von LOStA Folker Bittmann
Abstract
Crime doesn’t pay – Verbrechen darf sich nicht lohnen. Weil es nach bisheriger Rechtslage so schwierig ist, diesen ebenso einfachen wie einsichtigen Grundsatz im praktischen Strafverfahren durchzusetzen, legte das BMJV am 8.3.2016 einen Referentenentwurf zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vor. Bereits gut 4 Monate später, am 13.7.2016, beschloss das Bundeskabinett den nunmehr vorliegenden Regierungsentwurf. Sah es im optimistischen Frühling so aus, als solle die Vermögensabschöpfung zur 3. Spur des Strafrechts ausgebaut werden, so zeigt sich nun die die Freude an der Bewegung dämpfende Wirkung der Wärme des (wenngleich zeitweise verregneten) Sommers: Sollte das Ziel unverändert sein, so kann einer Novelle auf der Basis des Reg-E nur die Bedeutung eines Zwischenschritts auf dem Weg dorthin zukommen. Einige der ursprünglich tief in die Strukturen eingreifenden Änderungen sind der Fortentwicklung von Regelungen des bisherigen Rechts gewichen. Trotzdem enthält der Reg-E wichtige, wenngleich eher punktuelle Verbesserungen, überlässt die Antwort auf manche für die Justizpraxis wichtige Frage aber weiterhin den Gerichten und scheute vor der Übernahme, die Effizienz weiter steigernder Vorschläge zurück. Übersichten über den Referentenentwurf finden sich bei Bittmann, NZWiSt 2016, 131; ders., ZinsO 2016, 873; Bund Deutscher Rechtspfleger, ZinsO 2016, 1512; Frind, NZI 2016, 674; Köllner/Cyrus/Mück, NZI 2016, 329; Müller-Sartori, WiJ 2016, 87; Rönnau/Begemeier, NZWiSt 2016, 260 (m.w.N. in Fn. 5) und WisteV, WiJ 2016, 175, s.a. den Einwurf von Dierlamm, StV 2016, Heft 8, I. Nachfolgend wird der Fokus auf einige Strukturfragen und auf Änderungen im Regierungsentwurf gerichtet.
Crime doesn’t pay – because it is so difficult to establish this simple as evident principle in the criminal process regarding the current legal situation, the Federal Ministry of Justice of Germany presented a draft bill for the reformation of the disgorgement rules. Already about 4 months later, on July 13th 2016, the German Federal Cabinet concluded the now existing draft bill. While in an optimistic spring it seemed like the disgorgement rules would be expanded to the third track of criminal law, now the warmth of the (temporarily rainy) summer shows it’s exercise lessening impact: if the aim is still unchanged, the draft bill can only be seen as an interim stage. Some of the modifications that were initially deeply interfering in the regulations, gave way to the development of the already existing law. Nevertheless, the draft bill contains important, though selective improvements, leaves the answer to questions important to the justice praxis to the courts and shied away from the receipt of efficiency enhancing propositions. Overviews of the draft bill can be found at Bittmann, NZWiSt 2016, 131; ders., ZinsO 2016, 873; Bund Deutscher Rechtspfleger, ZinsO 2016, 1512; Frind, NZI 2016, 674; Köllner/Cyrus/Mück, NZI 2016, 329; Müller-Sartori, WiJ 2016, 87; Rönnau/Begemeier, NZWiSt 2016, 260 (m.w.N. in Fn. 5) und WisteV, WiJ 2016, 175, s.a. den Einwurf von Dierlamm, StV 2016, Heft 8, I. The following article will focus on some questions of structure and modifications in the draft bill.
I. Grundzüge des geltenden Rechts
1. Materielles Recht
Das geltende StGB differenziert zwischen Verfall und Einziehung. Letztere bereitet durchaus, aber nur wenige in der Praxis vorkommende Probleme: Gegenstände, die zum Begehen einer vorsätzlichen Tat dienten oder aus ihr hervorgebracht wurden, §§ 74 ff. StGB, lassen sich meist sinnlich erkennen, sicherstellen und einziehen. Vergleichbares gilt für Beziehungsgegenstände. Das sind solche, die zwar von der Tat unberührt blieben, auf die sich aber (wie z.B. auf Zigaretten bei Schmuggel oder Steuerhehlerei) die Tat bezog. Sie können nur nach Spezialvorschriften eingezogen werden. Praxisrelevanter und meist heftig umstritten ist die Entscheidung über den Verfall des aus der oder für die Tat Erlangten, §§ 73 ff. StGB. Die Rechtslage ist wenig übersichtlich geregelt. § 73 Abs. 1 S. 2 StGB bestimmt nämlich, dass der Verfall ausscheidet, soweit dem Verletzten Ansprüche aus der Tat erwachsen sind: Seine finanzielle Entschädigung soll nicht durch staatliche Abschöpfung erschwert oder gar verhindert werden. Weil aber zahlreiche Opfer von Vermögensstraftaten aus den unterschiedlichsten Gründen (Straftäter sind nur selten dankbare Prozessgegner; Kosten und sonstiger Aufwand der Rechtsverfolgung bei unsicherer Aussicht; aber vielleicht auch nicht immer durchweg sauberer eigener „Weste“) auf die Verfolgung ihrer Ansprüche gegen den Täter verzichten, blieb diesen vielfach ihr Ergaunertes erhalten. Vor ca. 10 Jahren schuf der Gesetzgeber daher die Möglichkeit des in § 111i Abs. 2-7 StPO hürdenreich geregelten „bedingten Verfalls“: Der Vorrang des Verletzten bleibt damit zwar erhalten. Setzt er seine Ansprüche aber nicht durch, so erwirbt der Staat 3 Jahre nach Rechtskraft des Urteils das vom Täter (oder einem Dritten) Erlangte. Wird jemand wegen einer schweren Tat nach einer Vorschrift bestraft, die auf § 73d StGB verweist, so unterliegen Gegenstände im Zugriffsbereich des Täters dem (erweiterten) Verfall, wenn sie aus anderen Straftaten stammen, ohne dass die konkrete Herkunftstat festgestellt werden müsste.
Der Umfang der Abschöpfung wird nach dem Bruttoprinzip bestimmt. Aufwendungen für die Tat werden deshalb nicht abgezogen. Allerdings ist für einige Konstellationen umstritten, was „erlangt“ wurde.[1] Ist bei einem durch Bestechung erhaltenen Auftrag der Vertrag als solcher erlangt? Dann wären Leistung und Gegenleistung zu saldieren. Oder ist rechtlich nur, wirtschaftlich aber schmerzhaft, der Anspruch auf den kompletten Werklohn erlangt? Was kann abgeschöpft werden bei ungenehmigter Ausfuhr? Der gesamte Anspruch gegen den Vertragspartner, wenn das Geschäft als solches verboten war, hingegen nur die ersparten Kosten des Genehmigungsverfahrens, hätte die Ausfuhr gestattet werden müssen. Was aber gilt bei Ermessensentscheidungen? Wie verhält es sich bei Überladungen, Verstößen gegen die Lenkzeitverordnung, das Sonntagsfahrverbot und bei Geschwindigkeitsüberschreitungen? Nobody knows.
2. Vorläufige strafprozessuale Sicherung
Um im Fall einer Verurteilung die Einziehung oder den Verfall des Erlangten bzw. den jeweiligen Wert tatsächlich durchsetzen, d.h. vollstrecken zu können, kann die Staatsanwaltschaft die betroffenen Gegenstände bereits im Ermittlungsverfahren beschlagnahmen, §§ 111b und c StPO, oder deren Geldwert im Wege der Vollziehung eines erwirkten dinglichen Arrests sichern, §§ 111b und d StPO. Das gilt zugunsten der Verletzten auch dann, wenn der Verfall nach § 73 Abs. 1 S. 2 StGB ausgeschlossen ist, § 111b Abs. 5 StPO. Verletzte können (nur) auf dem Zivilrechtsweg einen Titel gegen den Beschuldigten erwirken, dessen Vollstreckung allerdings gem. §§ 111g und h StPO zu einer Verwertungsmöglichkeit im Rang des staatlichen Sicherungsrechts und damit vor etwaigen anderen Gläubigern führt, die nach dem strafprozessualen Zugriff in den Gegenstand vollstreckten.
Das funktioniert aber nur in den Fällen recht zufriedenstellend, in denen der Beschuldigte über ausreichend Geld verfügt und dieses (oder ein werthaltiger Gegenstand) sichergestellt zu werden vermochte. Bei Internetbetrügereien gibt es zwar Opfer in zuweilen vierstelliger Anzahl, aber meist lässt sich nur noch ein kleiner Teil des ihnen entzogenen Geldes auffinden. Dann müssen sich 1.000 Verletzte mit einem Schaden von je 100 €, insgesamt also von 100.000 €, um z.B. 10.000 € arretiertes Bankguthaben streiten. Die ersten Hundert haben vollen Erfolg, die restlichen 900 gehen komplett leer aus. Wer aber weiß im Vorhinein, ob er zu den 100 oder zu den 900 gehört? Und das für bestenfalls 100 €, aber garantiert viel Aufwand, meist Ärger? Anders sieht es aus, wenn einer der Verletzten Insolvenzantrag stellt. Im Insolvenzverfahren werden alle Gläubiger gleich behandelt, theoretisch also bekäme jeder Verletzte 10 € (praktisch allerdings weniger, weil die Verfahrenskosten zuvor abgezogen werden und regelmäßig auch noch andere Gläubiger zu berücksichtigen sind, allerdings auch noch weitere Vermögensgegenstände zur Verteilung anstehen können).
Bei einer Aussicht auf eine derart niedrige Quote verzichten viele Geschädigte (verständlicherweise) darauf, ihre Ansprüche zu verfolgen.[2] Das freut die übrigen Gläubiger die plötzlich und unerwartet aufgrund der ertrogenen Gelder im Insolvenzverfahren mit vollständiger Befriedigung rechnen können. Und was wird mit dem Vermögen, das in solchen Fällen übrigbleibt?
