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(K)eine Verbesserung des strafrechtlichen Schutzes gegen Feindeslisten? – Leerstellen und ungenutzte Handlungspotenziale anlässlich des neu geschaffenen Straftatbestandes

von Wiss. Mit. Janine Patz, M.A.

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Abstract
Am 24.6.2021 nahm der Bundestag einen Gesetzesentwurf der Bundesregierung an, dessen Ziel die Verbesserung des strafrechtlichen Schutzes gegen sogenannte Feindeslisten war. Nur einen Tag später passierte der Regierungsentwurf bereits den Bundesrat. Trotz der weitestgehend einhelligen Begrüßung des Vorhabens, den Schutz vor derartigen Angriffen zu verbessern, gab es im Vorfeld umfassende Kritik von Rechtswissenschaftler*innen und Jurist*innen, Opferverbänden, Presse und engagierter Zivilgesellschaft am Gesetzestext. Der Beitrag rückt die kritischen Aspekte des Gesetzes hinsichtlich des Betroffenenschutzes in den Mittelpunkt. Er thematisiert die handlungspraktischen Leerstellen, die trotz des neu geschaffenen Straftatbestands bestehen, und wendet den Blick auf bestehende Potenziale professionellen Handelns im Kontext des Ermittlungsauftrages der Strafverfolgungsbehörden.

On June 24, 2021, the German parliament took up a draft law by the Federal Government, the aim of which was to improve protection by criminal law against so-called lists of enemies (Feindeslisten). Just one day later, the government draft passed the Federal Council. Prior to the legislative process, despite a largely unanimous welcome to improve the protection against such attacks, the draft text had extensively been criticized from legal scholars, victims associations, the press, and committed civil society organizations. The article focuses on the critical aspects of the law that are related to the protection of those affected. It addresses the practical gaps that exist despite the creation of the new criminal offense and discusses the existing potential for professional action in the context of law enforcement investigations.

I. Einleitung

2011 wird erstmals von der Website „Nürnberg 2.0 Deutschland“ berichtet. Sie ist eine von vielen Plattformen von Neonazis und Menschenfeind*innen, die ihrem Hass freien Lauf lassen. Hunderte Namen von Politiker*innen, Jurist*innen, Journalist*innen und engagierten Personen sind darauf gelistet, darunter – bis 2019 – auch der Name des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke. Seit mindestens 2011 war die Liste laut Recherche der Süddeutschen Zeitung dem Bundeskriminalamt bekannt, aber die Behörden sahen sich machtlos.[1] Nach der Ermordung Walter Lübckes 2019 strichen die Betreibenden von „Nürnberg 2.0 Deutschland“ seinen Namen kommentarlos von der Liste. Auch bei seinem mutmaßlichen Mörder fand die Polizei Daten von öffentlich bekannten Personen und Objekten, die dieser über Jahre gesammelt hatte.[2]

Um solchen sogenannten Feindeslisten strafrechtlich effizienter begegnen zu können, legte die Bundesregierung im März 2021 einen auf Initiative des Bundesministeriums für Justiz und Verbraucherschutz entstandenen Gesetzesentwurf [3] vor, der mit „§ 126a – Gefährdende Veröffentlichung personenbezogener Daten“ einen neuen Straftatbestand im Strafgesetzbuch (StGB) vorsieht:

„§126a Gefährdende Veröffentlichung personenbezogener Daten

(1) Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3) personenbezogene Daten einer anderen Person in einer Art und Weise verbreitet, die geeignet ist, diese Person oder eine ihr nahestehende Person der Gefahr eines gegen sie gerichteten Verbrechens oder einer sonstigen rechtswidrigen Tat gegen die sexuelle Selbstbestimmung, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder gegen eine Sache von bedeutendem Wert auszusetzen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Handelt es sich um nicht allgemein zugängliche Daten, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe.“

In der Gesetzesbegründung ist zu lesen: „Die Existenz der in den letzten Jahren bekannt gewordenen sogenannten Feindeslisten führt zu einer erheblichen Verunsicherung in der Bevölkerung und bei den Betroffenen.“[4]

II. Die Kritik am Gesetzesentwurf

Feindeslisten, Todeslisten, schwarze Listen, Abschusslisten – es gibt unterschiedliche Namen für strategisch angelegte Sammlungen personenbezogener Daten zu vermeintlichen „Gegner*innen“, „Verräter*innen“ und anderen „unerwünschten“ Personen. Das Phänomen solcher Datensammlungen – auch zu gesellschaftlichen Gruppen und Institutionen – ist schon lange bekannt und Teil des strategischen Programms von menschen- und demokratiefeindlichen Akteur*innen bzw. deren Netzwerken. Während sogenannte „Anti-Antifa“-Strukturen innerhalb neonazistischer Gruppen in den 1990er Jahren beim systematischen Ausspähen, Datensammeln und Fotografieren noch weitestgehend „analog“ arbeiteten, hat das Internet die Gelegenheitsstrukturen für ein vereinfachtes Finden, Anhäufen und Verbreiten personenbezogener Daten geschaffen.[5] Sind vor 30 Jahren noch ausschließlich händisch geschriebene Listen oder gedruckte Steckbriefe in der „Szene“ weitergereicht worden, existieren heute zusätzlich Internetpranger, Chatgruppen und Foren. Demokratie- und menschenfeindlich motivierte Datensammlungen gibt es in unterschiedlichen Formaten: Einige dienen als öffentliche Pranger der Denunzierung und Aufwiegelung durch Fehlinformation, andere existieren intern, als konkrete Ziele für Gewalttaten und andere Aktionen zu kommunizieren.[6]

