Lennart Lutz: Automatisiertes Fahren, Dashcams und die Speicherung beweisrelevanter Daten. Rechtsprobleme der Datenerhebung und des Datenzugriffs de lege lata

von Prof. Dr. Anja Schiemann

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2017, Verlag Nomos, Baden-Baden, ISBN: 978-3-8487-4117-5, S. 271, Euro 69,00.

Die Dissertation von Lutz beschäftigt sich mit der Frage der Notwendigkeit eines speziellen Datenspeichers für hochautomatisierte Fahrzeuge. Solche speziellen Datenspeicher sind (noch) Zukunftsmusik. Insofern ist es verdienstvoll, in einer ersten Grundlagenarbeit zunächst zu untersuchen, inwieweit die Ausstattung von Pkw mit solchen speziellen Datenspeichern überhaupt le lege lata zulässig ist. Danach betont Lutz zu Recht, dass auch bei rechtlicher Zulässigkeit eine Datenaufzeichnung nur dann sinnvoll ist, wenn bei entsprechendem Beweisbedarf ein Zugriff auf die gewonnenen Informationen durch die jeweils betroffenen Akteure erfolgen kann.

Nach einer Einführung beschreibt der Verfasser in einem zweiten Teil äußerst knapp die Grundlagen. Die bisherige Entwicklung der Datenspeicherung im Fahrzeug, Datenkategorien und Automatisierungsstufen werden vorgestellt. Hier hätte man sich ein wenig mehr Hintergrundinformationen gewünscht. Insbesondere krankt die Diskussion ums automatisierte oder autonome Fahren häufig daran, dass die einzelnen Automatisierungsstufen mit unterschiedlichem Inhalt gefüllt werden oder unterschiedliche Skalen beinhalten. So spricht auch Lutz von einer „üblicherweise(n)“ Unterscheidung von sechs Automatisierungsstufen (S. 25). Dagegen bezeichnet das Bundesamt für Straßenwesen lediglich vier Level (S. 26). Eine genauere Abgrenzung und Ausdifferenzierung wäre insofern hilfreich gewesen.

Im Mittelpunkt der Betrachtung steht der Datenspeicher für hochautomatisierte Fahrzeuge, der interne, d.h. auf das eigene Fahrzeug bezogene und externe, d.h. auf die Umwelt bezogene, Daten und den sog. Zeitstempel erfasst, worunter der Zeitpunkt der Aktivierung und Deaktivierung des automatisierten Fahrmodus verstanden wird. Daneben wird ergänzend die Videoaufzeichnung untersucht.

Im dritten Teil seiner Dissertation geht Lutz der Motivation für die Speicherung von Fahrzeugdaten nach. Primärer Nutzen ist natürlich der, bestehende Beweisschwierigkeiten durch die Datenaufzeichnung zu überwinden. Bei automatisierten Fahrzeugen ist eine Datenaufzeichnung nach Auffassung des Autors unabdingbar, um zwischen einer Fahrzeugsteuerung durch den Menschen und durch die Maschine differenzieren zu können (S. 41). Da den

Menschen nach Aktivierung des automatisierten Modus in Zukunft de lege ferenda keine Überwachungspflichten treffen dürften, sei die Datenaufzeichnung insbesondere aus der Perspektive des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts geboten. Auch im Produkthaftungsprozess käme dem Beweis aus der Datenaufzeichnung entscheidende Bedeutung zu (S. 42).

In den folgenden zwei Kapiteln geht der Verfasser der Frage nach, ob die freiwillige Einführung eines Fahrzeugdatenspeichers durch die Fahrzeughersteller de lege lata möglich wäre. Hierzu beleuchtet er in Kapitel 4 die einschlägigen Vorschriften im KUG, UrhG und StVO. Lutz kommt zu dem Ergebnis, dass Videoaufzeichnungen, bei denen Personen erkennbar sind, nur nach Maßgabe der §§ 22 ff. KUG möglich sind, die insoweit vorrangig gegenüber dem BDSG sind. Allerdings komme Personendarstellungen neben der Darstellung des Unfallgeschehens keine eigenständige Relevanz zu, so dass eine Verwendung zulässig sei. Videoaufzeichnungen von Gegenständen seien ebenfalls nach DesignG und UrhG zulässig. Nach einem Unfall legitimierten zudem § 34 Abs. 1 Nrn. 5, 6 StVO den Umgang mit punktuellen Videoaufnahmen und Daten (S. 61).