Die Antwort ist heftig umstritten. OLG Hamm,[3] OLG Frankfurt[4] und das KG[5] befürworten den Fortbestand der strafprozessualen Sicherung trotz Insolvenzeröffnung. Dann bleibt das Geld beim Justizfiskus, soweit Verletzte nicht darauf zugreifen. Diesen wie sonstigen Gläubigern steht es im Insolvenzverfahren als Vollstreckungsmasse nicht zur Verfügung. Das ist mit dem insolvenzrechtlichen Gleichberechtigungsgrundsatz unvereinbar.[6] Deswegen halten OLG Nürnberg[7] und wohl auch OLG Karlsruhe[8] die Freigabe zugunsten des Insolvenzverfahrens für geboten. Zutreffend daran ist, dass der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung den Vorrang des Insolvenzverfahrens bedingt. Das zwingt aber keineswegs zu völliger Aufgabe der strafprozessualen Sicherungen. Den aufeinandertreffenden Interessen wird es am besten gerecht, wenn das strafprozessuale Sicherungsrecht lediglich in den Rang hinter den Insolvenzbeschlag zurücktritt, aber als solches fortbesteht und seine Kraft dort entfalten kann, wo es das Insolvenzverfahren nicht berührt, z.B. nach dessen Abschluss.[9]
II. Reformideen
1. Materielles Recht
Im materiellen Recht sollen die Institute der Einziehung und des Verfalls zu einem einheitlichen Instrument der Einziehung von Taterträgen zusammengefasst werden, § 73 StGB-E. Es soll umfassend gelten, so dass sich Verletzte (nur) aus dem befriedigen können, was der Staat eingezogen hat. Das Bruttoprinzip wird auf zwei Schritte aufgeteilt: Von all dem, was erlangt wurde, § 73 Abs. 1 StGB-E, sind alle Aufwendungen abziehbar, soweit sie nicht der Planung und Durchführung der Tat dienten, § 73d Abs. 1 StGB-E. Der erweiterte Verfall wird als erweiterte Einziehung von Taterträgen, § 73a StGB-E, auf sämtliche Taten ausgedehnt.[10] Erträge aus Organisierter Kriminalität und Terrorismus sollen zukünftig zwar nicht ohne Nachweis einer Straftat, wohl aber ohne Verurteilung einer natürlichen Person eingezogen werden können, § 76a Abs. 4 StGB-E.[11]
2. Strafprozessrecht
Strafprozessual soll die Beschlagnahme insolvenzfest werden, § 111d Abs. 1 StPO-E. An die Stelle des zivilistisch geprägten dinglichen Arrests tritt der eigenständige Vermögensarrest, §§ 111e – i StPO-E. Das Ergreifen dieser Sicherungsmaßnahmen steht nur noch beim Fehlen dringender Gründe, die für die Abschöpfung sprechen, im Ermessen der Staatsanwaltschaft, andernfalls sollen sie angeordnet werden, § 111b Abs. 1 StPO-E. Im Mangelfall, in dem das Gesicherte wertmäßig hinter den Ansprüchen der Verletzten zurückbleibt, darf[12] die Staatsanwaltschaft für diese den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Beschuldigten stellen, §§ 111i Abs. 2; auch i.V.m. 459h Abs. 2 S. 2 StPO-E.
3. Vorschau
Diese Grundlinien ergeben ein durchaus stimmiges Ganzes. Dessen Praktikabilität hängt aber von der Ausgestaltung insgesamt, d.h. der stimmigen Festlegung auch der Details und vor allem der Passgenauigkeit der Schnittstellen zwischen den verschiedenen Rechtsgebieten ab. In letztgenannter Hinsicht hat der Reg-E an manchen Stellen sachgerecht nachjustiert.[13] Aufgrund des Gebots, eine EU-Richtlinie noch in diesem Jahr in nationales Recht zu überführen, und wegen des bereits aufscheinenden Endes der Legislaturperiode, besteht ein erheblicher Zeitdruck. Es fehlt daher die wünschenswerte Ruhe, um auch noch weitere Teile zu optimieren und die strafprozessuale Vermögensabschöpfung sowohl in materieller wie in verfahrensrechtlicher Hinsicht in einer, was durchaus möglich wäre, für die Praxis deutlich leichter zu handhabenden Weise zu regeln.
III. Zu einzelnen Aspekten
1. Einheitliche Einziehung
Die Zusammenfassung von Verfall und Einziehung zu einem einheitlichen Instrument ist in erster Linie dem Bestreben nach besserem internationalen Verständnis geschuldet. Zumeist kennen andere Rechtsordnungen nur ein Abschöpfungsinstrument. Aufgrund der terminologischen Nähe, Confiscation, zur Einziehung stößt der Verfall dort auf Unverständnis und verfällt demnach im neuen Recht.
2. Bruttoprinzip
a) Maßgebliche Zeitphase
Die Begründung nennt die Neuregelung des Bruttoprinzips dessen Stärkung.[14] Das ist jedenfalls insoweit zutreffend, als klargestellt wird, dass im ersten Schritt jegliche Saldierung ausscheidet, § 73 Abs. 1 StGB-E. Damit wird in Zukunft nicht der Vertrag als solcher, d.h. Saldierung von Leistung und Gegenleistung, Ausgangspunkt der Berechnung sein können. Stattdessen wird allein der Zufluss an den Täter (oder Dritten) maßgeblich sein. Worin aber besteht er? Das Gesetz verwendet den Terminus „durch“. Die Begründung erläutert dazu, damit sei die Annahme einer Beschränkung auf unmittelbar Zufließendes unvereinbar. Vielmehr sei allein die Kausalität entscheidend.[15] Was so klar wie überzeugend klingt, wird jedoch von der weiteren Begründung selbst wieder in Frage gestellt. Entscheidend sei, was in irgendeiner Phase des Tatablaufs zufließe.[16] Man wird dieser Formulierung entnehmen können, dass nicht allein dasjenige abgeschöpft werden können soll, was durch die Tathandlung in das Vermögen des Täters gelangt. Es genügt demnach der Erwerb jedenfalls bis zur Tatvollendung.
Da diese aber sehr von der Ausgestaltung der Strafnorm abhängt und deshalb nicht in der Lage ist, das nach einem frühen Vollendungszeitpunkt (wie z.B. beim Betrug) Zufließende, welches gleichwohl mit dem Odium des Kriminellen behaftet sein kann, zu erfassen, wird man nicht umhin kommen, den Erwerb auch in der Phase nach Vollendung als bemakelt und damit abschöpfbar anzusehen. Die Zeit bis zur Tatbeendigung ist deshalb eingeschlossen. Was aber ist danach? Kommt es wie gemäß Begründung auf eine Phase der Tat an, so scheidet damit alles nach Beendigung Zufließende aus. Damit wären zumindest solche Vermögensmehrungen nicht abschöpfbar, die der Täter aus dem Vermögen Dritter erthält. Die Lizenz, lukrative Weihnachtsmärkte betreiben zu dürfen, ist vielfach umkämpft. Erfolgt der Zuschlag bestechungsbedingt, so ist die Tat mit Erteilung der Lizenz und Zahlung des Schmiergeldes beendet. Dieses aufzubringen belastet den Betreiber aber zunächst einmal mit einem Aufwand. Seinen Gewinn macht er durch Vergabe der Standplätze an die einzelnen Gewerbetreibenden. Regelmäßig realisiert er ihn erst Monate nach Beendigung der Bestechung, d.h. Zahlung von Schmiergeld und Erhalt der Lizenz, also nicht während irgendeiner Phase der Tat, wohl aber aufgrund und damit „durch“ die Tat. Es widerspräche den Zielen der Novelle, die eingenommenen Standgebühren nicht abschöpfen zu können.
b) Abschöpfungsrechtlicher Tatbegriff
Die Unklarheiten über das Verständnis der Tat setzen sich im 2. Schritt fort. Gemäß § 73d Abs. 1 StGB-E sind Aufwendungen für die Tat nicht abzugsfähig. Erneut lautet die Frage: Was ist die Tat? Es gibt den materiellen Tatbegriff = Verwirklichung des Tatbestands eines Strafgesetzes, den prozessualen Tatbegriff = das historische Gesamtgeschehen, und den weiten rückgewinnungshilferechtlichen Tatbegriff des noch geltenden Rechts[17] = das Vorhandensein eines nicht strafprozessualen Ersatzanspruchs. Kommt es auf einen von diesen oder auf einen ganz anderen, ggf. abweichenden Begriff der Tat an? Die Suche nach einer sachgerechten Antwort ist nicht allein von theoretischem Interesse, sondern ihr Ergebnis hat gravierende Auswirkungen: Je weiter der Begriffsinhalt verstanden wird, desto weniger kann vom im ersten Schritt Erlangten abgezogen werden, desto umfangreicher fällt demnach die Abschöpfungsmöglichkeit aus, desto höher ist also der abzuschöpfende Betrag. Umgekehrt fällt er aufgrund umfassenderen Abzugs umso niedriger aus, je enger das maßgebliche Verständnis ausfällt.
c) Orientierung am Rechtsgut
Die Begründung des Entwurfs hält sich hier bedeckt. Die höchstrichterliche Rechtsprechung ist jedenfalls nicht gefestigt. Allerdings wird in der Literatur eine relativ umfängliche Diskussion geführt.[18] Sie knüpft an die Kontroverse zwischen dem 1. Strafsenat des BGH und dessen 3. und 5. Strafsenat über das zutreffende Verständnis des Erlangten an und rankt sich um die Frage, ob eine Konzentration auf solche Zuflüsse geboten ist, welche direkt auf das verletzte Rechtsgut zurückzuführen sind. Fiskalische Interessen, die Erhöhung des Risikos für den Rechtsverletzter, nicht zuletzt auch die erleichterte Handhabung sprechen klar für ein weites Verständnis und damit geringe Abzüge = hohe Abschöpfungssummen. Indes: es handelt sich dabei nicht um spezifisch strafrechtliche Gesichtspunkte! Die Ahndung der Straftat erfolgt mittels Festsetzung der Strafe. Fiskalische und Gesichtspunkte der Praktikabilität sind bedeutsam, aber strafrechtlich nur Nebenaspekte. Abschöpfungsrechtlich geht es und kann es auch nur gehen um die Entziehung dessen, was ein Täter (oder ein Dritter) unter Verwirklichung eines Straftatbestands (oder einer Bestimmung des Rechts der Ordnungswidrigkeiten) erlangt hat. Den Bezugspunkt dafür bieten die materiell-rechtlichen Tatbestände. Es ist jedoch noch eine weitere Zuspitzung erforderlich. Ziel repressionsauslösender Tatbestände ist der Schutz eines wie auch immer definierten Rechtsguts. Das Verbotensein folgt gerade aus der Verletzung eben des vom verwirklichten Strafgesetzes geschützten Rechtsguts. Demnach kann es nicht darauf ankommen, ob ein Tatbestand in toto erfüllt und deswegen eine Bestrafung aus vollendeter Norm möglich ist. Entscheidend ist vielmehr, ob das jeweilige Rechtsgut verletzt ist und deswegen dem Täter etwas zufloss. Das kann, wie es auch vom BGH unter heftiger Kritik von Teilen des Schrifttums zum geltenden Recht entschieden wurde, auch bei einer nur versuchten Tat der Fall sein.[19]
Ob sich diese Rechtsgutsorientierung in allen Facetten mit dem materiellen Tatbegriff deckt, mag offenbleiben. Sie lehnt sich jedenfalls stark an ihn an. Nur dieses Verständnis erlaubt die Restitution des auf verbotene Weise Erlangten, wahrt die Parallele zu den Vorschriften über den zivilrechtlichen Ausgleich ungerechtfertigter Bereicherungen, §§ 812 ff. BGB, und erfasst alles verwirklichte Unrecht, welches repressive Gesetze vermeiden wollen, verhindert aber Exzesse wie sie bei der Komplettabschöpfung auch der legalen Anteile eines gemischt rechtmäßigen und rechtswidrigen Gesamtgeschehens unvermeidlich sind. Verboten ist nicht der Bau einer Müllverbrennungsanlage, verboten ist nicht die nur aus Gründen der Rechtskontrolle allgemein genehmigungspflichtige Ausfuhr, verboten ist nicht der Transport, sondern verboten ist die Bestechung, das sich-Ersparen eines Ausfuhrantrags, die Überladung, das Führen eines LKW am Sonntag und das Überschreiten zulässiger Geschwindigkeit. Wie anders als unter Orientierung am verletzten Rechtsgut soll das absurde Ergebnis verhindert werden, das gesamte Entgelt von vielleicht 100.000 € für den Transport eines Kühlaggregats von Flensburg nach Garmisch-Partenkirchen abschöpfen zu wollen, nur weil der Fahrer des LKW auf der A 9 eine überraschende, nur 500 m währende Geschwindigkeitsbegrenzung auf 60 km/h wegen einer Querrinne nicht eingehalten hat und bei Tempo 70 geblitzt wurde? Unverhältnismäßig, ja klar. Aber dabei handelt es sich um einen lediglich vergleichenden Maßstab. Der Grundsatz ist relativer, nicht inhaltlicher Natur, enthält also nicht selbst die ausschlaggebenden Umstände. Demnach vermag er nicht an die Stelle der materiellen Orientierung am Rechtsgut zu treten. Die Neuregelung, zumindest deren Begründung, hätte der Praxis zahlreiche weiter zu erwartende Streitigkeiten erspart, wäre darin auch nur eine Andeutung in diese Richtung zu finden.
