Janick Haas: Zur Notwendigkeit und Umsetzung einer eigenständigen Strafbarkeit des Betreibens von digitalen Handelsplattformen. Eine kritische Analyse von § 127 StGB n.F. im Lichte des Vorbereitungsstrafrechts

von Prof. Dr. Anja Schiemann 

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2024, Duncker & Humblot, ISBN: 978-3-428-19020-1, S. 364, Euro 99,90.

Die Vorschrift des § 127 StGB wurde bereits 2021 ins Strafgesetzbuch eingefügt (BGBl. I, 3544) und war Folge einer schon länger schwelenden Debatte und eines über zwei Jahre andauernden Gesetzgebungsprozesses. Schon einführend bringt es Haas auf den Punkt: politische Triebfeder für die Schaffung neuer digital geprägter Strafnormen sei der (veraltete) Zuschnitt des Strafrechts auf die analoge Welt, so dass es zur Erfassung von besonderen, digitalen, strafwürdigen Verhaltensweisen neuer Regelungen bedürfe (S. 19 f.). Dieses Narrativ macht sich die Dissertation nicht zu eigen, sondern untersucht vielmehr zum einen, ob die Vorschrift überhaupt notwendig war und zum anderen, welche Anforderungen an die Umsetzung einer solchen Verbotsnorm zu stellen sind (S. 20).

Dazu werden zunächst in Kapitel 1 die Grundlagen geschaffen, indem Begriffsbestimmungen getroffen und technische Fragestellungen geklärt werden. Da die Bereithaltung von digitalen Handelsplattformen zwangsläufig mit einer auf gewisse Dauer angelegten Tätigkeit verbunden sei, müsse die Normierung der Strafbarkeit wegen Betriebs einer digitalen Handelsplattform jedenfalls als Dauerdelikt ausgestaltet sein. Für das für den Betrieb der Plattform erforderliche Maß an Eigenverantwortung kämen Personen aus den Aufgabenbereichen der technischen Administration und der Moderation der Plattform in Betracht, wobei die Eigenverantwortung untereinander abgestuft sein könne (S. 43 f.).

Das Unrecht des Betriebs einer digitalen Handelsplattform zeichne sich auf objektiver Ebene durch die Bereithaltung von Infrastruktur aus, die es den Handeltreibenden ermögliche, möglichst konfliktarm und anonym illegale Waren und Dienstleistungen weitgehend ohne geografische Grenzen in der Regel gegen ein Entgelt zu vertreiben. Erst der Betrieb der Handelsplattform mit der Intention, illegales Verhalten gerade über die Plattform jedenfalls zu fördern, zeigt den spezifischen Angriffsweg durch den Betrieb an sich auf. Die Schutzgegenstände der späteren Haupttat sowie der Vorbereitung durch den Betrieb der Plattform seien aus diesem Grund identisch. Der Betrieb einer Darknet-Plattform sei durch diesen Bezug zwangsläufig als Vorbereitungshandlung zu qualifizieren, so dass das Verhalten in Form eines Vorbereitungstatbestands sanktioniert werden müsse. Daher müsse geklärt werden, wann der Tatbeitrag des Betriebs der Plattform in so engem Zusammenhang mit der durch den Betrieb begünstigten Haupttat steht, dass eine eigenständige Bestrafung, die über ein klassisches Hilfeleisten hinaus geht, gerechtfertigt erscheine (S. 87).

