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Kinder- und jugendpornographische Inhalte (§§ 184b, 184c StGB) und § 30 StGB

von Prof. Dr. Wolfgang Mitsch 

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Abstract
Dass unser geltendes Strafrecht eine „Verschlankung“ vertragen könnte, ist nun auch im Bundesjustizministerium bemerkt worden. Aus dem Besonderen Teil sollen Vorschriften entfernt werden, die aus unterschiedlichen Gründen nicht (mehr) benötigt werden. Als weitere Maßnahme der Entkriminalisierung steht möglicherweise die punktuelle Senkung von Strafrahmen auf der Agenda. Dies hat nicht nur eine Reduzierung des Sanktionsniveaus zur Folge, sondern kann dort, wo infolge der niedrigeren Strafrahmenuntergrenze aus Verbrechen Vergehen werden, Straflosigkeit bewirken. Das betrifft § 30 StGB, eine Vorschrift, die Anlass für die Überlegungen sein kann, nicht nur im Besonderen Teil, sondern auch im Allgemeinen Teil des StGB nach entbehrlichen Normen zu suchen. § 30 StGB ist aktuell anwendbar in Kombination mit den Tatbestandsvarianten des § 184b StGB, die Verbrechenscharakter haben. Welche strafrechtlichen Ergebnisse daraus resultieren können, ist in der Debatte um die Strafbarkeit von Kinderpornographie bislang nicht erörtert worden. Dasselbe gilt für den praktisch selten zur Anwendung kommenden § 16 Abs. 2 StGB, der neuerdings in Verbindung mit § 184b StGB und § 184c StGB in Erscheinung getreten ist. Aus der Betrachtung der Zusammenhänge dieser Vorschriften lassen sich einige Empfehlungen an die Gesetzgebung ableiten.

The fact that our existing criminal law could do with some „streamlining“ has now also been noticed by the Federal Ministry of Justice. Regulations that are no longer needed for various reasons are to be removed from the special section. Another possible decriminalization measure on the agenda is the selective reduction of sentencing ranges. This will not only result in a reduction in the level of punishment, but may also lead to impunity in cases where felonies become misdemeanors as a result of the lower minimum punishment range. This applies to Section 30 of the Criminal Code, a provision that may give rise to the consideration of searching for dispensable norms not only in the Special Part, but also in the General Part of the Criminal Code. § Section 30 of the StGB is currently applicable in combination with the offense variants of Section 184b of the StGB, which have the character of a crime. The results of this in terms of criminal law have not yet been discussed in the debate on the punishability of child pornography. The same applies to § 16 (2) StGB, which is rarely used in practice, and which has recently appeared in connection with § 184b StGB and § 184c StGB. A number of recommendations to the legislature can be derived from a consideration of the interrelationships between these provisions.

I. Einleitung

Die §§ 184b StGB und 184c StGB haben vor Kurzem die Aufmerksamkeit am Strafrecht Interessierter in zweifacher Weise auf sich gezogen: einmal durch eine interessante Entscheidung des BGH[1] zur Anwendbarkeit des § 16 Abs. 2 StGB auf diese Straftatbestände und das andere Mal wegen aus verschiedenen Richtungen erhobener Forderung nach Entschärfung der Verbrechensvorschrift § 184b StGB. Bemerkenswert ist, dass beide Themenkomplexe eine tätergünstige rechtliche Beurteilung betreffen. In dem einen Fall – dem des BGH − geht es um die (tatsächlich praktizierte) Anwendung des geltenden Rechts, in dem anderen Fall um die (gewünschte) Änderung des geltenden Rechts durch den Gesetzgeber. Bei der kritischen Beurteilung der Gegenstände bietet sich jeweils eine Einbeziehung der in Theorie und Praxis eher randständigen Vorschrift § 30 StGB an. Sie wird nämlich zeigen, dass die Täterbegünstigung in dem einen Fall eine falsche Wertung beinhaltet und in dem anderen Fall wertungsmäßig richtig ist. In beiden Fällen bedarf daher das entgegenstehende geltende Recht der Korrektur. Für beide Korrekturen ist der Gesetzgeber zuständig. Denn rechtsanwendungstechnisch − durch Auslegung oder Analogie − sind die gewünschten Ergebnisse auf der Grundlage des geltenden Gesetzes nicht zu erreichen.