3. Erweiterte Einziehung
Bislang ist der erweiterte Verfall nur für Delikte zulässig, die auf § 73d StGB verweisen und wenn die Umstände die Annahme rechtfertigen, der Täter oder Teilnehmer habe einen für sich reklamierten Gegenstand (Sache oder Recht) aus einer anderen oder für eine andere rechtswidrige (nicht notwendig: Katalog-)Tat erlangt. Demgegenüber ist § 73a Abs. 1 StGB-E deutlich verschlankt: zukünftig soll genügen, dass ein Gegenstand des Täters oder Teilnehmers aus einer anderen als der verfahrensgegenständlichen Tat stammt oder für sie gewährt wurde. Der Bezug auf Täter oder Teilnehmer ist nicht neu. Auf das Eigentum kann es dabei nicht ankommen, es genügt behauptetes Eigentum oder Besitz. Das Entfallen des Verweises auf die Umstände erklärt sich aus der Rechtsprechung des BVerfG.[20] Es verlangt die volle richterliche Überzeugung von der deliktischen Herkunft. Die vom Gericht gebrauchten Formulierungen wollte der Ref-E noch in das Gesetz übernehmen. Da sich die volle Überzeugung aber sowieso auf das Vorliegen aller gesetzlichen Merkmale erstrecken muss, braucht dies nicht gesondert hervorgehoben zu werden. Eine inhaltliche Änderung ist damit nicht verbunden.
Gleichwohl werden sich neue Anwendungsprobleme ergeben.[21] Die Überzeugung deliktischer Herkunft mag bei Gegenständen im Lagerschuppen einer Bande leicht gewonnen werden können, selbst wenn z.B. neuwertige Elektronik nicht mehr verpackt ist. Ob aber das im Badezimmer befindliche Haargel eines Ladendiebs gestohlen oder redlich erworben wurde, lässt sich auch bei einem Armen nicht allein aus dem bestehenden Geldmangel schlussfolgern. Das folgt nicht nur aus der uneingeschränkt weitergeltenden Eigentumsvermutung gem. § 1006 BGB, sondern auch aus strafprozessualen Grund-sätzen: Ohne ernsthafte gegenteilige Anhaltspunkte fehlt es bereits an einem Anlass, am rechtmäßigen Besitz zu zweifeln, so dass die Berechtigung des Besitzers, also dessen Eigentum, gar nicht erst in Zweifel gezogen und überprüft werden darf. Es ist also auch in Zukunft nicht zulässig, bei einer Durchsuchung alles zusammenzupacken und mitzunehmen, um die Berechtigung des Wohnungsinhabers nachzuprüfen, ggf. monatelang und bei z.B. Erbstücken ohne erwartbares Ergebnis.
Die mit erleichterter Handhabung gegenüber dem bisherigen Recht korrelierende Verschärfung besteht darin, dass Zweifel an der z.B. Bandenmäßigkeit des ursprünglichen Diebstahls, die gem. § 244 Abs. 4 StGB allein den erweiterten Verfall erlaubt, de lege ferenda die erweiterte Einziehung nicht mehr hindern wird.
4. Gesetzliche Regelung der Verschiebungsfälle
a) Grundzüge
Der BGH subsumierte die Fälle, in denen ein Täter oder Teilnehmer das aus der oder für die Tat Erlangte auf jemand Drittes transferierte, unter § 73 Abs. 3 StGB. Es wurden aber Zweifel daran laut, ob diese Auslegung mit dem Wortlaut vereinbar ist, weil die Rechtsprechung nicht darauf abstellt, ob der Täter bereits bei Tatbegehung für den Drittempfänger handelte, so, wie es z.B. beim für die GmbH tätig werdenden Geschäftsführer der Fall ist.[22] Diesen Einwänden soll mit der Neuregelung der Boden entzogen werden. Nunmehr ist ein eigenständiger § 73b mit 3 Absätzen vorgesehen. Der Reg-E brachte gegenüber dem Ref-E noch einmal wesentliche Veränderungen mit sich. Nunmehr ist nicht mehr vorgesehen, dass der Dritte das Erlangte vom Täter oder Teilnehmer erlangt haben muss – ein Erfordernis, das nur schwer zu beweisen gewesen wäre. Demnach ist die jetzt vorgesehene Fassung praxisfreundlicher.
b) Anwendungshürden
aa) Übertragung
Diese Erleichterung wird jedoch vom nunmehr vorgesehenen § 73b Abs. 1 S. 2 StGB-E wesentlich eingeschränkt. Die Drittabschöpfung scheidet danach aus, wenn das Erlangte zuvor mit Rechtsgrund auf einen gutgläubigen Dritten übertragen worden war. Das Ziel, der Schutz des Geschäftsverkehrs und der Gutgläubigkeit der Inhaber berechtigter Ansprüche, ist verständlich und sachgerecht. Gleichwohl: die rigide Ausnahmslosigkeit verwundert.
Überwindbare Probleme bereitet die Formulierung: Übertragen werden kann auch der bloße Besitz. Da aber die Einziehung auf das Eigentum abstellt, § 75 Abs. 1 StGB-E, kann auch für die zwischenzeitliche Übertragung nur das Eigentum gemeint sein. Angesichts der Formulierung bedarf es allerdings nicht der Prüfung, ob der Erwerbsvorgang zivilrechtlich in jeglicher Hinsicht rechtswirksam erfolgt war. Keine wirkliche Hürde stellen auch die Fälle betrügerischen Erwerbs dar: wer auf diese Weise Eigentum erworben hat, war nicht gutgläubig in Bezug auf die Herkunft des Gegenstands.
bb) Erfüllungsfälle
Aufmerksamkeit verlangen jedoch die Erfüllungsfälle. Nach bisherigem Recht ist die Abschöpfung bei Vertretung und nach Verschiebung, nicht aber in Erfüllung einer bestehenden Verbindlichkeit möglich. Letzteres scheint sich zukünftig zu ändern.[23] Einschlägig sind § 73b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 lit. b und S. 2 StGB-E. Während § 73b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 lit. a StGB-E den unentgeltlichen Erwerb und solchen ohne Rechtsgrund erfasst, betrifft lit. b die Übertragung mit Rechtsgrund. Sie ist aber zukünftig nur einziehungsfest, wenn der Empfänger die deliktische Herkunft weder kannte noch sie hätte erkennen müssen (einfach fahrlässige Unkenntnis dürfte nicht schaden, wohl aber die unterhalb grober Fahrlässigkeit angesiedelte Leichtfertigkeit). Trotz Rechtsgrunds = Erfüllungsfall wird dem Empfänger der ihm von Rechts wegen gebührende Wert also wieder weggenommen, wenn er in ein erkennbar kriminelles Kleid gehüllt übertragen wurde. Das Eigentum (im verfassungsrechtlichen Sinne) wird dem Empfänger also entgegen bisheriger Rechtslage wieder entzogen, selbst wenn er den Makel nur hätte erkennen müssen. War das nicht der Fall, so scheidet die Einziehung allerdings ein für allemal aus (solange keine neue Straftat mit oder an diesem Gegenstand begangen wird). Das bestimmt § 73b Abs. 1 S. 2 StGB-E.
cc) Einfallstor für Umgehungsstrategien
Der im Hinblick auf die kriminelle Herkunft gutgläubige Zweitempfänger erwirbt das Eigentum von einem gutgläubigen Erwerber des Erlangten ausnahmslos, also selbst dann, wenn er nichts dafür bezahlt hat oder es keinen Rechtsgrund für die Übertragung gab, § 73b Abs. 1 S. 2 StGB-E, der Ersterwerber sogar schon dann, wenn er nur einen Anspruch gegen den Übertragenden hatte, den dieser unerkannt mit aus Straftaten stammenden Werten erfüllte, § 73b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 lit. b StGB-E, und zwar selbst dann, wenn er den Empfänger für sein kriminelles Gebaren, z.B zwecks Geldwäsche, einspannte, d.h. missbrauchte. Das eröffnet kriminelle Phantasie.
73b Abs. 1 S. 2 StGB-E bietet dafür z.B. folgende „Spielwiese“: Der gutgläubige Zwischenerwerb steht der Einziehung auch dann strikt entgegen, wenn der Gegenstand oder dessen Wert nachfolgend auf den Täter (zurück- oder weiter) übertragen wird: Was also liegt näher, als gegen eine kleine Provision einen unwissenden (schein-)legalen An- und Verkäufer als verlässliche Versicherung gegen staatliche Abschöpfung zwischen Tat und Genuss des Erlangten zwischenzuschalten? Selbst dies ist noch nicht einmal wirklich erforderlich. Aufgrund der strafprozessualen Nachweislast der Justiz genügt es, dass ein legaler Zwischenerwerb nicht sicher ausgeschlossen werden kann – schon scheitert die Abschöpfung! Der mit einem von einem Händler ergaunerten Luxusauto Angetroffene braucht bloß zu behaupten, den Wagen in der Werkstatt X gekauft zu haben, welche erklärt, nur Kommissionsgeschäfte zu machen und die Angaben über die Person des Kunden nicht zu notieren: keine Abschöpfung. Bargeldloser Erhalt oder Transfer über z.B. Western Union sind nicht per se verdächtig. Derart phantasievolle Schutzbehauptungen lassen sich häufig nicht oder nur mit erheblichem, in der Praxis nicht zu rechtfertigendem Aufwand widerlegen.
