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Zur Diskussion über eine Erweiterung der Strafbarkeit von Cybergrooming

von Prof. Dr. Axel Dessecker

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Abstract
Der Beitrag beschäftigt sich kritisch mit zwei Gesetzentwürfen, die die Strafbarkeit von Cybergrooming (§ 176 Abs. 4 Nr. 3 StGB) im vorbereitenden Stadium eines sexuellen Missbrauchs von Kindern erweitern wollen.

This article critically reviews two bills aiming at expanding the criminal offence of online sexual grooming in Germany.

I. Problemaufriss

Dass Kinder besonders vor Straftaten geschützt werden müssen, ist wohl unbestritten. Nach der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen treffen die Vertragsstaaten „alle geeigneten Gesetzgebungs-, Verwaltungs-, Sozial- und Bildungsmaßnahmen, um das Kind vor jeder Form körperlicher oder geistiger Gewaltanwendung, Schadenszufügung oder Misshandlung, vor Verwahrlosung oder Vernachlässigung, vor schlechter Behandlung oder Ausbeutung einschließlich des sexuellen Missbrauchs zu schützen” (Art. 19 Abs. 1 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes). 

Das Sexualstrafrecht enthält traditionell ausgefeilte Bestimmungen über die Strafbarkeit des sexuellen Missbrauchs von Kindern. Die heutige Fassung des § 176 StGB beruht im Wesentlichen auf dem 4. Strafrechtsreformgesetz von 1973, wurde allerdings immer wieder reformiert.[1] Die Strafbarkeit des Cybergrooming (§ 176 Abs. 4 Nr. 3 StGB) besteht seit dem Gesetz zur Änderung der Vorschriften über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung aus dem Jahr 2003.[2] Mit dem 49. Strafrechtsänderungsgesetz wurde 2015 im Zuge der Umsetzung europäischer Vorgaben zum Sexualstrafrecht klargestellt, dass auch jede Einwirkung „mittels Informations- oder Kommunikationstechnologie” erfasst wird, was zuvor davon abhängig gewesen war, dass die Art der Einwirkung dem Schriftenbegriff des § 11 Abs. 3 StGB entsprach.[3]

Strafbar ist nach geltendem Recht das vollendete Einwirken auf ein Kind mit dem Ziel, das Kind zu sexuellen Handlungen im Kontakt mit einer anderen Person zu bewegen oder das Kind zum Objekt einer kinderpornographischen Schrift zu machen. Auf die tatsächliche Ausführung sexueller Handlungen oder die Herstellung von Kinderpornographie kommt es nicht an. Vom angestrebten Schutz der ungestörten sexuellen Entwicklung von Kindern aus betrachtet, handelt es sich um eine Strafvorschrift im Vorbereitungsstadium.[4]

Es liegt im Wesen eines rechtsstaatlichen Strafrechts, dass manche Verhaltensweisen, die eine Mehrheit der Bevölkerung vermutlich als unmoralisch oder verwerflich ansehen würde, rechtlich erlaubt sind. Dazu gehören nach einer allgemeinen Regel des Strafrechts auch versuchte Vorbereitungshandlungen, im vorliegenden Fall also solche Kommunikationsversuche seitens Erwachsener, die in sexueller Absicht erfolgen, aber erfolglos bleiben (§ 23 Abs. 1 StGB). Manche solcher Kommunikationsversuche werden von vornherein ins Leere gehen, so dass es nicht einmal zu einer Einwirkung auf ein Kind kommt. Denkbar sind verschiedene Gründe für ein solches Scheitern deliktischer Absichten in einem frühen Stadium. Die Person, die als Kommunikationspartnerin und potentielles Opfer auftritt, kann ebenfalls erwachsen sein, ohne dies zu erkennen zu geben, etwa deswegen, weil sie Polizeibeamtin[5] oder die Mutter eines Kindes ist, an das frühere Textmitteilungen gerichtet waren.[6] Die Person kann eine Jugendliche sein, die das 14. Lebensjahr bereits vollendet hat. Oder der potentielle Täter kommuniziert nicht mit einer anderen Person, sondern mit einem Computerprogramm.

