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Eine „Fundgrube“ für Polizeireformer – Zum Abschlussbericht der Experten-Kommission „Verantwortung der Polizei in einer pluralistischen Gesellschaft“

von Prof. Dr. Dr. Markus Thiel

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Abstract 
In der hessischen Polizei ist es wie in den Polizeibehörden anderer Länder seit 2018 vermehrt zu höchst problematischen und Besorgnis erregenden Vorfällen gekommen. Chats mit rechtsextremistischen, rassistischen, antisemitischen und menschenverachtenden Inhalten, unbefugte Datenabfragen und mit diesen im Zusammenhang stehende Drohnachrichten etwa der „NSU 2.0“ haben zu einer Vielzahl von Maßnahmen der Auswertung und Nachbereitung geführt. Die im August 2020 eingesetzte unabhängige Experten-Kommission „Verantwortung der Polizei in einer pluralistischen Gesellschaft“ hat jüngst ihren Abschlussbericht vorgelegt, der neben einer akribischen Aufarbeitung der Geschehnisse eine Fülle an Vorschlägen und Empfehlungen enthält. Diese werden in diesem Beitrag im Überblick dargestellt und bewertet.

In the Hessian police, as in the police authorities of other Länder, there has been an increasing number of highly problematic and worrying incidents since 2018. Chats with right-wing extremist, racist, anti-semitic, and inhumane content, unauthorized data queries, and related threatening messages (as by the “NSU 2.0”) have led to a large number of measures for their evaluation and follow-up. The independent expert commission “Responsibility of the Police in a Pluralistic Society”, set up in August 2020, recently presented its final report, which, in addition to a detailed analysis of the events, contains a wealth of suggestions and recommendations. These are presented and evaluated in this article in an overview.

I. Einleitung

Angesichts verschiedener Vorkommnisse bei den Polizeien von Bund und Ländern in den zurückliegenden Jahren wird in Analysen der Ereignisse vermehrt die Besorgnis geäußert, in den Sicherheitsbehörden bestünden „strukturelle“ Probleme, Defizite und Fehlentwicklungen.[1] Insbesondere ist im Hinblick auf Chats, in denen rechtsextremistische, antisemitische, rassistische und menschenverachtende Äußerungen und Abbildungen unter Polizeibeamtinnen und -beamten die Runde gemacht haben, von „strukturellem Rassismus“ die Rede. Immer häufiger werden polizeiliche Zwangsmaßnahmen unter Einsatz körperlicher Gewalt als missbräuchlich und unverhältnismäßig wahrgenommen und öffentlich gemacht. Zudem ist eine Vielzahl nicht legitimer Abfragen aus polizeilichen Datensystemen festzustellen gewesen,[2] bei denen Zusammenhänge zu den seit 2018 aufgetretenen, mit „NSU 2.0“ gezeichneten massiven Drohnachrichten an Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte im Prozess gegen die rechtsterroristische Gruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU), deren rassistisch motivierten Mordanschlägen im Zeitraum von 2000 bis 2007 mindestens zehn Menschen zum Opfer fielen,[3] sowie an andere sich öffentlich gegen Rassismus und Antisemitismus engagierte Personen nachzuweisen waren. Weitere Bedrohungen richteten sich gegen Behörden, Medien, Politikerinnen und Politiker und Prominente, teilweise auch mit anderen Decknamen unterzeichnet. Die möglichen Verbindungen zu Polizeibehörden führen zur Befürchtung, es könnten rechtsradikale Netzwerke bei den staatlichen Sicherheitsakteuren bestehen.

Derartigen Verdachtsmomenten ist ohne jede Einschränkung nachzugehen. Neben die straf- und disziplinarrechtliche Sanktion[4] der ermittelten Täterinnen und Täter muss jedoch – wenn es sich um Polizeibeamtinnen und -beamte handelt – eine eingehende Auseinandersetzung mit den Rahmenbedingungen der Tätigkeit der Sicherheitsbehörden treten, die wiederum in strukturierte Veränderungsprozesse münden muss, will man derartigen für den Rechtsstaat und die Sicherheitsarchitektur verheerenden Vorgängen nicht nur punktuell und oberflächlich begegnen. Die Reform der Verwaltung, namentlich der Strukturen, Aufgaben, Zuständigkeiten und Befugnisse der Behörden, gilt in den Verwaltungswissenschaften zu Recht als „Daueraufgabe“.[5] Reformmaßnahmen sind namentlich dann unerlässlich, wenn nicht die Optimierung einer ansonsten weitestgehend ordnungsgemäß „funktionierenden“ Einrichtung oder Behörde in Rede steht, sondern – nicht lediglich als Einzelfälle zu qualifizierende – Dysfunktionalitäten mit erheblichen Auswirkungen auf Grundrechtsträgerinnen und -träger zutage treten.[6] Sachgerecht ist es zudem, wenn solche Reformprozesse nicht allein von der betroffenen Behörde bzw. der Rechts- und Dienstaufsicht ausgehen, sondern begleitend kompetente externe Expertise hinzugezogen wird.[7]

Auch bei der Polizei Hessen gab es verschiedene der geschilderten Vorkommnisse. Im August 2020 hat der Hessische Innenminister Peter Beuth (CDU) zur Flankierung weiterer Maßnahmen eine unabhängige Experten-Kommission unter dem Vorsitz der ehemaligen Richterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, Angelika Nußberger, eingesetzt. Der Kommission gehörten Vertreterinnen und Vertreter der Wissenschaft, der Zivilgesellschaft, der Polizei und des Verfassungsschutzes an. Im Juni 2021 hat sie ihren Abschlussbericht „Verantwortung der Polizei in einer pluralistischen Gesellschaft“ mit dem Untertitel „Die gute Arbeit der Polizeibeamten stärken, Fehlverhalten frühzeitig erkennen und ahnden“ vorgelegt.[8] Der Bericht enthält (unter dem vielleicht ein wenig zu „hochgegriffenen“ Oberbegriff des „Dekalogs“) insgesamt zehn Empfehlungen an die hessische Polizei, die im Folgenden dargestellt und kritisch gewürdigt werden sollen. Dabei können nicht alle Vorschläge eingehend diskutiert werden, so dass eine Auswahl erfolgt.

