KriPoZ-RR, Beitrag 34/2023

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 13.4.2023 – 4 StR 413/22: Mit einem Küchenmesser in den Rücken „Pieksen“ als gefährliche Körperverletzung?

Sachverhalt:

Der Angeklagte wurde vom LG Münster wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hat der Angeklagte der Geschädigten mindestens zweimal mit einem Küchenmesser in den Rücken „gepiekst“ als diese vor ihm eine Treppe hinaufging. Bei der Geschädigten verursachte dies einen stechenden, „wie Nadelstiche“ anfühlenden Schmerz. Im Laufe der nächsten Tage zog der Angeklagte ein Handykabel um den Hals der Geschädigten und schlug ihr mit der Faust gegen den Oberschenkel, welches Hämatome verursachte. Der Angeklagte hat sich nicht zu den Tatvorwürfen eingelassen. Zu den Feststellungen kam die Strafkammer über die Angaben der Geschädigten als Zeugin vom Hörensagen. Der Angeklagte erhob Revision gegen die Verurteilung. 

Entscheidung des BGH:

Das Rechtsmittel hat Erfolg. Bei der Beweiswürdigung im Falle eines nicht geständigen Angeklagten und eines Zeugen, dessen Bekundungen nur mittelbar eingeführt werden können, gelten erhöhte Anforderungen. Eine Überprüfung der Glaubhaftigkeit des Zeugen sei in diesem Falle nicht möglich. Für eine Aussage eines Zeugen vom Hörensagen gelte daher, dass diese „durch andere wichtige und im unmittelbaren Bezug zum Tatgeschehen stehende Gesichtspunkte bestätigt wird“. Hieran fehle es vorliegend. Das Urteil stütze sich ausschließlich auf die Aussagen, die die Zeugin im Rahmen ihrer ermittlungsrichterlichen Vernehmung getätigt habe.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Der Strafsenat führt an, dass hierbei die vom LG Münster angenommene gefährliche Körperverletzung durch „Pieksen“ in den Rücken mit einem Küchenmesser näherer Darlegung bedürfe. Der Gegenstand müsse nach konkreter Art der Benutzung und Beschaffenheit im Einzelfall dazu geeignet sein, erhebliche Körperverletzungen herbeizuführen. Ob vorliegend die Erheblichkeitsschwelle überschritten wurde ist vor dem Hintergrund, dass abstrakt gefährliche Werkzeuge in konkret ungefährlicher Weise nicht den Tatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB erfüllen, zumindest zu erörtern.

KriPoZ-RR, Beitrag 33/2023

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 4.4.2023 – 1 StR 488/22: Minder schwerer Fall und vertypte Milderungsgründe 

Leitsatz der Redaktion: 

Ein minder schwerer Fall gemäß § 213 Alt. 1 und Alt. 2 StGB kann ohne zusätzliche Berücksichtigung des vertypten Milderungsgrundes der verminderten Schuldfähigkeit nach §§ 21, 49 StGB verneint werden. 

Sachverhalt:

Das LG Memmingen hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer siebenjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hat der Angeklagte mit der später Geschädigten einen Kaufvertrag über ein Wohnhaus („gekauft wie gesehen“) geschlossen, welches sich im Nachhinein als mangelhaft herausstellte. Als die später Geschädigte die Rückabwicklung verweigerte mit den Worten der Angeklagte „solle sich verpissen und zu seiner dummen Frau zurückgehen“, riss der Angeklagte die Geschädigte zu Boden und trat viermal heftig gegen den Kopf der Geschädigten, sodass diese nach kurzer Zeit verstarb. Das LG Memmingen hat angenommen, dass der Angeklagte hierbei in seinem Hemmungsvermögen erheblich eingeschränkt war und das Vorliegen des § 21 StGB bejaht. Einen minder schweren Fall (§ 213 StGB) hat das LG verneint, unter zusätzlicher Heranziehung des vertypten Milderungsgrundes aus §§ 21, 49 Abs. 1 StGB aber die Anwendung des gemilderten Strafrahmens von § 213 Alt. 2 StGB angewendet. Der Angeklagte hat Revision gegen die Entscheidung eingelegt.