Nach §126a StGB sollen künftig „nur solche Handlungen unter Strafe gestellt werden, die geeignet sind, die Gefahr einer rechtswidrigen Tat gegen die betroffene oder eine ihr nahestehende Person zu begründen.“[7] Wann allerdings eine „Eignung“ vorliegt bzw. was deren Definitionsgrundlagen sind bleibt im Gesetzestext weitestgehend unklar, weshalb dieser im Vorfeld vielfach kritisiert wurde. Tatsächlich „eignet“ sich eine sehr große Bandbreite einsehbarer Daten dazu, sie in schädigender Weise gegen die betreffenden Personen zu nutzen: analoge Teilnahme-Bögen, offene Gästelisten digital beworbener Veranstaltungen und Verlinkungen in den sozialen Medien, politische Petitionen, aber auch wissenschaftliche und journalistische Publikationen. Reporter ohne Grenzen (RSF) monierten die drohende Rechtsunsicherheit durch die unklare Abgrenzung des Tatbestands: Weil sich prinzipiell sämtliche Datenpreisgaben eignen würden und es nicht abzuschätzen sei, was Dritte mit Informationen anstellten, forderten sie zwischen einer missbräuchlichen Verwendung von Daten und dem gezielten Anlegen einer Sammlung für einen schädigenden Zweck zu unterscheiden.[8] Noch konkreter formulierte die Deutsche Justizgewerkschaft die fehlende Differenzierung zwischen folgenden Punkten: Wer erhebt (ursprünglich) Daten, wer erstellt eine Liste, wer verbreitet sie? Geschieht dies online muss zudem geklärt werden: wer stellt ein, wer betreibt die Seite? Zudem erhob sie Bedenken, dass sämtliche Formen der Weitergabe von Daten unter den Straftatbestand fallen könnten, selbst wenn diese ohne „böse Absichten“ geschehen. Damit bestünde die Möglichkeit einer Kriminalisierung der gesamten Bevölkerung [9] Auf das Problem wurde in diversen Stellungnahmen zum Gesetzesentwurf hingewiesen. Während Dr. Sebastian Golla, Jun.-Prof. für Kriminologie, Strafrecht und Sicherheitsforschung im digitalen Zeitalter, an der Ruhr Universität Bochum, auf Grund der Ausgestaltung als ein Eignungsdelikt von einer „Überkriminalisierung“ spricht, betont die Neue Richtervereinigung die „Entleerung“ des Straftatbestands.[10]

1. Kriminalisierung und Schwächung demokratischen Engagements

Wesentlich deutlicher formulierte der Republikanische Anwälte- und Anwältinnenverein (RAV) ihre Kritik am Gesetzesentwurf: Er befürchtete, dass die Umsetzung einen direkten Eingriff der Strafverfolgung in die Recherchearbeit von Journalist*innen und zivilgesellschaftlichen Initiativen bedeuten könnte. Unter Umständen müssten Staatsanwaltschaften und Gerichte künftig sämtliche Veröffentlichungen prüfen. Berichterstattungen über Personen des öffentlichen Interesses wären faktisch kaum mehr möglich.[11]

Als besonders gefährdet sehen dabei viele Kritiker*innen die Recherchearbeit von Journalist*innen, Wissenschaftler*innen und zivilgesellschaftlichen Initiativen, explizit zu menschenfeindlichen, militanten, rechtsextremen Akteursgruppen, Strukturen und deren Aktivitäten. Konkret stellt sich die Frage, wie es sich mit Daten zu möglichen Täter*innen und Motivlagen verhält, über welche sich Opferberatungen im Rahmen ihrer Beratungsfälle mit Betroffenen und Zeug*innen austauschen. Unklarheit besteht auch für Journalist*innen, die im politischen oder wirtschaftlichen Bereich über Missstände, Korruption, Betrug und kriminelle Machenschaften berichten und in dessen Kontext persönliche Verbindungen, Adressen oder relevante Orte benennen. Zu befürchten sind zudem Konsequenzen für Webseiten und Blogs investigativer Recherche zu demokratiegefährdenden, menschenverachtenden Netzwerken inklusive „Outings“ aktiver Neonazis.

Das u.a. von Reporter ohne Grenzen (RSF) vorgebrachte Argument, ein Veröffentlichen von personenbezogenen Daten könne auch legitime und gemeinwohlfördernde Zwecke erfüllen, ist zwar randständig in der Begründung des im bereits durch den Bundestag verabschiedenden Gesetz notiert, aber nicht näher ausgeführt wurden.[12] Hingegen wird in der Begründung des Gesetzesentwurfes als eine konkrete Gefährdungseignung die Anonymität der Verfassenden und die „extremistische“ Ausrichtung betreffender Internetseiten benannt.[13] Doch gerade in Fällen der Aufklärung über menschenrechtsverletzende Aktivitäten verfassungsfeindlicher Gruppierungen betonten RSF die Notwendigkeit der Anonymität der Verfassenden aus Selbstschutzgründen.[14] Denn wegen ihres Einsatzes gegen organisierten Neonazismus oder auch für Betroffene von Ungleichwertigkeit landen die Namen von Journalist*innen und Aktivist*innen auf sogenannten „Feindeslisten“. Die RAV kritisiert vor allem die Rolle des Verfassungsschutzes, dessen Zuordnung einer Veröffentlichung ins „extremistische Spektrum“ über die konkrete Gefährdungseignung entscheide.[15] Die im Raum stehende Bedrohung für Aufklärungsarbeit und die Furcht, dass zivilgesellschaftliches, demokratisches Engagement gegen menschenverachtende Aktivitäten und Strukturen mit Verfahren überzogen werden könnten, lassen sich auch aus den Stellungnahmen der Amadeu Antonio Stiftung (AAS) und weiteren zivilgesellschaftlichen Vereinen lesen.[16] Die gemeinsame Stellungnahme von Campact, Das NETTZ, Gesicht Zeigen!, HateAid, dem Lesben- und Schwulenverband in Deutschland, den Neue Deutsche Medienmachenden und No Hate Speech Movement Deutschland betont zudem die gewinnbringende Bedeutung von Rechercheblogs zu militanten neonazistischen Strukturen – auch für die Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden.[17]

