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KriPoZ-RR 13/2024

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

Amtliche Leitsätze:

  1. Geschütztes Rechtsgut des § 239a StGB ist nicht nur die Willensfreiheit des Genötigten vor einer besonders schwerwiegenden und besonders verwerflichen Nötigung, sondern auch dessen körperliche Integrität.

  2. Der für § 239a Abs. 3 StGB erforderliche qualifikationsspezifische und aus der konkreten Schutzrichtung der Norm zu bestimmende Zusammenhang ist deshalb auch dann gegeben, wenn der Tod des Opfers als Folge der dem Opfer während der Bemächtigungslage widerfahrenen Behandlung eintritt, wobei die Eskalationsgefahr mit zunehmender Dauer der Gefangenschaft regelmäßig zunimmt.

Sachverhalt:

Die Angeklagten fassten den gemeinsamen Plan, dass sie den wohlhabenden und alleinlebenden O., der ein Bekannter des Mitangeklagten A. war, in seinem Haus zu überfallen und dessen Wertgegenstände entwenden. Beide wussten, dass O. wegen seines Gesundheitszustandes bei der Tat versterben könnte. Nach dem Tatplan sollte allein der Angeklagte B. durch die stets geöffnete Terrassentür in die Wohnung einsteigen und O. zur Herausgabe der Wertgegenstände nötigen; der Angeklagte A. sollte wegen seiner Bekanntschaft mit O. und der befürchteten Entdeckungsgefahr fern bleiben. Er sollte nur als Fahrer agieren.

Am Tattag schlich sich B. in das Haus des O. und überwältigte diesen nach einem kurzen Kampf, der nun die Herausgabe seines Geldes anbot. B rief zunächst den A. auf dessen Mobiltelefon an; diesen Anruf nahm A. zum Anlass, um nun selbst zum Tatort zu fahren. Dort angekommen, betrat dieser das Haus durch die Terassentür, während sich B. und O. im Schlafzimmer befanden. Als diese zur weiteren Übergabe von Geldmitteln wieder in den Wohnbereich gingen, kam A. plötzlich aus der Küche. Dieser hatte sich dazu entschieden, O. zu töten, da er der Meinung war, von O. gesehen und erkannt worden zu sein.

In der Folge packte A. den O. von hinten, hielt ihm den Mund zu und würgte diesen mit erheblichem Kraftaufwand für zwei Minuten. Dieser verstarb infolge des Sauerstoffmangels. B. rechnete nicht mit dem Angriff des A., erkannte jedoch spätestens nach einer Minute, dass O. dadurch sterben würde. Er blieb untätig, obwohl ihm ein Eingreifen möglich gewesen wäre.

Das LG hatte den Angeklagten B. nach einer Aufhebung des ursprünglichen Urteils und Zurückverweisung der Sache durch den 1. Strafsenat wegen erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit räuberischer Erpressung und wegen unterlassener Hilfeleistung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und neun Monaten verurteilt.

Entscheidung des BGH:

Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision der Nebenklage hat Teilerfolg. Diese beanstandete, dass das LG zu Unrecht eine Verurteilung auch in Bezug auf die eingetretene Todesfolge ablehnte. Dies sei hinsichtlich einer leichtfertigen Begehungsweise nicht haltbar.

Die von der Kammer getroffene rechtliche Würdigung schöpfe die Feststellungen nicht aus. Diese belegten vielmehr, dass durch das vorsätzliche Sich-Bemächtigen durch B. eine Gefahrenlage für das Leben des O. entstand, die sich in der späteren Eskalation verwirklichte. B. könne der Tod des O. zugerechnet werden. Ein Beteiligter hafte grundsätzlich nur für die Folgen eines unmittelbaren Täters, wenn die Begehung des Grunddelikts i.S.d. § 239 Abs. 1 StGB in seine Vorstellung von der Tat einbezogen wurde; hinsichtlich der schweren Folge genüge Leichtfertigkeit.

Nach diesen Maßstäben erfülle bereits das Verhalten des B. selbst den Tatbestand des § 239a Abs. 1 SGB, indem er sich des O. über einen längeren Zeitraum bemächtigte und eine nicht unerhebliche Zwangslage herstellte. Leichtfertig handele eine Person, die bezogen auf den Todeseintritt einen erhöhten Grad an Fahrlässigkeit aufweise, insbesondere die sich aufdrängende Möglichkeit eines tödlichen Verlaufs aus besonderem Leichtsinn außer Acht lasse. Gleichzeitig müsse sich der Todeserfolg im Rahmen eines für § 239a Abs. 3 StGB erforderlichen qualifikationsspezifischen Zusammenhangs ergeben. Eine wenigstens leichtfertige Todesverursachung durch die Tat sei danach dann anzunehmen, wenn sich im Tod tatbestandsspezifische Risiken verwirklichen, die mit dem Grundtatbestand zusammenhängen.

Der B. schaffe nach der Ansicht des Senats bereits mit der Entführung und Bemächtigung eine erhebliche Gefahrenlage für die körperliche Integrität des Opfers; diese Gefahrenlage nehme mit zunehmender Dauer der Gefangenschaft regelmäßig zu. Die körperliche Integrität sei dahingehend neben der Beeinträchtigung der Willensfreiheit des Genötigten ein von § 239a StGB geschütztes Rechtsgut. Die typische Gefahr für die körperliche Integrität habe sich im vorliegenden Fall verwirklicht. Die Eskalationsgefahr hätte sich danach vor allem durch das Eintreffen des A. erhöht, was für B. auch erkennbar gewesen sei. Der Exzess des A. lasse den Zurechnungszusammenhang zwischen dem von B. begangenen erpresserischen Menschenraub und dem Tod des O. nicht entfallen.

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