KriPoZ-RR 27/2024

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

Amtlicher Leitsatz:

Sogenannte K.O.-Tropfen stellen weder für sich genommen noch bei Verabreichung in einem Getränk, in das sie vorher mit einer Pipette hinein getropft wurde, ein gefährliches Werkzeug im Sinne von § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB dar.

Sachverhalt:

Der Angeklagte und die Lebensgefährtin der Nebenklägerin kannten sich aus der Swinger-Szene, hatten jedoch spätestens seit 2018 oder 2019 keinen sexuellen Kontakt mehr. Die Nebenklägerin und ihre Lebensgefährtin wollten im August 2022 ein Konzert in der Nähe des Wohnortes des Angeklagten besuchen; sie übernachteten an dem Vorabend bei dem Angeklagten, ohne das jedoch der Austausch sexueller Handlungen geplant war.

Im Verlaufe des Abends entschloss sich der Angeklagte dazu, heimlich mittels einer Pipette einige Tropfen Gamma-Butyrolacton (GBL) – sog. K.O.-Tropfen – in die alkoholischen Getränke der Nebenklägerin und ihrer Lebensgefährtin zu geben. Der Plan des Angeklagten war es hierbei, die beiden Personen sexuell zu enthemmen und so dazu zu bringen, sexuelle Handlungen zu vollziehen. Er nahm es billigend in Kauf, dass die Frauen ggf. auch aufgrund der Wirkung des GBL in den Zustand der Bewusstlosigkeit gelangen könnten. Dem Angeklagten war bekannt, dass GBL auch erhebliche die Gesundheit schädigen können. Im Folgenden begannen die Frauen, wechselseitig sexuelle Handlungen aneinander zu vollziehen, bevor der Angeklagte sich beteiligte und anfing, die Nebenklägerin zu küssen und diese in besonders intimen Regionen (Brustbereich, Genitalbereich) zu berühren.

Nachdem die sexuellen Handlungen vollzogen wurden, war die Nebenklägerin zunächst nicht mehr auffindbar; sie wurde jedoch später schlafend und nicht ansprechbar im Garten des Wohnungsgrundes gefunden. Hierbei bestand die Gefahr des Erstickens durch Bewusstlosigkeit.

Das LG hat den Angeklagten wegen besonders schweren sexuellen Übergriffs in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung einer Geldstrafe aus einer rechtskräftigen Vorverurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und fünf Monaten verurteilt.

Entscheidung des BGH:

Die von dem Angeklagten erhobene Revision, die auf die Verletzung materiellen Rechts gerichtet war, hat teilweise Erfolg. Die Verfahrensrüge wurde bereits als unzulässig abgewiesen.

Während der BGH anerkannte, dass die Strafkammer zu Recht von einer Verwirklichung des § 177 Abs. 1 u. 2 Nr. 1 StGB durch das relevante Tatverhalten ausging, so bemängelte der Senat die Wertung, dass bei der Verabreichung von GBL mittels einer Pipette der Qualifikationstatbestand des § 177 Abs. 8 Nr. 1 Alt. 2 StGB (Verwenden eines gefährlichen Werkzeuges) in Betracht komme.

GBL-Tropfen seien kein gefährliches Werkzeug; eine gegenteilige Auslegung überschreite die Grenzen des Wortlautes der Norm. Hierfür spreche der natürliche Sprachgebrauch des Begriffes „Werkzeug“. Als Werkzeug seien allein Gegenstände anerkannt. Flüssigkeiten, wie im hiesigen Fall die GBL-Tropfen, seien jedoch ein Gas und stellen deswegen gerade keinen Gegenstand dar.

Diese Wertung werde auch durch eine systematische Auslegung gestützt. Insbesondere in Bezug auf die Auslegung des Begriffes des gefährlichen Werkzeuges in anderen Vorschriften, wie z.B. § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB, wurde bereits vom BGH entschieden, dass sedierende oder narkotisierende Stoffe gerade keine gefährlichen Werkzeuge darstellen würden. Für den 5. Strafsenat sei nicht ersichtlich, wieso im Rahmen des § 177 Abs. 8 Nr. 1 Alt. 2 StGB eine andere Auslegung des Begriffes „gefährliches Werkzeug“ vorgenommen werden sollte.

Der BGH führt zudem aus, dass sich eine andere Bewertung auch nicht ergebe, soweit auf die Verabreichung der GBL-Tropfen mittels einer Pipette abgestellt werde. Hierzu müsste die Pipette ein gefährliches Werkzeug darstellen. Ein Gegenstand ist „danach gefährlich, wenn er nach Art seiner konkreten Anwendung im Einzelfall geeignet ist, unmittelbar eine erhebliche Verletzung herbeizuführen“. Die Pipette sei jedoch selbst allein als Dosierungshilfe gedacht und sei demnach kein Instrument, das unmittelbar gesundheitsschädigend genutzt werden kann. Eine potenzielle Gefährlichkeit sei einer Pipette nicht originär inhärent. Diese Schlussfolgerung stehe nicht im Widerspruch zu der bisherigen Rechtsprechungslinie zur Einordnung von ätzender Säure als gefährliches Werkzeug iSd § 224 I Nr. 1 StGB. Ätzende Säure sei gerade unmittelbar von außen dazu geeignet, eine erhebliche Verletzung der körperlichen Integrität herbeizuführen – dies sei jedoch mittels K.O.-Tropfen unmöglich.

Dieses Ergebnis wird auch durch die Systematik des § 224 Abs. 1 StGB gestützt, wonach § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB die Beibringung von gefährlichen bzw. gesundheitsschädlichen Stoffen und allein § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB die Verwendung gefährlicher Werkzeuge regelt. Hierbei stellt der 5. Strafsenat klar, dass die beiden Begehungsvarianten in keinem Spezialitätsverhältnis stehen. Demnach sei ein gesundheitsschädlicher Stoff nicht stets als gefährliches Werkzeug einzustufen. Insbesondere die Gesetzgebungsgeschichte des § 224 StGB und die Abschaffung des § 229 StGB a.F. durch das 6. StrRG sprächen dafür, dass die Variante des § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht als Auffangtatbestand gedacht war. Diese Folgerungen bzw. Wertungen sind pars pro toto auf § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB anwendbar.

