Benno Zabel (Hrsg.): Strafrechtspolitik – Über den Zusammenhang von Strafgesetzgebung, Strafrechtwissenschaft und Strafgerechtigkeit

von Prof. Dr. Anja Schiemann

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2018, Nomos, Baden-Baden, ISBN: 978-3-8487-4706-1,    S. 263, Euro 69,00.

Obwohl der Tagungsband erst 2018 erschienen ist, sind die darin enthaltenen Beiträge aus einer Tagung hervorgegangen, die bereits im Juni 2016 an der Universität Bonn stattfand. Da es sich aber um grundlegende Aufsätze rund um das Thema Strafrechtspolitik und nicht um die Aufarbeitung von – damals – aktuellen kriminalpolitischen Gesetzesvorhaben handelt, kommt ihnen auch aktuell Bedeutung zu.

Im ersten Beitrag skizziert Zabel unter der Überschrift „Strafrechtspolitik unter dem Grundgesetz“ einen Begriffs- und Deutungsrahmen, der dem „Übergangsstrafrecht“ Konturen verleihen soll. Ziel ist es, kriminalpolitische, gesetzliche und dogmatische Argumentationsmuster aufeinander zu beziehen, „um ein Verständnis von Freiheit herauszuarbeiten, das dem Kraftfeld von strafendem Staat und liberaler, aber sicherheitsbedürftiger Gesellschaft gerecht zu werden verspricht“ (S. 9 f.). Hierzu nimmt Zabel die Neuordnung des Strafrechts unter dem Grundgesetz in den Blick. Da das Strafrecht immer auch Produkt seiner Zeit sei, sei es an eine Gesamtrechtsordnung gebunden, die beständig Einfluss auf Gesetze, Institutionen und Akteure nehme. Markenzeichen des Strafrechts sei es nun, Kohärenz in einer zunehmend inhomogenen Gesellschaft mit vergleichsweise wenigen gemeinsamen Wertüberzeugungen zu erzeugen. Ich bin mir nicht sicher, ob die Wertüberzeugungen in unserer Gesellschaft tatsächlich so divergieren, wie es der Autor mutmaßt. Jedenfalls basale Werte sind auszumachen. Zuzustimmen ist Zabel aber, dass es einen Kern normativer Orientierung gibt. Dennoch werden in einer Gesellschaft, so Zabel, Werte auch (neu) erzeugt. Wenn Straf- und Strafverfahrensrecht gesellschaftliche Kohärenzen erzeugen soll, dann führe dies zu einer Ausweitung des strafrechtlichen Normenbestands.

Zabel macht hier eine gesetzlich und dogmatisch zu beobachtende Drift weg von einem strikten Tatbezug hin zu einem funktional begründeten Interessenausgleich aus. Zwar sei nach wie vor die Tat Anknüpfungspunkt der Unrechtsbewertung, sie werde aber durch diverse „tatgelöste“ Aspekte aufgelockert. Das Konfliktparadigma sei insofern multipolar und multiperspektivisch.

Beispielhaft hierfür stehe die verstärkte Einbeziehung des Opfers  in  das  Strafrecht.  Allerdings  sei  unklar, wo  die Grenzen tatgerechter Opfereinbeziehung zu ziehen sind. Es sei bisher nicht geklärt, wie der personale Kern der Verantwortungszuweisung seine unrechtskonstitutive Eigenständigkeit bewahren kann.

Daher nähert sich Zabel der Multiperspektivität der Interessen, indem er sich der Idee gegenseitiger Anerkennung als konstitutivem Merkmal jeder Rechtsordnung widmet. Die Reaktion des Strafrechts müsse als Wiederherstellung der Anerkennungsbeziehung begriffen werden. Die Multiperspektivität werde dabei aus der Binnenperspektive entwickelt und die Interessen stärker in ihrer kommunikativen Wechselbezüglichkeit und Abhängigkeit verortet. Der Verfasser plädiert dafür, von einer Norm- und Güterzentrierung abzusehen und stattdessen ein lebensweltlich gesättigtes Verhaltensschema in den Mittelpunkt strafrechtlicher Verantwortungszuordnung zu stellen.

Der normative Rahmen der Verantwortungszuweisung darf nach Auffassung Zabels nicht durch die konkret empirischen Interessen der Konflikt- und Verfahrensbeteiligten ersetzt werden. Der normative Rahmen bestimme vielmehr die Koordinaten, innerhalb derer erst sinnvoll über anerkennbare Interessen konkreter Personen gesprochen werden könne. Die tatgerechte Wiederherstellung der Anerkennungsordnung – also das Vertrauen in das geltende Recht – müsse im Fokus des täterbezogenen Zuschreibungsschemas stehen. Der Schuldspruch sei dabei die normative Referenzgröße des Strafrechts, allerdings keineswegs eine absolute Referenzgröße.

Zabel geht von einem institutionellen Freiheitsverständnis aus, da sich moderne Freiheits- und Rechtesicherung grundsätzlich in institutionellen Strukturen abspiele. Ein moderner Begriff institutioneller Freiheit sei aber weder staats-, noch gesellschafts- oder individuenzentriert. Vielmehr sollten Institutionen als soziale Netzwerke betrachtete werden. Recht sei eine besondere „Institutionenkultur“ der Normverwirklichung, Normstabilisierung, der Tat- und Konfliktbewältigung usw. Die Organisationsstrukturen seien dabei sehr dynamisch.

Dabei mache der institutionelle Freiheitsbegriff zum einen auf die notwendige Abhängigkeit zwischen objektiven und subjektiven sowie kollektiven und individuellen Legitimationsinteressen aufmerksam. Zum anderen bedeute institutionelle Freiheit, dass autonome Interessen notwendig eines Rahmens bedürfen. Institutionelle Freiheit verweise auf eine in den Formen des Strafrechts ausgemitttelte Autonomie der betroffenen Beteiligten. Freiheit und Autonomie seien dabei immer wieder neu zu verhandelnde Orientierungspotentiale und Reflexionselemente jeder Strafrechtsordnung.

