2016, Nomos Verlag, Baden-Baden, ISBN: 978-3-8487-3199-2, S. 176, Euro 46,00.
Pornographie ist erstens ein Thema für das Recht (in den §§ 184 ff. StGB; in rechtspolitischen Debatten wurde außerdem der Einsatz von Schadensersatzregelungen zur Bekämpfung von Pornographie gefordert). Zweitens beschäftigen sich empirische Medienforschung sowie kulturwissenschaftlich inspirierte Ansätze mit pornographischen Inhalten. Drittens ist, wenn Kinder und Jugendliche pornographische Medien nutzen, Medienpädagogik gefragt. Diese Diskurse miteinander zu vernetzen, ist, so das Vorwort der Herausgeberin Anja Schmidt, das Anliegen, dem der Sammelband dient.
Der erste Beitrag von Michael Bader beschäftigt sich mit radikalfeministischen Positionen, die eine Bekämpfung von Pornographie anstrebten. Baders Aufsatz ist zunächst weitgehend deskriptiv, im Grunde schon rechtshistorisch. Er beschreibt die vor allem in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts von Feministinnen vorgestellten Gesetzentwürfe, die bis auf eine kleine, schnell wieder aufgehobene Ausnahme Entwürfe blieben. Der Kern dieser, von Catharine MacKinnon in den USA und von Susanne Baer in Deutschland vorgeschlagenen Änderungen lag in einem zivilrechtlichen Klagerecht, das auf der Idee basiert, dass alle Frauen irgendwie negativ von Pornographie betroffen seien und deshalb dagegen gerichtlich klagen können sollten. Inhaltlich charakteristisch war bei den dazu erstellten Begründungen eine Verschleifung von Bewertungsunterschieden: Sprache wurde kurzerhand Handlungen gleichgesetzt, Bilder als Gewalt eingeordnet. Diese Neigung zu dramatisierender Sprache ist nicht nur als unpräzise Beschreibung zu kritisieren. Eine Strategie des „Alles-in-einen-Topf-Werfen“ trivialisiert zwangsläufig auch das beträchtliche Unrecht von tatsächlichen unerwünschten sexuellen Handlungen und echter Gewalt. Fraglich ist auch, ob die Einstufung von Bildern als Sprache (und damit die Bezugnahme auf Austins Analysen zum performativen Gebrauch von Sprache) der beste analytische Zugang ist. In den Schlusspassagen kommt dann auch Michael Bader zu einem kritisch getönten Blick auf die radikalfeministischen Positionen.
Ekaterina Nazarova schildert den Gegenpol zur PorNO!-Bewegung, nämlich die PorYES!-Strömungen. Im ersten zeitgeschichtlichen Abschnitt ihres Aufsatzes gibt sie einen Rückblick auf die Aktivitäten in den 1980er Jahren, die sich gegen die extrem pornographiekritischen Aktivitäten von MacKinnon u.a. richteten und die zu „Feminist Sex Wars“ innerhalb der Frauenbewegung führten. Der zweite Teil schildert die aktuelle Szene der heutigen sex-positiven Bewegung, die sich für einen positiven Umgang mit vielfältigen Formen der Sexualität und für die Integration von Pornographie einsetzt. Dazu gehört die Förderung und Prämierung von Pornographie, die faire Arbeitsbedingungen für die Darstellerinnen vorsieht, die bei der Darstellung von Frauen Geschlechterstereotype vermeidet und selbstbestimmte, lustvolle Formen der weiblichen Sexualität zeigt. Ein wichtiger Schritt zu einem hinreichend differenzierten Blick auf das Phänomen Pornographie war dabei die von Ekaterina Nazarova betonte Einsicht, dass dieses Genre neutral definitorisch erfasst werden muss, um ohne moralische Wertungen das sehr breite Spektrum der Darstellungen zu erfassen.
Der dritte Aufsatz von Nina Schumacher befasst sich aus einer kulturwissenschaftlichen Perspektive mit Porn Studies. Sie beschreibt das Zusammenwirken von Pro-Sex-Feministinnen und politischen Aktivistinnen, die z.B. zur Herausgabe der Fachzeitschrift „Porn Studies“ und verschiedenen queer-feministischen Aktivitäten führte. Sie kommt zu der Diagnose, dass die „Sex Wars“ bis in die Gegenwart reichen. Schumacher schildert außerdem, wie der Begriff „Porn“ auf extreme Darstellungen nicht-sexueller Inhalte (etwa: Food Porn) angewendet wird. Sie kommt zur Schlussfolgerung, dass ein „Überhang im Terminus Pornographie gegeben“ sei, der „Sex als Gegenstand gar nicht (mehr) benötigt“.