Kinder gelten im Strafrecht wie im Rechtssystem insgesamt als besonders schutzbedürftig. Besonders sexueller Missbrauch von Kindern beschreibt einen Sachverhalt, der in den letzten Jahrzehnten erfolgreich als soziales Problem etabliert und über das etwa in der Presse besonders häufig berichtet wurde.[7] Das Strafrecht ist ein nahe liegendes, weil durch Gesetzesänderungen beeinflussbares Feld politischer Aktivitäten. Aus dieser Sicht überrascht es nicht, dass Sexualdelikte zum Nachteil von Kindern immer wieder Gegenstand von Gesetzentwürfen werden.

Was Verhaltensweisen des Cybergrooming betrifft, liegen zwei Gesetzentwürfe vor. Die Bundesregierung hat beim Bundesrat einen Gesetzentwurf eingebracht, mit dem im Wesentlichen eine Strafbarkeit des Versuchs für Fälle des Cybergrooming gegenüber objektiv untauglichen betroffenen Personen oder Tatobjekten eingeführt werden soll, die durch den Straftatbestand des § 176 Abs. 4 Nr. 3 StGB nicht erfasst werden. Außerdem sieht der Entwurf eine Erweiterung der Anwendbarkeit des Straftatbestands der sexuellen Belästigung (§ 184i StGB) vor.[8]

Bisher weniger beachtet wurde ein Gesetzesantrag des Landes Hessen, der eine Versuchsstrafbarkeit für die Straftatbestände des § 176 Abs. 4 Nr. 3 und 4 StGB fordert und weiter darauf abzielt, angebliche Strafbarkeitslücken bei der Entziehung Minderjähriger (§ 235 Abs. 1 StGB) zu korrigieren.[9]

Der vorliegende Beitrag konzentriert sich auf die beiden Entwürfen gemeinsame Frage der Erweiterung einer Strafbarkeit des Cybergrooming, mit der die weiteren Regelungsvorschläge nicht unmittelbar verbunden sind. Obwohl die Entwürfe nach ihren Begründungen in erster Linie auf die Pönalisierung objektiv untauglicher Handlungen zielen, die nach geltendem Recht nicht einmal als Versuch strafbar sind, gehen sie unterschiedliche Wege. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung schlägt vor, den Versuch des Cybergrooming gegenüber objektiv untauglichen betroffenen Personen oder Tatobjekten mittels einer Neufassung des § 176 Abs. 6 StGB unter Strafe zu stellen. Der Gesetzesantrag des Landes Hessen wurde in den Ausschussberatungen des Bundesrats verändert. Nunmehr wird vorgeschlagen, bereits den objektiven Tatbestand der § 176 Abs. 4 Nr. 3 und 4 StGB zu erweitern und Kindern solche Personen gleichzustellen, die lediglich der Täter für ein Kind hält.[10]

II. Zum Vorschlag einer Neufassung des § 176 Abs. 6 StGB

Mit der durch den Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgeschlagenen Neufassung des § 176 Abs. 6 StGB sollen zukünftig – über die bisher strafbaren Verhaltensweisen der Beeinflussung eines Kindes unter Heranziehung bestimmter Tatmittel mit dem Ziel eines sexuellen Missbrauchs hinaus – auch Fälle strafrechtlich erfasst werden, in denen der Täter mit Missbrauchsabsicht irrig davon ausgeht, auf ein Kind einzuwirken, während er tatsächlich mit einem Jugendlichen, einem Erwachsenen oder keinem Menschen, sondern einer computergeschaffenen Phantomfigur kommuniziert. Insoweit handelt es sich um eine Kriminalisierung bisher strafloser Verhaltensweisen, die sich nur begründen lässt, wenn diese Handlungen strafbedürftig und strafwürdig sind.

