Katharina Funcke: Die Zulässigkeit der Legendierten Kontrolle unter besonderer Berücksichtigung der Legendierten Aktenführung

von Prof. Dr. Anja Schiemann 

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2024, Verlag Duncker & Humblot, ISBN: 978-3-428-19004-1, S. 348, Euro 89,90.

Es ist schon ein paar Jahre her, seit der 2. Strafsenat sich sehr grundsätzlich zur Rechtmäßigkeit Legendierter Kontrollen positionierte (NStZ 2017, 651) und diese grundsätzlich für zulässig erklärte. Die kritischen Stimmen sind gleichwohl – zu Recht – nicht abgerissen und von Schefer ist auch bereits eine Dissertation zu diesem Thema erschienen (Rezension KriPoZ 2020, 303). Jetzt liegt eine weitere Dissertation vor, die sich nicht nur mit der rechtlichen Zulässigkeit der Legendierten Kontrolle, sondern auch mit der Legendierten Aktenführung beschäftigt. Genau wie in der Arbeit von Schefer wird ein eigener de lege ferenda Vorschlag unterbreitet, aber auch Praxishinweise in Form von Mindeststandards gegeben. Im Einzelnen:

Einführend wird unter „Terminologie“ die Bedeutung und Abgrenzung der Grundbegriffe Heimlichkeit, verdeckte Ermittlungsmaßnahme und Täuschung herausgearbeitet. Die Verfasserin kommt zu dem Ergebnis, dass es sich bei der Legendierten Kontrolle insoweit um einen Sonderfall handele, da die Ermittlungsbehörden dem Verdächtigen einerseits offen in ihrer Funktion gegenübertreten, ihn jedoch andererseits über den Hintergrund und die Natur der folgenden Ermittlungsmaßnahme im Dunklen lassen oder gar aktiv einen falschen Kontrollanlass vorspiegeln. Insofern beinhalten Legendierte Kontrollen sowohl offene als auch heimliche bis täuschende Elemente (S. 33).

Da Legendierte Kontrollen häufig im Kriminalitätsbereich der Organisierten Kriminalität eingesetzt werden, stellt Funcke in Kapitel 2 die Frage, ob sich die Legendierten Kontrollen in das bestehende System verdeckter Maßnahmen einfügen und vor diesem Hintergrund notwendig sind. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass gerade in diesem Kriminalitätsbereich polizeiliche Maßnahmen oftmals zugleich repressiven als auch präventiven Zwecken dienten und aufgrund dieser Doppelfunktionalität Rechtsnatur und somit passende Ermächtigungsgrundlage umstritten seien. Auch wenn keine der in der Rechtswissenschaft diskutierten Lösungen vollends überzeugend sei, so erscheine doch die sog. Schwerpunktformel am geeignetsten. Diese sollte jedoch um die widerlegliche Vermutung ergänzt werden, dass sich bei einem mehraktigen Geschehen die Rechtsnatur der zuvor ergriffenen Maßnahme fortsetze, sofern die Begleitumstände keine Neubewertung des Sachverhalts erforderten (S. 54).

Kapitel 3 widmet sich dann der Rechtmäßigkeit staatlicher Täuschung. In diesem sehr kurzen Kapitel wird zunächst auf verfassungs- und europarechtliche Vorgaben Bezug genommen und festgehalten, dass die Rechtsprechung eine Täuschung nicht per se als Verstoß gegen den nemo tenetur Grundsatz bewertet. Im Hinblick auf den Anspruch auf rechtliches Gehör wird zumindest eine solche Täuschung für unzulässig erachtet, die dazu führt, dass sich der Betroffene gegen den ihm gegenüber erhobenen Vorwurf nicht verteidigen kann. Zwar schlössen weder Verfassung noch EMRK per se hoheitliche Täuschungen aus, allerdings seien diesen sowohl durch den Fair-trial-Grundsatz als auch durch den Anspruch auf rechtliches Gehör jedenfalls zeitliche Grenzen gesetzt. Daraus folge zugleich, dass es aufgrund des Vorbehalts des Gesetzes einer gesetzlichen Grundlage bedürfe (S. 98).

Konsequent erfolgt daher in Kapitel 4 eine Überprüfung der Legendierten Kontrolle de lege lata. Zunächst wird hierfür die Entwicklung der höchstrichterlichen Rechtsprechung nachgezeichnet, bevor zur Rechtmäßigkeit der derzeitigen Praxis Stellung bezogen wird. Funcke lehnt die von der Rechtsprechung festgeschriebene grundsätzliche Zulässigkeit Legendierter Kontrollen ab. So habe die Legendierte Durchsuchung schon keinen doppelfunktionalen Charakter und dürfe folglich nicht auf Polizeirecht gestützt werden. Die isolierte Untersuchung der Einzelmaßnahme führe zudem zu einer Umgehung des Richtervorbehalts, zu einem halb verdeckten Vorgehen bei der Durchsuchung und zu einem Verstoß gegen Belehrungspflichten sowie gegen das Täuschungsverbot. Die Schwere der Verstöße führe demzufolge zu einem umfassenden Beweisverwertungsverbot (S. 209).

In Kapitel 5 wendet sich die Verfasserin der zweiten Untersuchungsfrage zu, nämlich der rechtlichen Zulässigkeit der Legendierten Aktenführung. Hierzu wird zunächst die praktische Bedeutung der Legendierten Aktenführung herausgearbeitet, bevor sich dem Grundsatz der Aktenwahrheit, -klarheit und -vollständigkeit gewidmet wird. Sie kommt zu dem wenig überraschenden Ergebnis, dass dieser Grundsatz für ein rechtsstaatliches, faires Verfahren zwingend erforderlich ist (S. 227).

