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KriPoZ-RR 7/2024

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

Redaktioneller Leitsatz:

Auch bei einer vorherigen verbalen oder körperlichen Konfrontation kann ein Opfer bei einem darauffolgenden Angriff noch arg- und wehrlos sein. Entscheidend ist hierbei, ob die verbleibende Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem Angriff so kurz ist, dass das Opfer sich nicht mehr angemessen verteidigen kann.

Sachverhalt:

Der Angeklagte wurde von dem später Geschädigten K. auf dem Parkplatz eines Supermarktes darauf angesprochen, ob dieser ihm ein Gramm Cannabis liefern könne. In der Folge kam es zu einer verbal geführten Auseinandersetzung, bei der K. dem Angeklagten mit der flachen Hand ins Gesicht schlug und diesen in der Folge beleidigte. K. wandte sich danach ab und entfernte sich.

Diese Demütigung wollte der Angeklagte nicht auf sich beruhen lassen und beschloss, mittels seines Fahrzeugs den Geschädigten anzufahren. Er fuhr rückwärts aus dem Parkplatz und folgte dem Geschädigten; dabei missachtete er die Vorfahrt eines anderen Verkehrsteilnehmers und bremste scharf. Der Angeklagte nahm die Bremsgeräusche war und sah, dass der Angeklagte in seine Richtung abgebogen war. Jedoch wollte er keine Blöße zeigen, drehte sich um und lief weiter. Der Angeklagte gab nunmehr Vollgas und fuhr den Geschädigten mit einer Geschwindigkeit von 50 km/h von hinten um. Der Geschädigte wandte sich kurz um, ihm verbliebt jedoch keine Zeit, der bevorstehenden Kollision auszuweichen. Der Aufprall schleuderte den Geschädigten auf den Bürgersteig, wo dieser reglos liegen blieb. Der Geschädigte erlitt durch den Aufprall unter anderem ein Schädel-Hirn-Trauma ersten Grades sowie eine Rippenknorpelfraktur. Erheblichere Verletzungen blieben jedoch aus.

Das LG hatte den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit schwerem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr, gefährlicher Körperverletzung und vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt, den Anrechnungsmaßstab für die in den Niederlanden erlittene Auslieferungshaft bestimmt, eine isolierte Fahrerlaubnissperre verhängt und eine Adhäsionsentscheidung getroffen.

Entscheidung des BGH:

Die Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg. Das Urteil weist keine Rechtsfehler auf. Hierzu erörtert der Senat:

Heimtückisch handele, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und dadurch bedingte Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnutze. Arglos sei ein Tatopfer, das bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs weder mit einem lebensbedrohlichen noch mit einem gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten erheblichen Angriffs rechne. Dabei könne die Arg- und Wehrlosigkeit auch gegeben sein, wenn der Tat eine feindselige Auseinandersetzung vorausgehe, dass Opfer trotzdem in der Tatsituation nicht (mehr) mit einem Angriff rechne. Entscheidend sei, dass der Täter das arglose Opfer überrascht und dadurch verhindert, dass der Anschlag auf das Leben des Opfers erschwert wird. Dies könne auch vorliegen, wenn der Täter dem Opfer feindselig gegenübertrete, die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem Angriff jedoch so kurz sei, dass keine Möglichkeit zur Verteidigung verbleibe.

Demnach habe die Kammer das heimtückische Handeln des Angeklagten tragfähig belegt. Zwar ging dem Geschehen eine verbale Auseinandersetzung voraus; jedoch verhielt sich der Angeklagte hierbei zurückhaltend und passiv. Der Geschädigte rechnete nicht mit einem tätlichen Angriff, sondern vielmehr nur damit, dass der Angeklagte diesem „Angst einjagen“ wollte. Dass sich K. vor der Kollision umwandte und den Angriff in letzter Sekunde wahrnahm, ändere nichts daran, dass die verbleibende Zeitpanne zu kurz gewesen sei, um der Gefahr angemessen zu begegnen.

 

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