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Jenseits der Beleidigung unter Kollektivbezeichnung? – Überlegungen zur Verhetzenden Beleidigung gem. § 192a StGB

von Wiss. Mit. Maximilian Nussbaum 

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Abstract
Jüngst fügte der Gesetzgeber den Ehrschutzdelikten § 192a StGB hinzu, um eine Strafbarkeitslücke im Bereich der nicht individualisierten und nicht-öffentlichen Konfrontation bestimmter Gruppenangehöriger mit verhetzenden Inhalten zu schließen. Der folgende Beitrag will eine erste Analyse der neuen Vorschrift im Hinblick auf ihr Schutzkonzept, die einzelnen Tatbestandsmerkmale und ihr Verhältnis zu den sonstigen Beleidigungsdelikten bieten.

Recently, the German parliament added § 192a StGB to the offenses of defamation in order to close a gap in the penal code in the area of non-individualized and non-public confrontation of members of a certain group with inhuman and group-related content. The following article aims to provide an initial analysis of the new provision with regard to its protective concept, the individual elements of the offense, and its relationship to other insulting offenses.

I. Einführung

Nachdem der 14. Abschnitt des StGB lange Zeit durch den Gesetzgeber im Wesentlichen unberührt blieb, wurden die §§ 185 ff. StGB dieses Jahr mit der Einführung des § 192a StGB bereits zum zweiten Mal[1] einschneidend verändert. Im Juni 2021 passierte die neue Strafvorschrift den Bundestag und trat mit den entsprechenden Anpassungen der §§ 193 f. StGB am 22. September mit folgendem Wortlaut in Kraft[2]:

§ 192a StGB – Verhetzende Beleidigung

„Wer einen Inhalt (§ 11 Absatz 3), der geeignet ist, die Menschenwürde anderer dadurch anzugreifen, dass er eine durch ihre nationale, rassische, religiöse oder ethnische Herkunft, ihre Weltanschauung, ihre Behinderung oder ihre sexuelle Orientierung bestimmte Gruppe oder einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer dieser Gruppen beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet, an eine andere Person, die zu einer der vorbezeichneten Gruppen gehört, gelangen lässt, ohne von dieser Person hierzu aufgefordert zu sein, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“

Der Beitrag will sich im Folgenden als eine erste, nur ausschnittartige dogmatische Verortung und rechtspolitische Bewertung verstanden wissen. Dabei soll zunächst die vom Gesetzgeber ausgemachte Strafbarkeitslücke ausgeleuchtet (II.) und das geschützte Rechtsgut konkretisiert (III.) werden. Anschließend sollen die einzelnen Tatbestandsmerkmale in den Blick genommen (IV.) und einige Fragen adressiert werden, die sich vor allem der Stellung des § 192a StGB im System der Ehrschutzdelikte widmen (V.).

II. Strafbarkeitslücke

Ziel des Gesetzgebers war es, mit § 192a StGB eine Strafbarkeitslücke zu schließen, die zwischen der Beleidigung und der Volksverhetzung „klaffte“. Der Blick richtete sich auf die Zusendung von herabwürdigenden gruppenbezogenen Inhalten an entsprechende Gruppenangehörige. Als Beispiel liefert die Gesetzesbegründung die Zusendung von antisemitisch motivierten Inhalten an den Zentralrat der Juden, wo diese von Juden gelesen werden.[3] Im Folgenden sollen die §§ 130 Abs. 1, 185 ff. StGB betrachtet und das Bestehen einer Strafbarkeitslücke überprüft werden.

1. Volksverhetzung

Eine Strafbarkeit gem. § 130 Abs. 1 StGB sei laut Gesetzgeber bei der Zusendung von Inhalten an eine andere Person oder an einen geschlossenen Personenkreis regelmäßig mangels tatbestandlich vorausgesetzter Eignung zur Friedensstörung zu verneinen.[4] Nach h.M. sind eine Reihe von Umständen im Hinblick auf Form und Inhalt der Äußerung relevant, um die Störungseignung zu prüfen.[5] Richtigerweise dürfte zwischen den tatbestandlichen Varianten des Abs. 1 zu differenzieren sein: Geht es um die, der markierten Strafbarkeitslücke näheren Nr. 2, so kann es für die Eignung zur Friedensstörung nicht primär auf die inhaltliche Intensität der Äußerung ankommen, stellt doch bereits der geforderte Angriff auf die Menschenwürde eine Beschränkung auf diffamierende Äußerungen dar, die den Kern der Persönlichkeit betreffen.[6] Der Gesetzgeber identifiziert die Strafbarkeitslücke aber ohnehin aufgrund der nicht-öffentlichen Begehung. Zu betonen ist, dass eine solche für die Störungseignung keineswegs zwingend notwendig ist, sondern auch eine nur mögliche Breitenwirkung für eine Eignung sprechen kann. So genügt es, dass die konkreten Umstände nahelegen, dass der Angriff einer (breiteren) Öffentlichkeit bekannt wird.[7] Dafür können die Größe und Zusammensetzung des unmittelbaren Empfängerkreises, aber auch die zu erwartende Weiterverbreitung durch die Rezipienten eine maßgebende Rolle spielen.[8] Empfangen nun Zusammenschlüsse der betroffenen Gruppenangehörigen den verhetzenden Inhalt, könnte eine weitere Sichtbarmachung wohl grundsätzlich näher liegen als bei Einzelpersonen, insbesondere wenn bekannt ist, dass von diesen Zusammenschlüssen eine offensive Strategie im Umgang mit hetzerischen Angriffen verfolgt wird. So veröffentlichte bspw. der Zentralrat der Juden im Mai 2021 unter dem Hashtag #HassBeimNamenNenneneine Reihe antisemitischer öffentlicher Postings, sowie privater Zuschriften.[9] Letztlich bleibt es im Einzelfall aus einer ex-ante-Perspektive zu bestimmen, ob mit einer entsprechenden Breitenwirkung der Äußerung zu rechnen ist, wobei bei Äußerung gegenüber Einzelpersonen oder sehr kleinen Empfängerkreisen die Annahme einer Öffentlichkeitsfähigkeit besonderer Umstände bedarf, um die begrenzende Funktion der Eignungsklausel nicht zu unterminieren.[10] Neben der potenziellen Breitenwirkung sind sodann auch sonstige Umstände, u.a. die Empfänglichkeit der Adressaten und das politische und gesellschaftliche Klima insgesamt im Hinblick auf die konkrete Äußerung einzubeziehen.[11]

2. Beleidigung

Im Hinblick auf den § 185 StGB ergebe sich, so der Gesetzgeber, die Strafbarkeitslücke aus der fehlenden Individualisierung des Beleidigten.[12] Tatsächlich dürfte eine – prinzipiell von der h.M. anerkannte[13] – Beleidigungsfähigkeit von Personengemeinschaften häufig an ihren strengen Voraussetzungen scheitern. Denn den in § 192a StGB aufgeführten Gruppierungen dürfte mangels hinreichender organisatorischer Strukturen in der Regel die Fähigkeit fehlen, einen einheitlichen Willen zu bilden. Ausnahmen könnten Interessenverbände der jeweiligen Gruppierungen bilden. Dann müssten für eine Strafbarkeit jedoch gerade sie der Bezugspunkt der Beleidigung sein.[14]

