicherter IP-Adressen erscheint es darüber hinaus auch sinnvoll, die Begründungsanforderungen für die anordnende Stelle zu verschärfen. § 100e Abs. 4 Nr. 2 StPO sieht vor, dass die wesentlichen Erwägungen im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme darzulegen sind. Bei der Neuregelung zur IP-Adressenspeicherung wäre es zweckmäßig diese Erwägungen konkret vorzugeben. Beispielsweise sollte die Behörde stets darlegen, warum die gegenständliche Tat auch im Einzelfall schwer wiegt und warum nicht auf weniger eingriffsintensive Maßnahme zurückgegriffen werden kann.

Da das Instrument der IP-Adressen-Vorratsdatenspeicherung zur Verfolgung schwerer Straftaten in Fällen, in denen eine IP-Adresse der einzige Ansatzpunkt zur Strafverfolgung ist, ein notwendiges Werkzeug für die Strafverfolgungsbehörden darstellt, ist dem Gesetzgeber anzuraten, (dieses Mal) eine europa- und verfassungskonforme Rechtsgrundlage zu schaffen.

III. Geringere Hürden für die Durchführung einer Funkzellenabfrage

(Bewusst?) vage formuliert ist auch die Zielsetzung, die Funkzellenabfrage zu reformieren. Konkret heißt es: „Die Funkzellenabfrage wollen wir wieder umfassender ermöglichen“.[36]

Was unter „umfassender“ zu verstehen ist, lässt das Parteiprogramm des Koalitionspartners CDU/CSU[37] und auch schon der oben genannte Gesetzesentwurf [38] erahnen. Hier sprach man sich für das Ziel aus, insbesondere den Wohnungseinbruchsdiebstahl und den sog. „Enkeltrick“ (eine Form des Betrugs) als Verdachtsgrundlage für die Funkzellenabfrage zu regeln oder besser gesagt, ausreichen zu lassen. Denn nach derzeitigem Recht ist der Verdacht solcher Straftaten[39] kein tauglicher Anlass für eine rechtmäßig durchgeführte Funkzellenabfrage. Das liegt insbesondere an der jüngsten Entscheidung des BGH zur Funkzellenabfrage, in der das Verweisungsziel des § 100g Abs. 3 S. 1 Nr. 1 StPO weit ausgelegt wurde.[40]

Es liegt nahe, die geplante Erweiterung im Koalitionsvertrag als Reaktion auf diese Entscheidung zu deuten. Im Folgenden soll daher zunächst die Funktionsweise der Funkzellenabfrage aufgezeigt und anschließend die genannte Entscheidung (auch im Hinblick auf eine mögliche Neuregelung) betrachtet werden.

1. Regelungsinhalt der Funkzellenabfrage

Aktuell ist die Funkzellenabfrage legaldefiniert und geregelt in § 100 Abs. 3 StPO. Unter dieser Maßnahme versteht man die Erhebung aller in einer Funkzelle angefallenen Verkehrsdaten i.S.d § 9 TDDDG, also etwa Beginn und Ende einer Verbindung, Nummer und Kennung der beteiligten Anschlüsse sowie Endeinrichtungen oder auch die Erhebung von Standortdaten bei mobilen Anschlüssen. Was die Funkzellenabfrage für Strafverfolgungsbehörden vor allem so interessant macht, ist die Möglichkeit, den genauen Standort eines Mobiltelefons (zu einer genauen Uhrzeit) im jeweiligen Funkzellenabschnitt anzufordern.

Ein Mobiltelefon mit einem eingeschalteten Funkmodul hält nämlich Kontakt zur jeweils nächsten Funkzelle (loggt sich dort ein)[41] und wird damit im Bereich dieser Funkzelle (zeitlich und örtlich) registriert.[42] Je nach Größe der Funkzellen kann damit auch nachträglich (retrograd) der genaue Standort des jeweiligen Mobiltelefons festgestellt werden.[43]

Durch den Aufruf der jeweiligen Daten sind i.d.R. auch die Verkehrsdaten unbeteiligter Dritter erfasst. Auf dem Weg hin zur Identifizierung konkreter Bewegungsmuster des Täters, werden daher auch Informationen über Unbeteiligte erhoben. Die hohe Eingriffsintensität der Funkzellenabfrage liegt damit auf der Hand.[44]

Dieser großen und damit intensitätserhöhenden Streubreite[45] war sich auch der parlamentarische Gesetzgeber bewusst.[46] Zur Abfederung der Eingriffsintensivität schreibt § 100g Abs. 3 S. 1 StPO daher vor, dass die Behörden bei der Durchführung dieser Maßnahme die Verhältnismäßigkeit (§ 100g Abs. 3 S. 1 Nr. 2 StPO) und die Subsidiarität (§ 100g Abs. 3 S. 1 Nr. 3 StPO) beachten müssen. Dass der Koalitionsvertrag nun die Anlasstaten für Funkzellenabfragen erweitern will, ist wohl eine Reaktion auf die oben genannte BGH-Entscheidung.[47]