Jedoch sieht der Senat sich nicht imstande, den Schuldspruch zu ändern. Denn, während § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB im hiesigen Fall nicht einschlägig sei, sprächen die tatgerichtlichen Feststellungen dafür, dass hier der Tatbestand des § 177 Abs. 8 Nr. 2b StGB verwirklicht sein könnte. Das LG ging zwar nur von einer rein abstrakten Lebensgefahr aus, jedoch sei es nicht ausgeschlossen, dass das Verhalten eine konkrete Lebensgefahr begründe. Dem Austausch des Qualifikationsmerkmals stehe das Verböserungsverbot nicht entgegen.

KriPoZ-RR 26/2024

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

Redaktioneller Leitsatz:

Insbesondere, wenn trotz einer Stichverletzung am Oberbauch das Opfer sich noch weiter fortbewegt und der Täter das erkennt, kann noch ein unbeendeter Versuch in Betracht kommen; entscheidend ist die subjektive Vorstellung des Täters.

Sachverhalt:

Aufgrund einer vermeintlichen Belästigung zweier Frauen in einer Diskothek entbrannte in dieser eine Schlägerei. Hierbei entschied sich der Angeklagte, nachdem dessen Freund von dem Nebenkläger ins Gesicht geschlagen wurde, auf den herantretenden Bruder des Nebenklägers zu springen, woraufhin beide zu Boden fielen. Im Folgenden zückte der Angeklagte ein Messer und stach dem Bruder des Nebenklägers und auch dem Nebenkläger selbst jeweils in den Oberbauch. Nach dem vollzogenen Stich bewegte sich der Nebenkläger noch einige Momente auf der Tanzfläche, bevor dieser bemerkte, dass er eine erhebliche Verletzung am Oberbauch zugezogen hatte. Sodann setzte sich der Nebenkläger an die Seite der Tanzfläche, bevor der Türsteher den Nebenkläger und dessen Bruder in Richtung des Ausgangs lenkte. Der Nebenkläger und dessen Bruder wurden in ein Krankenhaus verbracht, wo der Bruder jedoch seinen Verletzungen erlag.

Das LG hat den Angeklagten wegen Totschlags in Tateinheit mit Beteiligung an einer Schlägerei und wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Beteiligung an einer Schlägerei zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt.

Entscheidung des BGH:

Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat (Teil-)Erfolg. Der vom Tatgericht entschiedene Schuldspruch ist dahingehend rechtsfehlerhaft, dass die Feststellungen zum strafbefreienden Rücktritt hinsichtlich des Versuchs des Totschlags gegenüber dem Nebenkläger einer rechtlichen Prüfung nicht standhalten.

Grundsätzlich ist für die Bewertung des Rücktritts die subjektive Vorstellung des Täters zum Zeitpunkt der letzten Ausführungshandlung entscheidend (sog. „Rücktrittshorizont“). Soweit der Täter zu diesem Zeitpunkt den Todeseintritt des Opfers schon aufgrund von seiner bisherigen Verhaltensweisen für möglich erachtet, so ist der Versuch beendet. Das LG hat im hiesigen Fall einen beendeten Versuch angenommen, weil der Nebenkläger offensichtlich erhebliche Schmerzen erlitten hatte und von weiteren Kampfhandlungen absah. Bereits die abstrakte Gefährlichkeit der Tathandlung sei ein erhebliches Indiz dafür, dass der Täter dachte, er habe alles Erforderliche für den Erfolgseintritt getan.

Dies sieht der BGH anders. Vielmehr habe das LG keine konkreten Angaben zur Vorstellung des Angeklagten hinsichtlich der Folgen seines Handelns gemacht. Es sei insoweit unklar, ob der Angeklagte wirklich davon ausging, er habe bereits alles Erforderlich getan. Auch die beweiswürdigenden Erwägungen deuten auf eine andere Bewertung hin. Insbesondere habe der Angeklagte die unmittelbare Reaktion des Nebenklägers auf die Stichverletzung beobachtet und dahingehend auch erkannt, dass dieser sich noch bewegte und gerade nicht verletzt zu Boden sank. Gerade dies spreche dafür, dass der Angeklagte den Tod des Opfers aufgrund seiner Handlung nicht für möglich hielt. Letztlich habe das LG auch nicht einen möglichen fehlgeschlagenen Versuch erörtert.

KriPoZ-RR 24/2024

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Redaktioneller Leitsatz:

Die Feststellung des Tötungsvorsatzes muss anhand einer Gesamtbetrachtung der Umstände des Einzelfalles vorgenommen werden; allein die Gefährlichkeit der konkreten Handlung reicht nicht aus, um einen entsprechenden Vorsatz anzunehmen.

Sachverhalt:

Der Angeklagte war mit zwei Zeugen (Z. und Ny.) und dem späteren Opfer (N.) in der im zweiten Obergeschoss gelegenen Wohnung des Ny. Angesichts eines erheblichen Alkohol- und Kokainkonsums der vier Personen war die Stimmung aufgeheitert; insbesondere fühlte sich der Angeklagte zum als Frau auftretenden Ny. hingezogen. Der eifersüchtige homosexuelle N. wies den Angeklagten darauf hin, dass es sich bei Ny. um einen Mann handele, woraufhin der Angeklagte in Rage gerat. Der Angeklagte schob N. in Richtung des geöffneten Fensters und stieß ihn gegen die herabgelassenen Rollladen, woraufhin diese einseitig brachen und N. sechs Meter hinab auf den Gehweg stürzte. Hierbei erlitt der Geschädigte N. lebensgefährliche Kopfverletzungen, die dieser jedoch überlebte. Jedoch kann N. nur noch eingeschränkt laufen und sprechen.

Das LG hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit schwerer und gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung einer anderen Strafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt.