Letztendlich nahm der Bundesrat in seiner Empfehlung Bezug auf die unzureichende Einschränkung des Tatbestandes im Gesetzesentwurf. Um eine ausufernde Ausweitung zu verhindern, schlug dieser eine Berücksichtigung der Zielsetzung bzw. des Willens der Täter*innen vor. Die empfohlene Ergänzung, dass eine Verbreitung nicht nur in einer „Art und Weise“ erfolgen muss, „die geeignet ist“, sondern auch „nach den Umständen dazu bestimmt ist“, die Betroffenen oder ihnen nahestehende Personen in die Gefahr zu bringen, klärt viele aufgeworfenen Fragen nicht.[18]

2. Fehlender Schutz für Betroffene

Die Bundesverbände der Beratungsstellen für Betroffene rechter rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG) und der Mobilen Beratungen gegen Rechtextremismus (BMB) äußerten ihr Unverständnis über den Gesetzesentwurf in Anbetracht eines bereits vorhandenen § 42 Abs. 2 des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG). Demnach wird mit „Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe  […] bestraft, wer personenbezogene Daten, die nicht allgemein zugänglich sind, ohne hierzu berechtigt zu sein, verarbeitet […] oder in der Absicht handelt […] einen anderen zu schädigen“.[19] Neu ist lediglich das unter Strafe stellen des Verbreitens von frei zugänglichen Daten zur Schließung der Strafbarkeitslücke. Bedeutender wäre es aus Sicht von VBRG und BMB jedoch gewesen, die konkreten und lange bestehenden Forderungen zum Schutz der Betroffenen zu berücksichtigen.[20]

Wie auch der RAV betont, appellieren die Betroffenenverbände seit Jahren, Menschen, die auf „Feindeslisten“ geführt werden, darüber zu informieren, über entsprechende Gefährdungslagen aufzuklären und bei Schutzmaßnahmen zu unterstützen. Bisher würden sie nach Auffinden solcher Listen oft nicht einmal darüber informiert, so die Kritik. Dem Bundeskriminalamt werfen die Anwält*innen sogar die Leugnung einer Gefährdung Betroffener und fehlende Einsicht zur Handlungsnotwendigkeit vor.[21] Entsprechend berichten Betroffene davon, behördenseitig nicht ausreichend oder gar nicht informiert worden zu sein und dass keine Schutzmaßnahmen getroffen worden.[22] Im ausführlichen MDR-Beitrag Rechtsextrem in Uniform, für das ARD Radio Feature im Juni 2021, berichtet ein Abgeordneter aus Mecklenburg-Vorpommern, dass das LKA ihm gegenüber sinngemäß äußerte, er stehe zwar auf einem Zettel, es bestünde aber keine Gefahr und er könne sich vertrauensvoll an das LKA wenden, wenn ihm etwas auffällt. Kritik übt auch Prof. Dr. Günther Frankenberg, Rechtswissenschaftler der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Zuletzt schrieb der Jura-Professor ein Gutachten im Fall der Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz, die Morddrohungen erhielt, nachdem ihre Daten widerrechtlich von einem Polizei-Computer abgerufen wurden. Dennoch sollte sie für ihre Schutzmaßnahmen selber zahlen. In Folge seines Gutachtens erhielt Frankenberg selbst eines der bisher 133 gezählten Drohschreiben des NSU 2.0. Es war nicht seine erste Bedrohungserfahrung: Sein Name stand bereits auf einer sogenannten „Feindesliste“, nachdem er im 1. NPD-Verbotsverfahren (2001–2003) als Prozessbevollmächtigter des deutschen Bundestages fungiert hatte,“. Frankenberg kritisierte im bereits erwähnten Beitrag rückblickend, dass er nach der Inkenntnissetzung auf solch einer Liste zu stehen, nie wieder etwas von den Behörden gehört habe und es offenbar keine Ermittlungsergebnisse gäbe.[23]

Neben der geforderten Informations- und Aufklärungspflicht schlagen der VBRG und der BMB eine automatische Melderegister-Auskunftssperre für Betroffene vor.[24] In Fällen, in denen die Wohnadressen der Betroffenen nicht bereits Teil der menschenfeindlich motivierten Datensammlungen waren bzw. diese noch nicht veröffentlicht wurden, wäre das eine wichtige Schutzmaßnahme für das private Wohn- und Lebensumfeld der ins Visier geratenen Personen und ihrer Angehörigen.

3. Zuständigkeitsdefizit im Internet

Ein zweites grundlegendes Problem bei der Bekämpfung von Hass im Netz ist die fehlende Handlungsmöglichkeit außerhalb des Zuständigkeitsbereichs der deutschen und europäischen Behörden – zum Beispiel im Fall von Servern im Ausland. Viele für die Strafverfolgung relevante Fragen bleiben von der neuen gesetzlichen Regelung unberührt: Wie verhält es sich mit Daten, die eine rassistische Organisation in den USA über einen in China befindlichen Server ins Netz stellt und die sich Neonazis in Deutschland herunterladen? Genau dieses Problem besteht im Fall der Website „Nürnberg 2.0 Deutschland“. Jahrelang wussten die Ermittlungsbehörden von deren Existenz, sahen aber keinen Handlungsspielraum, die Betreibenden zur Rechenschaft zu ziehen. Letztendlich war es die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien, welche die Seite indizierte und damit zumindest bewirkte, dass für die Website in Deutschland nicht mehr geworben werden darf. Nach einer Anzeige gegen unbekannt, erfolgloser Anfragen bei der Providerfirma der Website und fehlender rechtlicher Handhabe wurde das Ermittlungserfahren im letzten November eingestellt.[25] Es handelt sich dabei um keinen Einzelfall. Die gleiche Problematik betrifft auch auf weitere Plattformen, die Menschenfeind:innen als Online-Prager dienen, wie beispielsweise „Judas Watch“.[26]