Das Problem sei die Bestimmung der Grenzen des Strafrechts. Gerade bei abstrakten Gefährdungsdelikten gerate man zunehmend in einen Sog grundsätzlich akzeptierter Logik der Gefahren- und Unsicherheitsbeherrschung. Dies bewege sich an der äußersten Grenze dessen, was legitimierbar sei. Hier hätte Zabel durchaus mutiger sein, und meiner Meinung nach zumindest bei einigen der neu kreierten Unsicherheitsbeherrschungsdelikte ein Überschreiten der äußersten Grenze anmahnen können. Allerdings wirft er im Anschluss zu Recht die Frage auf, welches Maß an strafrechtlicher Angst- und Sicherheitsbeherrschung eine Gesellschaft zulassen möchte. Genau hier wird der Finger in die Wunde des vom Gesetzgeber stetig bedienten Sicherheitsbedürfnis der Gesellschaft gelegt. Sicherheit geht immer zu Lasten der Freiheit. Die von Zabel aufgezeigte institutionelle Freiheit muss sich insoweit auf der einen Seite diesem Sicherheitsbedürfnis stellen, auf der anderen Seite aber die Grenzen justieren, ab denen ein Sicherheitsbedürfnis durch Strafrechtsnormen als ultima ratio nicht mehr abgebildet werden kann.

Beck stellt dann in dem zweiten Beitrag die Frage, was ein gutes Strafgesetz ist. Zur Beantwortung der Frage widmet sie sich zunächst dem Zustandekommen eines Gesetzes. Positiv sei ein Gesetzgebungsprozess dann zu bewerten, wenn er sich als angemessene Reaktion auf das gesellschaftliche Problem darstellt, wenn alle verfassungsrechtlichen Vorgaben beachtet, alle relevanten Stimmen einbezogen und die bestehende Expertise – insbesondere die kriminologische Expertise – hinreichend berücksichtigt wurde. Zudem sollte eine gute Formulierung der Strafnorm es dem Bürger ermöglichen, die allermeisten Fälle verbotenen Verhaltens direkt dem Wortlaut der Vorschrift zu entnehmen. Auch unter systematischen Gesichtspunkten sollte eine sinnhafte Einordnung der Norm vorgenommen und sich an bestehenden Begrifflichkeiten orientiert werden. Schwierig sei schließlich die Beurteilung des Ziels und der Zielerreichung einer Vorschrift und inwieweit dieses überhaupt mit dem Mittel des Strafrechts als ultima ratio verfolgt werden darf.

Zwischen all diesen Aspekten gibt es, so Beck, zahlreiche Wechselwirkungen, was eine klare Trennung bei der Bewertung erschwere. Auf ein Strafgesetz könne man aus rechtsinterner und rechtsexterner Perspektive blicken. Dabei sei die traditionelle Perspektive des Rechtswissenschaftlers die rechtsinterne, d.h. er (be)wertet die Normen insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Verfassungsmäßigkeit und Europarechtskonformität als Recht oder Unrecht und beurteilt ihre Rationalität, Funktionalität und Effektivität im Hinblick auf die vom Gesetzgeber vorgegebene Funktion und betrachtet unter Rechtsanwendungsgesichtspunkten ihre Praktikabilität.

Der Rechtswissenschaftler dürfe aber auch die rechtsexterne Perspektive einnehmen – gleichwohl sich selbstverständlich auch Experten anderer Disziplinen aus rechtsexterner Perspektive einem Strafgesetz nähern. Der Rechtswissenschaftler gehe aus rechtsexterner Perspektive der Frage nach, ob das jeweilige Strafgesetz alle Interessen in angemessenen Ausgleich bringt, die sozialen Konflikte nachhaltig löst und dabei insgesamt für die Gesellschaft mehr Vor- als Nachteile birgt. Hierzu werde auf verschiedene Bezugsrahmen wie Politik, Kultur, Philosophie und Ethik zurückgegriffen. Beck plädiert insofern für eine nachträgliche Überprüfung von Gesetzen, um ggf. nachjustieren zu können.

Die Verfasserin zeigt im weiteren Verlauf anhand von – ihrer Meinung nach misslungenen – Strafgesetzen auf, wie eine Bewertung von Strafgesetzen beispielhaft systematisiert werden kann. Sie nimmt dazu die Strafbarkeit des Stalkings (§ 238 StGB), der Datenhehlerei (§ 202d StGB) und der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat u.a. (§§ 89a ff. StGB) in den Blick.

Die Bewertung eines Strafgesetzes soll nach Beck folgendermaßen systematisiert werden: „Die verschiedenen Aspekte der Norm, d.h. die Grammatik bzw. Formulierung, die Systematik, der Gesetzgebungsprozess und schließlich der Telos sind aus rechtsinterner oder aus rechtsexterner Perspektive zu analysieren. Von entscheidender Bedeutung für eine gelungene Bewertung ist, dass stetig überprüft und kommuniziert wird, welchen Aspekt man gerade betrachtet und vor welchem Bewertungshorizont, welche Kriterien man ansetzt und welche Prämissen diesen Kriterien zugrunde liegen“ (S. 69). Diese Systematik ist nicht neu, letztlich legt man den Auslegungsmaßstab als Gradmesser an die Vorschrift. Wo (gute) Auslegung nicht möglich ist, versagt die Norm. Zudem muss sie sich stets im verfassungsrechtlich legitimierbaren Rahmen bewegen.

Recht zu geben ist Beck darin, dass Strafrechtswissenschaft neben einer Gesetzesanalyse und -bewertung Kriterien und Maßstäbe liefern sollte, die den Rahmen für Strafrechtsnormen abstecken. Eine (grobe) Systematisierung dieses Rahmens hat die Verfasserin geliefert und regt selbst an, diesen Rahmen im Detail inhaltlich aufzufüllen. Hier muss man meines Erachtens ansetzen und inhaltlich auch das an Expertise bemühen, was notwendig ist. Das ist zum einen die – auch von Beck angemahnte – kriminologische Expertise, zum anderen aber auch die Sättigung mit anderen Erfahrungswissenschaften, um eine Strafrechtsnorm neben den verfassungsrechtlichen Vorgaben auch an deren Erforderlichkeit und Praxistauglichkeit zu messen.