Auch sieht der Gesetzgeber kaum Möglichkeiten, eine Beleidigung unter Kollektivbezeichnung zu Lasten der einzelnen Gruppenangehörigen anzunehmen[15]:

a) „Echte“ Sammelbeleidigung

Um eine solche, die individuelle Ehre jedes Kollektivmitglieds betreffende, Sammelbeleidigung[16] zu bejahen, bedarf es nämlich eines klar umgrenzten Personenkreises, der aus der Allgemeinheit hervortritt sowie eines Bezugs auf jedes der Bezeichnung unterfallendes Individuum.[17] Zum Teil wird überdies gefordert, dass das Kollektiv zahlenmäßig überschaubar ist.[18] Dieses Kriterium mag weniger für die Abgrenzbarkeit einer Personengruppe ein verlässliches Indiz sein (man denke nur an die kollektive Beleidigung von Frauen[19]), sehr wohl aber einen Bezug zum Individualisierungskriterium aufweisen. Denn je umfangreicher das Kollektiv, desto eher wird man annehmen dürfen, dass mit der Aussage ein Pauschal- oder Durchschnittsurteil verbunden ist, das nicht jede der Bezeichnung unterfallende Einzelperson anspricht.[20]

Vergleicht man diese Kriterien mit den von § 192a StGB eingeführten Merkmalen für die nun dort geschützten Gruppierungen, so ist festzustellen: Mit Blick auf die Abgrenzbarkeit des Kollektivs dürften sich grundsätzlich keine besonderen Schwierigkeiten verbinden. Insbesondere können Zuordnungsschwierigkeiten in den Randbereichen der Gruppenbezeichnung nicht entgegenstehen, solange sich ein Kernbereich des Kollektivs identifizieren lässt.[21] Bedeutung erhält die individuelle Zuordnung erst bei der Strafantrags- und Privatklageberechtigung.[22] Geht es aber um die Individuumsbezogenheit, so dürfte sich bei umfangreichen Gruppierungen zweifellos die Frage stellen, ob es sich um einen Allgemeinplatz handelt, der gerade nicht jeden einzelnen Merkmalsträger erreichen soll. An dieser Stelle sei der Blick auf die Besonderheiten der in § 192a StGB aufgezählten Gruppierungen gerichtet. Denn während solche Pauschalurteile, die an eine bestimmte (auch zentrale) soziale Rolle, etwa den Beruf, anknüpfen, eher eine „gesellschaftliche Erscheinung“ betreffen können, dürften sie bei Merkmalsträgern i.S.d. § 192a StGB stärker mit dem Kern ihrer Persönlichkeit verknüpft sein. Diese Merkmale sind häufig nicht erwerbbar und von einer „Unentrinnbarkeit“ geprägt.[23] Daher versuchen einige Stimmen, die Bedeutung des Um-   fangsindizes bei diskriminierenden Sammelbeleidigungen zu relativieren, indem sie eine stärkere Bezugnahme auf jeden einzelnen Merkmalsträger annehmen. Dabei nehmen sie die „gesellschaftliche Randständigkeit“ als verbindendes Element[24] oder die durch die Äußerung selbst vollzogene Marginalisierung in den Blick.[25] Diese Perspektive hat sich in Bezug auf die Sammelbeleidigung bislang nicht durchgesetzt, da sie nicht das durch Auslegung zu bestimmende „Gemeint-sein“ eines jeden durch die Äußerung betrifft. Für das Verständnis des § 192a StGB lassen sich diese Ansätze jedoch fruchtbar machen.[26]

b) „Unechte“ Sammelbeleidigung

Von dieser („echten“) Sammelbeleidigung ist eine Art („unechte“) Beleidigung unter Kollektivbezeichnung zu trennen. Letztere umfasst Konstellationen, in denen sich durch die Umstände der Äußerung eine „personalisierte Zuordnung“[27] des Beleidigungsadressaten oder einer „klar umrissenen Teilgruppe“ vornehmen lässt.[28] Zum Teil wird angenommen, dass in den vom Gesetzgeber anvisierten Fällen eine solch hinreichend klare Verbindung zwischen dem zur Kenntnisnehmenden und der Herabwürdigung auch nicht individualisierter Inhalte durch die gezielte Zusendung hergestellt wird.[29] Doch dürfte daran gerade bei solchen Zusendungen zu zweifeln sein, die ohne weitere Individualisierung an Interessenverbände o.ä. gerichtet werden und allgemein gegen die entsprechende Gruppe hetzen.

3. Zwischenergebnis

Dem Gesetzgeber dürfte grundsätzlich im Hinblick auf die markierte Strafbarkeitslücke Recht zu geben sein. Den anvisierten Verhetzungen wird es wohl häufig an einer für § 130 Abs. 1 StGB hinreichenden Öffentlichkeitstauglichkeit und für § 185 StGB an einer hinreichenden Individuumsbezogenheit fehlen. Im Weiteren (insbesondere unter V.) soll jedoch auch demonstriert werden, dass der § 192a StGB weit über diese Lücke hinaus wirksam wird.

III. Rechtsgut: Menschenwürde

Zweck der neuen Vorschrift ist es, vor der Konfrontation mit bestimmten Inhalten zu schützen, die unabhängig von ihrer geistigen Urheberschaft eine Gefährlichkeit für bestimmte Empfänger aufweisen.[30] Der Konfrontationsgedanke ist dabei, wie bei § 184 Abs. 1 Nr. 6 StGB, im Hinblick auf die betroffenen Rechtsgüter näher zu betrachten.[31] Die in § 192a StGB verwendete Eignungsklausel wie auch die Gesetzesbegründung legen nahe, dass die Konfrontation mit den verhetzenden Inhalten nicht (nur) einen Angriff auf die Ehre, sondern sogar auf die Menschenwürde darstellen soll.