Herzstück der Arbeit ist sodann Kapitel 2, das die Entstehungsgeschichte des § 127 StGB n.F. ausführlich nachzeichnet und bewertet. Dabei wird die Einführung einer eigenständigen Strafbarkeit des Betreibens kriminell ausgerichteter digitaler Handelsplattformen grundsätzlich als legitim angesehen. Allerdings stelle die öffentliche Sicherheit keinen tauglichen Schutzzweck von § 127 StGB n.F. dar. Vielmehr diene die Vorschrift dem Schutz der den jeweiligen Bezugstaten zugrundeliegenden Schutzgütern. Dieser Schutz werde im Wege eines Vorbereitungstatbestands ins Vorfeld verlagert. Die telemedienrechtliche Haftungsbeschränkung sowie deren europarechtliche Grundlage stünden nicht im Widerspruch zu einer Strafbarkeit nach § 127 StGB n.F. Allerdings werde von dem Begriff der digitalen Handelsplattform nur der entgeltliche Vertrieb von Waren und Dienstleistungen erfasst. Reine Kommunikationsformen sowie solche unentgeltlicher Art seien nicht umfasst. Der spezifische Angriffsweg des Handelsplattformbetriebs ergäbe sich aus der Bereitstellung von digitaler Infrastruktur, die dem Handel mit inkriminierten Gütern dienen soll und die Anonymität aller am Handel Beteiligten bestmöglich gewährleiste.

Der Betrieb einer digitalen Handelsplattform sei erst dann vollendet, wenn fremde Telemedien mit Handelsbezug in Eigenverantwortung zur Nutzung bereitgehalten werden und infolgedessen eine auf den Handelsabschluss gerichtete Interaktion der Nutzenden stattfinde. Mit dem Verlust der betriebsbezogenen Eigenverantwortung sei die Tat beendet. Die Schwelle zum Versuchsbeginn sei dann überschritten, wenn das erste für Betreibende fremde, auf ein Handelsgeschäft gerichtete Telemedium durch eine dritte Person auf die Handelsplattform hochgeladen werde. Allerdings müsse dieses Telemedium ein erhebliches handelsbezogenes Unrecht im Einzelfall verkörpern. Grundsätzliche Einwände gegen den Versuch einer Straftat im Vorfeld kommen dem Verfasser dagegen nicht.

Strafwürdigkeitsbegründend müsse aber der Betrieb einer Handelsplattform auf solche Straftaten gerichtet sein, die szenetypisch sind. Hierfür sei eine objektive Zweckausrichtung der Handelsplattform erforderlich, die auf einer subjektiven Widmung der betreibenden Person beruhen müsse. Diese Widmung habe zur Folge, dass bereits an die subjektive Tatseite des Grunddelikts zwangsläufig das Erfordernis eines direkten Vorsatzes zu stellen sei.

Innerhalb der Vielzahl von szenetypischen Bezugstaten seien bspw. Versuchsdelikte untaugliche Bezugstaten. Außerdem widerspräche die Erfassung eines gewerbsmäßigen Plattformbetriebs als Verhaltensform mit besonderer Unrechtsschwere dem geltenden Begriffsverständnis der Gewerbsmäßigkeit, solange lediglich der Betrieb von einer Handelsplattform in Rede stehe. Auch eine bandenmäßige Tatbegehung könne nur für den Betrieb mehrerer Plattformen Anwendung finden.

Zudem sei aufgrund der notwendigen Anforderungen an die subjektive Tatseite des Grunddelikts die Fassung des § 127 As. 4 StGB in seiner jetzigen Form unangemessen und damit verfassungswidrig. Erkenne man dagegen die Strafschärfung gem. Abs. 4 als legitim an, so führe die Subsidiaritätsanordnung von § 127 Abs. 1 S. 1 a.E. StGB aufgrund der fehlenden Anwendbarkeit der Qualifikation auf die Vorbereitung besonders schwerer Verbrechen zu Wertungswidersprüchen, so dass sie gestrichen werden sollte.

Darüber hinaus müsse die abfallende Strafwürdigkeit von der Bezugs- zur Vorbereitungstat in angemessener Weise strafzumessungsrechtlich widergespiegelt werden, so dass insbesondere eine zwangsweise Verbrechensbestrafung nicht überzeugen könne.

Unabhängig von der fehlenden Legitimierbarkeit der Vorsatzqualifikation erscheine eine versuchte Beteiligung am gem. § 127 Abs. 4 StGB qualifizierten Betrieb einer Handelsplattform gem. § 30 StGB allein im Wege einer versuchten Anstiftung möglich. Es sei in diesen Fällen aber direkter Vorsatz hinsichtlich der plattformbedingten Begehung der szenetypischen Bezugstaten notwendig.