II. § 16 Abs. 2 StGB bei irriger Annahme von Jugendpornographie

1. Entscheidung des BGH

a) Strafbarkeit wegen Versuchs

Der Entscheidung des 4. Strafsenates des BGH lag ein Fall zugrunde, in dem objektiv-tatbestandsmäßiges Handeln und Vorsatz des Täters auseinanderfielen. Der Täter hatte eine Videoaufzeichnung von einem tatsächlichen Geschehen mit kinderpornographischem Inhalt hergestellt, also den objektiven Tatbestand des § 184b Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StGB erfüllt.[2] Er stellte sich aber vor, der aufgenommene Darsteller sei älter als 14 Jahre, also Jugendlicher. Der Vorsatz bezog sich nicht auf den Tatbestand des § 184b Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StGB, sondern auf den Tatbestand des § 184c Abs. 1 Nr. 3 StGB. Eine Strafbarkeit aus § 184b Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StGB war deshalb gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 StGB nicht begründet.[3] Die Voraussetzungen einer Strafbarkeit wegen vollendeter Tat gemäß § 184c Abs. 1 Nr. 3 StGB waren auch nicht erfüllt, weil die Videoaufzeichnung keinen jugendpornographischen Inhalt hatte. Der Täter hatte also einen (untauglichen) Versuch gemäß §§ 184c Abs. 1 Nr. 3, 22 StGB begangen. Dieser ist gemäß § 184c Abs. 5 StGB mit Strafe bedroht.

b) Vollendungsstrafbarkeit gemäß § 16 Abs. 2 StGB

Eine Strafbarkeit wegen einer vollendeten Straftat auf der Grundlage des Tatbestandes § 184c Abs. 1 Nr. 3 StGB wäre möglich, wenn der Fall in den Anwendungsbereich des § 16 Abs. 2 StGB fiele. Diese Vorschrift ermöglicht eine Bestrafung wegen eines vollendeten milderen Delikts, obwohl der objektive Tatbestand dieses milderen Delikts nicht erfüllt ist.[4] Das lässt sich demonstrieren an dem Hauptanwendungsbeispiel, der irrigen Annahme des Täters einer Tötung auf Verlangen, § 216 StGB.[5] Stellt sich der den objektiven Tatbestand des Totschlags (§ 212 Abs. 1 StGB) erfüllende Täter irrtümlich vor, das Opfer habe ihn durch ein ausdrückliches und ernstliches Verlangen zur Tötung bestimmt, ist er wegen vollendeter Tötung auf Verlangen strafbar.  Da ein Tötungsverlangen tatsächlich aber nicht vorlag, hat er eigentlich nur den (untauglichen) Versuch einer Tötung auf Verlangen begangen.[6] Den Schuldspruch auf diesen Versuch zu beschränken wäre aber eine ungerechtfertigte Überprivilegierung des Täters. Denn läge der Tat wirklich ein wirksames Tötungsverlangen zugrunde, wäre der Täter wegen vollendeter Tötung auf Verlangen strafbar. Es wäre ein klarer Wertungswiderspruch, wenn der Täter im Falle irrtümlich angenommenen Tötungsverlangens besser stünde. Die Strafbarkeit darf nicht auf bloßen Versuch reduziert werden, wenn objektiv sogar der schwerere Tatbestand Totschlag verwirklicht wurde. Einer Strafbarkeit wegen Totschlags wiederum steht der „mildere“ Vorsatz entgegen. Der richtige „Mittelweg“  zwischen  vollendetem  Totschlag  und versuchter Tötung auf Verlangen ist die vollendete Tötung auf Verlangen. Diese Strafbarkeit ermöglicht die Norm des § 16 Abs. 2 StGB.[7]