Ausführlich wird sodann die Praxis der Legendierten Aktenführung und deren Varianten beleuchtet, bevor diese als (meist) unzulässig angesehen wird, da sie mangels geeigneter Rechtsgrundlage gegen das Fairnessgebot verstoße (S. 253). Insofern kommt die Verfasserin zu dem Ergebnis, dass einzig die Zurückstellung der Akteneinsicht bis zum Abschluss der Ermittlungen rechtmäßig sei. Erfolge dennoch eine Legendierung, so könne das strafrechtliche Konsequenzen für den Amtsträger nach sich ziehen (S. 273).

Konsequenz aus der rechtlichen Unzulässigkeit sowohl der Legendierten Kontrolle an sich als auch der Legendierten Akteneinsicht sind de lege ferenda Vorschläge in Kapitel 6. Zwar bestünde keine Pflicht des Gesetzgebers zur Normierung der Legendierten Kontrolle (S. 282), was für die Verfasserin schon daraus folgt, dass die Behörde keine Pflicht träfe, rechtswidrige Maßnahmen umzusetzen (S. 279). Insofern ist klar: wo keine Maßnahme stattfindet, ist auch keine Rechtsgrundlage erforderlich. Allerdings mag man daran zweifeln, ob die Praxis zu den Legendierten Kontrollen sich in näherer Zukunft grundlegend ändert bzw. ganz ausgesetzt wird. Sind also Maßnahmen weiterhin geplant und sogar erwünscht, ist ein Handeln des Gesetzgebers geradezu zwingend – ansonsten würde ja rechtswidriges Handeln weiterhin toleriert.

Knapp umreißt Funcke sodann die bisherigen de lege ferenda Vorschläge, bevor sie sich dezidiert eigenen Überlegungen zuwendet. Sie formuliert mit § 110e StPO eine konkrete Regelung zu Legendierten Kontrollen, die auf Straftaten von erheblicher Bedeutung auf dem Gebiet des unerlaubten Betäubungsmittel- oder Waffenverkehrs, der Geld- oder Wertzeichenfälschung, gewerbs- oder gewohnheitsmäßig oder von einem Bandenmitglied oder in anderer Weise organisiert begangen worden sind (S. 305). Da es sich um einen intensiven Eingriff in Rechte der Betroffenen handele, müsse dieser durch verschiedene Schutzmechanismen begrenzt werden, so dass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt bliebe. Dagegen würde durch die Gestattung Legendierter Aktenführung eine rote Linie überschritten, die es im Rechtsstaat zu bewahren gelte (S. 306).

Ausblickend bliebe abzuwarten, ob Legendierte Kontrollen vor dem Hintergrund der Europäisierung des Strafverfahrens, bspw. durch die Europäische Ermittlungsanordnung, strategisch über Ländergrenzen hinweg auch von ausländischen Ermittlungsbehörden genutzt werden.

Auch wenn nach Auffassung der Verfasserin Legendierte Kontrollen de lege lata unzulässig sind, ist sie doch pragmatisch genug, um abschließende Mindeststandards zu formulieren, die beachtet werden sollten, sofern die Praxis partout nicht von den Legendierten Kontrollen Abstand nehmen sollte – wovon leider auszugehen ist (Anm. der Rezensentin). So müsse eine Legendierte Kontrolle jedenfalls dann unterbleiben, wenn keine gefährlichen Gegenstände im Fahrzeug oder beim Fahrer vermutet werden. Außerdem dürfe keine Befragung des unbelehrten Fahrers während der Durchsuchung stattfinden. Zudem sei der vollständige Sachverhalt der Staatsanwaltschaft durch die Polizei unverzüglich mitzuteilen sowie die Akten vollständig und wahrheitsgemäß zu führen. Die Akteneinsicht dürfe aber im Rahmen des § 147 Abs. 2 StPO vor Abschluss der Ermittlungen verweigert werden, soweit sonst der Untersuchungszweck (auch in einem anderen Verfahren) gefährdet werde. Allerdings sei die Akteneinsicht frühestmöglich und mit ausreichend Vorlauf vor der Anklageerhebung auf Antrag zu gewähren. Habe eine Täuschung stattgefunden, so sei dies dem Beschuldigten gesondert mitzuteilen. Darüber hinaus sei er ggf. qualifiziert zu belehren. Keinesfalls dürfe bewusst ein unvollständiger Sachverhalt angeklagt werden.

Diese Mindeststandards von Funcke sollten auf jeden Fall in der polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Praxis berücksichtigt werden, um dem erheblichen Grundrechtseingriff, wenn schon nicht durch eine – eigentlich zwingend erforderliche – Ermächtigungsgrundlage, so doch wenigstens durch einen verhältnismäßigen praktischen Gebrauch Rechnung zu tragen. Letztlich wiederholt sich hier in der Dissertation einmal mehr der Nachweis von dem, was schon bekannt ist, nämlich dass die Legendierten Kontrollen und erst recht die Legendierte Aktenführung rechtlich unzulässig sind – ganz den höchstrichterlichen Entscheidungen zum Trotz. Bleibt die Hoffnung, dass es nicht noch etlicher weiterer, diesen Befund bestätigenden Monografien bedarf, damit der Ruf nach einer Rechtsgrundlage vom Gesetzgeber endlich gehört wird.

 

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