Nach diesen grundsätzlichen Thesen zu § 127 StGB geht der Verfasser in einem Exkurs der Frage nach, ob der Unrechtskern des im besonderen Teil des StGB verorteten Straftatbestands nicht ebenso im allgemeinen Teil des StGB platziert hätte werden können. Er kommt zu dem – schnellen – Ergebnis, dass die Ermöglichung von Straftaten nicht als allgemeine Beteiligungsform konstruiert werden könne. In ihrer Eigenschaft als Vorbereitungshandlung für weitere eigenständige Straftaten sei es für eine dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gerecht werdende Bestrafung bereits in einem gedachten Versuchsstadium notwendig, dass der ermöglichende Tatbeitrag zu einem gewissen Maß an (Teil-)Verlust der Geschehensherrschaft führe. Eine vollendete Ermöglichung erfordere durch die Schaffung aller notwendigen und hinreichenden Bedingungen für nachfolgendes strafbares Verhalten einer Person nichts, was hierüber hinausgehe.

Eine Straftat könne nur dann ermöglicht werden, wenn der ermöglichende Tatbeitrag den Angriffsweg der zu ermöglichenden Bezugstat vorherbestimme. Bezugstat einer Ermöglichung durch den Betrieb einer digitalen Handelsplattform könne also nur eine solche Tat sein, die zur spezifisch anvisierten schutzgutsbezogenen Beeinträchtigung auf die Nutzung der zur Verfügung gestellten digitalen Infrastruktur angewiesen sei. Konkret bedeute dies, dass bereits der Handel über die Plattform selbst eine Straftat darstellen müsse, die selbst zu einer ausreichenden Beeinträchtigung des in Rede stehenden Schutzgutes führe. Ein vorbereitendes Verhalten an sich könne also nicht strafrechtsrelevant ermöglicht werden. Durch die Ausrichtung auf taugliche Vorbereitungstatbestände läge vielmehr eine Förderung der eigentlichen unrechtsvermittelnden Bezugstat vor. Inhaltlich maßgelblich für die Etikettierung einer Bezugstat für den illegalen Betrieb einer digitalen Handelsplattform als szenetypisch könne daher nur die Möglichkeit einer Ermöglichung der jeweiligen unrechtsvermittelnden Straftat sein.

Auch wenn § 127 StGB insgesamt – mit Ausnahmen – für verfassungsgemäß gehalten wird, so überführt der Verfasser seine Kritikpunkte de lege lata doch in einem 4. Kapitel in eigene de lege ferenda Vorschläge. Aus systematischen Gründen verortet er die Vorschrift in § 112 StGB (Abdruck des Vorschlags auf S. 302 f.) und begründet seinen konkreten Gesetzentwurf ausführlich. Er erkennt legitime legislatorische Erwägungen an und setzt diese in Bezug zu bestehenden Unzulänglichkeiten, die er in „lösungsorientierte(r) Zielrichtung“ auflösen möchte. Er sieht die Diskussion um die Ausgestaltung eines eigenständigen Verbots des Betriebs illegaler digitaler Handelsplattformen noch nicht als abgeschlossen an. Dies ist sicher richtig, zumal der Gesetzgeber Bedarf an weiteren Regelungen rund um das digitale Strafrecht erkannt hat. So hat das BMJ am 4.11.2024 einen Referentenentwurf zur Modernisierung des Computerstrafrechts auf den Weg gebracht, der allerdings nicht umgesetzt werden konnte. Illegale Handelsplattformen sind da zwar kein Thema, aber die Dynamik des Computerstrafrecht ist im Zuge fortschreitender Digitalisierung wohl kaum aufzuhalten. Bleibt zu hoffen, dass es nicht zu einer Regelungswut kommt, sondern die Modernisierung auch in der neuen Legislaturperiode maßvoll am ultima ratio Prinzip ausgerichtet wird.

 

 

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