Entscheidung des BGH:

Der BGH hat die Revision des Angeklagten verworfen. Das LG Memmingen habe ohne Rechtsfehler einen minder schweren Fall des Totschlags abgelehnt. Eine „schwere Beleidigung“ i.S.d. § 213 StGB  sei unter Berücksichtigung des Geschehensablaufes, Tatauslösers, der Persönlichkeit und der Täter-Opfer-Beziehung objektiv zu bestimmen. Auch in der Vergangenheit liegende Vorfälle seien mit einzubeziehen. Die Äußerung der Geschädigten sei zwar kränkend gewesen, ein Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrages habe jedoch nicht bestanden. Auch die im Vorfeld stattgefundene Kommunikation zwischen den Beteiligten habe das LG Memmingen ausreichend berücksichtigt und rechtsfehlerfrei eine schwere Beleidigung abgelehnt, die sich durch vorherige Geschehen „aufsummier[t]“ habe. Ein sonst minder schwerer Fall i.S.d. § 213 Alt. 2 StGB sei ebenfalls ohne Rechtsfehler angenommen worden. Zwar habe das LG Memmingen zu Lasten des Angeklagten die brutale Vorgehensweise der Tötung angeführt. Dies verstoße jedoch nicht gegen das Doppelverwertungsverbot, da dies vorliegend nicht mit Bezug auf die erforderliche Gewalt, sondern auf die bei der Tat aufgewendete Tötungsabsicht strafschärfend gewertet worden sei. 

KriPoZ-RR, Beitrag 32/2023

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 8.3.2023 – 1 StR 188/22: Zum Arbeitgeberbegriff i.S.v. § 266a StGB 

Amtliche Leitsätze:

 1. Für die Abgrenzung von sog. scheinselbständigen Rechtsanwälten und freien Mitarbeitern einer Rechtsanwaltskanzlei ist das Gesamtbild der Arbeitsleistung maßgebend; soweit die Kriterien der Weisungsgebundenheit und Eingliederung wegen der Eigenart der Anwaltstätigkeit im Einzelfall an Trennschärfe und Aussagekraft verlieren, ist vornehmlich auf das eigene Unternehmerrisiko und die Art der vereinbarten Vergütung abzustellen. 

2. Beitragszahlungen von Schwarzarbeitern und illegal Beschäftigten aufgrund einer mit dem Arbeitgeber getroffenen Vereinbarung lassen nicht schon die Tatbestandsmäßigkeit des § 266a Abs. 1 und 2 StGB entfallen, sondern sind erst auf der Ebene der Strafzumessung zu berücksichtigen. 

Sachverhalt:

Der Angeklagte wurde vom LG Traunstein wegen Vorenthaltens und Veruntreuen von Arbeitsentgelt zu einer Gesamtfreiheits- und Gesamtgeldstrafe verurteilt. Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hat der angeklagte Rechtsanwalt mehrere Rechtsanwälte über einen „Freien Mitarbeitervertrag“ zum Schein als selbstständige freie Mitarbeiter beschäftigt. Der Angeklagte wies den Rechtsanwälten die zu bearbeitenden Mandate zu und stellte ihnen die Räume der Kanzlei sowie das Personal zur Verfügung. Die Rechtsanwälte erhielten ein monatliches Honorar. Die Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung enthielt der Angeklagte vor. Das LG Traunstein nahm eine abhängige Beschäftigung an, sodass Sozialversicherungspflicht bestehe. Der vorenthaltene Sozialversicherungsbetrag wurde bei der Strafzumessung zugrunde gelegt und mit Beiträgen für die Kranken- und Pflegeversicherung verrechnet. Der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft haben gegen die Entscheidung Rechtsmittel eingelegt. 

Entscheidung des BGH:

Der BGH hat das Urteil im Strafausspruch und Rechtsfolgenausspruch aufgehoben, der Schuldspruch hingegen sei rechtsfehlerfrei erfolgt. Umstritten sei vorliegend die Abgrenzung von unselbständiger Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit. Der Strafsenat weist auf das Fehlen eines Arbeitgeberbegriffes im StGB und auf die Kriterien nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB IV hin, wonach eine persönliche Abhängigkeit erforderlich sei. Dies setzte Weisungsgebundenheit und die Eingliederung im Einzelfall voraus. Vorliegend seien darüber hinaus die Art der vereinbarten Vergütung, die tatsächlichen Gegebenheiten der „gelebten Beziehung“, sowie das eigene Unternehmerrisiko zu berücksichtigen. Letzteres habe bei den Rechtsanwälten gefehlt. Nach einer wertenden Gesamtbetrachtung seien die Rechtsanwälte nicht als selbstständige freien Mitarbeiter einzuordnen, sondern liege eine abhängige Beschäftigung vor. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer zurückverwiesen. 