Das LG Bochum hatte den Angeklagten wegen vollendeter Tat gemäß § 184c Abs. 1 Nr. 3 StGB verurteilt und dies mit § 16 Abs. 2 StGB begründet.[8] Für die Anwendung des § 16 Abs. 2 StGB auf die Fehleinschätzung des tatbestandsmäßigen Alters bei § 184b StGB und § 184c StGB könnte das unterschiedliche gesetzliche Strafmaß der beiden Strafvorschriften sprechen. Taten in Bezug auf kinderpornographische Inhalte sind auf grundtatbestandlicher Ebene mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bedroht, § 184b Abs. 1 S. 1 StGB, Taten in Bezug auf jugendpornographische Inhalte auf der grundtatbestandlichen Ebene mit Freiheitsstrafe von einem Monat (§ 38 Abs. 2 StGB) bis zu drei Jahren, § 184c Abs. 1 StGB. Das Gesetz § 184c Abs. 1 StGB ist also eindeutig „milder“ als das Gesetz § 184b Abs. 1 S. 1 StGB.[9] Dennoch ist nach Ansicht des BGH § 16 Abs. 2 StGB auf diesen Fall nicht anwendbar.[10] Dem ist entgegen der eigenen in der ZStW[11] gemachten Ausführungen zuzustimmen. Der BGH hat sich zu Recht dem dortigen Vorschlag zur Behandlung der Fehlvorstellung über das Alter der abgebildeten minderjährigen Person nicht angeschlossen. § 16 Abs. 2 StGB soll nach dem Willen des Gesetzgebers allein die Konstellation eines objektiv erfüllten Grundtatbestandes bei zugleich irrtümlich vorgestellter Erfüllung eines Privilegierungstatbestandes normieren. Zwischen den beiden Straftatbeständen, um die es geht, muss also das systematische Verhältnis von Grundtatbestand und Privilegierungstatbestand bestehen.[12] Der Grundtatbestand ist dabei in den Privilegierungstatbestand eingeschlossen. Die „mildere“ Vorschrift fügt dem Tatbestand privilegierende – unrechtsmindernde – Merkmale hinzu. Mit der Verwirklichung des Privilegierungstatbestandes geht also stets auch die Verwirklichung des Grundtatbestandes einher. Das ist im Verhältnis zwischen § 212 StGB und § 216 StGB der Fall. Wer Tötung auf Verlangen begeht, verwirklicht den objektiven und subjektiven Tatbestand des Totschlags. Zwischen § 184b StGB und § 184c StGB besteht ein solches Einschlussverhältnis nicht. Wer den Tatbestand des § 184c StGB erfüllt, der erfüllt zwar weite Teile des Tatbestandes des § 184b StGB. Er erfüllt aber den Tatbestand des § 184b StGB nicht vollständig. Denn ein Jugendlicher ist 14 Jahre alt oder älter und daher nicht zugleich „Kind“. Die Straftatbestände § 184b StGB und § 184c StGB schließen sich also gegenseitig aus.[13] § 184b StGB ist nicht der Grundtatbestand im Verhältnis zu § 184c StGB. Diese Vorschrift normiert deshalb auch keinen Privilegierungstatbestand, obwohl sie ein „milderes“ Gesetz im Vergleich zu § 184b StGB ist.

§ 16 Abs. 2 StGB ist also nicht anwendbar, eine Strafbarkeit wegen vollendeter Herstellung eines jugendpornographischen Inhalts somit nicht begründbar. Dass dies für den Täter eine unverdiente Besserstellung − er wäre wegen vollendeter Tat aus § 184c StGB strafbar, wenn die abgebildete Person tatsächlich älter als 14 Jahre gewesen wäre[14] − ist, bedarf keiner Erläuterung. Es ist offensichtlich. Auf der Sanktionsebene ist ein Übermaß an Privilegierung vermeidbar, da die Strafmilderung wegen Versuchs fakultativ ist, § 23 Abs. 2 StGB.[15] Anders ist die Rechtslage, wenn an der Tat ein Anstifter oder Gehilfe beteiligt ist. Dann verspricht die geltende Gesetzeslage sogar Straflosigkeit, wo Strafbarkeit angemessen wäre.