Im folgenden Beitrag spürt Sánchez der Beziehung zwischen Strafgesetzgebung und Strafgerechtigkeit nach. Zunächst kritisiert er den globalen Trend einer Kriminalpolitik, die die Furcht und den Abscheu vor den Außenseitern der Gesellschaft produziert und ausbeutet. Insofern könne es sein, dass auch die Existenz einer demokratischen Strafgesetzgebung es nicht ausschließe, dass diese auch Straf-Unrecht hervorbringe. Der Schutz hiervor müsse von den Strafgerichten und in letzter Instanz des Verfassungsgerichts oder EGMR gewährleistet werden. Letztlich sollte Rechtssicherheit nicht durch das Strafgesetz selbst, sondern durch die Beständigkeit der Auslegung durch die Gerichte gewährleistet werden. Diese Forderung ist meiner Meinung nach nur bedingt tauglich, wird doch die Beständigkeit der Auslegung schon durch die Offenheit mancher Straftatbestände erschwert. Zudem macht es durchaus Sinn, Straftatbestände offen zu formulieren, um sie so auch in einer modernen Zukunft anwendbar sein zu lassen und nicht ständig nachjustieren zu müssen – man denke beispielsweise an die Technikoffenheit der Ehrverletzungsdelikte, die so auch moderne Formen des Cybermobbings erfassen können.

Der Verfasser widmet sich dann dem Verfassungsrecht und der Verfassungsgerichtsbarkeit. Seiner Auffassung nach können die Überlegungen über die Beziehung zwischen Strafgesetzgebung und Verfassung eine Stütze und einen Anstoß in der Lehre des Neokonstitutionalismus finden. Diese Lehre geht von der Anerkennung der normativen Kraft der Verfassung und der Einbeziehung eines dichten materiellen Inhalts in die Verfassung aus.

Zunächst sei auf einer ersten Ebene zu bestimmen, ob ein Verhalten einer strafrechtlichen Sanktion würdig, ob diese Sanktion verhältnismäßig sei. Falle das Ergebnis dieser Würdigung negativ aus, so müsse auch die Entscheidung über eine mögliche Kriminalisierung vorbehaltlos negativ sein. Falle das Urteil über die Strafwürdigkeit dagegen positiv aus, so müsse dennoch die Entscheidung über eine mögliche Kriminalisierung nicht notwendiger Weise gleichlauten. Denn nicht jedes strafwürdige Verhalten bedürfe einer strafrechtlichen Sanktion.

Sánchez verweist im Folgenden auf eine Entscheidung des spanischen Verfassungsgerichts im Hinblick auf das Verhältnismäßigkeitsgebot. Dies hatte geurteilt, dass das Verhältnismäßigkeitsprinzip als kriminalpolitische Begrenzung in die Kompetenz des Gesetzgebers fällt und abhängig von seinen kriminalpolitischen Zielen ist, soweit keine Unverhältnismäßigkeit solchen Ausmaßes besteht, dass das Rechtsstaatsprinzip, das Gerechtigkeitsprinzip, die Menschenwürde und das Schuldprinzip verletzt werden. Demnach kann – zumindest in Spanien – nur in Fällen ex-tremer Unverhältnismäßigkeit eine Verletzung der Verfassung angenommen werden. Auch wenn man auf deutsche Gerichte blickt, so ist die Tendenz zu erkennen, Gesetze als „gerade noch“ verfassungsgemäß anzusehen und insofern die Stellschraube in punkto Unverhältnismäßigkeit ebenfalls sehr hoch anzusetzen.

Der Verfasser sieht die Strafrechtslehre in der Pflicht, auf der strengen Gültigkeit der Begrenzungsprinzipien und deren bindenden Charakter zu pochen. Es gelte, Kriterien für die Systematisierung von Fällen zu entwickeln, in denen die Kriminalisierung einer Handlung oder der dazugehörige abstrakte Strafrahmen keine gravierende Ungerechtigkeit darstelle. Sánchez plädiert dafür, innerhalb der Strafrechtslehre einen Konsens darüber zu finden, was Strafgerechtigkeit ist. Zentraler Bestandteil müsse die Strafwürdigkeit sein. Letztlich müsse die Diskussion über den verfassungsrechtlichen Rahmen hinausgehen und auch die philosophische Perspektive beleuchten.

Kubiciel zeigt in einem weiteren Aufsatz zu „Kriminalpolitik und Strafrechtswissenschaft“ die rasante gesetzgeberische Entwicklung der letzten Jahre auf – „die Bundesregierung (habe) in der 18. Legislaturperiode nichts Geringeres vollzogen als die größte Strafrechtsreform der letzten zwanzig Jahre“ (S. 99). Dabei folgten die jüngsten Änderungen im StGB keinem erkennbaren kriminalpolitischen Leitbild, sondern seien von ganz unterschiedlichen Gründen getragen gewesen. Habe der Gesetzgeber auf ganz unterschiedliche Impulse zu reagieren, so könne er nicht systematisch arbeiten. Daher beklage die Strafrechtswissenschaft einen pragmatischen Gesetzgeber, der Strafrecht als wahlkampforientierte Symbolik nutze.

Kubiciel mahnt im Folgenden eine unzureichende Fundierung dieser Kritik an, zumal es so scheine, die Wissenschaft selbst folge auch keinem kriminalpolitischen Konzept, sondern ihrer Intuition. Letztere sollte man zwar nicht geringschätzen, jedoch habe dann die Einschätzung der Wissenschaft keinen größeren legitimationstheoretischen Wert als die Entscheidung des demokratischen Gesetzgebers. Die Strafrechtswissenschaft verfüge gegenwärtig über keine idée directrice, mit der sie den Gesetzgeber anleiten und Strafgesetze bewerten könne. Der Rechtsgutbegriff sei hier zu vage und der ultima-ratio-Gedanke zu grobschlächtig.

