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KriPoZ-RR, Beitrag 21/2023

Die Entscheidung im Original finden Sie hier. Die Pressemitteilung ist hier verfügbar. 

BVerfG, Beschl. v. 24.2.2023 – 2 BvR 117/20, 2 BvR 962/21: Ablehnung der Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung wegen Unverhältnismäßigkeit verfassungswidrig

Leitsatz der Redaktion:

Bei einer sehr langen Dauer der Freiheitsentziehung erfordert die Ablehnung der Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung eine besondere Begründungstiefe.

Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer wurde im Jahr 1970 wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Darüber hinaus wurde die besondere Schwere der Schuld festgestellt. Der Beschwerdeführer befindet sich seit fast 50 Jahren in Strafhaft, zuletzt im offenen Vollzug. Mehrmals beantragte der Beschwerdeführer erfolglos eine Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung. Die Entscheidungen wurden mit einer ungünstigen Gefahrenprognose aufgrund fehlender Aufarbeitung der Anlasstaten und einem fehlenden sozialen Empfangsraum begründet. Das Vorliegen der besonderen Schwere der Schuld wurde dennoch verneint. Der Beschwerdeführer erhob Verfassungsbeschwerde. Die fachgerichtlichen Entscheidungen würden sein Freiheitsgrundrecht verletzen. 

Entscheidung des BVerfG:

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und offensichtlich begründet, entschied die 2. Kammer des Zweiten Senats. Die Begründungen der Fachgerichte genügen nicht dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, wodurch eine Verletzung in Art. 2 Abs. 2 S. 2 i.V.m. Art. 104 Abs. 2 S. 1 GG vorliege. Bei der Gesamtwürdigung sei die Verantwortbarkeit eines eventuellen Rückfalls mit dem Freiheitsanspruch des Verurteilten unter Berücksichtigung der gefährdeten Rechtsgüter in ein Verhältnis zu setzen. Hierbei steigen die Anforderungen der Begründung mit der zunehmenden Dauer der Freiheitsentziehung, insbesondere, wenn die besondere Schwere der Schuld nicht mehr besteht, so die Kammer. Vorliegend würden die Beschlüsse eine solche Begründungstiefe nicht aufweisen. Folgende Aspekte seien durch die Fachgerichte nicht ausreichend berücksichtigt worden:

1. Lebensalter des Beschwerdeführers

Eine Grundrechtsverletzung setze voraus, dass im Abwägungsprozess verkannt wurde, dass hierdurch Grundrechte betroffen werden. Die Fachgerichte haben bei der Entscheidung über die Strafaussetzung das Lebensalter und die Länge der Vollzugsdauer nicht berücksichtigt. Dadurch sei jedoch ein geringes Maß an künftiger Straftatenbegehung zu erwarten. Auch aus einem unbearbeiteten Persönlichkeitsdefizit könne nicht ohne Weiteres auf eine Rückfälligkeit geschlossen werden. 

2. Verhalten im offenen Vollzug 

Ebenso sei das Verhalten im offenen Strafvollzug unzureichend berücksichtigt worden. Den habe der Beschwerdeführer beanstandungsfrei absolviert. Auch nicht berücksichtigt wurden die ordnungsgemäß durchgeführten Langzeitausgänge. Dagegen wurde der Besitz von Gegenständen, die im Zusammenhang mit der Sexualität des Beschwerdeführers stehen, in der Entscheidung berücksichtigt. Dieser spreche jedoch nicht zugleich für die Gefahr künftiger Straftatenbegehung. 

3. Auflagen und Weisungen 

Der Beschwerdeführer lehnte eine Überführung in eine betreute Wohnform ab. Hieraus sei nicht auf einen fehlenden geeigneten sozialen Empfangsraum zu schließen. Vielmehr hätte die Möglichkeit der Erteilung von Weisungen in Form von Betreuung und Kontrolle in Betracht gezogen werden müssen. Insbesondere sei dies vor dem Hintergrund geboten, dass durch den Sachverständigen keine Impulsivität festgestellt werden konnte. 

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