2. Neuregelung als Reaktion auf die Rechtsprechung des BGH

In seinem Beschluss vom 10. Januar 2024 stellte der BGH nämlich klar, dass die Verweisung in § 100g Abs. 3 S. 1 Nr. 1 StPO auch § 100g Abs. 1 S. 3 StPO mit einschließt und in diesen Fällen der Verdacht einer besonders schweren Straftat i.S.d. § 100g Abs. 2 S. 2 StPO vorliegen muss.[48]

Gem. § 100g Abs. 2 S. 2 lit. h StPO müsste etwa der Anfangsverdacht vorliegen, dass der Täter zur Ausführung der Tat in eine dauerhaft genutzte Privatwohnung als Einzeltäter, oder gem. § 244a StGB als Mitglied einer Bande eingebrochen ist.[49] Betrug, auch in seiner schweren Form, wird überhaupt nicht genannt. Weiterhin lässt § 100g Abs. 2 S. 2 StPO viele Verbrechen nur in qualifizierter Form zu.

§ 100g Abs. 2 StPO ist auf die Fälle des § 100g Abs. 1 S. 3 StPO anwendbar, also auf die Erhebung von retrograden Standortdaten. Damit wird auch klar, warum dieser Katalog so eng gefasst ist. Denn durch eine nachträgliche Standortbestimmung kann ein genaues Bewegungsprofil vom Beschuldigten und vielen unbeteiligten Dritten erstellt werden. Bei der Neufassung des § 100g StPO wollte der Gesetzgeber gerade diese sensiblen Daten im besonderen Maße schützen.[50]

Sind die ermittelten Verkehrsdaten, die sich aus der Funkzellenabfrage ergeben, auch Standortdaten, so sind die speziellen Anforderungen des § 100g Abs. 1 S. 3 i.V.m. Abs. 2 StPO zugrunde zu legen.[51] Nach Ansicht des BGH stellt der fehlende klarstellende Verweis in § 100g Abs. 3 S. 1 StPO ein bloßes gesetzgeberisches Versehen dar.[52]

Da im Koalitionsvertrag aber nun möglicherweise geplant ist, die Schwelle des § 100g Abs. 2 StPO herabzusetzen, stellt sich die Frage nach dem „Wie“.

Sofern einerseits der Unrechtsgehalt der tauglichen Anlasstaten herabgesenkt werden soll, so müsste andererseits auch die Eingriffsintensität der Funkzellenabfrage angepasst werden, andernfalls wäre die Verhältnismäßigkeit einer solchen Neuregelung zweifelhaft. Wenn also die gesetzlichen Hürden für Anlasstaten herabgesetzt werden, so muss auch korrespondierend die Ermittlungsreichweite bei miterhobenen Standortdaten angepasst werden.

In Betracht käme etwa, die Genauigkeit bei miterhobenen Standortdaten zu senken.[53] Sofern der bestehende Tatverdacht nicht für die Schwelle des § 100g Abs. 2 S. 2 StPO ausreicht, könnten somit „Standortdaten zweiter Klasse“ erhoben werden. Der Informationsgehalt der Standortdaten wäre dann auf die Aussage beschränkt, dass sich ein Mobiltelefon in der gefragten Zeit im Bereich einer Funkzelle befand oder nicht.[54] Zudem könnte man für solche Fälle eine Einzelabfrage vorsehen, wohingegen die Ermittlung von Bewegungsmustern mittels mehrerer Funkzellenabfragen den Fällen des § 100g Abs. 2 S. 2 StPO vorbehalten bleibt.[55]

Nicht nur der Koalitionsvertrag, sondern auch die Rechtsprechung hat bereits auf den BGH-Beschluss reagiert. Ausdrücklich entgegen der BGH-Rechtsprechung kam das LG Hamburg nach Auslegung des § 100g Abs. 3 S. 1 Nr. 1 StGB zu dem Schluss, dass dieser die Katalogtaten nach § 100g Abs. 2 S. 2 StPO nicht zwingend voraussetze.[56] Das Gericht war explizit der Meinung, dass der im Koalitionsvertrag genannte „Enkeltrick“ (jetzt unter Anwendung des § 100g Abs. 1 Nr. 1 StPO) doch eine taugliche Anlasstat für die Funkzellenabfrage darstelle. Der Widerstand des LG Hamburg gegen die (zutreffende) Entscheidung des BGH dürfte nach Umsetzung der Koalitionsabsichten zum geltenden Recht werden.

IV. Strafbarkeitslücken im Bereich “bildbasierter sexualisierter Gewalt”

Die Bundesregierung will gegen Deepfakes vorgehen.[57] Ein Deepfake ist nach der Begriffsbestimmung des Art. 3 Nr. 60 VO (EU) 2024/1689 (KI-VO) ein durch künstliche Intelligenz erzeugter oder manipulierter Bild-, Ton- oder Videoinhalt, der wirklichen Personen, Gegenständen, Orten, Einrichtungen oder Ereignissen ähnelt und einer Person fälschlicherweise als echt oder wahrheitsgemäß erscheinen würde. Inwieweit sich diese Definition auf das Strafrecht übertragen lässt, ist bislang noch ungeklärt. Vermutlich wird sich jedoch ein Ansatz durchsetzen, der mehr auf das Gefährdungspotential als auf die technische Umsetzung Bezug nimmt. Dennoch ist die Definition nach der KI-VO dazu geeignet ein erstes Verständnis des Deepfakebegriffs zu vermitteln.