Daher nimmt der Verfasser im Folgenden einen Perspektivwechsel vor und sucht im neu geschaffenen Recht nach Entwicklungslinien, die auch in Zukunft die Kriminalpolitik prägen könnten. Er macht als Tendenz zunächst eine Expansion des Strafrechts aus, die ihren Grund auch in der Internationalisierung der Kriminalpolitik habe. Zudem sei festzustellen, dass das Strafrecht in gesellschaftliche Bereiche vordringe, die zuvor der Selbstregulierung überlassen waren, wie z.B. der Bereich des Sports. Hier kompensiere das Strafrecht das Versagen gesellschaftlicher Selbstregulierung.

Weiteres Beispiel für die Expansion des Kriminalrechts sei das Sexualstrafrecht. Im Gegensatz zu einigen Strafrechtswissenschaftlern, die den Grund der Ausweitung darin sehen, dass das Strafrecht zunehmend die schwindenden Normen der Sozialmoral als Mittel zur Lösung sozialer Konflikte ersetze, geht Kubiciel davon aus, dass das Strafrecht hier vielmehr die zugeschärften Anforderungen der Sozialmoral spiegele. Es sei Reaktion auf eine gewachsene Sensibilität – gleiches gelte für die Ausweitung des Wirtschafts- und Korruptionsstrafrechts.

Kubiciel stellt fest, dass in den letzten vier Jahren nicht nur der Umfang des Strafrechts, sondern auch die Zahl einzelfallorientierter bzw. sektorspezifischer Tatbestände zugenommen habe, man denke nur an § 315d StGB zur Bestrafung illegaler Autorennen oder den Sportwettbetrug. Diese Strategie sei vor allem deshalb attraktiv, weil sich für punktuelle Ergänzungen des Strafrechts viel leichter politische Mehrheiten finden ließen als für umfassende Novellierungen. Die Folge seien jedoch gesetzesästhetisch unbefriedigende Wucherungen innerhalb der Legalordnung und Konkurrenzprobleme.

Eine dritte Tendenz zeige sich durch die Wirkungen, die beispielsweise die Vorschriften gegen die Bestechung im Gesundheitswesen entfaltet hätten. Hier gäbe es nur eine überschaubare Zahl an Ermittlungsverfahren, allerdings habe die Compliance-Beratung und der Ausbau von Compliance-Management-Systemen erheblich zugenommen. Insofern initiierten Straftatbestände private Regelungen. Kubiciel rechnet mit einer Zunahme solch reflexiver Tatbestände, da diese das Ordnungs- und Rationalitätsversprechen des Governance betreibenden Staates mit dem Wunsch der Bürger und Unternehmen nach Freiraum für eine flexible Umsetzung staatlicher Vorgaben verbände. Zudem entlaste die staatlich initiierte private Regulierung auch den überlasteten Apparat staatlicher Rechtsdurchsetzung.

Die Strafrechtswissenschaft, so Kubiciel, müsse sich auf weitere Veränderungen des Strafrechts einstellen, die keiner systematischen Idee folgten, sondern sich entlang der aufgezeigten Tendenzen bewegen. Insofern müsse sie die Weite des politischen Ermessensspielraums sowie die Wandelbarkeit des Strafrechts anerkennen und sich bei der Beratung stärker auf die Ausgestaltung der Gesetze konzentrieren. Dem würde ich zumindest in Teilen widersprechen. Denn der Weite des politischen Ermessensspielraums und der Wandelbarkeit des Strafrechts sind Grenzen gesetzt. Diese können nicht allein mit Blick auf die Ausgestaltung der Gesetze gewahrt werden. Vielmehr hat hier die Strafrechtswissenschaft auch ein theoretisches Verständnis dessen an den Gesetzgeber heranzutragen, wieviel Wandel und Ermessen zulässig und notwendig ist. Insofern muss sich der Weg einer gesetzgebungskritischen oder gesetzgebungsberatenden Wissenschaft auch nicht untrennbar gabeln, sondern kann auf einer breiteren Straße beides beinhalten.

Zuzustimmen ist Kubiciel aber darin, dass die Strafrechtswissenschaft ein theoretisches und methodisches Instrumentarium benötigt, das vielschichtiger ist als die in der Vergangenheit bemühten Rechtsguts- und Ultima-ratio-Faustformeln. Nur dann kann sie sich im kriminalpolitischen Diskurs – auch gesetzgebungskritisch – Gehör verschaffen. Der Verfasser mahnt zu Recht an, dass deutlich verstärkt auch die Expertise der Sozialwissenschaften und der Institutionenökonomie ebenso wie die der empirisch-kriminologische Forschung in die kritische Auseinandersetzung mit der Strafgesetzgebung einzubeziehen ist. Größere Bedeutung solle auch der strafrechtliche Grundlagenvergleich in Form eines Vergleichs von Rechtsprinzipien und Maximen der Kriminalpolitik haben. Daneben dürfe auch die Politikwissenschaft nicht ausgeblendet werden.

Schließlich fordert Kubiciel, die Strafrechtswissenschaft solle ihren Begriffsapparat erneuern, insbesondere über einen Ersatz des Rechtsgutsbegriffs nachdenken. Zudem solle die Strafrechtswissenschaft Alternativen zum Strafrecht suchen, d.h. z.B. zu Formen einer diversionellen Erledigung kommen. Strafrechtswissenschaft heute sei auf die Herausforderungen der zu beobachteten Umgestaltung des Strafrechts weder konzeptionell noch methodisch ausreichend vorbereitet. Kubiciel gibt in seinem Aufsatz viele Impulse, konzeptionell und methodisch weiterzudenken und die Auseinandersetzung der Strafrechtswissenschaft mit der Kriminalpolitik auf ein theoretisches Fundament zu setzen. Hier ist aber noch viel Grundlagenforschung erforderlich.