Ein weiteres Beispiel ist eine mit Absicht der Schädigung missbrauchte Datensammlung, die seit Jahren im Netz kursiert. Eine gehackte und veröffentlichte Kundendatei eines Punk-Rock-Versandhandels wird seit 2015 in demokratie- und menschenrechtsgefährdenden Akteurskreisen versendet. So verschickte 2017 ein württembergischer AfD-Landtagsabgeordneter die Liste angeblicher „Mitglieder der Antifa“ an seine Fraktionskolleg*innen inklusive Tipps, wie betreffenden Personen möglichst „Unannehmlichkeiten“ und mehr beschert werden kann. Zuletzt tauchte die einstige Kundendatei bei Mitgliedern der rechtsextremen Gruppe „Revolution Chemnitz“ sowie bei Beteiligten, des unter Terrorverdachts stehenden Netzwerkes „Nordkreuz“ auf.[27] Zwar ist nun das erneute Weiterverbreiten ggf. strafrechtlich verfolgbar, das Grundproblem und die Gefährdung der Betroffenen bleibt aber unverändert. Bis heute ist die Sammlung im Netz abrufbar, obwohl bereits kurz nach ihrer Veröffentlichung Personen, deren Daten dort gelistet sind, bedroht und angegriffen wurden. Grund: Die Daten wurden auf Server außerhalb der EU hochgeladen.[28] Diese Beispiele zeigen die Machtlosigkeit deutscher Strafverfolgungsbehörden gegenüber Hass und Hetze im internationalen digitalen Kontext auf. Das neue Gesetz wird an diesem grundlegenden Problem fehlender Durchgriffsmöglichkeiten nichts ändern.

4. Gefährdungspotenzial innerhalb der Behörden

Das dritte große Hindernis für eine erfolgreiche Strafverfolgung ist ein internes der Sicherheitsbehörden. Nach der Versendung hunderter Drohschreiben an Politiker*innen, Journalist*innen und Jurist*innen mit dem Absender „NSU 2.0“ ab 2018, ergaben die Ermittlungen, dass zuvor in mindestens drei Fällen die Personalien der Angeschriebenen in den Datenbanken der hessischen Polizei recherchiert worden waren. Nach immer neuen Erkenntnissen rund um den Skandal NSU 2.0 stellte die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Bayerischen Landtag eine Anfrage zu unrechtmäßigen Datenbankabfragen durch Mitarbeiter*innen von bayerischen Sicherheitsbehörden. Laut Antwort des Innenministeriums sind allein bei der bayerischen Polizei 182 Fälle im Zeitraum 2017 bis Mitte des Jahres 2020 bekannt. In mindestens 19 Fällen konnte eine Datenweitergabe an Dritte nachvollzogen werden.[29] Bundesweit wurden wegen unberechtigter Datenabfragen durch Polizeibeamt*innen zwischen 2018 und 2020 mehr als 400 Ordnungswidrigkeits-, Straf- oder Disziplinarverfahren eingeleitet, wie Antworten der Innenministerien und Datenschutzbeauftragten der Länder auf Anfrage der Welt am Sonntag zeigen.[30] Auch diese Daten sind nicht vollständig, weil nicht alle Bundesländer Antworten lieferten. An dieser Stelle drängt sich die Frage auf, wie viele Daten aus dem regelkonformen, polizeilichen Arbeitsalltag (z.B. von Personenüberprüfungen, Anzeigebearbeitungen usw.) im „eigenen Interesse“ genutzt und gar weitergegeben werden.

Das Gefährdungspotenzial begrenzt sich aber nicht „nur“ auf unbefugte Datenabfragen und Weitergaben. Immer wieder werden neue Fälle bekannt, in denen Beamt*innen der Sicherheitsbehörden selbst verhetzende Inhalte verbreiten oder sich in Chats an einer gefährdenden Verbreitung von Daten beteiligen. In Hessen führte die Spur der Drohschreiben mit dem Absender „NSU 2.0“ zu einer Polizei-Chatgruppe, in der rechtsextreme Inhalte ausgetauscht wurden.[31] Nachdem die Skandale rund um Demokratiegefährdung und Menschenverachtung in der hessischen Polizei nicht abrissen, ist im Juni diesen Jahres das hessische SEK aufgelöst wurden.[32] Auch aus anderen Bundesländer wurden vergleichbare Fälle bekannt: in Bayern bereits 2018, in Baden-Württemberg 2020.[33] Im selben Jahr gab es Berichte aus in NRW zu fünf rechtsextremen Chatgruppen innerhalb der Polizei , die bereits über Jahre existiert haben sollen.[34] Sachsen- Anhalt, Schleswig-Holstein, Berlin… die Liste ist nach Bundesländern fortsetzbar. Bei straf- und dienstrechtlich relevanten Chat-Kommunikationen ist es aber nicht geblieben. Nachweislich sind Polizeibeamt*innen aus mehreren Bundesländern in rechtsextreme Gruppierung und Aktivitäten verwickelt: „NSU 2.0“, „Neu-Kölln-Komplex“, „Nordkreuz“. In diesen antidemokratischen Organisationsstrukturen wurden sehr große Datenmengen zu vermeintlichen Feind*innen gesammelt.[35] Das waffenhortende Netzwerk Nordkreuz plante zudem bereits aktiv an „der Abarbeitung“ ihrer Feindesliste, kaufte große Mengen an Leichensäcke und Löschkalk.[36]

In Anbetracht dieser Problematik und dem defizitären Umgang seitens Behörden und Politik hagelte es harte Kritik am neuen Gesetzesentwurf, insbesondere von den Bundesverbänden VBRG und BMB.[37] Zielführender als die Schaffung neuer Gesetze bewertet die RAV die konsequentere Umsetzung bereits bestehender straf- und dienstrechtlichen Vorschriften. Solange Feindeslisten in Beteiligung mit Beamt*innen der Sicherheitsbehörden angelegt werden, seien neue Straftatbestände wirkungslos.[38]

III. Polizeiliches Handlungspotenzial zur Verbesserung des strafrechtlichen Schutzes gegen „Feindeslisten“

Alternativ zur Gesetzesnovelle existieren bereits Möglichkeiten, wie Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden den Schutz Betroffener von menschenverachtender, rechter Gewalt und auf Feindeslisten stehende Personen erhöhen können. Relevant sind Maßnahmen auf den Gebieten der Gewinnung systematischen Wissens, der Rekrutierung und Qualifizierung des Personals sowie der Schaffung von Zuständigkeiten und Strukturen. Voraussetzung für die Effektivität von Maßnahmen zur Optimierung stellt aber die Aufklärung und Bekämpfung der Probleme innerhalb der eigenen Reihen dar.