II. Auftrag und Arbeitsweise der Experten-Kommission

Wesentliche Bestandteile des Auftrags der Experten-Kommission waren die Erarbeitung von Vorschlägen, auf welche Weise Fehlverhalten Einzelner innerhalb der hessischen Polizei „frühzeitig erkannt und geahndet werden kann“, die Impulsgebung für einen erneuten Leitbildprozess, die Evaluation bereits ergriffener Maßnahmen (z.B. zur Stärkung der interkulturellen Kompetenz, zur Sensibilisierung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie Führungskräften, zu Präventionsangeboten und zur Erweiterung von Berichts- und Kontrollpflichten) und die Formulierung von Empfehlungen für deren Weiterentwicklung sowie für weitere notwendige Maßnahmen, etwa zur „Unterrichtung der Öffentlichkeit in geeigneter Form über Ermittlungen von hoher gesellschaftlicher Relevanz“, und schließlich für die Aus- und Fortbildung der Polizistinnen und Polizisten.[9]

Die Kommission bildete Arbeitsgruppen mit den Schwerpunkten Aus- und Fortbildung, Ahndung von Fehlverhalten, Leitbild, Öffentlichkeitsarbeit, Führungskultur, Opferschutz sowie Datenschutz und -sicherheit. In den Sitzungen des Plenums und der Arbeitsgruppen sowie im Rahmen von Dienststellenbesuchen wurden mehr als 70 Personen angehört. Ferner hat die Kommission seitens der hessischen Polizei zur Verfügung gestellte Daten und Unterlagen gesichtet und ausgewertet. Dabei ergaben sich teilweise Beschränkungen aufgrund der weiter laufenden Ermittlungs- und Disziplinarverfahren.

III. „Dekalog“ der Empfehlungen – Analyse und Kritik

Die Ergebnisse der Kommissionsarbeit werden im Abschlussbericht in einem „Dekalog“ aus zehn Leitsätzen zusammengefasst. Die jeweiligen Abschnitte enthalten eine Befunderhebung mit eingehenden Schilderungen des ermittelten Sachverhalts, eine Analyse und Würdigung sowie detaillierte Empfehlungen. In der Gesamtbewertung hinsichtlich der Frage nach möglicherweise bestehenden problematischen „Netzwerken“ innerhalb der hessischen Polizei wählt die Kommission einen sehr vorsichtigen Weg: Sie sei nicht dazu aufgerufen gewesen, Aussagen zum Bestehen oder Nichtbestehen eines „Netzwerkes“ zu machen; zudem habe es ihr an der Kompetenz zu eigenständigen Ermittlungen gefehlt. Zugleich betont sie, dass es sich weder bei den Chatgruppen noch bei den unberechtigten Datenabfragen um Einzelfälle handele – es seien Muster zu erkennen, die auf „strukturelle Probleme schließen lassen“.[10]

1. Haltung zeigen – Werte leben

Prominent platziert sind die Erwägungen der Kommission zum Leitbild der Polizei Hessen. Sie empfiehlt dieser, sich erneut mit dem Thema Leitbild zu befassen, allerdings: „wenn, dann richtig“ – was freilich für alle vorgeschlagenen Maßnahmen gelten sollte. Die Kommission versteht Leitbilder im Sinne „nach außen und innen“ verkündeter „Wertekataloge“[11] und damit als ein zentrales Instrument zur Wertevermittlung. Bezug genommen wird auf das Leitbild der Hessischen Polizei von 1998,[12] das aus Sicht der Kommission in einem strukturierten Prozess zu „reaktivieren“, weiterzuentwickeln bzw. neu zu fassen wäre. Es müsse aber kein erneuter aufwändiger Prozess für ein neues Leitbild initiiert werden; vielmehr sollten die notwendigen Überarbeitungsprozesse im Rahmen von „Revisions-Workshops“ überprüft werden.[13] Daneben wird die Einrichtung einer zentralen, behördenübergreifenden Geschäftsstelle sowie die Schaffung der Stellen als „Leitbild-Koordinatorinnen und -Koordinatoren“ in den Polizeipräsidien vorgeschlagen.

Die den Empfehlungen zugrunde liegende Idee, mithilfe eines aktualisierten bzw. fortgeschriebenen Leitbilds vorteilhaften Einfluss auf die Polizei und ihre Bediensteten nehmen zu können, ist grundsätzlich zu begrüßen. Leitbilder können eine Vielzahl positiver Funktionen erfüllen – sie stiften Einheit, geben Orientierung, vermitteln Werte, fördern die Identifikation und motivieren zur Betätigung.[14] Nicht vernachlässigt werden dürfen dabei allerdings die Risiken der Nutzung von Leitbildern: Zeigen sich Widersprüche zwischen Leitbild und Realität oder verfehlen die Vorgaben die Rahmenbedingungen der Berufspraxis, kehren sich die positiven Effekte ins Negative, und das Leitbild büßt seine Bindungs- und Überzeugungswirkungen ein. Die Kommission hebt selbst die Schwierigkeiten bei der Leitbilderarbeitung in den 1990er Jahren hervor.

Darüber hinaus sollten in die Überarbeitung des Leitbildes keine allzu großen Hoffnungen gesetzt werden. Das Leitbild von 1998 liest sich gefällig, die zahlreichen kurzen Aussagen sind durchweg zustimmungsfähig. Ob ein Leitbild allerdings in wahrnehmbarer Weise Defizite bei der praktischen Umsetzung von Werten und der Demonstration der eigenen Haltung auszugleichen in der Lage ist, muss zumindest bezweifelt werden. Wer in einer Polizeibehörde rechtsextremistisches, rassistisches, antisemitisches oder menschenverachtendes Gedankengut aufweist oder entwickelt, weiß, dass er sich damit in Widerspruch zu den Leitlinien einer Gesetz und Recht verpflichteten Sicherheitsbehörde im demokratischen, pluralistischen Verfassungsstaat setzt, und wird sich durch die eher passiven Appelle eines Leitbildes kaum eines Besseren belehren lassen. Dem als negativ beschriebenen „Korpsgeist“ als „positives“ Gegengewicht ein „Leitbild“ gegenüber zu stellen,[15] simplifiziert das komplexe Gefüge aus Berufsrollenverständnis, Cop Culture, Außenwahrnehmung und den Einflüssen von Alltagserfahrungen bei den Polizeibeamtinnen und -beamten zudem doch etwas zu sehr.