Die letzten Jahre haben gezeigt, dass Deepfakes zunehmend zu strafbaren oder potenziell strafwürdigen Zwecken eingesetzt werden.[58] Insbesondere Deepfake-Pornographie und sonstige Darstellungen von Nacktheit verbreiten sich immer weiter. Daher liegt die strafrechtliche Regulierung von Deepfakes international im Trend. So haben die USA im Mai eine Deepfake-spezifische Strafbarkeit gegen solche intimen Darstellungen implementiert[59] und auch der deutsche Gesetzgeber plant die Einführung einer Strafbarkeit von etwas, das er als „bildbasierte sexualisierte Gewalt“ bezeichnet.[60] Unter bildbasierter sexualisierter „Gewalt“ versteht man die nicht einvernehmliche Erstellung oder Verbreitung von sexuellen Bildern (auch Deepfakes).[61] Die geplante Strafnorm soll auch Deepfakes erfassen.[62] Ansonsten lassen sich dem Koalitionsvertrag keine genaueren Ausführungen zu dieser Strafnorm entnehmen. Im Folgenden wird daher die Notwendigkeit einer solchen Strafnorm beleuchtet (1.) und im Anschluss ein Blick auf den Entwurf des § 201b StGB-E geworfen (2.), dessen Umsetzung der Koalitionsvertrag andeutet.[63]

1. Zur Notwendigkeit neuer Strafbarkeit

Bislang ist noch nicht abschließend geklärt, ob im Bereich der bildbasierten sexualisierten „Gewalt“ eine Strafbarkeitslücke für Deepfakes besteht, die den Einsatz des Strafrechts rechtfertigt, weshalb hier eine kurze Darstellung der potenziell einschlägigen Strafbarkeiten folgt:

Werden mittels Deepfake Technologien pornographische Inhalte von Minderjährigen erstellt, greifen die §§ 184b, 184c StGB ein.[64] Deepfakes, die Personen abbilden, können nach § 33 KUG strafbar sein.[65] Darunter fallen selbstverständlich auch sexualisierte Darstellungen. Die §§ 106, 108 UrhG können die Herstellung von Deepfakes aufgrund von Verletzung von Urheber- oder verwandten Schutzrechten unter Strafe stellen,[66] allerdings wird oft die Schranke des § 53 Abs. 1 UrhG wegen Privatgebrauchs einschlägig sein.[67] Das Datenschutzrecht bietet mit § 42 Abs. 2 BDSG eine Strafbarkeit gegen die Verarbeitung nicht öffentlich zugänglicher personenbezogener Daten mit Bereicherungs- oder Schädigungsabsicht. Deepfakes, die Personenbilder verwenden, können hierunter fallen.[68] Sie werden jedoch häufig mit öffentlich zugänglichen Daten und ohne die erforderliche Absicht hergestellt.[69] Nach §§ 185 ff. StGB kommt eine Strafbarkeit grds. in Betracht. Es ist aber noch nicht geklärt in welchen Kontexten eine Ehrverletzung vorliegt. Bei der bloßen Darstellung von Nacktheit wird man dies wohl häufig verneinen müssen.[70] Eine Strafbarkeit nach § 201a Abs. 1 StGB scheidet für Deepfakes aus.[71] Entgegen der inzwischen wohl herrschenden Meinung im Schrifttum[72] kann für § 201a Abs. 2 StGB nichts anderes gelten.[73] Aufgrund des Wortlautes „Bildaufnahme“ würde eine Subsumtion von Deepfakes unter die Norm gegen Art. 103 Abs. 2 GG verstoßen. Gegenstand einer Bildaufnahme kann nur sein, was in der Realität tatsächlich vorgefallen ist oder existiert. Nach allgemeinem Sprachgebrauch setzt die Bildaufnahme daher eine Reproduktion realen Geschehens durch technische Mittel voraus.[74]

Häufig wird also nur § 33 KUG einschlägig sein. Dessen Strafmaß ist mit einem Jahr allerdings gering veranschlagt und die Ausgestaltung als Privatklagedelikt (vgl. § 374 Abs. 1 Nr. 8 StPO) führt zu erheblichen Durchsetzungsschwierigkeiten. Eine entsprechende neue Strafnorm könnte daher durchaus angebracht sein.

2. §201b StGB-E

a) Überblick

Diese fehlende Strafnorm könnte in Zukunft durch § 201b StGB-E verkörpert werden, dessen Entwurf bereits 2024 für mediales Aufsehen sorgte.[75] Ausweislich seiner Überschrift soll § 201b StGB-E die Verletzung von Persönlichkeitsrechten durch digitale Fälschung bestrafen. Die Regelung setzt tatbestandlich die Verletzung des Persönlichkeitsrechts einer Person durch Zugänglichmachung eines computertechnisch hergestellten oder veränderten Medieninhalts voraus (Abs. 1). Namentlich liegt eine solche Verletzung dann vor, wenn dieser Medieninhalt (gegenüber Dritten) den Anschein einer wirklichkeitsgetreuen Bild- oder Tonaufnahme des äußeren Erscheinungsbildes, des Verhaltens oder mündlicher Äußerung der betroffenen Person erweckt. Qualifizierend wirkt gem. Abs. 2 die öffentliche Zugänglichmachung oder die Darstellung eines Vorgangs des höchstpersönlichen Lebensbereichs. Die Wahrnehmung überwiegender berechtigter Interessen stellt nach Abs. 3 einen Tatbestandsausschluss dar.[76] Abs. 4 ermöglicht die Einziehung der verwendeten technischen Mittel bei Täter und Teilnehmer. Die Norm ist also weder auf Deepfakes noch auf bildbasierte sexualisierte „Gewalt“ beschränkt, wobei beides aber ohne weiteres darunter subsumiert werden kann. In den Fällen der bildbasierten sexualisierten Gewalt wird wohl meistens auch die Qualifikation des Abs. 2 (in der Alternative: Vorgang des höchstpersönlichen Lebensbereichs) einschlägig sein. Damit ist § 201b StGB tatbestandlich also geeignet, die Ziele der Koalition in Bezug auf Deepfakes umzusetzen.

