KriPoZ-RR, Beitrag 50/23

Die Entscheidung im Original finden Sie hier. Die Pressemitteilung ist hier verfügbar.

Amtliche Leitsätze: 

  1. Das grundrechtsgleiche Recht des Art. 103 Abs. 3 GG enthält kein bloßes Mehrfachbestrafungsverbot, sondern ein Mehrfachverfolgungsverbot, das Verurteilte wie Freigesprochene gleichermaßen schützt.

  2. Es entfaltet seine Wirkung auch gegenüber dem Gesetzgeber, wenn dieser die gesetzlichen Voraussetzungen für eine erneute Strafverfolgung durch die Wiederaufnahme eines Strafverfahrens schafft.

  3. Das in Art. 103 Abs. 3 GG statuierte Mehrfachverfolgungsverbot trifft eine Vorrangentscheidung zugunsten der Rechtssicherheit gegenüber der materialen Gerechtigkeit. Diese Vorrangentscheidung steht einer Relativierung des Verbots durch Abwägung mit anderen Rechtsgütern von Verfassungsrang nicht offen, sodass dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Wiederaufnahmerechts insoweit kein Gestaltungsspielraum zukommt.

  4. 103 Abs. 3 GG umfasst nur eine eng umgrenzte Einzelausprägung des Vertrauensschutzes in rechtskräftige Entscheidungen. Er schützt den Einzelnen allein vor erneuter Strafverfolgung aufgrund der allgemeinen Strafgesetze, wenn wegen derselben Tat bereits durch ein deutsches Gericht ein rechtskräftiges Strafurteil ergangen ist.

  5. Im Rahmen dieses begrenzten Schutzgehalts verbietet Art. 103 Abs. 3 GG die Wiederaufnahme von Strafverfahren zum Nachteil des Grundrechtsträgers nicht generell, jedenfalls aber die Wiederaufnahme aufgrund neuer Tatsachen oder Beweismittel.

  6. Freigesprochene dürfen darauf vertrauen, dass die Rechtskraft des Freispruchs nur aufgrund der zum Zeitpunkt des Eintritts der Rechtskraft geltenden Rechtslage durchbrochen werden kann. Der Grundsatz ne bis in idem erkennt die Schutzwürdigkeit des Vertrauens in ein freisprechendes Strafurteil an und Art. 103 Abs. 3 GG verleiht diesem Vertrauensschutz Verfassungsrang.

 

Sachverhalt:

Der Verfassungsbeschwerde ging im Jahr 1983 ein Freispruch des Beschwerdeführers wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung und des Mordes voraus. Im Dezember 2021 trat schließlich § 362 Nr. 5 StPO in Kraft, der es ermöglichte, das Verfahren gegen den Beschwerdeführer aufgrund neuer Tatsachen wieder aufzunehmen.

Entscheidung des BVerfG:

Das BVerfG erklärte § 362 Nr. 5 StPO für nichtig. Die Norm verstoße gegen das Mehrverfolgungs- und Rückwirkungsverbot. Der Senat stellt zunächst klar, dass der Schutz des Art. 103 Abs. 3 GG gleichermaßen einem Verurteilten sowie einem Freigesprochenen zugutekommt. Das Verbot der Mehrfachverfolgung richte sich ebenso an den Gesetzgeber und könne nicht durch eine einfachgesetzliche Regelung umgangen werden. Weiterhin betont der Senat, dass die Rechtssicherheit vor der materiellen Gerechtigkeit stehe.

Ermöglicht § 362 Nr. 5 StPO die Wiederaufnahme von Verfahren, die bei dem Inkrafttreten der Norm bereits abgeschlossen waren, liege darüber hinaus ein Fall der sog. „echten“ Rückwirkung vor. Diese sei grundsätzlich verfassungsrechtlich unzulässig, sodass auch ein Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot nach Art. 103 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG vorliege.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 49/23

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Leitsatz der Redaktion:

Nach § 30a Abs. 1 BtMG baut auch Betäubungsmittel an, wer die alltägliche Betreuung einer Cannabisplantage übernimmt.