2. Straflosigkeit nach § 30 StGB

Strafbarkeit des Täters aus § 184c StGB schließt die Herabstufung der Tat auf Versuchsniveau nicht aus, wohl aber Strafbarkeit eines Anstifters und eines Gehilfen. Versuchte Anstiftung ist strafbar, wenn sie sich auf ein Verbrechen bezieht, § 30 Abs. 1 StGB. Versuchte Beihilfe ist überhaupt nicht strafbar. Die Tatbestandsvarianten des § 184c Abs. 1 bis Abs. 3 StGB sind Vergehen, § 12 Abs. 2 StGB. Daher ist der Versuch, den Täter zur Verwirklichung eines dieser Tatbestände zu bestimmen, nicht nach § 30 Abs. 1 StGB strafbar. Diese Straflosigkeit erscheint wertungsmäßig inkonsequent, wenn der Täter durch die „Bestimmung“ des Anstifters tatsächlich zur Begehung einer vollendeten Tat motiviert wurde, die zwar nicht den Tatbestand des § 184c StGB, wohl aber den Tatbestand des § 184b StGB erfüllte. Dem letzten Halbsatz das Wort „sogar“ einzufügen, wäre angesichts der Verwandtschaft der beiden Tatbestände einerseits und des zwischen ihnen bestehenden Sanktionsgefälles andererseits gewiss kein sprachlicher Fehlgriff. Der Anstifter hat objektiv mehr Unrecht bewirkt als er bewirken wollte, kommt deswegen aber in den Genuss einer günstigeren strafrechtlichen Behandlung, als wenn er objektiv nur das bewirkt hätte, was er bewirken wollte. Im letzteren Fall hätte er eine vollendete Anstiftung begangen, die strafbar ist. Im erstgenannten Fall soll es nur eine versuchte Anstiftung sein, die nicht strafbar ist!

Richtete sich der Vorsatz des Anstifters auf eine Haupttat, die den Tatbestand des § 184c StGB erfüllt, scheidet Strafbarkeit wegen Anstiftung zu einer kinderpornographischen Tat gemäß §§ 184b, 26 StGB mangels Vorsatzes aus. Da der Täter den Tatbestand, auf den der Vorsatz des Anstifters sich bezog (§ 184c StGB), nicht erfüllt und nicht einmal zu erfüllen versucht hat, ist die Anstiftung zu dieser Tat im Versuchsstadium stecken geblieben. Hätte der Täter einen jugendpornographischen Inhalt hergestellt, wäre der Anstifter aus §§ 184c, 26 StGB strafbar. Dasselbe Ergebnis wäre bei der § 184b StGB verwirklichenden Haupttat aus § 16 Abs. 2 StGB ableitbar. Da dieses Ergebnis wertungsmäßig richtig ist, schmerzt die Lücke, die das geltende Recht reißt, mehr als beim Täter. Es gibt keinen Grund, den Anstifter straflos zu lassen, der den Täter erfolgreich zur Begehung einer Tat bestimmt hat, die derselben Gattung von Unrechtstyp – „Verbreitung, Erwerb und Besitz von minderjährigenpornographischen Inhalten“ − angehört wie die Tat, die der Anstifter sich vorstellte und die einen höheren Unrechtsgehalt hat als die Tat, die der Anstifter sich vorstellte. Die Gattungsgemeinschaft beruht darauf, dass beide Tatbestände sich auf minderjährige Personen (Kinder, Jugendliche) beziehen. Daher ist es für den Gesetzgeber ein Leichtes, das positive Recht so umzugestalten, dass § 16 Abs. 2 StGB anwendbar wird und vernünftige Ergebnisse möglich werden. Er muss in die Tatbestandsgestaltung den Oberbegriff „Minderjährige“ einbeziehen und die Begriffe „Kind“ und „Jugendlicher“ zur Schaffung entweder eines Qualifikationstatbestandes oder eines Privilegierungstatbestandes verwenden (dazu unten 4.).[16]