Dass es sich aber bei der Menschenwürde überhaupt um ein Rechtsgut handelt, wird schon mit Blick auf ihre unterschiedlichen verfassungsrechtlichen Auslegungen und Unbestimmtheit kritisiert.[32] Dieser Einwand ist ebenso ernst zu nehmen, wie die Mahnung, dass aufgrund der überragenden Bedeutung der Menschenwürde jede Verletzung ohne Möglichkeit der Rechtfertigung strafrechtlich zu verfolgen wäre.[33] Andernfalls droht sich eine befürchtete Verflüssigung der Grundrechte in einer Erosion der kritischen Funktion des Rechtsgutsbegriffs fortzusetzen. Zu einer klareren Konturierung könnte es beitragen, von dem strafrechtlichen Schutz der Ehre auszugehen. Wird der Blick auf den Ausdruck von Missachtung gerichtet, so stehen die Rechtsgüter der Ehre und der Menschenwürde in einem Inklusionsverhältnis: Jede Verletzung der Menschenwürde durch Äußerung von Missachtung stellt eine Ehrverletzung dar, andersherum aber nicht jede Verletzung der Ehre gleichzeitig eine Würdeverletzung.[34] Den Unterschied zwischen Herabwürdigung und sonstiger Herabsetzung präzisiert das BVerfG: „Erforderlich [für einen Angriff auf die Menschenwürde] sei vielmehr, dass der angegriffenen Person ihr Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeit in der staatlichen Gemeinschaft abgesprochen und sie als minderwertiges Wesen behandelt werde. Der Angriff müsse sich mithin gegen den ihre menschliche Würde ausmachenden Kern der Persönlichkeit, nicht lediglich gegen einzelne Persönlichkeitsrechte, richten.“[35] Die Verletzung „einzelner Persönlichkeitsrechte“ knüpft im Gegensatz dazu „regelmäßig an eine äußere Fehlleistung“[36] an.

In diesem Lichte setzt § 192a StGB für eine individuelle Menschenwürdeverletzung erstens ein geteiltes identitätsstiftendes Merkmal unter Ausschluss erwerbbaren Gruppenzugehörigkeiten, zweitens die (Gefahr der) Konfrontation mit dem Inhalt unter Ausschluss von Beeinträchtigungen im Drittverhältnis und drittens die besondere Intensität der Äußerung unter Ausschluss „einfacher Ehrbeeinträchtigungen“ voraus. Dieses Verständnis von einer die Menschenwürde verletzenden Dynamik liegt dem § 192a StGB zu Grunde.

IV. Die Tatbestandsmerkmale im Einzelnen

1. Inhalt

a) Eignung, die Menschenwürde anderer anzugreifen

Dass eine der von § 192a StGB geschützten Gruppen oder eine Einzelperson aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer dieser Gruppen beschimpft, böswillig verächtlich gemacht oder verleumdet werden muss, entspricht in der Formulierung § 130 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 c) StGB. Die Auslegung dieser Merkmale dürfte sich daran zu orientieren haben.[37] Hier wie dort wird die Beeinträchtigung der Menschenwürde als zusätzliches einschränkendes Kriterium gefordert. Die Funktion dieser Voraussetzung, Fassung als Eignungsklausel und Wahl des Angriffsbegriffs sollen vergleichend mit der Volksverhetzung analysiert und bewertet werden:

aa) Doppelte Funktion des Tatbestandsmerkmals

Während die Voraussetzung des Menschenwürdeangriffs im Rahmen der Volksverhetzung allein die Funktion trägt, einfache Ehrverletzungen auszuschließen, kommt ihr nach hier vertretener Auffassung bei § 192a StGB eine zusätzliche Aufgabe zu. Der Gesetzgeber geht nämlich richtigerweise davon aus, dass eine Verletzung der Menschenwürde durch Konfrontation mit schwerwiegenden nicht oder nicht entsprechend individualisierten gruppenbezogenen Äußerungen dann möglich ist, wenn der Adressat durch ein identitätsstiftendes Merkmal mit der Gruppe verbunden ist. Auch auf diese Verbundenheit richtet sich die Eignungsklausel und nimmt damit eine „doppelte Filterfunktion“ im Hinblick auf den Inhalt ein. Auf das Verbundenheitsmoment bezogen kann sie, wie noch zu zeigen sein wird, ausnahmsweise solche Inhalte aus dem tatbestandlichen Bereich herausnehmen, die zwar in hinreichender Intensität gegen eine der aufgeführten Gruppen hetzen, jedoch bei der mangels hinreichender Verbundenheit keine Eignung besteht, die individuelle Menschenwürde zu verletzen.[38]

bb) Eignungsklausel

Anders als § 130 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 c) StGB bringt § 192a StGB den Menschenwürdeangriff als Eignungsklausel ein. Dieser Unterschied könnte mit der differierenden Form der Würdeverletzung erklärt werden. Nach h.M. schützt nämlich der § 130 Abs. 1 StGB die Menschenwürde neben dem öffentlichen Frieden.[39] Will man klären, worin die Menschenwürdeverletzung dort besteht, so kommen zwei Anknüpfungspunkte in Betracht: Durch aufgehetzte Empfänger der Äußerung und durch die Äußerung als solche.[40] Im Hinblick auf die Empfänger ist es jedoch nicht notwendig vom Schutz der individuellen Menschenwürde vor Gewalttaten zu sprechen, da sich konkretere Formen der Rechtsgutsverletzungen, etwa des Lebens, des Körpers oder der Fortbewegungsfreiheit beschreiben lassen.[41] Es bleibt die Frage, ob in der volksverhetzenden Äußerung selbst eine Beeinträchtigung der Menschenwürde zu finden ist. Dem wird zum Teil mit der Begründung widersprochen, dass es bei Äußerungen gegen zahlenmäßige nicht überschaubare Gruppen, wie bei der Sammelbeleidigung, an einem Indiviuumsbezug fehle.[42] Präziser dürfte es sein, das Problem der individuellen Menschenwürdeverletzung durch volksverhetzerische Äußerungen darin zu sehen, dass es auf die Kenntnisnahme der Merkmalsträger nicht ankommt. Streng weist darauf hin, dass die Äußerungen bei § 130 Abs. 1 StGB meist lediglich abwesende Dritte betreffen und eine Menschenwürdeverletzung etwa im Vergleich zur Entwürdigenden Behandlung gem. § 31 Abs. 1 Alt. 1 WStG erheblich schwerer zu konkretisieren ist. Daher verwundert es nicht, dass einige Stimmen versuchen, die Menschenwürde durch die Volksverhetzung in anderen Ausprägungen verletzt zu sehen. So fasst Ostendorf die Menschenwürde mehrerer als „quantitative Menschenwürde“ zusammen.[43] Foerstner führt dem auch strafrechtsrelevanten Menschenwürdebegriff eine objektive, nicht auf das Individuum begrenzte Gattungsdimension hinzu.[44]

Eine Äußerung i.S.v. § 130 Abs. 1 StGB beeinträchtigt also mangels Notwendigkeit der Kenntnisnahme nicht zwingend die individuelle, hingegen aber eine überindividuelle Menschenwürde. Eine auf den Inhalt bezogene Eignungsklausel braucht es daher nicht. Bei § 192a StGB kommt es gerade auf die Konfrontation an, weshalb es zu einer Würdeverletzung erst durch einen zusätzlichen Akt, nämlich das Gelangenlassen kommt und der Inhalt nur eine entsprechende Eignung aufweisen kann.