Morsch nähert sich in ihrem Beitrag dem Verhältnis von Wissenschaft und Gesetzgebung auf deskriptive Weise. Hierzu beginnt sie mit einer Bestandsaufnahme. Neben der Wissenschaft als Impulsgeberin in Bezug auf Gesetzgebungsverfahren – man denke an die Alternativprofessoren – gäbe es umgekehrt auch die gezielte Mobilisierung der Wissenschaft durch die Einsetzung von Expertenkommissionen zu bestimmten geplanten Reformvorhaben     oder für dauerhafte Beratungsarbeit oder interne und externe Anhörungen. Zudem käme dem Deutschen Ethikrat eine Art „Vordenkerrolle“ in ethischen Grundfragen zu.

Es bedürfe aber schließlich einer Analyse jedes einzelnen Gesetzgebungsverfahrens, um Art und Form der Interaktion zwischen Wissenschaft und Gesetzgebung und das diesbezügliche Gestaltungspotential der Wissenschaft auszumachen. Dies erläutert die Verfasserin anhand des Gesetzes zur Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren, dem Entwurf eines Gesetzes zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens und dem (bislang gescheiterten) Gesetzgebungsvorhaben zur Reform der Tötungsdelikte. Diese Beispiele verdeutlichen laut Morsch, dass Rechtspolitik ohne das Zusammenspiel von Wissenschaft und Gesetzgebung kaum denkbar sei.

Daher stellt Morsch abschließend vier Thesen auf. Erstens müsse Rechtspolitik sowohl professionell als auch demokratisch vermittelbar sein, so dass in dem Wechselspiel der Interaktion von Wissenschaft und Gesetzgeber das notwendige Zusammenwirken von Professionalität und Partizipation zum Ausdruck komme. Zweitens komme der Wissenschaft im Rahmen der Gesetzgebung vor allem im Stadium der Impulsgebung und der Gesetzesvorbereitung eine bedeutende Rolle zu. Kritisch stellt die Verfasserin zutreffend fest, dass dagegen im parlamentarischen Verfahren der Einfluss der Wissenschaft am geringsten ist. Grundlegende Weichen seien hier bereits gestellt. Daraus folgt die dritte These, dass die politische und die wissenschaftliche Arbeit von einer gewissen „Ungleichzeitigkeit“ geprägt sei. Daher fordert Morsch in einer vierten These, dass sich die Wissenschaft, sofern sie verstärkt gehört werden will, mit der Politik vernetzen müsse.

Den Thesen von Morsch kann sicher in Gänze zugestimmt werden, allerdings ist die Vernetzung mit der Politik unter den Vorbehalt zu stellen, dass dies nicht einseitig dazu führen kann, die Wissenschaft(ler) als Alibi für eine gewünschte kriminalpolitische Position zu missbrauchen. Dies knüpft an das an, was die Verfasserin zuvor in These zwei kritisiert hat, nämlich dass im parlamentarischen Verfahren der Einfluss der Wissenschaft gering ist. Hier dient die Sachverständigenanhörung einem Schaulaufen, um die von der einladenden Fraktion favorisierte kriminalpolitische Linie bestätigen oder ablehnen zu lassen. Zu diesem Zeitpunkt kommt die Stellungnahme des Wissenschaftlers deutlich zu spät. Insofern sollte bereits der Koalitionsvertrag und in Zukunft geplante Gesetzesvorhaben stärker in den Blick der Wissenschaft rücken oder – dem europäischen Einfluss Rechnung tragend – bereits Verordnungs- und Richtlinienvorschläge kritisch beleuchtet werden, um so überhaupt noch gegensteuern zu können. Ist die Verordnung oder Richtlinie erst einmal beschlossene Sache, ist auch die Kritik hieran ein wirkungsloses Unterfangen.

Im nächsten Aufsatz „Hybrides Präventionsstrafrecht und Determinismus“ kritisiert Monadie Unterwerfung des (schweizerischen) Strafrechts unter das Dogma des Präventionismus und eine zunehmende Auslagerung des Strafrechts in Bereiche außerhalb des Kernstrafrechts. Es sei ein vielschichtiges Präventionsrecht gegen das „Fremde“ geschaffen worden. Insofern kann man sicher Parallelen zum deutschen Strafrecht ziehen.

Mona mahnt den definitiven Niedergang des Schuldstrafrechts an, nachdem die Grenzen eines rechtsstaatlich vertretbaren Strafrechts ausgereizt und hybride Formen eines Fremdenstrafrechts ausgebaut worden seien. Als Ersatz des klassisch repressiven Schuldstrafrechts werde die Prävention zunehmend mit strafenden Eingriffen betrieben, die nach der schlankeren Logik des Polizeirechts oder Verwaltungsrechts funktionierten. Dadurch werde das Strafrecht als rückwirkende Ahndung begangenen Unrechts in einem hybriden Präventionsrecht gänzlich überflüssig. Nach dem präventiven Dogma sei es wichtiger, eine Tat zu verhindern als eine begangene Tat zu vergelten.

Der Schutz der Gesellschaft mittels schuldunabhängigen Maßnahmen und Eingriffen in einem hybriden Präventionsrecht dürfe vor allem dann unaufhaltsam sein, wenn die Akteure in Wissenschaft, Politik und Praxis sich bewusst oder unbewusst vom Determinismus und der Negation der Willensfreiheit leiten ließen. Daher fordert der Autor, in allen politischen Entscheidung von der Willensfreiheit des Individuums auszugehen. Mona versteht Freiheit als Gegenteil von Zwang aber nicht als Gegenteil von Notwendigkeit. Zwar könne der Mensch aufgrund bestimmter Beweggründe, Motive und Präferenzen nicht anders handeln, als er es tut. Der Mensch könne aber anders handeln, wenn er andere Gründe hätte und sich anders entscheiden würde. Insofern versteht der Verfasser – Bezug nehmend auf Frankfurter– unter Willensfreiheit, dass der Mensch frei ist, das zu wollen, was er wollen möchte. Es sei hingegen eine Frage der Handlungsfreiheit, ob er auch die Möglichkeit habe, das umzusetzen, was er will. Determinismus beschränke also lediglich unsere Handlungsfreiheit, nicht aber unsere Willensfreiheit.