Sachverhalt:

J erwarb ein Anwesen mit Scheune und errichtete dort im Auftrag einer Drogenhandel betreibenden Organisation eine Cannabisplantage. Zeitweise anfallende Tätigkeiten, wie bspw. das Umtopfen, wurden von den Mitgliedern der Organisation durchgeführt, während der Angeklagte alltäglich anfallende Aufgaben erledigte. Dieser war daher überwiegend alleine auf der Plantage und kontaktierte J nur bei Problemen. Der Angeklagte versprach sich dadurch eine Entlohnung von insgesamt 4.000 – 5.000 Euro. Weiterhin war ihm bewusst, dass die aufgezogenen Pflanzen anschließend gewinnbringend weiterverkauft werden sollten.

Entscheidung des BGH:

Der BGH wiederholt, dass der Angeklagte wegen seiner untergeordneten Stellung in der Organisation und seiner nicht über die Aufzuchtphase hinausgehenden Relevanz nur Gehilfe zum bandenmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge war.

Darüber hinaus habe er sich (täterschaftlich) des bandenmäßigen Anbaus von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nach § 30a Abs. 1 StGB strafbar gemacht. Der BGH führt aus, dass der Anbau in Ausgestaltung der Aufzucht sämtliche gärtnerischen oder landwirtschaftlichen Tätigkeiten erfasst, die auf den Wachstum der in den Anlagen I bis III des BtMG genannten Pflanzen gerichtet sind. Umfasst werden unter anderem das Bewässern, Düngen und Belichten. Durch seine zweimonatige Bewirtschaftung bzw. das Wahrnehmen der regelmäßig anfallenden Aufgaben, habe sich der Angeklagte daher gleichfalls des täterschaftlichen Anbaus von Betäubungsmitteln strafbar gemacht.

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 48/23

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Leitsatz der Redaktion:

Das bloße Ausnutzen der Angst des Opfers vor einer Gewaltanwendung stellt keine Drohung mit einer Gefahr für Leib oder Leben dar. Erforderlich ist, dass diese (konkludent) in Aussicht gestellt wird.

Sachverhalt:

Der Angeklagte hat nach den Feststellungen des LG gegenüber den Zeugen H und T erklärt, dass sie die von ihnen geschuldeten 3.500 Euro für seinen Onkel auftreiben sollen. Währenddessen hielt er ihnen ein acht bis zehn Zentimeter langes Küchenmesser entgegen. Aus Angst überwies H einem Familienangehörigen des Angeklagten 2.500 Euro und gab dem Angeklagten, noch unter dem Einfluss der Drohung stehend, 500 Euro in bar. Ca. einen Monat später suchte der Angeklagte H erneut auf und verlangte einen – ihm angeblich geschuldeten – Betrag von 13.000 Euro. Dabei wollte er den Eindruck erwecken, H zu verletzen, sollte er die Forderung nicht begleichen. Aus Furcht übergab H dem Angeklagten 10.000 Euro in bar. In Bezug auf beide Forderungen war dem Angeklagten bewusst, dass er keine Ansprüche hinsichtlich der Geldbeträge hatte.

Entscheidung des BGH:

Eine Verurteilung wegen (schwerer) räuberischer Erpressung hielt einer rechtlichen Nachprüfung des BGH nicht stand. Im Hinblick auf die erste Forderung beanstandet der BGH, dass sich aus der Forderung des Geldes für seinen Onkel nicht automatisch ergebe, dass der Angeklagte diesen oder sich selbst zu Unrecht bereichern wolle.

In Bezug auf die zweite Forderung genügten die Feststellungen des LG nicht den Anforderungen an eine Drohung mit einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben. Der BGH führt aus, dass es sich bei einer Drohung um das Inaussichtstellen eines Übels handle. Diese könne konkludent oder durch das Fortwirken einer zuvor erfolgten Drohung zum Ausdruck gebracht werden. Hingegen reiche es nicht aus, dass eine Gewaltanwendung vom Opfer lediglich erwartet wird. Das bloße Ausnutzen dieser Angst stelle keine Drohung dar. Insofern fehle es an einer schlüssig erklärten Drohung des Angeklagten, so der BGH.