cc) Angriffsbegriff

Offen bleibt die Frage, weshalb Inhalt der Eignung ein Menschenwürdeangriff statt einer Menschenwürdeverletzung sein soll. In Bezug auf § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB wird die Wahl des Angriffsbegriffs von Hörnle mit der zusätzlich begrenzenden Wirkung erklärt, dass es dem „Täter gezielt und primär um die Diffamierung gehen“ muss.[45] Da sich der Angriffsbegriff bei dem § 192a StGB jedoch auf den Inhalt und nicht den Äußernden bezieht, kann sich hier ohnehin keine einschränkende Wirkung einstellen. Nach Strengs Deutung wird bei § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB nicht von einer Menschenwürdeverletzung gesprochen, weil diese häufig erst durch das Verhalten aufgehetzter Dritter eintrete und nicht durch die Äußerung selbst.[46] Bei § 192a StGB geht jedoch die Verletzung unmittelbar von der Konfrontation mit dem Inhalt aus; einer Vermittlung über Gewalttaten Dritter bedarf es nicht.

b) Geschützte Merkmalsträger

Die Qualität des strafbaren Inhalts soll sich ausweislich der Gesetzesbegründung an § 130 Abs. 2 Nr. 1 c) StGB orientieren, der mittelbar auf die Gruppenmerkmale in § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB verweist. Dabei fällt auf, dass der Volksverhetzungstatbestand ebenfalls auf nationale, rassische, religiöse und ethnische Gruppenmerkmale, nicht aber auf die Weltanschauung, Behinderung oder sexuelle Orientierung Bezug nimmt. Diese Gruppen lassen sich aber regelmäßig durch das Merkmal „Teile der Bevölkerung“ in § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB in den geschützten Bereich aufnehmen, sofern die Gruppen hinreichend unterscheidbar, zahlenmäßig von einigem Gewicht und damit nicht mehr überschaubar sind.[47] Die verhetzende Beleidigung kennt diese Offenheit nicht; die Aufzählung der Gruppenmerkmale ist abschließend und für die strafrechtliche Relevanz konstitutiv. Dieser Unterschied kann mit den voneinander abweichenden Schutzrichtungen der Delikte erklärt werden: Der Volksverhetzungstatbestand soll nach h.M. den öffentlichen Frieden und die Menschenwürde in eher abstrakter Form schützen.[48] Beides kann prinzipiell bei Verhetzungen jedes Bevölkerungsteils gefährdet werden[49], während § 192a StGB den Schutz der individuellen Menschenwürde in den Blick nimmt. Zwar kann eine individuelle Würdeverletzung schon mit Blick auf die Erläuterung des BVerfG[50] selbstverständlich auch ohne Bezug zu einem der in § 192a StGB aufgezählten Merkmale stattfinden[51], jedoch ist dem Grundkonzept der neuen Strafnorm nach bei nicht oder nicht entsprechend individualisierten Verhetzungen eine individuelle Würdeverletzung beim Empfänger des Inhalts erst dann möglich, wenn er mit der verhetzten Gruppe durch ein identitätsstiftendes Merkmal verbunden ist.[52]

aa) Geschützte Gruppen und Eignungsklausel

Es wurde bereits angedeutet, dass ein Durchschlagen der Würdeverletzung auf den konfrontierten Gruppenangehörigen von § 192a StGB unterstellt wird, da es sich um nicht erwerbbare regelmäßig identitätsstiftende Merkmale handelt[53], gleichwohl nach hier vertretener Auffassung durch die Eignungsklausel Ausnahmen gemacht werden können. So seien exemplarisch die Gruppen „der Deutschen“[54] und „der Heterosexuellen“ genannt, die zwar unter den Begriff der durch nationale Herkunft oder sexuellen Orientierung bestimmten Gruppe fallen. In diesen Beispielen liegt es (zurzeit) gleichwohl fern, dass sich der durchschnittliche Merkmalsträger durch die Konfrontation mit nicht (entsprechend) individualisierten Inhalten im Kern seiner Persönlichkeit verletzt fühlen darf. Damit ist keineswegs eine Reduktion auf solche Merkmale verbunden, die zahlenmäßige Minderheiten bilden. Vielmehr sollen ausgehend von der dem § 192a StGB zugrunde liegenden Regelvermutung, ein hinreichender Bezug zum Adressaten entstehe durch Konfrontation, Inhaltsintensität und geteiltes identitätsstiftendes Merkmal i.S.d. Aufzählung, solche Merkmale ausgenommen werden, die in keiner Weise zu einer Marginalisierung führen (können).[55] Damit wird in § 192a StGB auch nicht unmittelbar Antidiskriminierungsschutz betrieben, sondern behauptet, dass nicht erwerbbare Merkmale vor allem dann ein den Angriff auf das Individuum durchleitendes Element darstellen, wenn sie sich an Marginalisierungsprozesse knüpfen und, frei ausgedrückt, eine „Verbundenheit durch Verwundbarkeit schaffen“.

bb) Das Merkmal des Geschlechts

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, warum der Merkmalskatalog nicht das Geschlecht erfasst. Besonders deutlich wird das Fehlen des Merkmals bei nicht-binären Geschlechtsidentitäten, insbesondere bei den Gruppen der Intersexuellen[56] und Transsexuellen[57]. Diese können nicht unter den Begriff der sexuellen Orientierung gefasst werden.[58] Die „Verbundenheit durch Verwundbarkeit“ dürfte sich aber zweifelsohne mit der homosexueller Menschen vergleichen lassen. Auch eine Ausklammerung vor allem von misogynen Verhetzungen kann vor dem hier dargestellten Verständnis kaum überzeugen, sind doch gerade auch Frauen von Marginalisierungen betroffen, die durch entsprechende Verhetzungen tradiert werden.

2. Tathandlung

a) Gelangenlassen ohne Aufforderung

Tathandlung der verhetzenden Beleidigung ist das Gelangenlassen ohne Aufforderung, das in der Gesetzesbegründung durch die Begriffe Zusenden, Anbieten, Überlassen und Zugänglichmachen konkretisiert wird. Weiterhin wird auf § 184 Abs. 1 Nr. 6 StGB als Tatvariante des Verbreitens pornografischer Inhalte verwiesen. Hier wie dort soll es für den Taterfolg anders als bei § 185 StGB nicht auf die tatsächliche Kenntnisnahme des Adressaten ankommen, sondern die bloße Möglichkeit der Kenntnisnahme ausreichen. Daher handelt es sich bei § 192a StGB um ein konkretes Gefährdungsdelikt.[59] Zweifelhaft ist, ob eine Bestrafung im Vorfeld der Kenntnisnahme für einen hinreichenden Schutz des Individuums notwendig ist und sich in das System der §§ 185 ff. StGB bruchlos einfügen lässt. So werden hier nun auch Fälle erfasst, in denen der Inhalt weder von der konkreten Person noch von Dritten wahrgenommen wird. Kubiciel bildet so das Beispiel eines verdächtigen Briefes, der unmittelbar an die Strafverfolgungsbehörden weitergeleitet wird.[60] Mit dem Merkmal des Gelangenlassens ist die verhetzende Beleidigung anders als etwa § 185 StGB als ein Herrschaftsdelikt ausgestaltet. Es kommt für eine Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme also nicht darauf an, ob sich der Täter die Erklärung als geistiger Urheber zurechnen lassen will.[61]