1. Stärkung demokratischer Prozesse

Der Frage, wie die Polizei den Herausforderungen des Straftatbestandes der Feindeslisten und Hasskriminalität professionell begegnen kann, muss eine grundlegende Auseinandersetzung mit der eigenen Struktur vorausgehen. Die demokratiegefährdenden Potenziale innerhalb der Sicherheitsbehörden müssen aufgeklärt und beseitigt werden. Im MDR-Beitrag Rechtsextrem in Uniform wird jedoch ein Muster im innerbehördlichen Umgang mit Fehlverhalten beschrieben: Verschweigen, Negieren, Rechtfertigen, Betonen und Abarbeiten von Einzelfälle statt umfassende Ermittlungen und Ahndungen. Bleibt Fehlverhalten aber ohne die erforderlichen Konsequenzen, kann dies eine Normalisierung antidemokratischer und menschenfeindlicher Einstellungen und Handlungen befördern und – in gruppendynamischen Prozessen –  eine Radikalisierung begünstigen. Prof. Dr. Hans-Gerd Jaschke, Politologe und Polizeiausbilder, resümiert im Fall von Rechtsextremismus in den eigenen Strukturen, dass die Innenbehörden Probleme sehr lange totgeschwiegen haben.[39] Erst nach Bekanntwerden vieler Fälle und dem Auflösen des hessischen SEK spricht man, laut Prof. Dr. Rafael Behr vom Fachhochschulbereich Politikwissenschaften an der Akademie der Polizei Hamburg, nun nicht mehr von Einzelfällen.[40] Nun bedarf es einer systematische Beforschung, welche es ermöglicht Probleme zu verstehen, ihre Ursachen und historischen Entwicklungsverläufe zu erkennen, Veränderungen zu gestalten, aber auch Vorverurteilungen und Pauschalierungen entgegen zu wirken. Bezüglich der gegenwärtigen Herausforderungen existiert nach Einschätzung von Prof. Behr faktisch „keine brauchbare Forschung zu Rechtsextremismus im Polizeiapparat“. Diese Lücke gilt es künftig zu schließen und die Kontinuitäten im Umgang mit Herausforderungen, Problemlagen und Fehlern in den sicherheitsbehördlichen Strukturen aufzubrechen. Sie haben die Bemühungen um mehr demokratische Öffnung bisher erschwerten, wie die Experten im Interview darstellen.[41]

Zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung gehört auch die Analyse, wen zieht es warum zur Polizei? Welche Verständnisse von Demokratie – nicht nur als staatliche Organisations- und Regierungsform – nehmen dabei Einfluss auf Sicht- und Handlungsweisen? Prof. Dr. Dr. Günther Frankenbergführt aus, dass unter Polizeibeamt*innen, auch in den höheren Verantwortungsebenen, ein gewisses Unbehagen an der Demokratie keine Seltenheit ist. Auch Prof. Dr. Jaschkes Einschätzung lässt auf eine Affinität zum Autoritären schließen.[42] Somit gilt es folgende Fragen in den Mittelpunkt zu rücken: Welches Wertegerüst benötigt die Arbeit mit, am und für Menschen, in dieser großen gesellschaftlichen Verantwortung, bei einer gleichzeitig enormen Machtausstattung? – Wie können Demokratie- und Menschenrechtsbildung gefördert und Mitgestaltungsprozesse innerhalb der Polizeistrukturen gestärkt werden? Wie kann gezielt rekrutiert werden und welche Voraussetzung sollten Polizeianwärter*innen mitbringen? Die beste Qualifizierung, die umfangreichste Vermittlung von Wissens- und Handlungskompetenz kann nur dort zum Tragen kommen, wo sie auch auf ein bereits vorhandenes Fundament sozialer, psychologischer und demokratischer Kompetenzen trifft. 

2. Die Ausbildungsinhalte schärfen

Um Gefährdungspotenziale für Demokratie und Menschenrechte einschätzen zu können, bedarf es für den Arbeitsauftrag der Ermittlung- und Strafverfolgung eine umfassende Qualifizierung zu allen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, Ungleichwertigkeit, vorurteilsgeleitete Straftaten bzw. Hasskriminalität. Es ist von Bedeutung entsprechend motivierte Einschüchterungen, Herabwürdigung, Gewalt als logische Konsequenzen der menschenverachtenden Ideologie zu verstehen. Die Beschäftigung rein aus der Perspektive des politischen Extremismus erweist sich für die notwendige Sensibilisierung als unzureichend, setzt sie doch Engagement für Menschenrechte und gegen Ungleichwertigkeit als „linkes“ Handeln bezüglich möglicher Gefährdung auf die gleiche Stufe mit dem von neonazistischen, rassistischen, antisemitischen Strukturen. Das notwendige Gespür für das Gefährdungspotenzial von Frauen, LSBTTIQ*, aber auch sonstige von Ungleichwertigkeit betroffene gesellschaftliche Gruppen, kann mit diesem Ansatz nicht geschult werden. Zudem bleiben Aktivitäten von Antidemokrat*innen und menschenfeindlich Agierenden jenseits der verfassungsschutzbehördlichen Einstufung als „extremistisch“ außer Acht.