3. Der umgekehrte Fall

Stellt sich der Täter irrtümlich vor, Gegenstand seiner objektiv jugendpornographischen (§ 184c StGB) Tat sei ein kinderpornographisches Medium, ist er wegen (untauglichen) Versuchs aus §§ 184b, 22 StGB strafbar.[17] Vollendungsstrafbarkeit aus § 184c StGB ist nicht begründet, weil der Vorsatz keinen Jugendlichen, sondern ein Kind erfasst, § 16 Abs. 1 S. 1 StGB. Wertungsmäßig wäre Vollendungsstrafbarkeit das richtige Ergebnis, weil der auf „plus“ (Kinderpornographie) gerichtete Vorsatz das „minus“ (Jugendpornographie) mitumfasst.[18] Der Gesetzeswortlaut lässt indessen eine solche Argumentation nicht zu. Ein Anstifter, der meint den Täter zu einer kinderpornographischen Tat zu bestimmen, ist aus §§ 184b, 30 Abs. 1 StGB strafbar. Strafbarkeit aus §§ 184c, 26 StGB entfällt. Ein Gehilfe bleibt straflos. Konstruktiv begeht er versuchte Beihilfe zu einer kinderpornographischen Haupttat. Obwohl diese ein Verbrechen ist, bleibt der Beihilfeversuch straflos.

4. Korrektur durch den Gesetzgeber

Eine entsprechende Anwendung des § 16 Abs. 2 StGB auf den Fall des BGH und ähnliche Konstellationen ist nicht möglich, verstieße auch gegen Art. 103 Abs. 2 GG.[19] Die Rechtsgrundlage für das materiell richtige Ergebnis kann nur der Gesetzgeber schaffen.[20] Damit § 16 Abs. 2 StGB auf das Verhältnis von § 184b StGB und § 184c StGB anwendbar wird, muss ein Grundtatbestand konstruiert werden, im Verhältnis zu dem der Tatbestand der „Jugendpornographie“ ein Privilegierungstatbestand ist. Der Grundtatbestand müsste alle Minderjährigen – also Jugendliche von 14 bis 18 Jahren sowie Kinder unter 14 Jahren – erfassen und eine höhere Strafdrohung haben, als der Privilegierungstatbestand, der sich allein auf Jugendliche bezieht.[21] Die Regelung − Version 1 − könnte so aussehen:

„Wer einen pornographischen Inhalt herstellt, der ein tatsächliches Geschehen mit einer Person unter achtzehn Jahren (Minderjähriger) wiedergibt, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft. Hat der Minderjährige das vierzehnte Lebensjahr schon vollendet, ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe.“

Einfacher lässt sich das gewünschte Bestrafungsergebnis jedoch dadurch erreichen, dass man dem Grundtatbestand keinen Privilegierungstatbestand, sondern einen Qualifikationstatbestand gegenüberstellt. Letzterer wäre der Kinderpornographietatbestand. Die Norm − Version 2 − sähe dann so aus:

„Wer einen pornographischen Inhalt herstellt, der ein tatsächliches Geschehen mit einer Person unter achtzehn Jahren (Minderjähriger) wiedergibt, wird mit Freiheitstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren besteht. Hat der Minderjährige das vierzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet, ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.“