Entscheidung des BGH:

Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg. Insbesondere der vom Tatgericht entschiedene Schuldspruch kann keinen Bestand haben; nach Ansicht des BGH können die Feststellungen zur subjektiven Tatseite nicht tragfähig belegt werden.

Grundsätzlich ist für einen bedingten Vorsatz notwendig, dass einerseits der Todeseintritt als mögliche Folge des Handelns erkannt und dies billigend in Kauf genommen wird. Diese Prüfung berücksichtigt auch die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung und die konkrete Angriffsweise sowie die psychische Verfassung des Täters bei Tatbegehung. Jedoch ist das Vorliegen eines Vorsatzes nur auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung festzustellen.

Diesen Anforderungen werde das Urteil des LG nicht gerecht. Insbesondere sei die Gefährlichkeit der Tathandlung und die Wahrscheinlichkeit des Erfolgseintritts keine maßgeblichen Umstände; es komme auch bei besonders gefährlichen Handlungen auf die Umstände des Einzelfalls an. Dies gelte insbesondere bei spontanen, unüberlegt oder in affektiver Erregung ausgeführten Handlungen. Gerade die alkoholbedingte Enthemmung des Täters ist vielmehr zur Entkräftung des Tötungsvorsatzes in den Blick zu nehmen. Dass der Täter den Geschädigten für seine vermeintliche Täuschung bestrafen wollte, sei nur dahingehend relevant, dass dies Rückschlüsse auf dessen Bereitschaft zur Inkaufnahme der schweren Folgen seines Handelns zulasse.

KriPoZ-RR 19/2024

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

Redaktioneller Leitsatz:

Der Täter muss keine Verwendungsabsicht eines mitgebrachten Werkzeuges aufweisen; das Beisichführen eines gefährlichen Werkzeuges iSd § 244 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a StGB setzt kein subjektives Erfordernis voraus.

Sachverhalt:

Die fünf Mitangeklagten verschafften sich zusammen Zugang zu den Geschäftsräumen der Sparkasse; der Angeklagte T. war nicht am Tatort anwesend. Geplant war, dass sie den Alarm des Tresorvorraums überwinden und dann im Tresorraum die dortigen Schließfächer aufbrechen und den Inhalt entwenden. Hierbei erhofften sie sich, dass ein sechs- bis siebenstelliger Betrag zusammenkommt. Hierbei nahmen die Angeklagten verschiedene andere Tatmittel und Werkzeuge in das Gebäude. Hierzu gehörten u.a. ein Vorschlaghammer, ein Bohrhammer, ein Meißel mit Gummigriff, ein Spitzmeißel und ein Schraubenschlüssel.

Während die Mitangeklagten versuchten, in die Kellerwand zu bohren, wurden sie durch einen vor dem Gebäude installierten Späher vor der ankommenden Polizei gewarnt. Daraufhin verließen die Mitangeklagten das Gebäude und ließen das mitgebrachte Werkzeug in der Sparkasse.

Das LG hat alle Angeklagten wegen versuchten Diebstahls (in Mittäterschaft) zu Freiheitsstrafen zwischen einem Jahr und acht Monaten und drei Jahren und fünf Monaten verurteilt.

Entscheidung des BGH:

Die Revision der Staatsanwaltschaft, die sich allein auf den Schuldspruch sowie das Unterbleiben der Einziehung eines PKW beschränkt, hat Erfolg.

Die Kammer ging zunächst fehlerhaft davon aus, dass §§ 244 Abs. 1, 244a Abs. 1 StGB durch die Angeklagten nicht verwirklicht wurde. § 244 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a StGB setze voraus, dass sich ein mitgebrachtes Werkzeug in Griffweite des Täters befand oder dieser sich des Werkzeuges jederzeit ohne nennenswerten Zeitaufwand bedienen kann. Hierbei reiche es auch aus, wenn ein Gegenstand seiner objektiven Beschaffenheit nach geeignet ist, einem Opfer erhebliche Körperverletzungen zuzufügen. Dass ein Gegenstand nur als Aufbruchswerkzeug dient, stehe einer Bewertung als gefährliches Werkzeug nicht entgegen. Die objektive Gefährlichkeit des Werkzeuges werde hierdurch nicht reduziert. Ein zusätzliches subjektives Element, z.B. eine Verwendungsabsicht, ist kein Erfordernis des § 244 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a StGB.

Weiterhin sei auch die Verneinung eines versuchten schweren Diebstahls (§ 244a Abs. 1 StGB) fehlerhaft. Für eine Bande iSd § 244a Abs. 1 StGB sei ein Zusammenschluss von mindestens drei Personen mit dem Willen voraus, künftig für eine gewisse Dauer mehrere selbstständige, im Einzelnen noch ungewisse Diebstähle zu begehen. Hier gehe die Kammer fehlerhaft davon aus, dass ein abweichender „modus operandi“ einer früheren Tat, die von drei der Mitangeklagten begangen wurde, eine Bandenabrede ausschlösse.

Zudem geht der Senat davon aus, dass auch die Einziehungsentscheidung rechtsfehlerhaft ist. Das LG habe insbesondere die aufgezeigten Folgen einer Einziehung des bei der Tat genutzten PKW nicht ins Verhältnis zu dem konkreten Unrechtsgehalt der Tat und dem den Angeklagten treffenden Schuldvorwurf gesetzt. Insbesondere der Beitrag der zu erzielenden Tatbeute wurde nicht hinreichend berücksichtigt.

KriPoZ-RR 18/2024

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

Redaktioneller Leitsatz:

Einer Strafbarkeit gem. § 306 Abs. 1 Alt. 2 StGB steht nicht entgegen, dass ein Objekt in Brand gesetzt wurde, dass nicht von § 306 Abs. 1 StGB geschützt wird, solange der an dem Schutzobjekt eingetretene Zerstörungserfolg auf dieser Brandlegung zurückzuführen ist.