 

KriPoZ-RR, Beitrag 47/23

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Leitsatz der Redaktion:

Die Intention des Täters den Verkehrsvorgang zu einem Eingriff in den Straßenverkehr zu „pervertieren“ ist stets festzustellen. Enge räumliche Verhältnisse schließen nicht aus, dass der Täter ein kollisionsfreies Vorbeifahren für möglich hielt und beabsichtigte.  

Sachverhalt:

Das LG Stade stellte unter anderem fest, dass sich der Angeklagte dem Zugriff der Polizei entziehen wollte. Infolgedessen bog er mit dem von ihm geführten Kfz auf einen einspurigen Waldweg ab. Er erkannte sodann, dass ihm ein ziviles Polizeifahrzeug entgegenkam, das beleuchtet in einer Entfernung von ca. 250 Metern inmitten des Weges anhielt. Da der Angeklagte seine Fahrt mit einer Geschwindigkeit von 66 km/h fortführte, befürchtete der Beamte eine Kollision. Aufgrund dessen verließ er das Polizeiauto und versuchte sich über dieses hinweg zu retten. Während er sich am Polizeiauto hochdrückte, kollidierte das Kraftfahrzeug des Angeklagten mit einer Geschwindigkeit von nicht unter 38 km/h mit der geöffneten Tür des Polizeifahrzeugs. Diese schlug zu und klemmte den Oberschenkel des Beamten ein. Dabei war dem Angeklagten aufgrund der räumlichen Gegebenheiten bewusst, dass der Beamte erheblich hätte verletzt werden können und nahm dies billigend in Kauf, um erfolgreich zu fliehen.  

Entscheidung des BGH:

Der BGH stellte fest, dass die Feststellungen des LG Stade nicht ausreichend für die Annahme eines gefährlichen Angriffs in den Straßenverkehr gem. § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB seien. Er führt aus, dass ein Verhalten nach § 315b StGB nur erfasst werde, wenn der Fahrzeugführer das Kraftfahrzeug bewusst in verkehrsfeindlicher Einstellung zweckentfremdet. Erforderlich sei die Intention des Täters, den Verkehrsvorgang zu einem Eingriff in den Straßenverkehr zu „pervertieren“. Durch diesen müsse es zu einer konkreten Gefahr für Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert kommen. Im fließenden Verkehr müsse diesbezüglich zumindest bedingter Schädigungsvorsatz vorliegen.

Der BGH betont, dass die Annahme des bedingten Körperverletzungsvorsatzes oder die Verwendung des Kraftfahrzeugs als Fluchtfahrzeug, die Ausführungen zur Absicht den Verkehrsvorgang zu einem Eingriff in den Straßenverkehr zu pervertieren nicht entbehrlich machen. Auch die engen räumlichen Verhältnisse schließen nicht aus, dass der Angeklagte ein kollisionsfreies Vorbeifahren für möglich hielt und beabsichtigte.

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 46/23

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Leitsatz der Redaktion:

Bei der Beurteilung der Arg- und Wehrlosigkeit von Kleinkindern ist auf einen schutzbereiten Dritten abzustellen. Dieser muss den Schutz tatsächlich leisten können, sich also in räumlicher Nähe zum Tatort befinden. Daran fehlt es jedenfalls, wenn der Dritte aufgrund der Entfernung den Angriff nicht wahrnehmen kann und eine Gegenwehr zu spät käme.

Sachverhalt:

Die Angeklagte wurde vom LG Schweinfurt wegen Mordes verurteilt. Ihr wird vorgeworfen, in dem von ihr und ihrem Ehemann bewohnten Zimmer einer Asylunterkunft, ihr drei Monate altes Kind getötet zu haben. Der Ehemann der Angeklagten befand sich währenddessen im Außenbereich der Unterkunft, ca. 360 Meter vom Gebäude entfernt.

Entscheidung des BGH:

Auf die Revision der Angeklagten hob der BGH das Urteil des LG auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung zurück. Er führt aus, dass es im Rahmen der Heimtücke bei der Beurteilung der Arg- und Wehrlosigkeit von Kleinkindern auf einen schutzbereiten Dritten ankomme. Dieser müsse den Schutz auch tatsächlich leisten können, was eine räumliche Nähe zum Tatort voraussetze. Eine räumliche Nähe sei jedenfalls nicht gegeben, wenn der Dritte den Angriff nicht wahrnehmen könne und aufgrund der Distanz seine Gegenwehr zu spät käme. Anhand der Feststellungen des LG sei nicht ersichtlich, dass der Ehemann im Außenbereich der Unterkunft die Möglichkeit hatte den Angriff wahrzunehmen, sodass das Merkmal der Heimtücke nicht erfüllt sei.

