Abstract
Die Erscheinungsformen sexualbezogener Äußerungen sind vielfältig. Sie können mittels digitalen Hasses und damit via sozialer Medien online erfolgen. Ebenso gut können sie in „traditioneller“ Weise offline und auch nur im Zweipersonenverhältnis getätigt werden. Durch die Beschränkung des Themas auf sexualbezogene Äußerungen, die den Adressaten belästigen, sind die klassischen Sexualdelikte der §§ 174 ff. StGB des 13. Abschnitts des StGB sowohl in Form von Hands-on-Delikten (mittels Körperkontakt) als auch in Form von Hands-off-Delikten (ohne Körperkontakt) sowie die körperliche sexuelle Belästigung nach § 184i StGB ausgeklammert. Im Folgenden soll zunächst die Einführung eines Straftatbestandes, der speziell „verbale“ sexualbezogene Belästigungen zum Gegenstand hat, diskutiert werden. Im Anschluss daran soll kurz erwogen werden, ob bei § 185 StGB eine spezifische Qualifikation hinzugefügt werden sollte, die sexualbezogene Beleidigungen mit einem höheren Strafrahmen erfasst. Dabei ist schon an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass nicht jede Belästigung zwangsläufig zu einer Beleidigung i.S.d. § 185 StGB führt, mag es auch größere Überschneidungen geben.
There are many manifestations of comments with sexual content, whether they are expressed via social media or between two people in the real world. Investigating the criminal liability of these comments, they evidently don´t fulfil the requirements of the sexual offences punishable by §§ 174 ff. of the German Criminal Code (StGB) or § 184i StGB. However, the criminal liability of comments with sexual content is currently widely discussed. Therefore, this article scrutinizes the applicability of existing laws, such as § 185 StGB, and presents and evaluates the possible implementation of new sexual offences such as verbal sexual harassment or sexual defamation.
I. Strafbarkeitslücken bei sexualbezogenen Belästigungen
1. Verhältnis von § 185 StGB zu den Sexualstraftaten
Sexualbezogene Äußerungen sind ohne Weiteres dann strafbar, wenn sie den Straftatbestand der Beleidigung nach § 185 StGB erfüllen. Unter einer Beleidigung ist der Angriff auf die Ehre eines anderen durch Kundgabe eigener Nicht- oder Missachtung zu verstehen.[1] Nach h.M. kommt § 185 StGB aber keine „lückenfüllende Aufgabe“ zu, so dass die sog. Sexualbeleidigung grundsätzlich nicht erfasst wird.[2] Dies bedeutet freilich nicht, dass sexualbezogene Äußerungen nicht unter § 185 StGB fallen könnten. Vielmehr soll § 185 StGB vor allem im Falle „klassischer“ sexueller Handlungen, die mit einer Handlung des Täters an dem Opfer verbunden sind, nicht stets „automatisch“ verwirklicht sein.[3] Damit soll § 185 StGB nicht per se Auffangtatbestand sein, wenn die Voraussetzungen eines Sexualdeliktes des 13. Abschnitts des StGB nicht verwirklicht sind. Sexuelle Handlungen können vielmehr nur dann als „Sexualbeleidigung“ erfasst werden, wenn sie über den allgemeinen und noch unspezifischen Angriff auf die Personenwürde oder das allgemeine Persönlichkeitsrecht hinaus zusätzlich die Einschätzung von der Minderwertigkeit des Opfers i.S. eines Mangels an Ehre zum Ausdruck bringen.[4]
2. Abgrenzung: Beleidigung und Belästigung
Bei sexuellen Ansinnen des Täters oder der Formulierung eigener sexueller Wünsche[5] ist daher sorgfältig zu prüfen, ob der Täter damit zu erkennen gibt, dass er den Adressaten als eine Person einschätzt, mit der „man so etwas ohne Weiteres machen kann“, die Persönlichkeit damit abschätzend bewertet und somit die Ehre herabsetzt.[6] Dabei kommt es wie ansonsten auch bei § 185 StGB auf den Sinngehalt der Äußerung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles aus Sicht eines durchschnittlichen Erklärungsempfängers an.[7] So stellen sexualbezogene Äußerungen, die etwa in einer Partnerschaft vom Einverständnis gedeckt sind, keine Herabwürdigung dar.