aa) Mündliches Gelangenlassen

Aus den Gesetzesmaterialien geht hervor, dass auch ein Gelangenlassen „in (fern-)mündlicher“ Form umfasst sein soll.[62] Diese Formulierung lässt in Anbetracht der Tatsache, dass sich das Gelangenlassen auf einen Inhalt i.S.v. § 11 Abs. 3 StGB bezieht, Fragen aufkommen. Zwar fordert der Inhaltsbegriff, der an die Stelle des Schriftenbegriffs getreten ist, nicht mehr notwendig eine Verkörperung des Inhalts, sondern umfasst auch solche Inhalte, die unabhängig von einer Speicherung mittels Informations- und Kommunikationstechnik übertragen werden, und somit auch das telefonisch übertragene Wort. Nicht erfasst sind aber mündliche Äußerungen, die ohne technische Übertragung auskommen[63], auch wenn die Menschenwürde anwesender Gruppenangehöriger gleichermaßen verletzt sein kann.[64] Der Begriff des Gelangenlassens ist entsprechend auszulegen und nicht auf den Übergang der Verfügungsmacht über einen verkörperten Inhalt zu begrenzen. Insofern ist insbesondere Zurückhaltung bei einer zu starken Parallelisierung mit § 184 Abs. 1 Nr. 6 StGB und einer Verwendung des Gewahrsamsbegriffs geboten.[65]

bb) Öffentliches Gelangenlassen

Relevanz dürfte schließlich die Frage gewinnen, ob das Merkmal des Gelangenlassens auf nicht-öffentliche Kommunikationsformen begrenzt ist. Das Rechtsgut der Menschenwürde scheint zunächst durch Konfrontation mit entsprechenden Inhalten etwa innerhalb sozialer Netzwerke ebenso angreifbar. Gleichwohl spricht der systematische Vergleich mit und der gesetzgeberische Verweis auf § 184 Abs. 1 Nr. 6 StGB, der sich auf das bilaterale Verhältnis beschränkt, für eine restriktive Auslegung des Gelangenlassens. Diesem Argument dürfte zwar entgegenzuhalten sein, dass sich das Merkmal § 184 Abs. 1 Nr. 6 StGB in ein komplexes Gefüge von tatbestandsmäßigen Handlungen und verschiedenen Schutzrichtungen einfügt. Ein öffentliches Zugänglichmachen mittels des Internets ohne jugendschützende – und damit auch vor unerwünschter Konfrontation Erwachsener schützende – Barrieren fällt (nunmehr) unter § 184 Abs. 1 Nr. 2 StGB.[66] Der Wille des Gesetzgebers indessen beschränkt sich aber wohl doch auf die bilaterale Kommunikation.[67]

b) Adressat des Gelangenlassens

Im Unterschied zu § 184 Abs. 1 Nr. 6 StGB ist nicht jedermann tauglicher Adressat des Gelangenlassens und damit vor Konfrontation mit dem Inhalt geschützt, sondern nur eine Person, die zur vorbezeichneten Gruppe gehört. Daraus ergeben sich u.a. drei Fragen: Erstens wird im Einzelfall zu klären sein, ob ein Individuum der verhetzten Gruppe zuzuordnen ist. Diese Zuordnungsfrage spielt bereits bei der Sammelbeleidigung eine Rolle für die Strafantrags- und Privatklageberechtigung[68] und wird hier materiell-rechtlich relevant. Zweitens stellt sich anders als bei § 184 Abs. 1 Nr. 6 StGB die Frage, inwiefern – wenn nicht auf objektiver, dann auf subjektiver Tatseite – eine Konkretisierung des Adressaten stattzufinden hat. Es scheint zumindest auf den ersten Blick nahezuliegen, Eventualvorsatz bzgl. der Gruppenzugehörigkeit eines Adressaten ausreichen zu lassen. Auch wenn der Gesetzgeber mit der Vorschrift auf die gezielte Zusendung von verhetzenden Inhalten an entsprechende Merkmalsträger ausging, so findet die Forderung einer Verletzungsabsicht keinen Rückhalt im Gesetzestext. Drittens ist fraglich, ob auch derjenige, der im Inhalt – aufgrund seiner Zugehörigkeit zu einer der Gruppen – beschimpft wird, aus dem Kreis tauglicher Empfänger auszunehmen ist (dazu sogleich).

V. Die verhetzende Beleidigung im Gefüge der Ehrschutzdelikte

Der § 192a StGB schließt in seiner tatbestandlichen Fassung nicht allein die vom Gesetzgeber markierte Strafbarkeitslücke, umfasst er doch auch das Gelangenlassen ohne Aufforderung solcher Inhalte, die nicht im Abstrakten bleiben, sondern Einzelpersonen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer der geschützten Gruppen betreffen. Ein Beispiel bietet:

Fall 1: T verfasst eine E-Mail, in der er O aufgrund dessen Homosexualität auf die Menschenwürde verletzende Weise beschimpft. Diesen versendet er, ohne von diesem dazu aufgefordert zu sein, an den (a) A, der bekanntlich ebenfalls homosexuell ist bzw. (b) an den O.

Diese Tatbestandsvariante, die schlicht § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB entlehnt zu sein scheint, sorgt für Überschneidungen mit den §§ 185 ff. StGB und für systematische Unstimmigkeiten, insbesondere vor dem Hintergrund, dass sich der Gesetzgeber gegen die Einführung einer entsprechenden Beleidigungsqualifikation entschieden hat. Nach dem Diskussionsentwurf des Bayerischen Staatsministeriums für Justiz sollte die Beleidigung gem. § 188 StGB-E u.a. die Beleidigung mit rassistischen, fremdenfeindlichen, antisemitischen oder sonstig menschenverachtenden Inhalten oder von derartigen Beweggründen getragenen Beleidigungen erfassen.[69]

1. Opfer von Beleidigung und verhetzender Beleidigung

Der Fall 1b wirft die Frage auf, ob das Bezugsobjekt der verhetzenden Beleidigung überhaupt tauglicher Adressat sein kann. Der Wortlaut („an eine andere Person“) könnte eine Restriktion grundsätzlich tragen. Auch ein systematischer Vergleich mit anderen Tatbeständen des StGB, insbesondere dem § 184 Abs. 1 Nr. 6 StGB, die eine Personenverschiedenheit von Täter und Opfer betonen, steht einer einschränkenden Auslegung nicht entgegen. Denn der § 192a StGB führt das individualisierte Bezugsobjekt des Inhalts als dritten Protagonisten der Vorschrift ein. Betrachtet man aber die Schutzrichtung der verhetzenden Beleidigung dürfte sich dieses Ergebnis nicht tragen lassen. Andernfalls wäre das indvidualisierte Opfer in Fall 1bschwächer (nur durch § 185 StGB) geschützt als der dritte Merkmalsträger in Fall 1a.

