Maximilian Schneider: DNA-Analyse und Strafverfahren. Zugleich ein Beitrag zum Verhältnis von Datenschutz- und Strafverfahrensrecht

von Prof. Dr. Anja Schiemann

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2023, Verlag Duncker & Humblot, ISBN: 978-3-428-18766-9, S. 804, Euro 149,90.

Auch wenn es schon zahlreiche Monografien zur DNA-Analyse im Strafverfahren gibt, stößt diese umfangreiche Arbeit von Schneider dennoch in gleich mehrere Lücken, die zu Beginn identifiziert werden (S. 43 ff.). Im zweiten Kapitel werden die naturwissenschaftlichen Grundlagen gelegt, wobei es der Verfasser versteht, sehr knapp und pointiert nicht nur den Aufbau und die Struktur der DNA sowie das Untersuchungsverfahren vorzustellen, sondern auch die Verwertung und den Beweiswert von DNA-Analysen und deren Grenzen.

Kapitel drei widmet sich dem Datenschutz. Dabei wird deutlich, dass das Recht der DNA-Analyse für Zwecke des Strafverfahrens wegen seiner datenschutzrechtlichen Implikationen zahlreichen Vorgaben durch das Völkerrecht, das Unionsrecht und das nationale Verfassungsrecht unterliegt. Jedes dieser Rechtssysteme beinhaltet Rechte des Einzelnen, in die durch die DNA-Analyse unabhängig davon, ob der Spurenleger bekannt oder unbekannt ist, eingegriffen wird. Die Vorgaben des Bundesdatenschutzgesetzes finden ebenfalls bei der DNA-Analyse Anwendung, was Auswirkungen auf die Einwilligungen habe (S. 140).

Der DNA-Analyse als Beweismittel im laufenden Strafverfahren wird facettenreich in Kapitel 3 nachgespürt. Zunächst geht es um die Gewinnung von Untersuchungsmaterial in Form von Körperzellen am oder im menschlichen Körper, insbesondere dem Wangenabstrich. Der Verfasser kommt zu dem Ergebnis, dass der Wangenabstrich einen anderen körperlichen Eingriff i.S.d. § 81a StPO darstellt, allerdings die Eingriffsvoraussetzungen nicht anwendbar seien. Vielmehr sei § 81a StPO so auszulegen, dass es der Hinzuziehung eines Arztes nicht bedürfe, wenn keine Gesundheitsgefahren bestehen, was beim Wangenabstrich der Fall sei (S. 155). Schaue man auf die Körperzellenentnahme bei Dritten gem. § 81c StPO, so könne ein Wangen- oder Vaginalabstrich de lege lata nicht auf Abs. 2 der Norm gestützt werden. Allerdings geböte es die Verfassung, die Maßnahme durchführen zu können, so dass § 81c Abs. 2 StPO analog anzuwenden sei. Aus Gründen der Rechtsklarheit schlägt der Verfasser eine gesetzliche Normierung durch Einfügung eines weiteren Satzes wie folgt vor: „Zum Zwecke einer molekulargenetischen Analyse nach § 81e StPO können Körperzellen auch mittels körperlichen Eingriffs entfernt werden; § 81c Abs. 2 S. 2 StPO findet keine Anwendung“ (S. 165 f.).

Anschließend wird sich dem praktisch bedeutsamen, aber recht umstrittenen Problemkreis des heimlich erlangten Materials  als  Untersuchungsgegenstand  gewidmet. Nach Auffassung Schneiders scheidet § 81e Abs. 1 StPO ggf. i.V.m. §§ 81a, 81c StPO als Ermächtigungsgrundlage aus, da § 81e Abs. 1 StPO die Analyse von auf anderem Weg erlangtem Material nicht gestatte und §§ 81a, 81c StPO ein heimliches Vorgehen verböten. Zwar gäbe der Wortlaut des § 81e Abs. 2 StPO eine Analyse her, jedoch sprächen systematische Argumente dagegen. So wäre es verwunderlich, wenn der Gesetzgeber bei allen anderen heimlichen Vorgehensweisen besondere Schutzmechanismen vorsehen würde, nur bei der DNA-Analyse nicht. Außerdem würde der Verweis auf die Vernichtungsanordnung des § 81a Abs. 3 Hs. 2 StPO gänzlich umgangen, wenn heimlich gewonnene Zellen nach § 81e Abs. 2 StPO analysiert werden könnten. Des Weiteren erforderten heimliche Vorgehensweisen ein erhöhtes Maß an Normklarheit, was de lege lata nicht gegeben sei (S. 192).

Im nächsten Unterkapitel wendet sich der Verfasser Untersuchungs- und Feststellungsverboten zu und geht insbesondere auch auf die Neueinfügung phänotypischer Merkmale durch das Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens 2019 ein. Er kommt zu dem Ergebnis, dass die neue Ermittlungsmethode in § 81e Abs. 2 S. 2 StPO sowohl verfassungs- als auch unionsrechtlich unbedenklich ist. Vorgebrachte Gegenargumente seien vielfach einem überholten molekulargenetischen Verständnis geschuldet. Danach wird sich der Frage gewidmet, ob weitere als die im Gesetz aufgezählten Feststellungen bei Einwilligung des Betroffenen getroffen werden dürfen. Schneider spricht sich mangels expliziter Regelung dagegen aus, zumal die Implikationen des Art. 8 Abs. 2 JI-Richtlinie in diesem Fall umgangen würden (S. 237 f.).