Verkehrsschutz und Vorkehrungen gegen phantasievolle Verschleierung bemakelten Erwerbs ließen sich jedoch relativ leicht in ein ausgewogeneres Verhältnis bringen: Trotz Handelns innerhalb eines Strafverfahrens sind die insoweit maßgeblichen Rechtsfragen rein zivilrechtlicher Natur. Daher wäre es verfassungsrechtlich durchaus möglich, die für strafrechtliche Themen angemessene Beweislast der Justiz zu modifizieren und den Empfänger mit in die Pflicht zu nehmen. Es ist dafür noch nicht einmal nötig, die Beweislast umzukehren. Sachgerecht erscheinen hingegen abgewogene Erklärungslasten des Eigenbesitzers. Ohne Anhaltspunkte für legalen (Zwischen-)Erwerb müsste ein solcher rein abschöpfungsrechtlich nicht zugrunde gelegt werden. Es wäre dann Sache dessen, dem der aus einer Straftat stammende Gegenstand oder Wert übertragen wurde, den legalen Erwerb zumindest glaubhaft zu machen. Dabei käme es auf den Einzelfall an, welche Tatsachen unterhalb des Vollbeweises er nicht nur vortragen, sondern auch belegen müsste.
Wird die Fassung des § 73b StGB-Reg-E Gesetz und erfolgt keine Erleichterung, so dürfte die Abschöpfung in der überwiegenden Zahl der Fälle schon an der kriminellen Verschleierungsphantasie auch nur Mittelbegabter scheitern.
5. Härteklausel
a) Verschärfungen im materiellen Recht
Bislang sieht § 73c StGB vor, dass vom Verfall bei Entreicherung abgesehen werden kann, § 73c Abs. 1 S. 2 StGB. Eine zwingende Grenze normiert § 73c Abs. 1 S. 1 StGB im Fall einer andernfalls eintretenden unbilligen Härte. Unrichtige Rechtsanwendung führt zu einer steten Zahl von Aufhebungen seitens des BGH.[24] Zukünftig wird es nur noch unter erhöhten Anforderungen zulässig sein, von der zwingenden Einziehung abzusehen. Der Ref-E ließ die Unbilligkeitsgrenze unberührt, bestimmte aber einschränkend, dass die Entreicherung nur noch bei Dritten die Einziehung als unbillig erscheinen lassen könne, § 75 Abs. 1 StPO-Ref-E, und erlaubte nur das Absehen von der Vollstreckung der Einziehungsentscheidung, wenn dies die Wiedereingliederung des Verurteilten erschweren würde oder sonst unverhältnismäßig wäre, § 459g Abs. 4 StPO-Ref-E. Der Reg-E sieht nunmehr eine weitere materiell-rechtliche Verschärfung vor. Danach entfällt die Grenze der Unbilligkeit und mit ihr eine Quelle häufiger Fehler ersatzlos. Im Erkenntnisverfahren kann zukünftig nur noch ein im Hinblick auf seine Entreicherung nicht unlauter handelnder Drittempfänger auf eine gewisse Abmilderung des im Kern vollständig zurückzugewährenden Erlangten hoffen, § 73e Abs. 2 StPO-Reg-E.
b) Erweiterungen im Rahmen der Vollstreckung
Im quasi Gegenzug wird auf der Vollstreckungsebene das Entgegenkommen erweitert: Neben der Unverhältnismäßigkeit sperrt bereits jede wertmäßige Entreicherung die Vollstreckung, § 459g Abs. 4 S. 1 StPO-Reg-E. Zukünftig findet kein Ermessen mehr statt und besteht auch keine Privilegierung bestimmter Zwecke mehr. Dies erleichtert die Anwendung sehr. Eine gewisse Vergröberung der Rechtslage ist damit allerdings verbunden. Die Abschöpfung entfällt auch bei einem reichen oder jedenfalls solventen Täter, der das Erlangte verprasst hat. Das gilt jedoch nur dann, wenn er diese Art Lebensstil ausschließlich der Tat und des Erlangten wegen pflegte: wer ständig Party feiert, muss sich entgegenhalten lassen, er hätte ohne das Erlangte die Feier aus seinem sonstigen Vermögen bezahlt. Der Wert des Erlangten blieb ihm dann erhalten. Eine einmalige Feier oder eine große Sause statt einer bescheidenen Fête sperren jedoch regelmäßig die Vollstreckung. Das mag nicht als gerecht erscheinen, dürfte aber so selten vorkommen, dass die Vorteile für die Rechtsanwendung diese Pauschalierung allemal rechtfertigen – zumal ein etwaiger Werbeeffekt für einen Kaufmann ja ebenfalls Vermögenswert hat und daher abgeschöpft werden kann.
c) Nachholen der Vollstreckung
Im Fall vorgetäuschter Entreicherung oder bei nachträglichem Eintritt von Umständen, welche der Annahme eines Vollstreckungshindernisses entgegengestanden hätten, wird die Vollstreckung wiederaufgenommen, § 459g Abs. 4 S. 2 StPO-E. Das ist für Verschleierungskonstellationen unproblematisch. Sich jedoch vorzustellen, wie nachträglich die Entreicherung oder die Unverhältnismäßigkeit entfallen kann, verlangt schon viel Phantasie. Zu denken ist z.B. an die überraschende Versicherungszahlung für eine bei einem Unfall zerstörte und zuvor ergaunerte Luxuskarosse oder das Beerben des reichen, aber geizigen Verwandten, den der Betroffene unter Einsatz des Erlangten bis zu dessen Tode pflegte. Bei wortgetreuer Anwendung liegt aber im zweiten dieser beiden Fälle wohl keine nachträglich entfallene Entreicherung vor: der Gepflegte durfte sich vom Betroffenen pflegen lassen, der Einsatz des Erlangten führte zu dessen Entreicherung. Ob der Betroffene aufgrund des Erbfalls gerade den Wert des Erlangten zurückerhielt, ist faktisch höchst zweifelhaft und rechtlich eine Frage der Zurechnung. Faktisch reduziert sich der Anwendungsbereich der Wiederauflebensklausel des § 459g Abs. 4 S. 2 StPO-E im Wesentlichen auf vorgetäuschte Entreicherung. Das wäre wohl nur vermeidbar, stellte man auf die Unbilligkeit des Unterbleibens der Vollstreckung ab – und damit auf einen weichen Maßstab, den man im Interesse der Praxisfreundlichkeit in § 459g Abs. 4 S. 1 StPO-E gerade eliminiert hat. Auch hier gilt: die wenigen Fälle ungerechter Privilegierung des Betroffenen sind im Interesse der (im bisherigen Recht vermissten) Praktikabilität hinzunehmen.
6. Opportunität
a) Grundgedanken
Der Ref-E sah eine Ergänzung des § 160b StPO vor, die Erörterungen über Abschöpfungsfragen fördern sollte. Diese oder eine entsprechende Bestimmung sucht man im Reg-E vergebens. Das mag der angestrebten Stringenz des neuen Rechts geschuldet sein.[25] Angesichts der Komplexität der Abschöpfungsfragen außerhalb einfacher Sachverhalte besteht aber ein Bedürfnis, im konkreten Fall Aufwand und Ertrag einer Abschöpfungsentscheidung in ein ausgewogenes Verhältnis bringen zu können. Dem trägt der Reg-E jedoch durchaus Rechnung, sogar stärker als der Ref-E. Dieser sah in § 421 Abs. 1 StPO-Ref-E ein Absehen von der Einziehung nur unter deutlich engeren Voraussetzungen als nach geltendem Recht, § 430 StPO, vor, nämlich nur im Fall unangemessenen Aufwands. Nur für die Fälle der heutigen Einziehung, zukünftig Einziehung von Tatprodukten u.a., § 74 StGB bzw. § 74 StGB-E, war eine flexiblere Regelung vorgesehen. Diese Differenzierung gibt der Reg-E wieder auf und belässt es im Wesentlichen beim geltenden Recht, allerdings mit einem umgestalteten § 421 Abs. 1 StPO-E und der Überführung von § 73c Abs. 1 S. 2 StGB in § 421 Abs. 1 Nr. 1 StPO-E (Absehen bei geringem Wert).
b) Kein Alles oder Nichts
Inhaltlich neu daran ist ein „soweit“ in der Bestimmung über die Möglichkeit des Absehens von der Einziehung wegen unangemessenen Aufwands oder unangemessener Erschwernisse. Dieses „soweit“ ist sprachlich aber auf die Einziehung (und nicht auf das Absehen) bezogen, so dass nicht ganz klar ist, ob statt eines vollständigen Ausschlusses der Abschöpfung auch – was wünschenswert wäre – eine bloße Beschränkung der Einziehungsentscheidung in gewisser Parallele zu § 154a StPO möglich sein soll. Ein derartiges Verständnis, welches dringenden Bedürfnissen der Praxis entspricht, ist allerdings möglich, weil es dem die Vorschrift tragenden und in ihrem Wortlaut, wenn auch wenig klar, zum Ausdruck kommenden Rechtsgedanken entspricht.