Umgekehrt kann eine vermeintlich positive Formulierung – wie „geiler Arsch“ usw. – insbesondere unter Personen, die sich gar nicht kennen, m.E. durchaus als Ehrherabsetzung einzustufen sein. Freilich sind die Grenzen insoweit schwer zu bestimmen und die Praxis ist mit einer Strafbarkeit bislang zurückhaltend. Die Aussage zu einer Frau, sie habe einen „schönen Busen“, führt jedenfalls nach Rechtsprechung zum AGG nicht per zu einer Ehrherabsetzung,[8] wohl aber zu einer sexuellen Belästigung nach AGG. Entsprechendes soll für die Aussage gegenüber einem Mann, er habe „dicke Eier“, gelten, da dies als „Anerkennung von Entschlossenheit oder Mut des Betroffenen“ zu verstehen sein mag“.[9] Unverständlich bleibt, dass Aussagen wie „ich will Dich ficken“ oder „ich will Deine Muschi lecken“ vom BGH kein ehrverletzenden Charakter beigemessen wird.[10] In diesem Bereich verbleiben also – zumindest in der praktischen Anwendung des Beleidigungstatbestandes – Strafbarkeitslücken, die ein spezieller Straftatbestand schließen könnte.
II. Betroffenes Rechtsgut bei sexualbezogenen Äußerungen
1. Sexuelle Selbstbestimmung als Abwehrrecht
Bei sexualbezogenen Äußerungen ist der Schutzbereich des Allgemeinen Persönlichkeitsrecht in seiner speziellen Ausprägung des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung betroffen. Es geht um das Abwehrrecht, nicht zum Objekt sexueller Übergriffe zu werden. So ist auch die teilweise als eigenständiges Schutzgut angeführte „ungewollte Konfrontation“ mit Sexualität – etwa Exhibitionismus nach § 183 StGB oder Pornografie nach § 184 Abs. 1 Nr. 6 StGB[11] – dem Abwehrrecht der sexuellen Selbstbestimmung zuzuordnen.[12] Denn die „ungewollte Konfrontation“ stellt letztlich nicht mehr als eine vage Beschreibung bzw. einen Überbegriff der Tathandlungen dar, sie ist aber kein eigenständiges Rechtsgut gegenüber der sexuellen Selbstbestimmung. In das Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung wird damit auch eingegriffen, wenn jemand ohne seinen Willen in ein sexuelles Geschehen involviert wird.[13] Von diesem Standpunkt aus ist es dann auch nicht notwendig, die Menschenwürde zu einem selbständigen Schutzgut zu erheben. Denn diese spezifische „Objektsformel“, d.h. nicht zum Objekt sexueller Übergriffe zu werden, ist bereits vom Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung mitumfasst.[14]
2. Spezifizierungen für sexualbezogene Äußerungen
Unzweifelhaft betroffen ist das Abwehrrecht in Fällen, in denen die sexualbezogene Aussage eine Herabwürdigung des Betroffenen oder eine sexuelle Belästigung dessen darstellt. Ausgeklammert sind hingegen Äußerungen, die nur allgemein oder einen auf Dritte bezogenen sexualisierten Inhalt haben, ohne sich auf den Adressaten selbst zu beziehen.[15] Solche Äußerungen können richtigerweise nur unter weiteren spezifischen Voraussetzungen bestraft werden, um eine Strafwürdigkeit zu begründen. Zu nennen ist insbesondere § 176a Abs. 1 Nr. 3 StGB, wonach bestraft wird, wer „auf ein Kind durch einen pornographischen Inhalt (§ 11 Abs. 3) oder durch entsprechende Reden einwirkt“. Zum einen geht es insoweit um den Schutz von Kindern. Zum anderen begründet hier das Einwirken die spezifische Zielrichtung zum Adressaten. Im Einzelfall wird demgemäß genau zu prüfen sein, ob sich etwa erhebliche sexualbezogene Äußerungen allgemeiner Art oder über Dritte nicht doch an den Adressaten richten. Zu denken wäre etwa an die Schilderung sexueller Handlungen oder Wünsche, die inhaltlich zwar Dritte betreffen, aber sich letztlich belästigend für den Adressaten auswirken, weil mittelbar auch diesem gegenüber ein Sexualbezug hergestellt wird.
