2022, Verlag C.F. Müller, ISBN: 978-3-8114-5418-7, S. 308, Euro 89,00.
Im Vorwort heißt es, dass sich dieser Band um eine „umfassende Zusammenführung des empirischen Wissens zum Whistleblowing“ bemüht, wobei es nicht nur um die Aufbereitung vorhandener Literatur, sondern auch um die Darstellung eigener Forschungsprojekte geht (S. V). Interessant ist dieser Band daher schon deshalb, weil das Hinweisgeberschutzgesetz im Juli 2023 in Kraft getreten ist und man sich von der Lektüre insoweit eine Art Grundlegung verspricht sowie ein Grünbuch, an dem man die gesetzliche Umsetzung messen kann.
Begonnen wird in Kapitel 1 mit dem Whistleblowing als Gegenstand der gesellschaftlichen Reflexion. Kölbel/Herold/Wienhausen-Knezevicbeschreiben hier den Sprachgebrauch, Verwendungskontext und die Herkunft und Entwicklung des Begriffs des Whistleblowings. Letztlich sei nach sämtlichen Ansätzen das Whistleblowing durch die Mitteilung von Missstands-relevanten Informationen charakterisiert (S. 12). Die wichtigste Unterscheidung liege in der Art und Weise zwischen internem und externem Whistleblowing (S. 17).
Im zweiten Kapitel wird dem Whistleblowing als Gegenstand empirischer Analysen nachgespürt und der Logik und den Methoden in der Forschung nachgegangen. Kölbel/Herold zeichnen zunächst die Entwicklung der Whistleblowing-Forschung nach, bevor sie das Spektrum der empirisch-analytischen Forschung überblicksartig darstellen. Dabei zeigen sie auch Grenzen der empirisch-analytischen Vorgehensweise auf, die sie in einen eigenen Forschungsansatz überführen. Es gehe um die Untersuchung charakteristischer Entscheidungs- und Eskalationsprozesse, die Whistleblowing-bezogene Institutionenforschung sowie die Whistleblowing-bezogene Kulturforschung (S. 39).
Das dritte Kapitel spürt dem Whistleblowing als Individualphänomen nach und benennt Faktoren und Prozesse der Mitteilungsentscheidung. Zunächst wird das Whistleblowing im Spannungsfeld von Transparenz und Geheimhaltung beschrieben, bevor sich den Verlaufsmodellen zugewandt wird. Dabei vertritt der Autor Herold ein eigenes Modell, das an die Grundvorstellung eines Standardmodells anknüpft und zwischen objektivem und subjektivem Verlauf differenziert. Zusammengetragen werden hier diverse Zitate aus einer qualitativen Studie, die „typische Gesamtverläufe“ wiedergeben (S. 66).
Der Verfasser kommt zu dem Schluss, dass es sich bei Whistleblowing um ein Handlungsphänomen handele, das grundsätzlich nicht auf einzelnen Faktoren beruhe, sondern ein Zusammenspiel aus Einflussgrößen und dem sozialen Meta-Bereich verschiedener Interessenpositionen darstelle (S. 82). Daher komme dem situativen Verlauf vor dem Hintergrund der organisationellen Rahmenebene die größte Bedeutung zu, so dass prinzipiell jede Person in Betracht komme, Whistleblowing zu betreiben (S. 82).
Schließlich wird sich in Kapitel vier der Frage des Whistleblowings als Organisationsform gestellt und das Aufkommen und die Folgen von internem Whistleblowing beschrieben. Auch im Rahmen dieser Studie von Herold werden Interviews geführt. Konstatiert werden kann folgendes: „dass sich Missstands-Insider zu internem Whistleblowing entschließen, kommt in der Praxis durchaus und wohl auch nicht selten vor“ (S. 123). Allerdings ist nach der Datenlage der Umfang schwer bestimmbar. Außerdem ist das Risiko des Whistleblowers, Repressalien ausgesetzt zu sein, „relativ hoch und ganz überwiegend von organisationell zu verantwortenden, aber auch von managementseitig nur teilweise kontrollierbaren Faktoren abhängig“ (S. 123).