Die – nicht aufzulösende – Debatte über die Willensfreiheit treibe aber, so mahnt Mona an, das hybride präventionsrecht mächtig voran. Wenn Straftäter neurobiologisch determiniert seien und keine Willensfreiheit hätten, so die Behauptung der Deterministen, könnten sie nicht anders als eben deliktisch handeln und seien nicht verantwortlich für ihre Taten. Daher sollten gegen Straftäter Maßnahmen ergriffen werden, mit denen man ihre determinierte Gefährlichkeit in Schach halten und sie durch Erziehungsprogramme und Therapien zu legalem Verhalten zwingen könne. Diese gefährliche Tendenz degradiere Subjekte zu Gefahrenquellen und entmenschliche sie.

Zudem treffe der vermeintliche Angriff der Neurowissenschaftler auf das Schuldstrafrecht in Wahrheit eine ganze Reihe von weiteren Grundkategorien wie beispielsweise den strafrechtlichen Handlungsbegriff, Vorsatz, Einwilligung und dergleichen. Auch auf das Zivilrecht, wie z.B. gegenseitige Willensäußerungen der Vertragsparteien, hätte der Angriff Einfluss. Daher plädiert Mona für eine Eindämmung der Ideologie der Negierung der Willensfreiheit.

Bung spürt im nächsten Beitrag Strafgesetzgebung und Strafgerechtigkeit im materiellen Strafrecht nach. Hierzu bestimmt er zunächst den Begriff des materiellen Strafrechts, um ihn dann auf jenen der Strafgerechtigkeit zu beziehen. Materielles Strafrecht wird vom Verfasser als Zurechnungs- oder Zumessungsrecht definiert. Er verweist hierzu auf die Strafbegründungs- und die Strafzumessungsschuld. Gerechtigkeit der Zurechnung müsse also wesentlich mit einem Dafürkönnen zusammenhängen. Ebenso erscheine es nicht richtig, eine Person in einem Umfang rechtlich zur Verantwortung zu ziehen, der die festgestellte Verantwortlichkeit übersteigt. Daher sei nur ein Strafrecht, das Schuldzurechnung und schuldangemessene Bestrafung ermögliche, ein gerechtes Strafrecht.

Zur Verdeutlichung nimmt uns Bung mit zu einem Gedankenexperiment, in dem wir uns einen Gesetzgeber vorstellen, der die Abschaffung des Schuldprinzips beschließt. Es stelle sich sodann die Frage, ob die Umgestaltung des Strafrechts nach dem Modell des Rechts der Besserung und Sicherung ein Strafrecht wäre, das sich vom Gerechtigkeitsproblem verabschiedet hätte. Denn wenn Strafgerechtigkeit wesentlich mit Schuldfeststellung und schuldangemessener Bestrafung zusammenhänge, könne doch ein von der Schuld abgekoppeltes Strafrecht ein Recht sein, in dem sich die Frage der Strafgerechtigkeit nicht mehr stelle. Allerdings habe das BVerfG klargestellt, in welchem Sinne auch Sanktionen nach dem Maßregelrecht Gerechtigkeitserwägungen zu folgen hätten und hierfür den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit herangezogen.

Das Gedankenexperiment, so der Verfasser, zeige, dass Strafgerechtigkeit zwar wesentlich, aber nicht unauflöslich mit dem Schuldprinzip verbunden ist. Es gäbe ein Kernkriterium des Strafrechts, etwas Elementares, das für keinen Gesetzgeber zur Disposition stehe. Richtiges Strafrecht müsse einen gerechten Ausgleich finden zwischen den Interessen des Bestraften und der Allgemeinheit.

Strafrechtspolitik könne die Strafgerechtigkeit verletzen, indem sie auf gesellschaftliche Strafbedürfnisse gar nicht reagiere oder nicht angemessen reagiere. Resultat dieser Unangemessenheit könnten unangemessen Strafgesetze sein. Daher müsse Strafrechtspolitik auch sensibel auf den Wechsel bzw. die Verschiebung von Kriminalität reagieren. Das Konzept eines einzig wahren Strafrechts, so Bung, sei die falsche Antwort auf die Frage nach dem richtigen Strafrecht. Verschiebungen des gesellschaftlichen Kriminalisierungsbedürfnisses entstünden durch eine gesteigerte Empfindlichkeit gegenüber einer bestimmten Art von Ungerechtigkeit – so bspw. wenn jemand, der sich nicht an die Regeln hält, mehr bekommt als jemand, der dies tut. Dieses Gespür für den ungerechten Vorteil nennt der Verfasser eine soziale Tatsache und eine soziale Universalie. Damit aus der Empfindung des ungerechten Vorteils ein Strafbedürfnis erwachse, sei lediglich erforderlich, dass man das Bewusstsein der Ungerechtigkeit graduell steigere.

Die Aufgabe der Strafgesetzgebung sei es nun, sensibel zu sein für die Empfindung des ungerechten Vorteils, ohne Ressentiments zu bedienen. Dies bedeutet für Bung zweierlei. Zum einen verfehle der Gesetzgeber seine Aufgabe dann, wenn er diesen Volkswillen nicht ernstnimmt oder ignoriert. Er verfehlt ihn aber auch dann, wenn er nicht einen gewissen Abstand zu ihm hält, wenn er sich mit dem Volkswillen unmittelbar identifiziert. Insofern ist dem Verfasser recht zu geben, dass es eines klugen, rationalen Gesetzgebers bedarf, der nicht dem Volksempfinden unhinterfragt nachgibt und Gesetze erlässt, die dieses Gerechtigkeitsgefühl bedienen, ohne für Gerechtigkeit zu sorgen. Bung fordert zu recht, dass ein kluger Gesetzgeber kritische Distanz wahren und prüfen muss, welche gesellschaftlichen Befindlichkeiten tatsächlich mit dem Strafrecht bedient werden müssen und welche nicht. Distanzlosigkeit führe zu populistischer Strafgesetzgebung, die unangemessenes und damit ungerechtes Strafrecht nach sich ziehe.