Die Vorschläge der Errichtung einer Geschäftsstelle und der Benennung von Leitbild-Koordinatorinnen und -Koordinatoren bei den Polizeibehörden, die für die Implementierung und Pflege des Leitbildes zuständig sein sollen, überzeugt ebenfalls nur teilweise. Was sollen die Inhaberinnen und Inhaber dieser Positionen konkret tun, wie sieht der Arbeitsalltag aus? Sollen sie mit ihren Funktionen ernst genommen werden, bedarf es in einer auf Effizienz, Zuständigkeiten und strukturierte Prozesse ausgerichteten Organisation wie der Polizei Ansatzpunkte und „Einfallstore“ für derartige Funktionen. Was meint die Kommission mit dem Satz „Das Aufgabenprofil dieser Koordinator:innen sollte nicht mit themenfernen Aufgaben ausgefüllt werden“ – bedeutet dies, dass sie – neben der Leitbild-„Pflege“ sowie der „Berufsphilosophie“ und „Werte(-entwicklung)“ nichts anderes mehr tun sollen? Sind die Koordinierungsaufgaben als Vollzeitfunktionen gedacht? Wie soll die vorgesehene Zusammenarbeit mit den ebenfalls vorgeschlagenen „Extremismusbeauftragten“ („Netzwerklotsen“)[16] erfolgen, sofern die Funktionen nicht von derselben Person im Hauptamt wahrgenommen werden? Sicherlich soll der Abschlussbericht nach dem Selbstverständnis der Kommission vor allem Anstöße für weitere Überlegungen geben – ein „Mehr“ an Konkretisierung wäre allerdings wünschenswert gewesen.

All das kostet Zeit und bindet personelle und sachliche Ressourcen. Diese für eine Optimierung der hessischen Polizeibehörden aufzuwenden, ist ein sicherlich lohnendes Vorhaben – sachgerechter als die Einrichtung weiterer Funktionen und die Veranstaltung von „RevisionsWorkshops“ zur Implementierung und Pflege eines erst noch gewissermaßen „organisch“ zu entwickelnden, jedenfalls aus der doch eher formelhaften, im Grunde Selbstverständlichkeiten formulierenden Vorlage der 1990er Jahre fortzuschreibenden Leitbildes, in denen Geld und Arbeitskraft möglicherweise wenig nutzbringend zu versickern drohen, erscheint allerdings die Ausarbeitung eines strukturiert konzipierten und klar formulierten Maßnahmenprogramms.

Dass ein Leitbild, vor allem aber „Berufsphilosophie und Werte“ zum Pflichtbestandteil der polizeilichen Aus- und Weiterbildung werden sollten,[17] ist als Empfehlung zu begrüßen – allerdings sind diese Inhalte bereits in den Bachelor-Studiengängen an der Hessischen Hochschule für Polizei und Verwaltung sowie im Master-Studiengang für den Aufstieg in den höheren Dienst an der Deutschen Hochschule der Polizei implementiert, und es bedürfte überdies dann doch zeitnah eines modernisierten Leitbildes. Zu warnen ist dagegen davor, leitbildgerechtes Verhalten zu einem formalen Bestandteil der Beurteilung werden zu lassen – das ohnehin schon mit erheblichen rechtlichen Unsicherheiten behaftete Beurteilungsverfahren[18] sollte nicht mit weiteren, hinsichtlich der Beurteilungskriterien kaum nachvollziehbar fassbaren weiteren Kategorien belastet werden. Dies gilt in gleicher Weise für den Vorschlag, die Teilnahmebereitschaft an Fortbildungsveranstaltungen zu einem Beurteilungsbestandteil zu machen.[19]

2. Den Staat und seine Organe vor Rechtsextremismus schützen

Dass der Staat und seine Organe vor Rechtsextremismus zu schützen sind, ist eine Selbstverständlichkeit; eines der zentralen Elemente der „öffentlichen Sicherheit“, dem wesentlichen Schutzgut des präventiven Polizeirechts (vgl. § 1 Abs. 1 S. 1 HSOG), sind der Bestand und die Funktionsfähigkeit des Staates und anderer Träger hoheitlicher Gewalt, ihrer Einrichtungen und Veranstaltungen. Die Ausführungen der Kommission zu diesem Leitsatz greifen allerdings weit über diesen Aspekt hinaus und bieten sehr instruktive Ausführungen und Erkenntnisse, ohne dass der Umfang des Phänomens „Rechtsextremismus in der Polizei“ „datenfundiert“ eingegrenzt werden kann.[20] Dementsprechend breit ist auch das Spektrum der konkreten Vorschläge und Anregungen.

Die geltende Rechtslage bewertet die Kommission als „grundsätzlich adäquat“; sie ordnet auch die bislang getroffenen Maßnahmen als „erste Schritte in die richtige Richtung“ ein.[21] Zugleich unterbreitet sie verschiedene Vorschläge unterschiedlichen „Formats“ – konkrete Handlungsempfehlungen, Anregungen zu Änderungen im Normbestand und Prüfvorschläge. So empfiehlt die Kommission etwa, bei der Einstellung in den Polizeivollzugsdienst eine standardisierte Abfrage beim Landesamt für Verfassungsschutz einzuführen. Zudem sollen die Personalstammdaten in einem gesonderten Bereich der gemeinsamen Dateien nach § 6 BVerfSchG gespeichert werden, in dem auch die Daten aller nach § 7 HSÜVG überprüften Personen abgelegt sind. Die Kommission betont selbst, dass es sich vermutlich nur um eine geringe Anzahl an Personen handelt, die auf der Grundlage einer solchen Abfrage nicht in den Polizeivollzugsdienst aufgenommen werden könnten; es ist ihr allerdings trotz einer möglicherweise (ja gerade wünschenswert) niedrigen „Erfolgs“-Quote darin zuzustimmen, dass kein rechtlich mögliches Instrument unversucht gelassen werden sollte, (rechts-) extremistische Bewerberinnen und Bewerber frühzeitig „aussortieren“ zu können. Dass eine solche „Regelabfrage“ der  Polizeianwärterinnen und -anwärter kontrovers diskutiert wird[22] und aus (rechts-)historischem Blickwinkel Verfassungstreueprüfungen nicht als gänzlich unproblematisch gelten können,[23] steht dem nicht entgegen. Verfassungsrechtliche Bedenken, etwa hinsichtlich des Rechts auf Zugang zu jedem öffentlichen Amte (Art. 33 Abs. 2 GG), lassen sich durch eine entsprechende Ausgestaltung der einfachgesetzlichen Grundlagen für die „Regelabfrage“, insbesondere zur Bewertung und den Konsequenzen ihrer Ergebnisse, ausräumen. Es ist ohnehin nicht nachvollziehbar, weshalb beispielsweise bei der Zuverlässigkeitsprüfung für das Bewachungsgewerbe nach § 34a Abs. 1 S. 5 Nr. 4 GewO verpflichtend die Einholung einer Stellungnahme der Landesbehörde für Verfassungsschutz zu Erkenntnissen hinsichtlich der Beurteilung der Zuverlässigkeit vorgeschrieben ist,[24] während bei der Einstellung in die Polizei, die das staatliche Gewaltmonopol ausübt, (noch) nicht bundesweit eine Koordinierung mit dem Verfassungsschutz gesetzlich vorgesehene Praxis ist.