Sachverhalt:

Der Angeklagte setzte einen aus Holzpaletten und mit Verpackungsmaterialien gefüllten Kasten in Brand, der in unmittelbarer Nähe zu dem Schaufenster eines Lebensmittelgeschäftes aufgestellt war. In der Nähe deponierte der Angeklagte zudem eine CO2-Patrone. Das Feuer breitete sich aus und führte aufgrund der enormen Hitzeentwicklung dazu, dass die CO2-Patrone explodierte und das angrenzende Schaufenster zerstört wurde. Hitze, Rauch und Ruß drangen in das Gebäudeinnere und zerstörten Waren, Geräte und Mobiliar. Dem Angeklagten war bewusst, dass die Brandlegung des Holzkastens unter Verwendung der CO2-Patrone unter enormer Hitzeeinwirkung platzen könnte und eine nicht unerhebliche Detonation herbeiführen könnte. Hierbei war dem Angeklagten auch bewusst, dass das angrenzende Lebensmittelgeschäft dadurch jedenfalls teilweise zerstört werden könnte. Dies nahm er billigend in Kauf.

Das LG hat den Angeklagten wegen Brandstiftung und wegen Sachbeschädigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt.

Entscheidung des BGH:

Die auf die Rüge der Verletzung materiellen sowie formellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat hinsichtlich des Schuldspruches Erfolg. Die subjektive Tatseite könne nicht tragfähig belegt werden.

Nach der Ansicht des Senats hat der Angeklagte mit seinem Verhalten ein fremdes Gebäude ISd § 360 Abs. 1 Nr. 1 StGB durch eine Brandlegung teilweise zerstört. Dem stehe nicht entgegen, dass die Zerstörung nicht auf ein Inbrandsetzen des Gebäudes oder eines anderen Schutzobjektes iSd § 306 Abs. 1 StGB beruhte.

Hierfür spreche der Wortlaut des § 306 Abs. 1 StGB, der keine Begrenzung vorgibt. Tatbestandlich sind auch Fälle erfasst, in denen der Täter ein anderes Objekt in Brand setzt, soweit nur der an dem Schutzobjekt eingetretene Zerstörungserfolg auf diese Brandlegung zurückzuführen ist. Für eine einschränkende Auslegung dahin, dass nur das unmittelbare Inbrandsetzen eines Schutzobjekts von § 306 Abs. 1 Alt. 2 StGB tatbestandsmäßig sein soll, bestehe kein Anlass.

Der Senat erkennt jedoch an, dass die Entstehungsgeschichte der Vorschrift darauf hindeutet, dass mit § 308 Abs. 1 Alt. 2 StGB vordergründig Fälle erfasst werden sollen, in denen trotz des Inbrandsetzens des Schutzobjektes erhebliche Gefahren für Leben oder Gesundheit von Bewohnern oder von bedeutenden Sachwerten durch die unmittelbaren Folgen des Brandes (Ruß, Hitze, etc.) entstehen. Jedoch erscheinen die Strafrahmen der §§ 305, 305a StGB angesichts des begangenen Unrechts zu milde, um eine tat- und schuldangemessene Ahndung zu ermöglichen.

Auf subjektiver Tatseite bedarf es in solchen Fällen einer sorgfältigen Prüfung. Der Vorsatz müsse sich auch darauf beziehen, dass der eingetretene Zerstörungserfolg nicht auf einer Brandlegung am Schutzobjekt selbst zurückzuführen sei. Bei einem schweigenden Angeklagten könne die Vorstellung über die möglichen Folgen der Tatbegehung durch Rückschlüsse aus dem äußeren Tatgeschehen festgestellt werden. Wesentlicher Anknüpfungspunkt sei hierbei der Grad der Wahrscheinlichkeit, dass ein Tatobjekt durch die Brandlegung ganz oder teilweise zerstört werde. Der Grad muss anhand einer Gesamtschau der Umstände festgestellt werden. Diesen Anforderungen genüge das Urteil des LG jedoch nicht.

KriPoZ-RR 15/2024

Die Entscheidung im Original finden Sie hier. 

Redaktioneller Leitsatz:

Trotz der veränderten Rechtslage durch das KCanG ist der Grenzwert der nicht geringen Menge an Cannabis unverändert bei 7,5kg THC anzusetzen. Die Gesetzesänderung sieht keine ausdrückliche Erhöhung dieses Grenzwertes fest.

Sachverhalt:

Die beiden Angeklagten A. und M. lebten und arbeiteten in einem mehrmonatigen Zeitraum im Sommer 2023 als „Gärtner“ in einer Indoor-Marihuanaplantage, die von einer Bandenorganisation angemietet wurde. Bei einer Durchsuchung des Anwesens wurden dort über 1.763 Cannabispflanzen mit mindestens 160kg Marihuana und mit einer Gesamtmenge von 22.105 g THC gefunden. Die beiden Angeklagten waren dazu beauftragt, die Pflanzen mit Dünger zu versorgen, sowie die Lüftungsanlage und die Wärmelampen zu betreiben.

Das LG hatte die Angeklagten jeweils wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt.

Entscheidung des BGH:

Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revisionen der Angeklagten haben hinsichtlich des Strafausspruches Erfolg. 

Nach der Ansicht des Senats gebietet das Inkrafttreten des KCanG eine Neufassung des Schuldspruchs. Das vom LG festgestellte Tatgeschehen stelle sich als verbotener Besitz von mehr als drei lebenden Cannabispflanzen (§ 34 Abs.1. Nr. 1c iVm § 2 Abs. 1 Nr. 1 KCanG) in Tateinheit mit Beihilfe zum nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 KCanG verbotenen Handeltreiben mit Cannabis (§ 34 Abs. 1 Nr. 4 iVm § 2 Abs. 1 Nr. 4 KCanG, § 27 StGB) dar. Die Tathandlungen des KCanG seien hierbei ausdrücklich an die Begrifflichkeiten des BtMG orientiert. Demnach seien die entwickelten Grundsätze in Bezug auf die in § 29 ff. BtMG unter Strafe gestellten Handlungsformen zu übertragen.