Der Entwurf wurde erstmals im Mai 2024 auf Initiative der bayerischen Regierung in den Bundesrat eingebracht, welcher sodann beschlossen hat, die Gesetzesvorlage in den Bundestag einzubringen.[77] In der letzten Legislaturperiode wurde nicht über den Entwurf abgestimmt. Die damalige Bundesregierung stand dem Entwurf jedoch kritisch gegenüber. Insbesondere das Schutzgut der Norm –  das allgemeine Persönlichkeitsrecht[78]– wurde vor dem Hintergrund des Art. 103 Abs. 2 GG als zu weit und offen angesehen.[79] Das scheint zunächst berechtigt, da das allgemeine Persönlichkeitsrecht ein Rahmenrecht darstellt, dass einer generellen Definition nicht zugänglich ist und dessen Grenzen daher nicht präzise zu ziehen sind.[80] Die Kritik wird jedoch insoweit relativiert, als das BVerfG schon eine relativ klare Linie für die denkbaren Fallkonstellationen vorgegeben hat, sodass wenigstens die Offenheit des allgemeinen Persönlichkeitsrechts eher unproblematisch ist. Eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts liegt nämlich in der Regel schon dann vor, wenn eine nicht erkennbar manipulierte Aufnahme einer Person ohne deren Einwilligung öffentlich zugänglich gemacht wird.[81] Diese Definition führt aber auch dazu, dass die Norm Fälle erfasst, in denen die Strafwürdigkeit des Verhaltens höchst fraglich ist. Die Weite des Schutzgutes könnte daher zu unbilligen Ergebnissen führen.[82]

Auch auf subjektiver Seite ergeben sich Besonderheiten, da man den Taterfolg wohl als gesamttatbewertendes Merkmal einordnen muss.[83] Dabei handelt es sich um Tatbestandsmerkmale, die einen so hohen normativen Gehalt aufweisen, dass sie die Rechtswidrigkeitswertung bereits mit umfassen.[84] Eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist nur bei Abwesenheit einer Rechtfertigung denkbar.[85] Aus grundrechtsdogmatischer Sicht verbietet es sich daher, gleichzeitig eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu bejahen und dennoch eine Rechtfertigung anzunehmen. Tatbestand und Rechtswidrigkeit sind also so eng miteinander verflochten, dass die Tatbestandsmäßigkeit bereits eine verbindliche Aussage über die Rechtswidrigkeit trifft.[86] In diesen Fällen sind Irrtümer über die Bewertungsgrundlage Tatumstandsirrtümer i.S.d. § 16 StGB und Irrtümer in der eigentlichen Bewertung Verbotsirrtümer i.S.d. § 17 StGB.[87] Bewertungsgrundlage dürfte – nach der Linie des BVerfG – der Fakt der Manipulation, die Interessen des Täters (bspw. Kunst- und Meinungsfreiheit) und die Interessen des Opfers (allgemeines Persönlichkeitsrecht) sein. Ist ein Fake gut gelungen, ist anzunehmen, dass eine Person, die fremd hergestellte Medieninhalte verbreitet, häufig über den Fakt der Manipulation irrt. Dies würde den Vorsatz entfallen lassen und damit die Strafbarkeit.[88] Das mag nicht einleuchten, da der Fakt der Fälschung das verwirklichte Unrecht allemal marginal beeinflusst. Regelmäßig keinen Einfluss auf die Strafbarkeit werden Fehler im Rahmen der Abwägung haben. Diese betreffen die Bewertung des gesamttatbewertenden Merkmals und sind daher Verbotsirrtümer. Aufgrund der restriktiven Rechtsprechung zur Vermeidbarkeit von Verbotsirrtümern sind diese meist unbeachtlich.[89]