Weniger überzeugend erscheint die Idee, das Verhalten der Bewerberinnen und Bewerber für den Polizeivollzugsdienst in den Sozialen Medien zu überprüfen.[25] „Open Source Intelligence“ (OSINT)-Recherchen spielen für die polizeiliche Aufgabenerfüllung zwar eine stetig bedeutsamer werdende Rolle;[26] die Kommission weist aber selbst zu Recht zum einen auf die verfassungsrechtliche Problematik, zum anderen auf das Ressourcenproblem solcher „Checks“ hin.[27] Der Anregung einer „Machbarkeitsüberprüfung“ ist daher zuzustimmen. Gleiches gilt für die Vorschläge zur Stärkung der Resilienz gegen Rechtsextremismus in der Ausbildung sowie zur Sensibilisierung im polizeilichen Alltag und im Rahmen der Fortbildung.

Die Kommission empfiehlt ferner, verschiedene gesetzliche Bestimmungen und Erlasse vor allem mit dem Ziel einer Klarstellung anzupassen. So soll das Land Hessen anregen, die Eigenschaft der freiheitlichen demokratischen Grundordnung als „Gegenkonzept zum Nationalsozialismus“ in § 33 des Beamtenstatusgesetzes (BeamtStG) aufzunehmen, bzw. alternativ eine Neufassung des gemeinsamen Runderlasses zur Prüfung der Verfassungstreue von Bewerbern für den öffentlichen Dienst vom 9. Juli 1979 anstoßen.[28] Zudem werden Änderungen des Disziplinarrechts, namentlich die Aufnahme eines Regelbeispiels für ein schweres Dienstvergehen vorgeschlagen („Ein schweres Dienstvergehen ist insbesondere die Verletzung der Würde der Opfer durch die Rechtfertigung, Billigung und Verherrlichung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft“). Darüber hinaus sollen rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende Beweggründe bei der Zumessung der Disziplinarmaßnahme berücksichtigt werden, sowie „die Gesinnung, die aus dem Dienstvergehen spricht und der dabei aufgewendete Wille“.[29] In diesem Kontext wird auch die Prüfung angeregt, ob eine „tätige Reue“ in Form einer Aufklärungshilfe in die Bemessung einbezogen werden könne.[30] Diese Vorschläge hinterlassen ein ambivalentes Bild: Insbesondere bestehen Bedenken, bei der Bemessung von Disziplinarmaßnahmen auf die einem disziplinarisch relevanten Verhalten zugrunde liegende „Gesinnung“ abzustellen. Zwar ist schon nach geltendem Recht das Persönlichkeitsbild der Beamtin bzw. des Beamten angemessen zu berücksichtigen (§ 16 Abs. 1 S. 3 HDG) – soll aber wirklich die Gesinnung Einfluss auf die Sanktion haben, sofern sie nicht ohnehin schon die Grenze der Verfassungstreue überschreitet? Bewegen sich die Bezugnahme auf Gesinnung und Willen nicht bereits auf dem schmalen Grat zwischen dem nachvollziehbaren Wunsch, schon rechtsextrem Denkende vom Polizeidienst fernzuhalten, und den von der Kommission selbst aufgeführten Bedenken gegenüber einer zu extensiven Verfassungstreueprüfung?

Zuzustimmen ist den Vorschlägen, die rechtlichen Regelungen auf Möglichkeiten zur Verkürzung der Disziplinarverfahren zu überprüfen,[31] und statistische Daten, anonymisierte inhaltliche Zusammenfassungen von Disziplinarverfahren sowie realistische Dokumentationen der Vorfälle der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, um die „General- und Individualprävention“ zu verbessern.[32] Bezüglich des zweiten Vorschlags ist allerdings sicherzustellen, dass aufgrund der Art und Weise der Darstellung die Täterinnen und Täter nicht individualisierbar sind. Zudem möchte die Kommission „in Art einer ‚Schock-Dokumentation‘“ „offen und ungeschönt“ den Tatvorwurf darstellen und damit „auf eine so klare Weise“ vermitteln, „worum es geht, dass keine Zweifel an der Dringlichkeit der Thematik bleiben“.[33] Der Beweggrund hinter dieser Idee, das problematische Verhalten in der Öffentlichkeit greif- und vorstellbarer werden zu lassen, auch um die Sanktionen zu legitimieren, ist zwar nachvollziehbar. Der Intention, die Akzeptanz polizeilichen Handelns in der Bevölkerung zu erhöhen, den Respekt gegenüber den Sicherheitsbehörden zu stärken und in sachlicher Weise über Fehlentwicklungen zu berichten, um vor allem auch die Polizeibeamtinnen und -beamten diesbezüglich zu sensibilisieren, würden solche polizeispezifischen „Ekel-Listen“ aber eher einen Bärendienst erweisen, wenngleich sie freilich eventuellen Abwiegelungstendenzen innerhalb der Polizei einen wirksamen Riegel vorschieben könnten.