7. Vorläufige strafprozessuale Sicherungsmaßnahmen, §§ 111b Abs. 1 und 111e Abs. 1 StPO-E
a) Änderungen gegenüber dem bisherigen Recht
Das geltende Recht enthält ausdifferenzierte Bestimmungen, unter denen das noch vorhandene Erlangte beschlagnahmt oder dessen Wert arretiert werden kann. Anders als nach bisherigem Recht gibt es zukünftig nicht mehr eine allgemein geltende Eingangsvorschrift. Vielmehr beziehen sich §§ 111b und 111e StPO-Reg-E nur auf Beschlagnahme bzw. Vermögensarrest – Letzteres eine neue und (weitgehend) eigenständige strafprozessuale Variante des zivilprozessualen dinglichen Arrests. Den Ref-E kennzeichnete eine radikale Abkehr von gesetzlich aufgestellten Hürden zugunsten einer vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geprägten Flexibilität. Wie der Ref-E so gibt zwar auch der Reg-E das Fristenregime des geltenden Rechts auf, differenziert aber im Gegensatz zum Ref-E in den für die Staatsanwaltschaften handlungsleitenden Eingangsvoraussetzungen. Wie bisher stehen Maßnahmen, welche die spätere Abschöpfung sichern sollen, nicht unter dem Legalitätsprinzip. Ausgangspunkt ist weiterhin eine Kann-Regelung. Neu ist hingegen, dass bei Vorliegen dringender Gründe die Beschlagnahme bzw. der Vermögensarrest angeordnet werden soll.
b) Begrenzung der Strukturprinzipien
Wie an § 421 Abs. 1 StPO-Reg-E, so zeigt sich auch an §§ 111b und e StPO-Reg-E deutlich, dass der Reg-E nicht mehr vom Ziel geprägt ist, die Vermögensabschöpfung zur 3. Säule des Straf(verfahrens)rechts auszubauen. Ob es in einem Verfahren zu abschöpfenden Maßnahmen kommt, wird weitgehend im Ermittlungsstadium (vor-)entschieden. Ohne strafprozessuale Sicherungsmaßnahmen werden in der Hauptverhandlung Abschöpfungsfragen selten thematisiert (sieht man von § 30 OWiG einmal ab, ohne dass allerdings die Unternehmensgeldbuße auch nur annähernd als Massenphänomen bezeichnet werden könnte). Ob dringender Tatverdacht besteht, interessiert nach jetzigem Recht zu Beginn eines Ermittlungsverfahrens nur in Bezug auf die eventuelle Haftfrage. § 111b Abs. 3 StPO macht das Aufrechterhalten strafprozessualer Sicherungsmaßnahmen erst nach Ablauf von 6, spätestens von 12 Monaten, vom Vorliegen dringender für die Anordnung von (bedingtem oder unbedingtem) Verfall (ggf. von Wertersatz) sprechender Gründe abhängig – dazu muss aber erst einmal eine Beschlagnahme oder ein dinglicher Arrest vollzogen worden sein. Zuvor genügen einfache Gründe, wenngleich Sicherungsmaßnahmen faktisch regelmäßig nur ergriffen werden, wenn dringende Gründe für die Abschöpfung im späteren Urteil sprechen.
Auf Basis des Ref-E wäre jeder Staatsanwalt gezwungen gewesen, das Erlangte oder dessen Wert zu beschlagnahmen bzw. zu arretieren, es sei denn, es lägen Anhaltspunkte für ein ausnahmsweises Absehen vor. Der Reg-E hingegen sucht einen Mittelweg: Grundsatz Opportunität – wie bisher; regelmäßiges Ergreifen bei dringenden Gründen – neu. Das Streben nach Ausgewogenheit erleichtert die Rechtsanwendung allerdings nicht. Nach dem Reg-E gibt es nicht eine Leitlinie, sondern derer zwei, abhängig von unterschiedlichen, von der Staatsanwaltschaft in einem Zwischenschritt zu prüfender Voraussetzungen. Da aber selbst bei objektivem Vorhandensein dringender Gründe kein Zwang besteht, Erlangtes vorläufig zu sichern, liegt es nahe, dass die von Zeitdruck und Überlastung geprägte Praxis schon deshalb kaum häufiger als nach bisherigem Recht strafprozessuale Sicherungsmaßnahmen ergreifen wird. Dies ist rechtmäßig, denn der Staatsanwaltschaft steht es nach § 421 Abs. 3 S. 1 StPO-Reg-E im Ermittlungsverfahren frei, die Verfolgung voraussetzungslos auf andere Rechtsfolgen zu beschränken. Das Erfordernis, dies aktenkundig zu machen, § 421 Abs. 3 S. 2 StPO-E, wird mittels Ankreuzformulars in der Abschlussverfügung erfüllt werden. Ein kraftvoller Impuls zu verstärkter Abschöpfung geht demnach vom Reg-E nicht mehr aus.
8. Schnittstelle vorläufige strafprozessuale Sicherung – Insolvenzrecht
a) Systemische Überlegungen
Ein Schwerpunkt der Novelle liegt in der erstmaligen gesetzlichen Regelung des Verhältnisses vorläufiger strafprozessualer Sicherungsmaßnahmen zum Insolvenzrecht. Dafür besteht ein dringendes praktisches Bedürfnis, weil nach Vermögensdelikten mit einer Mehr-, zuweilen einer Vielzahl von Geschädigten typischerweise nur ein Teil des Werts des Erlangten sichergestellt werden kann und sonstiges Vermögen nicht vorhanden, jedenfalls nicht bekannt ist, wäre es doch andernfalls ebenfalls sichergestellt worden. Derartige Mangelfälle sind strukturell folglich von einer Insolvenzlage gekennzeichnet. Nach dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung müssen Insolvenz- und Straf(prozess)recht einheitlichen Regeln folgen. Da die Güterzuordnung eine Frage des materiellen Zivilrechts bleibt, selbst wenn sie sich in strafprozessualem Gewande stellt, ist eindeutig, dass dem Insolvenzrecht der Vorrang gebührt. Dazu gehört z.B. der Gleichbehandlungsgrundsatz, der in der Ausgestaltung seitens der InsO dem Verletzten einer Straftat keine bevorrechtigte Befriedigung zubilligt.
Straf(prozess)recht darf zwar Insolvenzrecht ausdrücklich modifizieren,[26] muss sich ihm aber im Übrigen widerspruchsfrei anpassen. Nur dort, wo das Insolvenzrecht keine eigenen Regeln enthält, ist Platz für ergänzende strafrechtliche oder strafprozessuale Vorschriften – kann aber eben auch ein derartiger Bedarf zu erfüllen sein! Die Harmonisierung ließe sich strukturell und systematisch am besten dadurch erreichen, dass beide Rechtsgebiete zwar unberührt blieben, straf(prozess)rechtliche Maßnahmen aber im Konfliktfall relativ unwirksam würden.[27] Das Insolvenzrecht genösse uneingeschränkten Vorrang, das Straf(prozess)recht träte aber nur soweit zurück, wie es insolvenzrechtlich erforderlich wäre. Kollisionsbedingte Lücken könnten nicht auftreten.[28]
Diesen einfachen und praxisfreundlichen Weg schlägt die Novelle aber leider nicht ein. Sie normiert stattdessen Einzelregelungen, die unnötig kompliziert sind und bei denen nicht durchweg sichergestellt ist, dass sie ihr selbstgestecktes Ziel zu erreichen vermögen.
b) Neuregelungen
aa) Verzicht auf eine einheitliche strafprozessuale Verfügungssperre
Anders als materiell-rechtlich mit der Vereinigung von Verfall und bisheriger Einziehung zu einem neuen Institut der einheitlichen Einziehung, das aber in sich weitgehend die Differenzierung von Verfall und herkömmlicher Einziehung aufrechterhält, scheut die Novelle davor zurück, die strafprozessualen Sicherungsinstrumente Beschlagnahme und (nun: Vermögens-)Arrest praxisfreundlich und die Gefahr von Fehlern minimierend zu einer (auch inhaltlich) einheitlichen strafprozessualen Verfügungssperre zusammenzuführen.[29]
bb) Beschlagnahme: relatives Veräußerungsverbot
Die Beschlagnahme führt auch nach neuem Recht, § 111d Abs. 1 S. 1 StPO-E, lediglich zu einem relativen Veräußerungsverbot, § 136 BGB. Ein solches entfaltet im Insolvenzverfahren keine Wirkung, § 80 Abs. 2 S. 1 InsO. Das ist allerdings in den Fällen bedeutungslos, in denen die Straftat nicht zu einem Wechsel der Eigentümerstellung geführt hat: Der Bestohlene bleibt Eigentümer des Diebesguts und kann es kraft Eigentums auch in der Insolvenz (qua Aussonderungsrecht, § 47 InsO) zurückverlangen, § 985 BGB. Der Betrüger erwirbt hingegen das Eigentum am ertrogenen Gegenstand mittels Einigung und Übergabe, § 929 S. 1 BGB. Der Betrogene kann sich sein Eigentum zwar im Wege der Anfechtung (des schuldrechtlichen und kumulativ auch des dinglichen Geschäfts) zurückholen, aber nur unter den Voraussetzungen der §§ 123 f. BGB. Hat er sie nicht eingehaltenen oder die Anfechtung gar nicht erst (doppelt) erklärt, so verfügt er an den ertrogenen Gegenständen über kein dingliches Recht mehr.
Der Schadenersatzanspruch des Betrogenen ist rein schuldrechtlicher Art. Er mag über ein Veräußerungsverbot gesichert werden. Dieses ist jedoch, wie schon erwähnt, de lege lata nicht insolvenzfest. Das will das kommende Recht ändern. § 111d Abs. 1 S. 2 StPO-E ordnet deshalb an, dass die Wirkung der Beschlagnahme von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Betroffenen nicht berührt wird und schließt das Recht zur Insolvenzanfechtung aus. Die Neufassung verlängert damit die Wirkung des relativen Veräußerungsverbots in das Insolvenzverfahren.
Das führt zwar dazu, dass der Insolvenzverwalter einen ertrogenen Gegenstand ebensowenig wie einen im Eigentum des Bestohlenen verbliebenen nicht zu Gunsten der Masse verwerten darf, verhindert aber nicht, dass ein solcher Gegenstand in die Masse fällt. Während der Eigentümer Rückgabe verlangen kann, steht dem Betrogenen nur das Recht auf Rückübertragung zu. Es ist mangels dinglicher Wirkung rein schuldrechtlicher Natur und stellt eine Insolvenzforderung dar: Dürfte der Insolvenzverwalter den Gegenstand verwerten, so erhielte der Betrogene immerhin noch Befriedigung in Höhe der durch den Erlös im wirtschaftlichen Wert erhöhten Insolvenzquote (falls eine solche denn erzielt wird). Da dem Verwalter die Verwertung kraft des in das Insolvenzverfahren verlängerten Veräußerungsverbots aber gerade verboten ist, wird dem Betrogenen gemäß der Gestaltung des Reg-E nur die wirtschaftlich geringere Quote gewährt. Sein Recht wirkt sich also als (empfundene) Last aus! Für das Schicksal des ertrogenen Gegenstands bedeutet das, dass er demgemäß im rechtlichen Nirvana verbleibt: Der Insolvenzverwalter darf ihn nicht verwerten, an den betrogenen nicht-mehr-Eigentümer aber auch nicht herausgeben, weil diesem als Verletztem kein Recht auf Aussonderung oder Herausgabe aufgrund sonstiger insolvenzfester Ansprüche zusteht: Es herrscht ein Patt zwischen Verwalter und Opfer,[30] das die Masse mit überflüssigen Verwaltungskosten unnötigerweise weiter schmälert.