Denkbar ist jedoch, dass § 185 StGB und § 192a StGB in dieser Konstellation ohnehin in Gesetzkonkurrenz stehen. So könnte auf den ersten Blick eine stillschweigende Subsidiarität des „Lückentatbestandes“ § 192a StGB anzunehmen sein, der bereits einen im Vergleich zu § 185 StGB vorgelagerten Schutz des gleichen Rechtsgutsträgers bezweckt.[70] Andersherum sieht aber § 192a StGB gerade den höheren Strafrahmen vor und schützt mit der Menschenwürde nur einen Kernbereich dessen, was der Ehre unterfällt.[71] Währenddessen kommen in § 192a StGB weder die Realisierung oder zumindest weitere Verdichtung der Gefahr für die Ehre[72] durch die tatsächliche Kenntnisnahme noch die Identifikation mit dem Inhalt zum Ausdruck, weshalb § 185 StGB nicht zurücktreten kann. Ein Wertungswiderspruch kann hier also noch abgewendet und dem § 192a StGB partiell die Funktion einer qualifizierten Beleidigung zugeschrieben werden.[73]

2. Mündliche menschenwürdeverletzende Beleidigungen

 Dass ein Vergleich von telefonischer und präsent-mündlicher verhetzender – mangels (entsprechender) Individualisierung nicht unter § 185 StGB fallender – Beleidigung kaum überzeugen kann, wurde bereits gezeigt.[74] Die Schwierigkeiten dieser Fassung setzen sich fort, wenn man den Fall 1b modifiziert: Wird die Äußerung mündlich ohne technische Übertragung abgegeben, kommt eine Bestrafung nur gem. § 185 StGB in Betracht. Die partielle Funktion des § 192a StGB als Beleidigungsqualifikation macht also vor dem Phänotypus der mündlichen Äußerung Halt.

3. Differierende Täterschaftslehren

Bedient man sich einer Variante des Beleidigungsbrief-Falles[75], dürfte ein weiterer Wertungswiderspruch sichtbar werden:

Fall 2: T übergibt dem B einen Brief mit menschenwürdeverletzenden Beschimpfungen des O, die sich auf dessen Homosexualität beziehen. B – in Kenntnis des Inhalts – überbringt den Brief entsprechend Ts Wunsch dem O. Letzterer liest das Schriftstück.

In diesem Beispiel macht sich T als geistiger Urheber der Äußerung gem. § 185 Hs. 1 StGB und der B sich mangels Zu-Eigen-Machens des Inhalts gem. §§ 185, 27 StGB strafbar. Da es sich bei § 192a StGB um ein Herrschaftsdelikt handelt, hat sich der B als Täter strafbar gemacht, der T hingegen lediglich als Anstifter.[76] Auch dieses Ergebnis dürfte zeigen, dass eine zusätzliche Qualifikation des § 185 StGB das Unrecht einer menschenwürdeverletzenden Äußerung besser zum Ausdruck gebracht und eine stimmigere Systematik des strafrechtlichen Ehrschutzes im Hinblick auf die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme gewahrt hätte.

VI. Fazit

Der Gesetzgeber wollte mit der verhetzenden Beleidigung eine zwischen § 130 Abs. 1 StGB und § 185 StGB stehende Strafbarkeitslücke schließen, gibt dabei dem Rechtsanwender und der Strafrechtswissenschaft jedoch einige Fragen auf, von denen der Beitrag nur einzelne herausgreifen und vorläufig einordnen konnte. Ausgehend von den Grenzen der Sammelbeleidigungsfähigkeit markiert der § 192a StGB einen Bereich der individuellen Menschenwürdeverletzungen, der außerhalb der Grenzen der Sammelbeleidigungsfähigkeit liegt. Grundgedanke der neuen Vorschrift ist es dabei, nicht auf das „Gemeint-sein“ durch eine Äußerung, sondern auf das „Verletzt-sein-dürfen“ des mit menschenwürdeverletzenden nicht oder nicht entsprechend  individualisierten  Inhalten  Konfrontierten abzustellen, die durch ein identitätsstiftendes Merkmal mit der Gruppe verbunden sind. Diese Perspektive der verhetzenden Beleidigung auf die Verletzungsdynamik  bei  gruppenbezogen  marginalisierenden  Herabwürdigungen ist grundsätzlich begrüßenswert. Gleichwohl sind Details der tatbestandlichen Fassung kritikwürdig, etwa die Strafbarkeitsvorverlagerung, die Wahl des Angriffs- statt des Verletzungsbegriffs und die Ausklammerung des Geschlechts als ein die geschützten Gruppen bestimmendes Merkmal. Daneben wirft die Ausdehnung des Tatbestandes auf solche Inhalte, die hinreichend individualisiert sind und daher auch in den Bereich des § 185 StGB fallen, Wertungswidersprüche im Bereich der mündlichen nicht technisch übertragenen Äußerung und den Botenfällen auf. Sonstige Friktionen lassen sich durch eine entsprechende Auslegung umgehen und verleihen dem § 192a StGB teilweise die Funktion einer Beleidigungsqualifikation. Schließlich dürfte die künftige Diskussion um die verhetzende Beleidigung schon mit Spannung zu erwarten sein, nicht zuletzt weil die Konfrontation mit gruppenbezogenen Beleidigungen insbesondere in sozialen Netzwerken jüngst vermehrt im Schrifttum behandelt wird.[77]

 

 