Der Verfasser des vorherigen Beitrags geht im nächsten Schritt der Frage nach, inwieweit es der Implementierung interner Whistleblowing-Systeme bedarf. Auch hier führen qualitative Interviews zu dem Ergebnis, dass die „Leistungsfähigkeit von internen Whistleblowing-Systemen nur bedingt einschätzbar“ sei (S. 155). Hinsichtlich der Implementierungsanforderungen und -schwierigkeiten werden Experteninterviews wiedergegeben und in ein Fazit überführt. Letztlich schneiden interne Whistleblowing-Systeme beim Meldungs-Aufkommen deutlich besser ab als externe staatliche Pendants. Eine entscheidende Rolle spielen weiche sozialkommunikative Aspekte rund um Whistleblowing-affine Organisationskulturen. Denn aus ihnen ergäbe sich aus Sicht der potenziellen Whistleblower, wie sie die Möglichkeiten eines Whistleblowing-Systems im Hinblick auf ihre Bedenken und ihre Erfolgserwartungen subjektiv einstufen. Letztlich steht und fällt das Aktivierungs-, Kanalisierungs- und Kontroll-Potenzial mit dem Grad, mit dem die Bewältigung des Konflikts zwischen Schweigen und Whistleblowing gelingt (S. 170).
Das sechste Kapitel betrachtet das Whistleblowing als Phänomen sozialer Kontrolle und widmet sich dem Aufkommen, den Bedingungen und Folgen von externem Whistleblowing (Kölbel/Herold). Nach einer Einführung wird dem Einfluss externer Whistleblowing-Systeme auf das Meldungsaufkommen nachgespürt und die (rechtlichen) Folgen für externe Whistleblower beschrieben. Es folgt ein Blick auf den organisationellen Umgang mit dem Inhalt der Meldung. Differenziert wird hier zwischen Meldungen gegenüber staatlichen Institutionen und den Medien. Allerdings sei die Forschungslage viel zu unsicher und vorläufig (S. 219), um hier belastbare Ergebnisse zu liefern.
Wienhausen-Knezevic/Herold widmen sich im siebten Kapitel dem Whistleblowing als kulturellem Phänomen (S. 234 ff.). Sie kommen zu dem Schluss, dass je positiver die gesellschaftliche Mehrheit zum Whistleblowing eingestellt ist, desto stärker wird die Meldebereitschaft potenzieller Whistleblower ausfallen (S. 254). Allerdings seien diese Überlegungen vornehmlich theoretischer Natur. Es könne auch nicht ohne weiteres von einer Whistleblowing-freundlichen Kultur ausgegangen werden (S. 255).
In Kapitel 8 beschreibt Balbierz Whistleblowing als politisches Phänomen und zeichnet die Entwicklung des parlamentarischen Diskurses nach (S. 267 ff.). Deutlich wird, dass der Whistleblowerschutz in Deutschland ein sehr junges Objekt der politischen Auseinandersetzung ist. Die Ambivalenz von Whistleblowing äußere sich nicht nur in sehr unterschiedlichen Bewertungen, sondern auch in einer kontroversen Beurteilung im politischen Feld (S. 293 f.). Dies bedürfe der Vertiefung.
Kölbel zeichnet im letzten Kapitel die Sichtweisen und den Stand der empirischen Forschung zum Whistleblowing nach (S. 296 ff.). Nach einer Zusammenfassung der aus den anderen Kapiteln gewonnenen Erkenntnissen stellt er ausblickend fest, dass die empirische Forschung zum Whistleblowing auf einem vorläufigen Stand ist und eine Reihe von Schwächen aufweist. Allerdings lasse der Forschungsstand eine Vielzahl an Betrachtungsweisen zu, die nicht die Frage nach richtig oder falsch aufwerfen, sondern letztlich die Frage des Erkenntnisinteresses. Schließlich bestimme das Gros der Whistleblowing-Realität die alltäglichen, kleinen und unspektakulären Konstellationen. Dies führe zu einer Akzentverschiebung der Betrachtungsweisen.
Der Band 1 zu dem Stand und den Perspektiven der empirischen Forschung zum Whistleblowing, herausgegeben von Kölbel ließ eigentlich einen zweiten Band – zu was? – erwarten. Bislang ist dieser leider ausgeblieben. Es wäre zielführend, gerade nach Umsetzung des Hinweisgeberschutzgesetzes, das Mitte dieses Jahres in Kraft getreten ist, einen weiteren Band um die rechtliche Lage folgen zu lassen. Aber vielleicht ist der ja auch in Vorbereitung. Jedenfalls empfiehlt sich Band 1 für all diejenigen Leser, die jenseits aller Dogmatik auf empirischer Grundlage danach schauen, welche rechtlichen Umsetzungen auch sinnvoll sind.