Wird im parlamentarischen Verfahren nicht doch noch eine einheitliche strafprozessuale Verfügungssperre geschaffen,[31] so muss zumindest geregelt werden, dass das auf § 111d Abs. 1 StPO-E zurückgehende relative Veräußerungsverbot dem Verletzten in der Insolvenz des Betroffenen die Aussonderung gestattet. Darin läge zwar ein zivilrechtliches Unikum auf strafprozessualer Basis, systematisch nicht gerade elegant. Es hielte sich aber innerhalb des Spielraums des Gesetzgebers und führte (erst!) dazu, dass das erklärte gesetzgeberische Ziel auch tatsächlich erreicht wird.
cc) Arrestpfandrecht nach Straftat ohne individuellen Verletzten in der Insolvenz
Für den Vermögensarrest sieht der Reg-E differenzierte Regelungen vor. § 111h Abs. 1 StPO-E erklärt zunächst § 80 Abs. 2 S. 2 InsO auf das in Vollziehung des angeordneten Vermögensarrests entstehende Sicherungsrecht für anwendbar. Das bedeutet, dass das Arrestpfandrecht wie bisher schon vorbehaltlich Rückschlagsperre, § 88 InsO, und Insolvenzanfechtung, §§ 130 f. InsO, und damit regelmäßig bei Entstehen minimal 3 Monate vor dem Insolvenzantrag, insolvenzfest ist. Aufgrund des veränderten Regelungszusammenhangs wandelt sich aber die Bedeutung der Bestimmung und zeitigt Folgen, die nach geltendem Recht so nicht eintreten.
Dinglicher Arrest kommt in Betracht, wenn das Erlangte gegenständlich nicht mehr vorhanden ist. Das kann bei Taten mit und ohne individuellen Geschädigten der Fall sein. Gibt es einen Verletzten, so scheidet Verfall aus, § 73 Abs. 1 S. 2 StGB. Möglich ist aber auch dann die Beschlagnahme, nämlich zum Zwecke der Rückgewinnungshilfe, § 111b Abs. 5 StPO. Nur bei Ausbleiben der Rechtsverfolgung seitens des Verletzten tritt an die Stelle der Rückgewinnungshilfe der staatliche Auffangrechtserwerb, § 111i Abs. 5 und 6 StPO. Da die Rückgewinnungshilfe rechtstatsächlich überwiegt, dient die Insolvenzfestigkeit nach geltendem Recht in der Mehrzahl der Fälle den Verletzten.
Zukünftig steht das Arrestpfandrecht aber ausschließlich dem Justizfiskus zu und soll die spätere Verwertung zu dessen Gunsten sichern. Darauf, ob es an Verletzte gemäß § 459h StPO-E ausgekehrt wird, kommt es nicht an. Allerdings differenziert auch das zukünftige Recht nach Taten ohne und mit individuellem Verletzten. Ersterenfalls gilt § 111h Abs. 1 StPO mit der Folge, dass ein 3 Monate vor dem Insolvenzantrag (oder früher) entstandenes Arrestpfandrecht des Justizfiskus insolvenzfest ist. Sollte sich die Erwartung des Reformgesetzgebers erfüllen und es aufgrund der Neuregelung zu einer deutlichen Zunahme von Abschöpfungsentscheidungen kommen, so führt § 111h Abs. 1 StPO-E in einer nennenswerten Anzahl von Insolvenzen zu einer, ggf. signifikanten Schmälerung des Vermögens des Betroffenen und damit der (potentiellen) Insolvenzmasse, die bis hin zur Notwendigkeit der Abweisung mangels Masse führen kann.
Das Vermögen des Betroffenen, der etwas aus einer Straftat erlangt hat, stünde dann in wirtschaftlicher Hinsicht nicht vorrangig seinen Gläubigern zur Verfügung,[32] sondern dem Justizfiskus – aufkommensmäßig deutlich häufiger als nach geltendem Recht. Die Abschöpfung kann sogar vollständig zu Lasten der Allgemeingläubiger des Betroffenen gehen. Da der Staat keinen originär-eigenen Anspruch auf das Erlangte hat, wäre es sinnvoll festzuschreiben, dass die Insolvenzfestigkeit des Arrestpfandrechts in den Fällen des § 111h Abs. 1 StPO-E nicht gegen Insolvenzgläubiger wirkt. Damit wäre einerseits die Rückgabe an den Betroffenen ausgeschlossen, wenn das Insolvenzverfahren tatsächlich mit einem Überschuss abgeschlossen werden sollte, es müssten aber andererseits nicht die Insolvenzgläubiger hinter einem lediglich Auffangfunktion ausübenden Einziehungsrecht des Staates zurückstehen. Da Verbindlichkeiten aus Delikt nicht von der Restschuldbefreiung umfasst würden, wäre auch die Befreiung des Betroffenen von (anderen) Verbindlichkeiten (weitgehend) systematisch stimmig.[33]
dd) Arrestpfandrecht nach Straftat mit individuellen Verletzten in der Insolvenz
Im wirtschaftlichen Ergebnis ordnet § 111i StPO-E das Zurücktreten des (aus dem Abschöpfungsgebot abgeleiteten) Interesses des Staates an Übertragung des Eigentums am Erlangten auf sich für den Fall an, dass die zugrundeliegende Straftat das Vermögensinteresse eines Individuums verletzt hat. Dieser Vorrang der anderen Gläubiger des Betroffenen kommt allerdings nicht nur dem oder den Verletzten zugute, sondern allen[34] – umso weniger verständlich ist es, dass sie bei Erlangtem aus einer Tat ohne individuellen Verletzten nicht nur nicht ebenfalls privilegiert werden, sondern im Gegenteil mit ihren Interessen ggf. hinter denen des Justizfiskus zurückstehen müssen.
Rechtstechnisch beschreitet § 111i Abs. 1 StPO-E allerdings nicht den Weg der Anordnung relativer Unwirksamkeit des Arrestpfandrechts gegenüber den Insolvenzgläubigern und/oder dem Insolvenzverwalter. Vielmehr ordnet § 111i Abs. 1 S. 1 StPO-E an, dass das Arrestpfandrecht (ausnahmslos) mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Betroffenen erlischt. Die (nur) damit entstehenden Folgeprobleme versucht der Reg-E durch Sonderregelungen zu meistern. Das kann nur partiell gelingen und belässt Sicherungslücken.[35]
Gemäß § 111i Abs. 1 S. 2 StPO-E erlischt das Arrestpfandrecht an im Ausland befindlichen Gegenständen dann nicht, wenn der betreffende Staat das deutsche Insolvenzverfahren nicht anerkennt. Was gilt im Fall der generellen Anerkennung, aber dem Führen eines Partikular-Insolvenzverfahrens im Ausland? Wie ist zu verfahren, wenn der Gebietsstaat zwar die Eröffnung des deutschen Insolvenzverfahrens anerkennt, die Wirkungen dort aber von noch nicht eingetretenen Umständen abhängen? Und warum soll es ggf. nötig sein, den Vermögensarrest erneut in denselben Gegenstand vollziehen zu müssen, wenn das (deutsche) Insolvenzverfahren endet, ohne dass der Gegenstand verwertet wurde? Ergibt sich eine solche Lage allerdings am regulären Ende eines Insolvenzverfahrens und ist deswegen der Übererlös an den Betroffenen auszukehren, so entsteht immerhin daran gem. § 111i Abs. 4 StPO-E kraft Gesetzes ein staatliches Pfandrecht bis zur Höhe des Vermögensarrests. Die rechtlichen und wesentlich praxisfreundlicheren Vorteile der Anordnung relativer Unwirksamkeit werden damit nicht erreicht, partiell gleiche Wirkungen aber immerhin auf andere Weise erzielt.
9. Entschädigung der Opfer
Für die Erfüllung der Ansprüche individueller Verletzter differenziert das Gesetz zwischen Deckungs- und Mangelfällen. Reicht das strafprozessual vorläufig Gesicherte aus, um dem bzw. den Verletzten das Erlangte vollständig zurückzugeben, ggf. zurück zu übertragen, so ist dies, erforderlichenfalls einschließlich der Verwertung, Aufgabe der Staatsanwaltschaft und dort des Rechtspflegers. Für den Mangelfall sieht die Novelle das Insolvenzverfahren als den regelmäßigen Ort der Verteilung an.
a) Deckungsfälle
aa) Zeitpunkt der Entschädigung des Opfers
Den Ausgangspunkt bildet § 75 StGB-E, die Einziehung. Erst nach Rechtskraft sehen die §§ 459h, j, k und m StPO-E die regelmäßige Befriedigung des Verletzten vor – aus vom Staat eingezogenen Gegenständen oder Werten, möglichst in einem vereinfachten, streitige Zivilprozesse entbehrlich machenden Verfahren (§ 459j Abs. 1 – 3 StPO-E für Rückübertragung und Herausgabe; § 459k Abs. 1 – 3 StPO-E für die Auskehr des Verwertungserlöses), oder gegen Vorlage eines zivilprozessualen Vollstreckungstitels (§§ 459j Abs. 4 StPO-E, 459k Abs. 4 StPO-E und 459m StPO-E). Mit Ausnahme der Rückgabe beschlagnahmter beweglicher Sachen gem. § 111n Abs. 2 StPO-E ist gegen den Willen des Betroffenen die Befriedigung des Verletzten also erst nach Rechtskraft der Einziehungsentscheidung möglich. Das kann dauern. Der Entwurf steht jedoch auf dem Standpunkt, dass die vermehrte Abschöpfung deutlich öfter als bislang zu einer immerhin sicheren Aussicht auf Rückführung des Erlangten beiträgt. Angesichts der Abstriche, die insbesondere der Reg-E von den Grundgedanken vorsieht, muss man diesen Optimismus nicht teilen. Aber selbst, ja gerade wenn er gerechtfertigt sein sollte, stellt sich die Frage, warum Verletzte so lange auf Entschädigung warten sollen.
bb) Vollstreckungsverbot
Im Gegensatz zum bisherigen Recht soll ihnen eigenes zivilprozessuales Vorgehen sogar noch erschwert werden. Im Interesse der Gleichbehandlung im Mangelfall und damit dem Gedanken der Einheit der Rechtsordnung konsequent, aber keineswegs auf die einzig mögliche Weise Rechnung tragend, sieht § 111h Abs. 2 S. 1 StPO-E ein zivilprozessuales Vollstreckungsverbot in arretierte Gegenstände vor.
cc) Ausnahme: § 324 AO
Davon macht § 111h Abs. 2 S. 2 StPO-E eine Ausnahme nur für einen aufgrund Steuerhinterziehung erwirkten dinglichen Arrest gem. § 324 AO. Dies wiederum ist u.a. unter Gleichheitsgesichtspunkten nicht recht einsichtig, verstärkt es doch das aufgrund des Rechts, selbst einen Vollstreckungstitel errichten zu dürfen, ohnehin schon bestehende Vollstreckungsprivileg der öffentlichen Hand.
dd) Vermeidbare Erschwernisse
Unabhängig davon erschwert § 111h Abs. 2 S. 1 StPO-E die Rechtsdurchsetzung des Verletzten auch dort, wo dies nicht erforderlich ist.[36] Nur im Mangelfall stellen sich Verteilungsprobleme und damit die Frage nach Geltung des zivilprozessualen Prioritätsprinzips oder des insolvenzrechtlichen Gleichheitsgrundsatzes. Dem trägt die Neuregelung (nur) für die Herausgabe beschlagnahmter beweglicher Sachen Rechnung. Diese können gemäß § 111n Abs. 2 StPO-E an den Verletzten herausgegeben werden, sobald sie für strafprozessuale Zwecke nicht mehr benötigt werden. Im Übrigen verbietet die Novelle dem Verletzten zwar nicht, den Zivilrechtsweg zu beschreiten. Sie hindert ihn de jure auch nicht an der Zwangsvollstreckung. De facto sieht der Entwurf dies jedoch bei größeren deliktischen Schäden durchaus vor, nimmt er doch an, dass dann alles pfändbare Vermögen des Betroffenen strafprozessual gesichert werde.[37] Selbst wenn er aber über weiteres verfügen sollte, wäre die Vollstreckung des Verletzten erschwert, weil ihm der Zugriff auf das strafprozessual Arretierte und vermutlich am besten Verwertbare verwehrt bliebe.
