Die Entscheidung im Original finden Sie hier.
Redaktioneller Leitsatz:
Die Feststellung des Tötungsvorsatzes muss anhand einer Gesamtbetrachtung der Umstände des Einzelfalles vorgenommen werden; allein die Gefährlichkeit der konkreten Handlung reicht nicht aus, um einen entsprechenden Vorsatz anzunehmen.
Sachverhalt:
Der Angeklagte war mit zwei Zeugen (Z. und Ny.) und dem späteren Opfer (N.) in der im zweiten Obergeschoss gelegenen Wohnung des Ny. Angesichts eines erheblichen Alkohol- und Kokainkonsums der vier Personen war die Stimmung aufgeheitert; insbesondere fühlte sich der Angeklagte zum als Frau auftretenden Ny. hingezogen. Der eifersüchtige homosexuelle N. wies den Angeklagten darauf hin, dass es sich bei Ny. um einen Mann handele, woraufhin der Angeklagte in Rage gerat. Der Angeklagte schob N. in Richtung des geöffneten Fensters und stieß ihn gegen die herabgelassenen Rollladen, woraufhin diese einseitig brachen und N. sechs Meter hinab auf den Gehweg stürzte. Hierbei erlitt der Geschädigte N. lebensgefährliche Kopfverletzungen, die dieser jedoch überlebte. Jedoch kann N. nur noch eingeschränkt laufen und sprechen.
Das LG hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit schwerer und gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung einer anderen Strafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt.
Entscheidung des BGH:
Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg. Insbesondere der vom Tatgericht entschiedene Schuldspruch kann keinen Bestand haben; nach Ansicht des BGH können die Feststellungen zur subjektiven Tatseite nicht tragfähig belegt werden.
Grundsätzlich ist für einen bedingten Vorsatz notwendig, dass einerseits der Todeseintritt als mögliche Folge des Handelns erkannt und dies billigend in Kauf genommen wird. Diese Prüfung berücksichtigt auch die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung und die konkrete Angriffsweise sowie die psychische Verfassung des Täters bei Tatbegehung. Jedoch ist das Vorliegen eines Vorsatzes nur auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung festzustellen.
Diesen Anforderungen werde das Urteil des LG nicht gerecht. Insbesondere sei die Gefährlichkeit der Tathandlung und die Wahrscheinlichkeit des Erfolgseintritts keine maßgeblichen Umstände; es komme auch bei besonders gefährlichen Handlungen auf die Umstände des Einzelfalls an. Dies gelte insbesondere bei spontanen, unüberlegt oder in affektiver Erregung ausgeführten Handlungen. Gerade die alkoholbedingte Enthemmung des Täters ist vielmehr zur Entkräftung des Tötungsvorsatzes in den Blick zu nehmen. Dass der Täter den Geschädigten für seine vermeintliche Täuschung bestrafen wollte, sei nur dahingehend relevant, dass dies Rückschlüsse auf dessen Bereitschaft zur Inkaufnahme der schweren Folgen seines Handelns zulasse.