Auf der Grundlage dieser Version 2 macht sich ein Täter, der eine kinderpornographische Schrift herstellt und irrig annimmt, die betroffene Person sei Jugendlicher, wegen Vollendung des Grundtatbestandes strafbar. Der Strafbarkeit aus dem Qualifikationstatbestand steht § 16 Abs. 1 S. 1 StGB entgegen. Auf Grundlage der Konstellation Grundtatbestand-Privilegierungstatbestand (Version 1) resultiert dasselbe Ergebnis aus der Anwendung der § 16 Abs. 2 StGB. Für die Strafbarkeit eines Anstifters, der den Täter zur Verwirklichung des „schwächeren“ Tatbestandes bestimmen will, gilt entsprechendes. Er ist strafbar wegen Anstiftung zu der vollendeten Tat des Täters, die den Privilegierungstatbestand (Version 1) bzw. den Grundtatbestand (Version 2) erfüllt. Strafbar wäre auch der sich irrende Gehilfe, der vollendete Beihilfe zur vollendeten Tat des Täters begeht.

Im umgekehrten Irrtumsfall (objektiv Jugendpornographie; subjektiv Kinderpornographie) ist der Täter wegen vollendeten jugendpornographischen Delikts in Tateinheit mit dem Versuch eines kinderpornographischen Delikts strafbar. Für den Anstifter gilt entsprechendes: § 26 StGB bezüglich Jugendpornographie, § 30 Abs. 1 StGB bezüglich Kinderpornographie. Ein Gehilfe ist wegen Beihilfe zur vollendeten jugendpornographischen Haupttat strafbar, die versuchte Beihilfe zur kinderpornographischen Tat bleibt straflos.

III. Verbrechensqualität der Kinderpornographiedelikte

1. Entscheidung des Gesetzgebers 

Mit Ausnahme der Fälle des § 184b Abs. 1 S. 2 StGB sind alle Tatbestandsvarianten des § 184b StGB Verbrechen, § 12 Abs. 1 StGB. Der Versuch ist deshalb gemäß § 23 Abs. 1 StGB[22] mit Strafe bedroht, sämtliche Varianten der „versuchten Beteiligung“ gemäß § 30 StGB beziehen § 184b StGB in ihren Anwendungsbereich mit ein.[23] Die Hochstufung auf Verbrechensniveau beruht auf dem Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder vom 16.6.2021. Strafprozessuale Konsequenz ist unter anderem die Nichtanwendbarkeit der §§ 153, 153a StPO. Dies hat zur Folge, dass die Strafverfolgungsbehörden auf Fälle geringfügiger Tatbestandsverwirklichung nicht mehr angemessen reagieren können. An das Bundesjustizministerium hat die Strafrechtspraxis die Bitte herangetragen, die Strafrechtsverschärfung rückgängig zu machen.[24]

2. Hypertrophe Strafbarkeit nach § 30 StGB

Gewiss ohne nennenswerte praktische Relevanz, der Bewertung der Strafvorschrift als von vernünftigen Menschen in einem Anwendungsfälle antizipierenden Verfahren geschaffenes vernünftiges Recht gleichwohl entgegenstehend ist die Vermehrung von Bestrafungsmöglichkeiten im Vorfeld von Rechtsgutsbeeinträchtigungen auf Grundlage des § 30 StGB. Praktische Fälle, so sie denn vorkommen, werden wahrscheinlich nicht zur Kenntnis der Strafverfolgungsbehörden gelangen. Sollte das aber einmal doch der Fall sein, wäre die Staatsanwaltschaft zur Einleitung eines Strafverfahrens verpflichtet, aus dem sie auch nicht mehr über §§ 153, 153a StPO „aussteigen“ könnte. Ein kluger Gesetzgeber gestaltet das materielle Strafrecht von vornherein so, dass Strafverfolgungsbehörden nicht in die Verlegenheit gebracht werden, Taten verfolgen zu müssen, die der Bestrafung nicht würdig oder nicht bedürftig sind.