Der Senat geht davon aus, dass der Grenzwert der nicht geringen Menge für THC i.S.d. § 34 Abs. 3 S. 2 Nr. 4 KCanG 7,5 g beträgt. Hierbei wurde sich infolge der fehlenden Bestimmbarkeit einer lebensbedrohlichen Einzeldosis auf dessen konkreten Wirkungsweise und der Wirkungsintensität, insbes. der Gefährlichkeit, gestützt. Bei der Bemessung des Grenzwertes wurde unter anderem berücksichtigt, dass THC anders als z.B. Heroin nicht zur physischen Abhängigkeit führt, wenngleich es teilweise zu psychischen Störungen wie Psychosen oder Depressionen führen kann.

Das KCanG definiere den Begriff der nicht geringen Menge nicht ausdrücklich. Mit Blick auf die unveränderte Wirkweise und Gefährlichkeit sei der Grenzwert jedoch nicht anders zu bestimmen, als zuvor. Die Regelung in § 34 Abs. 3 S. 2 Nr. 4 KCanG gebe hierzu keinen Anlass.

Einerseits gebe der Wortlaut dafür keine Anhaltspunkte. Der Gesetzgeber habe sich bewusst für den unbestimmten Rechtsbegriff entschieden. Andererseits spreche auch der Sinn und Zweck des § 34 Abs. 3 S. 2 Nr. 4 KCanG für die Beibehaltung des Grenzwertes. § 34 KCanG soll die Volksgesundheit und die körperliche Unversehrtheit des einzelnen Bürgers schützen. Das Gesetz ziele erkennbar auf einen verbesserten Gesundheitsschutz ab. Der Regelungszweck habe sich gegenüber § 29a BtMG nicht geändert.

Zudem spreche auch die Gesetzessystematik für diese Auslegung. Der Umgang mit Cannabis sei gem. § 2 KCanG trotzdem noch verboten; in § 2 Abs. 4 KCanG werden lediglich spezifizierte, erlaubte Handlungen ausgenommen. Dieser Wertung stünden auch nicht die in § 3 KCanG festgesetzten legalen Besitzmengen entgegen.

Letztlich sei auch aus der Entstehungsgeschichte des KCanG nichts Gegenteiliges zu ziehen. Nach der Gesetzesbegründung des KCanG ist der Grenzwert von der Rechtsprechung aufgrund der geänderten Risikobewertung zu entwickeln. Jedoch lässt sich aus der Gesetzesbegründung und auch sonst keine geänderte Risikolage feststellen; insbesondere sei die Wirkungsweise und -intensität von THC unverändert.

Unabhängig des unveränderten Grenzwertes könne der Strafausspruch keinen Bestand haben. Der Strafrahmen des § 34 Abs. 3 S. 1 KCanG sehe für besonders schwere Fälle eine Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren vor, während der vom LG angewandte § 29a Abs. 1 BtMG eine Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünfzehn Jahren eröffnet. Die Absenkung des Strafrahmens beruhe auf dem durch den Gesetzgeber vorgesehenen geringen Unwerturteil hinsichtlich dieser Taten.

Anmerkung der Redaktion:

In der Fachöffentlichkeit wurde bereits kurz nach der Veröffentlichung der hiesigen Entscheidung über dessen Verfassungskonformität diskutiert. Hierbei wurde insbesondere bemängelt, dass der 1. Senat sich klar über den Willen des aktuellen Gesetzgebers hinwegsetze und damit gegen den Bestimmtheitsgrundsatz gem. Art. 103 Abs. 1 GG verstoße. 

 

KriPoZ-RR 14/2024

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Redaktioneller Leitsatz:

Auch chirurgische Instrumente, die bestimmungsgemäß von ausgebildetem medizinischem Personal verwendet werden, begründen eine besondere Gefährlichkeit und sind demnach als gefährliches Werkzeug i.S.d. § 224 Abs. 1 Nr. 2 Var. 2 StGB zu qualifizieren.

Sachverhalt:

Die Angeklagte litt unter dem selten vorkommenden sog. Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom, einer psychischen Störung, die sie dazu veranlasste, bestimmte Krankheitssymptome ihrer Kinder gegenüber Ärzten und ihrem sozialen Umfeld vorzutäuschen oder gar zu fingieren, um hierdurch nicht indizierte medizinische Eingriffe zu veranlassen. Hierdurch wollte sie Wertschätzung von Dritten erfahren.

Die Angeklagte veranlasste bei ihrer Tochter M. durch bewusst falsche Angaben die Aufnahme in ein Krankenhaus, um tatsächlich nicht bestehende Darmstörungen behandeln zu lassen. Aufgrund der falschen Angaben wurde ihrer Tochter unter Vollnarkose und durch das Aufschneiden der Bauchwand ein künstlicher Darmausgang gelegt. Die Angeklagte wusste, dass diese Operation für ihre Tochter potenziell lebensgefährlich war.

Bezüglich ihrer jüngsten Tochter A. gab die Angeklagte wahrheitswidrig an, dass diese Atmungs- und Trinkprobleme habe. Wie von ihr beabsichtigt, wurde ihr in dem weiteren Verlauf eine PEG-Sonde eingelegt. Dies konnte nur mittels einer Operation durchgeführt werden, in der die Bauchdecke des Säuglings durchgestochen wurde. Auch bei dieser Operation nahm die Angeklagte die Lebensgefährlichkeit der Behandlung in Kauf. In der Folge entschloss sich die Angeklagte, das für die PEG-Sonde vorgesehene Sondennahrung der A. teilweise vorzuenthalten. Hierdurch wollte sie erzwingen, dass ihre Tochter erheblich an Gewicht verliert und dadurch erneut medizinisch behandelt wird; andauernde körperliche Schmerzen nahm sie hierbei in Kauf. Nachdem der Säugling aufgrund einer erheblichen Unterernährung eingeliefert wurde, kam es schließlich durch das misstrauisch gewordene Pflegepersonal zu der Trennung der Angeklagten von A.

Das LG hatte die Angeklagte wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen in drei Fällen, jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, unter Einbeziehung der Geldstrafe aus einer Vorverurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt.

Entscheidung des BGH:

Die auf die Rüge der Verletzung materiellen und formellen Rechts gestützte Revision der Angeklagten hat keinen Erfolg und ist offensichtlich unbegründet i.S.d. § 349 Abs. 2 StPO.