Beim Vorschlag der Schaffung von behördlichen „Extremismusbeauftragten“ („Netzwerklotsen“) nach dem Vorbild anderer Bundesländer gelingt die Beschreibung der konkreten Aufgaben besser als hinsichtlich der LeitbildKoordinatorinnen und -Koordinatoren.[34] Die Idee verdient Zustimmung, allerdings erscheint es bedeutsam, die Aufgaben der Beauftragten mit denjenigen anderer Stellen und Funktionen abzugleichen, um „Dopplungen“ und Kompetenzkonflikte zu vermeiden.

Zur Verbesserung des Dialogs mit der Zivilgesellschaft, namentlich zur Kommunikation des polizeilichen Selbst- und Rollenverständnisses schlägt die Kommission die Einrichtung eines ehrenamtlichen Ethikrates vor.[35] Zudem empfiehlt sie die Fortführung der sog. „Hessen-Studie“ des Hessischen Informations- und Kompetenzzentrums gegen Extremismus.[36]

3. Stärkung der lernenden Organisation – Offenheit für Kritik 

Die Kommission charakterisiert die Polizei als „lernende Organisation“,[37] beschreibt fünf Dimensionen der Organisationsentwicklung (persönliche Kompetenz, mentale Modelle, gemeinsame Visionen, Team-Lernen, Systemdenken) und betont die Bedeutung einer „Fehlerkultur“.[38] Die konkreten Empfehlungen hierzu bleiben vor allem im Vergleich mit denjenigen zum zweiten Leitsatz recht vage: So sollen die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass sich die Polizei selbst als lernende Organisation versteht und dies nach innen wie nach außen kommuniziert. Als „Dreh- und Angelpunkt zum Aufbau und zur Stärkung einer resilienten, lernenden Organisation“ sieht die Kommission die Aus- und Fortbildung und fordert die Bereitstellung der entsprechenden Ressourcen. In dieser Allgemeinheit ist dies zustimmungsfähig; hingewiesen wird allerdings zu Recht darauf, dass „zeitliche Freiräume“ für die vorgeschlagenen Fortbildungsveranstaltungen, Workshops, regelmäßige Supervisionen, Präventionskuren usw. „entsprechend einzuplanen“ seien.[39] Als Desiderate liest sich das sehr gut – allein bestehen erhebliche Bedenken hinsichtlich der praktischen Umsetzbarkeit solcher Maßnahmen, vor allem, wenn man eine „Gesamtschau“ der Empfehlungen über alle Leitsätze der Kommission hinweg vornimmt. So sinnvoll und sachgerecht die Vorschläge sind, erscheint es als angesichts der gegenwärtigen und künftig zu erwartenden Personalstruktur und Finanzausstattung doch etwas realitätsfern, eine derart zeit- und ressourcenintensive „Nabelschau“ effektiv und dauerhaft zu etablieren, ohne dass die Erfüllung der polizeilichen Kernaufgaben darunter leiden müsste.

4. Übergang zwischen Studium und Berufsalltag – den „Praxisschock“ abmildern

Wichtig und gedankenreich sind die Ausführungen der Kommission zur Problematik des „Praxisschocks“ der Polizeibeamtinnen und -beamten beim Übergang vom Studium zum Berufsalltag.[40] Die möglichen negativen Konsequenzen dieses „Praxisschocks“ werden anschaulich herausgestellt, und es wird klar und nachvollziehbar dargelegt, dass einige von ihnen durchaus zu einer Ausprägung problematischer Sicht- und Verhaltensweisen beitragen können. Ebenso wird deutlich, dass eine leitbildorientierte Ausbildung in der Praxis schnell ihre Wirkung verlieren kann, wenn nicht auch dort entsprechende Werte und Haltungen „gelebt“ werden.

Die Kommission schlägt u.a. vor, das Anforderungsprofil und die spezifische Ausbildung der Praxisausbilderinnen und -ausbilder zu schärfen, „Räume für Reflexion, Intervision und kollegiale Beratung“ zu schaffen, ein Konzept von Intervision und Mentoring zu entwickeln und im Studium „besser auf den Praxisschock“ vorzubereiten.[41] Dies alles ist richtig, doch auch hier wären weitere Konkretisierungen der durchweg sachgerecht erscheinenden Vorschläge wünschenswert gewesen.

5. Stärkung des ersten Führungsamtes

Die Kommission betont die wesentliche Rolle der Dienstgruppenleiterinnen und -leiter (und ähnlicher Positionen) bei der „Früherkennung“ und der Aufdeckung von möglichem Fehlverhalten und damit die Bedeutung des „ersten Führungsamtes“.[42] Die Darstellungen der Erkenntnisse bezüglich der rechtsextremistischen und rassistischen Chats und des Verhaltens der unmittelbar vorgesetzten Führungskräfte sind wiederum sehr aufschlussreich.

Es ist wenig überraschend, dass die Kommission vor diesem Hintergrund die Optimierung der langfristigen Personalentwicklung unter Einbeziehung des ersten Führungsamts, die verpflichtende Teilnahme an einer Führungsfortbildung vor Übertragung eines solchen Amtes, die Einrichtung eines Rotationssystems und die Organisation einer Plattform zum Erfahrungsaustausch der Dienstgruppenleiterinnen und -leiter (wieder: „Workshops“) vorschlägt.[43] Zudem sollen „(Zeit-)Räume für Führungsarbeit und Reflexion“ geschaffen und eine „Nachbereitung der Schicht“ geschaffen werden, unter „operativer Entlastung“ und mit Vorbereitung der Führungskräfte in der Fortbildung.

Der Hinweis, bei der Implementierungsphase dürften auch alle anderen Führungsebenen nicht vergessen werden,[44] lässt den Leser dann freilich etwas ratlos zurück – es sollen also nicht nur die „Anfängerinnen und Anfänger“ vor einem „Praxisschock“ geschützt werden, sondern auch sämtliche Führungsebenen in ein Fortbildungs- und Kommunikationskonzept einbezogen werden. Der Abschlussbericht springt hier zu kurz – was wäre denn spezifisch für die mittlere Führungsebene oder die Behördenleitung anzustoßen? Die Überlegungen hätten diesbezüglich in Richtung eines Gesamtkonzepts „weitergedacht“ werden sollen.