III. Tatbestand der „verbalen“ sexuellen Belästigung
1. Zuordnung und Überschrift des Tatbestandes
Da ein Straftatbestand, der sexualbezogene Belästigungen zum Gegenstand hat, nach der hier vertretenen Konzeption das Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung betrifft,[16] wäre er am Besten im Anschluss an § 184i StGB in das StGB einzustellen.[17] In Parallele zu § 176 StGB und § 176a StGB[18] würde es sich zur Unterscheidung des Tatbestandes der „Sexuellen Belästigung“ in § 184i StGB anbieten, einen Zusatz hinzuzufügen. § 184i StGB könnte dann etwa „Sexuelle Belästigung mit Körperkontakt“ lauten, § 184k StGB neu etwa „Sexuelle Belästigung ohne Körperkontakt“. Zwar erfasst auch der Tatbestand des § 183 StGB, der exhibitionistische Handlungen unter Strafe stellt, Belästigungen des Opfers ohne Körperkontakt, jedoch würde der neue Straftatbestand durch seine inhaltliche Formulierung und eine Subsidiaritätsklausel hinreichend abgeschichtet.[19] Die Formulierung einer eigenständigen Strafvorschrift als neuer § 184k StGB wäre im Übrigen auch aus Gründen der Klarheit gegenüber einer Einfügung in § 184i StGB in einem gesonderten Absatz vorzugswürdig.
2. Formulierung des Tatbestandes
Es wird folgende Formulierung vorgeschlagen, die sodann nachstehend im Einzelnen zu begründen ist.[20]
(1) Wer eine andere Person durch eine sexualbezogene Äußerung oder einen solchen Inhalt (§ 11 Absatz 3) ihr gegenüber erheblich belästigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wenn nicht die Tat in anderen Vorschriften dieses oder des vierzehnten Abschnitts mit schwererer Strafe bedroht ist. (2) Die Tat wird nur auf Antrag verfolgt, es sei denn, dass die Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält. |
3. Begründung
a) Sexualbezogene Äußerung oder ein solcher Inhalt (§ 11 Abs. 3 StGB)
aa) Äußerungs- und Inhaltebegriff
(1) Tathandlung ist die sexualbezogene Äußerung oder ein solcher Inhalt. Etymologisch werden unter einer „Äußerung“ nicht nur Worte, sondern auch Zeichen, Bewegungen und Gesten verstanden. Daraus folgt zugleich, dass der Tatbestand in seiner Formulierung nicht auf „verbale“ Belästigungen begrenzt sein sollte. Für den auch bei § 36 StGB verwendeten Begriff der „Äußerung“ wird davon ausgegangen, dass mündliche, schriftliche Erklärungen sowie wortersetzende Gesten erfasst sind.[21] Damit können etwa aufdringliche Gesten, wie „Zuwerfen von Küssen“ oder Gesten, die sexuelle Handlungen zum Ausdruck bringen, erfasst werden. Die Vorschrift wäre insoweit weiter als Art. 198 des Schweizerischen StGB, der mit der Formulierung „in grober Weise durch Worte sexuell belästigt“ nur verbale Belästigungen (als Übertretung) sanktioniert.[22]
(2) Anders als der „klassische“ Schriftenbegriff des § 11 Abs. 3 StGB setzt das Merkmal der Äußerung, das häufig gerade in mündlicher Form verwirklicht sein wird, keine Perpetuierung voraus. Daher wird man schon per se auch jegliche Inhalte, die via Informations- oder Kommunikationstechnik übertragen werden, erfassen können. Um dies aber eindeutig klarzustellen und einen Umkehrschluss aus anderen Vorschriften, die explizit auf Inhalte i.S.d. § 11 Abs. 3 StGB verweisen, zu vermeiden, kann der „flüchtige“ Inhaltsbegriff mitaufgenommen werden, um den großen Bereich der sozialen Medien rechtssicher zu erfassen. Einbezogen sind damit eindeutig etwa auch Live- und Echtzeit-Übertragungen, E-Mail, SMS, Messenger-Dienste wie etwa Whatsapp und soziale Medien.[23]
bb) Sexualbezogenheit
(1) Mit dem Wort „sexualbezogen“ wird entsprechend des geschützten Rechtsguts zum Ausdruck gebracht, dass die Belästigung die sexuelle Selbstbestimmung betreffen muss. Aussagen wie „geiler Arsch“, „ich will Dich ficken“ usw. können damit bestraft werden, gerade auch wenn hierin mangels Ehrherabsetzung keine Beleidigung i.S.d. § 185 StGB erblickt werden kann. Vielmehr wird die Ehrherabsetzung durch das Erfordernis der Belästigung ersetzt.