Nach Ansicht des Senats könne es dahinstehen, ob das Verhalten der Angeklagten die objektiven Voraussetzungen des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB erfülle; jedenfalls könne nicht hinreichend belegt werden, dass die subjektive Komponente vorlag. Jedoch tragen die Urteilgründe eine Strafbarkeit gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 Var. 2 StGB hinsichtlich der erfolgten operativen Eingriffe. Ein gefährliches Werkzeug sei ein Tatmittel, das nach seiner objektiven Beschaffenheit und der Art seiner Verwendung im Einzelfall dazu geeignet ist, erhebliche Körperverletzungen herbeizuführen. Die chirurgischen Instrumente, die beim Durchtrennen bzw. Durchstechen der Bauchwand benutzt wurden, erfüllen diese Voraussetzungen.

Die bisherige Rechtsprechung zu § 223a StGB in Bezug auf diese Problematik stehe dieser Auslegung nicht entgegen. Lege artis genutzte Instrumente wurden demnach unabhängig von ihrer konkreten Verwendungsweise einem Messer oder anderem gefährlichen Werkzeug gem. dem § 223a StGB nicht gleichgestellt. Auf diese bisherige Rechtsprechung kann seit der nun geltenden Gesetzesfassung des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB vom 1. April 1998 jedenfalls bei der Nutzung von chirurgischen Instrumenten bei medizinisch nicht indizierten Eingriffen nicht zurückgegriffen werden.

Diese Bewertung unterstütze der Wortlaut des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB, wonach ein anderes gefährliches Werkzeug kein Beispiel für eine Waffe darstelle, sondern vielmehr eine Waffe als Unterfall eines gefährlichen Werkzeugs zu betrachten sei. Ein gefährliches Werkzeug setze aber in Abgrenzung zu einer Waffe gerade nicht voraus, dass dieses zum Einsatz als Verteidigungs- oder Angriffsmittel bestimmt sei. Soweit nur auf die potenzielle Gefährlichkeit abgestellt werde, könne ein regelgerecht eingesetztes chirurgisches Instrument nicht aus dem Anwendungsbereich des § 224 Abs. 1 Nr. 2 Var. 2 StGB ausgeschlossen werden.

Dafür streite die Gesetzessystematik. Auch in anderen strafrechtlichen Vorschriften sei das Tatbestandsmerkmal des „anderen gefährlichen Werkzeugs“ zu finden, vgl. § 177 Abs. 7 u. Abs. 8 StGB, § 244 Abs. 1 StGB). Hierbei bestehe Einigkeit, dass ein gefährliches Werkzeug keine Bestimmung als Angriffs- oder Verteidigungsmittel voraussetze. Es reiche aus, dass der Gegenstand objektiv geeignet ist, erhebliche Verletzungen herbeizuführen. Dieses Ergebnis entspreche auch einer teleologischen Auslegung. Alle Begehungsvarianten des § 224 StGB zeichne eine besonders gefährliche Begehungsweise aus. Dies sei gerade auch bei dem lege artis Einsatz von chirurgischen Instrumenten gegeben.

Einer Vorlage nach § 132 Abs. 2 GVG sei nicht notwendig, da die rechtliche Grundlage der bisherigen Rechtsprechung seit dem Wegfall des § 223a StGB nicht mehr bestehe.

 

 

KriPoZ-RR 13/2024

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

Amtliche Leitsätze:

  1. Geschütztes Rechtsgut des § 239a StGB ist nicht nur die Willensfreiheit des Genötigten vor einer besonders schwerwiegenden und besonders verwerflichen Nötigung, sondern auch dessen körperliche Integrität.

  2. Der für § 239a Abs. 3 StGB erforderliche qualifikationsspezifische und aus der konkreten Schutzrichtung der Norm zu bestimmende Zusammenhang ist deshalb auch dann gegeben, wenn der Tod des Opfers als Folge der dem Opfer während der Bemächtigungslage widerfahrenen Behandlung eintritt, wobei die Eskalationsgefahr mit zunehmender Dauer der Gefangenschaft regelmäßig zunimmt.

Sachverhalt:

Die Angeklagten fassten den gemeinsamen Plan, dass sie den wohlhabenden und alleinlebenden O., der ein Bekannter des Mitangeklagten A. war, in seinem Haus zu überfallen und dessen Wertgegenstände entwenden. Beide wussten, dass O. wegen seines Gesundheitszustandes bei der Tat versterben könnte. Nach dem Tatplan sollte allein der Angeklagte B. durch die stets geöffnete Terrassentür in die Wohnung einsteigen und O. zur Herausgabe der Wertgegenstände nötigen; der Angeklagte A. sollte wegen seiner Bekanntschaft mit O. und der befürchteten Entdeckungsgefahr fern bleiben. Er sollte nur als Fahrer agieren.

Am Tattag schlich sich B. in das Haus des O. und überwältigte diesen nach einem kurzen Kampf, der nun die Herausgabe seines Geldes anbot. B rief zunächst den A. auf dessen Mobiltelefon an; diesen Anruf nahm A. zum Anlass, um nun selbst zum Tatort zu fahren. Dort angekommen, betrat dieser das Haus durch die Terassentür, während sich B. und O. im Schlafzimmer befanden. Als diese zur weiteren Übergabe von Geldmitteln wieder in den Wohnbereich gingen, kam A. plötzlich aus der Küche. Dieser hatte sich dazu entschieden, O. zu töten, da er der Meinung war, von O. gesehen und erkannt worden zu sein.

In der Folge packte A. den O. von hinten, hielt ihm den Mund zu und würgte diesen mit erheblichem Kraftaufwand für zwei Minuten. Dieser verstarb infolge des Sauerstoffmangels. B. rechnete nicht mit dem Angriff des A., erkannte jedoch spätestens nach einer Minute, dass O. dadurch sterben würde. Er blieb untätig, obwohl ihm ein Eingreifen möglich gewesen wäre.