[1]      Es ging die Reform durch das Gesetz zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Hasskriminalität voran, BGBl. I 2021 Nr. 13, S. 441 ff.
[2]      BGBl. I 2021, S. 4251.
[3]      BT-Drs. 19/31115, S. 14.
[4]      A.a.O.
[5]      Vgl. mit zahlreichen Nachweisen Krauß, in: LK-StGB, 8. Bd, 13. Aufl. (2021), § 130 Rn. 77.
[6]      Streng, in: FS-Lackner, 1987, S. 501 (516 f.); Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, 2005, S. 309.
[7]      Schäfer/Anstötz, in: MüKo-StGB, 4. Aufl. (2021), § 130 Rn. 25 m.w.N.
[8]      Vgl. BGH, NJW 1979, 1992; Krauß, in: LK-StGB, § 130 Rn. 79.
[9]      https://www.bild.de/politik/inland/politik/hassbeimnamennennen-zentralrat-der-juden-macht-widerliche-hetze-oeffentlich-76424210.
bild.html (zuletzt abgerufen am 4.11.2021).
[10]    Vgl. auch Hörnle, NStZ 2002, 113 (117).
[11]    Krauß, in: LK-StGB, § 130 Rn. 83; für eine Fokussierung auf die Öffentlichkeitswirksamkeit hingegen Stegbauer, NStZ 2000, 281 (286); im Hinblick auf Abs. 1 Nr. 2 ebenso Hörnle (Fn. 6), S. 308.
[12]    BT-Drs. 19/31115, S. 14.
[13] BGH, NJW 1954, 1412 (1413); Eisele/Schnittenhelm, in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. (2019), Vor § 185 Rn. 3; Hilgendorf, in: LK-StGB, 12. Aufl. (2009), Vor § 185 Rn. 27; a.A. Zaczyk, in: NK-StGB, 5. Aufl. (2017), Vor § 185 Rn. 12, 16; Fischer, StGB, 68. Aufl. (2021), Vor § 185 Rn. 12a.
[14]    Finger, Homophobie und Strafrecht, 2015, S. 74, 148.
[15]    BT-Drs. 19/31115, S. 14.
[16]    Diese Form der Beleidigung unter Kollektivbezeichnung kann als „summarische Ehrverletzung“ bezeichnet werden und grenzt sich ab vom Fall „kollektiv verdeckter Individualisierung“, Küper/Zopfs, Strafrecht BT, 10. Aufl. (2018), Rn. 127.
[17]    BGH, NJW 1989, 1365 (1365 f.); die dynamische Rechtsprechungsentwicklung nachgezeichnet bei Androulakis, Die Sammelbeleidigung, 1970, S. 12 ff.
[18]    Eisele/Schnittenhelm, in: Schönke/Schröder, StGB, Vor §§ 185 ff. Rn. 7b m.w.N.
[19]    Dazu BGH, NJW 1989, 1365 (1365 f.); LG Hamburg, NJW 1980, 56 (57 f.); ferner LG Darmstadt, NJW 1990, 1997 (1998).
[20]    Zaczyk, in: NK-StGB, Vor §§ 185 ff. Rn. 34; Hilgendorf, in: LK-StGB, Vor § 185 Rn. 31; ebenso Arzt, JZ 1989, 647; Wehinger, Kollektivbeleidigung – Volksverhetzung, 1994, S. 54 ff.; Wandres, Die Strafbarkeit des Auschwitz-Leugnens, 2000, S. 204; Schubert, Verbotene Worte?, 2005, S. 189.
[21]    Androulakis (Fn. 17), S. 46 ff.; Wehinger (Fn. 20), S. 45; zust. Finger (Fn. 14), S. 151.
[22]    Vgl. Wehinger (Fn. 20), S. 45.
[23]    Vgl. Wandres (Fn. 20), S. 205; zur religiösen Herkunft als gleichgestelltes Merkmal Fischer, Die strafrechtliche Beurteilung von Werken der Kunst, 1995, S. 91; zur Religion als Folie für rassistische Äußerungen Lang, Vorurteilskriminalität, 2015, S. 361.
[24]    Vgl. Hörnle (Fn. 6), S. 127; im Kontext des § 130 StGB Streng (Fn. 6), S. 501 (507); letztlich ablehnend Schubert (Fn. 20), S. 196 f.; so auch Finger (Fn. 14), S. 157.