Eine im März diesen Jahres veröffentlichte Studie des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) zeigt, dass die Auseinandersetzung mit Menschenfeindlichkeit, vorurteilsgeleiteten Taten und Hasskriminalität in vielen Bundesländern häufig nur randständig im Kontext von politischen Extremismus bzw. politisch motivierter Gewalt Erwähnung finden.[43] Eine mögliche thematische Verengung auf die Perspektive von Extremismus und Staatsgefährdung birgt hierbei die Gefahr, dass notwendiges Wissen jenseits von Offizialdelikten (z.B. Volksverhetzung, Verwenden verfassungsfeindlicher Symbole) nicht ausreichend vermittelt wird. Demnach kommt auch die Kompetenzförderung im Umgang mit Betroffenen von Anfeindungen, Beleidigungen und Bedrohungen zu kurz.

3. Die Handlungskompetenz im Umgang mit Betroffenen steigern

Die intensive thematische Auseinandersetzung kann das Bewusstsein für Menschen- und demokratiefeindliche Dynamiken steigern. Bezüglich des Datensammelns zu „Feind*innen“ gilt es zu reflektieren, dass dies nicht nur durch illegale Datenweitergabe, gezieltes Ausspähen oder Recherche zu mehr oder weniger öffentlich zugänglichen Daten geschieht, sondern ebenso im Kontext von Anzeigeerstattungen und Ermittlungsverfahren.[44] Damit auch eine unbeabsichtigte Weitergabe von Daten ausgeschlossen werden kann, bedarf es einer gesteigerten professionellen Handlungskompetenz im Umgang mit Betroffenen. Sie berichten immer wieder, dass sie sich von der hinzugerufenen Polizei nicht ernst genommen oder wie Täter*innen behandelt fühlten.[45] Vorurteilsbewusste Bildung und die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Dynamiken der Marginalisierung und Diskriminierung kann die Professionalität im Umgang mit Betroffenen erhöhen, nicht aber dafür garantieren, dass Situationen und Motivationen von eintreffenden Beamt*innen am Tatort sofort erschlossen werden können. Deswegen ist es wichtig, Personaldaten Beteiligter nicht laut abzufragen und für andere hörbar zu überprüfen. Für die Opfer von gewalttätigen Übergriffen würde das eine zusätzliche Vergrößerung des Angst- und Bedrohungsraumes darstellen. Auch Zeug*innen und Ersthelfer*innen können so als Nächstes ins Visier organsierter rechter Akteur*innen geraten.

Zudem berichten Opferberatungen auch von systematischen Gegenanzeigen aus dem Täter*innenkreis. Wie auch die massenhaften Anzeigen gegen die als Volksveräter*innen diffamierten engagierten Demokrat*innen, dient das Mittel der (Gegen-)Anzeige nicht nur der Einschüchterung, sondern auch dem Datensammeln. Leider werden auch bei vorurteilsmotivierten Taten bis heute die persönlichen Wohnadressen Betroffener aufgenommen und selbstverständlich in den Akten vermerkt. Spätestens in einem Strafverfahren haben die, nicht selten szeneangehörigen, Rechtsbeistände der Beschuldigten Akteneinsicht. Über den Weg der Anzeigen und Ermittlungen gelangen Daten Engagierter und Opfer auf sogenannten Anti-Antifa-Listen.[46] Derweil genügt es, eine ladungsfähige Adresse (z.B. die Anwaltsadresse oder die der Opferberatung) anzugeben. In der StPO ist diese Option in § 68 Abs. 2 bei befürchteten Gefährdungen von Zeug*innen festgehalten. Damit sie zum Tragen kommt ist es Voraussetzung, dass Betroffene darüber informiert werden. In einer Untersuchung 2014 in Thüringen zu Betroffenen rechter Gewalt und deren Erfahrungen mit der Polizei, haben nur 10 Prozent der Befragten angegeben, dass die Polizei sie darüber informiert hat. Stattdessen leisten Rechtsanwält*innen und Opferberatungen viel Überzeugungsarbeit bei den Ermittlungsbehörden, wenn es darum geht, bereits in den Akten befindliche Privatadressen zu schwärzen. Auch an anderer Stelle lieferte die Befragung Hinweise wo die, im Opferrechtsreformgesetz festgeschriebenen Informationspflicht noch nicht ausreichend erfüllt wird. Das betrifft unter anderem Informationen zu professioneller und unabhängiger psychosozialer Beratung, zu Prozesskostenhilfe oder den Möglichkeiten den Stand der Ermittlungen abzufragen.[47]

a) Erkennen und Deuten der Gefährdungspotenziale von Feindeslisten

Eine wichtige Erkenntnis einer intensiven Auseinandersetzung mit Menschenverachtung und Rechtsextremismus ist: Es gibt keine durch Neonazis angelegten „ungefährlichen“ Sammlungen mit persönlichen Daten zu Personen, die von der menschenfeindlichen Abwertung direkt betroffen sind oder sich gegen diese positionieren.[48]

Im neuen Gesetzesentwurf fehlt die Bezugnahme auf die Absicht bzw. Motivation von angelegten Datensammlungen und die Intension einer Informationsweitergabe. Auch wenn sich diese nicht immer einfach nachweisen lässt, so ist eine Einordnung durchaus möglich und auch grundlegend für die Ermittlungs- und Strafverfolgungsarbeit. Im Rahmen der Ausbildung muss diese Fähigkeit geschärft werden. Nachvollziehbarer Weise ist der Unterschied wortwörtlich existenziell, ob das Adressregister eigener Vereinsmitglieder oder potenziell Fördernden bei einer bspw. rassistisch ideologisierten und gegen das Asylrecht aktiven Person gefunden wird oder eine Datensammlung zu People of Colour, Schwarzen Menschen und Institutionen, die gegen Rassismus arbeiten oder fluchtsolidarisch engagiert sind. Für Darstellungen speziell im Netz, bietet die Analyse der Darbietung und des Inhalts entscheidende Rückschlussmöglichkeiten auf Absichten und Motivation. Geht es um Fakten in einer sachlichen Darstellung, sind die Dinge, die dort stehen überprüfbar und mit Quellen belegt oder handelt es sich um eine Aneinanderreihung verachtender verleumderischer, hetzender Behauptungen, welche sich jeder Faktengrundlage entziehen? In welchem Verhältnis steht eine mögliche Preisgabe personenbezogener Angaben zu einem pro gesellschaftlichen, aufklärerischen und gemeinwohlfördernden Gewinn?