Das LG hatte den Angeklagten B. nach einer Aufhebung des ursprünglichen Urteils und Zurückverweisung der Sache durch den 1. Strafsenat wegen erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit räuberischer Erpressung und wegen unterlassener Hilfeleistung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und neun Monaten verurteilt.

Entscheidung des BGH:

Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision der Nebenklage hat Teilerfolg. Diese beanstandete, dass das LG zu Unrecht eine Verurteilung auch in Bezug auf die eingetretene Todesfolge ablehnte. Dies sei hinsichtlich einer leichtfertigen Begehungsweise nicht haltbar.

Die von der Kammer getroffene rechtliche Würdigung schöpfe die Feststellungen nicht aus. Diese belegten vielmehr, dass durch das vorsätzliche Sich-Bemächtigen durch B. eine Gefahrenlage für das Leben des O. entstand, die sich in der späteren Eskalation verwirklichte. B. könne der Tod des O. zugerechnet werden. Ein Beteiligter hafte grundsätzlich nur für die Folgen eines unmittelbaren Täters, wenn die Begehung des Grunddelikts i.S.d. § 239 Abs. 1 StGB in seine Vorstellung von der Tat einbezogen wurde; hinsichtlich der schweren Folge genüge Leichtfertigkeit.

Nach diesen Maßstäben erfülle bereits das Verhalten des B. selbst den Tatbestand des § 239a Abs. 1 SGB, indem er sich des O. über einen längeren Zeitraum bemächtigte und eine nicht unerhebliche Zwangslage herstellte. Leichtfertig handele eine Person, die bezogen auf den Todeseintritt einen erhöhten Grad an Fahrlässigkeit aufweise, insbesondere die sich aufdrängende Möglichkeit eines tödlichen Verlaufs aus besonderem Leichtsinn außer Acht lasse. Gleichzeitig müsse sich der Todeserfolg im Rahmen eines für § 239a Abs. 3 StGB erforderlichen qualifikationsspezifischen Zusammenhangs ergeben. Eine wenigstens leichtfertige Todesverursachung durch die Tat sei danach dann anzunehmen, wenn sich im Tod tatbestandsspezifische Risiken verwirklichen, die mit dem Grundtatbestand zusammenhängen.

Der B. schaffe nach der Ansicht des Senats bereits mit der Entführung und Bemächtigung eine erhebliche Gefahrenlage für die körperliche Integrität des Opfers; diese Gefahrenlage nehme mit zunehmender Dauer der Gefangenschaft regelmäßig zu. Die körperliche Integrität sei dahingehend neben der Beeinträchtigung der Willensfreiheit des Genötigten ein von § 239a StGB geschütztes Rechtsgut. Die typische Gefahr für die körperliche Integrität habe sich im vorliegenden Fall verwirklicht. Die Eskalationsgefahr hätte sich danach vor allem durch das Eintreffen des A. erhöht, was für B. auch erkennbar gewesen sei. Der Exzess des A. lasse den Zurechnungszusammenhang zwischen dem von B. begangenen erpresserischen Menschenraub und dem Tod des O. nicht entfallen.

KriPoZ-RR 12/2024

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

Redaktioneller Leitsatz:

Bei mehreren, nebeneinander stehenden Tatmotiven muss zunächst das handlungsleitende identifiziert werden. Nur, soweit dieses Tatmotiv als niedrig anzusehen ist, ist eine Begehung gem. § 211 Abs. 2 Gr. 1 Var. 4 StGB einschlägig. 

Sachverhalt:

Der Angeklagte erschoss das Opfer A. mit vier Schüssen aus einer Pistole. Grund hierfür war eine Konfrontation zu einem früheren Zeitpunkt zwischen dem jüngeren Halbbruder des Angeklagten und A. Der Halbbruder des Angeklagten hatte mit zwei Freunden auf einem Parkdeck Cannabis geraucht, woraufhin der A. mit seinem Hund vorbeilief und diese aufforderte, sich „zu verpissen“. A. schlug den Halbbruder des Angeklagten mit der flachen Hand ins Gesicht. Der Angeklagte wurde daraufhin von seinem Halbbruder über den Vorfall informiert. Dieser wurde wütend und erklärte, dass der Geschädigte „einen auf die Fresse“ kriege.

Der Angeklagte, dessen Halbbruder und andere Personen suchten in der Folge stundenlang nach A., den sie jedoch nicht fanden. Nachdem die Gruppe in die Wohnung des Angeklagten zurückkehrte, machten sie sich circa eine Stunde später erneut auf den Weg und trafen das Opfer schließlich in der Nähe seiner Wohnung auf einer Parkbank sitzend an. Der Angeklagte zog eine Pistole aus seiner Bauchtasche und richtete sie auf A. Dieses erklärte, der Angeklagte solle doch schießen, er habe keine Angst. Das Opfer versuchte, nach der Waffe zu greifen, blieb jedoch erfolglos. Der Angeklagte setzte sodann vier Schüsse aus kurzer Distanz auf A. ab, woraufhin dieser rasch verstarb.

Das LG hatte den Angeklagten daraufhin wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt. 

Entscheidung des BGH:

Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg. Jedoch führen die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger, die eine Verurteilung wegen Mordes anstrebten und die fehlerhafte Anwendung materiellen Rechts rügten, zur Aufhebung des Urteils.

Die Schwurgerichtskammer hat die Annahme von Mordmerkmalen abgelehnt. Eine heimtückische Tötung könne ausgeschlossen werden, weil das Opfer sich einer überlegenen Anzahl von Gegnern gegenübergesehen habe und er mit einem tätlichen Angriff des Angeklagten rechnen müsse. Seine Arglosigkeit sei danach entfallen. Hierfür spreche auch, dass das Opfer noch nach der Waffe greifen konnte. Die Ablehnung des Mordmerkmals der Heimtücke sei nach dem Senat nicht zu beanstanden gewesen.

Jedoch seien die Ausführungen der Kammer in Bezug auf das Vorliegen eines niedrigen Beweggrundes nicht haltbar. Die Kammer ging davon aus, dass die Motivation des Angeklagten, dessen Kränkung und die Wut aufgrund der Auseinandersetzung zwischen seinem Halbbruder und dem Opfer nicht so wenig nachvollziehbar sei, dass die Tat in besonderem Maße verachtenswert sei.