Haverkamp beleuchtet in ihrem nächsten Beitrag Kriminalpolitik im Spannungsverhältnis von Strafgerechtigkeit und Sanktionenrecht. Kriminalpolitik versteht sie unter Rückgriff auf eine Definition von Schwind als „die Gesamtheit aller staatlichen und außerstaatlichen (also nicht nur strafrechtlichen) Maßnahmen…, die zum Schutz der Gesellschaft und des einzelnen Bürgers auf Verhütung und Bekämpfung von Kriminalität gerichtet sind“ (S. 198). Die tatsächliche Wirksamkeit solcher kriminalpolitischen Maßnahmen sei Ausdruck einer rationalen Kriminalpolitik. In der Realität sei demgegenüber eine evidenzbasierte Kriminalpolitik nicht selbstverständlich. Vielmehr sei Kriminalpolitik geprägt von aktuellen Fällen der Medienberichterstattung. Zudem würde der Blick auf eine sicherheitsorientierte Perspektive verengt, so dass übergreifende und langfristige Problemlösungen in einem gesamtgesellschaftlichen Kontext erschwert würden. Daher plädiert die Verfasserin für eine rationale Kriminalpolitik, die durch eine unabhängige wissenschaftliche Evaluation der kriminalpolitischen Maßnahmen und Programme auf dem Prüfstand ihrer Effizienz stünde. Dem ist in Gänze zuzustimmen. Leider sehen neue Gesetze häufig eine Evaluation überhaupt nicht vor, so dass eine generelle Evaluation jedes neuen (Straf-)Gesetzes – finanziert durch das jeweils federführende Ministerium – dringend zu fordern ist, um eine evidenzbasierte Kriminalpolitik zu ermöglichen. Noch besser wäre es, im Vorfeld eines geplanten Gesetzes wissenschaftlich zu überprüfen, ob dieses erforderlich und geeignet ist, um die angestrebten kriminalpolitischen Ziele zu erreichen.

Im Folgenden stellt Haverkamp Kriminalität im Spiegel der polizeilichen Kriminalstatistik, Strafverfolgungsstatistik und Strafvollzugsstatistik vor und zeigt Aussagegehalt und Schwächen auf. Am Beispiel des Wohnungseinbruchsdiebstahls zeigt sie schließlich auf, dass die Reform fragwürdig ist, da die Abschreckung durch Bestrafungsschwere dadurch nachrangig würde, dass das Entdeckungsrisiko gering sei. Erst wenn das Entdeckungsrisiko hoch sei, spiele auch die Bestrafungsschwere eine Rolle. Hier ist allerdings meiner Meinung nach zu berücksichtigen, dass das Entdeckungsrisiko angesichts einer polizeilichen Offensive zur Bekämpfung von Wohnungseinbruchsdiebstahls in den letzten beiden Jahren ebenfalls erheblich gestiegen ist.

Haverkamp umreist anschließend die Straftheorien und die Strafzumessungserwägungen unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten, um dann Schlussfolgerungen für die Kriminalpolitik zu ziehen. Sie stellt fest, dass der Begriff der Gerechtigkeit im kriminalpolitischen Diskurs nicht auftauche, allenfalls in Bezug auf das Opfer. Richtschnur politischen Handelns seien vielmehr die General- und Spezialprävention. Dabei würde aber dem Entdeckungsrisiko nicht ausreichen Bedeutung zukommen. Die kriminalpolitische Forderung nach Unnachgiebigkeit gegenüber Kriminalität und konsequenter Strafverfolgung verkenne sowohl die Normalität der Anomie als auch die vielfach unbemerkte Deliktsbegehung durch den Durchschnittsbürger. Kriminalpolitik sollte daher das Bewusstsein für die wiederherstellende Gerechtigkeit sensibilisieren, jedoch nicht zur Unterstützung einer härteren Gangart missbraucht werden.

Im vorletzten Beitrag des Bandes stellt Höffler die Fragen nach einer „evidence based“ Kriminalpolitik. Kriminalpolitik sei keinesfalls eine alleinige Aufgabe der Legislative, sondern werde auch im Bereich der Exekutive beispielsweise durch eine unterschiedliche Strafverfolgungsintensität betrieben. Die Verfasserin nennt hier die unterschiedliche Einstellungspraxis in den Bundesländern in Bezug auf den unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln. Bereits im Vorfeld eigentlicher Ermittlungen in Strafsachen stünde häufig die Frage, wer, wo und wie oft kontrolliert würde. Zudem nähme die Judikative durch die Rechtsprechung in Form der Auslegungspraxis von Gesetzen kriminalpolitischen Einfluss. Schließlich fänden sich kriminalpolitische Aktivitäten beispielsweise auch in der Ausgestaltung des Strafvollzugs. Deutlich werde also eine Ausgestaltung der Kriminalpolitik in allen drei Gewalten.

Als Methode, Gesetzgebungsprozesse kritisch zu hinterfragen, sei neben oder anstelle der (alten) Rechtsgutslehre die verfassungsrechtliche Legitimationsüberprüfung getreten. Neben dieser theoretischen Fundierung müsse sich aber die Wissenschaft, so Höffler, in eine aktivere Rollte begeben, um Kommunikation mit der Politik einzufordern. Problematisch am Austausch von Wissenschaft und Politik seien drei Aspekte. Zum ersten habe Politik wenig Zeit, so dass Wissenschaftler als Sachverständige erst dann gehört würden, wenn die Gesetze schon formuliert wurden. Zum zweiten würden regierungspolitische und wahltaktische Ziele bedient, so dass die politische Befürchtung bestehe, die populäre gesetzgeberische Entscheidung werde wissenschaftlich nicht bestätigt. Zum dritten gäbe es Kommunikationsprobleme, die allerdings die Wissenschaft aufgreifen und so im Dialog mit dem Gesetzgeber beseitigen könne.