1. Strafbedürftigkeit

Aus der Sicht des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit lässt sich Strafbedürftigkeit als Erforderlichkeit einer Erweiterung des Strafrechts fassen.[11] Dafür sollten mindestens Erkenntnisse vorliegen, dass die Verhaltensweisen, die strafrechtlich erfasst werden sollen, tatsächlich vorkommen und weniger einschneidende Maßnahmen nicht ausreichen, ihnen wirksam zu begegnen.

Was das Auftreten und die Häufigkeit des Phänomens „Cybergrooming” betrifft, liegen einige empirische Erkenntnisse vor. Die Polizeiliche Kriminalstatistik erfasst das Einwirken auf Kinder gemäß § 176 Abs. 4 Nr. 3 und 4 StGB seit 2004 mit dem gemeinsamen Straftatenschlüssel 131400, allerdings sind die Zahlen der Tatverdächtigen wegen einer Umstellung der Erfassungsmethode erst im Zeitraum seit 2009 miteinander vergleichbar. Seither ist die Zahl der erfassten Verdachtsfälle von über 900 im Jahr 2009 auf mehr als 2.400 im Jahr 2018 gestiegen. Die durchweg etwas niedrigeren Zahlen der Tatverdächtigen sind im gleichen Zeitraum von über 600 auf mehr als 1.600 angestiegen.[12] Nun liegt es nahe, dass als Belästigung erfahrene Kontaktversuche, die keine weiteren Folgen haben, eher selten bei einer Polizeibehörde angezeigt werden. Schon aus diesem Grund ist mit einer hohen Dunkelziffer zu rechnen.

Befragungen potentiell betroffener Kinder und Jugendlicher müssen andererseits die Schwierigkeit überwinden, potentiell strafbares Verhalten alltagssprachlich und dennoch präzise zu bezeichnen. In einem Fragebogen von Bergmann und Baier[13] wurden Cybergrooming-Aktivitäten mit zehn Aussagen erfasst, mit denen versucht wurde, der Bandbreite möglicher Erscheinungsformen gerecht zu werden. Am häufigsten bejahten die Befragten die Aussage: „Jemand hat dich nach deinem Aussehen oder deinem Körperbau gefragt” (26 %), am seltensten die Aussage: „Jemand hat versucht, dich zu erpressen, weil du ihm Bilder geschickt oder sehr Persönliches von dir mitgeteilt hast” (2,4 %). Die insgesamt breiter angelegte Befragung wurde in den Schulen einer Großstadt in Nordrhein-Westfalen durchgeführt und bezog sich auf Erlebnisse innerhalb der letzten zwölf Monate. Zudem sollten die Fragen nur von Befragten beantwortet werden, die angaben, sich innerhalb des letzten Jahres mit anderen im Internet unterhalten zu haben. Diese Eingangsfrage wurde von über 90 % bejaht.[14]

Die befragten Schülerinnen und Schüler der neunten Jahrgangsstufe waren durchschnittlich 14,9 Jahre alt, zum größeren Teil also keine Kinder im Sinn des Strafrechts. Schon damit wird deutlich, dass Befragungen zur Mediennutzung, Delinquenz und Viktimisierung junger Menschen wenig geeignet sind, quantitative Schätzungen zur Größe des Dunkelfelds für bestimmte Straftatbestände anzustellen. Fragt man noch allgemeiner nach beliebigen Formen digitaler Kommunikation mit „fremden Menschen” über persönliche Inhalte und verzichtet man auf einen klar definierten Referenzzeitraum, erweitert sich der Anteil der Betroffenen auf 41 % der Befragten.[15] Die Einbeziehung jeder Art digitaler Kommunikation ohne Rücksicht darauf, ob ein sexueller Bezug erkennbar wurde, entspricht durchaus dem Anliegen des Gesetzgebers, mit § 176 Abs. 4 Nr. 3 StGB den „Tricks” und „Verführungskünsten” Erwachsener zu begegnen.[16] Allerdings lässt sich nicht jede digitale Unterhaltung als tatbestandsmäßige „Einwirkung” qualifizieren.[17]