KriPoZ-RR, Beitrag 31/2023

Die Entscheidung im Original finden Sie hier. Die Pressemitteilung vom 16.5.2023 finden Sie hier

BGH, Urt. v. 16.5.2023 – VI ZR 116/22: Private Tagebuchaufzeichnungen stellen keine „amtlichen Dokumente“ des Strafverfahrens i.S.v. § 353d Nr. 3 StGB dar

Sachverhalt und Prozessverlauf:

Gegen den Kläger laufen wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung Ermittlungsverfahren im Rahmen dessen die Tagebücher des Klägers beschlagnahmt wurden. Die Beklagte hat Kenntnis vom Inhalt der Tagebücher erlangt, woraufhin sie wörtlich Textpassagen hieraus veröffentlichte. Gegen das vom LG Hamburg und überwiegend vom OLG Hamburg erlassene Verbot der Veröffentlichung wendet sich die Beklagte in ihrer Revision.

Entscheidung des BGH:

Die Revision hat Erfolg. Ein zivilrechtlicher Unterlassungsanspruch bestehe nicht. Hierfür müsste ein Schutzgesetz verletzt worden sein. Der in Betracht kommende § 353d Nr. 3 StGB stelle weder ein solches Schutzgesetz dar noch seien die Voraussetzungen der Strafnorm vorliegend erfüllt. § 353d Nr. 3 StGB schütze zwar auch vor einer Bloßstellung aufgrund eines Strafverfahrens. Eine abstrakte Gefährdung der Rechtsgüter genüge aber, sodass es auf eine einzelfallbezogene Abwägung nicht ankomme. Würde die Norm als Schutzgesetz angesehen werden, käme es zu einer Vorverlagerung des zivilrechtlichen Rechtsgüterschutzes. 

Der Tatbestand der Norm setzt eine „Anklageschrift oder andere amtliche Dokumente eines Strafverfahrens“ voraus. Bei den beschlagnahmten privaten Aufzeichnungen handelt es sich nicht um „amtliche Dokumente“, so der BGH. Ein weites Begriffsverständnis würde gegen Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK und Art. 103 Abs. 2 GG verstoßen. Aus dem Wortlaut lasse sich nicht auf eine „amtlich verwahrte Dokumente“ schließen. Dies hätte der Gesetzgeber vor dem Hintergrund des sich aus Art. 103 Abs. 2 GG ergebenen Bestimmtheitsgebotes einfügen müssen. 

KriPoZ-RR, Beitrag 30/2023

Die Entscheidung im Original finden Sie hier. Die Pressemitteilung vom 10.11.2022 finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 10.11.2022 – 5 StR 283/22: Impfpassfälschungen sind auch nach altem Recht strafbar

Amtlicher Leitsatz:

Das Fälschen von Gesundheitszeugnissen nach § 277 StGB a.F. steht zur Urkundenfälschung nach § 267 StGB nicht im Verhältnis privilegierender Spezialität. 

Sachverhalt:

Der Angeklagte wurde vom LG Hamburg wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt. Darüber hinaus wurde der Angeklagte in neun Fällen wegen Urkundenfälschung angeklagt. Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hat der Angeklagte in diesen Fällen gegen Bezahlung Impfausweise angefertigt oder um Eintragungen ergänzt, die Impfungen gegen das SARS-CoV-2-Virus betrafen. Hierdurch konnten die Abnehmer bspw. Zugangsbeschränkungen umgehen. Das LG Hamburg sah hierin keine Verwirklichung des Straftatbestandes des § 277 StGB. Für eine Verurteilung wegen § 267 StGB ist das Gericht von einer Sperrwirkung des § 277 StGB a.F. ausgegangen und hat den Angeklagten vom Vorwurf der Urkundenfälschung freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft hat gegen die Entscheidung Rechtsmittel eingelegt. 