Über diese Kritik an der Umsetzung hinaus wird – anders als hier – auch die Notwendigkeit der Norm angezweifelt.[90] Nichtsdestotrotz hat der Bundesrat am 11. Juli 2025 beschlossen, den Entwurf erneut im Bundestag einzubringen und damit die Debatte neu entfacht.[91] Nach dem Grundsatz der Diskontinuität war diese Beschlussfassung notwendig, um den Bundestag erneut dazu zu bewegen, sich mit der Sache auseinanderzusetzen. Dieser Grundsatz führte nämlich dazu, dass die im Mai 2024 eingebrachte Gesetzesinitiative mit Ablauf der Legislaturperiode als erledigt galt.[92]

b) Die RL (EU) 2024/1385

Eine umfassende Kritik an der Initiative kann in diesem Beitrag nicht geleistet werden.[93] Stattdessen soll §201b StGB-E im Lichte der RL (EU) 2024/1385 untersucht werden. Mit dieser Richtlinie hat die EU die Mindestvoraussetzungen einer Strafnorm für Deepfakes determiniert. Unter der Überschrift „Nicht-einvernehmliche Weitergabe von intimem oder manipuliertem Material“ normiert Art. 5 Abs. 1 lit. b der Richtlinie, dass die Mitgliedstaaten eine Strafnorm einführen müssen, welche die Herstellung, Manipulation oder Veränderung von Medien, die den Anschein erwecken, dass eine Person eindeutige sexuelle Handlungen vornimmt und deren anschließende Zugänglichmachung für die Öffentlichkeit mittels Informations- und Kommunikationstechnologien, ohne Einverständnis der betreffenden Person, sofern diese Handlungen wahrscheinlich dazu führen, dass der genannten Person schwere Schäden zugefügt werden, bestraft. Nach Erwägungsgrund 19 der Richtlinie, sollen auch Deepfakes von dieser Strafnorm umfasst werden. Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie enthält dann eine Ausnahme der Strafbarkeit im Falle der Wahrnehmung berechtigter Interessen.[94]

Wenn es in Deutschland bereits eine Strafnorm gäbe, die das Verhalten des Art. 5 Abs. 1 lit. b der Richtlinie erfasst, gäbe es keinen europarechtlich gebotenen Handlungsbedarf.[95] Ansonsten müsste der deutsche Gesetzgeber eine solche Strafnorm nach Art. 49 Abs. 1 UAbs. 1 der Richtlinie bis zum 14. Juni 2027 implementieren. In Betracht kommt hier nur § 201a Abs. 2 StGB, dessen Anwendbarkeit auf Deepfakes umstritten, aber abzulehnen ist (s.o.). Selbst bei unterstellter Anwendbarkeit wird § 201a Abs. 2 StGB den Anforderungen des Art. 5 Abs. 1 lit. b der Richtlinie nicht gerecht, da § 201a Abs. 2 StGB auf die Eignung zur Ansehensschädigung beschränkt ist, während Art. 5 der Richtlinie ausweislich des Erwägungsgrundes 18 auch weitere Formen schwerer Schädigungen erfassen soll (bspw. schwere psychische Schäden). Damit ist klar, dass eine neue Strafnorm oder eine Anpassung von § 201a Abs. 2 StGB notwendig ist.[96] Eine solche neue Strafnorm könnte § 201b StGB-E darstellen. Erwägungsgrund 18 zeigt, dass keine Vollharmonisierung bezweckt ist, weshalb es den Mitgliedsstaaten freisteht, strengere Regeln einzuführen oder beizubehalten. Damit darf § 201b StGB-E also das Schutzniveau des Art. 5 Abs. 1 lit. b der RL nur nicht unterschreiten.

Art. 5 Abs. 1 lit. b der Richtlinie ist etwas unklar formuliert, scheint aber ein zweiaktiges Tatgeschehen vorzusehen.[97] Zunächst muss der Täter das verletzende Medium herstellen, um es anschließend zu verbreiten. Auf diese Kumulation verzichtet § 201b StGB-E. Hier ist die Verbreitung ausreichend, weshalb die nationale Norm ein höheres Schutzniveau garantiert. Gleiches gilt für den inhaltlichen Gegenstand der tatbestandlich erfassten Medien. Art. 5 der Richtlinie erfasst nur eindeutig sexuelle Handlungen, während § 201b Abs. 1 StGB-E keine Begrenzung des Inhalts kennt und Abs. 2 solche eindeutig sexuellen Inhalte in der Qualifikation erfasst. Auch hier vermittelt § 201b StGB-E also ein höheres Schutzniveau. Die nach Art. 10 Abs. 4 der Richtlinie geforderte Mindesthöchststrafe von einem Jahr wird von § 201b Abs. 1 StGB-E bereits übertroffen, der zwei Jahre Höchststrafe vorsieht. Die Qualifikation des Abs.  2 erhöht das Strafmaß noch einmal auf bis zu fünf Jahre. Damit wird § 201b StGB-E der Richtlinie gerecht. In anderen Punkten bleibt die Norm dennoch hinter dem Mindestmaß des Art. 5 Abs. 1 lit. b der Richtlinie zurück:

Der Tatbestandsausschluss des § 201b Abs. 3 StGB entspricht im Wesentlichen der des Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie, lässt die Strafbarkeit aber unter einfacheren Voraussetzungen entfallen.[98] § 201b Abs. 1 StGB-E setzt die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts voraus und ist damit als Erfolgsdelikt ausgestaltet. Damit erreicht die Norm aber nicht das von Art. 5 der Richtlinie geforderte Schutzniveau, da diese die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines schweren Schadens ausreichen lässt und somit die Schaffung eines konkreten Gefährdungsdelikts fordert. Aufgrund des extrem weiten Schutzguts ist diese Einordnung aus Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten geradezu zwingend, bleibt in diesem Punkt aber dennoch hinter Art. 5 der Richtlinie zurück. Inwieweit die geplante Ausgestaltung des § 201b StGB-E als relatives Antragsdelikt und als Privatklagedelikt den Anforderungen der Richtlinie gerecht wird, ist unklar.