Ohnehin wurde in der Befragung von Bergmann/Baier[18] nicht danach unterschieden, ob die befragten Jugendlichen davon ausgingen, es mit Gleichaltrigen oder mit Erwachsenen zu tun zu haben. Berücksichtigt man diesen für den Begriff „Cybergrooming” zentralen Umstand des Altersunterschieds, kommt man zu niedrigeren Prävalenzraten. Das zeigt eine international vergleichende aktuelle Untersuchung in Deutschland, den Niederlanden, Thailand und den USA, die etwas strengere Einschlusskriterien – Kontakt mit einer älteren Person, die Interesse an sexuellen Themen zeigt, mindestens zwei bis drei Mal im Monat – definierte. Danach waren innerhalb der letzten zwölf Monate 7 % der Befragten betroffen.[19]

Danach ist festzuhalten, dass Phänomene des Cybergrooming als auf Machtmissbrauch gegenüber und Ausbeutung von Kindern gerichtete digitale Kommunikation einen nicht zu vernachlässigenden Anteil der Kontakte von Kindern und Jugendlichen betreffen. Sie sind eine Begleiterscheinung digitaler Kommunikationsformen, die im Alltag fast aller jungen Menschen eine wichtige Rolle spielen. Trotzdem kann man davon ausgehen, dass es sich um relativ seltene Ereignisse handelt. Die meisten Online-Kontakte von Kindern werden ihre eigene Altersgruppe betreffen, nicht sexueller Art sein und ihren Eltern nicht unbekannt bleiben.[20]

Die grundsätzlich begründbare Strafwürdigkeit des Cybergrooming an sich besagt jedoch noch nichts darüber, wie bloße Versuche und insbesondere untaugliche Versuche einzuordnen wären. Es ist nachvollziehbar, dass solche strafrechtlichen Randprobleme nicht im Zentrum empirischer Forschung stehen. Auffällig erscheint das Fehlen selbst einzelner Beispiele von Strafverfahren, in denen offensichtlich strafwürdiges Cybergrooming mangels Vollendung der Tat nicht zu einer Verurteilung führte. Die Begründung zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung verweist lediglich in allgemeiner Form auf Erkenntnisse der Praxis.[21] Gerichtsentscheidungen, die diese Sichtweise stützen, sind bisher nicht bekannt geworden. Im Gegenteil hat die Rechtsprechung in ähnlichen Fällen bereits einen vollendeten sexuellen Missbrauch von Kindern angenommen, weil teilweise mit einem Kind kommuniziert wurde.[22]

2. Strafwürdigkeit

In der deutschen Strafrechtswissenschaft besteht wohl Einigkeit darüber, dass das Kriterium der Strafwürdigkeit unabdingbare Voraussetzung für die Kriminalisierung eines Verhaltens durch die Gesetzgebung ist.[23] Das BVerfG stellt in seiner Rechtsprechung darauf ab, ob ein Verhalten „in besonderer Weise sozialschädlich und für das geordnete Zusammenleben der Menschen unerträglich, seine Verhinderung daher besonders dringlich“ ist.[24]

Bereits die Begründung des Entwurfs der Bundesregierung weist darauf hin, dass der Gesetzgeber in Anbetracht der weiten Vorverlagerung der Tatbestandsverwirklichung bisher bewusst davon abgesehen hat, den Versuch des Cybergrooming unter Strafe zu stellen,[25] obwohl Chatrooms und ähnliche digitale Foren der kriminalpolizeilichen Praxis bereits seit Jahrzehnten als Mittel zur Planung und Verabredung von gegen Kinder gerichteten Sexualstraftaten bekannt sind.[26]