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 45/23

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Leitsatz der Redaktion:

Ein Versuch ist dann fehlgeschlagen, wenn der Täter die Tat objektiv nicht mehr mit den zur Verfügung stehenden Mitteln vollenden kann, ohne dabei einen neuen Handlungs- oder Kausalverlaufs in Gang zu setzen und er die Vollendung subjektiv für unmöglich hält.  Die bloße außertatbestandliche Zielerreichung führt nicht zur Annahme eines fehlgeschlagenen Versuchs oder einem unfreiwilligen Handeln des Täters.

Sachverhalt:

Der Angeklagte wollte mit unbezahlter Ware in seinem Rucksack einen Supermarkt verlassen. Als ihn im Kassenbereich der Ladendetektiv ansprach, griff er diesen mit einem Messer an, um sein Gewahrsam an den Waren zu erhalten und sich einer Festnahme zu entziehen. Der Ladendetektiv konnte dem Angriff ausweichen. Im Folgenden blieb er auf Distanz, sodass dem Angeklagten die Flucht mit der Ware gelang. Das LG Oldenburg verurteile den Angeklagten daraufhin wegen besonders schweren räuberischen Diebstahls in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung.

Entscheidung des BGH:

Die Annahme des LG, dass der Versuch der gefährlichen Körperverletzung bereits fehlgeschlagen, beendet und der Rücktritt jedenfalls nicht freiwillig sei, hielt der rechtlichen Prüfung des BGH nicht stand. Der BGH führt aus, dass ein Versuch dann fehlgeschlagen sei, wenn der Täter die Tat objektiv nicht mehr mit den zur Verfügung stehenden Mitteln vollenden könne, ohne dabei einen neuen Handlungs- oder Kausalverlauf in Gang zu setzen und er die Vollendung subjektiv für unmöglich hält. Aufgrund der fortbestehenden Nähe des Ladendetektivs zum Angeklagten und der damit fortbestehenden Einwirkungsmöglichkeit, sah der BGH den Versuch im zuvor geschilderten Fall als nicht fehlgeschlagen und unbeendet an. Diesen Versuch habe der Angeklagte freiwillig aufgegeben, indem er die Flucht ergriff. Der Freiwilligkeit stehe nicht entgegen, dass er hiermit das anfänglich verfolgte Ziel – nämlich das Entkommen mit der Beute – erreichte. Die außertatbestandliche Zielerreichung führe nicht zur Annahme, dass ein fehlgeschlagener Versuch vorliege oder die Freiwilligkeit ausgeschlossen sei.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 44/2023

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BVerfG, Beschl. v. 14.6.2023 – 2 BvL 3/20 u.a.: BVerfG lehnt Richtervorlagen zu BtMG ab

Leitsatz der Redaktion:

Eine konkrete Normenkontrolle nach Art. 100 Abs. 1 GG, §§ 13 Nr. 11, 80 ff. BVerfGG erfolgt lediglich in Bezug auf eine entscheidungserhebliche Norm. Dabei hat die Vorlage die Änderung der Sach- oder Rechtslage substantiiert darzulegen.

Sachverhalt:

Die AG Bernau bei Berlin, Münster und Pasewalk haben dem BVerfG eine Richtervorlage zum strafbewehrten Verbot von Cannabisprodukten vorgelegt. Die AG berufen sich auf einen unverhältnismäßigen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG), das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG), die Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG), den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) und das Bestimmtheitsgebot (Art. 103 Abs. 2 GG).

Entscheidung des BVerfG:

Das BVerfG erklärte die Richtervorlagen für unzulässig. 

Sofern sich die Vorlagen auf sämtliche Normen des BtMG bezogen, lehnte das BVerfG diese aufgrund der fehlenden Entscheidungserheblichkeit ab. Die Entscheidungserheblichkeit jeder Norm müsse im Einzelfall begründet werden, sodass eine konkrete Normenkontrolle nicht das passende Mittel für eine Feststellung der Verfassungsmäßigkeit aller Regelungen des BtMG darstelle.