c) Handlungsbedarf

In Bezug auf Deepfakes ist der Gesetzgeber also europarechtlich verpflichtet, tätig zu werden. Der von der Regierung geplante Straftatbestand muss Art. 5 Abs. 1 lit. b RL (EU) 2024/1385 gerecht werden. In seiner jetzigen Form wird § 201b StGB-E das nicht. Wenn so die Richtlinie umgesetzt werden soll, muss der Gesetzgeber also nachsteuern und ein konkretes Gefährdungsdelikt schaffen. Eine solche Ausweitung des Delikts macht aber andere tatbestandliche Restriktionen notwendig, da der wahrscheinliche Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht eine uferlose Strafbarkeit darstellen würde, die so nicht umgesetzt werden kann.[99] Stattdessen könnte, wie von der Richtlinie vorgeschlagen, eine Einschränkung auf eindeutige sexuelle Handlungen erfolgen. Diese Beschränkung mag allerdings nicht einleuchten, da auch nicht pornographische Darstellungen von Nacktheit vergleichbar erhebliche Schäden auf Seiten der porträtierten Person verursachen können.[100] Daher sollte der neue Straftatbestand Darstellungen von Nacktheit und eindeutig sexuelle Handlungen erfassen. Diese Änderungen würde aber § 201b StGB-E seinen Charakter als Auffangtatbestand für alle manipulierten Medien rauben (was allerdings zu begrüßen wäre). Vor dem Hintergrund der RL (EU) 2024/1385, wäre es daher thematisch sinnvoller, § 201a Abs. 2 StGB an die Richtlinie anzupassen und auf eine Implementierung von § 201b StGB-E zu verzichten.

V. Fazit

Es bleibt abzuwarten, wie der deutsche Gesetzgeber die anlasslose IP-Adressenspeicherung neu regeln und die Funkzellenabfrage erweitern wird. Wie gezeigt, sind beide Instrumente aufgrund ihrer Streubreite eingriffsintensive Ermittlungsmaßnahmen, die einer verhältnismäßige Ermächtigungsgrundlage bedürfen. Wenn also der Koalitionsvertrag durch Neuregelungen mehr Sicherheit anstrebt, so darf diese Sicherheit nicht nur auf Zugeständnissen für Strafverfolgungsbehörden beruhen. Vielmehr muss ein Augenmerk daraufgelegt werden, Rechte unbeteiligter Dritter ausreichend zu schützen. Es ist zu begrüßen, dass Deepfakes es auf das Radar des Gesetzgebers geschafft haben. Bislang ist noch nicht abschließend geklärt, ob eine Strafbarkeitslücke existiert, die den Einsatz des Strafrechts rechtfertigt. Trotzdem gibt es an dieser Stelle europarechtlichen Handlungsbedarf. Bei der Entwicklung einer strafrechtlichen Normierung muss daher Art. 5 Abs. 1 lit. b RL (EU) 2024/1385 umgesetzt werden. Der an den Bundestag weitergeleitete Entwurf des § 201b StGB-E ist in seiner bisherigen Form nicht geeignet, die Richtlinie umzusetzen. Sinnvoller wäre es ohnehin auf § 201b StGB-E zu verzichten und stattdessen § 201a Abs. 2 StGB an die Richtlinie anzupassen.

 