(2) Die Sexualbezogenheit der Äußerung ist objektiv zu bestimmen. Es kommt somit auf das äußere Erscheinungsbild an. Es gilt nichts anderes als bei § 184i (körperliche Berührung)[24] und § 185 StGB (Beleidigung), bei der es auf den objektiven Sinngehalt für einen durchschnittlichen Empfänger der Erklärung ankommt.[25] Eine rein subjektive Motivation des Täters genügt hingegen nicht, mag er sich auch durch die Verwendung nicht sexualbezogener Worte erregen oder ein sexuelles Interesse haben; dies ergibt sich zwangsläufig auch daraus, dass bei rein subjektiver Täterintention kein Belästigungserfolg beim Opfer eintreten kann.[26] Liegt objektiv aber eine Sexualbezogenheit vor, so ist das für sich genommen ausreichend. Der Täter muss nicht etwa das weitere Ziel verfolgen, wie bei § 176b Abs. 1 Nr. 1 StGB, das Tatopfer darüber hinaus zu sexuellen Handlungen zu bringen.
(3) Die Sexualbezogenheit darf dabei nicht mit einer Geschlechterbezogenheit verwechselt werden. Es ist darauf zu achten, dass das Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung nicht gegen eine Diskriminierungsregelung ausgetauscht wird, die an das Geschlecht anknüpft. Deutlich wird dies bei einem Blick auf das AGG. § 3 Abs. 4 AGG regelt dort die sexuelle Belästigung, während die Diskriminierung aufgrund des Geschlechts in § 3 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 1 AGG sowie in § 3 Abs. 1 S. 2 AGG normiert ist. Nicht erfasst werden demnach von dem vorstehenden Regelungsvorschlag Äußerungen, die dem Geschlecht negative Eigenschaften zuschreiben, ohne sexualbezogen zu sein. Solche Äußerungen bleiben freilich unter den weiteren Voraussetzungen des § 185 StGB strafbar. Ein solches Verständnis ist nicht nur im Hinblick auf das Rechtsgut überzeugend, sondern auch konsistent, weil ansonsten aus den unterschiedlichen Diskriminierungsmerkmalen des § 1 AGG –Rasse, ethnische Herkunft, Geschlechts, Religion, Weltanschauung, Behinderung, Alter oder sexuellen Identität – ohne sachlichen Grund das Geschlecht herausgegriffen würde. Zusammengefasst: Entscheidend ist also Bezug zum Geschlechtlichen und nicht zum Geschlecht.
b) Äußerung der Person („ihr“) gegenüber
Erforderlich ist ferner, dass sich die Aussage auf den Äußerungsadressaten als Tatopfer bezieht und dieser dadurch belästigt sein muss, so dass dessen sexuelle Selbstbestimmung als Abwehrrecht tangiert ist. Nicht einbezogen sind – wie bereits näher ausgeführt[27] – daher allgemeine Erzählungen über sexuelle Ereignisse, entsprechende Fernsehfilme, Sexualaufklärung usw. sowie Äußerungen über Dritte, soweit sich dies nicht zugleich als Einwirkung an den Adressaten richtet und bei diesem zur Belästigung führt.