Entscheidung des BGH:

Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Das LG Hamburg habe zutreffend erkannt, dass der Angeklagte sich nicht nach § 277 StGB a.F. strafbar gemacht hat. Zwar habe der Angeklagte über die Identität des Ausstellers getäuscht, indem er die Impfpässe mit einem erfundenen Namenszug und Stempel versah. Es liege jedoch kein erforderlicher Gebrauch zur Täuschung von Behörden oder Versicherungsgesellschaften vor. Der Angeklagte habe die Ausweise nur hergestellt und nicht selbst gebraucht. Auch erfülle der Einsatz in der Gastronomie oder Apotheke nicht den Adressatenkreis des § 277 StGB a.F. 

Rechtsfehlerhaft habe das LG Hamburg aber eine Verurteilung wegen § 267 StGB verneint, welches zur Aufhebung des Urteils führt. Eine Sperrwirkung liege nicht vor. Die Tatbestände des § 277 StGB a.F. und des § 267 StGB ständen nicht in einem Ausschlussverhältnis privilegierender Spezialität. Das Verhältnis zwischen § 277 StGB a.F. und § 267 StGB sei in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Der Strafsenat führt hierzu die unterschiedlich vertretenen Auffassungen an und verweist auf die bisher fehlende Entscheidung durch den BGH zum Verhältnis der Normen. Der Strafsenat führt sodann ausführlich aus, warum keine Spezialität mit privilegierendem Charakter des § 277 StGB a.F. gegenüber § 267 StGB besteht. Es fehle an einer spezifischen Rechtfertigung. Aus dem Wortlaut ergebe sich bereits keine Privilegierungswirkung. Auch systematische Argumente (strukturelle Unterschiede der Normen, das Normgefüge) sprächen gegen eine solche Annahme. § 277 StGB a.F.sei, im Gegensatz zu § 267 StGB, ein zweiaktiges Delikt und schon deshalb nicht vergleichbar. Erhebliche Wertungswidersprüche würden auftreten. Der Sinn und Zweck der Normen spreche ebenfalls aufgrund der unterschiedlichen Rechtsgüter gegen eine privilegierende Spezialität. Während § 267 StGB die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Rechtsverkehrs mit Urkunden allgemein schütze (Interessen vermögensrechtlicher Art), diene § 277 StGB a.F. der Sicherung der Beweiskraft ärztlicher Zeugnisse für Behörden und Versicherungsgesellschaften (Integrität medizinischer Dokumente). Auch aus historischen Gesichtspunkten ergebe sich keine andere Wertung. 

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. 

Anmerkung der Redaktion:

Durch das Gesetz zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes und weiterer Gesetze anlässlich der Aufhebung der Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 22.11.2021 (BGBl. I S. 4906), in Kraft getreten am 24.11.2021, wurden die Vorschriften der §§ 275 ff. StGB neu gefasst.

Prof. Dr. Hoven und Prof. Dr. Weigend berichten über die Neuregelungen der Straftatbestände zum Schutz von Gesundheitszeugnissen in KriPoZ 6/2021.

KriPoZ-RR, Beitrag 29/2023

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 13.4.2023 – 4 StR 439/22: „E-Scooter“ als Kraftfahrzeug i.S.d. § 316 StGB

Leitsatz der Redaktion:

„E-Scooter“ stellen keine Elektrokleinstfahrzeuge oder Fahrräder („Pedelecs“) dar.

Sachverhalt:

Das LG Oldenburg hat den Angeklagten u.a. wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr gemäß § 316 StGB verurteilt. Nach den tatgerichtlichen Feststellungen ist der Angeklagte mit einem „E-Scooter“ auf öffentlichen Wegen gefahren. Hierbei stand der Angeklagte unter Alkoholeinfluss (1,29 ‰), weshalb das LG Oldenburg von einer absoluten Fahruntüchtigkeit zum Tatzeitpunkt ausging. Der Angeklagte hat Rechtsmittel gegen die Entscheidung eingelegt. 