b) Information und Unterstützung für Betroffene

Für Betroffene ist es von großer Bedeutung, dass sie von den Ermittlungsbehörden sofort informiert werden, wenn Kenntnisse vorliegen, dass ihre Daten auf „Feindeslisten“ online verfügbar sind, z.B. auf Social Media – Kanälen oder in Foren verbreitet werden. Noch bedeutender ist das in Fällen, wo ihre Daten im Rahmen von Ermittlungen, Hausdurchsuchungen etc. bei Neonazis und sonstigen Rechtsextremist*innen gefunden werden. Das gilt auch dann, wenn diese nachweislich nicht weiterverbreitet wurden, denn hierbei könnte es sich auch um ganz konkrete, nur für einem ausgewählten potenziellen Täter*innenkreis kenntliche Anschlagsziele handeln. Eine vollständige Informationspflicht gegenüber den Betroffenen, die sich aus der EU-Opferschutzdirektive ergibt, darf nur in begründeten Einzelfällen eingeschränkt werden.[49] Ansonsten gilt es, den Betroffenen die bestmögliche Unterstützung zu gewährleisten. Ziel der Ausbildung muss es sein, Beamt*innen zu befähigen, Ängste und tatsächliche Bedrohungsräume von Betroffenen menschenfeindlich motivierter Datensammlungen zu erkennen und ernst zu nehmen.

4. Spezialisierte Ermittlungsstrukturen

Eine ebenfalls schon lange bestehende Forderung ist die nach speziell geschulten polizeilichen Ansprechpersonen für Betroffene von menschenfeindlichen und vorurteilsmotivierten Straftaten – sowohl im oder außerhalb des Internets. Die bereits erwähnte Studie des IDZ zeigt, dass dies 2020 noch die Ausnahme war. In nur zwei Bundesländer waren entsprechend qualifizierte Beamt*innen im Einsatz.[50]

Eine weitere Option ist die Schaffung dauerhafter Ermittlungsstrukturen. Die benannte Untersuchung zeigt, dass bestehende Handlungsspielräume bisher noch nicht ausgereizt wurden. Nur fünf Bundesländer gaben 2020 an, dass die Polizei in Form von Online-Streifen selbst nach ermittlungspflichtigen Inhalten sucht. Über dauerhafte Ermittlungsgruppen gegen Hass im Netz verfügten bis zu diesem Zeitpunkt nur vier Bundesländer, in drei weiteren war eine solche geplant.[51] 

Eine bedeutende strukturelle Optimierung sind unabhängige Beschwerde- und Ermittlungsstellen, die es ermöglichen Fehlverhalten und Vergehen im Amt zu prüfen und konsequent zu ahnden.[52]

 

