Die Entscheidung im Original finden Sie hier.
BGH, Beschl. v. 11.11.2020 – 2 StR 241/20: Wenn der Richter zu früh aussagen muss…
Leitsatz der Redaktion:
Der Ausschluss eines Richters gem. § 22 Nr. 5 StPO hindert an der Unterschrift unter einem Urteil und macht somit zur vollständigen Absetzung einen Verhinderungsvermerk nach § 275 Abs. 2 Satz 2 StPO erforderlich.
Sachverhalt:
Das LG hat den Angeklagten wegen bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie Beihilfe zum bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt.
Der Verfahrensrüge liegt folgendes maßgebliches Geschehen zugrunde:
Der Vorsitzende Richter im landgerichtlichen Verfahren war vor Ablaufen der Urteilsabsetzungsfrist am 14. Februar 2020 jedoch nach der letzten Fassungsberatung am 30. Januar 2020 als Zeuge zum Aussageverhalten des Angeklagten in einem Parallelverfahren vernommen worden. Nach seiner Aussage unterschrieb der Vorsitzende das Urteil am 7. Februar 2020 und gab es an die Geschäftsstelle.
Entscheidung des BGH:
Der BGH hob das Urteil aufgrund Verstoßes gegen den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 7 StPO auf.
Seine Entscheidung begründete der Senat damit, dass der vorsitzende Richter nach seiner Aussage im Parallelverfahren gemäß § 22 Nr. 5 StPO als ausgeschlossener Richter, keine weiteren richterlichen Funktionen mehr hätte wahrnehmen dürfen. Ihm sei jede weitere richterliche Tätigkeit in der betroffenen Sache verwehrt gewesen, da der Ausschluss nach § 22 StPO kraft Gesetzes im Zeitpunkt seiner Entstehung für die Zukunft wirksam werde.
Somit sei dem Vorsitzenden eine rechtskonforme Herstellung der Urteilsgründe nicht mehr möglich gewesen. Eine solche Verhinderung aus Rechtsgründen hätte durch den Vorsitzenden oder in diesem Fall durch den dienstältesten Richter gemäß § 275 Abs. 2 Satz 2 StPO unter dem Urteil vermerkt werden müssen. Da dieser Vermerk gefehlt habe, sei das Urteil nicht innerhalb der Absetzungsfrist (§ 275 Abs. 1 Satz 2 und 4 StPO) vollständig zu den Akten gelangt, was den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 7 StPO begründe.
Somit sei das Urteil aufzuheben gewesen. Es komme nicht darauf an, dass der betreffende Richter zwischen seiner Aussage und dem Unterzeichnen der Urteilsurkunde tatsächlich keinen Einfluss auf den Inhalt der Urkunde genommen habe, da § 22 StPO alle Personen von der weiteren Mitwirkung ausschließe, bei denen auch nur eine abstrakte Gefahr der Voreingenommenheit bestehe.
Anmerkung der Redatkion:
Dass ein Urteil, unter dem ein erforderlicher Verhinderungsvermerkt fehlt, aufzuheben ist, hatte der BGH bereits 2002 entschieden: BGH, Beschl. v. 21.10.2002 – 5 StR 433/02.