In Kapitel 5 widmet sich Lutz den Vorgaben des BDSG auf über 80 Seiten sehr ausführlich. Der Verfasser kommt zu dem Ergebnis, dass das Datenschutzrecht auf die Erfassung von Zeitstempeln vollumfänglich anwendbar ist. Die Erfassung könne aber nicht über § 28 Abs. 1 S. 1 BDSG gerechtfertigt werden, da die Daten ausschließlich einer Belastung des Fahrers im Straf- bzw. Ordnungswidrigkeitenverfahren dienten. So könne sich die Erhebung von Zeitstempeln allenfalls bei Einwilligung der betroffenen Fahrer als zulässig erweisen – jedoch müsse dann der Fahrer zumindest technisch die Möglichkeit haben, die Datenaufzeichnung zusammen mit dem automatisierten Fahrmodus zu deaktivieren. Zu beachten seien ferner diverse Betreiberpflichten, insbesondere die Meldepflicht nach § 4d BDSG.

Erlaubt seien dagegen punktuelle Videoaufnahmen sowie der Umgang mit internen und externen Daten. Mangels Personenbezug sei der Anwendungsbereich des Datenschutzgesetzes hier nicht eröffnet, zudem legitimiere die Spezialvorschrift des § 34 Abs. 1 Nr. 5, 6 StVO nach einem Unfall den Datenumgang, so dass das BDSG als subsidiär zurücktrete. Diese Auffassung des Autors ist nicht unumstritten, allerdings weist er darauf hin, dass ggf. auch ein Umgang mit den Daten gem. § 28 oder § 32 BDSG gerechtfertigt wäre.

In Kapitel 6 beschäftigt sich der Autor mit dem Datenzugriff im materiellen Recht, d.h. er prüft materiell-rechtliche Ansprüche, die sich aus Vertrag oder ausdrücklicher Anordnung im materiellen Recht ergeben, wobei er sich auf die „praktisch bedeutsamsten“ „Konstellationen“ beschränkt (S. 147). Auch hier hätte es sich angeboten, etwas tiefer in der Rechtsmaterie zu schürfen oder intensiver darzulegen, weshalb die genannten Konstellationen die bedeutsamsten sind. Letztlich bezeichnet Lutz den Datenzugriff nach materiellem Recht angesichts der beweisrechtlichen Herausforderungen des automatisierten Fahrens als kaum befriedigend (S. 173). Untersucht werden in der Arbeit Informationsansprüche nach § 34 Abs. 1 BDSG und Mitwirkungsansprüche gem. § 809 BGB. Kurz erwähnt werden auch Vorlageansprüche aus § 810 BGB, Besichtigungsansprüche und der allgemeine Auskunftsanspruch. Da es sich um eine strafrechtlich ausgerichtete Dissertation handelt, ist dieses minimalistische Kapitel sicherlich gut vertretbar. Allerdings zeigt sich, dass auch eine zivilrechtliche, differenzierte Grundlegung des automatisierten Fahrens dringend Not tut.

Verdienstvoll ist insofern auch die Aufarbeitung der speziellen Möglichkeiten des Datenzugriffs im Rahmen des Zivilprozesses in Kapitel 7 auf immerhin knapp 50 Seiten. Resümierend stellt Lutz fest, dass Informationen problemlos mittels Sachverständigenbeweises in den Prozess eingeführt werden können, sofern der Hersteller die Datenschnittstellen offenlegt. Genau das ist aber teilweise das Problem. Denn sind die Daten nicht frei zugänglich, so ist der Hersteller bei ausschließlich lokaler Speicherung im Fahrzeug nicht unmittelbar zur Mitwirkung an der Datenauslesung oder –auswertung verpflichtet.  Anders sieht die Rechtslage allerdings aus, wenn der Hersteller die Fahrzeugdaten zentral auf einem eigenen Server ablegt. Insofern sollte in einer weiteren zivilrechtlich ausgerichteten Monografie überprüft werden, inwieweit man de lege ferenda die Rechtslage vereinheitlichen und Unstimmigkeiten beseitigen kann. Schließlich kann es nicht vom Speicherort abhängen, ob ein Beweis geführt werden kann und darf oder nicht.