Es wäre aber ohne weiteres denkbar, dem Verletzten die durchaus auch nur vorläufige Vollstreckung oder zunächst allein sichernde Arrestvollziehung zu gestatten, um ihm die Durchsetzung seiner Restitutionsansprüche unabhängig vom (manchmal schleppenden) Verlauf des Ermittlungs- und Strafverfahrens zu ermöglichen. Der im Mangelfall durchgreifende Gleichheitsgrundsatz müsste dafür keineswegs aufgegeben oder auch nur eingeschränkt werden, erstreckte man die Regelung des § 111i Abs. 1 S. 1 StPO-E nur auf ein solches zivilprozessuales Arrestpfandrecht (oder bezöge es, wie hier präferiert, in die gesetzlich festzulegende Regelung über die relative Unwirksamkeit mit ein).
ee) Zuständigkeit: Rechtspfleger der Staatsanwaltschaft
Im Deckungsfall liegt die Verwertung in den Händen der Rechtspfleger der Staatsanwaltschaft. Diese Aufgabe üben sie bereits nach geltendem Recht aus, allerdings nur bei Verfall (ggf. des Wertersatzes), denn bei erfolgreicher Rückgewinnungshilfe liegt die Verwertung in den Händen des Verletzten. Das ändert sich nach neuem Recht. Den Rechtspflegern wachsen damit keine inhaltlich neuen Aufgaben zu,[38] die bisherigen fallen aber wohl deutlich häufiger an. Allerdings wird der Deckungsfall nur bei noch vorhandenem Erlangten, also in Fällen der Beschlagnahme, in einer nennenswerten Anzahl vorkommen, bei Verteilung von Wertersatz meist nur bei einem einzigen Geschädigten (obwohl der Reg-E im Gegensatz zu § 459h Abs. 2 S. 1, HS. 2 StPO-Ref-E auf die Vorabbefriedigung der Verwertungskosten verzichtet).
b) Mangelfälle
aa) Grundgedanke
Die faktische Regel bilden die Mangelfälle. Für diese sieht § 111i Abs. 2 StPO-E eine Ermächtigung der Staatsanwaltschaft vor, für die Verletzten bereits vor Rechtskraft der Einziehungsentscheidung, ggf. schon im Ermittlungsverfahren, Insolvenzantrag zu stellen. Gleiches gilt gemäß § 459h Abs. 2 S. 2 StPO-E für das Vollstreckungsverfahren. Diese Befugnis entspricht nicht nur einem praktischen Bedürfnis, sondern dient der Einheit der Rechtsordnung und legt die Verteilung des Mangels in die Hände derjenigen, die berufsmäßig damit zu tun haben. Soweit, so überzeugend. Heikel ist hingegen die Ausgestaltung der Schnittstelle zwischen Ermittlungs- und Strafverfahren einerseits (§ 111i Abs. 2, ggf. i.V.m. § 459h Abs. 2 S. 2 StPO-E), und dem Insolvenzverfahren andererseits.
bb) Praxisprobleme aufgrund Ausgestaltung als Gläubigerantrag
Wie die Begründung des Reg-E ausführlich darlegt,[39] soll es sich um einen Gläubigerantrag handeln. Ihn dürfe zwar die Staatsanwaltschaft stellen, aber unter Erfüllung sämtlicher Anforderungen der InsO.
(1) § 111i Abs. 3 StPO-E stellt die Gläubiger vom Kostenrisiko frei. Das ist angemessen, weil die Staatsanwaltschaft den Insolvenzantrag ohne ihre tatsächliche Zustimmung stellen kann.
(2) Ob aber die Staatsanwaltschaft ohne weiteres in der Lage ist, einen zulässigen Gläubigerantrag zu stellen, so wie es die Begründung[40] für relativ unproblematisch hält, ist nicht von Zweifeln frei. Ein Gläubigerantrag verlangt dreierlei: ein rechtliches Interesse sowie die Glaubhaftmachung von Forderung und Eröffnungsgrund. Stellt die Staatsanwaltschaft den Antrag alsbald nach einer Durchsuchung, so wird sie aufgrund der vom Gläubiger übermittelten Unterlagen und sonstigen Informationen in der Lage sein, dem Insolvenzgericht Forderung und (zumindest teilweise) Nichterfüllung darzulegen. Die Begründung stellt, aber wohl nicht abschließend, auf eine ermittlungsrichterliche Entscheidung wie die Anordnung des Vermögensarrests ab.[41]
(3) Ob die Staatsanwaltschaft jedoch auch den Eröffnungsgrund glaubhaft zu machen in der Lage ist, hängt davon ab, welche Unterlagen sie bei der Durchsuchung sicherzustellen vermochte, ob diese ausgewertet wurden und ob sich Folgemaßnahmen abzeichnen. Gibt es Hinweise auf noch nicht beschlagnahmtes oder arretiertes Vermögen, so bleibt unklar, ob – und ist damit gerade nicht glaubhaft, dass – Zahlungsunfähigkeit vorliegt.[42] Bis diese Umstände geklärt sind, geht regelmäßig gehörige Zeit ins Land. Liegt nach vielleicht einem Jahr die Annahme bestehender Zahlungsunfähigkeit nahe genug, so kann für die Forderung und deren Nichterfüllung zum Zwecke des Insolvenzantrags aber nicht mehr auf die früheren Erkenntnisse zurückgegriffen werden, weil diese sich längst geändert haben können. Hier wird also nochmals an zumindest einen Gläubiger herangetreten werden müssen.
(4) Das aber ist noch nicht alles. Laut Begründung müsse die Staatsanwaltschaft dem Insolvenzgericht zwar kein vollständiges Vermögensverzeichnis des Betroffenen präsentieren, wohl aber eine Zusammenstellung seiner verfügbaren und der kurzfristig liquidierbaren Zahlungsmittel (Bargeld, Schecks, Bankguthaben, Kreditmittel) und sonstigen Vermögensgegenstände (Aktien, Schmuck etc.).[43] Selbst unter der optimistischen Annahme der Begründung, all dies werde typischerweise im Zuge der Finanzermittlungen entdeckt und sichergestellt, gilt dies nur für den Zeitpunkt der Durchsuchung. Nach Ablauf einer nennenswerten Frist ist aber nicht auszuschließen, dass der Betroffene zwischenzeitlich weitere Vermögensgegenstände erlangt hat: Nochmalige Durchsuchung? Nur zu dem Zwecke, einen zulässigen Insolvenzantrag stellen zu können? Wäre das verhältnismäßig? Diese Frage wird sich vermutlich nur selten stellen, denn auf die Idee einer derartigen ergänzenden Durchsuchung mit reinem, nur der Zulässigkeit des Insolvenzantrags dienendem Absicherungscharakter wird ein Staatsanwalt angesichts der knappen Ressourcen wohl bestenfalls in herausragenden Fällen kommen, ihr aber wohl auch dann nicht (durchweg) nähertreten müssen, weil in solchen Konstellationen den Insolvenzantrag meist schon andere zuvor gestellt haben werden.
cc) Änderungsbedarf
Die gute Idee, die Verteilung im Mangelfall dem Insolvenzverfahren zu überantworten, wird von der strafprozessualen Praxis in größerem Umfang wohl nur dann angenommen werden können, falls sie ein Insolvenzeröffnungsverfahren schon dann anstoßen kann, wenn die von Gläubigern angemeldeten Rückgabe- bzw. Rückübertragungsansprüche den Wert des Sichergestellten überschreiten.[44] Schon diese Feststellung kann aufwendig sein, lässt sich aber immerhin meist noch mit erträglichem Aufwand erfüllen. Das gilt für darüberhinausgehende Anforderungen an einen Insolvenzantrag nicht. Es wäre daher wünschenswert, im parlamentarischen Verfahren die nötigen Erleichterungen für Insolvenzanträge zu schaffen, die die Staatsanwaltschaft stellen darf.
V. Fazit
Kühne Grundgedanken, die den Ref-E prägten, hegt der Reg-E behutsam ein. Das mag man bedauern oder als Anerkennung der real vorhandenen Kapazitäten der Justiz mit Erleichterung zur Kenntnis nehmen. Unabhängig davon gilt es jedoch, im parlamentarischen Verfahren Bestimmungen zu eliminieren, mit denen sich der Entwurf selbst im Wege steht, und neben dem nötigen Feinschliff, der hier nicht näher beleuchtet werden kann,[45] zumindest folgende Aspekte mit ergänzenden Vorschriften so zu justieren, dass der Entwurf seine Ziele tatsächlich erreichen kann:
(1) Orientierung des Umfangs der Abschöpfung am jeweils verletzten Rechtsgut.[46]
(2) Glaubhaftmachung legalen Erwerbs durch den Eigenbesitzer des Erlangten.[47]
(3) Herstellen der Insolvenzfestigkeit des Rechts auf Rückübertragung des Eigentums an beschlagnahmten Gegenständen durch Schaffung eines Aussonderungsrechts, § 111d Abs. 1 StPO-E.[48]
(4) Anordnung im Verhältnis zum Insolvenzverwalter relativer Unwirksamkeit des auf einem Vermögensarrest basierenden Pfandrechts (Entsprechendes muss für Sicherungshypotheken gelten).[49] Ob eine solche Regelung nur für Erlangtes aus Taten mit individuellem Verletzten gelten oder auch auf Taten ohne einen solchen erstreckt werden soll,[50] ist eine politisch zu entscheidende Frage.