In Bezug auf die übrigen Vorlagen führte das BVerfG aus, dass die AG nicht hinreichend darlegten, dass seit der letzten Entscheidung des BVerfG (Beschluss vom 9. März 1994) rechtserhebliche Änderungen der Sach- oder Rechtslage eingetreten seien, welche eine erneute Befassung des Gerichts mit dem Thema begründen.

Nach Ansicht des BVerfG berücksichtigen die AG die mit dem BtMG gesetzgeberisch – und in der Entscheidung vom 9. März 1994 gebilligten – verfolgten Zwecke nicht ausreichend. Die AG gingen in ihren Vorlagen selbst nicht davon aus, dass Cannabisprodukte gänzlich ungefährlich seien, sodass sie nicht hinreichend begründeten, weshalb die damals gebilligte Zielsetzung des BtMG keinen Bestand mehr haben solle.

Anders als in einigen Vorlagen aufgeführt, wurde ein „Recht auf Rausch“ durch die Entscheidung des BVerfG aus dem Jahr 1994 nicht abgelehnt. Es unterwarf solche Handlungen lediglich nicht dem unbeschränkten Kernbereich privater Lebensgestaltung, sodass die Schranken des Art. 2 Abs. 1 Hs. 2 GG Anwendung finden.

Weiterhin seien bloße gesellschaftliche Entwicklungen nicht in der Lage die gesetzgeberisch verfolgte Intention der Normen aus dem BtMG verfassungsrechtlich in Frage zu stellen. Die Anpassung eines Strafgesetzes an aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen sei Aufgabe des Gesetzgebers.

Im Hinblick auf den aufgeworfenen medizinischen Nutzen von Cannabisprodukten führt das BVerfG aus, dass den Vorlagen die Verknüpfung zu bestehenden Regelungen zur medizinischen Nutzung fehle. Auch bei dem Vergleich zwischen dem Umgang mit Alkohol und Nikotin einerseits und Cannabisprodukten andererseits fehle es an einer substantiierten Darlegung der Änderung der rechtlichen oder tatsächlichen Verhältnisse. Dabei stellt das BVerfG unter anderem darauf ab, dass der Gesetzgeber den Konsum von Alkohol nicht effektiv unterbinden könne. Dies führe jedoch nicht dazu, dass es durch Art. 3 Abs. 1 GG geboten sei auf das Cannabisverbot zu verzichten.

In Bezug auf die Begriffe der geringen Menge (§ 31a Abs. 1 S. 1 BtMG) bzw. der nicht geringen Menge (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG) sei letztlich auch kein Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot nach Art. 103 Abs. 2 GG gegeben. Diese Begriffe können nach den Ausführungen des BVerfG anhand der üblichen Auslegungsmethoden oder anhand der höchstrichterlichen Rechtsprechung ausgefüllt werden.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 43/2023

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 20.6.2023 – 5 StR 67/23: Verwenden eines gefährlichen Werkzeugs nach § 250 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2 StGB bei jedem zweckgerichteten Gebrauch eines objektiv gefährlichen Tatobjekts erfüllt

Leitsatz der Redaktion:

Das Verwenden eines gefährlichen Werkzeugs nach § 250 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2 StGB liegt bei jedem zweckgerichteten Gebrauch eines objektiv gefährlichen Tatobjekts vor. Ausreichend ist demnach, dass der Täter seine verbale Drohung dadurch unterstreicht, dass er das Werkzeug für das Tatopfer deutlich sichtbar hält und er sich dessen bewusst ist.