Welche absurden Straftatfälle das geltende Recht möglich macht, soll mit einem einzigen Fall – der noch nicht einmal die Verweisung in § 30 Abs. 1 S. 3 StGB auf § 23 Abs. 3 StGB verwertet[25] − typischer „Lehrbuch-Kriminalität“ gezeigt werden:

Nach dem Tod des A sagt dessen früherer Arbeitskollege B zum Sohn S des Verstorbenen: „Dein Vater hatte auf dem Dachboden eine interessante Sammlung von Amateurvideos mit pornographischen Aufnahmen von nackten Jungen und Mädchen unter 14 Jahren. Ich würde dir diese Videos abkaufen“. S ist einverstanden und verspricht, auf dem Dachboden nach den Videos zu suchen. Tatsächlich existierten solche Aufnahmen nicht.

Sofern S in dem Haus des verstorbenen Vaters wohnt, dürfte seine Antwort auf das Angebot des B bereits ein untauglicher Versuch des Besitzes kinderpornographischer Inhalte sein. Das ist strafbar gemäß §§ 184b Abs. 3, 22 StGB. Schon das ist eine zweifelhafte Straftatkonstruktion. Auf jeden Fall ist die Verkaufsvereinbarung von S und B wegen § 30 StGB ein beidseitiges strafbares Geschäft. Beide haben sich gegenseitig „bereit erklärt“, ein Verbrechen zu begehen, nämlich § 184b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und § 184b Abs. 3 StGB i.V.m. § 30 Abs. 2 Var. 1 StGB. Zugleich erfüllen sie jeweils dem anderen gegenüber auch die Variante „Annahme eines Erbietens“, § 30 Abs. 2 Var. 2 StGB. Gesetze, die Quelle derart skurriler Skizzen von Straftaten sind, bedürfen der Reparatur, denn sie sind zu weit geraten.

3. Korrektur durch den Gesetzgeber

Die Absenkung des gesetzlich angedrohten Mindeststrafmaßes, mit der die Tatbestände von der Verbrechensebene auf die Vergehensebene zurückgeführt werden, würde dem ganzen Spuk einer hypertrophen Strafbarkeit aus § 30 StGB ein Ende bereiten. Mehr an Gesetzeskorrektur braucht dem Gesetzgeber nicht empfohlen zu werden, zumal dadurch das Tor zur Anwendung der §§ 153, 153a StPO wieder geöffnet würde.

IV. Schluss

Nicht nur der Kritik an der Verschärfung des § 184b StGB geben die durch Anwendung des § 30 StGB erzeugbaren Strafbarkeitsbeispiele Nachdruck. Auch die für den Strafwürdigkeits-Test benutzte Vorschrift § 30 StGB selbst hat gar keine oder eine schwache Legitimation.[26] Dieser Schwäche wird gewiss nicht dadurch abgeholfen, dass neue Verbrechenstatbestände wie § 184b StGB kreiert werden und dadurch der Anwendungsbereich des § 30 StGB vergrößert wird. Auch nach der hoffentlich bald erfolgenden Rückführung des § 184b StGB auf Vergehensniveau behält die Frage ihre Berechtigung, ob § 30 StGB überhaupt gebraucht wird oder zumindest eine deutlich eingeschränkte Version dieser Vorschrift ausreichend wäre.

 