c) Belästigung
aa) Sexuelle Belästigung
Das Merkmal der Belästigung, das auch in § 184i StGB verwendet wird, ist § 183 StGB entnommen. Es fügt sich in den hiesigen Kontext gut ein, da auch § 183 StGB ein Hands-off-Delikt ohne körperliche Berührungen darstellt. Angesichts des Rechtsguts der sexuellen Selbstbestimmung und der systematischen Stellung im 13. Abschnitt kommt es allein darauf an, dass das Opfer nicht allgemein, sondern speziell sexuell belästigt ist.[28] Eine Belästigung wird damit durch einen unerwünschten und nicht unerheblichen Eingriff in das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung begründet.[29] Dabei ist zu beachten, dass nicht jede sexualbezogene Äußerung per se eine Belästigung begrünen kann. Vielmehr sind die beiden, auch inhaltlich unterschiedlich zu bestimmenden Merkmale, strikt auseinanderzuhalten.
bb) Subjektives Opferempfinden
Die Belästigung ist wie bei § 184i StGB aus Opferperspektive zu bestimmen, da sie vom subjektiven Opferempfinden abhängt.[30] Die Belästigung erfordert nach allgemeinen Grundsätzen eine auf die sexuelle Selbstbestimmung bezogene negative Gefühlsempfindung – wie Schock, Schrecken, Angst, Ekel, Abscheu, Entrüstung, Ärger oder Verletzung des Schamgefühls – von einigem Gewicht.[31] Ist das Opfer über die sexualbezogene Äußerung – etwa im Rahmen eines einverständlichen sexuellen Geschehens oder einer Partnerschaft – erfreut oder löst das Verhalten nur Interesse oder Verwunderung aus, so fehlt es an einer Belästigung.[32] Erst recht gilt dies selbstverständlich, wenn das Opfer mit der Äußerung einverstanden ist. Insoweit entfällt bereits das Merkmal der Belästigung und damit der Tatbestand und nicht erst die Rechtswidrigkeit über die Figur der rechtfertigenden Einwilligung.[33]
Hingegen wird die Belästigung bei sexualbezogenen Äußerungen im öffentlichen Raum gegenüber Fremden oder ohne vorherige Kommunikation häufig anzunehmen sein.[34] Zu beachten ist ferner, dass die Belästigung gerade „durch“ die sexualbezogene Äußerung eintreten muss. Damit werden Fälle nicht erfasst, in denen die Belästigung nur mittelbar als Folge eintritt, etwa durch Dritte, die die Äußerung als Anknüpfungspunkt für eigene Handlungen, wie Auslachen oder Fortsetzung der Äußerung nehmen.[35]
cc) Erheblichkeit der Belästigung
Die Belästigung muss nach der vorgeschlagenen Formulierung „erheblich“ sein. Die Belästigung erfordert zwar per se eine negative erhebliche Gefühlsempfindung bzw. eine Gefühlsregung von einigem Gewicht.[36] Bei § 184i StGB wurde aus diesem Grund die Erheblichkeit nicht gesondert als Tatbestandsmerkmal ausgestaltet, jedoch sind auch dort bloße Bagatellen der Belästigung ausgeklammert.[37] Um mit der sexualbezogenen Belästigung tatsächlich nur strafwürdige Handlungen zu erfassen, empfiehlt es sich jedoch, das Erfordernis der Erheblichkeit gesondert zu erwähnen, da sexualbezogene Äußerungen in ihrem Gewicht ohnehin regelmäßig unter einer sexualbezogenen körperlichen Berührung liegen. Nicht erfasst wäre damit etwas das sog. Catcalling durch einmaliges Hinterherpfeifen.[38]
dd) Alternative: Eignungsdelikt
Möchte man die Strafbarkeit von der Opferreaktion lösen, böte es sich als Alternative an, auf die objektiv zu bestimmende „Eignung“ zur Belästigung abzustellen.[39] Diesen Weg hat der Gesetzgeber etwa bei § 238 StGB eingeschlagen. Dort wurde das Erfolgsdelikt in ein Eignungsdelikt bzw. ein potenzielles Gefährdungsdelikt umgewandelt, so dass die Stalkinghandlung (nur) geeignet sein muss, die Lebensgestaltung nicht unerheblich zu beeinträchtigen, ohne dass es einer entsprechenden Opferreaktion bedarf.