Sachverhalt:

Der Angeklagte wurde vom LG Berlin wegen schwerer räuberischer Erpressung gem. §§ 253 Abs. 1, 255, 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB in Tateinheit mit versuchtem Diebstahl gem. §§ 242, 22, 23 StGB verurteilt. Nach den Feststellungen des LG suchte der Angeklagte nachts zusammen mit dem Zeugen M. einen Imbiss auf, in dem sich der dort beschäftigte Zeuge G befand. Auf Grundlage eines gemeinsamen Tatplans hielt der Angeklagte dem Zeugen G gut sichtbar einen – zum Zweck des Aufbrechens eines Spielautomaten – mitgebrachten Schraubendreher entgegen, ohne diesen dabei zu bewegen. Er forderte ihn auf, ihm Bargeld aus der offenen Kasse übergeben. Dabei war dem Angeklagten bewusst, dass er einen Widerstand des Zeugen G durch den Einsatz des Schraubendrehers als Drohmittel oder gegen den Körper überwinden könnte. G entnahm der Kasse mindestens 150 Euro und überreichte sie dem Angeklagten, der das Geld an den Zeugen M weitergab.

Anschließend hebelte der Angeklagte im Nebenraum einen Spielautomaten auf und entnahm diesem eine durch ein Schloss gesicherte Geldkassette mit der Intention das darin enthaltene Geld zu behalten. Durch einen ausgelösten Alarm wurde ein Polizeibeamter auf die Situation aufmerksam. Während eines Gerangels zwischen dem Angeklagten und dem Polizeibeamten, ergriff der Zeuge M mit dem Bargeld die Flucht, während die Geldkassette verschlossen im Imbiss verblieb.

Entscheidung des BGH:

Die Revision der Staatsanwaltschaft war erfolgreich. Das LG habe nicht erkannt, dass weitere Qualifikationsmerkmale in den beiden Geschehensabschnitten erfüllt waren.

Im ersten Geschehensabschnitt sei zusätzlich das Merkmal des Verwendens eines gefährlichen Werkzeugs nach § 250 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2 StGB verwirklicht. Aufgrund seiner objektiven Beschaffenheit sei ein Schraubendreher dazu geeignet erhebliche Verletzungen hervorzurufen, sodass er ein gefährliches Werkzeug i.S.d. Vorschrift darstelle. Der Senat führt weiter aus, dass für ein Verwenden jeder zweckgerichtete Gebrauch eines objektiv gefährlichen Tatobjekts ausreiche.  Im zuvor geschilderten Fall sieht der BGH das Qualifikationsmerkmal bereits dadurch erfüllt, dass der Täter das Werkzeug deutlich erkennbar in der Hand hielt und ihm bewusst war, dass der Zeuge G dies auch wahrnahm. Nicht erforderlich sei die Ankündigung oder Ausführung weiterer Hieb- oder Stichbewegungen in Richtung des Bedrohten. Entgegen der Ansicht des LG wurde der Schraubendreher daher als gefährliches Werkzeug verwendet.

Im zweiten Geschehensabschnitt liege darüber hinaus ein Diebstahl mit Waffen nach § 244 Abs. 1 Nr. 1a StGB vor. Für die Annahme dieses Qualifikationsmerkmals reiche bereits die mit dem Beisichführen einhergehende latente Gefahr des Gebrauchs aus. Weiterhin müsse der Täter das Werkzeug griffbereit haben oder sich seiner stets ohne einen nennenswerten Zeitaufwand bedienen können. Auch dies werde durch die Urteilsgründe belegt, so der BGH.

KriPoZ-RR, Beitrag 42/2023

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BGH, Beschl. v. 17.1.2023 – 2 StR 459/21: Unterlassen durch zwei Garanten stellt keine gemeinschaftliche Tatbegehung nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB dar

Amtlicher Leitsatz:

§ 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB setzt voraus, dass der Täter mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich die Körperverletzung begeht. Das ist bei einem Unterlassen durch zwei Garanten nicht der Fall.

Sachverhalt:

Die Angeklagten wurden vom LG Darmstadt wegen schwerer Misshandlung einer Schutzbefohlenen durch Unterlassen in Tateinheit mit einer gemeinschaftlichen gefährlichen Körperverletzung durch Unterlassen verurteilt. Ihnen wird vorgeworfen, ihre gemeinsame Tochter so sehr vernachlässigt zu haben, dass diese infolge einer längeren Mangelernährung in einen lebensbedrohlichen Zustand versetzt wurde.