[1]      BGH, Beschl. v. 19.10.2022 – 4 StR 168/21 = NJW 2022, 3795; NStZ 2023, 219.
[2]      BGH (Fn. 1), Rn. 8.
[3]      Kudlich/Lang, NJW 2022, 3797; Mitsch, ZStW 124 (2012), 323 (337).
[4]      BGH (Fn. 1), Rn. 14.
[5]      BGH, NStZ 2012, 85 (86); Fischer, StGB, 70. Aufl. (2023), § 216 Rn. 11; Frister, Strafrecht Allgemeiner Teil, 9. Aufl. (2020), 11/32; Gropp/Sinn, Strafrecht Allgemeiner Teil, 5. Aufl. (2020), § 13 Rn. 124; B. Heinrich, Strafrecht Allgemeiner Teil, 7. Aufl. (2022), Rn. 1077; Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts Allgemeiner Teil, 5. Aufl. (1996), § 29 V 5 a; Joecks/Kulhanek, in: MüKo-StGB, Bd. 1, 4. Aufl. (2020), § 16 Rn. 107; Knobloch, JuS 2010, 864 (866); Kühl, Strafrecht Allgemeiner Teil, 8. Aufl. (2017), § 13 Rn. 16; Maurach/Zipf, Strafrecht Allgemeiner Teil I, 8. Aufl. (1992), § 23 Rn. 21; Momsen, in: SSW-StGB, 5. Aufl. (2021), § 216 Rn. 9; Murmann, Grundkurs Strafrecht, 7. Aufl. (2022), § 24 Rn. 41; Neumann/Saliger, in: NK-StGB, 5. Aufl. (2017), § 216 Rn. 18; Puppe, in: NK-StGB, § 16 Rn. 3; Rengier, Strafrecht Besonderer Teil II, 23. Aufl. (2022), § 6 Rn. 14; Roxin/Greco, Strafrecht Allgemeiner Teil I, 5. Aufl. (2020), § 12 Rn. 139; Schneider, in: MüKo-StGB, Bd. 4, 4. Aufl. (2021), § 216 Rn. 55; Eser/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. (2019), § 216 Rn. 14; Vogel/Bülte, in: LK-StGB, Bd. 1, 13. Aufl. (2020), § 16 Rn. 105; Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht Allgemeiner Teil, 52. Aufl. (2022), Rn. 1327. Wie mit dem Wortlaut des § 216 Abs. 1 StGB zu vereinbaren sein soll, dass die irrige Annahme eines nicht existierenden Tötungsverlangens kein Fall des § 16 Abs. 2 StGB sei, weil „es letztlich allein auf die von § 16 II nicht erfaßte (zutreffende oder unzutreffende) Vorstellung des Täters“ ankomme (so z.B. Franke, JuS 1980, 172 [174]), ist das Geheimnis der diese Ansicht vertretenden Autoren.
[6]      Küper, Jura 2007, 260 (261).
[7]      Küper, Jura 2007, 260 (264); Rengier, BT II, § 6 Rn. 15.
[8]      BGH (Fn. 1), Rn. 9.
[9]      Der Wortlaut des § 16 Abs. 2 StGB steht daher der Einbeziehung des vorliegenden Falles nicht entgegen, so auch Kudlich/Lang, NJW 2022, 3797 (3798).
[10]    BGH (Fn. 1), Rn. 10; zust. Kulhanek, NStZ 2023, 220 (221).
[11]    Mitsch, ZStW 124 (2012), 323 (338); ebenso Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, § 184c Rn. 23; Hörnle, in: MüKo-StGB, § 184b Rn. 56; § 184c Rn. 25.
[12]    BGH (Fn. 1), Rn. 13.
[13]    BGH (Fn. 1), Rn. 17.
[14]    Kudlich/Lang, NJW 2022, 3797 (3798).
[15]    Kulhanek, NStZ 2023, 220 (221).
[16]    Mitsch, ZStW 124 (2012), 323 (335).
[17]    Mitsch, ZStW 124 (2012), 323 (330).
[18]    Mitsch, ZStW 124 (2021), 323 (334).
[19]    BGH (Fn. 1), Rn. 19; Kudlich/Lang, NJW 2022, 3797 (3798).
[20]    Kulhanek, NStZ 2023, 220 (221).
[21]    Kudlich/Lang, NJW 2022, 3797 (3798).
[22]    § 184b Abs. 4 StGB bezieht sich allein auf § 184b Abs. 1 S. 2 StGB, Fischer, StGB, § 184b Rn. 39.
[23]    Heger, in: Lackner/Kühl, StGB, 30. Aufl. (2023), § 184b Rn. 1.
[24]    Suliak, LTO v. 13.3.2023.
[25]    Eindrucksvoll dazu das „Schaufensterpuppen“-Beispiel bei Zaczyk, in: NK-StGB, § 30 Rn. 30 („ein solches Strafrecht macht sich lächerlich“).
[26]    Zaczyk, in: NK-StGB, § 30 Rn. 4.

 

 

 

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