Die Diskussion über eine Strafbarkeit des versuchten Cybergrooming wird bereits seit Jahren geführt. Sie soll in diesem Beitrag nicht in voller Breite rekapituliert werden, weil die Argumente weitgehend ausgetauscht sind. Die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung verweist darauf, es ergebe keinen wesentlichen Unterschied für die Beurteilung des Täterverhaltens, wenn der Täter nur annehme, mit einem Kind zu kommunizieren; schon dadurch werde er „bestärkt”, bei passender Gelegenheit gegenüber einem Kind sexuell übergriffig zu werden.[27] Dagegen wird beispielsweise vorgebracht, dass die Einführung der Versuchsstrafbarkeit eine noch weitere Vorverlagerung der Strafbarkeitsschwelle bedeute, die in der Praxis weitgehend unwirksam bleibe.[28]

Grundsätzlicher fällt auf, dass diese kriminalpolitische Diskussion stark von Annahmen über potentielle Täter und deren Motivationen geprägt ist, die nicht überprüft werden. In den Begründungen der aktuellen wie auch früherer Gesetzentwürfe werden die Täter solcher Delikte meist als „pädophil”[29] oder „pädosexuell”[30] bezeichnet. Sexualwissenschaftliche Untersuchungen lassen jedoch erkennen, dass diese Konzepte je nach Definition auf eine kleine Minderheit oder die Mehrheit einer Untersuchungsgruppe wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern mit Körperkontakt verurteilter Straftäter zutreffen, aber keineswegs auf alle dieser Personen.[31] Da es bei Cybergrooming um verbale Aussagen oder solche in Textform gegenüber Unbekannten geht, ist zudem offen, was davon bei ungestörtem Ablauf in eine tatsächliche Missbrauchshandlung umgesetzt würde. Die meisten erwachsenen Täter werden in ihrer näheren sozialen Umgebung andere Möglichkeiten haben, Kontakte zu Kindern herzustellen.

Der bisherige Verzicht auf eine Strafbarkeit des Versuchs, insbesondere gegenüber objektiv untauglichen betroffenen Personen oder Tatobjekten, wird auch mit dem Argument kritisiert, dass untaugliche Versuche grundsätzlich strafbar seien.[32] Diese Weichenstellung kann die Prüfung, weshalb der Versuch gerade bei Cybergrooming im Vorfeld einer sexuellen Handlung unter Strafe gestellt werden soll, aber nicht ersetzen. Wie die Vorschrift des § 23 Abs. 1 StGB zum Ausdruck bringt, hängt die Strafbarkeit des Versuchs bei Vergehenstatbeständen von einer ausdrücklichen Entscheidung des Gesetzgebers ab. Der Gesetzgeber hat die Strafbarkeit des Versuchs bisher aber in keinem Fall auf Fallgruppen des untauglichen Versuchs beschränkt und zugleich taugliche Versuche, die der Vollendung eines Tatbestands viel näher kommen, von der Strafbarkeit ausgenommen.

Seit 2015 wurden Fragen einer angemessenen strafrechtlichen Regelung des Cybergrooming in der vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz eingesetzten Reformkommission zur Überarbeitung des Sexualstrafrechts aufgrund dreier Impulsreferate ausführlich diskutiert.[33] Für die Einführung einer Versuchsstrafbarkeit hat dabei nur eines der zwölf Kommissionsmitglieder votiert.[34] Aufgrund der Beratungen dieser Kommission wurde ein konkreter Reformvorschlag für das gesamte Sexualstrafrecht vorgelegt, der Cybergrooming mit anderen Vorbereitungshandlungen zum sexuellen Missbrauch von Kindern in einem eigenen Straftatbestand zusammenfasst.[35]

Insgesamt kann der Vorschlag einer isolierten Neufassung des § 176 Abs. 6 StGB, wie er in dem Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgebracht wird, aus diesen Gründen wenig überzeugen.

