Die Entscheidung im Original finden Sie hier.
BVerfG, Beschl. v. 17.03.2021 – 2 BvR 194/20: Zur Sphäre vertraulicher Kommunikation bei Gefangenenpost
Leitsatz der Redaktion:
Führt ein Gefangener mit mehreren engen Vertrauenspersonen eine Unterhaltung per Brief, unterfallen diese dem besonderen persönlichkeitsrechtlichen Schutz einer Sphäre vertraulicher Kommunikation, was eine Einzelfallabwägung bei der Ermessensentscheidung nach Art. 34 Abs. 1 BayStVollzG erforderlich macht, selbst wenn Belange der Sicherheit und Ordnung der Anstalt betroffen sind.
Sachverhalt:
Der Beschwerdeführer ist Gefangener im Strafvollzug und hat sich gegen Entscheidungen des LG Augsburg – Strafvollstreckungskammer und des BayObLG mit einer Verfassungsbeschwerde an das BVerfG gewendet.
Durch beide Entscheidungen hat er sich in seinen Grundrechten aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 und Art. 20 Abs. 3 GG verletzt gesehen, da die Fachgerichte das Anhalten eines seiner Briefe durch die Anstaltsleitung als rechtlich zulässig erachtet hatten.
In dem Brief hatte er sich gegenüber seiner Lebenspartnerin abfällig über seinen ehemaligen Chef geäußert bzw. solche Aussagen wiedergegeben. Darüber hinaus hatte er den Freistaat Bayern als „Nazi- und Bullenstaat“ bezeichnet und von einem Plan berichtet, um über die Anstaltspsychologin an Informationen über eine ehemalige Bedienstete der Anstalt zu gelangen, für die der Beschwerdeführer ein (auch sexuelles) Interesse entwickelt hatte.
Daraufhin hatte die Anstaltsleitung den Brief anhalten lassen, da er gem. Art. 34 Abs. 1 Nr. 1 BayStVollzG die Sicherheit und Ordnung der Anstalt gefährdet hätte.
Entscheidung des BVerfG:
Das BVerfG nahm die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gab ihr statt, da die gerichtlichen Entscheidungen den Beschwerdeführer in seiner Meinungsfreiheit in Verbindung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und in seinem Grundrecht auf gerichtlichen Rechtsschutz verletzten.
Das Grundrecht der Meinungsfreiheit erzeuge in Verbindung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht bei Briefwechseln von Gefangenen eine Sphäre vertraulicher Kommunikation, deren persönlichkeitsrechtlicher Schutz auch nicht dadurch entfalle, dass der Staat diesen überwache und sich Kenntnis vom Inhalt des Schriftwechsels verschaffe. Dieser Grundsatz betreffe nicht nur etwaige Beleidigende Äußerungen, sondern die gesamte Kommunikation, so das BVerfG.
Daher sei eine Abwägung der betroffenen Grundrechte und Rechtsgüter bei Entscheidungen nach Art. 34 Abs. 1 BayStVollzG generell erforderlich und nicht direkt entbehrlich, wenn die Sicherheit und Ordnung der Anstalt tangiert sei, wie das BayObLG meine.
Darüber hinaus sei es auch unschädlich, dass ein Gefangener mit mehreren Personen ein derartig enges Vertrauensverhältnis pflege, in dem Kommunikation stattfinde. Der besondere Schutz vertraulicher Kommunikation sei nicht auf eine Vertrauensperson begrenzt, sondern müsse bei allen Kommunikationsvorgängen Berücksichtigung finden, bei denen eine enge Vertrauensperson des Gefangenen auf der anderen Seite stehe.
Eine Abwägung, ob dem Sicherheitsinteresse der Anstalt mit einer milderen Maßnahme, beispielsweise dem Ablichten und Weiterleiten des Briefs, hätte Rechnung getragen werden können, ließen die Beschlüsse vermissen.
Anmerkung der Redaktion:
Den Grundsatz der vertraulichen Angehörigen Kommunikation hatte das BVerfG im Kontext einer Beleidigung in einem Brief eines Gefangenen entwickelt. Nach der aktuellen Entscheidung ist er allerdings nicht nur auf solche Fälle der sog. beleidigungsfreien Sphäre begrenzt. Die ursprüngliche Entscheidung finden Sie hier.