Entscheidung des BGH:

Der BGH hat die Revision des Angeklagten als unbegründet verworfen. Rechtsfehlerfrei habe die Strafkammer eine absolute Fahruntüchtigkeit angenommen. Für alle Kraftfahrer liege diese bei einem Grenzwert von 1,1 ‰. Der Angeklagte habe auch ein Kraftfahrzeug geführt. Unter Kraftfahrern zählten nach stetiger Rechtsprechung auch Fahrer von Krafträdern und Mofa. Eine Entscheidung darüber, ob auch „die neu aufgekommene Fahrzeugklasse der Elektrokleinstfahrzeuge“ unter den Begriff des Kraftfahrzeugs falle, liege hingegen noch nicht vor. Vorliegend sei dies jedoch nicht streitentscheidend. „E-Scooter“ stellen, unabhängig von der technischen Beschaffenheit, jedenfalls keine Elektrokleinstfahrzeuge dar, so der BGH. Maßgeblich sei vielmehr die Höchstgeschwindigkeit. Diese liege bei dem vom Angeklagten verwendeten „E-Scooter“ bei 25 km/h und liege damit nicht im den für Elektrokleinstfahrzeuge maßgeblichen Grenzbereich von 6-20 km/h (§ 1 Abs. 1 eKFV). Auch stelle ein E-Scooter mangels Pedale kein „Pedelec“ dar, sodass auch § 63a Abs. 2 StVZO nicht greife. 

KriPoZ-RR, Beitrag 28/2023

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 20.12.2022 – 2 StR 232/21: Zur ausbeuterischen Beschäftigung bei Tätigkeit als Künstler

Amtlicher Leitsatz: 

Zu den Voraussetzungen der Ausbeutung durch eine Beschäftigung (hier: Tätigkeit als Künstler).

Sachverhalt:

Der Angeklagte wurde vom LG Aachen u.a. wegen Verstößen gegen das AufenthG und Ausbeutung der Arbeitskraft gemäß § 233 Abs. 1 Nr. 1 StGB zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Nach den tatgerichtlichen Feststellungen sind auf Veranlassung des Angeklagten Musiker aus Simbabwe nach Deutschland eingereist, um auf öffentlichen Plätzen aufzutreten. Der Angeklagte behielt einen Großteil der erzielten Einnahmen. Die Unterbringung der Musiker erfolgte teils in „katastrophalen“ Zuständen. Der Angeklagte legte Rechtsmittel gegen die Entscheidung ein.

Entscheidung des BGH:

Die Revision des Angeklagten hatte teilweise Erfolg. Rechtsfehlerhaft habe das LG Aachen eine Verurteilung wegen Ausbeutung der Arbeitskraft angenommen. Diese setze eine ausbeuterische Beschäftigung i.S.d. § 232 Abs. 1 S. 2 StGB voraus. Nicht erfasst seien hiervon selbstständige Beschäftigungen. Darüber hinaus müsse ein auffälliges Missverhältnis bestehen. Hiervon sei auszugehen, „wenn es ins Auge springt, dass die Arbeitsbedingungen gegenüber anderen Arbeitnehmern völlig unangemessen sind.“ Ferner müsse rücksichtslos und unter Ausnutzung einer Zwangslage (ausländerspezifische Hilflosigkeit) gehandelt werden. Letzteres setze voraus, dass eine wirtschaftliche oder persönliche Bedrängnis vorliege. Existenzbedrohend müsse die Lage nicht sein. In zwei Fällen lägen diese Voraussetzungen beim Angeklagten nicht vor. Fraglich sei bereits, ob eine Beschäftigung i.S.v. § 232 Abs. 1 S. 2 StGB vorliege. Auch sei nicht hinreichend belegt, dass ein auffälliges Missverhältnis und ein rücksichtsloses Handeln vorliege. Die Anzahl der Straßenauftritte seien nicht nachgewiesen und die Einnahmen durch die Strafkammer nicht nachvollziehbar geschätzt worden, erwiesen sich vielmehr als „spekulativ“. 

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer zurückverwiesen. 

KriPoZ-RR, Beitrag 27/2023

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 28.3.2023 – 4 StR 61/23: Eine Luftpumpe als Scheinwaffe

Leitsatz der Redaktion:

Eine Luftpumpe, die nach Art eines Gewehres eingesetzt wird, stellt eine Scheinwaffe dar.