III. Zum Vorschlag einer Erweiterung der § 176 Abs. 4 Nr. 3 und 4 StGB

Der Entwurf der Hessischen Landesregierung hat ursprünglich vorgesehen, in § 176 Abs. 6 StGB die Bezugnahme auf Abs. 4 Nr. 3 und 4 zu streichen und damit sowohl den Versuch des Cybergrooming wie auch den des Zugänglichmachens pornographischer Darstellungen gegenüber einem Kind ausnahmslos unter Strafe zu stellen. Obwohl damit von vornherein zwei Tatbestände des sexuellen Missbrauchs von Kindern betroffen sind, ähnelt die Begründung stark derjenigen, welche die Bundesregierung allein für Fälle des Cybergrooming vorbringt: auch die digitale Kommunikation mit einem Gegenüber, das nur der Täter für ein Kind hält, könne einen pädosexuellen Täter darin bestärken, tatsächliche sexuelle Handlungen gegenüber Kindern vorzunehmen. Zudem wird auf „unabweisbare Bedürfnisse der Strafverfolgungspraxis” verwiesen.[36]

Der in den Ausschussberatungen des Bundesrats federführende Rechtsausschuss hat vorgeschlagen, in § 176 Abs. 4 Nr. 3 und 4 jeweils nach dem Wort „Kind“ die Wörter „oder eine Person, die er für ein Kind hält“ einzufügen. Der Vorschlag ist insofern mehrdeutig, als das Wort „Kind” in diesen Strafvorschriften insgesamt dreimal genannt wird. Jedenfalls läuft die Empfehlung darauf hinaus, bereits den objektiven Tatbestand der § 176 Abs. 4 Nr. 3 und 4 StGB so zu erweitern, dass Kinder solchen Personen gleichstellt werden, die lediglich der Täter für ein Kind hält.[37] Dagegen soll es offenbar nicht ausreichen, auf ein digitales Gegenüber einzuwirken, das in Wahrheit kein anderer Mensch ist. Eine Begründung hat der Rechtsausschuss des Bundesrats indes nicht geliefert.

Immerhin wird damit ein Vorschlag aufgegriffen, dem in der Reformkommission des BMJV – begrenzt auf Taten nach § 176 Abs. 4 Nr. 3 StGB – die Mehrheit der Mitglieder zugestimmt hat, während man für § 176 Abs. 4 Nr. 4 StGB einstimmig keinen gesetzgeberischen Handlungsbedarf erkannt hat.[38] Der Gesetzentwurf der Bundesregierung erwägt eine Erweiterung des objektiven Tatbestands von § 176 Abs. 4 Nr. 3 StGB zwar als Alternative zu einer Einführung der Versuchsstrafbarkeit, verwirft diesen Ansatz jedoch ausdrücklich. Genannt werden zwei Argumente. Zum einen würde eine solche Gesetzesänderung „eine in tatsächlicher Hinsicht lediglich versuchte Tathandlung rechtlich als vollendeten sexuellen Missbrauch ausgestalten”. Zum anderen wäre diese Tatbezeichnung auch im Schuldspruch und in der Eintragung im Bundeszentralregister zum Ausdruck zu bringen.[39]

Die objektive Gleichstellung von Kindern mit Personen, die lediglich für Kinder gehalten werden können, stößt auf weitere Bedenken. Es ist darauf hinzuweisen, dass sich diese Vorschläge von dem Ausgangspunkt einer Effektivierung des Cybergrooming-Tatbestands entfernen. Bereits die geltende Fassung des § 176 Abs. 4 Nr. 3 StGB bezieht sich nicht allein auf Einflussversuche mittels digitaler Kommunikationsmittel, sondern auch auf die persönliche Übergabe von schriftlichen Mitteilungen, etwa solchen auf einem beschriebenen Zettel.[40] Bei § 176 Abs. 4 Nr. 4 StGB geht es um beliebige Formen der Verbreitung pornografischer Inhalte. Werden Personen, die lediglich für Kinder gehalten werden können, bei diesen Strafvorschriften ebenso geschützt wie Kinder, stellt sich die Frage, weshalb dies nicht für alle Formen sexuellen Missbrauchs ohne Körperkontakt nach § 176 Abs. 4 StGB gelten sollte.