Kapitel 8 beschäftigt sich mit dem Datenzugriff im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht. Hier stellt der Autor zunächst die Unterschiede zwischen dem parteibetriebenen Zivilprozess und dem strafrechtlichen Amtsermittlungsgrundsatz gegenüber (S. 225), um so auf die unterschiedliche rechtliche Bewertung einzustimmen. Im Straf- und Ordnungwidrigkeitenverfahren bestünden weitreichende Möglichkeiten  des  Datenzugriffs. So  könnten  Fahrzeugdaten beschlagnahmt und sichergestellt werden, der erforderliche Anfangsverdacht sei bei einem Unfall regelmäßig gegeben. Auch wenn Lutz Ausführungen zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz macht (S. 236 ff.), so ist er hier doch recht großzügig, was den Datenabgriff betrifft, es hätte sich meines Erachtens an dieser Stelle eine dezidiertere Auseinandersetzung mit der durchaus differenzierenden Literatur angeboten. Auch beim Hersteller lässt Lutz Durchsuchungen und Beschlagnahmen großzügig zu, hält hier aber zumindest einschränkend für erforderlich, dass wenigstens wegen einer Ordnungswidrigkeit verfolgt wird, bei deren Nachweis dem Betroffenen ein Fahrverbot droht. Das kann man auch anders sehen. Neben der zu erwartenden Sanktion spielt daneben auch – der gänzlich unberücksichtigte Punkt – eine Rolle, ob nicht gegebenenfalls durch weniger einschneidende Maßnahmen eine Unfallrekonstruktion möglich ist, z.B. durch äußere Spuren und Zeugenaussagen.

Im vorletzten Kapitel geht der Verfasser der Frage nach, ob es neben dem freiwilligen Einsatz von Datenspeichern bei hochautomatisierten Fahrzeugen auch gesetzliche Einbaupflichten geben könnte. Die Beantwortung dieser durchaus zukunftsweisenden und praxisrelevanten Fragestellung wird leider auf „einen knappen Überblick“ (S. 243) beschränkt. Das Ergebnis ist allerdings recht eindeutig. Das Fehlen einer positiven Regelung berechtigt die Mitgliedsstaaten der EU nicht zur Aufstellung eigener Anforderungen, zumal der EuGH die Befugnisse der Mitgliedstaaten beschränkt hat. Aufgrund des zwingenden und abschließenden Charakters der Richtlinie 2007/46/EG sei es den Mitgliedstaaten verwehrt, die Zulassung eines Neufahrzeuges von der Ausrüstung mit Datenspeichergeräten abhängig zu machen (S. 249). Insoweit ist der Schlussapell des Autors konsequent, hier nicht nur den Fahrzeughersteller, sondern auch den Gesetzgeber aufzufordern, zeitgleich mit den automatisierten Fahrzeugen auch einen Fahrzeugdatenspeicher einzuführen (S. 251). Dies kann nichts anderes bedeuten, als neben der freiwilligen Verpflichtung der Fahrzeughersteller auch für die verpflichtende Einführung der Datenspeicher eine (europa)rechtliche Regelung zu schaffen.

Die Dissertation von Lutz ist lesenswert und bildet eine gute Basis, um sich den Rechtsproblemen rund um die Datenspeicherung in automatisierten Fahrzeugen zu nähern. Der interessierte Leser wird zudem zahlreiche Anregungen finden, die Stoff für die weitere wissenschaftliche Auseinandersetzung bieten. So könnte man z.B. de lege ferenda entwickeln, welche europa(rechtlichen) Voraussetzungen erfüllt sein müssten, um eine verpflichtende Datenspeicherung einzuführen. Vielleicht sollte man aber vorher überlegen, ob man das überhaupt möchte.

 

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