Diesen Weg der Kommunikation müsse die Wissenschaft auch im Bereich der Strafzwecke nutzen. Anzustreben sei eine rationale Kriminalpolitik. Es sei empirisch zu bestimmen, welche Strafgesetzgebung bzw. Kriminalpolitik sinnvoll ist und ob dieser Sinn erreicht wird. Insofern müsse sich Kriminalpolitik mit der Rechtstatsächlichkeit auseinandersetzen, um einerseits keine Ressourcen zu verschwenden und andererseits nur bei wirksamen Maßnahmen auch Strafgesetze mit entsprechender Eingriffsqualität zu schaffen. Exemplarisch greift Höffler die Ergänzung des § 89a StGB um einen neuen Abs. 2a auf. Hier sei in tatsächlicher Hinsicht völlig unklar, ob von der Norm mit Blick auf die spezielle Zielgruppe überhaupt eine gewisse Abschreckung ausgehe, ob damit wirklich gefährliche Personen „erwischt“ werden und ob diese Norm erforderlich ist bzw. das Ziel nicht auf anderem Wege, bspw. mit einem strafbewehrten Ausreiseverbot, zu erreichen wäre.  

Positiv wertet Höffler, dass in der gesamten Strafrechtswissenschaft die Diskussion über die Grundlagen des Fachs zuletzt wiederbelebt worden ist. Nun gehe es weiter darum, die Energie der Debatte auch in wissenschaftlich fundierte kriminalpolitische Stellungnahmen umzusetzen. Ihrer Meinung nach sei das Modell einer rationalen Kriminalpolitik innerhalb des durch die Verfassung abgesteckten normativen Rahmens durch eine evidenzbasierte Kriminalpolitik zu ergänzen. Hier sieht die Verfasserin zu Recht insbesondere die Kriminologie berufen.

Im letzten Beitrag nimmt Goeckenjan eine Positionsbestimmung von Strafgesetzgebung und Kriminologie vor und schließt an das an, womit Höffler endet, nämlich mit der These, dass die Kriminologie zu vielen Vorhaben der Strafgesetzgebung Substantielles beizutragen habe. Resignierend stellt sie aber fest, dass die Kriminologie zumeist leider nicht gehört werde. Dabei stelle das Strafrecht seine Legitimation gleichsam selbst auf den Prüfstand, seitdem es nicht mehr zweckfreie Vergeltung, sondern sozial nützliche Wirkungen zu erzielen sucht. Ob diese erstrebten sozialen Wirkungen eintreten, ließe sich empirisch untersuchen. Eine Kriminalpolitik, die nach effizienten Lösungen für soziale Problemlagen im verfassungsrechtlichen Rahmen suche, habe somit einen Bedarf an kompetenter erfahrungswissenschaftlicher Beratung. Im Idealfall gäbe die Kriminalpolitik Anstöße zu kriminologischer Forschung, deren Ergebnisse wiederum rezipiert und zu Änderungen der Maßnahmen führen könnten, die dann ihrerseits wieder untersucht würden. Diese gegenseitige Beeinflussung von Kriminalpolitik und Kriminologie sei Teil eines sog. forschungspraktischen Regelkreises.

Leider, so Goeckenjan, sehe die Wirklichkeit anders aus, da Kriminalpolitik und Kriminologie nicht im zeitlichen Einklang agierten, sondern wissenschaftliche Studien häufig über eine Legislaturperiode hinwegdauerten, sich dann aber das Interesse an den Ergebnissen wegen anderer Regierungsverhältnisse erledigt hätte. Zudem sei Kriminalpolitik zumeist an einer Bestätigung der eigenen Sichtweise und weniger an (konträren) wissenschaftlichen Aussagen interessiert. Daher wahre die derzeitige Kriminalpolitik häufig nicht einmal mehr den Schein der Rationalität.

Es gäbe daher eine starke Position in der Kriminologie, die auf einer kritischen Distanz zur offiziellen Kriminalpolitik bestehe und die Strafgesetzgebung selbst zum zentralen Forschungsgegenstand mache. Dessen Relevanz ergäbe sich schon daraus, dass der Gesetzgeber durch die Festlegung von Straftatbeständen maßgeblich über die qualitative Struktur der Kriminalität entscheide. Welche gesellschaftlichen Gruppen auf welche Weise welche Interessen im Strafgesetzgebungsprozess durchsetzen würden, sei damit eine zentrale kriminologische Fragestellung.

Nach dem Verständnis von Goeckenjahn ist die Kriminologie keine Hilfswissenschaft der Kriminalpolitik und insoweit nicht darauf beschränkt, Verbesserungsvorschläge bei strafrechtlichen Anwendungsproblemen zu machen. Vielmehr sei sie eine Grundlagenwissenschaft, die autonom über ihren Forschungsgegenstand und ihre Methoden entscheiden könne. Dies schließe auch eine kritisch-distanzierte Haltung gegenüber der offiziellen Kriminalpolitik ein. Daneben könne Kriminologie aber auch überprüfen, ob bestehende kriminalpolitische Instrumentarien die erstrebten Wirkungen entfalten oder wie sie verbessert werden können. Insofern schaffe Kriminologie die Voraussetzungen für eine rationalere Kriminalpolitik.

Die Verfasserin mahnt die extensive Strafgesetzgebung in den letzten Jahren an. Jede Erweiterung des Strafrechts sei als zusätzliche Freiheitsbeschränkung begründungsbedürftig, dieser Begründungspflicht komme die Legislative aber nicht nach. Sie verlege sich in ihrer Begründung auf Sicherheits- und Abschreckungsgesichtspunkte und bemühe eine „Bekämpfungsrhetorik“, um die strafrechtlichen Änderungen zu rechtfertigen. Die heutige Strafgesetzgebung zeichne sich daher durch einen immer expansiveren Kurs aus. Kriminalpolitik greife reflexhaft zu neuen und erweiterten Kriminalisierungen, um vermeintliche Handlungsfähigkeit zu signalisieren. Rationale Strafgesetzgebung finde kaum noch statt. Daher sei eine kritische Begleitung der Vorgänge in der Kriminalpolitik durch die Kriminologie heute mehr denn je erforderlich.

Wie bereits anfangs betont, hat der Tagungsband zur Strafrechtspolitik auch 2019 nichts an Aktualität verloren. Er kann zudem jenseits der kleinteiligen wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit einzelnen Strafgesetzen dazu beitragen, ein theoretisches Fundament weiterzudenken, auf dem sich die Strafrechtswissenschaft kriminalpolitisch positionieren kann.

 

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