Wer sich im Sexualstrafrecht dafür einsetzt, Delikte gegenüber Personen, die wegen ihres Lebensalters als besonders schutzbedürftig gelten, in gleicher Weise unter Strafe zu stellen wie Delikte gegenüber Personen, die eine Schutzaltersgrenze bereits überschritten haben, läuft Gefahr, nicht nur die Systematik des Schutzes bestimmter Gruppen von Betroffenen zu unterlaufen, sondern den Schutz von Kindern insgesamt in Frage zu stellen. Es wäre irreführend, würde ein Gericht einen Angeklagten des sexuellen Missbrauchs von Kindern schuldig sprechen, der in Wahrheit lediglich mit einer älteren Person über Sexualität gesprochen oder in anderer Weise kommuniziert hat. Schon zum geltenden Recht weist die Rechtsprechung für die Fassung der Urteilsformel (§ 260 Abs. 4 StPO) daraufhin, dass ein Straftatbestand konkret und verständlich zu bezeichnen ist.[41]

IV. Zusammenfassung

Es hat sich gezeigt, dass sich eine vollständige Kriminalisierung aller denkbaren Verhaltensweisen des Cybergrooming in das Sexualstrafrecht nicht widerspruchsfrei einfügen lässt. Das gilt schon für den vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung. Anders als er es in seinem Titel zum Ausdruck bringt, bezieht sich die vorgeschlagene Einführung einer partiellen Strafbarkeit des Versuchs nach ihrem Wortlaut keineswegs allein auf Fälle des Cybergrooming, sondern auf alle Fallgruppen des § 176 Abs. 4 Nr. 3 StGB, also alle Kontaktaufnahmen mit Kindern zur Vorbereitung eines sexuellen Missbrauchs, die unter Einsatz bestimmter Tatmittel erfolgen. Noch weniger durchdacht erscheint der Gesetzesantrag der Hessischen Landesregierung in der Fassung, die der Rechtsausschuss des Bundesrates empfiehlt.

Beide Entwürfe beschränken sich auf punktuelle und voraussichtlich für die Strafrechtspraxis kaum relevante Korrekturen einzelner Formulierungen des Sexualstrafrechts, deren Auswahl sich schwer nachvollziehen lässt. Die in den Entwürfen aufgegriffenen Inkonsistenzen sind ersichtlich nicht die einzigen Fragen, die das geltende Recht in strafrechtlich und kriminalpolitisch wenig überzeugender Weise regelt. Es erscheint vorzugswürdig, eine breiter angelegte Reform des Sexualstrafrechts in Angriff zu nehmen, die das BMJV durch eine Reformkommission bereits gründlich vorbereitet hat.

 

