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KriPoZ-RR, Beitrag 36/2023

Die Entscheidung im Original finden Sie hier. Die Pressemitteilung finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 17.5.2023 – 6 StR 275/22: Eine mit einem anderen gemeinschaftlich begangene Körperverletzung kann auch durch Unterlassen verwirklicht werden

Amtliche Leitsätze:

Der Qualifikationstatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB kann auch durch Unterlassen verwirklicht werden. Die hierfür erforderliche höhere Gefährlichkeit ist regelmäßig gegeben, wenn sich die zur Hilfeleistung verpflichteten Garanten ausdrücklich oder konkludent zu einem Nichtstun verabreden und mindestens zwei von ihnen zumindest zeitweilig am Tatort anwesend sind. 

Sachverhalt:

Das LG Verden hat die Angeklagten u.a. wegen gefährlicher Körperverletzung durch Unterlassen gemäß §§ 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 4, 13 StGB schuldig gesprochen. Nach den tatgerichtlichen Feststellungen wurde die psychisch erkrankte Geschädigte zwangsprostitiuiert, wobei die Angeklagten Unterstützung leisteten. Am infrage stehenden Tattag wurde die Geschädigte nach einer körperlichen Auseinandersetzung in die Garage der Angeklagten verbracht. Diese erkannten, dass sich die Geschädigte aufgrund ihrer „akut psychotischen Symptomatik in Not befand und fachärztlicher Hilfe bedurfte.“ Trotzdem wurde keine Hilfe organisiert. Die Geschädigte sollte als „Einnahmequelle“ erhalten bleiben. Durch eine entsprechende Medikation hätte die Geschädigte weniger Leid erfahren, welches die Angeklagten in Kauf nahmen. Die Geschädigte verstarb in der Garage. Nicht festgestellt werden konnte, wer den Tod verursacht hat. Die Angeklagten haben Revision gegen die Entscheidung eingelegt. 

Entscheidung des BGH:

Die Revision (bezogen auf die obige Tat) wurde verworfen. Die Angeklagten haben das Qualifikationsmerkmal des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB erfüllt, so der BGH. Die Körperverletzung „mit einem anderen gemeinschaftlich“ setze grundsätzlich eine Beteiligung voraus. Die erhöhte Anzahl an Angreifern erhöhe die abstrakte Gefährlichkeit der Körperverletzung und verringere die Verteidigungsmöglichkeiten für die geschädigte Person, welches das erhöhte Strafmaß rechtfertige. Voraussetzungen seien insbesondere mindestens zwei handelnde Angreifer. 

Aus dem Wortlaut und Sinn und Zweck ergebe sich nicht, dass die gefährliche Körperverletzung nicht auch durch Unterlassen begangen werden könne. Beabsichtigt sei der umfassende, effektive Schutz körperlicher Unversehrtheit. Eine erhöhte Gefahr und verringerte Verteidigungsmöglichkeiten könnten auch bei einer Tatbeteiligung durch Unterlassen vorliegen. Der Strafsenat verweist dabei auf die jeweilige Betrachtung im Einzelfall. Nicht ausreichen würde allerdings weder die Anwesenheit einer sich nur passiv verhaltenen Person noch reiner Nebentäter. Zu bejahen sei das Qualifikationsmerkmal aber in Fällen, in denen „sich die zur Hilfeleistung verpflichteten Garanten ausdrücklich oder konkludent zu einem Nichtstun verabreden […] und mindestens zwei handlungspflichtige Garanten zumindest zeitweilig am Tatort präsent sind.“ Diese gruppendynamischen Effekte führen zu einer Verstärkung des Tatentschlusses und damit zu einer Gefahrsteigerung für die geschädigte Person, so der BGH. Vorliegend sei genau dies der Fall gewesen.

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