[1]      Einsehbar unter: bit.ly/46uTucU (zuletzt abgerufen am 2.9.2025).
[2]      Wahlprogramm von CDU und CSU: „Politikwechsel für Deutschland“, einsehbar unter: http://bit.ly/426F00D (zuletzt abgerufen am 2.9.2025).
[3]      Koalitionsvertrag, Z. 2615 ff.
[4]      Wahlprogramm von CDU und CSU, S. 36 ff.
[5]      Koalitionsvertrag, Z. 2629 ff.; so auch bereits das Wahlprogramm von CDU und CSU, S. 38.
[6]      Koalitionsvertrag, Z. 2626, 2649.
[7]      Koalitionsvertrag, Z. 2848.
[8]      So auch angedeutet im Koalitionsvertrag, Z. 2624 ff.: „Das Spannungsverhältnis zwischen sicherheitspolitischen Erfordernissen und datenschutzrechtlichen Vorgaben muss […] neu austariert werden.”
[9]      EuGH, NJW 2022, 3135.
[10]    Koalitionsvertrag, Z. 2631.
[11]    Krause, ZRP 2023, 169 (169).
[12]    Krause, ZRP 2023, 169 (169); Es ist jedoch zwischen statisch und dynamisch zugeordneten IP-Adressen zu unterscheiden.
[13]    EuGH, NJW 2022, 3135 (3142).
[14]    http://bit.ly/3V5rZR1 (zuletzt abgerufen am 2.9.2025).
[15]    http://bit.ly/3V5rZR1 (zuletzt abgerufen am 2.9.2025).
[16]    Dabei sind die Anordnung der Datenspeicherung, die Speicherung, der Abgleich mit anderen Daten und Selektierung, die Weiterleitung und Erhebung durch staatliche Behörden jeweils für sich gesehen zu rechtfertigende Eingriffe in Art. 10 Abs. 1 GG, s. BVerfG, NJW 2010, 83
(836).
[17]    Zum Ganzen: Rückert, in: MüKo-StPO, 2. Aufl. (2023), § 100g Rn. 9 ff.
[18]    BVerfG, NJW 2010, 833 (848)
[19]    BVerfG, NJW 2010, 833 (849 ff.).
[20]    BVerfG, NJW 2010, 833 (851); Das BVerfG überprüfte die Vorschriften am Maßstab nationaler Grundrechte, weil die Richtlinie 2002/58/EG einen Umsetzungsspielraum für die Mitgliedsstaaten vorsah, s. BVerfG, NJW 2010, 833 (835).
[21]    EuGH, NJW 2014, 2169 (2173).
[22]    Gesetz vom 10.12.2015 – BGBl. I 2015, Nr. 51 v. 17.12.2015, S. 2218.
[23]    Rückert, in: MüKo-StPO, § 100g Rn. 15.
[24]    OVG Münster, NVwZ-RR 2018, 43 (50).
[25]    Rückert, in: MüKo-StPO, § 100g Rn. 15.
[26]    Im konkreten Fall ging es um die Auslegung des Art. 15 Abs. 1 der Richtline 2002/58/EG.
[27]    EuGH, NJW 2022, 3135.
[28]    BT-Drs. 20/13366; Es folgte auch ein Gesetzesentwurf des Bundesrates BT-Drs. 20/13748.
[29]    Der ursprüngliche Gesetzesentwurf der CDU/CSU Fraktion spricht hierbei sogar von einer „unbestreitbar eröffneten“ Möglichkeit s. BT-Drs. 20/13366, S. 1.
[30]    EuGH, NJW 2022, 3135 (3142).
[31]    EuGH, NJW 2022, 3135 (3142).
[32]    EuGH, NJW 2022, 3135.
[33]    EuGH, NJW 2022, 3135 (3139): „Um dem Erfordernis der Verhältnismäßigkeit zu genügen, müssen nationale Rechtsvorschriften klare und präzise Regeln für die Tragweite und die Anwendung der betreffenden Maßnahme vorsehen und Mindesterfordernisse aufstellen, so dass die Personen, deren personenbezogene Daten betroffen sind, über ausreichende Garantien verfügen, die einen wirksamen Schutz dieser Daten vor Missbrauchsrisiken ermöglichen.“
[34]    Krause, ZRP 2023, 169 (171).
[35]    Koalitionsvertrag, Z. 2630 f.
[36]    Koalitionsvertrag, Z. 2841.
[37]    Wahlprogramm, S. 38.
[38]    BT-Drs. 20/13366, S. 16 hier ist insbesondere von bandenmäßig begangenen Betrugstaten die Rede.
[39]    Für den Wohnungseinbruchsdiebstahl trifft dies nur zu, sofern es nicht um eine dauerhaft genutzte Privatwohnung gem. § 244 Abs. 4 StGB handelt.
[40]    BGH, NJW 2024, 2336 (2337).
[41]    Bär, in: Wabnitz/Janovsky/Schmitt, Handbuch Wirtschafts -und Steuerstrafrecht, 6. Aufl. (2025), Kap. 30 Rn. 107 (s. dort auch Weiteres zum technischen Vorgang).
[42]    Soßna, ZflStw 2024, 340.
[43]    Soßna, ZflStw 2024, 340 (341).
[44]    Es handelt sich um einen Eingriff in das Fernmeldegeheimnis (Art. 10 Abs. 1 GG).
[45]    Rückert, in: MüKo-StPO, § 100g StPO Rn. 85.
[46]    BT-Drs.18/5088, S. 24.
[47]    BGH, NJW 2024, 2336.
[48]    BGH, NJW 2024, 2336 (2337); zustimmend: Rückert, JR 2024, 635 (636) a.A. LG Hamburg, MMR 2025, 154 (158); Bär, in: Handbuch Wirtschafts -und Steuerstrafrecht, Kap. 30 Rn. 108a.
[49]    Zur Vereinfachung wird hier auf die weiteren in Betracht kommenden Tatmodalitäten verzichtet.
[50]    BT-Drs. 19/4671, S. 61 ff.