[1]      Vgl. Radlmaier, Pranger-Portal landet auf dem Index. Hetze im Internet. Süddeutsche Zeitung v. 8.4.2020, online abrufbar unter: https://www.sueddeutsche.de/muenchen/dachau/dachau-rechtsextremismus-internet-1.4871130 (zuletzt abgerufen am 21.7.2021).
[2]      Vgl. Mordfall Walter Lübcke: Ermittler finden Personenliste – Stephan Ernst kündigt neues Geständnis an, Die WELT v. 28.11.2019, online abrufbar unter: https://www.welt.de/politik/deutschland/article203903334/Mordfall-Walter-Luebcke-Stephan-Ernst-kuendigt-neues-Gestaendnis-an.html (zuletzt abgerufen am 21.7.2021).
[3]      Der Gesetzentwurf der Bundesregierung (BT-Drs. 19/28678) wurde im Juni 2021 in der Fassung des Rechtsausschusses (BT-Drs. 19/30943) angenommen. Diese enthält neben der Verbesserung des strafrechtlichen Schutzes gegen Feindeslisten auch die Einführung eines § 176e StGB, der das Verbreiten und das der Öffentlichkeit Zugänglichmachen sowie das Abrufen, den Besitz, die Besitzverschaffung und das einer anderen Person Zugänglichmachen von Anleitungen zu sexuellem Missbrauch von Kindern unter Strafe stellt sowie die Einführung eines § 192a StGB – Verhetzende Beleidigung. 
[4]      Vgl. BT-Drs. 19/28678, S. 1.
[5]      Vgl. Maegerle/Dietzsch, „Anti-Antifa“ – Einigendes Band von Neonazis bis zur Intellektuellen Rechten. Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung, 2006.
[6]      Vgl. Ramelsberger u.a., Der NSU-Prozess. Das Protokoll, Band I-IV, 2018.
[7]      Vgl. BT-Drs. 19/28678, S.11.
[8]      Vgl. Stellungnahmen Reporter ohne Grenzen (RSF), S. 1.
[9]      Vgl. Stellungnahme Deutsche Justizgesellschaft (DJG), S. 2.
[10]    Vgl. Stellungnahme Jun.-Prof. Dr. Sebastian Golla, S. 2. und Stellungnahme Neue Richtervereinigung (NV), S. 2.
[11]    Vgl. Stellungnahme Republikanischer Anwälte- und Anwältinnenverein (RAV), S. 2.
[12]    Vgl. Stellungnahme RSF, S. 2.
[13]    Vgl. BT-Drs. 19/28678, S. 9.
[14]    Vgl. Stellungnahme RSF, S. 2.
[15]    Vgl. Stellungnahme RAV, S. 3.
[16]    Vgl. Stellungnahme Amadeu Antonio Stiftung, S. 2.
[17]    Vgl. Stellungnahme aus der Zivilgesellschaft. S. 5.
[18]    Vgl. BR-Drs 255/21, S. 1.
[19]    Vgl. § 42 Abs. 2 BDSG.
[20]    Vgl. Stellungnahme VBRG u BMB, S. 2 ff.
[21]    Vgl. Stellungnahme RAV, S. 2.
[22]    Vgl. Ginzel/Grossmann/Laufer, Betroffene fühlen sich oft allein gelassen. Rechtsextreme Feindeslisten, ARD Tagesschau v. 23.7.2019, onlineabrufbar unter: https://www.tagesschau.de/investigativ/fakt/feindeslisten-101.html (zuletzt abgerufen am 21.7.2021).
[23]    Vgl. Schimmeck, Rechtsextrem in Uniform. Über Radikalisierungstendenzen in der deutschen Polizei, Mitteldeutscher Rundfunk für das ARD Feature, online abrufbar unter: https://www.mdr.de/kultur/radio/ipg/sendung933874.html (zuletzt abgerufen am 21.7.2021).
[24]    Vgl. Stellungnahme VBRG u BMB, S. 3.
[25]    Vgl. Radlmaier (Fn. 1).
[26]    Vgl. Thaidigsmann, „Judas Watch“ wieder zugänglich. Hass im Netz, Jüdische Allgemeine v. 26.2.2020, online abrufbar unter: https://www.juedische-allgemeine.de/politik/judas-watch-wieder-zugaenglich/ (zuletzt abgerufen am 21.7.2021).
[27]    Vgl. Gensing, Welche Feindeslisten sind bekannt, ARD Tagesschau v. 26.7.2019, online abrufbar unter: https://www.tagesschau.de/investigativ/feindeslisten-rechtsextremismus-103.html (zuletzt abgerufen am 21.7.2021).
[28]    Vgl. Vogt, AfD-Abgeordneter verbreitete Liste mit angeblichen Antifa-Mitgliedern, Der Tagesspiegel v. 13.7.2019, online abrufbar unter: https://www.tagesspiegel.de/politik/e-mail-mit-aufruf-zur-denunziation-afd-abgeordneter-verbreitete-liste-mit-angeblichen-antifa-mitgliedern/24590486.html (zuletzt abgerufen am 21.7.2021).
[29]    Vgl. Bayerischer Landtag, LT-Drs. 18/12139, S. 4 f.
[30]    Vgl. Hock/Breyton, Polizisten nutzen Dienstcomputer oft für private Abfragen von Bürger, Welt am Sonntag v. 26.7.2020, online abrufbar unter: https://www.welt.de/politik/article212217181/Polizei-Mehr-als-400-Verfahren-gegen-Beamte-wegen-privater-Abfragen-an-Dienstrechnern.html (zuletzt abgerufen am 21.7.2021).
[31]    Vgl. Voigts/von Bebenburg, NSU 2.0 –der hessische Polizeiskandal, Frankfurter Rundschau v. 16.9.2019, online abrufbar unter: https://www.fr.de/politik/nsu-2-0-hessischer-polizeiskandal-13007
631.html (zuletzt abgerufen am 21.7.2021).
[32]    Vgl. Hessisches Ministerium des Innern und für Sport, Statement zur SEK-Auflösung v. 11.6.2021, online abrufbar unter: https://innen.hessen.de/presse/pressemitteilung/statement-zur-sek-aufloesung (zuletzt abgerufen am 21.7.2021).
[33]    Vgl. Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Polizeischüler wegen rechtsextremer Chats, Stuttgarter Nachrichten v. 13.2.2020, online abrufbar unter: https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.hochschule-fuer-polizei-baden-wuerttemberg-staatsanwaltschaft-ermittelt-gegen-polizeischueler-wegen-rechtsextremer-chats.63bbada4-a5ae-49c1-a99a-5dc852bf464c.html (zuletzt abgerufen am 21.7.2021).
[34]    Vgl. WDR, Rechtsextreme im Polizeidienst: NRW- Innenminister denkt nicht an Rücktritt, Westdeutscher Rundfunk v. 17.9.2020, online abrufbar unter: https://www1.wdr.de/nachrichten/reul-rechtes-netzwerk-polizei-ruhrgebiet-100.html (zuletzt abgerufen am 21.7.2021).
[35]    Vgl. AH Berlin, Drs. 18/23596 und BT-Drs 19/31238.
[36]    Vgl. Laabs, Staatsfeinde in Uniform. Wie militante Rechte unsere Institutionen unterwandern, 2021, S. 12 ff.
[37]    Vgl. Stellungnahme VBRG und BMB, S. 5 f.
[38]    Vgl. Stellungnahme RAV, S. 2.
[39]    Vgl. Schimmeck (Fn. 23).
[40]    Vgl. Ebd.
[41]    Vgl. Ebd.
[42]    Vgl. Ebd.
[43]    Vgl. Patz/Quent/Salheiser, #Kein Netz für Hass. Staatliche Maßnahmen gegen Hate Speech im Internet. Die Bundesländer im Vergleich, 2021, S. 86.
[44]    Vgl. Schimmeck (Fn. 23).
[45]    Vgl. Quent/Geschk/Peinelt, Die haben uns nicht ernst genommen. Eine Studie zu Erfahrungen von Betroffenen rechter Gewalt mit der Polizei, 2014.
[46]    Vgl. VBRG (Hrsg.), Im Fokus von Neonazis, Rechte Einschüchterungsversuche. Ein Ratgeber für Betroffene und Unterstützer*innen, 6. Aufl. (2018), S. 14.
[47]    Vgl. Quent u.a. (Fn. 45), S. 38 ff.
[48]    Vgl. Stellungnahme VBRG und BMB, S. 5.
[49]    Vgl. Stellungnahmen VBRG und BMB, S. 48.
[50]    Vgl. Patz u.a. (Fn. 43), S. 74.
[51]    Vgl. Ebd., S. 75.
[52]    Vgl. Töpfer/Peter, Unabhängige Polizeibeschwerdestellen. Was kann Deutschland von anderen europäischen Staaten lernen?, 2017.

 

 

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