Ob dies der Fall sei, müsse anhand einer Gesamtwürdigung beurteilt werden. Spielen mehrere Handlungsantriebe bei der Tat eine Rolle, so müsse überprüft werden, inwiefern das handlungsleitende Motiv einen niedrigen Beweggrund darstelle. Diesen Anforderungen wurde die Strafkammer nicht gerecht. Es sei schon unklar, welches Motiv tatleitend war. Die Strafkammer stelle einerseits auf die „Kränkung und Wut“ des Angeklagten über das vorherige Geschehen ab, andererseits legten jedoch die Äußerungen des Angeklagten („einen auf die Fresse kriegen“) nahe, dass dieser auch Rache- und Bestrafungsvorstellungen verfolgte. Die Bestimmung eines handlungsleitenden Motives wäre nur entbehrlich gewesen, wenn alle in Frage kommenden Motive für sich gesehen nicht als niedrig anzusehen seien. Hierbei kommt der Senat jedoch zum Schluss, dass das Motiv der Selbstjustiz als niedriger Beweggrund in Betracht komme; ein Handeln zur Machtdemonstration stehe stets regelmäßig sittlich auf tiefster Stufe.

 

 

 

KriPoZ 11/2024

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

Redaktioneller Leitsatz:

Bei der Bewertung des Tötungsvorsatzes muss stets eine Gesamtabwägung vorgenommen werden. Hierbei muss auch die Persönlichkeit des Täters sowie seine psychische Verfasstheit und Motivation während der Tat berücksichtigt werden.

Sachverhalt:

Die Angeklagte erlangte im Jahre 1990 die allgemeine Hochschulreife und begann in der Folgezeit das Studium der Biologie, dass sie auch erfolgreich abschloss. Die Angeklagte war zwischen Mai 1995 bis einschließlich September 1996 im Studiengang Zahnmedizin eingeschrieben, wurde jedoch zum 31. März 2000 exmatrikuliert. Die Angeklagte arbeitete in den Jahren 2007 bis 2010 an verschiedenen Standorten als Heilpraktikerin, nach ihr im April 2000 die Erlaubnis erteilt wurde, Heilkunde (ohne als Arzt aufzutreten) zu praktizieren. Zum 1. November 2015 wurde die Angeklagte als Assistenzärztin unter Vorlage einer gefälschten Approbationsurkunde sowie eines unrichtigen Lebenslaufes in einem Krankenhaus eingestellt und arbeitete fortan in der Abteilung für Inneres, in der Anästhesie sowie im Medizincontrolling bis zu ihrer Kündigung im Dezember 2018. Während ihrer Zeit in der Anästhesie zwischen dem 1. März und dem 1. November 2017 musste die Angeklagte zahlreiche Operationen  als Narkoseärztin – teilweise eigenständig – betreuen. Es kam ihr hierbei neben der damit verbundenen Reputation auch auf die monatlichen Gehaltszahlungen an.

Der Angeklagten unterlief bei allen Behandlungen verschiedene Fehler, unter anderem die inadäquate oder zu langsame Behandlung, das Übersehen oder Verkennen von Krisensituationen oder auch das Unterlassen der Herbeiholung von Hilfe durch einen Facharzt. In zahlreichen Fällen (Fälle II.6-II.18) verstarben die Patienten infolge ihrer Behandlung und dies nahm sie billigend in Kauf.

Das LG hat die Angeklagte wegen Mordes in Tateinheit mit unerlaubtem Verabreichen von Betäubungsmitteln in drei Fällen, versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und unerlaubtem Verabreichen von Betäubungsmitteln in zehn Fällen, gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit unerlaubtem Verabreichen von Betäubungsmitteln in drei Fällen, Betruges in Tateinheit mit Urkundenfälschung und Missbrauch von Berufsbezeichnungen in vier Fällen zu einer lebenslangen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt und die besondere Schwere der Schuld festgestellt.

Entscheidung des BGH:

Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg.

Das LG habe den bedingen Tötungsvorsatz der Angeklagten nicht tragfähig begründet. Nach ständiger Rechtsprechung sei ein bedingter Tötungsvorsatz gegeben, wenn der Täter den Tod als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkenne und dies billige oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit dem Eintritt des Todes abfinde, selbst wenn ihm dieser unerwünscht sei. Bei Tötungsdelikten sei eine Gesamtschau aller objektiver und subjektiver Umstände vorzunehmen, wobei auch die Persönlichkeit des Täters und dessen psychische Verfassung während der Tatbegehung, seine Motivation und die konkrete Angriffsweise vom Tatrichter zu berücksichtigen sei.

Das LG hätte insoweit nur hinsichtlich einer Tötungshandlung den Vorsatz umfassend begründet und hinsichtlich der anderen Tötungsdelikte darauf verwiesen. Jedoch unterscheide sich die Befundlage der verschiedenen Fälle und erlaube keine Übertragung der Ausführungen. Zudem sei die Begründung des Vorsatzes selbst fehlerhaft. Zwar sei das Verhalten der Angeklagten als sehr gefährlich einzustufen, jedoch habe die Kammer vorsatzkritische Gesichtspunkte nicht ausreichend berücksichtigt. Insbesondere, ob durch den Umstand, dass die Angeklagte zunächst von einem Chefarzt begleitet wurde und dann alleine tätig werden durfte, das eigene Vertrauen der Angeklagten in ihre Fähigkeiten maßgeblich beeinflusst habe, wurde nicht bewertet. Zudem sei das LG nicht hinreichend darauf eingegangen, inwiefern die festgestellte Persönlichkeitsstruktur auf das Vorhandensein eines bedingten Tötungsvorsatzes hindeuten. Der Senat weist darauf hin, dass der neue Tatrichter sowohl die Persönlichkeitsstruktur der Angeklagten als auch die Verhaltensauffälligkeiten im Allgemeinen in den Blick zu nehmen habe.

 

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