[51]    BGH, NJW 2024, 2336 (2337).
[52]    BT-Drs. 18/5088, S. 32.
[53]    Rückert, JR 2024, 635 (638).
[54]    Rückert, JR 2024, 635 (638).
[55]    Rückert, JR 2024, 635 (638).
[56]    LG Hamburg, MMR 2025, 154 (158).
[57]    Koalitionsvertrag, Z. 2881 f.
[58]    Vertiefend: BT-Drs. 20/12605, S. 9 f.
[59] „Take It Down Act“, abrufbar unter: https://www.congress.gov/119/plaws/publ12/PLAW-119publ12.pdf (zuletzt abgerufen am 2.9.2025).
[60]    Koalitionsvertrag, Z. 2881 f.
[61]    Völzmann, ZUM 2025, 1 (2).
[62]    BR-Drs. 222/24, S. 3.
[63]    Diese Einschätzung teilend: Valerius, CyberStR 2025, 1 (4).
[64]    Kumkar/Rapp, ZfDR 2022, 199 (210); Meinicke, DSRITB 2020, 981 (987).
[65]    Kumkar/Rapp, ZfDR 2022, 199 (209); Valerius, CyberStR 2025, 1 (3).
[66]    Valerius, CyberStR 2025, 1 (4); Blocher, KIR 2025, 225 (227); Lantwin, MMR 2020, 78 (80).
[67]    Lantwin, MMR 2020, 78 (80); Blocher, KIR 2025, 225 (227).
[68]    Valerius, CyberStR 2025, 1 (4); Lantwin, MMR 2020, 78 (80).
[69]    Lantwin, MMR 2020, 78 (80).
[70]    Valerius/Kusche/Hilgendorf, Computer- und Internetstrafrecht, 3. Aufl. (2023), § 3 Rn. 172.
[71]    Lantwin, MMR 2020, 78 (79); Valerius, CyberStR 2025, 1 (2).
[72]    Vgl. nur: Lantwin, MMR 2020, 78 (79); Bosch, in: SSW-StGB, 6. Aufl. (2024), § 201a Rn. 18.
[73]    So auch: Valerius, in: LK-StGB, 13. Aufl. (2023), § 201a Rn. 26; Valerius, CyberStR 2025, 1 (2).
[74]    So die allgemeine Definition, s.: Fischer, StGB, 72. Aufl. (2025), § 201a Rn. 4; Valerius, in: LK-StGB, § 201a Rn. 25.
[75]    Der Wortlaut abgedruckt in: BT-Drs. 20/ 12605, S. 7.
[76]    Valerius, CyberStR 2025, 1 (4).
[77]    BR-Drs. 222/24.
[78]    BR-Drs. 222/24, S. 4.
[79]    BT-Drs 20/12605, S. 21.
[80]    Vassilaki, CR 2024, 701, Rn. 18.
[81]    BVerfG, NJW 2005, 3271 (3273).
[82]    So auch: Valerius, CyberStR 2025, 1 (6).
[83]    Zu den Voraussetzungen von gesamttatbewertenden Merkmalen: Roxin/Greco, Strafrecht AT I, 5. Aufl. (2020), § 10 Rn. 45 ff.; Kudlich, in: BeckOK-StGB, 66. Ed. (Stand: 1.8.2025), § 16 Rn. 18.
[84]    Kudlich, in: BeckOK-StGB, § 16 Rn. 18; Heger, in: Lackner/Kühl/Heger, StGB, 31. Aufl. (2025), § 15 Rn. 16.
[85]    Dies entspricht allgemeinen verfassungsrechtlichen Grundsätzen und ist keine Besonderheit des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, vgl. Jarass, in: Jarass/Pieroth, 18. Aufl. (2024), Vorb. Art. 1 Rn. 14.
[86]    Daher dürfte § 201b Abs. 3 StGB-E auch nur klarstellenden Charakter haben.
[87]    Kudlich, in: BeckOK-StGB, §16 Rn. 19; Vogel/Bülte, in: LK-StGB, 13. Aufl. (2020), § 16 Rn. 50.
[88]    Woerlein, MMR-Aktuell 2024, 01624.
[89]    BGH, NJW 1952, 593 (594); BGH, NJW 2017, 1487 Rn. 58.
[90]    Woerlein, MMR-Aktuell 2024, 01624; Vassilaki, CR 2024, 701, Rn. 6 f.
[91]    BR-Drs. 272/25.
[92]    Vgl. BVerfG, NVwZ 2017, 1108 Rn. 37.
[93]    Siehe hierzu: Valerius, CyberStR 2025, 1 (4 ff.); Woerlein, MMR-Aktuell 2024, 01624; Vassilaki, CR 2024, 701.
[94]    Namentlich: Freiheit der Meinungsäußerung, Informationsfreiheit, Freiheit von Kunst und Wissenschaft.
[95]    Vgl. EuGH, Urt. v. 11.6.2015 C-29/14 – Kommission/Polen, ECLI:EU:C:2015:379 Rn. 38.
[96]    Eine Anpassung von § 201a StGB wurde auch von Thiel, ZRP 2021, 202 (204) befürwortet, allerdings nicht in Bezug auf die RL (EU) 2024/1385.
[97]    Dafür spricht insb. Erwägungsgrund 19 Satz 4: „Der Straftatbestand sollte auch die nicht einvernehmliche Herstellung, Manipulation oder Veränderung, z. B. durch Bildbearbeitung, auch mithilfe künstlicher Intelligenz, von Material umfassen, das den Anschein erweckt, dass eine Person an sexuellen Handlungen beteiligt ist, sofern das Material anschließend mittels IKT der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird, ohne dass die betreffende Person ihr Einverständnis dazu erklärt hat.“
[98]    So können auch Forschung und Lehre nach § 201b Abs. 3 StGB-E berechtigte Interessen darstellen, Art. 5 Abs. 2 der RL (EU) 2024/1385 kennt keine solche Ausnahme.
[99]    Vgl. Vassilaki, CR 2024, 701 Rn. 17.
[100]   So auch: Völzmann, ZUM 2025, 1 (6).

 

 

 

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