(5) Beseitigung oder zumindest Lockerung des Vollstreckungsverbots gem. § 111h Abs. 2 S. 1 StPO-E durch Erlauben eigener (ggf. vorläufiger oder sichernder) Vollziehungsmaßnahmen Verletzter, deren Sicherungsrechte nur im Fall der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens wieder erlöschen würden.[51]
(6) Befugnis der Staatsanwaltschaft, das Insolvenzgericht bereits dann einzuschalten, wenn die angemeldeten Forderungen Verletzter das strafprozessual gesicherte Vermögen übersteigen.[52]
Damit der Sprung des gedanklichen Tigers nicht als (sicherlich überzeichnend) zahnloser Bettvorleger endet, lässt sich nur hoffen, dass das Parlament den Mut, den es bei der Reform des Sexualstrafrechts aufbrachte – bejuble man die dabei entstandenen neuen Tatbestände oder verfluche sie – auch bei der Neuregelung des Rechts der strafprozessualen Vermögensabschöpfung an den Tag legt, die Einschränkungen des Reg-E gegenüber dem Ref-E also wieder beseitigt und zusätzlich die Regelungen schafft, die das neue Recht erst im gewünschten Maße praktikabel werden lässt.
[1] Dazu jüngst Rönnau, ZGR 2016, 277 (295 ff.).
[2] Eindrucksvolles Beispiel: KG, wistra 2013, 445.
[3] NStZ 2014, 344.
[4] ZinsO 2016, 453.
[5] Wistra 2013, 445.
[6] Vgl. Claus, jurisPR – StrafR 9/2016, Anm. 4.
[7] NZWiSt 2013, 297 und wistra 2014, 116.
[8] ZIP 2014, 993.
[9] Vgl. Bittmann, in: MüKo-StPO, Bd. 1, 1. Aufl. (2014), Vorb. §§ 111b ff. Rn. 7 und 12 f.; ders., ZWH 2014, 135 (138 f.); 2015, 58; ZinsO 2014, 2024 (2025 ff.); 2015, 1633 und 1758; krit Rönnau, Vermögensabschöpfung in der Praxis, 2. Aufl. (2015), Rn. 325 mit Fn. 974; Claus, jurisPR – StrafR 9/2016, Anm. 4
[10] Abl. Rönnau/Begemeier, NZWiSt 2016, 260.
[11] Zwischen § 73a StGB-E und § 76a Abs. 4 StGB-E sehen Rönnau/Begemeier, NZWiSt 2016, 260 (264) einen Wertungswiderspruch.
[12] Nicht muss, s. Reg-E, Begr. S. 92 f.
[13] Zum Bedarf auf der Basis des Ref-E s. Bittmann, ZinsO 2016, 873, zusammengefasst S. 890 f.
[14] Begr. Reg-E, S. 62.
[15] Begr. Reg-E, S. 62 f.
[16] Begr. Reg-E, S. 71 (auch S. 77 f.) unter Übernahme der zum bisherigen, aber eben engeren Recht gebrauchten Formulierung des BGH, NStZ 2011, 83, Rn. 39.
[17] Bittmann, wistra 2013, 309 f. Dieser weite Begriff geht mit dem Wandel vom Rückgewinnungshilfe- zum Entschädigungsmodell nicht unter, weil sich die Abgrenzungsprobleme in eben demselben Umfang bei der Frage der Anspruchsberechtigung wieder stellen, vgl. Begr. Reg-E, S. 56 f.
[18] Bittmann, NStZ 2016, 28 ff. (zu OLG Stuttgart, NStZ 2016, 26 ff.)
[19] Fischer, StGB, 63. Aufl. (2016), § 73 Rn. 6 m.N.
[20] BVerfGE 110, 1.
[21] Rönnau/Begemeier, NZWiSt 2016, 260 (262), halten die Erweiterung für eine unverhältnismäßige Inhalts- und Schrankenbestimmung i.S.v. Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG. Da aber Erwerb und Behaltendürfen durch Straftaten erlangter Vermögenswerte gerade nicht unter dem Schutz des Grundgesetzes stehen, handele es sich um organisierte Kriminalität oder um eine Alltagtat wie die Unterschlagung eines ausgeliehenen Buches, kann eine am materiellen Strafrecht ansetzende Kritik nicht durchgreifen. Problematisch kann immer nur sein, aus welchen Umständen auf die deliktische Herkunft geschlossen werden kann und darf. Die Bemakelung des Erwerbs wird nicht nur von organisiert Kriminellen verschleiert (und von ihnen auch nicht durchweg, werden menschengehandelte Damen doch zumindest semiöffentlich „angeboten“), sondernauch in Alltagsfällen . Finden sich im Regal dessen, der ein bestimmtes ausgeliehenes Buch nicht zurückgegeben hat, 50 weitere (neue, also nicht remittierte) Bücher, die am Rücken Beschädigungen aufweisen, die auf bibliothekstypische, aber entfernte Aufkleber schließen lassen, oder sind die Innenseiten, auf denen üblicherweise auf den Eigentümer weisende Stempel angebracht sind, entfernt, so mag die Ermittlung des wahren Berechtigten unmöglich sein. Warum aber soll der Täter diese mit Sicherheit ebenfalls unterschlagenen Bücher behalten dürfen, nur weil er nicht als Teil einer Bücherbande agierte?
[22] Ausführlich Rönnau (oben Fn. 9), Rn. 122 – 127.
[23] Nachdrücklich dafür und noch darüberhinausgehend Burghart, in: SSW-StGB, 2. Aufl. (2014), § 73 Rn. 26.
[24] Knappe Übersicht bei Fischer, Fn. 19, § 73c Rn. 3 – 5 m.N.
[25] Begr. Reg-E, S. 61 f.: „Gewährleistung vollständiger Vermögensabschöpfung“.
[26] Das verkennt Frind, NZI 2016, 674. Er erwartet zudem etliche negative Auswirkungen der Novelle auf das Insolvenzverfahren. Seine Furcht basiert aber zu einem erheblichen Teil auf einer Über- oder Fehlinterpretation der neuen Vorschriften der StPO. §§ 111d Abs. 1 und 111h Abs. 1 StPO-E beanspruchen Geltung nur für beschlagnahmte, aus der Tat erlangte Gegenstände. Eine darüberhinausgehende Schmälerung der Masse auch in Fällen des Vermögensarrests und bei Taten mit individuellem Verletzten steht daher nicht an.
[27] Dafür auch Frind, NZI 2016, 674 (678).
[28] Vgl. Bittmann, in: MüKo-StPO, Vorb. §§ 111b Rn. 7 und 9; ders., ZWH 2014, 135; 2015, 58; ZinsO 2014, 2024; 2015, 1758 (1769); 2016, 873 (884); NZWiSt 2016, 131 (138).
[29] Für diesen Weg Bittmann, ZinsO 2016, 873 (889 f.).
[30] Bittmann, ZinsO 2016, 873 (882 f. und 886); Frind, NZI 2016, 674 (676); WisteV, WiJ 2016, 175 (178 f.)
[31] Dazu oben III 8 b aa.
[32] Daher abl. Bittmann, NZWiSt 2016, 131 (137 f.); Frind, ZinsO 2016, 674 (677); Bund Deutscher Rechtspfleger, ZinsO 2016, 1512 (1515).
[33] A.A. Begr. Reg-E, S. 92. Unbedacht ist bei der knackigen Aussage, der Beschuldigte solle mit Erlösen aus Straftaten gegen die Allgemeinheit nicht seine privaten Schulden begleichen können, dass das Erlöschen des staatlichen Arrestpfandrechts mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Betroffenen, der etwas aus einer Tat mit individuellem Verletzten erlangt hat, § 111i Abs. 1 S. 1 StPO-E, dazu führt, dass auch dessen Allgemeingläubiger vom Zufluss aus Straftaten profitieren, dazu sogleich III 8 b dd. In den Erfüllungsfällen des § 73b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 lit. b StGB-E begleicht der Täter bei Gutgläubigkeit des Empfängers seine Schulden direkt aus Erlösen aus der oder für die Straftat; ebenso möglich ist das auch in der von § 73b Abs. 1 S. 2 StGB-E erfassten Situation. Darin liegt zwar kein logischer Widerspruch, wohl aber ein wertungsmäßiges Spannungsverhältnis.
[34] Grundlegend verkannt von Frind, NZI 2016, 674 (677), der auch für die Fälle des § 111i StPO-E eine drastische Verschärfung der Gläubigerkonkurrenz befürchtet, die aber nur für die von § 111h Abs. 1 StPO-E erfasste Konstellation zu erwarten ist.
[35] Bittmann, ZinsO 2016, 873 (884); ebenso Frind, NZI 2016, 674 (678 f.).
[36] Abl. Bittmann, ZinsO 2016, 873 (889 f.).
[37] Vgl. Begr. Reg-E, S. 93 f.
[38] A.A. Bund Deutscher Rechtspfleger, ZinsO 2016, 1512 (1512 und 1517 f.).
[39] Begr. Reg-E, S. 93 f.
[40] Begr. Reg-E, S. 92.
[41] Begr. Reg-E, S. 93.
[42] So auch Begr. Reg-E, S. 93 für etwaiges Auslandsvermögen; allg. wie hier Frind, NZI 2016, 674 (679).
[43] Begr. Reg-E, S. 93. Frind, NZI 2016, 674 (679), bezweifelt demgegenüber, dass die Staatsanwaltschaft einen ausreichend verlässlichen Überblick über den Umfang des Vermögens des Betroffenen haben wird. Das ist allerdings auch nicht nötig, weil die Zulässigkeit eines Gläubigerantrags nicht den Nachweis eines Insolvenzgrundes verlangt. Soweit Frind die Feststellung der Vermögensverhältnisse seitens eines Gerichtsvollziehers für verlässlicher als strafprozessuale Finanzermittlungen hält, klingt dies für einen Vergleich zwischen einem redlichen Schuldner und einem Beschuldigten durchaus plausibel; vergleicht man hingegen, wie es für die Fälle der Schnittstelle zwischen strafprozessualer Sicherung und Insolvenzrecht geboten ist, die Feststellung der Vermögensverhältnisse eines Betroffenen seitens der Staatsanwaltschaft einerseits und des Gerichtsvollziehers andererseits, so kann von einer Überlegenheit des Letztgenannten keine Rede sein: wenn jemand sein Vermögen verschleiern will, dann hat er kein Interesse an dessen Offenbarung – weder gegenüber der Staatsanwaltschaft noch vor dem Gerichtsvollzieher.
[44] Den ursprünglichen Ref-E in diese Richtung interpretierend, ein Verständnis, das angesichts der Begründung des Reg-E nicht mehr möglich ist, WisteV, WiJ 2016, 175 (182 ff.); s.a. Bittmann, NZWiSt 2016, 131 (135).
[45] Auflistung zum Ref-E bei Bittmann, ZinsO 2016, 873 (890 f.).
[46] Näher oben III 2.
[47] Näher oben III 4.
[48] Näher oben III 8 b bb.
[49] Näher oben III 8 b dd.
[50] Näher oben III 8 b cc.
[51] Näher oben III 9 a bb und dd.
[52] Näher oben III 9 b bb (2) – (4) und cc.