[40] Folgerichtig wäre aus einer objektiven ex-ante-Perspektive zu beurteilen, ob unter Berücksichtigung der konkreten Tatsituation die Äußerung geeignet wäre, eine Belästigung des Adressaten herbeizuführen. Ausgeklammert würde damit vor allem atypisches Opferempfinden,[41] wobei zu sehen ist, dass bei einer Ausgestaltung als Erfolgsdelikt selbstverständlich die objektive Zurechnung zu prüfen ist und der Vorsatz auf den Belästigungserfolg bezogen sein muss.[42] Eine solche Objektivierung entspräche den Grundsätzen des § 185 StGB, wo einerseits übersteigerte Empfindlichkeiten und Eitelkeiten des Opfers, andererseits aber auch übertriebene Ignoranz und Rücksichtslosigkeit des Täters unerheblich sind.[43]
d) Strafrahmen
Die vorgeschlagene Rechtsfolge ist Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe. Der Strafrahmen entspricht demjenigen des § 185 StGB. Dies erscheint angemessen, da § 184i StGB bei körperlichen Berührungen, die zu einem höheren Unrechtsgehalt führen, eine Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahre vorsieht. Zudem wird zwar einerseits keine Ehrherabsetzung verlangt, so dass die sexualbezogene Äußerung zunächst „unterhalb“ der Schwelle des § 185 StGB liegt, andererseits kommt aber unrechtserhöhend die Belästigung des Opfers hinzu, so dass der Strafrahmen auch mit Blick auf § 185 StGB konsistent erscheint.
e) Subsidiarität
Da die Vorschrift vor allem einen Auffangtatbestand für Fälle darstellen soll, in denen keine Ehrherabsetzung nach §§ 185 ff. StGB vorliegt,[44] ordnet Absatz 2 formelle Subsidiarität an. Dies gilt für alle Taten des 13. und 14. Abschnitt des StGB, so dass auch verbale Belästigungen, die mit anderen Sexualstraftaten einhergehen, auf Konkurrenzeben zurücktreten.
IV. Qualifikationstatbestand: Sexualbezogene Beleidigung
Abschließend ist noch zu überlegen, ob bei § 185 StGB für sexualbezogene Beleidigungen angesichts des spezifischen Unrechtsgehalts eine Qualifikation mit erhöhtem Strafrahmen geschaffen werden sollte. Regelungstechnisch könnte die Qualifikation ohne Weiteres in die bestehende Norm eingefügt werden. Dabei wäre erneut darauf zu achten, dass das dann zusätzliche Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung der Qualifikation nicht gegen eine Diskriminierungsregelung ausgetauscht wird.[45] Die Formulierung würde dann konsequenterweise wie folgt lauten:
Die Beleidigung wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe und, wenn die Beleidigung öffentlich, in einer Versammlung, durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3), mittels einer Tätlichkeit oder einer sexualbezogenen Äußerung oder einen solchen Inhalt (§ 11 Absatz 3) begangen wird, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. |
Die Einführung einer solchen Qualifikation für sexualbezogene Beleidigungen bei § 185 StGB ist jedoch kritisch zu sehen, selbst wenn die sexuelle Selbstbestimmung als zusätzliches Rechtsgut betroffen ist. Der Unrechtsgehalt von anderen Herabsetzungen, etwa in Bezug auf berufliche Fähigkeiten oder mit Mobbingbezug, kann ebenso schwer wiegen. So ist es auch im Fall Künast schwierig, in den einzelnen Äußerungen einen gravierenden Unterschied zwischen den sexualbezogenen (etwa „Schlampe“) und nicht-sexualbezogenen Äußerungen (etwa „Sondermüll“; Absprechen der Subjektsqualität als Mensch) zu erkennen.[46] Und umgekehrt können sexualbezogene Beleidigungen im Zwei-Personen-Verhältnis im Einzelfall weniger gewichtig sein als andere öffentlich getätigte Beleidigungen. Für das Gewicht der Beleidigungen kommt es letztlich auf den konkreten Inhalt an. Für Fälle des Verbreitens eines Inhalts (§ 11 Abs. 3), etwa in sozialen Medien, ist ohnehin bereits jetzt der erhöhte Strafrahmen eröffnet, so dass es m.E. keiner Qualifikation bedarf.