[25]    In diese Richtung Wandres (Fn. 20), S. 205, für den es darauf ankommt, ob sich die Äußerung auf eine (angebliche) Eigenschaft bezieht, auf der sich der Status der Randständigkeit gründet und so zur Tradierung der Marginalisierung beiträgt; vgl. auch Foerstner, Kollektivbeleidigung, Volksverhetzung und „lex Tucholsky“, 2002, S. 60 f.
[26]    S.u. IV. 1. b).
[27]    BVerfG, NJW 2016, 2643, (2644).
[28]   Geppert, NStZ 2013, 553 (558); Ostendorf/Frahm/Doege, NStZ 2012, 529 (534); vgl. aus der Rspr. zur Individualisierung von „klar umrissenen Teilgruppen“ OLG Frankfurt, NJW 1977, 1353; BayObLG, NJW 1990, 921; krit. dazu Foerstner (Fn. 25), S. 58.
[29]    Hestermann/Hoven/Autenrieth, KriPoZ 2021, 204 (Fn. 40).
[30]    BT-Drs. 19/31115, S. 15.
[31]    Ausf. zum Konfrontationsgedanken bei einfacher Pornographie Greco, in: Handbuch des Strafrechts Bd. 4, 2019, § 10 Rn. 54 ff.
[32]    Zur Unbestimmtheitskritik Kelker, in: FS Puppe, 2011, S. 1673 (1687).
[33]    Kelker, a.a.O.; dazu Knauer, ZStW 2014, 305 (321); Hörnle/Kremnitzer, Israel Law Review 2011, 143 (166).
[34]    Hörnle (Fn. 6), S. 122. Ein anderes gilt freilich, wenn man jede denkbare Verletzung der Menschenwürde einbezieht. So verletzt der Folterer die Menschenwürde, nicht aber seine Ehre, vgl. Hilgendorf, EWE 2008, 456 (457). Diese Beobachtung lehnt sich an das Verständnis der Menschenwürde als ein Ensemble von subjektiven Rechten, u.a. dem hier relevanten minimalen Achtungsanspruch an, vgl. Hilgendorf, in: Jahrbuch für Recht und Ethik Bd. 7, 1999, S. 137 (148); ders., EWE 2008, 403 (404).
[35]    BVerfG, NStZ 2001, 26 (28); so auch BGH, NStZ 1994, 390; überwiegend zust. Hörnle (Fn. 6), S. 124 f.
[36]    Großmann, GA 2020, 546 (558); vgl. auch Hörnle (Fn. 6), S. 288 f. zu den Fällen der Überschneidung von „wesens- und verhaltensbezogenen Vorwürfen“.
[37] Vgl. zu § 130 nur Sternberg-Lieben/Schnittenhelm, in: Schönke/Schröder, StGB, § 130 Rn. 5d.
[38]    Näher unter IV. 1 b) aa).
[39]    Vgl. BGH, NJW 1995, 340 (341); Schäfer/Anstötz, in: MüKo-StGB, § 130 Rn. 3; Knauer, ZStW 2014, 305 (330); Hörnle/Kremnitzer, Israel Law Review 2011, 143 (163); Roxin/Greco, Strafrecht AT I, 5. Aufl. (2020), § 2 Rn. 40; primärer Schutz der Menschenwürde sogar bei Ostendorf, in: NK-StGB, 5. Aufl. (2017), § 130 Rn. 4 f.; Streng (Fn. 6), S. 501 (508); a.A. Wehinger (Fn. 20), S. 92 ff.; Sternberg-Lieben/Schnittenhelm, in: Schönke/Schröder, Stgb, § 130 Rn. 1a.
[40]    Vgl. Wehinger (Fn. 20), S. 88 ff. m.w.N.
[41]    In der Verhinderung solcher Verletzungen erblickt Altenhain, in: Matt/Renzikowski, 2. Aufl. (2020), § 130 Rn. 3 den alleinigen Schutzzweck der Vorschrift; krit. zu einer „Etablierung eines höchst vagen Vorfeldtatbestandes“ Sternberg-Lieben/Schnittenhelm, in: Schönke/Schröder, StGB, § 130 Rn. 1a.
[42]    Wehinger (Fn. 20), S. 93 ff.; Foerstner (Fn. 25), S. 170; so auch Androulakis (Fn. 17), S. 94; anders bei identitätsstiftenden Merkmalen Hörnle (Fn. 6), S. 128 f.
[43]    Ostendorf, in: NK-StGB, § 130 Rn. 4.
[44]    Foerstner (Fn. 25), S. 169 ff. unter Verweis auf BVerfGE 87, 209 (228) und mit Rückgriff auf Frommel, KJ 1995, 402 (406 ff.); zust. Finger (Fn. 14), S. 169; diff. Streng (Fn. 6), S. 501 (512 f.).
[45]    Hörnle (Fn. 6), S. 290.
[46]    Streng (Fn. 6), S. 501 (512 f.).
[47]    Schäfer/Anstötz, in: MüKo-StGB, § 130 Rn. 30 m.w.N; skeptisch im Hinblick auf diese Formel Mitsch, KriPoZ 2018, 198 (200).
[48]    S.o. IV. 1. a) bb).
[49]    Vgl. nur Nawrousian, JR 2017, 567 (568).
[50]    S.o. III.
[51]    Vgl. Großmann, GA 2020, 546 (559).
[52]    S.o. II. 2. a) a.E.
[53]    Zur Besonderheit der religiösen Herkunft vgl. Fn. 23. Zur Problematik des Begriffs der Weltanschauung und einer engen Auslegung unter Ausschluss von politischen Anschauungen Lang (Fn. 23), S. 362 f.
[54]    Dass die Volksverhetzung auch solche Gruppen schützen kann (vgl. Mitsch, KriPoZ 2018, 198 (200); Nawrousian, JR 2017, 567 (568); a.A. Ostendorf, in: NK-StGB, § 130 Rn. 1; Fischer, StGB, § 130 Rn. 4; ders. NStZ 2019, 347 (349)) steht dem nicht entgegen. Bei § 192a StGB geht es nicht um die Gefahr von Agitationen, sondern um das Band zwischen Merkmalsträger und der Gruppe bzw. anderen Merkmalsträgern.
[55]    Zur Unterscheidung von Minderheit und Marginalität vgl. Endruweit, in: Mackensen/Sagebiel (Hrsg.), Soziologische Analysen, 1979, S. 84 (87 f.).
[56]    Intersexuelle sind Menschen, bei denen biologisch-somatische Mehrdeutigkeiten eine binär-geschlechtliche Zuordnung erschweren.
[57]    Transsexuell sind Menschen, deren Geschlechtsmerkmale im Zeitpunkt ihrer Geburt eine eindeutige Zuordnung ermöglichen, die sich aber nicht bzw. nicht mehr mit dem bei der Geburtseintragung angegebenen Geschlecht identifizieren, vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1 TSG.
[58]    Ein anderes wäre es, wenn der Gesetzgeber statt des Begriffs der sexuellen Orientierung (bzw. Ausrichtung) den der sexuellen Identität (vgl. § 1 AGG) gewählt hätte, der sowohl die sexuelle Orientierung als auch die Geschlechtsidentität umfassen kann, vgl. Kischel, in: BeckOK-GG, 48. Ed. (Stand: 08/2021) Art. 3 GG Rn. 130.1 mit Verweis auf BVerfGE 133, 59 (89).
[59]    Vgl. BT-Drs. 19/31115, S. 15.
[60]    Kubiciel, Schriftliche Fassung der Stellungnahme zu BT-Drs. 19/28678 in der Fassung des Änderungsantrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD vom 12.5.2021, S. 9.
[61]    Vgl. zur Täterschaft und Teilnahme bei höchstpersönlichen Äußerungsdelikten Fuhr, Die Äußerung im Strafgesetzbuch, 2001, S. 153 ff; Roxin, in: FS-Rengier, 2018, S. 93 ff.
[62]    BT-Drs. 19/31115, S. 15; vgl. ferner Hörnle, in: MüKo-StGB, § 184 Rn. 19.
[63]    BT-Drs. 19/19859, S. 26.
[64]    Zur individualisierten Äußerung weiter unter V. 2.
[65]    So aber BT-Drs. 19/31115, S. 15.
[66]    Hörnle, in: MüKo-StGB, § 184 Rn. 41.
[67]    Vgl. BT-Drs. 19/31115, S. 15. Bei einer weiten Auslegung wäre aufgrund der Ausgestaltung als Herrschaftsdelikt auch ein Liken oder kommentarloses Teilen entsprechender Inhalte in sozialen Netzwerken ggf. täterschaftlich erfasst, während im Hinblick auf § 185 StGB nicht einmal eine Teilnahmestrafbarkeit anzunehmen ist, dazu Nussbaum, KriPoZ 2021, 215 (217 ff.).
[68]    Vgl. Wehinger (Fn. 20), S. 45.
[69]    Diskussionsentwurf des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz für ein Gesetz zur nachdrücklichen strafrechtlichen Bekämpfung der Hassrede und anderer besonders verwerflicher Formen der Beleidigung, online abrufbar unter: https://www.justiz.bayern.de/media/pdf/gesetze/diske_by_modernisierung_beleidigungsdelikte.pdf (zuletzt abgerufen am 23.11.2021).
[70]    Vgl. zur materiellen Subsidiarität bei Durchgangsstufen nur Reinbacher, in: Handbuch des Strafrechts Bd. 3, 2021, § 62 Rn. 41.
[71]    S.o. III.
[72]    Zum Inklusionsverhältnis von Menschenwürde und Ehre in diesem Kontext s.o. III.
[73]    In den Fällen der entsprechenden Individualisierung ist die zweite Filterfunktion der Eignungsklausel (IV. 1. b) aa)) nicht relevant. Die skizzierte Ausnahmemöglichkeit nicht marginalisierter Gruppen ist nicht mehr gegeben, da es für die individuelle Menschenwürdeverletzung das Verbindungselement nicht mehr bedarf.
[74]    S.o. IV. 2. a) aa).
[75]    Dazu ausf. und m.w.N. Fuhr (Fn. 61), S. 127 ff.
[76]    Vgl. zu § 184 Abs. 1 Nr. 6 StGB Wolters/Greco, in: SK-StGB, 9. Aufl. (2017), § 184 Rn. 70; a.A. Hörnle, in: MüKo-StGB, § 184 Rn. 67.
[77]    Vgl. Magen, VVDStRL 2018, 67 (88 ff.); Völzmann, MMR 2021, 619 (621); Hoven/Witting, NJW 2021, 2397 (2398); Bredler/Markard, JZ 2021, 864 (869 f.).

 

 

 

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