6. Opferperspektive ist auch Polizeiperspektive

Im Zusammenhang mit den Drohschreiben der „NSU 2.0“ haben mehrere der Opfer das Verhalten und die Kommunikation der Polizei als defizitär beschrieben. Die Kommission führt zu ihren diesbezüglichen Ermittlungen und Erkenntnissen umfangreich aus und kommt zu dem zutreffenden Ergebnis, dass seitens der Polizei tatsächlich Fehler gemacht wurden.[45] Dies dürfte ganz unbestritten sein, wenngleich es methodisch jedenfalls nicht recht nachvollziehbar ist, nahezu ausschließlich die subjektiven Bewertungen Betroffener für die Feststellung des Sachverhalts zugrunde zu legen. Dies gilt vor allem für die Aussagen, die Polizei sei nicht empathisch genug, erkenne die individuelle Belastung durch Bedrohung nur selten an und reflektiere die Wirkung polizeilicher Maßnahmen auf Betroffene nicht ausreichend.[46] Solche generalisierten Feststellungen, die die Kommission nicht weiter hinterfragt, überzeugen nicht und werden auch der Ausrichtung des Abschlussberichts, jedenfalls (auch) die „gute Arbeit der Polizeibeamten“ zu „stärken“, nicht gerecht.

Die Kommission empfiehlt die Erarbeitung eines umfassenden Konzepts zum Umgang mit Betroffenen von Rechtsextremismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit; in den weiteren Ausführungen hierzu werden vor allem die Bereitstellung einer ständigen Ansprechperson, die Beteiligung von Opferschutzbeauftragten und die Einbindung der Polizeiführung in die Kommunikation erörtert.[47] Etwas schmal geraten sind die Erwägungen zum Vorschlag, eine Konzeption zum Umgang mit Opfern bei polizeilichem Fehlverhalten zu entwickeln. Hingewiesen wird auf eine Erwartungshaltung bei den Opfern, dass sich „die Polizei“ entschuldigen müsse, und es wird die Erarbeitung einer „best practice“ vorschlagen. Diese Passage hat eher den Charakter eines „Brain-stormings“; ein Einwand, der namentlich die späteren Leitsätze des Abschlussberichts betrifft. Beim Vorschlag eines landesweit standardisierten Beschwerdemanagements für den Umgang mit Beschwerden von Betroffenen über polizeiliches (Fehl-)Verhalten fehlt etwa eine Aussage darüber, wer die Feedback-Möglichkeit und das „unkomplizierte und unbürokratische“ „Tool“ bereitstellen, vor allem aber die Beschwerden bearbeiten sollte.

7. Kommunikative Transparenz – Chance statt Risiko

In den Ausführungen zum siebten Leitsatz betont die Kommission die Bedeutung der (externen) Kommunikation für die polizeiliche Arbeit, stellt die Pressearbeit des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport dar und erörtert die Öffentlichkeitsarbeit über digitale Kanäle,[48] jeweils unter kritischer Würdigung hinsichtlich der NSU 2.0- und der Chat-Thematik. Sodann wird die innere Kommunikation ausführlich behandelt.

Die Kommission empfiehlt eine „grundsätzlich proaktive Öffentlichkeitsarbeit, die auch über Fehlverhalten und Organisationskrisen offen kommuniziert“, die Einrichtung eines ehrenamtlichen (aber berichtspflichtigen) Kommunikationsbeirats mit externen Fachleuten, die Erarbeitung eines ressortübergreifenden Kommunikationskonzepts für „herausragende Ermittlungsverfahren“ und die Unterstützung der Dienststellen vor Ort in besonderen Krisen- und Konfliktsituationen bei der Kommunikation mit der Öffentlichkeit.[49] Diese Vorschläge erscheinen ebenso sinnvoll wie die Empfehlung, im Rahmen der internen Kommunikation „schneller, entschlossener und offener über Themen zu kommunizieren, die das Grundverständnis der Polizei berühren“. Der „Novitätsgrad“ dieser Erwägungen ist freilich vergleichsweise gering, handelt es sich doch durchweg um Maßnahmen, die man ohnehin im Zusammenhang mit polizeilicher Öffentlichkeitsarbeit erwarten würde. Die dringliche Empfehlung, eine Richtlinie zur privaten Nutzung von Sozialen Medien durch Polizeibeamtinnen und -beamte, also etwa für die mitunter problematisch agierenden „Insta-Cops“,[50] zu entwickeln, wird nachvollziehbar begründet.

8. Zielgenauigkeit und Nachhaltigkeit bei Maßnahmen des Datenschutzes

Mit der datenschutzrechtlichen Bewertung der unbefugten Datenabfragen sowie einer detaillierten Sachverhaltsschilderung befasst sich die Kommission in ihren Ausführungen zum achten Leitsatz. Sie äußert Bedenken, ob der Hessische Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit personell hinreichend ausgestattet sei,[51] und stellt fest, dass jedenfalls bis zum Juli 2020 keine angemessenen Standards zum (technischen) Datenschutz bestanden hätten – innerhalb der hessischen Polizei hätten früher Anpassungen an aktuelle technische Standards erfolgen müssen, insbesondere hinsichtlich der Passwortsicherheit.[52]

Empfohlen werden die Weiterentwicklung der Maßnahmen des technischen Datenschutzes (z. B. Sicherstellung einer Zwei-Wege-Authentifizierung für POLAS-Abfragen), die Einrichtung eines polizeieigenen Messengerdienstes und die Ausstattung aller Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamten mit mobilen Endgeräten, eine standardisierte Vorgehensweise hinsichtlich der Meldung unberechtigter Datenabfragen und eine nachhaltige Behandlung der Datenschutzthematik in der Aus- und Fortbildung.[53]

9. Klare Zuständigkeiten – Unabhängige Kontrolle

Die Erwägungen zum neunten Leitsatz setzen mit einer eingehenden Darstellung des polizeilichen Handelns in den drei Ermittlungsphasen bezüglich der Chats ein. Zu Recht weist die Kommission auf mehrfach geänderte Zuständigkeitszuweisungen, die Probleme bei einer Parallelität von Straf- und Disziplinarmaßnahmen,[54] die Besonderheiten einer „Selbstbetroffenheit“ der Polizei und die Notwendigkeit einer funktionierenden Kooperation aller Akteure hin. Weitere Ausführungen zur Thematik einer bzw. eines unabhängigen Polizeibeauftragten schließen sich an.[55]