[1]      Bezjak, Grundlagen und Probleme des Straftatbestandes des sexuellen Missbrauchs von Kindern gemäß § 176 StGB, 2015, S. 79 ff.
[2]      Eisele, in: FS Heinz, 2012, S. 697.
[3]   Eisele, in: FS Heinz, 2012, S. 697 (702 ff.). Wie Fischer, StGB, 66. Aufl. (2019), § 176 Rn. 8, bemerkt, ist die Beschreibung des Tatmittels sprachlich misslungen. Nach einem weiteren, am 4.9.2019 versandten Referentenentwurf des BMJV soll der strafrechtliche Schriftenbegriff modernisiert werden, was sich auch auf die Beschreibung der Tathandlung in § 176 Abs. 4 Nr. 3 StGB auswirken würde.
[4]      Laubenthal, Handbuch Sexualstraftaten, 2012, Rn. 477.
[5]      Momsen/Bruckmann, KriPoZ 2019, 20 (21).
[6]      OLG Hamm, Beschl. v. 14.1.2016 – III-4 RVs 144/15.
[7]      Schetsche, Die Karriere sozialer Probleme, 1996, S. 33 ff.; Görgen/Fangerau, in: Fangerau u.a. (Hrsg.), Präventive Strategien zur Verhinderung sexuellen Missbrauchs in pädagogischen Einrichtungen, 2017, S. 16 (27 f.).
[8]      Gesetzentwurf der Bundesregierung: Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Versuchsstrafbarkeit des Cybergroomings (BR-Drs. 365/19 vom 9.8.2019).
[9]      Gesetzesantrag des Landes Hessen: Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des strafrechtlichen Schutzes von Kindern (BR-Drs. 518/18 vom 16.10.2018).
[10]    Empfehlungen der Ausschüsse zu Punkt 44 der 973. Sitzung des Bundesrates am 14.12.2018 (BR-Drs. 518/1/18 vom 12.12.2018).
[11]    Stächelin, Strafgesetzgebung im Verfassungsstaat, 1998, S. 65.
[12]    Polizeiliche Kriminalstatistik: Grundtabelle ohne Tatortverteilung ab 1987, abrufbar unter: https://www.bka.de/SharedDocs/Downloads/DE/Publikationen/PolizeilicheKriminalstatistik/2018/Zeitreihen/Faelle/ZR-F-01-T01-Faelle_excel.xlsx?__blob=publicationFile&v=3(zuletzt abgerufen am 3.9.2019).
[13]        Bergmann/Baier, Rechtspsychologie 2 (2016), 172.
[14]    A.a.O.
[15]    Bergmann/Baier, Rechtspsychologie 2 (2016), 172 (182).
[16]    Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Vorschriften über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und zur Änderung anderer Vorschriften (BT-Drs. 15/350 vom 28.1.2003), S. 17 f.
[17]    Eisele, in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. (2019), § 176 Rn. 14d.
[18]    Bergmann/Baier, Rechtspsychologie 2 (2016), 172.
[19]    Wachs u. a., Cyberpsychology, Behavior, and Social Networking 21 (2018), 91.
[20]    Genner u. a., MIKE: Medien, Interaktion, Kinder, Eltern, 2017; Schrock/Boyd, in: Wright/Webb (eds.), Computer-mediated communication in personal relationships, 2011, S. 368.
[21]    BR-Drs. 365/19, S. 3.
[22]    OLG Hamm, Beschl. v. 14.1.2016 – III-4 RVs 144/15.
[23]    Zusammenfassend Deckert, ZIS 2013, 266.
[24]    BVerfGE 96, 10 (25) im Anschluss an BVerfGE 88, 203 (258); 90, 145 (172); 92, 277 (326).
[25]    BR-Drs. 365/19, S. 3.
[26]    BT-Drs. 15/350, S. 18 unter Bezugnahme auf Soiné, Kriminalistik 2002, 18 (226).
[27]    BR-Drs. 365/19, S. 3.
[28]    Bezjak und Eisele, in Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht, 2017, S. 115.
[29]    BT-Drs. 15/350, S. 17; BR-Drs. 518/18, S. 5.
[30]    BR-Drs. 365/19, S. 7; BR-Drs. 518/18, S. 3 und 6.
[31]    Eher/Rettenberger/Turner, Acta Psychiatrica Scandinavica 139 (2019), S. 572 (576).
[32]    Drohsel, ZRP 2018, 213 (215).
[33]    Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht, 2017, S. 114 ff.
[34]    Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht, 2017, S. 131.
[35]    Bezjak, ZStW 130 (2018), 303 (320 f., 332 f.).
[36]    BR-Drs. 518/18, S. 6.
[37]    BR-Drs. 518/1/18.
[38]    Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht, 2017, S. 131 und 154.
[39]    BR-Drs. 365/19, S. 3.
[40]    BGHR StGB § 176 Abs. 4 Nr. 3 Einwirken 1 (Gründe).
[41]    BGH, Beschl. v. 16.12.2015 – 2 StR 191/15.

 

 

 

 

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