[1] Siehe nur BGHSt 36, 145 (148); Eisele, Strafrecht Besonderer Teil 1, 6. Aufl. (2021), Rn. 566.
[2] Siehe etwa BGHSt 16, 63.
[3] Ausf. Schittenhelm, in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. (2019), Vorb. §§ 185 ff. Rn. 4.
[4] Siehe BGHSt 36, 145 (150 f.); BGH, NStZ 2007, 218; BGH, NStZ 2018, 603 (604).
[5] Etwa die Aussage: „Du brauchst es doch!“
[6] Vgl. insbesondere BGH, NStZ 1992, 34; OLG Hamm, NStZ-RR 2008, 108 (109); näher Eisele/Schittenhelm, in: Schönke/Schröder, StGB, Vorb. §§ 185 Rn. 4; Hoven/Weigend, FS Prittwitz, 2023,
S. 653 (657 f.).
[7] BVerfGE 93, 266 (295); BGHSt 19, 235 (237); BGH, NJW 1951, 368; Eisele, Strafrecht BT 1, Rn. 573.
[8] BAG, NJW 2012, 407.
[9] BAG, AP BGB 626 Nr. 261.
[10] BGH, NStZ 2018, 603 (604).
[11] BGH, MDR /D 1974, 546 zu § 183 StGB; BGH, NStZ-RR 2005, 309 zu § 184 Abs. 1 Nr. 6 StGB.
[12] Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, vor § 174 Rn. 1b und § 183 Rn. 1; Hörnle, in: MüKo-StGB, Bd. 3, 4. Aufl. (2021), § 183 Rn. 2; Hoven/Weigend, in: FS Prittwitz, 2023, S. 653 (661 f.).
[13] Siehe zunächst Schönke/Schröder, StGB, vor § 174 Rn. 1b; in diesem Sinne auch Hoven/Weigend, JZ 2017, 182 (184); Hoven/Weigend, in: FS Prittwitz, 2023, S. 653 (661 f.); Renzikowski, in: MüKo-StGB
Vorb. § 174 Rn. 9; aus verfassungsrechtlicher Sicht Valentiner, Das Grundrecht auf sexuelle Selbstbestimmung, 2020, S. 356 ff., (392).
[14] Zur Diskussion Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, Vorb. § 174 Rn. 1a; auch auf die Menschenwürde abstellend, Hoven/Weigend, in: FS Prittwitz, 2023, S. 653 (660, 670).
[15] Vgl. hierzu Hoven/Weigend, in: FS Prittwitz, 2023, S. 653 (667); Zu den Auswirkungen auf einen Formulierungsvorschlag unten III. 3. B).
[16] Eben II. 1.
[17] Zu verorten wäre dies in einem neuen § 184k StGB, so dass sich die weiteren Delikte „nach hinten“ verschieben würden.
[18] „Sexueller Missbrauch von Kindern“ in § 176 StGB einerseits und „Sexueller Missbrauch von Kindern ohne Körperkontakt mit dem Kind“ in § 177a StGB andererseits.
[19] Zur Ausgestaltung sogleich III. 2; ebenfalls für eine differenzierte Regelung: Hoven/Weigend, in: FS Prittwitz, 2023, S. 653 (669).
[20] Es handelt sich um einen im Rahmen der Expert:innengruppe mit Elisa Hoven abgestimmten Regelungsvorschlag.