Die Kommission empfiehlt die Überarbeitung des Gesetzes über die unabhängige Bürger- und Polizeibeauftragte oder den unabhängigen Bürger- und Polizeibeauftragten des Landes Hessen, namentlich eine Klarstellung der Bestimmung zu anonymen Meldungen und zur Wahrung der Vertraulichkeit. Der Hinweisgeberschutz in diesem Gesetz ist tatsächlich recht schwach ausgeprägt – so soll von einer Bekanntgabe des Namens der beschwerdeführenden oder eingebenden Person abgesehen werden, sofern keine Rechtspflichten entgegenstehen (§ 19 Abs. 1 S. 3). Die Kommission hält es für besser, die Vertraulichkeit explizit zuzusichern, sofern keine Rechtspflichten entgegenstehen.[56] Zudem schlägt sie eine klarere Regelung der Zuständigkeit innerhalb der Polizei für Fälle des polizeilichen Fehlverhaltens vor, u. a. Verfahrensvorschriften zu einer standardisierten Befangenheitsprüfung und Handlungsleitlinien für die Abgabe von Fällen an das Landeskriminalamt.

10. Selbstidentifikation der Polizei als Garantin einer pluralistischen Gesellschaft

Den Bogen zu den ersten beiden Leitsätzen schlägt der Abschlussbericht sodann mit den Ausführungen zum zehnten Leitsatz, bei dem die „Selbstidentifikation der Polizei als Garantin einer pluralistischen Gesellschaft“ im Fokus steht. Die Kommission betont, dass eine pluralistischere Gestaltung der Polizei wünschenswert wäre,[57] und empfiehlt, einen „Organisationsentwicklungsprozess“ anzustoßen, der das Ziel hat „die hessische Polizei divers und offen zu gestalten“. Vorgeschlagen wird u.a. eine Zielgruppenbefragung der Polizeibediensteten „mit Migrationshintergrund“ zur Ermittlung von Entwicklungspotenzialen, zur Frage der Einrichtung einer institutionalisierten Interessenvertretung und zu einer stärkeren Berücksichtigung von Diversitätsaspekten beim Mentoring.[58] Die „Sensibilisierung für potenzielle Diskriminierungserfahrungen“ benennt die Kommission als „Daueraufgabe“ – Polizeibeamtinnen und -beamte müssten lernen, „sowohl auf tradierte Diskriminierung, wie zum Beispiel gegen Juden und Sinti und Roma, wie auch auf Menschenverachtung und Rassismus in zeitgenössischen Formen angemessen und opferzugewandt reagieren zu können“.[59] Dies alles ist richtig und unterstützenswert. Die Kommission bleibt aber hier wie an mehreren anderen Stellen konkretere Vorschläge schuldig. Bei diesem Abstraktionsgrad ist der Erkenntnisgewinn eher dürftig; für die Formulierungen derartiger Forderungen hätte es – bei allem Respekt für ihre Tätigkeit – einer unabhängigen Experten-Kommission nicht bedurft.

IV. Fazit

Die Experten-Kommission hat in ihrem Abschlussbericht neben einer detailreichen, differenzierten und instruktiven Darstellung der jüngeren Geschehnisse bei der Polizei Hessen eine Fülle an Vorschlägen und Empfehlungen abgegeben. Der umfangreiche Bericht, für den der Kommission herzlich zu danken ist, ist eine „Fundgrube“ für Polizeireformer, wenngleich die Überlegungen zu den zehn Leitsätzen in ihrer Überzeugungskraft teilweise erheblich variieren. Zu verschiedenen Aspekten wäre eine Konkretisierung der angedachten Maßnahmen und Instrumente wünschenswert gewesen (stellenweise sind Sachverhaltsaufbereitung und -analyse überzeugender gelungen als die Empfehlungen), einige Gesichtspunkte sind zudem längst bekannt, viele Folgerungen selbstverständlich.

Ihrer Aufgabe, vor dem Hintergrund der Ereignisse seit 2018 zu ausgewählten Themenfeldern Empfehlungen für die Entscheidungsträger zu erarbeiten, ist die Kommission aber in beachtlicher Weise nachgekommen. Und doch sind die in vielen Punkten uneingeschränkt zu befürwortenden Vorschläge der Kommission von einem unübersehbaren Grundtenor getragen: Die Maßnahmen fordern einen ganz erheblichen Zeit- und Ressourceneinsatz – sei es bei der Erarbeitung neuer oder der Überarbeitung vorhandener Leitlinien, Handlungsanweisungen und Konzepte, sei es bei der Ausweitung der Fortbildung, bei der Sensibilisierung von Führungskräften, der Verbesserung der Kommunikation, der Erweiterung von Kommunikations- und Austauschmöglichkeiten usw. Der Abschlussbericht zeichnet das Zukunftsbild einer Polizei, die in weitaus größerem Maße als bislang „mit sich selbst“ beschäftigt sein wird. Dies wird sicherlich zur Problemlösung beitragen; gleichwohl müssen die meist recht pragmatisch denkenden und handelnden Polizeibeamtinnen und -beamten von einer solchen fundamentalen Veränderung wohl vielfach erst überzeugt werden. Zudem wird eine Umsetzung der Vorschläge nicht ohne eine deutliche Ausweitung der Personalkapazitäten zu haben sein, sollen Abstriche bei den polizeilichen Kernaufgaben vermieden werden. Vor diesem Hintergrund werden die für die Polizei Hessen Verantwortlichen eingehend zu erwägen und zu diskutieren haben, in welcher zeitlichen Perspektive und mit welchen Prioritäten welche der Empfehlungen der Kommission Realität werden sollen. Verschiedenes ist bereits angestoßen – z.B. wurden eine Stabsstelle zur Umsetzung der Empfehlungen eingerichtet und der Leitbildprozess in Gang gesetzt. Die weiteren Entwicklungen können auch für die Polizeien anderer Länder richtungweisend sein.