Sachverhalt:

Das LG Essen hat den Angeklagten wegen schweren Raubes gemäß §§ 249 Abs. 1, 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB zu einer vierjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Nach den tatgerichtlichen Feststellungen fasste der Angeklagte den Entschluss die Tasche der Geschädigten unter Drohung wegzunehmen. Hierzu hielt er der Geschädigten eine Luftpumpe nach Art eines Gewehres vor das Gesicht. Der Angeklagte beabsichtigte, dass so seinen Forderungen nachgekommen werde. Die Geschädigte und ihre Begleiterinnen erkannten nicht, dass es sich bei der Luftpumpe um keine Schusswaffe handelte und kamen den Forderungen des Angeklagten nach. Dieser nahm die Tasche an sich. Der Angeklagte legte Rechtsmittel gegen die Entscheidung ein.  

Entscheidung des BGH:

Die Revision des Angeklagten wurde durch den BGH verworfen. Rechtsfehlerfrei habe das LG Essen das Vorliegen eines schweren Raubes festgestellt. Vom Qualifikationstatbestand § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB werden auch sog. (objektiv ungefährliche) Scheinwaffen umfasst, führt der Senat aus. Nicht hingegen würden hierunter Gegenstände fallen, die bereits aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes und in ihrer Eignung offensichtlich ungefährlich sind. Vorliegend sei ein solcher Fall jedoch nicht gegeben. Die verwendete Luftpumpe war gerade nicht offensichtlich ungefährlich. Ein Schlageinsatz wäre möglich gewesen. Es kam mithin nicht nur auf die Täuschung an. Der (Wort-)Sinn von § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB werde folglich nicht überschritten.

KriPoZ-RR, Beitrag 26/2023

Die Entscheidung im Original finden Sie hier. Die Pressemitteilung vom 16.2.2023 finden Sie hier. Die Pressemitteilung vom 26.1.2023 ist hier verfügbar.

BGH, Urt. v. 16.2.2023 – 4 StR 211/22: Zur subjektiven Tatseite bei verbotenen Kraftfahrzeugrennen 

Sachverhalt und Verfahrensgang:

Der Angeklagte und der frühere Mitangeklagte verabredeten sich, um ein Kraftfahrzeugrennen im Stadtgebiet durchzuführen. Auf der Gegenfahrspur beschleunigte der Angeklagte und erreichte eine Maximalgeschwindigkeit von 167 km/h. Als die Geschädigte mit ihrem Pkw unter Missachtung der Vorfahrt in die Straße einbog, führte der Angeklagte eine Vollbremsung durch und versuchte auszuweichen. Die Fahrzeuge kollidierten, woraufhin die Geschädigte im Krankenhaus verstarb. Vom LG Kleve wurde der Angeklagte wegen Mordes in Tateinheit mit verbotenem Kraftfahrzeugrennen mit Todesfolge verurteilt. Der BGH hob auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil auf und verwies die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurück. Das LG Kleve hat daraufhin den Angeklagten wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens mit Todesfolge verurteilt. Die Verurteilung wegen eines vollendeten Tötungsdeliktes verneinte das LG. Ein bedingter Tötungsvorsatz habe nicht vorgelegen. Hiergegen legten die Staatsanwaltschaft und Nebenkläger Rechtsmittel ein. 

Entscheidung des BGH:

Die Revisionen, die allein das Ziel einer Verurteilung des Angeklagten wegen eines vollendeten Tötungsdeliktes hatten, haben Erfolg. Rechtsfehlerhaft habe das LG Kleve das Vorliegen eines bedingten Tötungsvorsatzes verneint. Die Ausführungen des LG zur Verneinung eines bedingten Tötungsvorsatzes ständen „in einem unaufgelösten Spannungsverhältnis“ zu den Erörterungen, die das LG zur Bejahung eines bedingten Gefährdungsvorsatzes i.S.d. § 315d Abs. 2 StGB anführt. Zwar habe es zutreffend das Wissenselement des bedingten Tötungsvorsatzes bejaht. Das voluntative Element sei jedoch mit der Begründung verneint worden, weil der Angeklagte darauf vertraut habe, dass es „letztlich nicht zu einem Zusammenstoß“ kommen werde. Der bedingte Gefährdungsvorsatz i.S.d. § 315d Abs. 2 StGB sei hingegen mit der Begründung bejaht worden, dass der Angeklagte „insbesondere mit der Möglichkeit gerechnet [hat], dass andere Verkehrsteilnehmer plötzlich aus den angrenzenden Straßen auftauchen.“ Diese Ausführungen stehen im Widerspruch, so der Senat und führen zur Aufhebung des Urteils. 