Zweckbindungsgeboten und Verwendungsbeschränkungen wird im folgenden Unterkapitel nachgegangen, bevor sich den formellen Voraussetzungen der DNA-Analyse sowie der Verwertbarkeit von rechtswidrig erlangtem Material zugewandt wird. Es sei vor dem Hintergrund der Notwendigkeit einer effizienten Strafrechtspflege nicht zu beanstanden, dass grundsätzlich auch rechtswidrig erlangte Beweise verwertet werden, solange das Strafverfahren an sich fair verlaufe. Normativer Anknüpfungspunkt bleibe § 261 StPO. Datenschutzrechtliche Belange könnten in die allgemeine strafverfahrensrechtliche Dogmatik integriert werden. Allerdings scheinen, so der Verfasser, die datenschutzrechtlichen Dimensionen bisher nicht ausreichend erkannt worden zu sein (S. 297).

Kapitel 5 behandelt sehr ausführlich die DNA-Reihenuntersuchung nach § 81h StPO. Nach dezidierten Erörterungen kommt der Verfasser zu dem Schluss, dass § 81h StPO „in der jetzigen Fassung weder der Weisheit letzter Schluss noch die größte Fehlleistung des Gesetzgebers in der jüngeren Geschichte ist“ (S. 496). Rechtlich gangbar als alternative Möglichkeiten erscheinen Schneider sowohl die Implementierung einer Ermächtigungsgrundlage für die zwangsweise DNA-Reihenuntersuchung als auch die Eliminierung des Richtervorbehalts. Allerdings würde ersteres an die äußerste Grenze dessen gehen, was verfassungsrechtlich möglich ist. Dagegen wäre eine Abschaffung des Richtervorbehalts eher möglich, es sei aber zu bezweifeln, ob er tatsächlich abgeschafft werden müsse (S. 497).

Entgegen der ganz herrschenden Meinung spricht sich der Verfasser dafür aus, bei Verstößen gegen die Anordnungsvoraussetzungen grundsätzlich von einem Beweisverwertungsverbot auszugehen. Einwilligung und Anordnungsvoraussetzungen könnten nicht isoliert voneinander betrachtet werden, da § 81h StPO beides dergestalt miteinander verknüpfe, dass Anordnungsmängel nur sachgerecht im Hinblick auf die Reichweite der Einwilligung beurteilt werden könnten (S. 519). Unklar bleibe, wann aufgrund von Reihenuntersuchungen gewonnene DNA-Identifikationsmuster zu löschen seien. Hier böte es sich an, die Erforderlichkeit als Löschungsgrund vorzugeben, bspw. durch folgende Formulierung: „Erforderlich sind die Aufzeichnungen in der Regel nicht mehr, wenn inzwischen der Abgleich ergeben hat, dass das DNA-Identifikationsmuster des Teilnehmers nicht mit dem Spurenmaterial übereinstimmt“ (S. 727).

In Kapitel sechs wird sich der DNA-Analyse als Beweismittel für künftige Strafverfahren gewidmet. Hierzu werden § 81g StPO sowie flankierende Vorschriften im BKAG genau analysiert. Neben dem Erfordernis der Anlasstat sei die Negativprognose das entscheidende Kernstück des § 81g StPO. Maßstab sei § 16 Abs. 5 S. 1 Nr. 2 lit. a BKAG, so dass nach allgemeinen Erfahrungswerten die Möglichkeit bestehen muss, dass künftig gegen den Betroffenen Strafverfahren wegen Straftaten von erheblicher Bedeutung zu führen sind (S. 653).

Kriminalpolitische Tendenzen, auf das Erfordernis einer qualifizierten Negativprognose sowie den Richtervorbehalt zu verzichten, lehnt Schneiderab. In quantitativer Hinsicht hätte die Zulassung erweiterter Feststellungen in §§ 81e und 81h StPO dazu geführt, dass den Strafverfolgungsbehörden mehr Daten des Einzelnen zur Verfügung stünden. Die Implementierung der §§ 81g und 81h StPO ermögliche darüber hinaus die Erhebung von Daten von mehr Personen als dem Beschuldigten eines konkreten Strafverfahrens. Damit einher gingen besondere Schutzpflichten hinsichtlich der erhobenen oder zu erhebenden Daten. Dem werde der Wegfall der Notwendigkeit richterlicher Prüfung nicht gerecht. Eine Absenkung der materiellen Anordnungsvoraussetzungen des § 81g StPO führe zu einer Erfassung einer Vielzahl von Personen, so dass das Risiko von Mehrfachtreffern erhöht werde.

Was dieser umfangreichen Arbeit gutgetan hätte, wären Zusammenfassungen der Kapitel fünf und sechs und etwas breitere Ausführungen zum Fazit und den Schlussbemerkungen. Die sehr kleinteilige, facettenreiche Analyse befriedigt den Leser zwar im Detail, insbesondere durch kluge und dezidierte Positionierungen des Verfassers. Gleichwohl wäre es von Vorteil gewesen, die Detailanalysen noch einmal ergebnisorientiert zusammenzustellen und insbesondere die im Untersuchungsgang identifizierten Forschungslücken durch eine Zusammenführung übersichtlich zu schließen.

Letztlich besticht die Dissertation aber nicht nur durch ihren Detailreichtum, sondern auch durch die fleißige und umfassende Literatur- und Rechtsprechungsauswertung. die eine Fundgrube für den interessierten Leser ist. In Sachen Datenschutz und DNA-Analyse ist durch die Monografie ein erster Grundstein gelegt. Es bleibt zu hoffen, dass sich noch weitere Arbeiten an dieser Schnittstelle anschließen.

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