Lukas Schefer: Die Vortäuschung eines Zufallsfundes im Ermittlungsverfahren: Zur Zulässigkeit sogenannter „legendierter Kontrollen“

von Prof. Dr. Anja Schiemann

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2019, Nomos, Baden-Baden, ISBN: 978-3-8487-5756-5,    S. 356, Euro 92,00.

Legendierte Kontrollen sind als die „gezielte Suche nach dem Zufallsfund“ (so Müller/Römer, NStZ 2012, 543) schon seit längerer Zeit Anlass wissenschaftlicher Diskussion im Hinblick auf ihre generelle Zulässigkeit und einschlägige Rechtsgrundlage. Der BGH hat sich in einer Grundsatzentscheidung eindeutig positioniert und legendierte Kontrollen prinzipiell für zulässig erklärt und als Ermächtigungsgrundlage die präventiv-polizeilichen Landesgesetze herangezogen (BGHSt 62, 123). Aber auch dieses Urteil blieb nicht unwidersprochen. Gleichwohl fehlte bislang eine umfassendere, grundlegende wissenschaftliche Aufarbeitung legendierter Kontrollen, die auch nach dem positiven Votum des 2. Strafsenats nicht überflüssig geworden ist.

Schefer geht in seiner Dissertation zunächst ausführlich der Frage nach, ob durch die legendierte Kontrolle Grundrechte tangiert werden, die eine Rechtsgrundlage erforderlich machen. Dabei differenziert er nach zwei Aspekten, die legendierten Kontrollen innewohnen: 1. der eigentliche Zweck legendierter Kontrollen, nämlich das Durchsuchungselement, 2. das Täuschungselement als notweniges Mittel zur Erreichung des Durchsuchungszwecks. Er kommt zu dem – nicht sehr überraschendem Ergebnis – dass sowohl die Durchsuchung als auch die Täuschung in mehrfacher Hinsicht Grundrechtsrelevanz besitzen, so dass legendierte Kontrollen im Hinblick auf den Vorbehalt des Gesetzes nur dann zulässig sind, wenn sie sich auf eine formell-gesetzliche Ermächtigungsgrundlage stützen lässt.

In einem weiteren Schritt geht der Verfasser der Frage nach, ob es sich bei legendierten Kontrollen um ein präventiv oder ein repressiv polizeiliches Tätigwerden handelt. Er kommt – ebenso wie der 2. Strafsenat – zu dem Ergebnis, dass die Durchsuchung sowohl repressive als auch präventive Zwecke verfolge, so dass es sich um eine echte „doppelfunktionale“ Maßnahme handele (S. 155). Problematisch sei allerdings, wie derartige doppelfunktionale Maßnahmen im Hinblick auf die notwendige Differenzierung von Prävention und Repression zu behandeln seien und nach welchen Rechtsgrundlagen sich deren Rechtmäßigkeit richte. Schefer lehnt die Auffassung des BGH, nach der eine parallele Anwendbarkeit der repressiven und präventiven Rechtsgrundlagen möglich sei, ab (S. 186). Dies würde ein „Befugnis-Shopping“ zur Folge haben und die systematische Entwertung und Umgehung strafprozessualer Verfahrenssicherungen ermöglichen (S. 187 f.). Schefer fordert daher, auf der Ebene der Rechtmäßigkeitsprüfung die Voraussetzungen sowohl des präventiven als auch des repressiven Aufgabenbereichs zu erfüllen. Dies bedeute für das Durchsuchungselement legendierter Kontrollen, dass neben den Voraussetzungen der gefahrenabwehrrechtlichen Ermächtigungsgrundlagen zwingend auch diejenigen der Strafprozessordung einzuhalten seien (S. 207).

Dem Täuschungselement käme dagegen ausschließlich eine repressive Zielsetzung zu, da es keinen Beitrag zur Verhinderung bevorstehender Rechtsgutsbeeinträchtigungen leiste. Daher sei die Täuschung nur durch eine Befugnisnorm der Strafprozessordnung zu rechtfertigen (S. 207). Dies ist – wie ich finde – eine sehr kurze Begründung. Letztlich soll doch die Täuschung die Durchsuchung ermöglichen und damit auch den – präventiven – Zugriff auf beispielsweise gefährliches Rauschgift einleiten und so eine Verbreitung und einen Konsum verhindern. Daher kann man meiner Ansicht nach Durchsuchung und Täuschung gar nicht klar trennen, weil die Täuschung quasi ein Durchgangsmoment vor der Durchsuchung darstellt. Zuzustimmen ist dem Verfasser aber hinsichtlich der Falschdarstellung in der Akte. Diese dient nicht der Gefahrenabwehr, sondern dem Zweck, das weitere Ermittlungsverfahren gegenüber den Hintermännern nicht zu gefährden. Eine taugliche Ermächtigungsgrundlage könne daher ausschließlich der Strafprozessordnung entnommen werden.