Entscheidung des BGH:

Nach der bisherigen Rechtsprechung des BGH kommt eine gemeinschaftliche Tatbegehung nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB nicht in Betracht, wenn sich neben einem aktiv handelnden Täter eine andere Person passiv verhält. Der 2. Strafsenat zieht in dem oben beschriebenen Fall einen Erst-Recht-Schluss und argumentiert, dass auf Grundlage der bisherigen Rechtsprechung das Unterlassen von zwei Personen erst recht nicht die Anforderungen an eine gemeinschaftliche Begehung erfüllen kann.

Der Wortlaut der Norm („mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich“) gebe keinen Aufschluss hinsichtlich der Voraussetzungen, die an eine gemeinschaftliche Begehungsweise zu stellen sind. So könne der Ausdruck „gemeinschaftlich“ dahingehend gedeutet werden, dass eine Mittäterschaft nach § 25 Abs. 2 StGB vorliegen müsse, während der Begriff „Beteiligter“ dahingehend aufgefasst werden könne, dass ebenfalls eine Teilnahme (§ 28 Abs. 2 StGB) und zwar auch in der Konstellation eines Unterlassens in Betracht kommt.

Das o.g. Verständnis ergebe sich daher lediglich aus einer teleologischen Auslegung des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB, so der 2. Strafsenat. Ratio legis des Tatbestandsmerkmals der gemeinschaftlichen Begehungsweise sei die besondere Gefahr, welche aus einem Handeln mehrerer Personen hervorgeht, nämlich eine Einschränkung von Abwehr- und Fluchtoptionen sowie das Hervorrufen erheblicher Verletzungen. Diese spezifische Gefahr liege jedoch bei einem Unterlassen nicht vor.

 

KriPoZ-RR, Beitrag 41/2023

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 24.5.2023 – 2 StR 320/22: Heimtücke setzt keine Heimlichkeit voraus

Sachverhalt:

Das LG Köln hat den Angeklagten u.a. wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Nach den tatgerichtlichen Feststellungen fuhr der mit einer Schusswaffe bewaffnete Angeklagte am Tattag mit der sich auf dem Beifahrersitz befindlichen Geschädigten im PKW an einen unbekannten Ort. In Tötungsabsicht schoss der Angeklagte der Geschädigten zwei Mal in den Kopf, woraufhin diese verstarb. Hierbei befand sich der Angeklagte in maximal einem Meter Abstand zur Geschädigten außerhalb des PKW. Nicht feststellbar waren Reihenfolge und zeitliche Abstände der beiden Schüsse. Das Vorliegen des Mordmerkmals der Heimtücke und der niedrigen Beweggründe hat das LG abgelehnt. Gegen die Entscheidung haben die Nebenkläger Rechtsmittel eingelegt.

Entscheidung des BGH:

Die zulässigen Revisionen haben Erfolg. Rechtsfehlerhaft habe das LG Köln eine heimtückische Begehungsweise verneint, indem es den Zeitpunkt des ersten Schusses zugrunde gelegt habe und damit das Mordmerkmal zu eng ausgelegt habe. Der Strafsenat führt aus, dass es – nach stetiger Rechtsprechung – für die Heimtücke einer Arglosigkeit, hierauf beruhende Wehrlosigkeit und feindseliger Willensrichtung bedarf. Arglos sei ein Opfer auch bei eingeschränkter Verteidigungs- oder Fluchtmöglichkeit. Relevanter Zeitpunkt sei dabei nicht, wie vom LG Köln fehlerhaft angenommen, der Beginn der eigentlichen Tötungshandlung. Vielmehr sei „der Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs“ maßgeblich. Das bedeutet, ein heimtückisches Vorgehen könne auch in Vorkehrungen liegen, sofern die Umstände bei der Tat noch fortwirken. Darüber hinaus stellt der Strafsenat fest, dass ein heimliches Vorgehen kein Erfordernis für heimtückisches Handeln sei. Es komme auf die Verteidigungs- und Fluchtmöglichkeiten des Opfers gegen den dem Opfer feindselig gegenübertretenden Angreifer an. Dies sei vorliegend nicht ausreichend berücksichtigt worden. 

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Dabei sind insbesondere weitere Erkenntnisse zum Tathergang im Hinblick auf die Flucht- und Verteidigungsmöglichkeiten der Geschädigten zu erlangen sowie das Vorliegen niedriger Beweggründe zu prüfen, so der BGH.

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