 

[1]      Vgl. Baier/Pfeiffer, Kriminalistik 2021, 3 ff.; Bosch, Vorgänge 2020, Nr. 3-4, 167 ff.; s. schon Fedders, FoR 2015, 26 ff. – zum Racial Profiling; Reuss, Vorgänge 2020, Nr. 3-4, 179 ff. – zum Antiziganismus; vgl. aber Burschel/Wendt, DRiZ 2013, 324 f.
[2]      Zur Strafbarkeit unbefugter Datenabfragen durch Polizeibeamte Keller, AnwZert ITR 21/2020, Anm. 2, ITR 25/2020, Anm. 3.
[3]      Zur Entwicklung des deutschen Rechtsterrorismus Pfahl-Traughber, ZfP 2021, 87 ff.; zum Prozess Ramelsberger, DRiZ 2019, 46 ff.; s. auch Pichl, KJ 2015, 275 ff.; Virchow, NK 2014, 141 ff.; Soukup/Barten, Kriminalistik 2013, 22 ff.
[4]      Zum Verhältnis beider zueinander Olthaus, DPolBl 2/2021, 12 ff.; s. auch Baldarelli, DPolBl 2/2021, 7 ff. – zu den Konsequenzen schwerster Dienstvergehen.
[5]      S. etwa schon Braschos, ZBR 1988, 380 ff.; Pitschas, VerwArch Bd. 72 (1981), 1 ff.; zur Frage der Reformierbarkeit des deutschen Polizeisystems Aden, Vorgänge 2003, Nr. 1, 114 ff.
[6]      Zur Initiative zur Stärkung der „demokratischen Widerstandskraft“ in der Polizei Niedersachsens Götting, Kriminalistik 2021, 12 ff.
[7]      Zur Rolle von Beratern und Experten instruktiv und kritisch Schuppert, DVBl. 2020, 931 ff.
[8]      Experten-Kommission „Verantwortung der Polizei in einer pluralistischen Gesellschaft“. Die gute Arbeit der Polizeibeamten stärken, Fehlverhalten frühzeitig erkennen und ahnden, Abschlussbericht m. Dat. v. 7.6.2021, online abrufbar unter: https://innen.hessen.de/sites/default/files/media/hmdis/20210712_abschlussbericht_experten-kommission.pdf (zuletzt abgerufen am 22.7.2021).
[9]      Abschlussbericht, S. 16 ff.
[10]    Abschlussbericht, S. 23.
[11]    Abschlussbericht, S. 25.
[12]    Abgedruckt im Abschlussbericht, S. 127.
[13]    Abschlussbericht, S. 27.
[14]    Eingehend zu Leitbildern im Recht Braun, Leitbilder im Recht, 2015; kritisch teilweise die Beiträge in Strunk (Hrsg.), Leitbildentwicklung und systemisches Controlling, 2013.
[15]    Abschlussbericht, S. 27.
[16]    Abschlussbericht, S. 44.
[17]    Abschlussbericht, S. 28.
[18]    Eingehend Lorse, Die dienstliche Beurteilung, 7. Aufl. (2020); Kathke, RiA 2019, 56 ff. – zur geschlechtergerechten Beurteilung; zur Rechtsprechung von der Weiden,ThürVBl. 2018, 245 ff., 278 ff.
[19]    Abschlussbericht, S. 50.
[20]    Abschlussbericht, S. 31.
[21]    Abschlussbericht, S. 39.
[22]    S. etwa Abbas, Der Tagesspiegel v. 20.10.2020.
[23]    Zur Kollision mit dem Parteienprivileg Lindner, ZBR 2006, 402 ff.; Kortz/Lubig, ZBR 2006, 412 ff.; s. auch schon Rottmann, ZRP 1984, 97 ff.; Schick, NVwZ 1982, 161 ff.
[24]    Vgl. Holzki, GewArch 2021, 233 ff.
[25]    Abschlussbericht, S. 40.
[26]    Ludewig/Epple, Kriminalistik 2020, 457 ff.
[27]    Abschlussbericht, S. 40.
[28]    Abschlussbericht, S. 41.
[29]    Abschlussbericht, S. 42.
[30]    Abschlussbericht, S. 42 f.
[31]    Abschlussbericht, S. 42.
[32]    Abschlussbericht, S. 43.
[33]    Abschlussbericht, S. 43.
[34]    Abschlussbericht, S. 44.
[35]    Abschlussbericht, S. 45.
[36]    Abschlussbericht, S. 45 f.
[37]    Dazu Vigenschow, Lernende Organisationen. Das Management komplexer Aufgaben und Strukturen zukunftssicher gestalten, 2021; in anderem Kontext Koop, Forum Strafvollzug 2/2008, 54 ff. – Justizvollzugspraxis; Richter/Kaufmann, AuA 2004, Nr. 1, 30 ff.
[38]    Abschlussbericht, S. 47 ff.
[39]    Abschlussbericht, S. 50.
[40]    Abschlussbericht, S. 51 ff.
[41]    Abschlussbericht, S. 53 f.
[42]    Abschlussbericht, S. 55 ff.
[43]    Abschlussbericht, S. 58 f.
[44]    Abschlussbericht, S. 59.
[45]    Abschlussbericht, S. 61.
[46]    Abschlussbericht, S. 63.
[47]    Abschlussbericht, S. 67.
[48]    Abschlussbericht, S. 69 ff.
[49]    Abschlussbericht, S. 79 f.
[50]    Dazu Kapinos, Publicus v. 29.5.2020; s. auch das Positionspapier der GdP Berlin, online abrufbar unter: https://www.gdp.de/gdp/gdpber.nsf/res/GdP_Positionspapier%20Instacops.pdf/$file/GdP_Positionspapier%20Instacops.pdf (zuletzt abgerufen am 22.7.2021).
[51]    Abschlussbericht, S. 85.
[52]    Abschlussbericht, S. 89.
[53]    Abschlussbericht, S. 93.
[54]    S. dazu etwa Olthaus, DPolBl 2/2021, 12 ff.
[55]    Abschlussbericht, S. 100 ff.
[56]    Abschlussbericht, S. 102.
[57]    Abschlussbericht, S. 103.
[58]    Abschlussbericht, S. 105.
[59]    Abschlussbericht, S. 105.

 

 

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