Richard Lemke und Mathias Weber steuern einen sehr informativen Beitrag aus der Perspektive der empirischen Sozialforschung zur Wirkung von Pornographie bei. Sie betonen eingangs, dass nicht nur Medienwirkung (mit Fokus auf negative Nebenwirkungen von Pornographiekonsum), sondern auch Mediennutzung (einschließlich der positiven Effekte) zu erforschen sei, konzentrieren sich dann aber auf die umstrittene Frage der negativ besetzten Wirkweisen. Sie weisen dabei auf die methodischen Schwierigkeiten empirischer Forschung hin, die u.a. deshalb bestehen, weil weder Experimente mit Pornographie noch das Abfragen von Selbsteinschätzungen ohne weiteres zu validen Ergebnissen führen. Lemke und Weber stellen in methodisch reflektierter Weise den Stand der Forschung dar. Sie berichten zunächst kurz über Studien, die sich auf gewalthaltige Pornographie beziehen. Für solche Formen pornographischer Inhalte gibt es Hinweise, dass häufiger Konsum bei den Mediennutzern sexuell aggressives Verhalten begünstigt. Im Hauptteil werten sie eine Reihe von Wirkungsstudien aus, die seit dem Jahr 2000 erschienen sind. Erstens kann sich Pornographiekonsum auf sexuelle Meinungen und Einstellungen auswirken. Die Befunde deuten auf eine Stärkung instrumenteller und freizügiger Einstellungen zu Sexualität hin. Nicht eindeutig sind Feststellungen zu Effekten im Hinblick auf Geschlechterrollen. Schließlich scheint es einen Zusammenhang von Pornographiekonsum mit höherer sexueller Unsicherheit und niedriger sexueller Zufriedenheit zu geben, wobei aber der Kausalzusammenhang nicht gesichert ist. Zweitens kann es Zusammenhänge mit dem eigenen Verhalten der Mediennutzer geben. Die freizügigeren Einstellungen scheinen sich auch im eigenen Sexualverhalten niederzuschlagen. Die Autoren weisen allerdings auch darauf hin, dass die messbaren Effekte in der Regel gering seien, und dass die positiven Effekte von Pornographie „noch immer chronisch unterforscht“ seien.
Aus medienpädagogischer Sicht beschäftigt sich Ralf Vollbrecht mit Pornographienutzung im Jugendalter. Der Autor setzt sich kritisch mit traditionellen bewahrpädagogischen Ansätzen auseinander, die sexuelle Darstellungen von Kindern und Jugendlichen fernhalten wollen. Er spricht sich dafür aus, vor allem Selbstvertrauen und ein positives Selbstbild zu stärken. Vollbrecht konstatiert, dass es „wegen des großen Angebots an sexualisierten Bildern zu Überverbildlichung und Overscription“ komme und sexuelle Erfahrung durch mediale Erfahrungen präfiguriert werde – wobei eine solche Vorprägung durch Medien aber für viele andere Lebensbereiche auch gelte. Aus pädagogischer Sicht sei es erforderlich, Medienkompetenz zu fördern. In seinem Fazit konstatiert er einen gelasseneren Umgang von Jugendlichen mit pornographischen Medieninhalten. Vollbrecht weist außerdem auf Forschungsbedarf hin: Zu wenig ist bekannt über die jugendliche Eigenproduktion von Pornographie sowie die Folgen der ungewollten Verbreitung solcher Bilder.
Den Band beschließt der Beitrag von Anja Schmidt zur strafrechtlichen Bewertung von Pornographie. Sie beschäftigt sich ausführlich mit den Problemen, die Versuche der Definition von Pornographie bereiten, auch im Hinblick auf den Bestimmtheitsgrundsatz in Art. 103 Abs. 2 GG. Sie plädiert de lege ferenda dafür, auf den Begriff der Pornographie in Strafgesetzen zu verzichten und einschlägige gesetzliche Vorschriften präziser auf Missachtungen des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung zuzuschneiden. Sie kritisiert die Vorstellungen der feministischen PorNO!-Bewegung, deren Idee war, dass Pornographie Gewalt sei – zu Recht weist Schmidt darauf hin, dass Pornographiekonsum nicht unmittelbar Rechtsverletzungen verursacht. Sie beschäftigt sich dann mit der Frage, ob strafrechtlicher Kinder- und Jugendschutz legitim sei. An dieser Stelle schlägt sie den Bogen zu der Kritik, die Vollbrecht an einer reinen Bewahrpädagogik übt. Mit Blick auf die Medienwirkungsforschung, die von Lemke und Weber ausführlich dargelegt wurde, kommt sie ebenfalls zum Ergebnis, dass sich daraus nicht ableiten lasse, dass Jugendliche von Pornographie fernzuhalten seien (an dieser Stelle steckt Stoff für Diskussion: Ich würde selbst eine Reihe von Befunden, die Lemke und Weber mitteilen, als hinreichend zur Untermauerung jugendschützenden Pornographiestrafrechts ansehen). Im Ergebnis plädiert sie dafür, dass die Verbote eingeengt werden sollen. Für legitim erachtet Schmidt: Zugangsverbote für Kinder; Schutz von Jugendlichen vor ungewollter Konfrontation; das Verbot von Pornographie, die Verletzungen des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung zeigt, insbesondere auch Kinderpornographie.
Fazit: Es handelt sich um einen sehr lesenswerten Band mit gut ausgewählten Beiträgen. Der Leser gewinnt im interdisziplinären Querschnitt einen umfassenden Überblick zum Thema Pornographie.