Nach einer kurzen rechtlichen Prüfung kommt Schefer zu dem Ergebnis, dass sich weder für das Durchsuchungs- und Täuschungselement, noch für die Falschdarstellung in der Akte Befugnisnormen in der Strafprozessordnung finden lassen. De lege lata handele es sich bei legendierten Kontrollen daher um einen nicht zu rechtfertigenden Eingriff in die Grundrechte des Betroffenen (S. 224). Hier hätte der Verfasser – gerade in Bezug auf die strafprozessualen Durchsuchungsvorschriften der §§ 102, 105 StPO – ruhig etwas tiefer schürfen können. Allerdings findet der Leser einen sehr beachtlichen Fußnotenapparat, so dass, wenn auch knapp, eine fundierte Bewertung erfolgt.

Im nächsten Kapitel prüft Schefer konsequent, welche strafprozessualen Folgen dieser rechtswidrigen Einsatz legendierter Kontrollen hat. Er kommt zu dem Ergebnis, dass nicht nur hinsichtlich des eigentlichen „Zufallsfundes“, sondern auch bezogen auf die späteren Aussagen des Betroffenen im Rahmen etwaiger Vernehmungen ein Beweisverwertungsverbot besteht (S. 241). Das Bestehen eines Verfahrenshindernisses lehnt er aber ab (S. 248).

Der Verfasser spürt dann Lösungsmöglichkeiten de lege ferenda nach und erörtert zunächst bisherige Lösungsvorschläge in der Literatur. Diese befindet er allerdings als unzureichend und formuliert einen eigenen Gesetzesvorschlag in Form einer eigenständigen Ermächtigungsnorm für legendierte Kontrollen in § 110d StPO:

„(1) Wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine Straftat von erheblicher Bedeutung

  1. auf dem Gebiet des unerlaubten Betäubungsmittel- oder Waffenverkehrs, der Geld- oder Wertzeichenfälschung,
  2. gewerbs- oder gewohnheitsmäßig oder
  3. von einem Bandenmitglied oder in anderer Weise organisiert

begangen worden ist, darf eine Personen- oder Sachdurchsuchung im Sinne des § 102 nach Maßgabe der nachfolgenden Absätze durchgeführt werden. Das Vorgehen ist nur zulässig, soweit die Aufklärung auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre.

(2) Die Durchsuchung darf nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzug auch durch die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen (§152 des Gerichtsverfassungsgesetzes) angeordnet werden. § 35 ist nicht anwendbar.

(3) Dem Beschuldigten dürfen die wahren Hintergründe des Zugriffs verheimlicht werden, wenn anderenfalls der Ermittlungserfolg gefährdet wäre. Die Befugnis aus Satz 1 umfasst die Fingierung einer allgemeinen Kontrolle sowie das Nichtaufklären über den aktuellen Ermittlungsstand.

(4) Absatz 3 gilt entsprechend für die Aktenführung.

(5) Die Verheimlichung nach den Absätzen 3 und 4 darf nur so lange aufrechterhalten werden, wie dies erforderlich ist, höchstens jedoch bis zur Erhebung der öffentlichen Klage (§ 170 Absatz 1). …“ (S. 286 f.).

Durch diese Ermächtigungsgrundlage, so der Verfasser, könnten legendierte Kontrollen legitimiert werden. Dies hätte zur Folge, dass weder hinsichtlich des Fundes noch hinsichtlich späterer Aussagen des Betroffenen Beweisverwertungsverbote bestünden. Schefer fordert den Gesetzgeber auf, eine entsprechende Rechtsgrundlage zu schaffen (S. 289). Diese Forderung ist nicht neu, neu ist aber die dezidierte Ausformulierung und entsprechende Begründung. Hier sollte die wissenschaftliche Diskussion ansetzen und über diesen und andere Formulierungen nachdenken. Allerdings steht zu befürchten, dass der Gesetzgeber angesichts der klaren Positionierung des BGH und dem höchstrichterlichen Segen bzgl. der Zulässigkeit legendierter Kontrollen bereits de lege lata, keinen Anpassungsbedarf de lege ferenda erkennen kann.

 

 

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