Die Sache wird ur neuer Verhandlung und Entscheidung, diesmal an das LG Duisburg verwiesen.

KriPoZ-RR, Beitrag 25/2023

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 16.3.2023 – 4 StR 252/22: Notwehrlage bei fortgesetztem Angriff 

Sachverhalt:

Der zur Tatzeit 15-jährige Angeklagte war nach den tatgerichtlichen Feststellungen in einen Streit mit seinem Stiefvater, den später Geschädigten, verwickelt. Im Vorfeld kam es zu körperlichen Übergriffen und Drohungen seitens des Geschädigten gegenüber den Angeklagten und dessen Mutter. Am Tatabend befürchtete der Angeklagte, dass es zu einer weiteren körperlichen Auseinandersetzung komme. Er ergriff deshalb ein Küchenmesser und forderte den Geschädigten auf, wegzugehen. Nachdem dieser der Aufforderung nicht nachkam, sondern dem Angeklagten ins Gesicht schlug, stach dieser mit dem Messer zunächst in den Oberbauch, anschließend in den Brustkorb. Dabei handelte er jeweils mit bedingtem Tötungsvorsatz und in Verteidigungsabsicht. Der Geschädigte verstarb. Das LG Kaiserslautern hat den Angeklagten freigesprochen. Die Messerstiche seien durch Notwehr (§ 32 StGB) gerechtfertigt gewesen. Die Staatsanwaltschaft und die Nebenkläger haben Rechtsmittel gegen die Entscheidung eingelegt. 

Entscheidung des BGH: 

Die Revisionen haben keinen Erfolg. Unter Zugrundelegung des eingeschränkten Prüfungsmaßstabs, führt der Senat aus, dass die Einstufungen der Messerstiche als durch Notwehr gerechtfertigt keine Rechtsfehler aufweisen. Rechtsfehlerfrei sei das LG Kaiserslautern vom Vorliegen einer Notwehrlage i.S.v. § 32 Abs. 2 StGB ausgegangen. Der hierfür erforderliche gegenwärtige, rechtswidrige Angriff des Geschädigten habe sich fortgesetzt, indem dieser in unmittelbarer Schlagdistanz zum Angeklagten geblieben sei. Mangels Feststellungen, sei dieses Verhalten nicht als Schmerzreaktion zu deuten – wie von der Staatsanwaltschaft eingewandt. Eine tatsächliche Verletzungshandlung sei für das Vorliegen eines gegenwärtigen Angriffes nicht erforderlich, sondern bestehe auch bei einem unmittelbar bevorstehenden Angriff. Ist es bereits zu einem Angriff gekommen, sei die andauernde Bedrohungslage entscheidend. Maßgeblich hierbei seien objektive Gesichtspunkte, die subjektive Befürchtung, dass ein Angriff bevorstehe, genüge nicht. Verbale Streitigkeiten seien hierfür nicht ausreichend. Hier habe das LG Kaiserslautern aber zutreffend die Ohrfeige des Geschädigten gegen den Angeklagten als Angriff gewertet. In dubio pro reo sei das LG rechtsfehlerfrei von einer objektiven Notwehrlage ausgegangen. Der BGH schließt sich den Ausführungen des LG Kaiserslautern an, wonach die Messerstiche als Notwehrhandlung auch erforderlich und geboten seien und der Angeklagte mit Verteidigungswillen handelte. Der Angeklagte habe gehandelt, um den bevorstehenden Angriff auf sich abzuwehren. Die Messerstiche seien zu dieser Verteidigung erforderlich gewesen. Auch liege keine sozialethische Einschränkung des Notwehrrechts wegen eines familiären Näheverhältnisses vor. 

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