[21] Vgl. Neumann, in: NK-StGB, 5. Aufl. (2017), § 36 Rn. 9; Valerius, in: BeckOK-StGB, 55. Ed. (Stand: 1.11.2022), § 36 Rn. 7.
[22] Art. 198 des Schweizerischen StGB lautet: „Wer vor jemandem, der dies nicht erwartet, eine sexuelle Handlung vornimmt und dadurch Ärgernis erregt, wer jemanden tätlich oder in grober Weise durch Worte sexuell belästigt, wird, auf Antrag, mit Busse bestraft.“
[23] Dazu BT-Drs. 19/19859, S. 25 f.; Heger, in: Lackner/Kühl/Heger, StGB, 30. Aufl. (2023), § 11 Rn. 29.
[24] Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, § 184i Rn. 5; Hörnle, NStZ 2017, 13 (20); Hoven/Weigend, JZ 2017, 182 (189).
[25] BVerfGE 93, 266 (295); BGHSt 19, 235 (237); Eisele, Strafrecht BT 1, Rn. 573.
[26] Dazu für § 184i StGB Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, § 184i Rn. 5; Hoven/Weigend, JZ 2017, 182 (189).
[27] Siehe oben II. 2.
[28] Zu § 184i StGB vgl. BT-Drs. 18/9097 S. 30; Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, § 184i Rn. 7.
[29] BT-Drs. 18/9097, S. 30.
[30] Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, § 184i Rn. 8; Fischer, StGB, 70. Aufl. (2023), § 184i Rn. 7; Hörnle, NStZ 2017, 13 (20).
[31] BGH, NStZ/Mie 1993, 223 (227); Hörnle, in: MüKo-StGB, § 183 Rn. 11.
[32] BT-Drs. 18/9097, S. 30; Fischer, StGB, § 183 Rn. 6; Heger, in: Lackner/Kühl/Heger, StGB, § 183 Rn. 3.
[33] Fischer, StGB, § 184i Rn. 13; Renzikowski, in: MüKo-StGB, § 184i Rn. 12.
[34] Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, § 184i Rn. 8.
[35] Fischer, StGB, § 184i Rn. 6; ferner Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, § 183 Rn. 4.
[36] BT-Drs. VI/1552, S. 32; BGH, NStZ/Mie 1993, 223 (227); Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, § 183 Rn. 4.
[37] BT-Drs. 18/9097, S. 30: unerwünschter und nicht unerheblicher Eingriff in das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung; Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, § 184i Rn. 7.
[38] Dazu Hoven/Weigend, in: FS Prittwitz, 2023, S. 653 (672).
[39] So zu § 184i StGB Hoven/Weigend, JZ 2017, 182 (189); Hoven/Weigend, in: FS Prittwitz, 2023, S. 653 (672); ferner Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, § 184i Rn. 8; für eine solche Interpretation bei § 18
StGB; Heger, in: Lackner/Kühl/Heger, StGB, § 183 Rn. 3.
[40] BT-Drs. 18/9946, S. 10 f., 13 f., Kubiciel/Borutta, KriPoZ 2016, 194 (195 f.).
[41] Zu § 238 StGB Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, § 238 Rn. 30.
[42] Zu § 184i StGB vgl. Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, § 184i Rn. 8; Fischer, StGB, § 184i Rn. 8.
[43] Siehe Eisele, Strafrecht BT 1, Rn. 573.
[44] Siehe oben I.
[45] Schon oben III. 3. a.; Hoven/Weigend, in: FS Prittwitz, 2023, S. 653 (668).
[46] Vgl. LG Berlin, MMR 2019, 754: ‚Stück Scheisse‘, ‚Krank im Kopf‘, ‚altes grünes Drecksschwein‘, ‚Geisteskrank‘, ‚kranke Frau‘, ‚Schlampe‘, ‚Gehirn Amputiert‘, ‚Drecks Fotze‘, ‚Sondermüll‘, ‚Alte pervers
Dreckssau‘, ‚hohle Nuss‘.